schreiberling
03.04.2005, 21:18
achso,vielleicht ein paar Worte im voraus:
Ich hab mal etwas, für mich, ganz Neues ausprobiert, man mag es Experiment nennen. Bin selber nicht richtig zufrieden damit, legs euch trotzdem mal vor.
Der Traum
„... und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“, der müde Mann schlägt mit einem lauten Klatsch das braune, alte Buch zu, er will sich selber aufwecken. Schafft es aber nicht, seine Augen fallen gleich zu, dicke Ringe zehren an ihnen, zeugen von vielen schlaflosen Nächte. Er reibt sich die Augen, hält eine Hand vor den Mund, er gähnt.
„Schlaf schön, Schätzchen.“ Er nimmt den Teddy...
„Schlaf schön, Papa.“ ...und gibt ihn seiner Tochter.
„Kuss!“ Seine Tochter setzt sich im Bett auf und küsst ihn brav -töchterlich auf die stoppelige Wange. Der übermüdete Papa freut sich und weiß das es sich lohnt seiner Kleinen, wie er sie nennt, jeden Abend eine Geschichte vorzulesen. Dann lächelt der Papa zart zurück und streicht seiner Tochter nun todmüde über die blonden Locken. Sie lässt sich zufrieden ins Kissen zurückfallen. Die Locken wallen, fluten, ergießen sich über den Überzug. „Engelslocken“, sinniert er, dann lauter an seine Tochter gerichtet: „Gute Nacht!“ Was ihn dazu anspornen soll sich nun endlich zu erheben.
Schwerfällig stemmt er sich vom Bett, müde ist er von der Arbeit, wie jeden Abend, trotzdem liest er, wie jeden Abend, seinem geliebten Kind vor. Egal wie müde er ist, vorgelesen wird immer, dann schläft sie gut ein, dass weiß er und deswegen macht er es gerne.
Das Bett knarrt und seufzt wohlig auf, nach dem es so erleichtert wurde, es rückt sich selbst zurecht.
Dieses Gefühl, wenn der Papa aufsteht nach einem Märchen aus dem braunen, alten Buch, er sich mit letzter Kraft erhebt und das Bett sich stöhnend wieder den Platz einverleibt, den es vorher gezwungenermaßen an den Papa abgeben musste, diese Gefühl, liebt die blondgelockte Siebenjährige. Dann kann sie sich beruhigt in ihrem mollig warmen Bett umdrehen, zur rosa gestrichenen Wand, die der Papa extra auf ihren Wunsch hin rosa gestrichen hat. Sie weiß: Alles ist in Ordnung. Hexen, Kobolde und Monster können ihr nichts mehr anhaben. Sie streckt den schwarzen Raubrittern, die gerade noch im Märchen die holde Jungfrau entführten, einfach ihre schmalen Schultern hin und widmet sich dem guten Prinzen und der schönen Prinzessin (im rosa Kleid versteht sich).
Ihre schmale Schultern mit den kleinen flügelartigen Schulterblättern, die man so schön sieht, wenn sie ihren rosa Ballettanzug mit Rüschen und die weißen, süßen Schühchen stolz trägt.
Wenn die Mama und der Papa am Rand stehen, eigentlich um sie abzuholen, aber doch immer ein paar Minuten früher kommen um sie tanzen zu sehen. Und dann eine andere Mutter, die eines unförmigen Moppels, sich zu ihnen hinüberbeugt und neidisch, fast verlegen, den Tränen nahe, ihnen hinüberhaucht: „Ihre Tochter- wie ein Engel.“ Dann, dann strahlen beide, Mama und Papa, gerührt und stolz wie das Mamas und Papas tun, und Mama denkt: „Meine Große ist das“ ,und Papa denkt: „Meine Kleine ist das.“ Fast fliegt sie mit ihren kleinen, flügelartigen Schulterblättern davon, wie ein Engel.
Das weiche Kissen auf der Wange, die Stupsnase darin vergraben und natürlich den Teddy im Arm schläft sie sicher in ihren Decken ein, die die Mama heute extra für sie frisch überzogen hat. Denn sie liebt den Geruch von frischem Bettzeug, das riecht noch so leicht süßlich nach Waschmittel. Waschmittel, das sie selber am Wochenende in den Einkaufkorb gestellt hat, weil es ganz unten im Regal steht und der Papa sich doch schlecht Bücken kann vom vielen Arbeiten.
