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La Cipolla
08.01.2006, 14:12
OK, weils geklappt hat, gleiche Prozedur wie beim letzten Engel (Drei Teile). :D
Aber diesmal hängen sie auch wirklich zusammen... :rolleyes:
Die Geschichte ist ursprünglich geschrieben, um die Rollenspielwelt von Yesterdays Tomorrow ein Bisschen zu beschreiben, aber ich denke, man kann auch als "Unwissender" mal reinschauen.





YT - Chicago

"Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft,
denn in ihr gedenke ich zu leben."
- Albert Einstein




Die Bar ist verraucht und der Gestank einer Horde ungewaschener Matrosen hängt in der Luft. Ihr dreckiger Humor ist mindestens ebenso ansprechend wie ein Stinktier im Kühlraum. Irgendwo im Raum läuft der kratzende Ton eines Radios. Hier und da wird mit Schmuck und Drogen gehandelt. Irgendwie ist es genau die Atmosphäre, die ich von einem solchen Ort erwartet hätte, und in einem gewissen Sinne ist sie mir auch nicht unangenehm. Ich merke, dass außer mir nicht viele Frauen hier sind, und ich merke auch, dass diese wenigen Damen eher zweifelhaften Geschäften nachgehen. Allerdings ist das bei mir nicht anders, wenn auch … auf andere Art und Weise.
„Ivory?“
Der erste Mann, der es sich getraut hat, meinem Tisch nahe zu kommen und zudem einer, der meinen Namen kennt. Oder sagen wir, meinen… Künstlernamen. Die Gestalt ist eher schmächtig und auch kleiner als ich, ich schätze ihn ungefähr eins siebzig. Die strohblonden Haare liegen wie hingeworfen auf seiner dunklen Haut, aber trotz dieses unauffälligen Aussehens fallen mir sofort seine wachen grünen Augen auf. Keine Sorgenfalte trübt sein Gesicht und sein Blick pendelt irgendwo zwischen Arroganz und Interesse.
„Ja.“, antworte ich knapp, bei dem Versuch, meinen russischen Akzent zu verstecken und betrachte seine Kleidung. Es war einmal gute Experimentierkleidung, aber hier und da zeigen sich Brand- und Farbflecken. Langsam interessiert mich, welcher Zunft dieser Mann angehört, denn für einen Maler hat eindeutig zu wenig Kraft. Ich rieche einen Auftrag.
„Gut, dass ich sie in dieser Schnapsbude gefunden habe. Man hört viel darüber, was sie mit diesen Babys so anrichten können.“
Sein dünner Zeigefinger ist auf die Waffen gerichtet, welche vor mir auf dem Tisch, an meinem Gürtel, auf meinem Rücken und an anderen weniger offensichtlichen Stellen platziert sind. Wie man sich vielleicht denken kann, sind diese Schließeisen auch der Grund, warum ich bis jetzt alleine geblieben bin. Als er merkt, dass ich nicht antworte, fährt er fort.
„Ich kenne mich nicht besonders gut aus, Madame Smith, aber diese Waffen sind teilweise bereits über 200 Jahre alt.“
„Und?“, frage ich ein wenig abwertend und drücke den Stummel meiner Zigarre auf dem Tisch aus, „Falls sie jetzt andeuten wollen, dass ich mir einen gleichaltrigen Spielgefährten suchen soll, sind sie auf dem Holzweg.“
Ein Lächeln seinerseits, ein Lächeln, dass mich bei einem gewöhnlichen Mann in diesem Raum eventuell dazu verleitet hätte, jemandem einen Gewehrknauf ins Gesicht zu rammen. Aber er kennt meinen ‚richtigen’ Namen, was bedeutet, dass er sich informiert hat. Es gibt mit Sicherheit einen Auftrag. Oder gewaltige Probleme.
„Keine Angst, Ivory, ihre Fähigkeiten sind der einzige Grund, warum ich heute hier bin. Und wenn wir Glück haben, könnte neben einer ordentlichen Bezahlung auch das eine oder andere… moderne Spielzeug für sie hinausspringen.“
„Um was geht es?“, frage ich und verberge meine Freude. Die Artefakte, die er mir soeben unter die Nase gerieben hat, interessieren mich einen feuchten Dreck, aber mir gehen gerade die Zigarren aus. Der Mann nimmt Platz und beugt sich verschwörerisch auf den Tisch.
„Ich muss einen Ort erreichen, Madame Smith, und ich würde ihn gern sicher erreichen. Ich bin Wissenschaftler, müssen sie wissen, Scourmage mein Name, Ivan Scourmage.“
Eigentlich hätte ich es mir denken können. Wissenschaftler wollen immer eskortiert werden. Langweilig, aber durchaus profitabel. Plötzlich lächelt er wieder, abermals dieses wissende, penetrante Lächeln.
„Lassen sich mich ihnen noch eine Frage stellen, Ivory. Haben sie schon mal von einem Ort namens Chicago gehört?“


