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Lonegunman81
27.08.2004, 07:48
Man kennt das... plötzlich und unerwartet stürtzt Inspiration von allen Seiten auf einen ein! Und dann man muss man schreiben!
Ich hoffe, ihr sagt mir was zu dieser Story!! Bitteschön!

Zum Nachtisch...

Teil1 – Die Risiken von Rauchen und Pinkeln

Das mit dem Rauchen ist schon so eine Sache! Man nimmt sich vor damit aufzuhören, sobald man zum ersten Mal die Fähigkeit verliert, sich anderen mitzuteilen.
Bei mir war das auch so!
Eines Morgens wache ich auf, und wie immer zünde ich mir, um diesen grandiosen Neubeginn meines Lebens zu begrüßen, eine Camel an.
Ziehen, warten, ausatmen, und zwar so, dass der Rauch möglichst ästhetisch im ersten Sonnenschein tanzend zur Decke steigt.
Ich ziehe mir meine Hausschuhe an, um zum Bad zu gehen, denn ich habe schreckliche Angst vor Fußpilz, selbst in meinem eigenen Haus! Ich hatte nie Fußpilz, doch ich achte mehr darauf, dieses Übel zu vermeiden, als meinen beginnenden Lungenkrebs zu bemerken.
Dann stehe ich im Bad, sehe mich im Spiegel und wundere mich wie so oft über den hässlichen, alten Sack, dem neuerdings Haare aus den Ohren wachsen.
Dieser Kerl da vor mir hat die Vierziger bereits hinter sich gelassen, doch der, der ihn so erstaunt betrachtet, fühlt sich noch immer wie Zwanzig.
Nein, das ist gelogen, er bildet sich ein sich so zu fühlen, allerhöchstens denkt er zuweilen wie ein Zwanzigjähriger, was immer man sich darunter vorstellen mag.
Nach dieser unvermeidlichen Begegnung der dritten Art setze ich mich aufs Klo, und lenke mich durch die intensive Beobachtung von Silberfischen von meiner schmerzenden Prostata ab. Ich möchte nämlich vermeiden mir vorzustellen, wie sie langsam zu einem Fußball mutiert um schließlich auszubrechen und ein Eigenleben zu führen.
Aber Niete, da habe ich mich wohl vor der falschen Stelle gefürchtet, denn während die Silberfische mit atemberaubendem Tempo auf dunkle Stellen des Badezimmers zusteuern, tue ich die rasselnden und piependen Geräusche beim Atmen als Alltagsbeschwerden eines Rauchers ab.
Dann klingelt das Telefon, und ich versuche mit runtergelassenen Hosen (ich trage Pyjamas, müssen sie wissen, aber keine Sorge, nicht aus Seide) ins Wohnzimmer zu eilen. Kleine Peepshow für die Nachbarschaft, wobei es nicht viel zu sehen gibt.
Dann hebe ich ab, und nachdem ich über den erfolg meines Lebens informiert werde, möchte ich natürlich mit überschwänglicher Begeisterung reagieren.
Doch da kommt nichts. Ein erbärmliches Hauchen, ein unangenehmes, heiseres Krächzen, und Schluss! Schweigen am andren Ende der Leitung, die Person glaubt sich wahrscheinlich schon falsch verbunden!
Ich versuche es nochmals, mit dem gleichen Ergebnis. Somit unfähig die Situation zu erklären, legt die Person am anderen Ende schließlich auf.
Mein Albtraum ist also wahrgeworden... nicht die Tatsache, nicht mehr reden zu können macht mir so große Angst, sondern der nun unweigerlich zu erfolgende Arzttermin.
Nach einer von panikartigen Gedanken geprägten Fahrt, auf der ich beschließe kein Wort über meine Prostata zu verlieren, komme ich beim Arzt an, Dr. Schlechtenachrichtsetzensiesichundbleibensieruhig.
Der stellt nach kurzer Betrachtung meines Mundraumes und den dahinter liegenden Territorien fest, dass ich zuviel rauche. Grausames Schicksal, wer hätte mit einer solchen Diagnose rechnen können?
Meine Stimmbänder haben sich also für unbestimmte Zeit dazu entschlossen, ihren Dienst zu verweigern und den Streik durchzuhalten, bis bessere Arbeitsbedingungen geschaffen seien.
Doch der gute Doktor versichert mir (hier die gute Nachricht), das es nur ein zeitlich begrenzter Zustand sei, aber er warnt mich auch (hier die schlechte Nachricht, welche wollen sie zuerst hören, ach, das übernehme ich für sie), dass, sollte ich weiterhin soviel rauchen, meine Stimmbänder für immer ihren Geist aufgeben werden.
Was mein erster Gedanke war, fragen sie? Wer braucht schon Stimmbänder, sage ich!
Doch damit war die Sache noch nicht beendet, denn der Herr Doktor will noch einen Komplettcheck mit mir machen. Jetzt, wo ich schon mal da sei.
Nachdem ich erfuhr, was dieser Check ergeben hatte, beschloss ich, Urlaub zu machen.

