PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : DSA (P&P-RPG) Kurzgeschichte



FlamingAmarant
15.04.2003, 22:30
Ich glaube, mit dem Betreff ist schon alles gesagt, also lege ich mal los... nur eine kleine Anmerkung, bitte net bierernst nehmen ;)


Es hätte alles so einfach sein können

Anm.: Keine der Hauptpersonen in dieser Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind durchaus gewollt. Ein Bezug zu realen Erlebnissen läßt sich nicht von der Hand weisen...

„Zivilisation! Endlich!“ Gerona strahlte über das ganze Gesicht, als sie in der Ferne eine jener Ansammlungen von Häusern erspähte, die gemeinhin als „Dörfer“ bezeichnet werden. „Ich hatte kaum damit gerechnet, jemals wieder ein Haus von innen zu sehen...“
Daijin schüttelte den Kopf. „Krieg’ dich wieder ein, Mädchen. Du übertreibst ein wenig. Schließlich waren wir gerade mal drei Wochen unterwegs.“
„Drei Wochen ohne ein vernünftiges Badezimmer oder ein Bett mit Federmatratze...“
Kyaska lachte. „Stell’ dir einmal vor, ich bin ohne das alles aufgewachsen! Es war ein Kulturschock für mich, als ich zum ersten Mal in einem Bett geschlafen habe...“
„Wir wachsen nicht alle in Wäldern auf!“ Geronas Stimme nahm für wenige Sekunden einen scharfen Tonfall an. Dann erröteten ihre schneeweißen Wangen plötzlich. „Verzeih mir, Kyas, das Wildnisleben kratzt wohl an meinen Nerven...“
Die Angesprochene winkte ab. „Das war doch harmlos. In der Rangfolge aller Beleidigungen, die ich mir anhören mußte, nimmst du gerade mal den vorletzten Platz ein.“
„Und welches war die schlechteste Beleidigung?“ Yassira trat an Kyaskas Seite. Die junge Frau grinste. „Die schlechteste Beleidigung aller Zeiten? ‚Du Frau!’ Das war, bevor ich dem Kerl den Zwingtanz an den Hals geschickt habe…“
Gerona kicherte. „Das stelle ich mir zu komisch vor! Eigentlich sollte ich so etwas nicht sagen, aber meine Gilde ist ja nicht in der Nähe...um ehrlich zu sein, ich glaube, daß sie sich in manchen Dingen täuschen.“ Sie warf einen flüchtigen Blick auf Kyaska.
„Jaja, ihr Weißmagier“, erwiderte diese. „Aber ich muß zugeben, daß einige der Herren und Damen Druiden, die ich als meine Kollegen bezeichnen darf, sich nicht immer in meinem Sinne benehmen...“
„Hört sich an, als wärst du die Oberdruidin“, konstatierte Daijin.
Kyaska fuhr sich mit einer Hand durch die dunkelbraunen Haare, die ihr in schwungvollen Wellen auf die Schultern fielen. „Nein, ich bin nur eine, die aus der Reihe tanzt. Ich halte nichts von diesem Wir-sind-die-einzigen-die-Ahnung-haben. Druiden haben bloß eine andere Art des Verständnisses von Magie, das ist alles...“
„Das einzige, wofür ich jetzt Verständnis habe, ist etwas Ordentliches zu trinken. Mit trockener Kehle diskutiert es sich schlecht“, stellte Daijin fest. „Aber wer hört schon auf einen einfachen Söldner?“
„Ich zum Beispiel.“ Yassira hob die Hand. „Aber bitte in Maßen, nicht daß ich nachher wieder die Einrichtung bezahlen muß...“
„Sie brannte sehr gut“, war Kyaskas trockener Einwurf.
