Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Geschichte: "Nicht mal tot hat man seine Ruhe!"
Hallo auch.
Ich wollte hier einfach mal den Anfang einer Geschichte vorstellen, die ich zu Schreiben begonnen habe. Sie ist sarkastisch, zynisch und leicht angelehnt an Filme wie "The Crow" und "Spawn" was die Thematik betrifft.
Hier dann mal der erste Teil.
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Nicht mal tot hat man seine Ruhe!
Von DJ n
Welcher Tag ist wohl der Schlimmste, den man jemals haben kann?
Der Tag, an dem man von der Arbeit nach Hause kommt und seine Frau mit jemand anders im Bett erwischt und dir deine Schwester sagt, dass deine Frau die Beste ist, die sie jemals hatte? Der Tag, an dem du in jeden verdammten Scheißhauen trittst, der in deiner Stadt liegt und dich jeder mit dem Satz „Sie haben da etwas am Schuh“ auf die Eier geht?
Zugegeben, das SIND beschissene Tage, aber ein Katzendreck gegen den Tag, den ich hatte. Dies ist meine Geschichte und wenn ich den Hampelmännern in ihren Anzügen von Hugo Boss und ihren Sonnenbrillen von Gucci glauben kann, werde ich dafür auch bezahlt, dass ich meine Geschichte hier erzähle, obwohl ich mir mein Mittagessen selber mitbringen musste; soviel zum Thema, ich werde hier bezahlt… aber zurück zu meiner Geschichte.
Alles begann vor gut einem halben Jahr…
Der Tag hatte schon schlecht angefangen; der verdammte Wecker war verreckt und da meine Frau seit nunmehr 3 Monaten mit meiner Schwester in einer kleinen WG in der Innenstadt lebt und ich ein notorischer Langschläfer und Morgenmuffel bin, habe ich natürlich weiter geschlafen; so lange, bis mich die sanfte und überaus wohlklingende Stimme meines Chefs durchs Telefon geweckt hat: „JAMESON! WO ZUM DREIFALTIGKEITSTAG STECKEN SIE??“. Süßer die Glocken nie klingen…
Eine gestammelte oder genuschelte Antwort habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht zustande gekriegt, da mir zum einen die Ohren klingelten und der Schädel dröhnte – verdammtes Frustsaufen am Vorabend – und zum anderen befand sich der Teil meines Gehirns, der für das Zusammensetzen von Fragmenten zu vollständigen Sätzen zuständig war, wohl entweder auf Urlaub oder war durch den Whisky selbst noch besoffen. Daher bekam ich kaum mehr als ein „Aha… ja…“ hin. Zum Glück war mein Chef ein äußerst toleranter und verständnisvoller Mann, dem das Wohl seiner Angestellten tief am Herzen lag. „VERDAMMT NOCHMAL! SCHAFFEN SIE IHREN FETTEN, TRIEFENDEN ARSCH SOFORT HIER HER ODER ICH WERDE IHNEN EINEN URLAUB VERPASSEN, VON DEM SIE IN 10 JAHREN NOCH WAS HABEN!!“. Wenn ich schwul wäre, würde ich mich sofort in meinen Chef verknallen.
Nachdem ich mit einem weiteren „Aha… ja…“ mein Verständnis für das für mich eher unverständliche Gezeter ausgedrückt hatte – „UND WEHE SIE KOMMEN NICHT, JAMESON!“ – und meine Ohren aufgehört hatten, diesen nervenden Ton des Testbildes nachzuäffen, schaffte ich es doch endlich, mich in den Raum mit Namen „Badezimmer“ zu begeben und dort meine üblichen Geschäfte zu erledigen. Übergeben – verdammter Alkohol –, danach Duschen, wieder übergeben – scheiß Alkohol –, rasieren und das Bad verlassen, nicht ohne mich ein drittes Mal zu übergeben; gottverfluchter, beschissener Alkohol! Ich werde nie wieder einen Tropfen trinken!
In diesem Zustand verlief das Anziehen wie im Fluge und eh ich mich versah, war schon fast eine dreiviertel Stunde vergangen, seit ich den engelsgleichen Ruf meines Chefs vernommen hatte. Na ja, erst mal sollte ich etwas essen, denn nur Galle zu spucken machte mir tierischen Hunger!
Beim Blick in den Kühlschrank die nächste Ernüchterung: so gut wie leer. Bis auf Milch, Brot, Käse, Speck, Eier und allerlei Gemüse war nichts mehr da. Verdammt, das hieß nach der Arbeit noch mal einkaufen gehen. Ich riss einen Zettel vom Kalender ab und schrieb auf die Rückseite, was ich denn einkaufen müsste: Burden, Gin, Tonic, etwas Rum und Whiskey. Das konnte ja kein Zustand bleiben!
Ein kurzer und lang gedehnter Blick auf die Uhr verriet mir, dass es allerhöchste Zeit war, dass ich meinen „fetten, triefenden Arsch“ in Bewegung setzten und schleunigst an meinem Arbeitsplatz auftauchen sollte, da mein Chef sonst ganz traurig sein würde, dass ich es nicht geschafft habe, seiner freundlichen Bitte nachzukommen. Unweigerlich fiel mir auch prompt ein, wie mein Chef seine Enttäuschung ausdrücken würde… „JAMESON! SIE HIRNVERBRANNTER PRIMAT!! LANGSAM HABE ICH IHRE ESKAPADEN DICKE!! DAS WAR DAS ALLERLETZTE MAL, DASS SIE MIR SO UNTERKOMMEN! PACKEN SIE IHRE SACHEN UND VERSCHWINDEN SIE, SIE AUSGEBURT EINES TEEBEUTELS!!!“. Das Bild, wie die Vene am fleischigen Hals meines Chefs dabei im Takt pulsiert, die Schweineaugen immer weiter aus dem aufgequollenen Gesicht hervortreten und das gesamte Gesicht eine purpurne Färbung annimmt, amüsierte mich ein wenig. Leider entlockte es mir, anstatt eines Lachers, nur wieder das Bedürfnis, mich zu übergeben, dem ich auch spontan in meiner Küche nachkam. Schöne Scheiße! Voll in die Küche gekotzt. Na ja, muss ich eben wegwischen, wenn ich wieder da bin. Bei der Laune meines Chefs dürfte das in gut zwei Stunden sein, denn dann war ich spätestens meinen Job los.
Daher ließ ich ein Frühstück in der heimischen Küche aus, in der sich selbst schon die Kakerlaken heimisch fühlten – mich machte das immer besonders stolz, denn wenigstens konnte ich meine Wohnung für alle gemütlich einrichten – und machte mich auf den Weg in die smogverseuchte Stadt, um in einer Bazillenschleuder, welche sie hier öffentliche Verkehrsmittel nennen, zur Arbeit zu fahren. So weit kam ich jedoch nicht, wie ich 15 Minuten später und mit dem Gesicht auf dem Kantstein feststellen sollte…
Ich versperrte die Tür mit einem alten, rostigen Fahrradschloss; seitdem ich die Tür aufgebrochen habe, weil mein gottverdammter Schlüssel abgebrochen ist und ich zu faul war, mir ’nen neuen Schlüssel machen zu lassen, musste ich mit dieser Art von Schloss vorlieb nehmen. Das Ergebnis war, dass bisher zwar niemand eingebrochen war – wenn ich ein Einbrecher wäre, würde ich zwar in die Wohnung einbrechen, dem Kerl aber was hinstellen, damit sich das Wiederkommen lohnt – aber dafür fand ich jeden Tag nach der Arbeit entweder eine neue Katze oder ein Geschenk dieser Katze in meinem Bett vor.
Bei meinem Gehalt wäre es aber auch zu viel verlangt, mir ein neues Schloss plus einer heilen Tür zu leisten; als Tellerwäscher in einem zweitklassigen Kabuff, mit einem drittklassigen Lohn, viertklassigem Chef und Toiletten, die außer Klasse waren, war dies auch kein Wunder.
