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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Erich Kästner



Vio
14.04.2003, 05:06
Titel ist wiedermal Programm - Wer kennt ihn/nicht??

Erich Kästner, viele bringen ihn zuerst mit dem "Fliegenden Klassenzimmer" in Verbindung, mit dem "Doppelten Lottchen" und dem "gestiefelten Kater" - doch kennt ihr auch seine kongenialen Texte und gedichte, die für Kinder garnicht geeignet sind? Nein?? ^^

Dann würde ich euch empfehlen unbedingt mal reinzuschauen in seine Werke, denn es befinden sich viele Perlen drin, zuviele um sie hier anzuführen, aber ein paar will ich hier präsentieren :)



Der Gegenwart ins Gästebuch
"Ein guter Mensch zu sein, gilt hierzulande als Dummheit, wenn nicht gar als Schande."

Moral
"Es gibt nichts gutes, außer: Man tut es."

Spaziergang nach einer Enttäuschung
Da hätte mich also wieder einmal
eine der hausschlachtenen Ohrfeigen ereilt,
die das eigens hierzu gegründete Schicksal
in beliebiger Windstärke und Zahl
an die Umstehenden gratis verteilt.

Na schön. Der Weg des Lebens ist wellig.
Man soll die Steigung nicht noch steigern.
Es war wieder mal eine Ohrfeige fällig.
Ich konnte die Annahme schlecht verweigern.

SO ein Schlag ins vergnügte gesicht
klingt für den, der ihn kriegt, natürlich sehr laut,
weil das Schicksal mit Liebe zur Sache zuhaut.
Tödlich sind diese Ohrfeigen hingegen nicht.
Der Mensch ist entsprechend gebaut.

Jedoch, wenn ich den See betrachte
und die schneeweiß gedeckten Berge daneben,
muß ich denken, was ich schon häufig dachte:
Diese Art Ohrfeigen brauchte es nicht zu geben.

Da rennt man nun die Natur entlang
und ist froh, daß man keinem begegnet.
Die Vögel verüben Chorgesang.
Die Sonne scheint im Überschwang.
Aber innen hat's ziemlich geregnet.

Die Glockenblumen nicken verständig.
Eine Biene kratzt sich hinterm Ohr.
Und der Wind und die Wellen spielen vierhändig
die Sonnenscheinsonate vor.

Das Schicksal wird mich noch öfters äffen
und schlagen, wie es mich heute schlug.
Vielleicht wird man wirklich durch Schaden klug?
Mich müssen noch viele Schläge treffen,
bevor mich der Schlag trifft! Und damit genug.


gewidmet sei dieser Thread dune (wieso? einfach mal für einen Freund ^^ - ist so selten in unserer Welt, deswegen soll es auch so eine Ausnahme geben ^^)

Todestribunal
14.04.2003, 05:34
Seine Gedichte sind sicher keine hohe Kunst, haben ihren Wert aber in der Einfachheit und der daraus hervorgehenden Eindringlichkeit.

2 Alltagsgedichte von ihm, die ich aus der Schule kenne und für inhaltlich bedeutsam, wenn auch einfach und passenderweise sprachlich leicht verständlich halte:

Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.


Sozusagen in der Fremde

Er saß in der großen Stadt Berlin
an einem kleinen Tisch.
Die Stadt war groß, auch ohne ihn.
Er war nicht nötig, wie es schien.
Und rund um ihn war Plüsch.

Die Leute saßen zum Greifen nah,
und er war doch allein.
Und in dem Spiegel, in den er sah,
saßen sie alle noch einmal da,
als müsse das so sein.

Der Saal war blaß vor lauter Licht.
Es roch nach Parfüm und Gebäck.
Er blickte ernst von Gesicht zu Gesicht.
Was er da sah, gefiel ihm nicht.
Er schaute traurig weg.

Er strich das weiße Tischtuch glatt
und blickte in das Glas.
Fast hatte er das Leben satt.
Was wollte er in dieser Stadt,
in der er einsam saß?

Da stand er, in der Stadt Berlin,
auf von dem kleinen Tisch.
Keiner der Menschen kannte ihn.
Da fing er an, den Hut zu ziehen!
Not macht erfinderisch.

Vio
14.04.2003, 06:20
Original geschrieben von Todestribunal
Seine Gedichte sind sicher keine hohe Kunst, haben ihren Wert aber in der Einfachheit und der daraus hervorgehenden Eindringlichkeit.

Sein Stil ist sehr einfach, und imo gerade deswegen so unterhaltsam :) - und es muss nicht sonderlich kompliziert verpackt werden, wenn er so mehr aussagen kann als in komplizierten Satzgebilden und Konstrukten - aber total imo hier ^^

[edit]
ein weiteres gedicht von ihm ^^ (http://forum.rpg-ring.com/forum/showthread.php?s=&threadid=2360)

Alexiel
15.04.2003, 19:30
Ich hab zwar nur von seinen Werken gehört (als Kind hab ich Christine Nöstlinger gelesen) aber gestern hab ich mir eine Postkarte gekauft, mit einem Spruch von Erick Kästner:

Das Gewissen ist eine Uhr,
die immer richtig geht.
Nur wir gehen manchmal
f a l s c h.