Mit ihren kleinen flügelartigen Schulterblättern fliegt sie jetzt davon, durch die flauschig wallenden Wollewolken hindurch ins Reich der Träume, wie die Mama immer sagt wenn sie kurz vor dem Zubettgehen noch mal ins Zimmer schaut.
Ein Chamäleon schreitet majestätisch durch den Gang, na ja vielleicht nicht unbedingt Schreiten, wohl dann doch eher Staksen, und das ganz langsam. Es stakst also, ganz langsam, durch einen Gang, der sonnig gelb gestrichen ist. Und ganz oben, da wo sie mit den Händen kaum mehr hinreichen kann, da hängen Bilder. Das Chamäleon sieht die Bilder auch, es ist gelb. Gelb, weil es die Farbe von den Pflanzen um sich herum annimmt, dass hat die Mama von der Tafel vorgelesen, der neben dem gläsernen Schaukasten im Zoo hängt. Obwohl ja die Wand keine Pflanze ist, wie doof. Aber es hat trotzdem die Farbe der Umgebung angenommen. Das kann auch nicht aus seiner Haut raus, das Chamäleon. Es stakst so über den weichen Teppich im Gang, auf dem man sogar ohne Socken laufen kann ohne kalte Füße zu bekommen.
Die Augen drehen sich, drehen sich, drehen sich und bleiben schließlich bei dem Bild stehen. Das Bild welches da oben hängt, wo sie nicht mehr hinreichen kann, das Bild, ist eine Fotografie. Und das Chamäleon kann sehen was auf dem Bild ist, und sie kann es auch, wenn sie hinter das Chamäleon krabbelt, sich lang streckt und hinaufschaut.
Mama und Papa haben sich gern, sie haben sich im Arm. Und der Papa hat eine lustige Frisur, lange Haare, gar nicht wie der Papa. Und die Mama lacht. Sie hat ganz rote Lippen, so wie sie es heute nie hat. Aber es sieht gut aus, wie eine schöne junge Frau, die Mama. Gar nicht nach Mama sieht die Mama aus. Rote Lippen und große Ohrringe, die Augen, ganz blau angemalt, und die Mama sagt immer dazu wäre sie noch viel zu jung. Der Papa lächelt auch, aber nicht so wie die Mama, weil er schlechte Zähne hat. Dass sieht sie immer beim Vorlesen, da würde sie auch nicht so groß lachen. Trotzdem ein komisches Bild, obwohl alle lachen. Die Mama sieht nicht aus wie die Mama und der Papa, der sieht gar nicht aus wie der Papa.
Das Chamäleon stapft weiter, aber nur ganz langsam und gemächlich, wie das Chamäleons eben tun. Die haben ja Zeit, und die vergeht auch. So wie im Zoo eben, so krabselt es über den weichen Teppich.
Warum wird es denn nun weiß? Der Teppich ist doch blau, und die Wand, die ist sogar orange gestrichen. Sie schaut sich um, na komisch, die passen sich doch an ihre Umgebung an, hat die Mama auf der Tafel im Zoo doch vorgelesen. Es dreht die Augen, und dreht, und dreht. Da oben hängt wieder ein Bild.
Das Chamäleon ist weiß, weil ihm das Kleid der Mama so gefällt. Das ist einleuchtend. Es ist auch wirklich ein sehr schönes Kleid. Weiß mit Schleier und Rüschen. Fast solche Rüschen wir ihr Ballettkleidchen. Aber noch viel, viel schöner, ein Brautkleid eben. Und die Mama lacht, wieder laut, laut und groß. Und der Papa beißt die Zähne zusammen und grinst im schwarzen Anzug. Sieht auch nicht nach Papa aus, so im Anzug, so vornehm wie die großen Leute. Zusammengepresster Mund und lachende Augen, dass ist Papa. Sieht auch nicht nach Mama aus im weißen Brautkleid, aber schön. Hochzeit. Mama und Papa haben geheiratet. Davon hat der Papa schon erzählt, aber auch nur weil sie ihn danach gefragt hat. Danach hat er trotzdem ein Märchen vorgelesen, damit sie besser einschlafen kann. Der Papa kneift nicht nur den Mund sondern auch die Augen zusammen, wahrscheinlich hat ihn das Blitzlicht geblendet, der Papa eben. Frisch rasiert ist er trotzdem, ganz ungewohnt, nackt sieht er aus, der Papa. Jetzt hat er immer einen Bart, oder mindestens Stoppeln.
Die Augen des Chamäleons drehen sich wieder und es bricht erneut auf. Hat es überhaupt angehalten? Nein es hat mehr im Verübergehen das Foto betrachtet, das Bild da oben.