Das Leben konnte mich echt mal am Arsch lecken; und das tat es auch prompt, besser gesagt drei Straßen vor meiner Tür entfernt. Als ich mal versuchte, einem Hundehaufen ausnahmsweise mal das Leben zu schenken und nicht, wie üblich, selbiges mit einem beherztem Tritt in seinen breiigen Körper zu beenden, schwenkte ich etwas zur Seite aus, kam dabei anscheinend in den Dunstkreis eines recht kultiviert anmutenden Mannes mit speckiger Lederjacke, abgetragenen Jeans, dicker Sonnenbrille, einem Arm, auf dem mindestens ein Mal die Worte „Tot“ und „Mutti“ in jeder Farbe drauf eingeritzt waren und der den Umfang meines Kopfes hatte. Vom gepflegten Bart, der dem Kerl wie wild wucherndes Unkraut lang und dicht herunterhing und in dem Vögel anscheinend ihre Ganzjahresbehausung eingerichtet hatten, will ich lieber nicht reden. Jedenfalls schien dieser Kerl auch einen miesen Tag erwischt zu haben – vielleicht war seine Frau auch mit seiner Schwester ins Bett gegangen, muss ja nicht immer mir passieren – und gab mir höflich, aber bestimmt zu Bemerken, dass ich ihm gerade auf einen seiner Cowboystiefel getreten war, an denen meiner Meinung nach noch ein Zahn klebte. Er sagte so etwas, wie: „Ey, Spast! Latsch mir nicht auf die Schuhe, sonst kriegste ne neue Kauleiste, klar?“. Ein sehr höflicher Mensch, dachte ich mir und versuchte, ihm höflich mein Bedauern für diese Tat auszudrücken. „Ach leck mich doch, Besenfresse…“. Leider schien der Mann meine Entschuldigung nicht so gut zu finden, wie ich. Mit seinen monströsen Händen, die ohne Probleme als Baggerschaufeln hätten durchgehen können, griff er nach mir und legte eine Pranke auf meine schmale Schulter. Freundlich wie eh und je fragte er: „Was war das eben, du Würstchen?“. „Zieh ab Besenfresse, ich hab zu tun, du hohle Nuss.“ erwiderte ich höflich. Im nächsten Moment, noch bevor der nette Gentleman mir seine übergroße Faust auf das Nasenbein pressen konnte und mir so den eh schon längst überfälligen Besuch beim Nasenklempner abnahm, wurde ich von einem der eifrigen und wie ein Bekloppter fahrenden Fahrradboten umgestoßen. Ich torkelte herum, hörte den Bärtigen etwas rufen („Ey! Komm zurück du Lackmeier!“) und presste im nächsten Moment meine Lippen und den Rest meines Körpers voller Inbrunst gegen einen heranrasenden Bus der Linie 12. Dieser wies meine Bekundung der Liebe heftig ab; er schleuderte mich hoch in die Luft und ich glaubte, endlich an einen besseren Ort zu gehen, bis mich die Schwerkraft wieder auf den Boden der Tatsache und mit dem Kopf auf den Kantstein zurück holte. Ein freundliches Knacken und ich hörte die Engel singen, begleitet von dem Geschrei meines Chefs „JAMESON! WAS ZUM GEIER FÄLLT IHNEN EIN, HIER SO FAUL AUF DER STRASSE ZU FAULLENZEN? GEHEN SIE AN DIE ARBEIT!!“.
Mein letzter Gedanke, bevor ich die Augen schloss – wenn ich Blut sehe, vor allem wenn es mein eigenes ist, wird mir immer unglaublich übel – galt meinem leeren Kühlschrank (verdammt, ohne Gin oder so was ist der so gut wie leer!) und meinem Chef:
Leck mich, alter…
Bevor jetzt irgendein Klugscheißer oder Möchtegernprofessor hier anfängt, große Reden zu schwingen, dass dies alles nicht authentisch sei, da ich ja, wenn ich denn tot wäre, kaum hier sitzen und den ganzen Schmu aufschreiben könnte (ohne eine wirkliche Bezahlung, den Glauben daran habe ich mittlerweile verloren..). All jene, die diesen Drang verspüren, können jetzt gern bei mir vorbei kommen, damit ich ihnen authentisch in den Hintern treten kann!
Na ja, wo war ich? Ach ja, ich war tot. Mausetot, so tot, wie man eben nur sein kann, wenn einem mehr als 50% der Knochen durch eine Auseinandersetzung mit einem Bus gebrochen wurden und man aus gut 2 Metern Höhe zu erst mit dem Kopf auf dem Kantstein aufschlägt. Meine Mutter hätte gesagt, gut dass es der Kopf war, da ist eh nicht viel zu verlieren drin. Wie unrecht die alte Frau doch hatte…
Jedenfalls weiß ich nicht, was mit meinem Körper passiert ist, ich weiß nur, dass ich mich plötzlich komplett in Schwarz gekleidet in einer Reihe wieder fand. Ich hasse es eh, mich anzustellen, aber irgendwo anzustehen, ohne zu wissen, wofür… davon bekam ich immer Pocken am Hals. Wäre ich damals nicht so ein Weichei gewesen, was körperliche Auseinandersetzungen betrifft, hätte ich jeden Einzelnen in dieser verfluchten Reihe die Ohren einmal um den Kopf gewickelt. Das geht, ich hab’s später selbst gesehen und machen dürfen. Das war toll, aber zurück zu der Reihe. Ich hab mich halt nicht getraut, da Stunk zu machen und hab daher brav gewartet, bis ich vor einem großen Pult ankam…
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Ich hoffe auf Kritik :)
DJ n
La Cipolla
12.10.2005, 06:04
Hier kommt Kritik, sorry, dass es solange gedauert hat.
1. Also mit Spawn und the crow hat das bis dato ja nun nichts zu tun, falls es in die Richtung gehen soll, könnte ich mir vorstellen, dass du Probleme mit dem Ausmaß des Fäkalhumors kriegst.
2. Fäkalhumor ist prinzipiell nicht so meins, aber manche Stellen rocken gewaltig, vor allem die Schilderung des Unfalls ist genial.
3. Also der Chef ist zu klischeehaft und gewöhnlich, war in dieser Form und mit beinahe den gleichen Wörtern schon hundertmal da. Versuch dich doch lieber mal an einem neuen „Feindbild“. ;)
4. Was mir zum Inhalt auffällt, ist die Frage, wie es weitergeht. Ich bin wirklich tierisch gespannt, nicht weil die Geschichte bisher soviel Potenzial hat, sondern weil mich interessiert, was du daraus machst. :rolleyes:
5. Ich kann mir nicht helfen, Jameson klingt pseudoamerikanisch.
6. Lass dich nicht abschrecken, wenn hier keiner bewertet, das Forum ist lesefaul, um beim Schreiben wirds ganz schlimm. :p
Komisch, irgendwie ist dieser Anfang schon tausendmal dagewesen, aber in Bezug auf deine „Intension“ ;) (Siehe 1.) wird das Ganze wieder interessant. Der Schreibstil geht vollkommen in Ordnung, passt zur Zynik und ist erfrischend, wobei eine ganze Geschichte mit diesem Witz-Overkill auf Dauer ein wenig penetrant werden könnte. Ich warte auf die Fortsetzung.
Daen vom Clan
12.10.2005, 12:41
Hiho Simon :)
Bin zwar nur Zaungast hier, lese aber immer eifrig mit ;)
Die Geschichte ist fein geschrieben und durchgängig in einem Stil, hat aber das Problem, das sie so unglaublich klischeehaft und übertrieben ist, das man es einfach nicht glauben kann.
Mit einem Sozialversager an sich kann man durchaus noch Sympathie empfinden, aberdiese Geschichte ist einfach zu dick aufgetragen, hier wäre weniger mehr gewesen :)
Die Vergleiche und vor Allem die Erzählsprache sind großes Kino, großartig :)
Vielen Dank für die Kritik :)
@ Chipo:
Die Überhäufung dieser Geschichte mit Klischees war für mich erklärtes Ziel, um den Zynismus stärker hervor heben zu können. Nichts ist einfacher, als mit Klischees zu arbeiten :D Und wie sich die Story entwickelt: lies selbst ;)
Na ja, hier dann mal der nächste Teil.
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„Groß“, das war zwar das erste Wort, was mir für das Teil einfiel, jedoch hätte „recht groß“ es viel besser beschrieben; das Ding war gute 3 Meter hoch und 2 Meter breit. Hinter diesem Pult, wahrscheinlich auf einem sehr hohen Stuhl oder einer Masse von Telefonbüchern, saß ein ulkiger Kerl. Ulkig, weil sein ganzes Gesicht so aussah, als hätte ein Kind mit Knetmasse versucht, einen von diesen lustigen Elfen des Weihnachtsmannes nachzustellen; Gott, ich hasse diese Weihnachtswichtel!
Der Knetwichtel schien keinerlei Notiz von mir zu nehmen und ich hatte auch nicht vor, mir sonderlich viel Mühe zu geben, dass er Notiz von mir nahm. Ich sah mich also in der Gegend um – einfach nur ein großer, dunkler Raum mit einer langen Reihe von schwarz gekleideten Menschen, die alle zu dem Pult wollen, was vor der scheinbar einzigen Tür steht – und dachte darüber nach, wo zum Arschgebrechen ich eigentlich war. Ich wusste, ich war auf dem Weg zur Arbeit, wo mein heiß geliebter Chef mich freundlich empfangen hätte (JAMESON! SIE SIND ÜBER 4 STUNDEN ZU SPÄT! SIE SIND ENTLASSEN!!), wäre da nicht dieser nette Herr mit der üppigen Gesichtsbehaarung und den Armen, deren Bizeps so groß war wie mein Kopf allein gewesen. Ich wusste, dass es eine verbale Auseinandersetzung gegeben hatte und ich mit einem Schuldbekenntnis (Ach leck mich doch, Besenfresse…) von dannen ziehen wollte und dabei von einem Fahrradkurier zu Tode gefahren wurde. Na ja, besser gesagt vom Bus, vor den mich dieser Depp auf seinem Fahrrad gestoßen hat. Oder bin ich doch eher an den Folgen des Aufpralles mit dem Kopf auf dem Kantstein gestorben?
