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Lonegunman81
01.07.2005, 00:30
Grau

Alles fällt ab von mir. Die ganze Anspannung, die Angst und die Ungewissheit. Aber nicht auf die beruhigende Art, wie es sonst immer der Fall war.
Ich wartete, ich bangte, ich machte mich völlig verrückt.
- Imperfekt, Perfekt, hier nutze ich das Imperfekt, weil man es sollte -
Schlafen konnte ich in diesen Situationen nie, weil ich zu nervös war, zu aufgedreht, ich war krank vor Sorge.
- Es wird heute aber fast nur noch Präteritum genannt -
Gedankensalat in meinem Kopf, ich kann’s nicht so reinlassen wie es ankommt. Immer noch diese Reste meines Referats im Deutschkurs, scheiß Zeiten, ich will jetzt einfach nur wissen, was los ist. Aber ich weiß es ja schon.
Zurück, ich sagte ja wie damals ist es nicht, es ist keine Erleichterung.
Wenn sie solange weg war, war es immer eine Erleichterung sie wieder zu sehen, wenn das Geräusch ihres Schlüssels im Schloss der Haustür zu vernehmen war… klick, klack.
„Ich bin wieder da“, und die Welt ist in Ordnung, der Ärger vergessen und die Angst verflogen.
Und jetzt?
Wie habe ich mir das immer vorgestellt? Dass es klingelt, ich hebe ab und jemand sagt mir, ich soll ruhig bleiben, aber etwas Schreckliches ist passiert? Wie im Film, im Krimi immer, auf ZDF, man hat sich den Tag über gut benommen um am Abend, am Freitagabend diesen Krimi schauen zu dürfen.
Das war immer toll, und ich weiß noch wie sehr dass für mich Familie bedeutete, mit allen zusammen da zu sitzen und zu gucken, während ich mich schon auf das Wochenende gefreut habe.
- Perfekt ist an dieser Stelle Quatsch, das ist längst abgeschlossen und hat keinen Bezug mehr zu heute, Präteritum wäre hier mehr als passend -
Gut, also während ich mich schon aufs Wochenende freute. Verdammt, ich halte diese Scheiße in meinem Kopf nicht mehr aus, es macht mich verrückt, wo wollte ich eigentlich hin? Keinen Bezug mehr zu heute. Dann ist diese Zeit also vorbei, tot, aber das stimmt ja doch nicht! Denn ich erinnere mich jetzt dran, also hat es auch einen Bezug zum Hier und Jetzt.
Aus. Schluss. Alles leer machen.
Ich weiß selbst nicht mehr wo ich hindenke, ich verhaspele mich, grüne Tierchen auf der Fensterbank aus Gummi, ich werde wahnsinnig.
Es ist nicht die Polizei, die mich aufklärt. Ihre Mutter ruft an, denn ihr hat man zuerst Bescheid gesagt.
Ich höre ihr zu und verstehe ja auch ihre Worte, aber viel lieber lausche ich rüber zum Türschloss, ich will klick und klack hören.
Ich verstehe ihre Worte, aber ich verstehe sie auch nicht, da stehen noch immer die Teller von gestern auf dem Tisch. Sie hatte es extra gekocht, und es hat nicht besonders geschmeckt. Ich wollte nicht, dass sie traurig wird, aber sie war eh so schlecht drauf in letzter Zeit. Es hatte einfach nicht geschmeckt. Und warum stehen die Teller noch da? Ich muss endlich mal wieder aufräumen, so geht es doch nicht weiter.
