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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [P&P allgemein] Wie pathologisch darf's sein?



Jesus_666
24.08.2005, 22:41
Systeme wie DSA 4 oder Shadowrun 3.01D (mit Kompendium) bieten dem Spieler die Möglichkeit, bei der Charaktererstellung Nachteile auszuwählen. Ob der Charakter nun einen abstoßenden Körpergeruch hat, von den Zwölfgöttern gehaßt wird oder schon beim Anblick von Cyberware einen Kreislaufkollaps erleidet: Wer ein paar Extrapunkte für den Charakter raushauen möchte, der kann aus einer Vielzahl von mehr oder weniger krassen Einschränkungen auswählen - und die Punkte gleich in genauso funktionierende Boni investieren.

Stellt sich nur die Frage: Wie weit kann man so etwas treiben, bevor der Charakter dermaßen pathologisch wird, daß die Mitspieler sich wundern, ob er überhaupt noch spielbar ist? Die Verlockung ist groß: Man ballert seinem Charakter zwanzig Mali rein, um davon abstrus hohe Startwerte zu bezahlen. Aber ist der Charakter dann auch für die Truppe tragbar? Macht es Sinn, wenn man bei einem Einbruch in Renrakus Hauptquartier einen epileptischen Troll-Elfenposer dabeihat, dessen Cyberarm permanent spinnt und der zudem noch manisch-depressiv ist? Wird ein einarmiger junger Mann mit Allergien gegen alles von Hausstaub bis Sonnenlicht losziehen, um Aventurien zu retten?


Wie viele krasse Nachteile sind bei einem Charakter tragbar? Wie sehr hängt das von der Gruppe ab? Sind kraß pathologische Fälle tragbar, wenn das Gesamtkonzept stimmig ist?
Ineluki hat einen Charakter, der eine nicht unbeachtliche Latte von Nachteilen mit sich herumschleppt - außerhalb von sozial orientierten Settings würde ich den Charakter als fast unspielbar einstufen (innerhalb allerdings als sehr unterhaltsam). Allerdings stammt der Chara aus seiner RL-Runde, die wohl recht powergameroriertiert ist - und da muß man schon schwere Geschütze auffahren, um nicht innerhalb weniger Spielrunden so weit zu kommen, daß man zwischen Frühstück und Mittagessen schon ein halbes Dutzend Westwinddrachen vernichtet hat.

Anderes Beispiel: Mein zweiter SR-Chara, Sledge. Seine Gaben: Mut, Zähigkeit, Schmerztoleranz (3). Seine Handicaps: Berserker, Impulsivität, Rachsucht, Ungehobelt, Schlechter Ruf und eine mittlere Spinnen- sowie eine leichte Clownphobie. An sich würde ich das so nicht machen, aber der Kerl soll ein unbeherrschter, gewaltgeiler Waffenfanatiker sein, der wegen Übereifrigkeit und Brutalität bei Lone Star rausgeflogen ist - und auf das Profil passen diese Werte schon, zumal dieser Chara stark auf "Sledge Hammer!" basiert.


Es gibt noch weitaus schlimmere Fälle - kann man also pathologisch hochoptimierte Charaktere in der Runde ertragen oder wäre es besser, einfach ein paar halbwegs normale Leute zu spielen? Sollte man als Spielleiter die Nachteile übergehen, um einen flüssigen Spielablauf zu gewährleisten (was den Spielern efffektiv Gratispunkte gibt) oder sollte man die Nachteile voll ausspielen, so daß die Spieler merken, daß es sich nicht lohnt, einen Gottcharakter mit zwanzig Nachteilen zu bezahlen?

Daen vom Clan
25.08.2005, 08:26
Wenn ich Spielleiter bin, dann arbeite ich immer bewusst daran, die anderen Charaktere auf dem Teppich zu halten und habe schon diverse Charas abgewiesen, die in meinen Augen unspielbar oder zu powergamingorientiert waren und würde das wieder machen.

Der klassische Powergamer als Solcher überlässt das "Ausspielen" und die Auswirkungen aller Nachteile gerne dem Spielleiter, der aufgrund von chronischem Zeitmangel und der Pflege der anderen Charas, sowie der Geschichte, Diese zumeist nur sporadisch abhandelt und die Auswirkungen dementsprechend selten zum Tragen kommen, wohingegen der gemeine Powergamer das Ausspielen der massiven Vorteile selbst in die Hand nimmt und dabei keine einzige kleine Regellücke vergisst.

Um diesen Leuten einen Sperrriegel einzubauen, wird jeder Chara im Vorfeld von mir als Spielleiter überprüft.