Na ja, eh egal, die Tatsache war, DASS ich nun tot war. Anfangs eigentlich ziemlich ernüchternd – mit einer Flasche Whiskey hätte sich das Problem der „Nüchternheit“ schnell lösen können, aber ich konnte ja nicht ahnen, dass ich an diesem Tag sterben sollte, denn sonst hätte ich eine Flasche mitgenommen –, aber mit jeder Minute die verging, wurde mir der Gedanke sympathischer. Kein lästiger Chef, der einem in aller Herrgottsfrühe – 11:00 Uhr! – aus dem Bett klingelt und dann einen Höllenlärm veranstaltet, so dass einem ein lautes Rockkonzert dagegen wie Flüstern vorkommt; keine Hundehaufen mehr auf der Straße, die nur darauf warten, dass ich in sie rein trete! So viele Dinge, die ich nie mehr wieder sehen und erleben musste. Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, warum einige Menschen einen solchen Bammel vor dem Tod haben, der ist das Entspannteste, was es gibt!
„Name?“ quakte plötzlich eine nasale Stimme vom oberen Ende des Pults zu mir herunter. Anscheinend hatte der Knetwichtel mich nun doch bemerkt. Na ja, sei’s drum. „Mike Jameson.“ antwortete ich und zum ersten Mal in meinem Leben, pardon, Tod war ich wirklich gut gelaunt. Wenn die Menschen nur wüssten, wie toll der Tod wäre, hätten sich die Bevölkerungsprobleme und die Sache mit der Welternährung in Null Komma Nichts gelöst!
„Aha. Mike… Mike… Ich finde keinen Mike, Jameson.“. Der Wichtel aus Knetmasse sah mich argwöhnisch an. Der glaubte wohl, ich würde ihn verarschen! „Nein, nicht Mike, Jameson. Jameson, Mike.“ berichtigte ich den lustigen Kerl mit dem zerknautschten Gesicht und versuchte sogar, zu lächeln. Dumm nur, wenn man seit Jahren keinen Grund mehr dazu gehabt hatte und die Muskeln im Gesicht diese Bewegung verlern haben. So kam nicht mehr als ein Zeigen meiner Zähne dabei raus, die auch schon mal bessere Tage gesehen hatten. Aber das konnte mir egal sein, denn ich war ja nun tot!
„Hmm… ah ja, hier haben wir ihn. Jameson, Mike. Tod durch diverse Frakturen am Schädel, sowie multipler Brüche der Halswirbel und anderer Knochen.“. Im Klartext: mein Kopf war Brei, mein Hals ein Gummischlauch und der Rest meiner Knochen konnte als Tierfutter herhalten. Großartig! „Gut, gehen sie in den Fahrstuhl und drücken sie den Knopf. Wünsche angenehmen Aufenthalt.“ quakte der Wichtel und mit einem freundlichen, militärischen Salut verabschiedete ich mich von dem Männchen.
Als ich an dem Pult vorbei ging, sah ich mir ganz schnell mal an, wie denn so ein lustiges Kerlchen hinter so einem Pult ordentlich sitzen kann. Er saß auf einem großen Kinderstuhl, an dessen Rückseite eine Leiter angebracht war. Toll, da ist man im Jenseits und das ist das Beste, was sie dafür aufbringen können? Ist ja schon enttäuschend. Hoffentlich war das, was mich nach meiner Fahrstuhlfahrt erwarten würde, besser, denn langsam wollte ich meinen Tod endlich genießen.
Schon lebendig hasste ich Fahrstühle und tot hatte sich daran auch nicht viel geändert. Auch wenn die kleine Kabine aus matt schimmerndem Metall einen ordentlichen und robusten Eindruck machte, hätte ich doch lieber die Treppe benutzt. Aber ich bezweifelte, dass sie extra für mich eine Ausnahme machen würden. Also stieg ich in die Kammer und drückte den Knopf; oh ja, es war „der Knopf“, denn einen anderen, außer ihn, gab es nicht.
Eine gute Sache hatte der Fahrstuhl aber: es war leise, absolut still, kein Mucks war zu hören. Keine nervtötende – obwohl das bei einem Toten auch nicht viel gebracht hätte – Fahrstuhlmusik, die sich anhört, als hätte sie ein Debiler im Vollsuff auf einem Kinderxylophon eingeklimpert und jeden Reisenden in dem Fahrstuhl zum völligen Nervenzusammenbruch bringen konnte. Bis auf das leise Summen der Neonlame – haben die im Jenseits noch nichts von Energiesparlampen gehört? – herrschte absolute Stille. Nicht mal das Fahrgeräusch des Fahrstuhls war zu hören und das beruhigte mich ungemein. Seitdem ich immer als Kind in jedem Kaufhaus und in dem Haus, in dem unsere Wohnung war, mit dem Fahrstuhl fahren musste, kriege ich allein schon beim Gedanken an diese Dinger nen Hautausschlag. Dem Herrn sei’s gedankt, dass ich in meinem Leben nie mit dem Fahrstuhl stecken geblieben bin – ein plötzliches Rucken riss mich aus dieser Erinnerung. Das Licht der Lampen verblasste ein wenig und die Anzeige, die immer die freundliche Nachricht „Viel Vergnügen im Jenseits“ hatte aufblinken lassen, zeigte nur noch „Fehler“ an. Ich merkte schon, wie es mich an allen Stellen des Körpers leicht zu jucken begann. Der gottverdammte Fahrstuhl war stecken geblieben! Warum? Warum musste der erste Fahrstuhl, den ich seit meinem Ableben betreten hatte, einen Defekt haben? Das war nicht fair, ganz und gar nicht fair.
Bevor mich jedoch die Panik wie ein Verrückter zu zittern und, so sinnlos es war, nach Hilfe schreien ließ, tat ich das lieber aus eigenem Antrieb heraus. Ich brüllte mir die Stimmbänder wund, rannte wie ein Bekloppter im Kreis und hämmerte gegen die Metalltüren des Fahrstuhls. Dass auf diesen Anfall hin dennoch nichts passierte, außer dass die Anzeige sich auf „Hör auf zu schreien, es hört dich eh niemand!“ umgesprungen war, hätte ich eigentlich wissen sollen. Tat ich auch, aber mir war’s egal; Hauptsache, ich hatte meinen seelischen Zustand aufgrund dieser Reiseverzögerung lautstark kundgetan, auch wenn sicher kein Schwein etwas gehört hatte (dass die dumme Anzeige auch Recht behalten musste…).
Anstatt jedoch in stille Apathie zu verfallen, wie es die Natur der meisten Menschen mit einem Schaden ist, tat ich etwas vollkommen Untypisches für mich: ich untersuchte die Decke des Fahrstuhls. Kling zwar komisch, aber wenn man sich mal überlegt, dass in jedem Film – ob nun gut oder schlecht –, in dem ein Fahrstuhl stecken bleibt, immer einer auf die Idee kommt, den Notausgang in der Decke zu suchen, war die Idee gar nicht mal so dumm. Natürlich haben sich die Leute in den Filmen nie die Pfoten an den verdammt heiß gewordenen Lampen in der Decke verbrannt; wer jetzt auf die Idee kommt, zu meinen, dass man tot eh keine Schmerzen empfindet, irrt gewaltig! Schon dumm, dass man die einfachsten Dinge des Lebens vergisst, sobald selbiges beendet ist.
Nachdem ich einen kleinen, aber feinen Schmerzensschrei von mir gegeben hatte (VERDAMMTE SCHEISSE, IST DAS HEISS!), ging ich vorsichtiger zu Werke und riss mir dazu etwas Stoff von den Hosenbeinen aus; jedenfalls versuchte ich das, aber für einen, der nicht mal fünf Blatt Papier zusammen zerreißen kann, ist das schon ein Ding des Unmöglichen. Trotzdem versuchte ich es weiter…
Bestimmt ne halbe Ewigkeit später (hätte ich ’ne Uhr gehabt, wäre mir aufgefallen, dass gerade mal ne halbe Stunde vergangen war) war es dunkel im Fahrstuhl. Ich hatte es endlich geschafft, die Lampen rauszudrehen und mir dabei die Hände schön gut durchbraten lassen. Meine Hose in Fetzen zu reißen habe ich schon nach dem zweiten Versuch aufgegeben; etwas oft zu versuchen frustriert mich sehr schnell, daher zog ich es vor, mir lieber meine Hände ein wenig zu verbrennen. Da ich, als ich noch am Leben war, ein großer Fan von Gegrilltem und Kurzgebratenem war, störte mich der Geruch, der von meinen Händen ausging, wenig, im Gegenteil, ich bekam sogar ein wenig Hunger.