Yassira schüttelte den Kopf: „Irgendwann werde ich dich noch einmal von deiner Pyromanie befreien. Aber erst nach einem Glas Wasser und einem Bad.“
„Man stelle sich vor, es gäbe nur einen Badezuber im ganzen Gasthaus. Müssen wir uns dann etwa anstellen? Ich beantrage den Vortritt.“ Gerona verschränkte die schmalen Arme vor der Brust und versuchte, eine entschlossene Miene aufzusetzen. Daijin sah sie an, grinste schief und zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen. Und jetzt hör’ auf, so komisch zu gucken, sonst muß ich lachen.“
Die Weißmagierin gab vor, nach seinem Schienbein zu treten, zog dann aber das Bein zurück. „Nein, das riskiere ich nicht!“
„Besser so.“ Der Söldner gähnte und streckte sich, so daß seinen Begleiterinnen seine Größe von 195 Halbfingern noch bewußter wurde.
„Halloho!“ rief Yassira. “Komm’ da runter! Wir sind gleich da!“
„Wie es Euch beliebt.“ Daijin machte eine spöttische, aber dennoch vollendete Verbeugung.
Yassira versetzte ihm einen leichten Stoß mit dem Ellenbogen. „Als sei ich eine Hochwohlgeboren!“
Daijin lächelte nur und wandte seine Blicke dann wieder dem kleinen Ort zu, der mit jedem Schritt näherrückte. Vielleicht ein Dutzend Häuser, ein kleines Gasthaus, vor dem ein klappriger Gaul angebunden war. Ansonsten schien es nichts Sehenswertes zu geben.
Yassira wickelte das schmale schwarze Lederband von ihrem Handgelenk ab und band sich damit die langen Haare zu einem Zopf. Das silberne Amulett, das sie selbst zum Schlafen nie abnahm, blitzte im Licht der Praiosscheibe auf. Mit einem selbstbewußten Lächeln betrat sie den kleinen Ort und steuerte zielstrebig auf die Kneipe zu, dichtauf gefolgt von ihren Gefährten.
Daijin stieß die Tür des Gasthauses auf, welches man wohl höchstens als Gasthütte bezeichnen konnte – jedenfalls verglichen zu dem, was er kannte. Eine Handvoll Tische und eine überschaubare Anzahl wackliger Stühle waren kreuz und quer im Raum verteilt. Eine wenig vertrauenserweckende Treppe führte ins Obergeschoß. Bis auf einen Tisch – welch ein Zufall! – war alles besetzt, hinter dem Tresen war eine ältere, korpulente Frau mit verkniffenem Gesichtsausdruck beim Gläserputzen. Als die vier eintraten, sah sie kurz auf, schätzte sie als Durchreisende ein, brummte etwas Unverständliches und wandte sich wieder den Gläsern zu.
Yassira kniff kurz die bernsteinfarbenen Augen zusammen. Das war nun ganz und gar nicht traviagefällig! Sie sah zu Gerona, die den Blick erwiderte und als Zeichen der Übereinstimmung die Augenbrauen hochzog. Kyaska war dies nicht entgangen, und auf ihre direkte Art beschloß sie, das Ganze nicht auf sich beruhen zu lassen. Sie setzte ein entschlossenes Gesicht auf und ging mit festen Schritten zur Theke, wo sie stehenblieb und die Hände in die Hüften stützte. „Travia und ihre Geschwister zum Gruße“, sagte sie und hob dabei die Stimme. „Wir sind Reisende, haben einen weiten Weg hinter uns und hätten gern etwas, um unsere Kehlen... nun, ausgiebig zu befeuchten.“
Die Wirtin wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und musterte die Druidin aus zusammengekniffenen Augen. Dann besah sie sich den Rest der Gruppe, und ihre Augen wurden langsam größer. „Setzt Euch, setzt Euch“, stieß sie hastig hervor. Daijin schenkte ihr ein nicht allzu humorvolles Lächeln, das sich wohl eher mit gebleckten Zähnen vergleichen ließ, und stiefelte auf den Tisch zu. Er zog den drei Frauen die Stühle zurecht, bevor er sich selbst niederließ und seine Aufmerksamkeit wieder der Wirtin zuwandte.
Diese beeilte sich, zu ihrem Tisch zu hasten, und kam dort zum Stehen, wobei die peripheren Regionen dafür etwas länger brauchten. „Was darf – ich – Euch bringen?“ stotterte sie, ihr Blick wanderte nervös von einem zum anderen.
