schreiberling
17.03.2005, 21:06
Der Geburtstagskuchen
Ein Schrei
Markerschütternd.
Hilfesuchend.
Ängstlich.
Der Würfelzucker, den ich gerade im Begriff war sanft in meine randvolle Kaffeetasse zerschmelzen zu lassen, entgleitet meinen schreckhaften Fingern und klatscht laut hinein. Kaffe spritzt auf. Mein neuer, weißer, reiner Kittel ist nun braun gefleckt. Gerade wegen solcher braungefleckter Arbeitskleidung habe ich mich beim Musterungsarzt für psychisch labil ausgegeben.
Ein Blick in die Runde. Zum Glück hat es keiner gemerkt. Sonst wäre wohl die schrill gackernde Horde über mich hergefallen. Alle sind viel zu viel mit Kuchenmampfen, Kaffeetrinken und Lästereien beschäftigt. Wirklich Glück gehabt. Aber anscheinend hat auch außer mir keiner den Schrei gehört. Merkwürdig. Eigentlich müssten die anderen ihn auch gehört haben, laut und fordernd genug war er.
Betrübt über die braunen Flecken (hoffentlich kommen nicht noch Grüne hinzu) auf meinem schönen Kittel, rühre ich den gut gesüßten Kaffee um.
Ein Schrei
Hilflos.
Brüchig.
Der Löffel fällt mir aus den zitternden Händen. Heiß schwappt mir die braune Brühe über meine weiße Hose. Mit einem schnellen Stuhlrücken versuche ich noch zu entkommen...
Zu spät. Alles voll.
„Du musst keine Angst haben.“ - Die Polin, mit ihrem liebevoll schweren Akzent lächelt mich gutmütig an. Wenn ein R in dem Satz gewesen wäre hätte ich lachen müssen, das rollt sie immer so schön. Vorsichtig lächle ich zurück. Sie nickt freundlich, verständnisvoll.
Ich wusste nicht worauf ich mich da einlasse, als ich mich entschied meinen Zivildienst im Altersheim, auf der Dementsstation, abzuleisten.
Die Pause ist längst vorbei, die gackernde Runde isst immer noch Kuchen. Jemand muss Geburtstag gehabt haben. Stimmt, Frau Berger ist 90 geworden, ihre Tochter schickte Kuchen.
Warum steht niemand auf? Warum schaut niemand nach ob alles in Ordnung ist? Soll ich einfach? Irgendetwas muss passiert sein. So einfach schreit doch keiner, oder doch? Ich stehe auf. Die Polin blickt mich vielsagend an, vielsagend und erwartungsvoll, erwartungsfroh. Sie lächelt wieder, diesmal schmerzlich vielsagend.
Der dritte Schrei schreckt mich nicht mehr wie die beiden davor, er ist kraftlos und durch Alter und Aufgabe gekennzeichnet, klagend. Nur die Beine zittern etwas.
Den Gang entlang in den Aufenthaltsraum.
Frau Berger sitzt allein im Zimmer, am Fenster, mit dem Rücken zur Tür, in dem alten Ohrensessel. Eine Spende. Ich trete leise ein, keine Ahnung was die da macht, und schaue um die Ohren des Sessel. Sie sitzt da, die knochigen Handgelenke auf den abgewetzten Armlehnen. Lederriemen binden das letzte Blut aus den weißen Händen.
Bestimmt Selbstverletzungsgefahr. „ Sie sollten lernen Kaffee zu trinken, junger Mann.“
Frau Berger schaut vorwurfsvoll von unten zu mir rauf. Verdutzt blicke ich die alte Frau im Sessel unter mir an. „Nun machen sie mich schon los, wenigstens an meinem Geburtstag.“ Sie hat ganz glasig blaue Augen, stumpf. „Wenn sie schon meinen Kuchen essen“, setzt sie nach einem weiteren Blick hinzu. Entsetzt schaue ich ihr nochmals in die Augen.„Ich hatte keinen Kuchen.“
„Du musst keine Angst haben.“ Ich öffne die Ledergürtel, hole den nächsten Rollstuhl und setze sie um. Sie schweigt.