Mit den schmerzenden Händen stieß ich dann immer wieder – während ich lächerlich aussehende Sprünge in Richtung Decke vollzog, die mich an meine Schulzeit erinnerten, wo mir in der großen Pause immer mein Pausenbrot von den Großen geklaut wurde und ich es mit eben solchen Sprüngen versucht habe, wiederzubekommen – gegen die Decke und versuchte so per Zufall die richtige Stelle zu treffen, an der sich dann der Notausgang befand; jedenfalls hoffte ich inständig, dass sie im Jenseits daran gedacht hatten, einen Notausgang im Lift einzubauen, sonst säße ich ganz tief in der Tinte…
Na ja, auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt die Spannung eliminiere (wobei mir das auch Suppe ist, schließlich werde ich hier NICHT BEZAHLT!), aber der Fahrstuhl hatte einen Notausgang. Die Dachluke war eng, die Scharniere hatten so ausgesehen, als wäre sie noch die die liebliche Bindung mit Öl eingegangen und im Fahrstuhlschacht war es dunkel, muffig und äußerst dreckig. Mein „Glück“ war ja nun, dass es in dem Fahrstuhlschacht eine Notleiter an der Wand gab, die ich dann hochklettern durfte. Mann, ich war so was von gut gelaunt, als ich mit versengten Händen eine elendig lange Leiter hochklettern konnte. Ich war ja schon immer der begeisterte Kletterer gewesen – schon wenn ich auf einem Stuhl stand, bekam ich Schwindelanfälle und musste mich übergeben – und DAS war nun wirklich das Nonplusultra für mich, großartig!
Wie dem auch sei: ohne, dass der Fahrstuhl wieder in Gang geraten war (was bei meinem Glück bisher durchaus hätte geschehen können, wenn nicht sogar MÜSSEN), erreichte ich endlich das Ende der Notleiter. Seltsamer weise öffnete sich die Tür für das letzte Geschoss von selbst und ich konnte, geblendet von einem extrem hellen und weißen Licht, aus dem verdammten Schacht klettern. Nachdem das Brennen der Augen und die temporäre Blindheit verzogen hatten, stand ich vor einem großen Pult… mal wieder…
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DJ n
Sorry für den Doppelpost, aber der nächste Teil ist fertig.
Bitte wieder um Kritik :)
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Anscheinend war hier ein und das selbe Möbelhaus am Werk, denn das Pult, welches in Mitten einer Masse Wolken stand – der ganze Ort war irgendwie voller Wolken, überall kam dieses beißende Licht her, das goldene Tor glänzte auch die ganze Zeit fröhlich vor sich und (das Tor kam mir extrem protzig vor) ein allgegenwärtiger Chorgesang trieb mich fast in den Wahnsinn! – sah exakt genau so aus, wie das Pult, hinter dem der Knetwichtel gesessen hatte. Als ich mich langsam dem Pult nährte – etwas anderes blieb mir nicht übrig, denn bis auf dieses Pult und das protzige Tor gab es hier weit und breit nichts und zurück in den Schacht mochte ich auch nicht klettern, so verlockend er auch sein mochte – rechnete ich mit einem weiteren dieser Wichtel und nahm mir vor, mal zu fragen, in welches überdimensionale Kinderzimmer er, sie, es oder wasauchimmer geraten war, dass man nun so aussah. Aber statt eines Knetwichtels blickte ein bärtiger, in einen weißen Stofffetzen gekleideter Kerl mit leuchtendem Kranz auf dem Kopf vom Pult auf mich herab. „Sei gegrüßt mein Sohn. Endlich bist du hier.“ sagte der Mann mit einer Stimme, wie aus einem schlechten Pornofilm. „Warum nennst du mich Sohn? Du bist nicht mein Alter und wenn du es wärst. hätte ich dir erst mal eine getellert, da hätte der Rauschbart aber Kirmes gehabt.“ sagte ich freundlich und bekam ein freundliches Lachen vom Bärtigen zurück, der mich ein wenig an den netten Herrn erinnerte, mit dem ich kurz vor meinem Ableben einen kleinen Disput hatte. Ob seine Oberarme auch so extrem stark bemalt waren? Vielleicht stand auf seinen Armen nicht „Mutti“ und „Tot“, sondern „Maria“ und „Himmel“. Möglich wäre alles…
„Wir sind doch alle Kinder des einen, allmächtigen Vaters oder?“ fragte der Bärtige Mann mit der Pornostimme freundlich und setzte eines dieser Lächeln auf, die man in einem der Schnellrestaurants aufsetzen musste, wenn einem ein Kunde die matschigen Pommes um die Ohren schmiss. „Was? Was laberst du für kryptischen Unsinn? Ich hab echt keine Lust auf dieses Getue.“ gab ich dem netten Herrn in der weißen Robe höflich zu verstehen. „Ich bin nach diesem Tag echt nicht in der Stimmung, mir das Gesülze eines Kerls anzuhören, der wohl grad aus der nächsten Klapse ausgebrochen ist, nicht nach diesem Tag! Willst du wissen, wie der war?“. Der Bärtige lächelte weiter sein Lächeln und war kurz davor, sich dafür ordentlich eine aufs Fressbrett bei mir abzuholen. „Ich kenne den Verlauf deiner letzten 8 Stunden sehr genau, Mike Jameson.“ sagte der Bärtige wieder mit seiner verfluchten Stimme und legte in sie noch so einen Unterton hinein, den ich lange nicht mehr gehört hatte… etwas… wie hieß das noch mal?
…
Mitfühlend! Genau, das war’s! Er sagte diesen Satz mit einem mitfühlendem Unterton, dass meine Aggression ihm gegenüber, auch wenn ich das nicht wollte, sich in Rauch auflöste. Dafür blieb meine Aggression gegenüber diesem verdammten Chor! „Kannst du dann wenigstens mal dieses verdammte Gekreische abstellen, wenn du schon weißt, wie mein Tag bisher war? Ich krieg dabei echt einen zuviel!“ bat ich den Bärtigen höflich und er blickte mich das erste Mal seit unserem Gespräch nicht freundlich an, sondern verdutzt. „Gekreische? Das sind die himmlischen Chöre der Engel, die ein immerwährendes Hosianna und Lob auf unseren Herrn und seinen Menschensohn singen. Das kann man nicht einfach… ’abstellen’“. Na toll… bis eben war’s im Jenseits noch gar nicht so schlecht, abgesehen von dem Lift, dem stecken gebliebenen Lift, die verbrannten Hände (die noch immer wie Sau schmerzten) und der Kletterpartie mit diesen Händen in einem muffigen Schacht. Hatte mich echt schon mit dem Gedanken an ein Leben nach dem Leben eingerichtet, aber dann musste der Bärtige mir das Ding mit der Musik beipulen. Irgendwer in dieser Gegend schien mich nicht zu mögen…
„Wie dem auch sei… der Knetwichtel da unten hat mir gesagt, ich sollte mit dem Lift hierher fahren. Hier bin ich, was nun?“ fragte ich den Bärtigen, nachdem ich meine Ernüchterung betreffend der musikalischen Dauerbeschallung runtergeschluckt und für einen anderen, passenden Augenblick in meiner Galle verstaut hatte. Der Kerl hinter dem Pult setzt wieder sein Lächeln auf – wenn ich ein Frittenverkäufer gewesen wäre, ich hatte ja schon wegen dieses Lächelns gekündigt… ich glaube sogar, ich war mal Frittenverkäufer und habe wegen dieses Lächelns gekündigt! – und begann einen gewaltigen Wälzer von Buch aufzuklappen und darin zu suchen.
Irgendwie fand ich es lustig zu sehen, wie der Typ in dem dicken Buch sich einen Wolf nach meinem Namen oder wasauchimmer zu suchen schien, obwohl im Zuge der Technologisierung langsam auch mal der Computer bis ins Jenseits vorgedrungen sein sollte. Na ja, spätestens wenn Bill Gates stirbt, würde dies geschehen und das Jenseits könnte sich mit all den Freuden des Computers und all den Leiden, verursacht von Windows© erfreuen. Ob Bill Gates dann zum reichsten Mann im Jenseits werden würde und sich mit seinem Geld erstmal das gesamte Himmelreich kaufen würde? Oder hätte er einen Platz im Kellergeschoss bei Luzifer und seinen lustigen Genossen vorreserviert und entsprechend schon Aktienanteile an der Hölle in seinem Aktienfundus drin? Vielleicht sollte ich mich mal mit den Finanzexperten hier zusammensetzen – vielleicht die Leute, die seit dem schwarzen Freitag hier sind? Die kennen sich sicherlich damit aus – und die dazu befragen…
„Ah, hier haben wir dich ja, Mike.“ frohlockte der Bärtige in einer Weise, wie sie mir in dieser Form noch nie begegnet war; ich wusste nicht, ob ich mich mit ihm freuen oder doch lieber in die Ecke kotzen sollte. Ich entschied mich für keine der beiden Optionen, sondern versuchte gespannt drein zu blicken, in Erwartung, was nun passieren würde. Aber aus einigen schlechten Filmen wusste ich, was nun passieren würde: der Bärtige würde ein wenig Blabla über mein Leben loslassen, mir meine Fehler vorhalten und mich dann endlich rein lassen. Dann hätte ich endlich meine Ruhe!