Gerona ließ ihre weißen Zähne aufblitzen. „Im Namen der Gastfreundschaft, verratet uns doch bitte erst einmal Euren Namen.“
„Algunde... Maurenbrecher... und Ihr seid...?“ Als würde sie sich schämen, überhaupt gefragt zu haben, schlug sie die Augen nieder und errötete.
„Gerona Andurin, Adepta Ordinaria.“ Die Maga war sich durchaus bewußt, daß der Titel der Frau nichts sagte, deshalb bemühte sie sich angestrengt, ein Kichern zu unterdrücken. Mit gutklingenden Titeln in Bosparano konnte selbst eine frisch von der Akademie abgegangene Magierin Eindruck schinden.
„Kyaska“, kam knapp von der Druidin. Ihre tiefblauen Augen offenbarten keine Emotionen, aber auch sie kicherte innerlich.
„Daijin von Dinoda.“ Jetzt riß die Wirtin die Augen so weit auf, daß sie ihr fast aus den Höhlen kullerten. Das „von“ schien sie mit einem Adelstitel zu assoziieren, und ihre Vorstellungskraft sträubte sich dagegen, einen solchen einem abgerissenen Söldner zuzugestehen.
Jetzt war Yassira an der Reihe. Sie zögerte bewußt einen Moment lang, so daß sich bleierne Stille auf den Raum hinabsenkte. Alle Anwesenden hatten inzwischen ihre Privatangelegenheiten vergessen und lauschten mehr oder weniger unauffällig.
„Yassira ay Khemin.“ Die Stimme der jungen Frau war wie ein Glockenschlag in der Stille.
Algunde schluckte kurz, reagierte aber sonst nicht weiter. Yassira runzelte die Stirn und blickte auf das silberglänzende Amulett. Konnte diese Frau wirklich so ungebildet sein? Gerade dieses Zeichen war eins der weitverbreitetsten... Sie seufzte leise und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Daijin bemerkte ihre Stimmung und warf ihr einen raschen Seitenblick zu. Sie verdrehte andeutungsweise die Augen und begann dann damit, die Tischplatte anzustarren.
Kyaska war unterdessen dabei, für Getränke zu sorgen. „Bier für alle“, orderte sie großzügig. „Und damit meine ich wirklich alle, die hier in diesem reizenden Gasthaus anwesend sind. Und ich wäre nicht sehr erfreut, sollte sich das Bier als verwässert herausstellen.“ Ihre blauen Augen blitzen gefährlich auf, und die Wirtin hastete mit einem kurzen Aufschrei zum Tresen. Nur einen Moment später stand das Bier auf dem Tisch, und auch für die anderen Gäste folgte es bald darauf. Kyaska hob breit grinsend das Glas und prostete den anderen zu.
Gerona fühlte plötzlich eine Berührung auf der Schulter und wandte hastig den Kopf um. Hinter ihr stand einer der Gäste, ein breitschultriger, ärmlich wirkender Mann, der Besorgnis geradezu ausstrahlte. Die junge Maga öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er kam ihr zuvor.
„Travia zum Gruße, gelehrte Dame. Verzeiht die Störung, aber im Namen der Dorfbewohner habe ich eine Bitte an Euch und Eure... Begleiter.“
„Wenigstens einer, der hier die korrekten Umgangsformen kennt“, dachte Gerona bei sich, und dann laut: „Worin besteht das Problem, guter Mann?“
„Wißt Ihr...“, er räusperte sich nervös, als er den Blick von vier Augenpaaren auf sich ruhen fühlte.
„Wißt Ihr...“, setzte er wieder an. „Wir haben einige Schwierigkeiten hier...“
„Sprecht ruhig, wir beißen nicht“, warf Daijin abfällig ein und ließ, wie um diese Aussage gleich wieder zu entkräften, seine Zähne erneut aufblitzen. Die reinweißen, leicht zugespitzten Eckzähne lösten zusammen mit den mandelförmigen schwarzen Augen und der langen schwarzen Mähne einen interessanten Eindruck aus. Der Dörfler wich reflexartig einen Schritt zurück, trat dann aber, beschämt über sein Verhalten, wieder näher heran.
„Es... nun, es geht... es geht um einen Drachen.“
„Und jetzt? Braucht Ihr eine Jungfrau, die Ihr opfern könnt?“ Kyaska lachte leise.
