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Scarecrow
31.08.2004, 18:10
vorerst möchte ich mich noch für die ergänzungen bei "jagdzeit" bedanken, ich hatte nur vergessen hie rnochmal reinzuschaun, sorry. und ja, ich bin eigentlich schon stubenrein und ganz brav ;)
hier eien weitere geschichte
mfg

***



Der Mann, der im fahlen Mondlicht von den Hügeln herabkam, war bereits tot.
Man merkte es an seiner Art zu gehen; er ging nicht wirklich, es war ein Dahinschleppen, kaum mehr als ein letztes Aufbäumen.
Man sah es auch an seinem Gesicht; diese Novembertage waren ziemlich kalt, doch er verzog sein Gesicht nicht. Seine Augen waren leer. Wenn früher Feuer in ihnen gebrannt hatte, so war dies längst erloschen. Seine Stirn glänzte im fiebrigen Schweiß, der seine Haut mit einem dünnen Film bedeckte. Sein Atem ging stoßweise und unregelmäßig. Sein Gesicht war eingefallen und unter seinen Augen hingen dicke Tränensäcke. Das Gewand war zerrissen und kaum mehr als solches zu erkennen. Die Arme hingen schlaff auf der Seite hinab, als würde der Mann nicht vorhaben, sie noch einmal zu benutzen. Eine frische Brise kam auf und der Fremde stolperte förmlich den letzten Hügel hinunter und blieb an dessen Ende stehen. Für einen kurzen Augenblick lichteten sich seine Augen. Es schien, als ob wieder Leben in den Mann käme.
Doch dann sank sein Kopf wieder herab und er setzte seinen Weg zum Dorf fort.
Die Lichter desselbigen kamen näher. Sie vermittelten ein Gefühl der Wärme und der Sicherheit. Aber der Tote wusste, dass er nirgends sicher sein würde.
Er erreichte das Dorf und suchte das Gasthaus auf. Als er durch die Straßen ging, hörte er, wie immer wieder Fenster zugemacht wurden und Menschen, die ihn sahen, verschwanden sofort von der Straße. Der Wind hatte zugenommen. Von weit her hörte er einen Kauz schreien. Dann war es wieder still in dem kleinen Örtchen. endlich erblickte er Licht, dass vom Gasthaus auf den Gehsteig fiel. Leises Lachen drang an seine Ohren. Der Mann überlegte, wann er das letzte Mal gelacht hatte. Ihm wurde bewusst, dass er gar nicht mehr wusste, wie man lachte.
Den Kopf weiter gesenkt, die Hände herabhängend ging er nun aufs Gasthaus zu.
Der Gang eines Toten ...
Das dachte sich auch Merkatz, der Wirt, als die seltsame Gestalt sein Schankhaus betrat.

Abrupt brachen alle Gespräche ab, als der Fremde eintrat. Männer beugten sich zu ihren Nachbarn und flüsterten, während sie auf den Neuen zeigten. Die ganze Atmosphäre war von einem Knistern erfüllt, als ob Elektrizität in der Luft wäre.
Für einen Moment hielt der Tote inne und hob den Kopf. Diejenigen, die ihn ansahen, schauten sofort weg, als sein Blick sie traf. Dann begann der Fremde langsam auf einen freien Tisch zuzugehen, der weiter hinten im Gasthaus war. Jeder in der Schank blickte ihm nach und nachdem der Tote Platz genommen hatte, entspannte sich langsam wieder ein jeder und bald darauf wurde wieder gelacht und laut geredet.
Merkatz ließ seinen Putzfetzen auf der Theke und schlenderte zu dem einsamen Fremden, der in der Ecke saß. Ihm war der Kerl unheimlich, weil er wie ein Toter aussah, aber trotz allem war er ein Gast, der bewirtet werden musste. Merkatz erreichte den Tisch, packte Block und Stift aus.
»Was darfs’n sein, der Herr?«, fragte der Wirt, so freundlich, wie es ihm möglich war.
Der Fremde sah auf. Merkatz war es, als ob tausend Eiszapfen in seinen Magen fuhren und ein riesiger Tausendfüßler seinem Rückgrat auf und ab laufen würde.
Aber der Mann sah ihn nur an, er sagte nichts.
»Was kann ich’n bringen«, wiederholte Merkatz. Er tippelte nervös mit dem Kuli auf seinem Block herum und er glaubte, dass er wieder keine Antwort bekommen würde. Doch er irrte sich.
»Ich hab’ kein Geld.« Die Worte waren sehr leise gesprochen, fast schon geflüstert. Die Stimme des Mannes schwankte. Es war eine raue, tiefe Stimme. Und sie war Merkatz unangenehm.