Aber irgendwie sollte alles ganz anders kommen… der Bärtige las einige Zeit in dem Buch herum und sein Gesicht wirkte dabei, hätte er nicht die Lippen beim Lesen mitbewegt, wie ich das in der Grundschule zuletzt getan hatte – Warum konnte ich bloß nicht von den Lippen lesen, verflucht noch mal? – wie eine dieser Steinköpfe in Rom oder den alten griechischen Städten, die ich immer nur im Fernsehen gesehen hatte; wie hätte ich bei einem Gehalt, von dem ich nicht mal die Kakerlaken meiner Küche ernähren konnte, mir eine Reise nach Europa leisten können?
Wie ich den Bärtigen so beobachtete, fiel mir auf, dass sich etwas an dem goldenen, protzigen Tor tat. Von der anderen Seite des Tores nährten sich weitere weiß gekleidete Kerle, es mussten so drei oder vier gewesen sein, von denen mindestens zwei so etwas wie ein Schwert trugen. Waren wahrscheinlich so ein paar Kreuzritter, die im Namen des Herrn die „Ungläubigen“ nieder geschlachtet und deren Frauen vergewaltigt hatten. Dass denen damit ein Platz hier sicher war, hätte ich mir denken können. Bestimmt hat der Kerl hinter dem Pult bei denen nicht so lange gebraucht, bis er mal den Mund aufgemacht hat. Der hat sicher nur ihre Namen gehört und sie rein gelassen; schließlich haben sie ja im Namen des Herrn gedient.
Unweigerlich stelle ich mir vor, wie ich die Taten der Kreuzritter in meinem alten Leben wiederholte: Ungläubige an jeder Ecke der Stadt abmurksen und deren Frauen… na ja, dafür hätte ich eher einen Platz in der nächsten Nervenheilanstalt oder Todeszelle sicher gehabt, anstatt einen Platz im himmlischen Teil des Jenseits. Die Zeiten haben sich seit der guten alten Tage der Kreuzzüge gewaltig geändert und in der heutigen Zeit wäre man sogar eher niedergeschossen worden, wenn man einen Ungläubigen „im Namen des Herrn“ seiner gerechten Strafe zugeführt hätte. Das Leben konnte schon hart, gemein und ungerecht sein, aber mir konnte ja nun egal sein, da ich tot war!
Die vier Herren, die sich jenseits des Tores immer weiter genährt hatten, waren nun am Tor angekommen und riefen den Bärtigen an. „Petrus! PETRUS!“. Der Bärtige reagierte nicht sofort, aber nachdem die Herren am Tor es geschafft hatten, den nervigen Chor zu übertönen, reagierte der Kerl. „Was ist? Seht ihr nicht, das ich arbeite?“. Ich verkniff mir die Frage, ob da jemand leicht gereizt war; ich befürchtete, Petrus würde dann auch mich losgehen oder mir ein nicht all zu nettes Schicksal zuschreiben und ich hatte keine Lust, den Rest der Ewigkeit kopfüber in einem Pfuhl aus brodelndem Blut zu verbringen (nein, ich habe „Die Göttliche Komödie“ nie gelesen…). Daher beobachtete ich nur die Szenerie, die sich vor meinen Augen abspielte mit dem Interesse, mit dem ich früher die Fugen zwischen losen Kacheln in meinem Bad gezählt hatte. „Petrus, ist er endlich angekommen? Wir haben echt nicht mehr viel Zeit. Die andere Seite zieht schon seine Truppen zusammen. Ihr Gesandter leistet echt verdammt gute Arbeit da unten. Immer mehr sind schon durch ihn gestorben.“ begann einer der Typen mit dem Schwert zu erzählen. Plötzlich fiel mir auf, dass der Sprecher so etwas wie Flügel am Rücken hatte. Entweder war er das glücklich geratene Ergebnis einer Liebschaft zwischen Mensch und Schwan oder er war das, was im Volksmund – jedenfalls im Volksmund jener, die an dieses Zeug glaubten, zu denen ich nun nicht gerade gehörte. Ich meine, ich war so Bibelfest wie der Paps ein Black Metal Fan war – als Engel bekannt war.
„Ich weiß, Gabriel. Die Kobolde da Unten beklagen sich jetzt schon über die Sonderschichten, die sie schieben müssen, nur weil das Kellergeschoss meint, einen lustigen Polterabend auf der Erde veranstalten zu müssen. Und das nur, weil wir ihnen unsere Aula nicht überlassen wollten.“ grummelte Petrus und schien mich vollkommen vergessen zu haben. Kein Problem. Ich bin tot, ich hab Zeit und kann warten. Eine ganze Ewigkeit, wenn’s denn sein muss! „Ja, der Chef hätte sich da ruhig diplomatischer ausdrücken können…“ pflichtete ein anderer Beflügelter Petrus bei. Gabriel schien das ganze nicht zu gefallen und wies die beiden höflich zurecht. „Nun macht mal den Kopf zu, ihr beiden! Unsere Meinung interessiert hier so viel, als wenn der da Unten einen fahren lässt. Wichtig ist nur, ob jetzt endlich unser Kandidat hier ist. Langsam wird die Zeit knapp.“.
Plötzlich schien ich wieder zum Thema zu werden, denn Petrus wandte sein bärtiges Antlitz wieder meiner Wenigkeit zu; was für eine Ehre, endlich wieder beachtet zu werden, ich hätte vor Freude nen Salto schlagen können. „Das ist euer Kandidat.“ sagte Petrus und zeigte mit dem Finger auf mich; alles schien ihm der „Heiland“ damals beigebracht zu haben, nur nicht, dass man mit nacktem Finger nicht auf andere Leute zu zeigen hat. Toller Heiland, der nicht mal seinen Anhängern die Grundregeln der Erziehung beibringen konnte…
Aber wie war das? Ich, ein Kandidat? Wofür? Ich erinnerte mich nicht daran, bei einer Jenseits-Tombola teilgenommen zu haben. Daher blickte ich Petrus unverhohlen wie ein Auto an und wartete auf Erklärung; auf die Erklärung warte ich bis Heute, denn die vier Kerle jenseits des Tores richteten allesamt ihre Blicke auf mich und starrten mich nun an, wie ich zuvor Petrus angestarrt hatte: wie ein Auto.
„Das ist er? Bist du dir sicher?“ fragte einer der Engel etwas zögerlich und ein anderer setzte hinzu: „Na ja, ich hatte mehr als dieses Würstchen erwartet, aber wie war das noch mit den Wegen des Herrn undsoweiter?“. Schon als ich am Leben war, liebte ich es, wenn in meinem Beisein über mich gesprochen wurde, als wäre ich nicht anwesend und seit meinem Tode hatte sich nicht wirklich viel daran geändert. Daher machte ich meiner Missgunst dahingehend angemessen Luft: „Pass auf, wen du hier Würstchen nennst, du Federvieh oder ich klatsch dich so, dass man aus dir nur noch ein Kissen machen kann, klar?“. Der angesprochene Engel veränderte seinen Blick – nun glotzte er wie der Esel vorm Berg –, sagte jedoch nichts. Stattdessen rief der Engel, der Gabriel genannt wurde, Petrus zu: „Mach das Tor auf und lass ihn rein. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren!“: Ohne Worte tat der Kerl hinter dem Pult, wie ihm geheißen und schwebte zum Schloss des goldenen, protzigen Tors hinunter, in welches er einen ebenso goldenen und noch protzigeren Schlüssel steckte. Es machte „klack“ und das Tor schwang leicht wie eine warme Briese, die den Gestank vom Müll vor der Haustür in meine Wohnung weht, auf. Ohne die Zeit zu haben, eine Reaktion auch nur vorzubereiten, wurde ich plötzlich links und rechts von zwei Engeln am Arm gepackt, hochgehoben und mit geschliffen. Meinen Protest, der mir alles andere als unangebracht vorkam (Verdammt noch mal, lasst mich los, sonst setzt es was!), ignorierte man gekonnt; die schienen so etwas öfters zu machen. Mit einem letzten Blick auf Petrus, der irgendwie schuldig aus der weißen Robe schaute, wurde ich durch das Tor gezogen und von den Engeln kreuz und quer durch eine weiße, wolkige Landschaft geflogen – der Chor schien hier noch lauter zu sein, als beim Tor! –, bis wir schließlich wieder landeten.
Nachdem ich meine Entrüstung über dieses rüde Verhalten und die Frechheit, mir nicht zu sagen, worum es bei dem Firlefanz eigentlich ging, in Worte gefasst hatte (Was fällt euch ein, mich einfach so anzupacken, durch die Gegend zu zerren und dann wie einen Sack Kartoffeln fallen zu lassen? Ich bin zwar tot, aber das gilt nur für meinen Körper! Was mache ich hier überhaupt? ICH WILL DOCH NUR MEINE RUHE!!), blickte ich mich um, da die Engel es nicht für nötig hielten, mir die geforderten Informationen zu geben.