Tzeentch
18.04.2003, 22:08
dieses gedicht hat mir bis jetzt am besten von ihm gefallen:

berlin in zahlen

lasst uns berlin statistisch erfassen!
berlin ist eine ausführliche stadt
die 190 krankenkassen
und 916 ha friedhöfe hat.
53000 berliner sterben im jahr
und nur 43000 kommen zur welt
die differenz bringt der stadt aber
keine gefahr
weil sie 60000 berliner durch zuzug
erhält
hurra!

berlin besizt ziemlich 900 brücken
und verbraucht an fleisch
303000000 kilogramm
berlin hat pro jahr rund 40 morde
die glücken
und seine breiteste straße heißt
kurfürstendamm
berlin hat jährlich 27600 unfälle
und 57600 bewohner verlassen kirche
und glauben
berlin hat 606 konkurse, reelle und
unreelle, und 700000 hühner, gänse
und tauben
halleluja!

berlin hat 20100 schrank- und gast-
stätten
6300 ärzte und 8400 damenschneider
und 117000 fammilien, die gern
eine wohnung hätten,
aber sie haben keine. leider.
ob sich das lesen solcher zahlen
auch lohnt?
oder ob sie nicht aufschlussreich sind
und nur scheinen?
berlin wird von 4500000 bewohnt
und nur, laut statistik,
von 32600 schweinen
wie meinen?

Schattenläufer
18.04.2003, 23:38
Erich Kästner ist schon cool.
Mein Deutschlehrer würde wahrscheinlich aufschreien, wenn er Dinge wie

Original geschrieben von Todestribunal
Seine Gedichte sind sicher keine hohe Kunst, haben ihren Wert aber in der Einfachheit und der daraus hervorgehenden Eindringlichkeit.
lesen würde. Er meint da nämlich immer, dass das Absicht ist, dass diese Gedichte ganz viele Ebenen haben, und tatsächlich, wenn er so ein Gedicht analysiert, kommt da viel mehr raus, als man glaubt!

@vio81: Dein Link beinhaltet zwei Kästner-Gedichte. Ich hatte unten noch eins hingeschrieben, "Brief an den Weihnachtsmann" oder so ähnlich. :)

Lee
19.04.2003, 00:24
Erich Kästner


Das letzte Kapitel um 1930 geschrieben!!!!
Am zwölften Juli des Jahres zweitausenddrei
lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
daß ein Bombengeschwader der Luftpolizei
die gesamte Menschheit ausrotten werde.
Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
daß der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
sich gar nicht anders verwirklichen läßt,
als alle Beteiligten zu vergiften.

Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck,
nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.
Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck,
man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.

Am dreizehnten Juli flogen von Boston eintausend
mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort
und vollbrachten, rund um den Globus sausend,
den von der Weltregierung befohlenen Mord.

Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.
Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.

Jeder dachte, er könne dem Tod entgehn,
keiner entging dem Tod und die Welt wurde leer.
Das Gift war überall, es schlich wie auf Zehn.
Es lief die Wüsten entlang, und es schwamm übers Meer.

Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.
Andere hingen wie Puppen zum Fenster heraus.
Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.
Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.

Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.
Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.
Die Flugzeuge irrten mit tausend toten Piloten,
unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.



Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.
Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.
Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte
völlig beruhigt ihre bekannte elliptische Bahn

Wonderwanda
19.04.2003, 22:46
Ich muss gestehen, Erich Kästner war für mich sehr lange auch nur ein simpler Kinderbuch-Author, doch als ich vor einer Weile einige seiner Gedichte gelesen habe, bringe ich ihn nicht mehr mit netten Geschichten in Verbindungen. Seine Rede über die Helden der nationalsozialistischen Zeit, wo auch ein Teil davon in meiner Signatur steht, ist übrigens auch sehr lesenswert.

Land der Kanonen

Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!
Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn
in den Bureaus, als wären es Kasernen.
Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe.
Und unsichtbare Helme trägt man dort.
Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe.
Und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort!

Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will
- und es ist sein Beruf etwas zu wollen -
steht der Verstand erst stramm und zweitens still.
Die Augen rechts! Und mit dem Rückgrat rollen!

Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen
und mit gezognem Scheitel auf die Welt.
Dort wird man nicht als Zivilist geboren.
Dort wird befördert, wer die Schnauze hält.

Kennst du das Land? Es könnte glücklich sein.
Es könnte glücklich sein und glücklich machen!
Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein
und Fleiß und Kraft und andre schöne Sachen.

Selbst Geist und Güte gibt’s dort dann und wann!
Und wahres Heldentum. Doch nicht bei vielen.
Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann.
Das will mit Bleisoldaten spielen.