Er wollte gerade etwas erwidern, als der Mann eine vage Handbewegung machte, die aussah, als ob er Fliegen vertreiben wolle.
»Ich wollte mich ohnehin nur aufwärmen. Es ist kalt draußen.«
Merkatz nickte langsam.
»Nur aufwärmen«, wiederholte der Fremde und versank wieder in seiner Lethargie.
»Ich glaub’ da können wie ’ne Ausnahme machen. Ich bring’ Ihnen ’nen Jägertee, auf Kosten des Hauses.« Der Wirt steckte den Block weg und machte sich auf dem Weg zur Küche. Er selbst wusste nicht genau, warum er diesem Mann gerade einen Tee versprochen hatte. Vielleicht war es Mitleid, denn die halb zerrissene Gestalt dort auf dem Tisch sah aus, als hätte sie einiges mitgemacht. Aber wer hatte das nicht, in dieser verdammten Zeit?
Merkatz bereitete den Tee zu und als er in der Küche stand hörte er, wie der Wind ums Haus heulte. Es klang gespenstisch. Durch das halbgeöffnete Fenster vernahm er das entfernte Jaulen eines Hundes.
Der Wirt ging aus der Küche und brachte dem Fremden den Tee.
Er stellte die Tasse vor die Nase des Mannes und schaute ihn an. Das zerrissene Gewand erweckte Erinnerungen in Merkatz, er wusste nur nicht welche.
Die Gestalt deutete ein Nicken an und gerade als Merkatz wieder gehen wollte, packte ihn der Fremde am Arm. Der Wirt war überrascht wie stark sein Griff war.
»Gibt es hier einen Pfarrer?«, fragte ihn der Fremde.
Merkatz nickte. »Sicher. Was wollen’s denn von ihm?«
Der Mann antwortete nicht direkt. »Ist er hier ... ist der Pfarrer hier?«
Wieder nickte der Wirt. »Da ham’ Sie Glück. Da drüben isser.« Er deutete nach vorn.
»Könnten Sie ihn bitte zu mir holen?«
»Was wollen’s von unserm Pfarrer?«
Der Kopf der Fremden sank leicht hernieder. »Ich möchte ihm etwas erzählen.«
Merkatz runzelte die Stirn und bewegte sich dann doch in Richtung des Tisches, an dem Pfarrer Tomas saß.
»Herr Pfarrer«, begann der der Wirt und deutete mit dem Kopf auf den Fremden. »Der da will Sie sprechen.«
Tomas unterbrach sein Gespräch und schaute zuerst zu der zerlumpten Gestalt in der Ecke des Gasthauses, dann zu Merkatz.
»Was will der Herr denn?«
»Keine Ahnung. Wollte mit dem Pfarrer sprechen. Am besten fragen Sie ihn selbst.«
Ein nachdenklicher Ausdruck erschien auf Tomas’ Gesicht, aber er entschuldigte sich bei den Leuten auf seinem Tisch und ging zu dem Fremden.
»Guten Abend«, sagte der Pfarrer und setzte sich dem Mann gegenüber.
»Herr Pfarrer?«
»Ja, das bin ich.«
»Das ist gut. Das ist sehr gut...« Die Stimme des Mannes wurde schwächer, so als ob er sich zu entfernen begann. Nebenbei bemerkte Tomas, dass ein Besucher das Gasthaus betrat. Als die Tür offen war, konnte man hören, wie der Wind tobte und heulte.
»Gott was für’n Scheißwetter. Der verfluchte Wind war plötzlich da, hätt’ mir fast den verdammten Hut vom Schädel geblasen«, war vom Neuankömmling zu vernehmen und kurz darauf lachten die Männer in der Schank.
Tomas fixierte nun wieder den Fremden am Tisch. »Sie wollten mich sprechen.«
»Das wollte ich, in der Tat. Sehen Sie, Herr Pfarrer, ich hab sehr viel Schlechtes getan. Sehr Schlimme Dinge. Ich hab gesündigt, Herr Pfarrer. Ich möchte bei Ihnen die Beichte ablegen.«
Zuerst dachte Tomas, dass ihn der Fremde auf den Arm nehmen wollte, doch dann hob der Mann den Kopf und der Geistliche sah den Ausdruck in seinen Augen. Sie waren nicht mehr leer. Sie waren voller Qual.
»Das ist ein sehr sonderbarer Ort für eine Beichte, finden Sie nicht?«
»Ich hab keine Zeit mehr, Herr Pfarrer. Sie werden bald da sein.«
Zufällig warf der Pfarrer einen Blick aus dem Fenster und sah, wie Blitze vom Himmel zuckten.
»Wer?«, fragte Tomas.
Ein Gehetzter Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Mannes.
»Sie werden mich holen«, sagte er mit erstickender Stimme.