„Ja“, sage ich, und mehr ist nicht zu sagen. Ich lege auf. Vielleicht werde ich diese Frau nie wieder sehen, denke ich, weil ich nicht kann oder will. Ich will eigentlich gar nichts, mir fällt mein Glas aus der Hand und zerbricht am Boden, aber es hört sich alles wie mit Watte gedämpft an. Ich setze mich hin, und meine Ohren scheinen irgendwie dicht zu sein, auch voll Watte, aber es drückt meinen Kopf zusammen.
Ich sitze und atme durch den Mund und starre dumm an die Wand. Jetzt ist da nichts außer der Tapete, ich habe auch schon Tapeten an Wände gemacht als ich noch bei einem Malerbetrieb gejobbt hatte, ich will nicht mehr.
Jetzt gucke ich nur noch. Was muss ich morgen machen? Zur Uni?
Was muss ich gleich machen? Schlafen?
Klick klack kommt nicht, es bleibt alles mit Watte ausgefüllt, hohl, die Luft steht.
Meine Gedanken sind frei, wie in dem Lied aus der E-Mail-Werbung, diese Kinderstimme.
Will ich nicht hören. Ich höre mein Blut in den Ohren rauschen.
Ein Ton, immer gleich.
Sie ist tot.
Ich denke das, ich sage es ein paar Mal laut. Und ich denke auch, dass das nicht sein kann.
Ich sitze.
Kann nicht sein.
Dieses Grau in mir, es ist überall.
Grau, ich kann nicht weinen.
Grau, ich kann nicht schreien.
Ich muss kotzen, ich muss scheißen, im mir gärt dieser graue Dreck, diese Wattemasse, diese uralten vergilbten Wolken. Aber ich kann nicht. Ich sitze nur da, könnte auch tot sein.
In diesem Moment bin ich nichts. Ich will nichts. Ich begreife auch nichts.
Der nächste Tag wird ebenso sein.
Irgendwann werde ich die Zahnbürste neben dem Waschbecken sehen, vielleicht wird die blaue Farbe dieser Bürste das Grau etwas durchbrechen. Dann werde ich sie sehen, wie sie da steht, sich die Zähne putzt, das Ding dahinlegt und mich anlächelt. Sie sagt etwas wegen des Abends, auf den sie sich schon freut.
Dann werde ich weinen, und das Grau wird über mir zusammenbrechen wie ein Wasserdamm, ich werde ertränkt werden in dem Grau, es wird mich zerreißen und dann werde ich wieder neu geboren. Mit einer Lücke in meiner Seele, einem kranken Loch, das vielleicht heilen wird, vielleicht nicht.
Ein Loch auch im Raum, in der Luft, in der Zeit. Etwas fehlt, es wird immer fehlen, aber andere Dinge werden dieses Nichts überwuchern und es wird so scheinen als wäre nie etwas gewesen. Aber man wird sich immer erinnern, denn dieses Loch verschwindet nicht. Es bleibt auf ewig und versucht dein verheiltes Loch in dir, in deiner Seele zu packen und mitzureißen.
Aber noch ist es nicht soweit.
Das trübe Grau verwischt meinen Blick, Farben verschwinden, und mein Antrieb auch.
Leere ist der Sinn und der Unsinn, ich sitze hier wie ein Zombie, ich brauche Zeit.
Draußen fährt ein Auto vorbei.
Sie ist es nicht.
Sie wird es nie mehr sein.
Dieser Gedanke wird wachsen. Er wird mich wecken, irgendwann.
Nur Trost gibt es nicht, es hat ihn nie für das Leben gegeben.
Sie ist tot.