Ich bin im Allgemeinen und vor Allem als Spieler auch mehr der Auffassung, das ein Charakter vom Rollenspiel lebt und richtig gutes Rollenspiel (d.h. nicht nur die Darstellung, Rollenspiel ist auch die Interaktion mit anderen Spielern und natürlich das Voranteiben und "Erleben" der Geschichte) am ehesten dann zustandekommt, wenn ein Chara einen eklatanten Nachteil und vielleicht 1-3 Vorteile hat, die ihn von der Masse der Anderen abheben.

YoshiGreen
25.08.2005, 12:09
DSA hat ja die Regel, dass man nicht mehr als 50 Punkte durch Nachteile gewinnen darf, wobei maximal 20 davon aus Schlechten Eigenschaften stammen dürfen. Selbst mit der Einschränkung kann man noch viel Unsinn machen...

Ich denke, dass man ruhig auch eine breitere Palette an Nachteilen haben darf, so wie z.B. Jeez "Sledge". Aber nu solange die mit dem Konzept und auch untereinander vereinbar sind. So kann ein Forscher zum Beispiel gerne Platzangst und Meeresangst haben, dazu ist er kurzsichtig, magisch anfällig und auf einem Bein lahm. Solange er mit dann nicht durch die Walachei spaziert und den Robin Hood mimt...
Wenn dann der Spieler eine Aktion ausführen will, die z.B. gar nicht zum Charakter passt, habe ich auch kein Problem damit, die als SL zu verbietet (oder hart auf hart die Würfelprobe misslingen zu lassen.)

Daen vom Clan
25.08.2005, 13:29
Naja, ich denke da in erster Linie auch nicht nur an Powergaming, sondern auch daran, das ein Chara, der gar nichts kann oder Alles kann, den Spielfluss massiv hemmen kann, genauso wie es sein kann, das ein Chara, der erstmal 10 Minuten Erzählzeit braucht, um zu beschreiben, wie sein Held aufsteht, weil er sämtliche Gebrechen aufzählen und beschreiben muss, das Spiel aufhalten kann.

Jesus_666
25.08.2005, 13:46
Wobei man natürlich artverwandte Nachteile manchmal zusammenfassen kann. Sledge könnte man beispielsweise mit den Worten "gewaltgeiles Rektum, das sich vor Clowns und Spinnen fürchtet" schon mal ganz gut beschreiben.
Bei sowas bin ich auch toleranter... Wenn ein Charakter jegliche Form von Autorität ablehnt und deshalb permanent mit dem Gesetz und seinen Auftraggebern in Konflikt ist, dann ergibt das in einem fiktiven System die Nachteile "Feind der Polizei", "schlecht im Verhandeln" und "flüchtiger Straftäter" - ich würde das zulassungstechnisch aber als einen Punkt abhaken.

Wenn er andererseits kurzsichtig ist, ein kaputtes Bein hat und von seinen Eltern nicht oft genug geknuddelt wurde, dann muß man schon eine echt gute Erklärung haben, damit ich das als zusammengehörig akzeptiere.

Daen vom Clan
26.08.2005, 09:04
Jepp, aber im Grunde sollte das letzte Wort immer der Spielleiter haben, weil manche Nachteile tödlich für Abenteuer sein können.
Wenn beispielsweise ein Spieler den Nachteil "Gesucht II" hat, die Gruppe aber vom Plot her die Truppe bei einer Adelsversammlung vorstellig werden muss, dann kann das dem Meister unnötig Kopfzerbrechen bereiten ;)

Liferipper
26.08.2005, 09:55
Wenn er andererseits kurzsichtig ist, ein kaputtes Bein hat und von seinen Eltern nicht oft genug geknuddelt wurde, dann muß man schon eine echt gute Erklärung haben, damit ich das als zusammengehörig akzeptiere.

Kein Problem:
Die Sehschwäche ist psychologisch bedingt. Da seine Eltern ihm zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, hat der Kleine beschlossen, dass er von der Welt nichts mehr wissen will. Infolgedessen nahm seine Sehkraft rapide ab. (Eventuell ebenso wie die Leistung aller anderen Sinne... yeah, noch mehr Mali.) Und für das Bein braucht man nun wirklich keinen große Erklärung, wenn man annimmt, dass derjenige zu eitel ist, eine Brille zu tragen (bzw. in einem Setting spielt, in dem es keine gibt). Sagen wir einfach, er hatte einen bedauerlichen Unfall mit einer Kutsche/einem Auto/was auch immer zum Setting passt.

Louzifer
27.08.2005, 15:15
Kenn ich! Kenn ich! Mein Schurke hat zwar auch Angst vor Spinnen, aber das ist nicht so weiter tragisch. Natürlich hab ich noch eine ganze Palette an weiteren Nachteilen - neben Gesucht I auch noch Spielsucht. :D Das kann echt fies sein.