„Oh dunkler Dunst,
versagt, vergessen, nie wahr,
in dessen Anblick keines Menschen Gunst
verzage nicht, aufrichtig geliebt
doch nun ich Sterbender zum Himmel fahr...

Ich glaubte an Macht
Ich lebte Herrschaft und Babylon
Ich war das Feuer das entfacht
Du wusstest um meine Seele
Du liebtest trotz des Zweifels obschon...

Friedel Jameson“

„Hey, sie! Ich muss sie nun wirklich bitten, diesen Zug zu verlassen. Wir sind am Ende unserer Fahrt angekommen! Sie müssen hier aussteigen!“
Der Mann im lustigen Anzug sah mich gehetzt, fast schon entsetzt an, ganz klar, der Bahnangestellte fürchtete um seinen Feierabend. Ich fragte mich, ob wohl eine Frau im kurzen Schwarzen zuhause auf ihn wartete, aber das war irrelevant und hatte nichts mit den schlechten Kritiken zu tun, die mich aufregten.
„Sind wir das nicht alle?“, fragte ich ihn, ich wollte philosophisch klingen, aber noch lieber hätte ich auf den Kunststoffboden des Zugabteils gekotzt.
„Was sind wir?“, fragte er mich in verwirrtem Tonfall, aber seine rollenden Augen zeigten deutlich, dass ihn die Antwort darauf nicht wirklich interessierte.
„Am Ende unserer Fahrt!“, antwortete ich, und als er daraufhin mit den Schultern zuckte sah ich vor meinem geistigen Auge, wie sich mein Frühstück genüsslich auf seinen Schuhen ausbreitete. Ich stand auf, packte meine spärlich gefüllte Reisetasche und verlies den Zug. Der Mann sah mir zweifelnd nach, und ich schätzte, dass er mich in spätestens zwei Minuten vergessen würde. Ich schätzte, dass er ungefähr Zwanzig Jahre alt sein müsste, und bekam ein schlechtes Gewissen wegen meines Wunsches, seine Schuhe dreckig zu machen. Jetzt fühlte ich mich nicht mehr wie Zwanzig. Ich bildete mir das auch nicht mehr ein. Ich fühlte mich wie ein Sterbender, und es gab keine Chance, das als Einbildung abzutun. Ich war ein Sterbender.
Der Bahnhof war verlassen, nicht mal ein Penner, der in einer Ecker schlief. In diesem Kaff gab es vielleicht nicht einmal Penner, aber das konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wo ich war. Meine Reise sollte mich ans Ende dieser Bahnlinie führen. Egal, wo das war. Aber bei dem mickrigen Bahnhof war ich mir sicher, dass der Begriff „Kaff“ angebracht war.
Als ich den Bahnhof verlies und auf die Strasse trat, bemerkte ich, dass auch hier nicht mehr los war. Kaum ein Mensch unterwegs um die Mittagszeit, aber mir sollte es recht sein.
Ich ging in Richtung eines Parks, wurde dabei allerdings mit jedem Schritt langsamer, da mir das Atmen schwerer fiel, als ich es geahnt hatte.
Ich setzte mich auf eine Parkbank, und meine rasselnde und Piepsende Lunge dankte mir für diese Pause. Dann zündete ich mir eine weitere Zigarette an und warf die leere Schachtel in die Büsche. Nach mir die Sintflut, was für eine Einstellung, verklagt mich doch.
So wie die Kritiker, dachte ich. Damit schlug ich wieder mein Buch auf.
Die Person am Telefon, der ich nicht hatte antworten können, war ein Verleger gewesen. Und dieser Verleger hatte mir mitgeteilt, dass ich am Ziel meiner Träume sei. Nach Jahren der erfolglosen Bemühungen, nach unzähligen Nächten, die ich mit nichts anderem als Tippen verbracht hatte, war nun endlich ein Verlag bereit gewesen, ein Buch von mir zu veröffentlichen. Ein Versuch, sagten sie. Eine Chance, sage ich.