„N-nein...“ Der arme Mann war nun vollkommen perplex.
Yassira sah Kyaska an und zog für einen Sekundenbruchteil die Mundwinkel zu einem Lächeln hoch. Dann wandte sie sich an den Dörfler: „Entschuldigt bitte, meine Kameraden werden sich ab nun beherrschen.“ Sie blickte kurz nach unten auf ihre Füße, und die anderen zuckten automatisch zurück, da sie alle schon die Tritte von Yassiras Stiefelspitzen an ihren Schienbeinen gespürt hatten. „Bitte erläutert uns doch, was es mit dem Drachen auf sich hat.“
„Nun, er sucht seit einigen Monaten unser Dorf heim. Bisher konnten wir ihn immer vertreiben und so größeren Schaden verhindern, doch in der letzten Zeit erscheint er immer häufiger hier. Wir suchen mutige Helden, die ihn ein für allemal vertreiben.“
„Helden? Wo?“ Kyaska schaute erst an die Decke und dann unter ihren Stuhl.
Der flehentliche Blick des Mannes war eindeutig. In seinen Augen war jeder Reisende in gewisser Weise ein Held. Wer sich mit gefährlichen Büschen, bedrohlichen Kaninchen und der endlosen Weite der Landstraße herumschlagen konnte, der konnte auch einen Drachen besiegen, oder?
Daijin besann sich wieder einmal darauf, daß er noch einige Klischees zu bestätigen hatte. „Was kriegen wir dafür?“ erkundigte er sich und schenkte dem armen Mann ein weiteres schwarzäugiges Funkeln, das diesem das Herz in die Hose rutschen ließ – natürlich im übertragenen Sinne.
„Drachen haben einen Hort, nicht wahr?“ In der Stimme des Dörflers schwang die Zuversicht zahlreicher Märchenstunden mit. „Wenn Ihr den Drachen vernichtet, gehört sein Schatz Euch.“
„Aber hier hat er noch nichts geraubt?“ Geronas Blick war nachdenklich.
Ein knappes Kopfschütteln.
Yassira runzelte die Stirn und murmelte etwas, darauf folgte eine geflüsterte Beratung zwischen den Gefährten. Schließlich nickte Kyaska: „Wenn Ihr uns sagt, wo wir den Drachen finden – mal sehen, was sich tun läßt.“
„Ja, ja, aber natürlich! Er soll sich in einer versteckten Höhle einige Meilen westlich von hier aufhalten. Wenn Ihr noch etwas braucht...“ Er schien zu hoffen, daß die Antwort darauf lauten würde: „Nein, danke, wir haben alles, was wir brauchen.“
Yassira enttäuschte ihn nicht. „Nein, danke, wir haben alles...“ Sie stutzte und hatte irgendwie ein Déjà-Vu, aber sie konnte beim besten Willen nicht sagen, warum.
Als das Bier ausgetrunken war, beschloß die Vierergruppe, sich auf den Weg zu machen. Gerona ging ihr Zauberrepertoire durch und stellte fest, daß sie den Drachen nicht bekämpfen, aber zumindest heilen könnte. Kyaska kam auf ein ähnlich unbefriedigendes Ergebnis, befand aber, sie könnte ihn wenigstens anzünden. Yassira schaute Daijin mit einem mulmigen Gefühl beim Schwertputzen zu. Der Söldner war der einzige, der sich wirklich zu freuen schien.
Sie verließen das Gasthaus und wandten sich, wie angegeben, nach Westen. Gerona fluchte leise vor sich hin, denn sie war weder dazu gekommen, ein Bad zu nehmen, noch ihre kostbar bestickte Magierrobe zu säubern. „Ich will nicht dreckig sterben!“ protestierte sie, bis ihr Yassira versicherte, Boron nehme keinen Anstoß daran. Auf ihrem Weg begegneten sie außer einer Menge Pflanzen und den oben erwähnten aggressiven Kaninchen keiner größeren Gefahr, so daß sie doch recht zuversichtlich waren.