Irgendwie erinnerte mich der Ort, an dem ich mich befand, an die Sporthalle meiner alten Schule; nicht, weil der Platz eine gewaltige, rechteckige Fläche hatte und es irgendwie nach Sporthalle roch, nein! Er erinnerte mich deshalb an die Halle, weil dort auch immer Mädels in engen Trikots rum gelaufen sind und rhythmische Gymnastik geübt haben; zur Freude der Jungs und unseres alten Sportlehrers will ich meinen.
Als jedoch Gabriel nur seine Hand in die Luft hielt, stoppten die Frauen ihre Übungen und verschwanden so schnell, dass mir nicht einmal mehr Zeit blieb, mir die abschwirrende Meute genauer anzusehen. Ich konnte Gabriel jetzt schon nicht ausstehen…
„Also, da wir nicht viel Zeit haben, machen wir es kurz. Dein Name lautet?“ fing Gabriel an und erinnerte mich nun an den Offizier, der bei uns an der Schule die Leute für die Army rekrutieren wollte; ich wollte mich melden, aber sie meinte, dass sie Soldaten nun doch nicht so nötig hätten. „Mike Jameson. Aber was…“ sagte ich, wurde aber rüde unterbrochen. Ich habe es schon immer gehasst, wenn mir dazwischen gesprochen wurde und tot ging mir das noch mehr auf den Sender. „Gut, Mike. Du weißt sicher, warum du hier bist, oder?“ fragte Gabriel und in dem Moment, als ich zu einer Antwort ansetzen wollte (Natürlich weiß ich, warum ich hier bin. Deswegen habe ich die ganze Zeit auch gefragt, was das hier alles werden soll, du Blitzbirne!), redete der Engel schon wieder weiter. Und was er mir im Folgenden erzählte…
… will ich lieber kurz fassen, sonst sitze ich Morgen noch hier; ich habe mir schließlich nur mein Mittagessen mitgebracht und nicht noch mehr (wäre ja auch noch schöner). Gabriel – oder wie auch immer dieser Kerl, der sich in meinen Augen für etwas zu wichtig hielt – eröffnete mir, dass ICH vom Himmel ausgesucht worden war, die Erde zu retten und gegen einen Diener der Hölle anzutreten. Ziemlich irre, was? Im einen Moment noch Tellerwäscher in einer Bruchbude, die bei der nächsten Inspektion eh hätte schließen müssen und nach dem Tod „PENG!“, ist man auf einmal ein Bote des Himmels und soll die Welt retten. Im ersten Augenblick habe ich echt gedacht, der Typ hätte einen Nasenzug zu viel genommen und schiebt deswegen solche Filme, aber ich wurde eines Besseren belehrt; oh ja, das wurde ich, und wie…
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DJ n
La Cipolla
16.10.2005, 19:14
Die Schilderungen von Lokalitäten und Personen rocken ;)
Schreib mal längere Teile, viel ist noch nicht passiert, und ich zweifle immernoch dran, dass sie der äußerst witzige Stil nicht irgendwann erschöpft.
Daen vom Clan
17.10.2005, 10:01
Super Simon - jetzt wo du die Kurve in Richtung Fantasy-Trash astrein gekriegt hast, sind die Beschreibungen plötzlich superpassend und richtig gut :)
Jetzt muss nur noch ein logischer und nachvollziehbarer Grund her, warum der Himmel ihn genommen hat.
Vielleicht, weil er alle schmutzigen Tricks kennt und die Gegenseite ihn deswegen nicht so einfach bescheissen kann?
Irgendwie erinnert mich der Kerl an Ash ^^
Wieder vielen Dank für die Kritik. Jetzt kommt gleich der nächste Teil und wieder hoffe ich auf weitere Kritik :)
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… denn plötzlich verstummte dieser nervtötende Chor – der Himmel sei gepriesen! – und auch dieses blendend weiße Licht wurde endlich gedämpft. Wenn ich es nicht schon dort gewesen wäre, hätte ich geschworen, im Himmel zu sein; aber da ich dort bereits war, konnte es sich nur wieder um irgendetwas anderes handeln und ich hatte das dumme Gefühl, als würde mir das nicht sonderlich gefallen.
Und tatsächlich: ein Grummeln, wie von einem herannahendem Sommergewitter oder mein Magenknurren, wenn ich mal wieder 2 Tage lang nichts gegessen hatte, weil mein Chef mir einfach mein Geld nicht geben wollte, zog auf einmal auf und die Engel begannen plötzlich auf die Knie zu gehen und zu Boden zu starren. Ein äußerst eigentümlicher Anblick, um mal mit ein paar Klugscheißerausdrücken anzugeben (muss ja auch mal sein), fand ich, blieb jedoch ungerührt stehen. Ich habe mein ganzes Leben lang den Bückling für andere gemacht, nun, wo ich tot war, sollte das nicht weiter gehen. Wie hieß das Lied noch mal? Ein neuer Tod ist wie ein neues Leben? Ne, das war was mit neuer Liebe und so… ist auch eh egal!
Die Engel waren so damit beschäftigt, ihre Kniescheiben auf den Boden zu rammen und mit ihren Blicken den Boden zu bohnern, so dass ich versuchte, die Gunst der Stunde zu nutzen und ’nen langen Schuh zu machen. Erst tat ich ein paar Schritte rückwärts und als ich sah, dass mich niemand bemerkte, drehte ich mich um und rannte los; leider geradewegs in eine unsichtbare Wand. Wie ein Gummiball knallte ich gegen etwas, dass ich mich gleich an mein Date mit dem Bus zurückversetzt fühlte, aber graziös wie ein Kühlschrank auf Rollschuhen kippte ich einfach auf den Rücken – dabei hatte ich lebendig schon Probleme mit dem Kreuz – und blieb liegen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, meine Nase sei gebrochen und mein Gesicht sähe nun so aus, als hätte ich ein blutiges Steak bei uns im „Restaurant“ bestellt, was bei uns einfach ein rohes, blutiges Stück Fleisch war. Ich fasste mir über das Gesicht und blickte meine Hand an: nichts, kein Blut und meine Nase schmerzte auch nicht. Aber der Aufprall auf die Wand hatte ganz schön geschmerzt! „Warum wollen sie schon gehen, Mike?“ fragte plötzlich eine laute, tiefe Stimme, die irgendwie den gleichen Klang wie die Stimme Petrus hatte;seltsamer Laden, dieser Himmel dachte ich bei mir und blickte noch immer starr nach oben. Eigentlich starrte ich ins Nichts, denn das war es, was ich sah: nichts, absolut nichts. „Also wenn ihr euch so einen Chor leisten könnt, hättet ihr euch wenigstens jemanden suchen können, der was mit der Decke hier macht.“ murmelte ich eher für mich, denn für andere Ohren, aber die laute, tiefe Stimme antwortete: „Da Vinci ist auch nur ein Mensch und bei der Arbeit, mein lieber Mike.“. „Ach so. Wollte ja nur gefragt haben.“.