Es war seltsam. Tomas wäre am liebsten aufgestanden und gegangen, aber irgendetwas an dem Mann fesselte ihn.
»Wer wird Sie holen?«
»Ich hab soviel Schlimmes getan, es tut mir ja so leid. So Leid...« Die Stimme des Mannes wurde immer leiser. Er schluchzte.
Tomas faltete die Hände zusammen und versuchte den Fremden zu beruhigen.
»Erzählen Sie mir doch, was geschehen ist und dann werde ich Ihnen, auch wenn dies nicht der Ort ist, die Beichte erteilen und Sie brauchen keine Schuldgefühle zu haben, einverstanden?«
Der Mann nickte langsam.
»Meine Vergangenheit ist dunkler, als alles andere, was Sie sich vorstellen können, Herr Pfarrer.«
Der Fremde machte eine kurze Pause und Tomas dachte: Ich hab doch schon so vieles gesehen, noch dunkler, als das, was im Krieg geschehen war?
»Es waren so viele. Ich hätte ... ich hätte nicht geglaubt, dass es so viele waren, Herr Pfarrer. Ich hab sie getötet und ich weiß, dass ich bekommen werde, was mir zusteht, aber ich musste es tun ... verstehen Sie?«
Tomas verstand gar nichts. »Sie haben jemanden getötet? Im Krieg?«
Der Fremde nickte eifrig. »Ja, im Krieg.«
»Ich glaube«, begann der Geistliche, doch er wurde unterbrochen, denn ein gewaltiger Donner erklang, so gewaltig, wie tausend Artillerieschüsse auf einmal und das Gebäude erzitterte in seinen Grundfesten. Der Wind brauste auf und wurde zu einem Sturm, Wolken bedeckten die Mondhelle Nacht und Regen prasselte auf die Straßen nieder.
Ein paar Leute schauten aus dem Fenster und schüttelten den Kopf.
»...Das is ja ’n Jahrhundertsturm...«
»... Wo der so schnell herkam...«
Und wirklich, Tomas sah es: Die großen Birken vor dem Gasthof wanden sich im Griff des Sturmes, der Regen fetzte vom Firmament herab und Blitze durchzuckten im Sekundentakt die Nacht.
»Ich glaube«, begann Tomas von Neuem, »dass wenn sie die Männer im Krieg getötet haben. Nun, das sie Ihre Pflicht getan haben.«
Der Fremde sah ihn nicht einmal an. Sein Gesicht von Grausen verzerrt, die Augen weit aufgerissen, starrte er aus dem Fenster.
Sein ganzer Leib zitterte. Die Lippen bebten.
»Gott steh mir bei ... sie sind da«, flüsterte er. Seine Hand schnellte hervor und packte Tomas.
»Herr Pfarrer, vergeben Sie mir, denn ich habe gesündigt. Ich habe nicht im Kampf getötet-«
Er kam nicht weiter. Die Fenster wurden aufgerissen, Regen peitschte herein und nun war das Heulen des Sturmes, das wie ein Wehklagen klang, noch deutlicher zu hören. Die Männer an den Tischen wichen zurück, sie wussten, dass etwas nicht stimmte. Sie konnten es fühlen. Spielkarten wurden herumgewirbelt, Gläser zersprangen, das Licht flackerte. Die Fenster wurden immer wieder gegen die Wand geworfen.
Tock – Tock
Trotz des Sturmes, war das Klopfen von der Tür so deutlich zu vernehmen, als ob es ein stiller Nachmittag wäre.
Der Fremde schrie verzweifelt auf. »Vergebt mir Vater ... vergebt mir ... Es waren nicht meine Feinde, die ich getötet habe...«
Die Tür wurde aufgestoßen, die Lichter gingen aus und im selben Moment erhellte ein gewaltiger Blitz die Szene, sodass man deutlich die Gestalt wahrnehmen konnte, die dort vor der Tür des Gasthauses stand. Kurz darauf ging das Licht wieder an, flackerte aber.
Die Männer im Gasthaus drängten sich nun alle in die Ecke, in der der Pfarrer und der Fremde saßen, Merkatz hatte hinter seiner Theke Deckung gefunden.
Einer der Männer warf einen Blick aus dem Fenster und begann wie wild zu schreien und deutete nach draußen. Gleichzeitig trat die Gestalt in den Gasthof ein. Sie hielt ein Tuch in der Hand bei dessen Anblick der Fremde an Tomas' Tisch unkontrolliert zu schluchzen begann.