Toll, jetzt färbt es sich sogar rot. Rot wie die Wand, die ist nämlich nicht mehr orange, oder gar gelb, die ist jetzt rot, rot wie das Chamäleon. Oder das Chamäleon rot wie die Wand, eher so herum.
Mama und Papa. Mama und Papa mit Baby im Arm. Das bin ja ich, denkt sie. Das bin ja ich. Ganz schöner Brocken, und sie muss grinsen, dass soll Mal ich gewesen sein? Mama guckt das Baby an, Papa hält die Mama fest im Arm. Schaut nicht in die Kamera. Komisch. Mama strahlt. Papas Augen lachen, lachen, lachen aber müde. Klar, musste wahrscheinlich Arbeiten, oder kam von der Arbeit heim bei dem Foto. So ist der Papa und die Mama strahlt. Das tun Schwangere und Mütter doch, strahlen, freuen, lieben, leben, Kinderwagen schieben. Schönes Bild, der Papa, die Mama und sie.
Schnell hinterher, das Chamäleon ist schon weit voraus. Es läuft gerade am nächsten Bild schon vorbei. Wie schnell so ein Chamäleon sein kann, und dabei sehen sie so aus als ob sie sich nie von der Stelle bewegen würden. Die Augen drehen sich gar nicht, es fixiert das Bild da oben.
Sie und der Papa. Sie im Bett, der Papa auf der Bettkante sitzend und Märchen mit seiner tiefen Papastimme erzählend. Schön, so wie immer, wie jeden Abend. Der Papa ist müde, gähnt, und hält sich die Hand vor den Mund. Aber doof ist der Papa auf dem Bild, der will gar nicht fotografiert werden, der streckt die Hand in die Kamera. Doof. Sie weiß trotzdem, dass er ganz lieb vorgelesen hat.
Das Chamäleon ist angekommen, angekommen in seiner Heimat, es bleibt stehen. Stakst und tapst nicht weiter. Ist ja auch gut so, ist ja das Chamäleon und das ist zuhause. Es glaubt wahrscheinlich es wäre im Zoo. Grün ist die Wand und grün ist das Chamäleon.
Das Foto kann man gut sehen, auch wenn es so weit oben ist.
Die Mama und sie, vor dem Glaskasten mit dem Chamäleon drin. Das war letzten Sonntag. Der Papa ist nicht auf dem Foto, der wollte nicht drauf. Der hat es aber geknipst, obwohl er nicht wollte. Der war da den ganzen Tag müde, und wollte eigentlich gar nicht in den Zoo, ist aber trotzdem mitgegangen, der Mama und vor allem ihr zuliebe. Lieb ist der Papa.
Jetzt muss sie ohne das Chamäleon gehen, ganz allein. Ganz allein. Sie stapft über den blauen Teppichfußboden, auf dem man sogar ohne Socken gehen kann ohne dass man kalte Füße bekommt. Das nächste Bild ist schon ganz nah, aber im Gegensatz zu den anderen hängt es nicht da oben, sondern steht gegen die Wand gelehnt auf dem Teppich.
Es hängt noch gar nicht. ••••••••rei, würde der Papa sagen wenn er das sehen würde, und es aufhängen.
Mama und Papa stehen in der Küche, sie sehen beide nicht aus wie sonst. Mama sieht nicht glücklich aus. Papa sieht nicht müde aus. Beide gestikulieren wild, fuchteln mit den Händen durch die Luft als ob sie einander erschlagen wollten. Mama weint sogar. Das sieht man wenn man näher ans Bild rangehen kann, und dass kann man, weil es ja auf den Boden gegen die Wand gelehnt steht. Mama weint. Die Lachfalten von Papa, die um die Augen herum sind verkrampft, verkrampft böse.
Papa hat den Mund weit offen. Papa hat den Mund weit offen? Er hat doch schlechte Zähne, das macht er nie. Sie steht mit dem Rücken zur Kamera. Dazwischen.
Schnell weiter zum nächsten Bild. Das steht schon wieder auf dem Boden. Die müssen mal aufgehängt werden.
Papa ist auf dem nächsten Foto. Sie schaut voraus. Auf dem letzten Foto.
Er ist allein auf dem Foto, er schaut direkt in die Kamera. Irgendwie sieht er nicht nach Papa aus. Es sieht nicht mehr nach Papa aus. Anders sieht er aus.
Seine Augen lachen. Sein Mund lacht, groß und laut.
