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UhuSchuhu
04.01.2006, 01:53
Eine kleine Kurzgeschichte von mir. Ich glaube, Herr D. hat etwas gegen Statistiken und Alltagstrott.


Warum Herr D. durchdrehte

Es war ein ganz normaler Morgen für Herr D., 45, Bankkaufmann.
Beim Rasieren schnitt er sich. Sein Toast verbrannte. Seine dreizehn Jahre alte Tochter quengelte, sie wolle nicht in die Schule. Seine Frau nörgelte, dass sie noch so viel Hausarbeiten zu erledigen hätte.
„Als hätte ich nichts zu tun“, dachte Herr D., knallte die Wohnungstür zu, stieg die dreihundertzweiunddreisig Stufen ins Erdgeschoss runter – er hatte sie oft gezählt, der Aufzug war seit Monaten kaputt und keinen störte es – stolperte unterwegs fast über die Katze und tratt nach ihr. Selbstverständlich hatte Frau D. hinter der Tür darauf gelauert, öffnete die Tür und setzte sich lautstark für die Katze ein, wie jeden Morgen.
„Als hätte ich keine eigenen Probleme“, dachte Herr D. und ignorierte seine Nachbarin.
Er setzte sich hinter das Steuer seines kaputten Toyotas und hoffte zum neunhunderteinundvierzigsten Male, dass er auch diesen Tag noch überleben würde.
Herr D. betratt sein kleines Büro in einem großen Kreditinstitut. Warf die Zeitung auf den Tisch, setzte sich in seinen Sessel und dachte nach. Das Telefon klingelte, wie jeden Morgen. Seine Sekretärin, beziehungsweise die Sektretärin, die auch ihn bearbeitete. Sie erzählte ihm wie jeden Morgen Sachen, die ihn maßlos langweilten – Kunden, Kredite, Zinsen, neue Regelungen. Er unterbrach sie, legte einfach auf.
„Kein Interesse“, dachte er und konsultierte seinen Terminplan für diesen Tag.
„9:15 Uhr – Herr F., Kreditantrag“, stand da.
Noch 15 Minuten. Herr D. stand auf, suchte in seiner Tasche nach vier Euromünzen und verließ sein Büro. Er wandere um den Block zum nächsten Zigarettenautomaten. Seit neun Jahren hatte Herr D. nichtmehr geraucht. 65760 Zigaretten, die er täglich nicht geraucht hat. Sein Gesundheitsberater hatte ihm das vorgerechnet. 591,84 g Teer und 46,03 g Nikotin, die nicht den Weg in seine Lunge gefunden hatten. Alles Statistiken. Verdammte Statistiken. Er spuckte in die Bordsteinrinne und bat einen vorbeilaufenden Rauchen um Feuer. Dieser ignorierte ihn, woraufhin Herr D. fluchte.
„Warum fluchen Sie, werter Herr? Sind Sie so unfreundlich?“, sprach ihn eine alte Dame an.
„Haben sie Feuer?“, fragte Herr D. Als die Dame verneinte setzte er seinen Weg Richtung Büro fort. Er kam um 9:21 Uhr an, seine Sekretärin blickte vorwurfsvoll, seine Mandanten würden schon warten.
Er betratt sein Büro, seine Mandanten saßen bereits auf den beiden Sesseln. Ein Ehepaar, etwa 30. Wollen ein Haus bauen, bräuchten 100000 €, wären kreditwürdig, Grundstück hätten sie schon. Abgelehnt, meinte Herr D., zündete sich eine Zigarette an und fühlte sich einen Moment lang stark. Als das Ehepaar F. anfing, auf ihn einzuschreien nahm er einen Zug aus seiner Zigarette, warf das Ehepaar raus und fühlte sich noch stärker. Drei Minuten dauerte es, dann kam seine Sekretärin. Es war der erste grundlos abgelehnte Kredit in seiner Laufbahn, sie war richtig aufgebracht und schockiert. Auch die Zigarette – mittlerweile die vierte in einer halben Stunde – mochte sie nicht. Herr D. genoss die Aufmerksamkeit, fühlte sich stark. Dann betratt sein Chef, Herr A., den Raum, und fing ebenfalls an, ihn anzuschreien. 2% Zinsen wären da drin gewesen, 2000€ Einnahmen für das Unternehmen, noch mehr mit Zinseszins.Egal, dachte Herr D., zündete sich seine fünfte Zigarette und fühlte sich so stark, wie seit Jahren nichtmehr. Nun reichte es Herr D., er nahm seine Zeitung und verließ den Raum. Verließ das Gebäude, stieg in seinen Toyota.
Er kaufte sich ein Seil und zwei Flaschen Schnaps in einem Supermarkt. Fuhr nach Hause, ignorierte seine Frau, die verwundert fragte, warum er schon zurück sei und sagte, er sei in der Garage. Er knüpfte eine Schlinge in den Strick, dann trank er anderthalb Flaschen Schnaps, bis ihm übel wurde. Er befestigte das Seil an einer Strebe, stellte sich auf die Motorhaube seines Autos, legte die Schlinge um seinen Hals und sprang.
Das letzte, was er sich fragte, war, ob er zu den 11156 Selbstmordtoten oder zu den 42000 Alkoholtoten zählen würde.

schreiberling
04.01.2006, 15:04
hmmm...
nicht schlecht,nicht schlecht...
sind noch ein paar Tippfehler drin und auch über die Zeichensetzung könnte man noch mal drüber gehen- soweit die Formalien

beeindruckt hat mich die Abgeklärtheit,so wie du das runtergeschrieben hast,schlüssig,durchdacht,ohne große Fehler auf das schon früh aufleuchtende Ende hinführend
vor allem die stilistischen Wiederholungen wie diese Zahlenkolonnen, "Als hätte ich nichts zu tun", "fühlte sich stark" usw hauen echt rein, vermitteln genau das richtige Gefühl, nicht nur von der Situation sondern auch vom Menschen

also,wirklich beeindruckend das Ganze,nur an Innovation und Eigenständigkeit fehlt es dem Werk...

mach mal weiter

NeoInferno
04.01.2006, 19:16
Ich fands auch nicht schlecht, ich konnte einige Male schmunzeln. Wie auch schreiberling, fand ich vor allem die Statistiken stilistisch interessant, sie passten einfach perfekt und charakterisierten irgendwie das angepasste und belanglose Leben vom Prot.

Der letzte Satz ist wirklich Klasse :A

UhuSchuhu
04.01.2006, 23:03
hmmm...
nicht schlecht,nicht schlecht...
sind noch ein paar Tippfehler drin und auch über die Zeichensetzung könnte man noch mal drüber gehen- soweit die Formalien
Naja, ist nachts aus Langeweile entstanden, da kann man nicht so klar denken, aber ich werds mir nochmal ansehen.



nur an Innovation und Eigenständigkeit fehlt es dem Werk...


Das versteh ich nicht, kannste das mal näher erklären?

Danke für das Lob an euch beide.

schreiberling
05.01.2006, 15:35
Naja,die Idee ist nicht die Neuste,
das klischeehafte triste Bürodasein, gepaart mit dem tristen Familienleben usw.
irgendwann kommt dann der Entschluss was zu ändern,Rebellion o.ä. was dann im Selbstmord endet...

weißt du was ich meine?


nur deine Umsetzung, so wie du das erzählst, ist wirklich gut

UhuSchuhu
05.01.2006, 15:39
Ja, nun verstehe ich :)
Aber ich glaube, die Idee mit den Statistiken ist noch nicht so ausgenutzt.