Ich setzte mich auf und streckte meine Hände in die Richtung aus, wo ich auf einmal abgeprallt war; es war schon seltsam zu sehen, wie die Hände an etwas stoppten, was nicht zu sehen war. Plötzlich war mir einiges klar: Daher haben die Pantomimen das also… interessant…
Als ich endlich wieder auf den Beinen war drehte ich mich zu den Engel um; irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass nun ein Typ in weißer Kutte, langem Bart und einem nicht erkennbaren Gesicht vor den Engeln steht, die typische Vorstellung von Gott halt. Aber dem war nicht so: die Engel knieten noch immer und wirkten ein wenig wie Wasserspeier, nur waren sie nicht so hässlich (obwohl, wenn ich so an einige Gesichter dieser Typen denke…). „Also…“ fing ich etwas unsicher an, da ich es doch ziemlich schräg fand, einfach so in die Luft zu sprechen; das würde jedoch die Selbstgespräche einiger Menschen erklären, die man dann in die Klapse gesteckt hatte. „Also… was soll ich denn nun hier?“ frage ich und langsam schaffte ich es, mich zusammen zu reißen. „DIE da“ sagte ich und zeigte dabei auf die Engel, die noch immer knieten und keinerlei Notiz von mir zu nehmen schienen „haben mir ja nicht gesagt, was das jetzt werden soll.“. Eine Pause trat ein, bis dann die Antwort der Stimme kam: „Du sollst, wie Gabriel dir schon erklärt hat, für den Himmel...“; ich unterbrach die Stimme rüde, denn mir das ganze noch mal von vorne anzuhören, darauf hatte ich echt keine Lust. „Ja, ja, schon gut, ich weiß bescheid. Aber warum ICH?“. Auf die Antwort war ich nun mehr als nur gespannt, ich brannte förmlich darauf. Wieder dauerte es etwas und die Pause kam mir so vor, als würde sich gerade eine passende Antwort zurechtgelegt. „Nun ja… Petrus hat zwar gesagt, dass DU der Kandidat seiest, aber in Wirklichkeit, na ja, bist du es eigentlich nicht. Aber…“ „Aber was?“ rief ich. Irgendwie kam ich mir so verarscht vor wie schon lange nicht mehr. „Aber wir haben ein Problem mit dem Aufzug und du hast dich so wacker hier hoch gekämpft, dass wir dachten… na ja… unser Kandidat ist dank dir nicht tot. Daher musst du nun seinen Job übernehmen“. „Ah ja…“ sagte ich lang und gedehnt. „Und wer ist dieser sagenumwobene Kandidat, der eigentlich die Welt retten soll, was ich wohl nun tun muss?“. Die Antwort kam prompt: „Du bist ihm begegnet. Es war der Herr mit den bemalten Armen und dem Bart. Der, dem du auf die Stiefel getreten bist.“. Für einen Moment wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte; aber das dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde: ich fing an zu lachen wie ein Bekloppter. Als ich noch am Leben war habe ich immer gern Komödien und Filme gesehen, in denen die Darsteller immer etwas auf den Sack bekamen, aber das war nun wirklich meilenweit besser! Der Typ, der meinen Tod eingeleitet hatte, das bärtige Monster mit den Kindersärgen als Schuhen und einem Bizeps, der so groß wie mein Kopf war, sollte die Welt im Namen des Himmels retten! Ganz ehrlich, einen besseren Witz hatte ich bis dahin noch nicht gehört (aber es wird noch einiges passieren, wartet es nur ab). Als ich mich beruhigt hatte – das muss so nach gefühlten 10 Minuten gewesen sein, obwohl es, wenn ich eine Uhr gehabt hätte, sicher nur 2 Minuten waren –, wischte ich mir die Tränen aus den Augen und versuchte, ruhig zu atmen. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ fragte ich; die Blicke der Engel – die Kerle hatten sich inzwischen erhoben und zu mir gewandt – werde ich nie vergessen, als ich ihren „Herrn“ geduzt hatte. „Ich meine, dieser Kerl… an seinem Stiefel klebte noch ein Zahn von jemand, der ihn vielleicht angerempelt hatte! Mir hätte er beinahe eine neue Nase verpasst, nur weil ich dieses Mal NICHT IN EINEN VERDAMMTEN SCHEISSHAUFEN TRETEN WOLLTE! Und der soll die Welt vor der Hölle retten? Ich bitte dich…“. Wieder trat eine kurze Pause ein – wenn ich für jede dieser Kurzen Pausen einen Dollar bekommen hätte, dann hätte ich… ’ne Hand voll Dollar oder so –, bis die Stimme antwortete: „Das war der Plan, ja.“. Irgendwie hatte ich mit so einer dummen Antwort gerechnet, aber dennoch überraschte sie mich; das war eine meiner Eigenarten: überrascht über etwas zu sein, was ich eh erwartet hatte. Ich war auch überrascht, dass meine Frau mit meiner Schwester in die Kiste gegangen war, obwohl sie sich schon Monate davor nicht mehr von mir hatte anfassen lassen; das war extrem frustrierend, wenn ich mich so daran zurück erinnere…
„Na gut… und nur weil er nicht tot ist, soll ich das machen, ja? Nur, damit ich das richtig verstehe.“. Die berühmte kurze Pause. „Jo.“. Mit einem langen, nachdenklichen Blick betrachtete ich die Engel, die mich immer noch wie eine Ausgeburt der Hölle anstarrten, nur weil ich zu ihrem Chef ein engeres Verhältnis hatte, als sie jemals zuvor; Neider sind eben überall zu Hause. „Lohnt es sich?“ fragte ich an die Engel gewandt, die mich daraufhin wie wandelnde Fragezeichen anstarrten, was mich ein wenig an meine Schulzeit erinnerte, wenn die Frage nach dem 1 mal 1 zum wiederholten Male in meiner Klasse gestellt worden war.
„Ob es sich lohnt, hier den Hampelmann für euren Chef zu spielen, Himmelherrgott noch mal.“ fluchte ich und die Stimme erwiderte: „Ja bitte?“. An Gott war anscheinend ein Komiker verloren gegangen, echt ulkig, wirklich ein Brüller.
Wie ihr Chef, so brauchten auch die Engel eine „kurze Pause“, bis sie antworteten: „Ja, es ist für uns die höchste Erfüllung, dem Herrn zu dienen und in seinem Namen gutes zu tun und...“. Ich unterbrach den Vortrag Gabriels, der als Sprachrohr der Gruppe fungierte. „Schon gut, du sollst mir nicht deine Lebensgeschichte erzählen. Ein Einfaches ’Ja, es lohnt sich!’ hätte mir gereicht.“. Ich musste tief durchatmen; solche Pappnasen waren mir bisher echt noch nie begegnet, so etwas konnte es nur im Jenseits geben. Spontan fragte ich mich, ob die Typen in der Hölle genau so lustig drauf waren, wie die Kameraden hier oben im Himmel. Na ja, vielleicht schlägt die Höhenluft einem nach einiger Zeit mächtig auf die Rübe, so dass man automatisch einen Schaden bekommt.
„Na gut, ich bin dabei. Dann spiele ich eben für euch des Teufels Advokaten… oder eben des Himmels treuen Diener, wie auch immer ihr mich schimpfen wollt.“ sagte ich schließlich, nachdem ich mir auch mal eine kurze Pause zum überlegen genehmigt hatte, in der ich mir einfach nur überlegt hatte, ob sich hier im Himmel eine nette Eigentumswohnung mit schöner Aussicht und weit weg von der Quelle dieses absolut grauenhaften Chors finden ließe. Auf meine Antwort hin begannen die Engel allesamt so breit zu grinsen, dass ich endlich die wahre Bedeutung der Ohren herausfinden konnte – ohne die Ohren würde das Grinsen einmal um den Kopf gehen – und selbst das Licht schien ein wenig heller zu werden. „Großartig. Ich habe gewusst, dass du dich doch noch für uns entscheiden würdest.“ grollte die Stimme zufrieden; sicher… gewusst hat er das, deswegen musste man mich auch überreden… egal, lass ich ihm den Spass. „Aber eine Forderung hab ich noch!“ meldete ich mich nochmals zu Wort und zog damit verwunderte Blicke der Engel und einen zornigen Ausruf Gabriels auf mich: „Wie? Du wagst es, dem Herrn, deinem Gott, Forderungen zu stellen?“. „Erstens heißt es ’AN den Herrn, deinen Gott, Forderungen stellen’ und zweitens: ja, das tue ich. Ich will nämlich ein anderes Outfit als ihr Heinis. Die Bettlacken mögen euch zwar stehen, aber ich würd gern etwas haben, was mehr dem Zeitgeist entspricht, wenn’s genehm ist.“ antwortete ich gelassen und wartete auf eine Antwort des Chefs; mir war zwar klar, dass ich mir nun meine Suche nach einer hübschen Wohnung hier im Jenseits an den Hut stecken konnte, aber wenn ich dem Obermacker hier den einen Gefallen getan hatte, würde ich vielleicht ja ein paar Vergünstigungen hier bekommen, wäre ja gut möglich, denn irgendetwas musste ja nun auch für mich dabei raus springen.
„Nun gut“ begann die Stimme zu grollen, nachdem mal wieder eine kleine Pause vergangen war, in der ich wieder wehleidig an meinen leeren Kühlschrank denken musste, der ohne Gin oder Wodka auskommen musste. „Wie willst du denn eingekleidet sein?“. Die Stimme klang so genervt, dass dies selbst den absoluten Homophonen aufgefallen wäre, der seit Jahr und Tag die Gesellschaft anderer so vermeidet, wie ich den Gang zur Arbeit in meinem Leben vermieden hatte. „Hmm… du kennst doch sicher den Film ’Matrix’, oder?“ fragte ich zaghaft und betete, dass er ihn kennen würde; das ernüchternde „Ähm… wie meinen?“ der Stimme hätte ich kommen sehen müssen. Ich hatte es auch irgendwie kommen sehen, ungefähr so, als wenn man mitten auf den Gleisen einen Hochgeschwindigkeitszug kommen sieht, der einem im nächsten Moment voller Inbrunst an sich presst, hatte es aber nur ignoriert und wurde entsprechend von dem Zug überfahren. „Vergiss es. Gib mir einfach Klamotten, die nicht so schäbig aussehen und mit denen ich nicht auffalle, wie ein bunter Hund im Hochsommer.“ seufzte ich resignierend und wartete ab, was nun geschehen würde. Ein kurzes Aufblitzen an mir und die schwarzen Klamotten, die ich seit Beginn meines Aufenthaltes im Jenseits an und schon beinahe lieb gewonnen hatte – bis auf die Hose, die hasste ich, denn der Stoffe wollte sich einfach nicht ausreißen lassen und deswegen musste ich mir die Hände verbrennen! – waren verschwunden und durch einen weißen Anzug ersetzt worden. „Und? Wie ist das?“ fragte die Stimme selbstzufrieden und ich zwang mir ein Lächeln auf das Gesicht und drückte meine Freude über das neue Outfit aus: „Ein weißer Anzug? Willst du mich verscheißern? Ich bin doch kein Zuhälter, Mensch! Gib mir 30 Sekunden in der Stadt und schon werde ich hochgenommen in dem Zeugs hier!“. Ein genervtes Seufzen dröhnte über den Platz, als meine Kleidung erneut aufblitzte und ich in einer dunklen Jacke, dunklem Pullover, Jeans und Turnschuhen dastand. „Na das ist schon besser.“ sagte ich zufrieden und den Engeln war anzusehen, dass sie heilfroh waren, dass ich endlich etwas gefunden hatte, was mir gefiel.