„...und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...“
Ich hab mal etwas, für mich, ganz Neues ausprobiert, man mag es Experiment nennen. Bin selber nicht richtig zufrieden damit, legs euch trotzdem mal vor.
Der Traum
„... und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“, der müde Mann schlägt mit einem lauten Klatsch das braune, alte Buch zu, er will sich selber aufwecken. Schafft es aber nicht, seine Augen fallen gleich zu, dicke Ringe zehren an ihnen, zeugen von vielen schlaflosen Nächte. Er reibt sich die Augen, hält eine Hand vor den Mund, er gähnt.
„Schlaf schön, Schätzchen.“ Er nimmt den Teddy...
„Schlaf schön, Papa.“ ...und gibt ihn seiner Tochter.
„Kuss!“ Seine Tochter setzt sich im Bett auf und küsst ihn brav -töchterlich auf die stoppelige Wange. Der übermüdete Papa freut sich und weiß das es sich lohnt seiner Kleinen, wie er sie nennt, jeden Abend eine Geschichte vorzulesen. Dann lächelt der Papa zart zurück und streicht seiner Tochter nun todmüde über die blonden Locken. Sie lässt sich zufrieden ins Kissen zurückfallen. Die Locken wallen, fluten, ergießen sich über den Überzug. „Engelslocken“, sinniert er, dann lauter an seine Tochter gerichtet: „Gute Nacht!“ Was ihn dazu anspornen soll sich nun endlich zu erheben.
Schwerfällig stemmt er sich vom Bett, müde ist er von der Arbeit, wie jeden Abend, trotzdem liest er, wie jeden Abend, seinem geliebten Kind vor. Egal wie müde er ist, vorgelesen wird immer, dann schläft sie gut ein, dass weiß er und deswegen macht er es gerne.
Das Bett knarrt und seufzt wohlig auf, nach dem es so erleichtert wurde, es rückt sich selbst zurecht.
Dieses Gefühl, wenn der Papa aufsteht nach einem Märchen aus dem braunen, alten Buch, er sich mit letzter Kraft erhebt und das Bett sich stöhnend wieder den Platz einverleibt, den es vorher gezwungenermaßen an den Papa abgeben musste, diese Gefühl, liebt die blondgelockte Siebenjährige. Dann kann sie sich beruhigt in ihrem mollig warmen Bett umdrehen, zur rosa gestrichenen Wand, die der Papa extra auf ihren Wunsch hin rosa gestrichen hat. Sie weiß: Alles ist in Ordnung. Hexen, Kobolde und Monster können ihr nichts mehr anhaben. Sie streckt den schwarzen Raubrittern, die gerade noch im Märchen die holde Jungfrau entführten, einfach ihre schmalen Schultern hin und widmet sich dem guten Prinzen und der schönen Prinzessin (im rosa Kleid versteht sich).
Ihre schmale Schultern mit den kleinen flügelartigen Schulterblättern, die man so schön sieht, wenn sie ihren rosa Ballettanzug mit Rüschen und die weißen, süßen Schühchen stolz trägt.
Wenn die Mama und der Papa am Rand stehen, eigentlich um sie abzuholen, aber doch immer ein paar Minuten früher kommen um sie tanzen zu sehen. Und dann eine andere Mutter, die eines unförmigen Moppels, sich zu ihnen hinüberbeugt und neidisch, fast verlegen, den Tränen nahe, ihnen hinüberhaucht: „Ihre Tochter- wie ein Engel.“ Dann, dann strahlen beide, Mama und Papa, gerührt und stolz wie das Mamas und Papas tun, und Mama denkt: „Meine Große ist das“ ,und Papa denkt: „Meine Kleine ist das.“ Fast fliegt sie mit ihren kleinen, flügelartigen Schulterblättern davon, wie ein Engel.
Das weiche Kissen auf der Wange, die Stupsnase darin vergraben und natürlich den Teddy im Arm schläft sie sicher in ihren Decken ein, die die Mama heute extra für sie frisch überzogen hat. Denn sie liebt den Geruch von frischem Bettzeug, das riecht noch so leicht süßlich nach Waschmittel. Waschmittel, das sie selber am Wochenende in den Einkaufkorb gestellt hat, weil es ganz unten im Regal steht und der Papa sich doch schlecht Bücken kann vom vielen Arbeiten.