NeoInferno
01.07.2005, 14:17
Die Geschichte hört sich beängstigend authentisch an, nein, sie fühlt sich authentisch an. Ich habe während des Lesens wirklich gefühlt, was hinter den Worten steckt, zwischen den Zeilen.

Kritisieren und kommentieren werde ich, wenn Du mir sagst, dass es sich hier nur um eine fiktive Geschichte handelt.

Wohan
01.07.2005, 14:45
Die Geschichte hört sich beängstigend authentisch an, nein, sie fühlt sich authentisch an. Ich habe während des Lesens wirklich gefühlt, was hinter den Worten steckt, zwischen den Zeilen.

Kritisieren und kommentieren werde ich, wenn Du mir sagst, dass es sich hier nur um eine fiktive Geschichte handelt.

Nur gut das ich mit dem Sascha relativ gut in Verbindung stehe und somit mit fast sicherer Sicherheit (löl) sagen kann das es sich um eine mehr oder Weniger Fiktive Geschichte handeln muss, die Angst ..ja die is Tatsache, das merk ich immer wieder ader das dort passierte spielt nur in seinen Kopf eine dohc etwas makabere Rolle. Nein, der Schlüssel klapperte ( klip klap) an diesen Abend und ihr Auto fuhr wohl auch vor , hehe keine Sorge ..sonst hät bei mir imo schon längst das Telefon geklinkelt oder zumindest das MSN ^^

Aber man kann sich echt gut in diese Situation reinversetzen, mitfüllen und leiden ;_;

Lonegunman81
01.07.2005, 19:07
Hui, ich nin schonmal froh dass die Grundaussage des Ganzen, eben dieses Gefühl, das man nicht umschreiben sondern nur darstellen kann durch die Gedanken, rüberkommt.
Denn ganz fiktiv ist es nicht, das Grau habe ich so empfunden, als mein bester Freund vor ein paar Jahren starb.
Die Situation war allerdings noch etwas anders, ich war dabei, hab es miterlebt, also war der Schock vermutlich noch größer als es so der Fall wäre.
Aber ich weiß eben noch wie sich der Verstand immer wieder an Dingen aufgehängt hat, an Details in der Umgebung oder an Erinnerungen. Klares Denken ging garnicht. Das ist wohl eine Art Schutzmechanismus.
Und die Farblosigkeit, die dann kam, die Antriebslosigkeit, die war so stark, so greifbar real, dass ich verstehen kann, warum sich Leute in Folge von so etwas umbringen. Es interessiert dich dann kein Stück, was passiert.
Naja, und diese Erfahrung hab ich dann mit der fiktiven Vorstellung verbunden, dass meiner Freundin etwas zustoßen könnte. Diese Angst beschäftigt mich immer wieder, raubt mir die Luft wenn ich auf sie warte (natürlich nicht immer), und deswegen wollte ich diesen Angstteufel austreiben indem ich es aufschreibe!
Ich hoffe natürlich, ohne jede Frage, dass mir und meiner Freundin ein solches Schicksal erspart bleibt!

toho
01.07.2005, 19:19
Richtig gut.
Du hast es dir gerade verdient von meiner msn-block liste zu kommen :p

NeoInferno
03.07.2005, 16:47
Ich bin sehr beruhigt, dass die Geschichte nur erfunden ist. Aber *sowas* über deine Freundin zu schreiben ist schon starker Tobak. Ich kann mich nur wiederholen: Die Geschichte ist derart unkonventionell geschrieben, so authentisch, als hättest du es gerade erlebt. Beim Lesen dachte ich mir: *Das* ist keine Geschichte, so kann man keine Geschichte erfinden. Oder vielleicht bin ich einfach zu anfällig für sowas.

"Und die Farblosigkeit, die dann kam, die Antriebslosigkeit, die war so stark, so greifbar real"
- Ich weiß genau was du meinst. Es gibt auch andere Wege, Menschen zu verlieren, die einem wichtig sind. Mag ich die Geschichte vielleicht nur so, weil ich sie so gut nachvollziehen, fühlen eben, kann? kA. Mehr Kritiken wären super.

Jedenfalls: Dieses Gefühl, das Grau, wolltest du beschreiben, und das ist dir wunderbar gelungen, mit jedem Wort deiner Geschichte.

Hoffentlich können wir bald mehr Geschichte von dir lesen.

PS: Naja, etwas kritisieren muss ich noch: Der 'zweite' Teil (etwa ab dem ersten 'Sie ist tot') liest sich irgendwie nicht mehr so 'schön', wie der erste. Ist aber nur mein subjektiver Eindruck.

Lonegunman81
19.09.2010, 03:47
Hiho!
Da ich mich mal wieder mehr mit dem Schreiben kleiner Geschichten befassen möchte, buddel ich mal diese alte von mir aus, die mir aus verschiedenen Gründen auch heute noch gefällt. Vielleicht liest sie ja jemand nochmal, ich versuch bald was neues zu bringen.