Eine Stunde später saßen wir in Scourmages Wagen, auf dem Weg zum Hafen. Der Volkswagen, der vor langer Zeit eventuell sogar noch lackiert gewesen sein musste, war nun uralt, und neben den Schlaglöchern, die mir zu schaffen machen, war es das unablässige Knarksen der Karosserie, welches mich von jedem klaren Gedanken fernhielt. Aber das Pergament kreiste mir noch immer vor Augen. Wenn jemand mich charakterisieren müsste, würde es wohl heißen, ich sei eine desillusionierte Frau, die keinerlei Ideale mehr verfolgt, und ich würde diese Eigenschaften wohl auch gutheißen. Aber nun hatte mich die Euphorie des Wissenschaftlers angesteckt. Chicago - Vergessen sie die Sorgen und Alltages und machen sie ihr großes Glück! Der Slogan hatte nichts Ungewöhnliches, die Aufmachung des antiken Prospektes war es, die mich in ihren Bann zog. Farbige Fotographien von riesigen, leuchtenden Gebäuden aus Glas und unvorstellbaren Artefakten zierten das Pergament, und meine Hände zitterten - was allerdings auch an mangelndem Nikotin liegen konnte. Ich steckte mir eine Zigarre an, woraufhin mich der Wissenschaftler mit einem missgünstigen Blick bedachte. Der Prospekt war bereits an die dreihundert Jahre alt, hatte Scourmage gemeint, um die Jahrtausendwende rum, und das zerschlissene Papier hatte noch immer einen eigenartigen Glanz an sich, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Im Nachhinein muss ich wohl zugeben, dass mich die Aussicht auf ‚das große Glück’ wohl geblendet hatte. Natürlich waren auf diesem Prospekt Unmengen an Geld abgebildet, und auch die Artefakte versprachen unermesslichen Reichtum, aber an die Möglichkeit, dass Chicago nicht einfach in der Gegend herumstand, dachte ich in diesem Moment noch nicht. Später erfuhr ich, dass jenes Gerücht in bestimmten Kreisen schon lange den Umlauf gemacht hatte, Ivan Scourmages Leute gehörten wohl nur zu den Glücklichen, die die Legende von Chicago zuerst ernst genommen hatten. Aber was erzähle ich von Vergangenem, aus der damaligen Sicht ist das ganze Dilemma wesentlich interessanter.