Mit ihren kleinen flügelartigen Schulterblättern fliegt sie jetzt davon, durch die flauschig wallenden Wollewolken hindurch ins Reich der Träume, wie die Mama immer sagt wenn sie kurz vor dem Zubettgehen noch mal ins Zimmer schaut.
Ein Chamäleon schreitet majestätisch durch den Gang, na ja vielleicht nicht unbedingt Schreiten, wohl dann doch eher Staksen, und das ganz langsam. Es stakst also, ganz langsam, durch einen Gang, der sonnig gelb gestrichen ist. Und ganz oben, da wo sie mit den Händen kaum mehr hinreichen kann, da hängen Bilder. Das Chamäleon sieht die Bilder auch, es ist gelb. Gelb, weil es die Farbe von den Pflanzen um sich herum annimmt, dass hat die Mama von der Tafel vorgelesen, der neben dem gläsernen Schaukasten im Zoo hängt. Obwohl ja die Wand keine Pflanze ist, wie doof. Aber es hat trotzdem die Farbe der Umgebung angenommen. Das kann auch nicht aus seiner Haut raus, das Chamäleon. Es stakst so über den weichen Teppich im Gang, auf dem man sogar ohne Socken laufen kann ohne kalte Füße zu bekommen.
Die Augen drehen sich, drehen sich, drehen sich und bleiben schließlich bei dem Bild stehen. Das Bild welches da oben hängt, wo sie nicht mehr hinreichen kann, das Bild, ist eine Fotografie. Und das Chamäleon kann sehen was auf dem Bild ist, und sie kann es auch, wenn sie hinter das Chamäleon krabbelt, sich lang streckt und hinaufschaut.
Mama und Papa haben sich gern, sie haben sich im Arm. Und der Papa hat eine lustige Frisur, lange Haare, gar nicht wie der Papa. Und die Mama lacht. Sie hat ganz rote Lippen, so wie sie es heute nie hat. Aber es sieht gut aus, wie eine schöne junge Frau, die Mama. Gar nicht nach Mama sieht die Mama aus. Rote Lippen und große Ohrringe, die Augen, ganz blau angemalt, und die Mama sagt immer dazu wäre sie noch viel zu jung. Der Papa lächelt auch, aber nicht so wie die Mama, weil er schlechte Zähne hat. Dass sieht sie immer beim Vorlesen, da würde sie auch nicht so groß lachen. Trotzdem ein komisches Bild, obwohl alle lachen. Die Mama sieht nicht aus wie die Mama und der Papa, der sieht gar nicht aus wie der Papa.
Das Chamäleon stapft weiter, aber nur ganz langsam und gemächlich, wie das Chamäleons eben tun. Die haben ja Zeit, und die vergeht auch. So wie im Zoo eben, so krabselt es über den weichen Teppich.
Warum wird es denn nun weiß? Der Teppich ist doch blau, und die Wand, die ist sogar orange gestrichen. Sie schaut sich um, na komisch, die passen sich doch an ihre Umgebung an, hat die Mama auf der Tafel im Zoo doch vorgelesen. Es dreht die Augen, und dreht, und dreht. Da oben hängt wieder ein Bild.
Das Chamäleon ist weiß, weil ihm das Kleid der Mama so gefällt. Das ist einleuchtend. Es ist auch wirklich ein sehr schönes Kleid. Weiß mit Schleier und Rüschen. Fast solche Rüschen wir ihr Ballettkleidchen. Aber noch viel, viel schöner, ein Brautkleid eben. Und die Mama lacht, wieder laut, laut und groß. Und der Papa beißt die Zähne zusammen und grinst im schwarzen Anzug. Sieht auch nicht nach Papa aus, so im Anzug, so vornehm wie die großen Leute. Zusammengepresster Mund und lachende Augen, dass ist Papa. Sieht auch nicht nach Mama aus im weißen Brautkleid, aber schön. Hochzeit. Mama und Papa haben geheiratet. Davon hat der Papa schon erzählt, aber auch nur weil sie ihn danach gefragt hat. Danach hat er trotzdem ein Märchen vorgelesen, damit sie besser einschlafen kann. Der Papa kneift nicht nur den Mund sondern auch die Augen zusammen, wahrscheinlich hat ihn das Blitzlicht geblendet, der Papa eben. Frisch rasiert ist er trotzdem, ganz ungewohnt, nackt sieht er aus, der Papa. Jetzt hat er immer einen Bart, oder mindestens Stoppeln.
Die Augen des Chamäleons drehen sich wieder und es bricht erneut auf. Hat es überhaupt angehalten? Nein es hat mehr im Verübergehen das Foto betrachtet, das Bild da oben.