»Es war ein Befehle«, schrie er plötzlich. Tomas wusste nun nicht mehr, wem er sich zuwenden sollte. Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, dass die Dunkelheit hinter den Fenstern irgendwie fester war. Und sie wogte hin und her. Etwas formte sich daraus
»Ich konnte nichts dafür. Ein Befehl. Verschwinde! Es war ein Befehl ... Ich musste es tun ...«
Die Gestalt kam näher. Fünf Schritte vor dem Tisch blieb sie stehen und alle duckten sich nun hinter ihren Tischen, Tomas machte das Kreuzeichen und begann zu beten.
Der Eindringling warf jenes Tuch, die er in der Hand gehabt hatte, auf den Tisch, genau vor dem Fremden. Tomas warf einen Blick darauf.
Das Wetter tobte schlimmer denn je und jeder war sich nun sicher, dass hier nicht mehr der Sturm heulte. Ein Klagen und Rufen war jenseits der Mauern des Gasthofes laut geworden, die dunkle Masse bewegte sich, Gesichter formten sich heraus. Doch sie blieben fern vom Licht des Schankhofes.
Tomas erkannte nun, was es war: Eine Uniform.
Hinter ihm sagte der Fremde: »Nein, nein, nein, nein ...«
Tomas hatte sie zu oft gesehen in den letzten Jahren. Zu viele Schmerzen waren damit verbunden. Die SS, schoss es ihm durch den Kopf. Dann sah er zur Gestalt auf, die in ihrem Umhang vor dem Tisch stand. Irgendeiner der Männer hinter ihnen wimmerte.
Sie hatte kein Gesicht, Nebel wallten dort, wo es sein sollte. Er erkannte das Zeichen, das auf der Brust prangerte. Ein Judenstern...
Tomas blickte zu dem Fremden. Er saß zitternd und in halb liegender Stellung auf seinem Platz.
»Nein ... bitte«
Merkatz, der sie Szene aufmerksam beobachtet hatte, sah dann aus dem Fenster. Unglaublich, aber die Dunkelheit war näher gekommen. Hände streckten sich fordernd ins Innere seines Gasthauses. Und er wusste, wen sie wollten.
»Die Nazi-Sau«, schrie Merkatz außer sich. Rundherum tobte nach wie vor die Hölle und sie war kurz davor, hier einzudringen.
»Sie wollen nur das Nazi-Schwein!« Die gesichtslose Gestalt schien langsam zu nicken. Tomas sah auf. Hände trommelten gegen die Wände des Hauses.
»Herr Pfarrer, sprechen Sie mich von meinen Sünden frei, ich flehe Sie an, sonst bin ich verloren.« Der Fremde wagte es kaum zu atmen. Er weinte.
Tomas wich seinem Flehentlichen Blick aus.
»Werfen wir ihn raus!«, hörte der Geistliche Stimmen laut werden.
»Wegen dieser Sau, werden wir hier doch nicht abkratzen.«
»Geben wir den Geistern, was sie wollen!«
Geister? So musste es sein, was sollte es sonst sein?
Tomas hätte ihm vergeben können, das wusste er im selben Augenblick. Hätte er ihm vergeben, diesem fremden SS-Offizier, dann wären die Geister verschwunden. Aber dann dachte er an die Konzentrationslager und an all das Leid, das sie verursacht hatten. Und an den Mann, der mitgeholfen hatte, dieses Leid zu verbreiten. Eine Träne der Scham rollte an seiner Wange herunter. Die Männer aus dem Gasthaus packten den Verzweifelten Offizier und zogen ihn über den Tisch. Er trat aus, schlug um sich, aber bald waren sie alle über ihm, prügelten auf ihn ein und zerrten ihn zum Fenster, wo bereits die Meute wartete. Die Dunkelheit.
»Herr Pfarrer!«
Tomas sah weg und weinte.
Die Männer hatten den armen Teufel bis auf wenige Meter ans Fenster herangezerrt, als er sich ihren Griffen kurz entwand.
»Vergeben Sie mir...sprechen Sie mich-« Schläge prasselten auf ihn ein. Seine Lippe platzte auf, Blut rann über sein Kinn. Dann hoben sie ihn auf. Er schrie, wie jemand, den man bei lebendigem Leibe die Haut abzieht. Sie warfen ihn durchs Fenster, direkt in die Dunkelheit, wo sich sofort Hände heraus bildeten und ihn wegzogen. Sie zogen ihn weg vom Licht, weg von der Hoffnung. Die Männer, wichen schnellstens zurück, obwohl sie wussten, dass sie nichts zu befürchten hatten. Die Dunkelheit hatte, was sie wollte.
Der Offizier brüllte draußen aus Leibeskräften und doch klang es seltsam gedämpft. Die Gestalt im Gasthaus verblasste langsam.
Der Mond schien wieder, die Wolken waren weg und der Sturm hatte sich gelegt.
Die Dunkelheit war fort.