Die Sonne brennt heißt auf das Dach des VW, als wir Haven City erreichen. Scourmage meint, hier würde es einen Mann geben, dem er vertraut, wenn es um Schiffe ging. Die Bemerkung war… naja, sagen wir mal, unangebracht, denn die Population der Stadt besteht eigentlich nur aus Fischern und anderen Seemännern, vielleicht 300 Einwohner insgesamt. Die Menschen betrachten mich mit misstrauischen Blicken, und der Wissenschaftler, der eine große Tasche aus dem Auto gehievt hat, tut ebenfalls seinen Teil zu unserer „Vertrauenswürdigkeit“. Ich muss dazusagen, ich bin es gewohnt, aber was erwartet man, als 1 Meter 80 große Blondine mit einer AK-78 auf dem Rücken, einer Schrotflinte am Gürtel und nicht minder gefährlichen Schießeisen im Gepäck? Unsere Schritte führen uns durch die halbe Stadt, ich sehe die Fischer, die ihre Netze trocknen und den musikalischen Tönen des Radios lauschen, dass sie an den Generator des Kühlraumes angeschlossen haben. Ihr Kapitän wird wütend sein, aber das war nicht mein Problem. Wie so oft in letzter Zeit denke ich darüber nach, ob es wirklich nicht mein Problem ist. Gut, ich kann mit Waffen umgehen, aber sollte ich dann nicht in Peru sein, wo sich das Volk gegen seinen Tyrannen erhebt? Oder sollte ich Menschen helfen, die es nötig haben? Selbstlosigkeit bezahlt keine Zigarren. Mit einem Anflug von Betrübung laufe ich weiter über die knarrenden Planken des Kais, den wir betreten haben.
„Hey, Ivory, alles in Ordnung? Sie sehen schlecht aus.“
„Danke… Eine Frau freut sich immer, so was zu hören.“, murre ich nur, aber eigentlich bin ich froh über Ivans Kommentar. Wir bleiben stehen und der Wissenschaftler reicht einem verdammt dicken Mann die Hand. Der Fremde trägt kurze Klamotten und sein rechtes Bein ist durch einen hölzernen Keil ersetzt worden. Moment.
„MacGamburt?! Sie wollen mit MacGamburt fahren?“
Ivan grinst mich nur breit an, als würde er sich über meinen ungehaltenen Zweifel amüsieren. Der dicke Mann lacht jetzt ebenfalls und ich kann seine gelben Zähne erkennen. Ich bin viel herumgekommen, habe bei der Eroberung von einigen Inseln gedient und letztendlich auch schon mehr Leute an einem Tag erschossen als andere in ihrem ganzen Leben zu Gesicht bekommen. Aber so will ich nicht sterben.
„Das kann nicht ihr Ernst sein, Scourmage! Jeder kennt diesen Irren! Und jeder, der noch bei Verstand ist, würde ihm nicht sein Leben anvertrauen!“
Peter MacGamburt, der Fährschiffer, dessen Ruf ungefähr so gut ist wie ein verdorbenes Käsebrot, grinst mich breit an und legt mir eine Hand auf die Schulter.
„Komm schon, Mädel, behemmel dich nich so, ich hab schon grazilere Ladies übers Meer gebracht!“, lacht er und ich schlage seine Hand beiseite, um mich dem Wissenschaftler zuzuwenden.
„Davon war nicht die Rede! Ich verlange eine Gefahrenzulage!“
Scourmage lacht abermals und flüstert dann grinsend in mein Ohr.
„Hören sie mir einmal gut zu, Madame Smith, Patrick ist ein Gentleman und zudem ein guter Freund. Ich habe wahrscheinlich mehr Zeit auf seinem Schiff verbracht als in meinem eigenen Wagen. Also vertrauen sie mir, in Ordnung?“
Misstrauisch gebe ich nach. Diese Expedition beginnt, doch noch interessant zu werden, sofern man interessant mit gefährlich gleichsetzt. Das Schiff ist, freundlich ausgedrückt, eine Katastrophe. So viele Nägel und Bretter an den falschen Stellen habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Der Schiffs’junge’ ist mit Sicherheit fast ebenso alt wie der Kapitän und hat wahrscheinlich bis vor kurzem noch irgendwo Teller gewaschen. Ich muss mich zusammenreißen, die Bezahlung ist gut. Und ich will Chicago sehen.


Fortsetzung folgt
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