Toll, jetzt färbt es sich sogar rot. Rot wie die Wand, die ist nämlich nicht mehr orange, oder gar gelb, die ist jetzt rot, rot wie das Chamäleon. Oder das Chamäleon rot wie die Wand, eher so herum.
Mama und Papa. Mama und Papa mit Baby im Arm. Das bin ja ich, denkt sie. Das bin ja ich. Ganz schöner Brocken, und sie muss grinsen, dass soll Mal ich gewesen sein? Mama guckt das Baby an, Papa hält die Mama fest im Arm. Schaut nicht in die Kamera. Komisch. Mama strahlt. Papas Augen lachen, lachen, lachen aber müde. Klar, musste wahrscheinlich Arbeiten, oder kam von der Arbeit heim bei dem Foto. So ist der Papa und die Mama strahlt. Das tun Schwangere und Mütter doch, strahlen, freuen, lieben, leben, Kinderwagen schieben. Schönes Bild, der Papa, die Mama und sie.
Schnell hinterher, das Chamäleon ist schon weit voraus. Es läuft gerade am nächsten Bild schon vorbei. Wie schnell so ein Chamäleon sein kann, und dabei sehen sie so aus als ob sie sich nie von der Stelle bewegen würden. Die Augen drehen sich gar nicht, es fixiert das Bild da oben.
Sie und der Papa. Sie im Bett, der Papa auf der Bettkante sitzend und Märchen mit seiner tiefen Papastimme erzählend. Schön, so wie immer, wie jeden Abend. Der Papa ist müde, gähnt, und hält sich die Hand vor den Mund. Aber doof ist der Papa auf dem Bild, der will gar nicht fotografiert werden, der streckt die Hand in die Kamera. Doof. Sie weiß trotzdem, dass er ganz lieb vorgelesen hat.
Das Chamäleon ist angekommen, angekommen in seiner Heimat, es bleibt stehen. Stakst und tapst nicht weiter. Ist ja auch gut so, ist ja das Chamäleon und das ist zuhause. Es glaubt wahrscheinlich es wäre im Zoo. Grün ist die Wand und grün ist das Chamäleon.
Das Foto kann man gut sehen, auch wenn es so weit oben ist.
Die Mama und sie, vor dem Glaskasten mit dem Chamäleon drin. Das war letzten Sonntag. Der Papa ist nicht auf dem Foto, der wollte nicht drauf. Der hat es aber geknipst, obwohl er nicht wollte. Der war da den ganzen Tag müde, und wollte eigentlich gar nicht in den Zoo, ist aber trotzdem mitgegangen, der Mama und vor allem ihr zuliebe. Lieb ist der Papa.
Jetzt muss sie ohne das Chamäleon gehen, ganz allein. Ganz allein. Sie stapft über den blauen Teppichfußboden, auf dem man sogar ohne Socken gehen kann ohne dass man kalte Füße bekommt. Das nächste Bild ist schon ganz nah, aber im Gegensatz zu den anderen hängt es nicht da oben, sondern steht gegen die Wand gelehnt auf dem Teppich.
Es hängt noch gar nicht. ••••••••rei, würde der Papa sagen wenn er das sehen würde, und es aufhängen.
Mama und Papa stehen in der Küche, sie sehen beide nicht aus wie sonst. Mama sieht nicht glücklich aus. Papa sieht nicht müde aus. Beide gestikulieren wild, fuchteln mit den Händen durch die Luft als ob sie einander erschlagen wollten. Mama weint sogar. Das sieht man wenn man näher ans Bild rangehen kann, und dass kann man, weil es ja auf den Boden gegen die Wand gelehnt steht. Mama weint. Die Lachfalten von Papa, die um die Augen herum sind verkrampft, verkrampft böse.
Papa hat den Mund weit offen. Papa hat den Mund weit offen? Er hat doch schlechte Zähne, das macht er nie. Sie steht mit dem Rücken zur Kamera. Dazwischen.
Schnell weiter zum nächsten Bild. Das steht schon wieder auf dem Boden. Die müssen mal aufgehängt werden.
Papa ist auf dem nächsten Foto. Sie schaut voraus. Auf dem letzten Foto.
Er ist allein auf dem Foto, er schaut direkt in die Kamera. Irgendwie sieht er nicht nach Papa aus. Es sieht nicht mehr nach Papa aus. Anders sieht er aus.
Seine Augen lachen. Sein Mund lacht, groß und laut.
„...und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...“