Schließlich stießen sie auf die Behausung des Drachen. Der Eingang war etwa 15 Schritt hoch und 10 Schritt breit, der Boden davor völlig kahl, so daß man nicht unbedingt von einer versteckten Höhle sprechen konnte. Der Ausdruck „nicht versteckte Höhle“ wäre vermutlich angemessener. Daijin nahm seinen Mut zusammen und spähte um die Ecke. Der riesenhafte Raum war völlig leer, nur ein Hauch von Schwefelatem lag in der Luft...
„Ich habe ein ungutes Gefühl“, wisperte Yassira. Sie drehte sich um und stellte fest, daß das Gefühl durch die Tatsache bedingt sein konnte, daß ein 10 Schritt großer Drachen hinter ihr saß und sie interessiert betrachtete.
„Was macht ihr kleinen Menschlinge hier vor meiner Höhle?“ fragte das Wesen mit donnernder Stimme.
„Herumstehen?“ vermutete Gerona. Allerdings traf das auf sie nicht mehr zu, denn sie hatte sich hinter einem sehr schützend aussehenden Busch zusammengekauert.
Kyaska schluckte und sah zum zahnbewehrten Maul des Ungetüms hinauf. „Hast du jetzt vor, uns zur Strafe zu fressen?“
„Nein, wo denkt ihr hin“, wehrte der Drache ab. „Ich bin Vegetarier. Aber nun verratet mir endlich, warum ihr hier seid.“
„Eigentlich sollten wir dich töten, weil du die Dorfbewohner in Angst und Schrecken versetzt. Aber so bedrohlich wirkst du gar nicht.“
„Die Dorfbewohner?“ Der Drache kratzte sich mit einer Klaue am Kopf. „Ach ja, die meint ihr. Ich wollte sie bloß warnen. Die Dummköpfe haben nicht gemerkt, daß sie ihre Hütten auf einem ehemaligen Schlachtfeld errichtet haben. Und jedes Jahr zu ihrem Todestag erwachen die Geister der Verstorbenen...“
Yassira horchte auf. „Ruhelose Seelen, die nicht den Weg zu Boron gefunden haben – dem muß ein Ende gesetzt werden.“ Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe von 180 Halbfingern auf und verschränkte in heiligem Zorn die Arme.
Der Drache nickte mit seinem klobigen Schädel. „Ich wäre euch sehr dankbar, wenn ihr etwas dagegen unternehmt. Diese Geister stören jedes Jahr wieder meinen Schlaf...“
„Warum suchst du dir keine neue Höhle?“ erkundigte sich Kyaska. Das Riesenreptil starrte sie so irritiert an, als habe die Druidin es gefragt, warum es keine Unterwäsche trage. Daraufhin beschloß sie, diese Frage nicht noch ein zweites Mal zu stellen.
Yassira dagegen war schon völlig überwältigt von ihrer Mission, die sich so völlig anders gestaltete, als sie gedacht hatte. „Im Namen des Herrn Boron werde ich diese Seelen übers Nirgendmeer schicken!“ deklamierte sie. Daijin sah ihr mit hochgezogenen Augenbrauen zu, aber er kannte ihr Gelübde und wußte, daß sie dazu verpflichtet war.
„Ja, und heute ist die Nacht ihres Erwachens“, donnerte der Drache. „Ich bin euch zu großem Dank verpflichtet, wenn ihr es schafft.“
Daijin nickte und salutierte spöttisch. „Zu Befehl.“ Er wandte sich ab und begab sich, von den anderen gefolgt, auf den Weg zurück zum Dorf.
Der Dorfbewohner, der ihnen von dem Drachen erzählt hatte, stand dort vor der Kneipe und wirkte reichlich verblüfft, als die vier „Helden“ auf ihn zukamen. Gerona klärte ihn knapp über die Geschehnisse auf, und das faltige Gesicht des Dörflers nahm einen besorgten Ausdruck an. „Können diese Geister gefährlich sein?“ wollte er wissen. „Und was können wir tun?“
Yassira beruhigte ihn. Er solle bloß dafür sorgen, daß sich die Dorfbewohner in der Nacht nicht außerhalb ihrer Häuser aufhielten, riet sie ihm. Es sei denn, die Geister würden in den Häusern erscheinen – aber das sei auch nicht weiter wichtig. Mit angestrengter Zuversicht machte sich der Mann von dannen, um den Ratschlag weiterzugeben.