Es war kein Roman, sondern eine Sammlung kurzer Geschichten, Essays, und einige Gedichte, manches auch gemischt. Einiges ungewöhnlich, man könnte auch sagen neu, und somit einen Versuch wert.
Ich sah nun also in mein erstes Buch, und wunderte mich darüber, warum es so schlechte Kritiken eingefahren hatte. Ich suchte mir die Stellen, die am meisten verrissen worden waren, und fand sie noch immer gut. Was wussten schon Kritiker? Auf die Leser kam es an. Und mein Buch hatte immerhin genug Leser gefunden, um den Verlag darüber nachdenken zu lassen, ob das Buch eine Fortsetzung erhalten würde.
So saß ich also da im Park, schwer atmend, schwer konzentriert, schwer zu übersehen. Und schwer damit beschäftigt, den Gedanken an die nächste Kippe zu verdrängen. Ich sage ihnen, ist man erst mal da wo ich bin, lassen sich schwer Gründe gegen das Rauchen finden.
Aber da ich noch etwas Zeit verlangte, wollte ich es auch nicht übertreiben. Doch der Gedanke an die Schachteln in meiner Reisetasche war immer präsent.
Mangels Mitmenschen, die ich dort im Park hätte beobachten können, folgte ich den zu Boden schwebenden Blättern. Der Herbst kündigte sich an, und das machte sich auch durch die gesunkene Temperatur bemerkbar. Doch mutig dieser Widrigkeit trotzend folgte ich dem immer lauter werdendem Ruf meiner Blase und suchte Deckung hinter einem der dicht bewachsenen Büsche, um die Pflanzen zu bewässern. Ich rechnete nicht wirklich damit, von jemandem gesehen zu werden, erst recht nicht von irgendeinem Ordnungshüter, doch trotzdem brauchte ich die Sicherheit dieses Busches. Ich bin ein Hemmpisser, und ich stehe dazu! Meine Hose lies ich daher auch nur ein Stück herab, und spürte so deutlich das Fläschchen in der linken Tasche. Immer bei mir, seid ich diese Reise beschlossen hatte. Es sollte mich bis zum Ende dieser meiner Reise begleiten.
Während ich nun so dastand und von einem Gefühl der Erleichterung erfasst wurde, musste ich über den Gedanken schmunzeln, doch erwischt zu werden. Was für eine Schlagzeile das wäre, „Friedel Jameson, Autor von `Fliegender Wechsel – Gedichte und Gedanken´ beim Wildpinkeln erwischt“. Natürlich war mir klar, das nie eine Schlagzeile mit meinem Namen in irgendeiner Zeitung stehen würde (womit ich übrigens im unrecht sein sollte), aber andererseits hat jeder seine eine Schlagzeile verdient.
„Schön abtropfen lassen, du Trottel“ rief nun jemand von irgendwo hinter mir, und der Schreck lies meinen Strahl sofort zu einem Tröpfeln verkümmern.
Schuldbewusst sah ich mich um, hörte aber nur wie jemand davonrannte. Nachdem das spärliche Zubehör wieder verpackt war, ging ich zurück zu meiner Bank, und jetzt erst wurde mir klar, wieso man mich als „Trottel“ tituliert hatte. Meine Reisetasche war weg. Und mit ihr meine Zigaretten. Für einen Wutausbruch war ich zu schwach, und so hustete ich mir alle Frustration aus dem Leib.
Ich beschloss die nächste Polizeidienststelle aufzusuchen und verlies den Park. Die Ausbuchtung in meiner linken Hosentasche erinnerte mich daran, dass alles nur halb so schlimm war. Meine Reisetasche würde ich nicht mehr lange brauchen.
Als ich an einem Zigarettenautomaten vorbeikam, kratzte ich die letzten Reste Kleingeld aus meinen Hosentaschen zusammen... und wie immer in solchen Situationen reichte es nicht.
Da sah ich einen Mann an der Straße stehen, scheinbar auf irgendetwas wartend, und ich beschloss, „pumpen“ zu gehen.