Schnellen Schrittes entfernen wir uns. Ich habe keine Angst.
Ein Schrei
Markerschütternd.
Hilfesuchend.
Ängstlich.
Der Würfelzucker, den ich gerade im Begriff war sanft in meine randvolle Kaffeetasse zerschmelzen zu lassen, entgleitet meinen schreckhaften Fingern und klatscht laut hinein. Kaffe spritzt auf. Mein neuer, weißer, reiner Kittel ist nun braun gefleckt. Gerade wegen solcher braungefleckter Arbeitskleidung habe ich mich beim Musterungsarzt für psychisch labil ausgegeben.
Ein Blick in die Runde. Zum Glück hat es keiner gemerkt. Sonst wäre wohl die schrill gackernde Horde über mich hergefallen. Alle sind viel zu viel mit Kuchenmampfen, Kaffeetrinken und Lästereien beschäftigt. Wirklich Glück gehabt. Aber anscheinend hat auch außer mir keiner den Schrei gehört. Merkwürdig. Eigentlich müssten die anderen ihn auch gehört haben, laut und fordernd genug war er.
Betrübt über die braunen Flecken (hoffentlich kommen nicht noch Grüne hinzu) auf meinem schönen Kittel, rühre ich den gut gesüßten Kaffee um.
Ein Schrei
Hilflos.
Brüchig.
Der Löffel fällt mir aus den zitternden Händen. Heiß schwappt mir die braune Brühe über meine weiße Hose. Mit einem schnellen Stuhlrücken versuche ich noch zu entkommen...
Zu spät. Alles voll.
„Du musst keine Angst haben.“ - Die Polin, mit ihrem liebevoll schweren Akzent lächelt mich gutmütig an. Wenn ein R in dem Satz gewesen wäre hätte ich lachen müssen, das rollt sie immer so schön. Vorsichtig lächle ich zurück. Sie nickt freundlich, verständnisvoll.
Ich wusste nicht worauf ich mich da einlasse, als ich mich entschied meinen Zivildienst im Altersheim, auf der Dementsstation, abzuleisten.
Die Pause ist längst vorbei, die gackernde Runde isst immer noch Kuchen. Jemand muss Geburtstag gehabt haben. Stimmt, Frau Berger ist 90 geworden, ihre Tochter schickte Kuchen.
Warum steht niemand auf? Warum schaut niemand nach ob alles in Ordnung ist? Soll ich einfach? Irgendetwas muss passiert sein. So einfach schreit doch keiner, oder doch? Ich stehe auf. Die Polin blickt mich vielsagend an, vielsagend und erwartungsvoll, erwartungsfroh. Sie lächelt wieder, diesmal schmerzlich vielsagend.
Der dritte Schrei schreckt mich nicht mehr wie die beiden davor, er ist kraftlos und durch Alter und Aufgabe gekennzeichnet, klagend. Nur die Beine zittern etwas.
Den Gang entlang in den Aufenthaltsraum.
Frau Berger sitzt allein im Zimmer, am Fenster, mit dem Rücken zur Tür, in dem alten Ohrensessel. Eine Spende. Ich trete leise ein, keine Ahnung was die da macht, und schaue um die Ohren des Sessel. Sie sitzt da, die knochigen Handgelenke auf den abgewetzten Armlehnen. Lederriemen binden das letzte Blut aus den weißen Händen.
Bestimmt Selbstverletzungsgefahr. „ Sie sollten lernen Kaffee zu trinken, junger Mann.“
Frau Berger schaut vorwurfsvoll von unten zu mir rauf. Verdutzt blicke ich die alte Frau im Sessel unter mir an. „Nun machen sie mich schon los, wenigstens an meinem Geburtstag.“ Sie hat ganz glasig blaue Augen, stumpf. „Wenn sie schon meinen Kuchen essen“, setzt sie nach einem weiteren Blick hinzu. Entsetzt schaue ich ihr nochmals in die Augen.„Ich hatte keinen Kuchen.“
„Du musst keine Angst haben.“ Ich öffne die Ledergürtel, hole den nächsten Rollstuhl und setze sie um. Sie schweigt.
Schnellen Schrittes entfernen wir uns. Ich habe keine Angst.