Dort reift die Freiheit nicht. Dort bleibt sie grün.
Was man auch baut - es werden stets Kasernen.
Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? Du wirst es kennenlernen!

Vio
26.04.2003, 05:48
und nochmal "daman" :D - der mann hat's verstanden auch wirklich gute Gedichte zu produzieren ^^ - bühne frei:


Junger Mann, 5 Uhr morgens
Wenn ich dich früh verlasse,
tret ich aus deinem Haus
still auf die kahlen, blasse,
öde Straße hinaus.

In dem Geäst sind Spatzen
zänkisch beim ersten Lied.
Drunter hocken zwei Katzen,
hölztern vor Appetit.

Wirst du noch lange weinen?
Oder ob du schon schläfst?
Wenn du doch endlich einen
besseren Menschen träfst.

In dem Laden, beim Bäcker,
wird der Kuchen zu Stein.
Wütend erwacht ein Wecker,
brüllt und schläft wieder ein.

Noch ist die große Pause
zwischen der Nacht und dem Tag.
Und ich geh nach Hause,
weil ich mich nicht mag.

Noch brennt hinter deinen
Fenster etwas Licht.
Wirst du noch lange weinen?
Bald wird die Sonne scheinen.
Aber sie scheint noch nicht.



Ein Mann gibt Auskunft
Das Jahr war schön und wird nicht wiederkehren.
Du wußtest, was ich wollte, stets und gehst.
Ich wünschte zwar, ich könnte dir's erklären,
und wünsche doch, daß du mich nicht verstehst.

Ich riet dir manchmal, dich von mir zu trennen,
und danke dir, daß du bis heute bliebst.
Du kanntest mich und lerntest mich nicht kennen.
Ich hatte Angst vor dir, weil du mich liebst.

Du denkst vielleicht, ich hätte dich betrogen.
Du denkst bestimmt, ich wäre nicht wie einst.
Und dabei habe ich dich nie belogen!
Wenn du auch weinst.

Du zürntest manchmal über meine Kühle.
Ich muß dir sagen: Damals warst du klug.
Ich hatte stets die nämlichen Gefühle.
Sie waren aber niemals stark genug.

Du denkst, das klingt, als wollte ich mich loben
und stünde stolz auf einer Art Podest.
Ich stand nur fern von dir. Ich stand nicht oben.
Du bist mir böse, weil du mich verläßt.

Es gibt auch and're, die wie ich empfinden.
Wir sind um soviel ärmer, als ihr seid.
Wir suchen nicht, wir lassen uns bloß finden.
Wenn wir Euch leiden sehn, packt uns der Neid.

Ihr habt es gut, denn Ihr dürft alles fühlen.
Und wenn Ihr trauert, drückt uns nur der Schuh.
Ach, uns're Seelen sitzen wie auf Stühlen
und sehn der Liebe zu.

Ich hatte Furcht vor dir. Du stelltest Fragen.
Ich brauchte dich und tat dir doch nur weh.
Du wolltest Antwort. Sollte ich denn sagen:
»Geh!«

Es ist bequem mit Worten zu erklären.
Ich tu es nur, weil du es so verlangst.
Das Jahr war schön und wird nicht wiederkehren.
Und wer kommt nun? Leb wohl! Ich habe Angst.




Kurzgefasster Lebenslauf
Wer nicht zur Welt kommt, hat nicht viel verloren.
Er sitzt im All auf einem Baum und lacht.
Ich wurde seinerzeit als Kind geboren,
eh ich's gedacht.

Die Schule, wo ich viel vergessen habe,
bestritt seitdem den grössten Teil der Zeit.
Ich war ein patentierter Musterknabe.
Wie kam das bloss? Es tut mir jetzt noch leid.

Dann gab es Weltkrieg, statt der grossen Ferien.
Ich trieb es mit der Fussartillerie.
Dem Globus lief das Blut aus den Arterien.
Ich lebte weiter. Fragen Sie nicht, wie.

Bis dann die Inflation und Leipzig kamen;
Mit Kant und Gotisch, Börse und Büro,
mit Kunst und Politik und jungen Damen.
Und sonntags regnete es sowieso.

Nun bin ich zirka 31 Jahre
Und habe eine kleine Versfabrik.
Ach, an den Schläfen blühn schon graue Haare,
Und meine Freunde werden langsam dick.

Ich setze mich gerne zwischen Stühle.
Ich säge an dem Ast, auf dem wir sitzen.
Ich gehe durch die Gärten der Gefühle,
die tot sind, und bepflanze sie mit Witzen.

Auch ich muss meinen Rucksack selber tragen!
Der Rucksack wächst. Der Rücken wird nicht breiter
Zusammenfassend lässt sich etwas sagen:
Ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter.



mein tipp: reißt euch wirklich jedes Buch unter den Nagel dass ihr bekommen könnt und lest es durch :)