„Ok. Und jetzt gehe ich zurück zu den Lebenden, um dort einem Diener der Hölle den Arsch zu versohlen?“ fragte ich. Dies war der Teil, der mir persönlich am meisten Spass zu machen schien. Ein kurzes Räuspern und einige peinlich berührt dreinblickende Engel folgten, bevor die Stimme antwortete: „Zwar eine etwas rüde Formulierung, aber der Kern der Sache stimmt.“. Ich grinste ein breites Grinsen, mit dem die meisten signalisiert hätten, dass es genau das war, was sie hören wollten; ich tat dies zwar auch, aber vor allem grinste ich, weil die Engel so schön blöd aus der Wäsche schauten. Ich weiß es nicht, aber irgendwie waren die Vier wirklich lustige Gesellen, auch wenn sie allesamt nen gewaltigen Stock im Arsch hatten.
„Und wer ist der Glückliche, der den Hauptpreis gewonnen hat?“ fragte ich und die eintretende kurze Pause, die immer länger zu werden schien, ließ mich nichts Gutes ahnen. „Nun ja… das musst du herausfinden. Wir wissen es nicht.“ gab die Stimme langsam zu und Gabriel, der auch so lange nun nichts mehr gesagt hatte, fügte hitzköpfig hinzu: „Wenn wir es wüssten, würden wir dann dich brauchen, um ihn zu besiegen?“. Das war ein guter Punkt. „Ja, denn ich glaube nicht, dass ihr in die Welt der Lebenden könnt.“ sagte ich mit Blick gen Decke des Himmels und überlegte, was Da Vinci momentan an einer anderen Stelle dahin malen würde.
An dem peinlichen Schweigen, welches dann einige Zeit vorherrschte, bis ich einen der Engel irgendetwas murmeln hörte, das sich wie „Klugscheißer“ anhörte, erkannte ich, dass ich Recht haben musste. „Wie erkenne ich ihn, den Boten der Hölle?“ fragte ich; es war eine Sache, jemanden in den Arsch zu treten, eine andere jedoch, diesen Jemanden erst einmal zu finden! „Du wirst es spüren, wenn du ihm begegnest, Mike.“ antwortete die Stimme und klang irgendwie wieder so… freundlich! Ich konnte mich nicht wehren, doch langsam aber sicher wurde mir der Kerl echt sympathisch und das war etwas, was mir bisher noch nie passiert war! „Aha, gut…“.
„Aber sei vorsichtig, wenn du ihm gegenübertrittst, Mike. Er ist ein Anhänger der anderen Seite und ich selber habe es an meinen eigenen Dienern gesehen, wie verführerisch sie sein kann, die andere Seite. Also sieh dich vor und lass dich nicht vor ihr verführen, bleibe dem Licht treu!“ grollte die Stimme und zum ersten Mal in meinem Leben, oder besser gesagt zum ersten Mal in meinem bisherigen Dasein – am Leben war ich ja nun seit einiger Zeit nicht mehr – hörte ich eine Stimme, die wirklich ehrlich besorgt um mich war; dieses Gefühl regte irgendetwas in mir, ein Gefühl, was sich schmierig und glitschig wie ein Stück Seife im Knast anfühlte. Es fühlte sich so an, als wäre ich… glücklich; nicht auf die sarkastisch-gemeine Art glücklich, das war ich immer, sondern richtig ehrlich glücklich darüber, dass sich jemand um mich sorgte. Ich spürte, wie mir das Herz aufging vor Freude… und dennoch konnte ich mir einen Kommentar nicht verkneifen: „Alles klar, Obi-Wan. Ich werde schon aufpassen…“. Ein Räuspern der Engel, die mich mal wieder wie die Autos anstarrten, ertönte, bevor der Chef fragte: „Obi-wer?“. Volltreffer! Nicht mal „Star Wars“ kennen die hier im Jenseits! Wo war ich gelandet, hinterm Mond gleich links?
„Gut. Und wie soll ich ihn besiegen? Einfach so lange einen auf die Nuss geben, bis er nicht mehr aufsteht? Aber ich warne euch: wenn das so ein Monster wie euer eigentlicher Kandidat ist, sehe ich da schwarz, ganz ehrlich.“ sagte ich und hoffte inständig, ich würde solch coole Dinge wie dieser Cartoonheld machen können, wie hieß er doch gleich? Der Untote, der mit dem Teufel einen Vertrag geschlossen hat und nun doch dem Teufel in den Hintern tritt? Egal.
Wie so oft im Leben – und im Ableben – wurden auch dieses Mal meine Hoffnungen zu Nichte gemacht. „Nein, das bringt nichts gegen einen Diener der Hölle. Du musst ihn mit den Kräften des Lichts vernichten, nur so wird seine Seele in die Untiefen des Styx zurückkehren.“ Grollte die Stimme pathetisch und irgendwie hatte ich das Gefühl, in einer großen Show zu sitzen und dass im nächsten Moment ein Ballet auftaucht, um mir das ganze vorzutanzen. Aber nichts dergleichen geschah und ich konnte eine weitere meiner intelligenten Fragen stellen: „Den Fluss Styx gibt es echt? Das ist also kein Scheiß, den sich irgendwann mal einer ausgedacht hat?“. Wieder eine kurze Pause. „Ja, den gibt es echt. Willst du nicht noch was über die Kräfte des Lichts erfahren, die du gegen den Diener der Hölle einsetzen musst?“. Irgendwie hatte der Chef mit dieser Frage Recht; ich bereue es heute noch, gefragt zu haben…
„Wie sieht das eigentlich mit diesen Kräften aus? Was sind das für welche und wie benutze ich sie?“. Das plötzlich auftretende Grinsen auf den Gesichtern der Engel behagte mir gar nicht, als die Stimme antwortete: „Das, mein lieber Mike, wirst du auf der Erde erfahren, du musst los, Ciao.“. Plötzlich stand in einem Strahl gleißendem Lichts und wurde wild umhergewirbelt, was ich natürlich nicht lustig fand (VERDAMMTE SCHEISSE, WAS SOLL DER MIST?).
Ich weiß nicht was es war, aber plötzlich begann ich nur noch Sterne zu sehen und im nächsten Moment fand ich mich, auf dem Rücken liegend in einer hohen Gasse wieder. Der Geruch von Müll und Katzenpisse stieg mir in die Nase und an dem Sirenengeheul stellte ich fest, dass ich wieder auf der Erde, bei den Lebenden sein musste. Schöne Scheiße, ich schien wohl direkt auf einer toten Katze gelandet zu sein…
…die sich zum Glück nur als alter Müllbeutel entpuppte, jedoch genau so stank, wie eine Katze, die seit 3 Wochen schon im himmlischen Tierheim hauste. Da war ich nun wieder: mitten in der Stadt; zurück unter den Lebenden, mit dem Auftrag, die Welt zu retten.
Und ich hatte Hunger wie ein Elch! Man mag es kaum glauben, aber sterben macht echt hungrig! Daher verließ ich die Gasse – man darf sie gern auch Gosse nennen – und begab mich an einen Ort, wo ich garantiert billig etwas zu essen bekommen konnte: meine alte Wirkungsstätte. Doch zuvor brauchte ich Geld, der alte Knauser von Chef hatte vergessen, mir etwas für die Spesen mitzugeben. Daher führte mich mein erster Weg in meine alte Wohnung…
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DJ n
kate@net
19.12.2005, 11:12
Ich habe es jetzt letztes Wochenende endlich geschafft die Story zu lesen. Und fand sie echt gut gelungen. Wie schon erwähnt ist man einfach gespannt, wie es weiter geht und muss irgendwie einfach weiterlesen. Sogar meine Schwester wollte die Geschichte bis zum "bisherigen" Ende lesen, nachdem ich ihr einen Absatz vorgelesen hatte. Der Witz ist wirklich gut und ich hätte nie gedacht, dass du es wirklich schaffen würdest ihn so durchzusetzen, also beizubehalten.
Obwohl ich ja eigentlich nicht so sehr der Typ bin, der sich über Religion ´gerne lustig macht, aber dieses Klischehafte Bild vom Petrus mit Rauschebart musste endlich mal gekonnt auf die Spitze getrieben werden. Ich freue mich schon auf eine Fortsetzung und finde deine Lösung auf jeden Fall besser als andere Romane über die Ritter der Apokalypse, an die ich mich erinnern kann. (Spontan fällt mir jetzt Krieg der Engel von Hohlbein ein, was ich früher gerne gelesen habe)
Weiter so!
Gruß kate
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