Gruppe kommt in neue Stadt, SL fragt: "Was macht ihr jetzt." - Ich: "Ist hier irgendwas besonderes los?" SL: "Nein, es ist ein ganz normaler Tag, Leute ziehen an euch vorbei und gegen ihrem Tagewerk nach." - "Okeee, ich bau meinen Zockertisch auf!" (wahlweise: "Ich zock ne Runde!") :D Und das dann in jeder Stadt und fies wirds, wenn ich wirklich mal was gewinne - durch meine Goldgier (6), verlier ich meistens wieder den gesamten Gewinn, weil der SL so ein Fuchs ist und mich nicht aufhören lässt - weil ich ja goldgierig und spielsüchtig bin. :D

Aber hey - der Char macht wenigstens Spaß zu spielen.

btw. 1500 Posts in fast 4 Jahren - yes!

Trial
03.09.2005, 00:17
Einen Uberchar zu kreeiren, verdirbt imo das ganze Spiel! Ein RPG lebt schlieslich davon, das sich die Charaktere mit ihren individuellen Eigenschaften ergänzen! Der Dieb öffnet die Tür, während der Krieger ihm den Rücken freihält, der Abenteurer überprüft den Raum nach Fallen, während der Magier die magische Barriere durchdringt!

Wenn man jetzt einen Char hat, der unter Araknophobie, extremer Goldgier, Rassismus gegen Elfen und Orks aller Art und notorischem Schmuseentzug leidet und dafür die ganze Sache allein regeln kann, dann ist doch der Spielspass dahin!

Ianus
03.09.2005, 02:01
Wenn man jetzt einen Char hat, der unter Araknophobie, extremer Goldgier, Rassismus gegen Elfen und Orks aller Art und notorischem Schmuseentzug leidet und dafür die ganze Sache allein regeln kann, dann ist doch der Spielspass dahin! Nein, der Char brauuchte dann einen anderen Char, der fuer ihn die Spinnen erschlaegt und zwei andere, die den Idioten von taetlichen Angriffen gegen Elfen abhalten, bzw vernuenftigen Kontakt mit ihnen aufnehmen. Es ist doch gar arg schlechtes Rollenspiel, wenn es sich auf die Tabellen allein reduzieren laesst.

Ineluki
07.09.2005, 07:42
Das Problem in einigen Runden ist nicht unbedingt, dass der Spieler seine Nachteile nicht ausspielen will, sondern dass die anderen spieler ihn nicht lassen ...

Wenn eine Gruppe damt Spielleiter mit den Macken und gebrechen einer Person leben kann, warum nicht. Wenn also die Gruppe den Chara absegnet und dann trotzdem keine Ruecksicht nimmt, dann ist das mehr als bescheiden.

In Jedem fall wuerde ich also nicht nur den SL ueber sehr derbe Nachteile informieren, sondern auch die Gruppe dazu befragen. Wenn die Chemie soweit in Ordnung ist, ist auch gegen kummulierte Nachteile nichts einzuwenden. Und seien wir mal ehrlich ... es kann auch ganz unterhaltsam sein, wenn ein Charaker sich staendig ueber seinen kaputten Ruecken beschwert und die Truppe dazu saftige Kommentare abgibt ...

Daen vom Clan
07.09.2005, 10:01
Wenn eine Gruppe damt Spielleiter mit den Macken und gebrechen einer Person leben kann, warum nicht. Wenn also die Gruppe den Chara absegnet und dann trotzdem keine Ruecksicht nimmt, dann ist das mehr als bescheiden.



Ich denke, das man das erst im Spiel sehen muss, bevor man das wirklich gerecht beurteilen kann. Vieles, das auf dem Papier total einschneidend klingt, kommt vielleicht nie zum Tragen und eine kleine Macke kann sich durch exzessives Bespielen schnell zu einem Nervfaktor entwickeln.

Deswegen stellen wir solche Überlegungen immer erst nach 2-3 Abenden mit der Spielfigur an und besprechen dann auch die Charaktere, sofern es Schwierigkeiten gibt.
Ich habe das früher immer scherzhaft "Fußball-Nachbesprechung" genannt, da wirklich Aktionen und Dialoge analysiert werden, als würden Beckenbauer und Kerner ein Spiel der deutschen Nationlmannschaft durchgehen ;)

Aber wenn man das ab und an macht, hat man eine Gruppe, die super zusammenpasst (also auch miteinander streiten kann und Zündstoff bietet), was die Spielqualität enorm erhöht :)

Ineluki
07.09.2005, 19:12
Bei uns in #Free-DSA machen wir nach jedem Spielabend eine Nachbesprechung ...
Von daher hab ich an sowas gar nicht gedacht ^__^