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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ohne Ausweg



Scarecrow
27.06.2005, 22:16
„Du wirst sterben“, sagt dir eine Stimme.
„Ist wohl gut so“, sagst du.
„Hast du keine Angst?“
„Nein. Wann geht es los?“
„Du solltest aber Angst haben. Ohne macht es keinen Spaß.“
Du identifizierst die Stimme als deinen Entführer. Du erkennst ihn, wie er über dir steht. In seiner Hand hält er ein Seil und er lächelt. Er greift nach hinten und holt ein Messer hervor.
Das Messer glitzert im Licht der Neonlampen. Es ist groß und sieht scharf aus.
Aber du lächelst.
Dir fehlen zwei Zähne.
Dein Peiniger hat ein schwarzes T-Shirt an. Eine schwarze Hose. Er ist glatt rasiert. Trägt Latex-Handschuhe.
Sein rechter Unterarm ist tätowiert. Flammen umzüngeln ihn und dazwischen steht: Rette mich.
„Wer soll dich retten?“, fragst du.
Er sieht zuerst dich, dann seine Tätowierung an. Der Mann lächelt. Zwei Goldzähne blitzen hervor.
„Gott“, sagt er schließlich.
Du antwortest ihm darauf, dass Gott ihn sicher hasst.
„Falsch“, meint der Mann, während er einen Knoten in das Seil macht. „Ich bin Gottes Auserwählter.“
Du lachst.
Er tritt dir ins Gesicht.
Deine Nase bricht und steht in abstraktem Winkel nach rechts. Blut läuft über deine Lippen. Ein metallischer Geschmack breitet sich in deinem Mund aus.
Er tritt dich noch einmal. Du schlägst mit dem Kopf auf den Fließen auf.
Du spuckst einen Zahn aus. Besudelst den Boden mit Blut.
„Lass den Quatsch“, sagst du, aber es hört sich seltsam an, weil die Luft nun durch drei Zahnlücken pfeift.
Dein Peiniger befestigt das Seil an einer Winde. Seil mit Schlinge.
Im Licht der Neonlampen sieht er tatsächlich aus wie ein Heiliger.
Vielleicht auch nur, weil du am Boden liegst und ihn verkehrt herum betrachtest.
Du denkst, dass du weißt, was nun passiert, aber das Gegenteil tritt ein.
Der Mann steigt selbst auf den Schemel, zieht die Schlinge um seinen Hals und nickt dir zu.
„Mach’s gut“, sagt er und kickt den kleinen Stuhl weg.
Er hat Pech. Sein Genick bricht nicht, als sich das Seil zusammenzieht.
Der Mann sieht dich an. Mit großen Augen. Sein Gesicht wird rot, seine Zunge hängt aus dem Mund. Die Beine beginnen auszuschlagen und sein Körper zu zittern.
Seine Hände versuchen sich unter den Strick zu schieben, er schafft es nicht, beißt sich in Krämpfen seine Zunge durch.
Die Augen beginnen langsam aus den Höhlen zu quellen. Er versucht sein Messer zu erreichen, das er wieder eingesteckt hat.
Du stehst auf und reißt es ihm aus der Hand.
Blut kommt über seine Lippen, er blubbert. Der abgebissene Teil der Zunge windet sich auf den Fließen. Seine Füße scheinen einen One-Step zu tanzen. Die Äderchen in seinen Augen platzen, färben sie rot.
Du lachst, während es langsam zu Ende geht.
Der Mann zuckt nur mehr leicht. Einmal der rechte Arm, das linke Bein.
Dann ist Ruhe.
Er hängt schlaff da.
Nur die Zunge bewegt sich komischerweise noch auf dem Boden.
Du findest das witzig und steigst drauf. Ein quatschendes Geräusch.
Du lachst.
Und du stehst in diesem verdammten Raum. Als du dich umsiehst, bemerkst du, dass dieser keinen Ausgang hat. Du bist diese Mätzchen leid.
Du hast ein Messer.
Was wirst du tun?

Pyrus
27.06.2005, 22:40
Da muss ich doch reinschreiben, bevor es gelöscht wird.

Scarecrow ist mit seinen perversen, abgründigen, ekelerregenden, auswegslosen Geschichten zurück! \o/

Finde ich sehr erfrischend zu lesen, auch wenn man sagen könnte, es sei nur wieder eine doofe Entführungsgeschichte. Das ist es eben gerade nicht. Es ist alles absurd und irre komisch und doch irgendwie beklemmend.
Eine Geschichte in der zweiten Person zu schreiben ist interessant. Besonders in dieser Situation. Wie kann man zu einem Menschen sprechen, der wahrscheinlich nie wieder andere Menschen treffen wird?

Hm, mir fällt gerade noch auf, dass man sich mit einem Messer ja auch umbringen könnte. Ich dachte erst dass er/sie versuchen wird sich mit dem Messer rauszubuddeln.

toho
27.06.2005, 23:01
Ich dachte daran, das er sich ausbuddelt undd ann wie der entführer wird, da er selber ja auch ne leicht sadistische veranlagung zu haben scheint ^o^
najo, nette geschichte.