Die angehenden Exorzisten nahmen in aller Ruhe ein Abendessen im Gasthaus ein (sie wurden jetzt von einem jungen Mann bedient, der ihnen hinter vorgehaltener Hand verriet, die Wirtin habe sich aufgrund nervlicher Belastung hinlegen müssen) und begaben sich dann, als es langsam dämmerte, auf den Marktplatz.
Yassira hatte sich einige Rauchgefäße besorgt und diese mit Weihrauch gefüllt. Kyaska hatte die Erlaubnis bekommen, diese zum gegebenen Zeitpunkt anzuzünden – „allerdings nur den Weihrauch, sonst nichts!“ Während die Praiosscheibe hinter dem Horizont versank, warteten sie im Schein einiger Fackeln auf die Ereignisse der Nacht.
Etwa um die zwölfte Stunde erhob sich plötzlich Nebel auf dem gesamten Platz. Ein eindringliches Wispern und Raunen erklang um sie herum. Der Nebel stieg bis auf Kniehöhe und begann dann langsam Gestalt anzunehmen. Ein Dutzend Wesen formierte sich, mit nebelgestaltigen Leibern, und strebte auf die vier Personen zu.
Gerona klammerte sich angsterfüllt an Kyaskas Arm, was diese jedoch nicht einmal zur Kenntnis nahm. Sie starrte teils fasziniert, teils ängstlich auf die gespenstischen Kreaturen.
„Jetzt, Kyas!“ wisperte Yassira. Die Druidin nickte knapp, griff nach einer Fackel und entzündete den Weihrauch in den Schalen. Ein starker Geruch stieg auf, und Yassira nahm zwei der Schalen in die Hände. Daijin riß sich zusammen und ergriff ebenfalls ein Gefäß. Dann folgte er der jungen Frau, die nun furchtlos durch die Reihen der Toten schritt, die Weihrauchschalen schwenkend, und dabei einen leisen monotonen Gesang anstimmte. Wo eins der Wesen vom Hauch der heiligen Pflanze berührt wurde, begann es langsam zu verblassen. Schließlich kam die Reihe an die letzte Gestalt, die selbst in ihrer Geistform noch deutlich als ein hochgestellter Kämpfer zu erkennen war. Yassira schwenkte das Rauchgefäß über ihn, und auch er löste sich in einem Schimmern auf. Doch vorher meinten die Gefährten noch die Worte zu vernehmen: „Danke, ihr habt mich erlöst...“
Yassira verharrte an Ort und Stelle, die leeren Schalen fielen ihr aus den Händen. Dann brach sie mit einem verzückten Gesichtsausdruck zusammen. Ihr blasses Gesicht schien in einem überderischen Licht zu erstrahlen, und ihre Lippen formten leise, unverständliche Worte. Dann schlossen sich die bernsteinfarbenen Augen, und sie sackte lächelnd in sich zusammen.
Daijin fing sie auf und ließ ihre schlanke Gestalt langsam zu Boden gleiten. „Sie hat sich wieder mal verausgabt“, murmelte er. „Aber sie hat für ihren Glauben gekämpft... ich bewundere das.“ Gerona und Kyaska stimmten ihm stumm nickend zu.
Als der Tag anbrach und das Licht der Praiosscheibe über den Baumwipfeln erstrahlte, erwachte die junge Frau, umringt von den Dorfbewohnern und ihren Gefährten. Vor sich sah sie das dankbare Gesicht der Wirtin. „Ich schäme mich, daß ich Euch nicht sofort erkannt habe, Euer Gnaden“, murmelte diese beschämt. „Aber dennoch habt Ihr unser Dorf gerettet. Wie kann ich Euch bloß danken?“
Yassira fühlte sich, als könne sie die ganze Welt umarmen. „Mein Erfolg ist mir Dank genug“, wehrte sie ab. „Und nun – welche Abenteuer stehen noch an? Ich will sie alle erleben – sofort!“


Ich wäre froh über Anmerkungen oder Kritik :)