NeoInferno
27.06.2005, 23:52
Mal eine *völlig* andere und sehr interessante Geschichte. Absurd, komisch, jupp. Tiefsinnig, vielleicht. Aber allemal sehr unterhaltsam. Schön :)

Liferipper
28.06.2005, 09:24
Hmm, zweite Person, und ein "Was wirst du tun?" am Ende. In letzter Zeit zu viele Spielbücher gelesen?
Ansonsten würde mich interessieren, warum der Kerl jemand entführt, direkt bevor er Selbstmord begeht.

Mopry
28.06.2005, 16:22
Darf ich dich, Scarecrow, einmal auf den kleinen Leitfaden (http://www.multimediaxis.de/showthread.php?t=43385) und den darin enthaltenden Part über Gewaltdarstellung aufmerksam machen?
Du kratzt da grade an einer Grenze.

Zur Geschichte selber muss ich sagen das sie eigentlich recht schön geschrieben ist. Zwar hat sie einen imo widerlichen Inhalt, aber ansonsten ist sie recht gut.
Wenn du dich jetzt noch mal auf eine bunte Blumenwiese setzen würdest und dich inspirieren liessest, wäre es noch besser.
Etwas Fröhlichkeit würde dir mit Sicherheit nicht fehlen.

[edit]
Wie komm ich auf snowsorrow? ?_?
Danke Vinnie.

Scarecrow
28.06.2005, 18:02
Hallo Zareen, es, NeoInferno, Liferipper und Mopry

Euch allen mal ein Dank für's lesen.

@Liferipper
Nein, keine Spielbücher, mal was anderes eben. Der Grund für ein solches Unterfangen, psychopathisch. Der Raum hat keinen Ausgang, der dem Entführten offen wäre, somit würde der sadistische Entführer seinem Opfer Hoffnung geben, indem er sich selbst tötet. Aber es findet dann ja heraus, dass es keinen Ausgang gibt. Pech gehabt.

@Mopry
Scarecrow, bitte. Gewalt: ich finde doch nicht, dass hier ein Übermaß an Gewalt herrscht, aber ok :rolleyes:
Blumenwiesen helfen nix. Aber ich werd einfach mal softie sachen posten.

Grüße

Vincent D. Vanderol
28.06.2005, 18:08
As Mopry said, hart an der Grenze...härter als hart. Solltest du mit dem Gedanken spielen, mehrere Geschichten mit ähnlich heftigem Inhalt hier präsentieren zu wollen, so rate ich dir davon ab.

Ansonsten schick geschrieben, abgesehen vom Inhalt. Du bist wirklich in der Lage beim Schreiben Emotionen hervorzurufen o_O Du hast es eben drauf, auch ohne solche Exzesse ^_-


Aber nun nochmal so ein paar Doofi-Fragen von mir. Warum eigentlich wurde die Person von dem Entführer entführt? Und wenn der Raum keine Türen hat, wie sind die beiden da reingekommen? :p Was war deine Intention beim Schreiben?

Und als was charakterisierst du diese Geschichte? Für ne Kurzgeschichte scheint mir das ganze etwas zu episodenhaft, eine Parabel vielleicht? Es wirkt für mich alles ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen, was als Resultat den Inhalt so heikel erscheinen läßt o_O

Naja, meine Meinung als Laie halt...aber schau auf jeden Fall nochmal in den Leitfaden ^_-

Lonegunman81
28.06.2005, 18:39
Wow, und da wurde ich mal dumm angemacht wegen gewisser Fäkalepisoden... egal!
Mir gefällts, und es hat seine Wirkung ja erreicht, die Leute fühlen sich zum Teil vor den Kopf gestoßen! Sowas liest man eben nicht jeden Tag, und großer Pluspunkt ist, dass die grausamen Beschreibungen eigentlich die Geschichte formen, ohne sie hätte diese Geschichte eben nicht die gleiche Aussage.
Was mir weniger gefällt ist der ruppig kurze Rahmen, ich weiß zu wenig, viel zu wenig über den, dessen Entscheidungen ich da nachempfinden soll. Ein winziges bißchen mehr Beschreibung des wer wo warum hätte vielleicht nicht geschadet, so ist es zu trocken, fast wie Knäckebrot, die Leute aus der GEschichte verpuffen nach dem Ende zu Staub und die Sache ist vergessen, trotz aller Schockeffekte. Schade!

King Kane
28.06.2005, 21:09
Schön,
sehr Alternative irgendwie ^^

Sydney
28.06.2005, 21:20
Schöne Geschichte. Eine der wenigen, die hier veröffentlicht worden sind und mir gefallen.

Scarecrow
29.06.2005, 20:58
Hallo Vincent, King Kane und Sydney!

Danke fürs lesen und euren Kommentar!

@ Vincent

Warum eigentlich wurde die Person von dem Entführer entführt? Und wenn der Raum keine Türen hat, wie sind die beiden da reingekommen?Was war deine Intention beim Schreiben? Mein Ziel war es, einen wirren Kontext zu schaffen in dem eigentlich einiges verkehrt ist. Einen Ausweg gibt es, aber für den Gefangenen nicht ersichtlich.