edit: Danke für den schnell erfolgten Comment, Wohan! Übrigens hatte ich einen sehr dummen Fehler im Text, den ich schon korrigiert habe. Statt Lungenkrebs hab ich Brustkrebs geschrieben, naja!

Wohan
27.08.2004, 08:41
PUH ......irgendwie sehr tiefgreifend genial, diese Raucher Gedanken....nur auf das eine fixierte kenne ich , nicht von mir persönlich aber aus meinen Umkreis was dieser Geschichte noch einen gwaltigen Schlag realität gibt.

Aber es ist schon erschreckend wie der Autor in der Geschichte so schnell und plötzlich " absteigt" ihm alles gleichgütlig ist außer seine primitiven Bedürfnisse zu Rauchen.....beängstigend und macht sich echt sorgen wie man vielleicht seleber irgendwann mal endet.
Aber auch wenn die Geschichte noch so tiefgängig und ...ich sag mal Traurig ist so fällt einen bei deiner Schreibweise schwer nicht zu schmunseln.

Alles in einen ein gutes Werk mit gewohnt guten Still und Form und wie immer gut rein versetzbar und ergreifend :A :A :A

Mopry
27.08.2004, 22:53
Ein schöner langer Text. ^^
Und kaum etwas zu bemängeln. Ein Kritiker würde jetzt vielleicht noch so einiges finden. Aber ich begnüge mich einfach mal mit einer Bewunderungsbekundung. =3

Es freut mich immer wieder was von dir zu lesen. Du beschreibst erschreckend gut was in den Menschen vorgeht. Einfach nur klasse.
*lauert auf mehr* ^.^

Pyrus
28.08.2004, 03:52
Wie gewöhnlich erst mal alles, was mir negativ aufgefallen ist...


Man nimmt sich vor damit aufzuhören, sobald man zum ersten Mal die Fähigkeit verliert, sich anderen mitzuteilen.
Ich mag den Satz nicht. Er erzeugt nicht wirklich Spannung, sondern lässt bloss Verwirrung zurück. Würde den weglassen, oder wenigstens weniger umständlich formulieren, damit man beim Lesen nicht gleich mal ins stolpern kommt. Ausserdem ist das ja wohl keine Erfahrung, die jeder Raucher schon gemacht hat, trotzdem äusserst du sie sehr allgemein.


Ich hatte nie Fußpilz, doch ich achte mehr darauf, dieses Übel zu vermeiden, als meinen beginnenden Lungenkrebs zu bemerken.
Streich den Satz, bitte. Den Gedankengang macht jeder Leser selbst, er will dann nicht noch so plump darauf hingewiesen werden.


wie sich mein Frühstück genüsslich auf seinen Schuhen ausbreitete
Hmm... Also meine Kotze hat keinen Sinn für Genuss.


Zur Endstation: Um an einem Bahnhof auszusteigen und nicht zu merken, wo man ist, muss man ja fast blind sein...



Du liebtest trotz des Zweifels obschon...
"trotz" und "obschon" lassen sich in dem Satz irgendwie gar nicht vereinbaren. Ich verstehe überhaupt nicht, was die Zeile für eine Aussage haben soll.

Das Gedicht sagt mir eigentlich allgemein nicht sonderlich zu...


Der Herbst kündigte sich an, und das machte sich auch durch die gesunkene Temperatur bemerkbar.
Ist etwas sehr umständlich so. "kündigte sich an, was sich auch durch..." wäre schon viel besser.


Was mich etwas irritiert hat, waren die plötzlichen Wechsel in die direkte Anrede in Richtung Leser. Kam sehr selten vor und mutet in diesem Text seltsam an, da er nicht in der Weise eingeleitet wurde und auch sonst nicht wirklich an eine bestimmte Adresse gerichtet zu sein scheint. Ich würde sowas in Zukunft von Anfang an deutlicher machen oder sein lassen.


So, mag sein, dass ich ne Menge noch übersehen habe, wurde beim Durchsehen auch durch die Foren-Down-Zeit unterbrochen. Aber ich hoffe, du kannst mit dem hier was anfangen.


Ansonsten... Nette Geschichte. Raucher werden deswegen zwar nicht aufhören, aber vielleicht lernen sie, sich ihre Kippen nicht klauen zu lassen ;>.

Lonegunman81
28.08.2004, 16:02
Diesmal kann ich deine Kritik leider nicht umsetzen. Das sind zwar alles punkte, die schon auffallen, aber trotzdem sind sie bewusst von mir geschrieben.
So ist z.B. nicht die Kotze an sich genüßlich, sondern die Art, wie sie sich langsam ausbreitet. Ich finde das "positive" Wort in Verbindung mit dem Abstoßenden steigert dessen Ekligkeit. Klar, muß nicht jeder so sehen!
Der erste Punkt stimmt schon etwas, das erlebt wohl nicht jeder Raucher. Aber irgendwie gefällt er mir in deisem Zusammenhang, daher möcht ich ihn lassen.
Das mit dem Fußpilz seh ich echt ganz anders, wir folgen hier ja zum Teil den Gedankengängen vom guten alten Friedel, und da find ich es unterhaltsam zu sehen, wie er sich selbst seiner Schwächen bewusst ist bzw. der Absurdheit dieser Situation!
Der Herbstsatz ist nicht sooo toll, aber auch nicht sooo schlecht, dass ich ihn ändern müsste!
Das Gedicht ist wirklich schlecht, befürchte ich, ich war nie gut darin! Aber immerhin transportiert es eine Aussage, und wenn man die nicht gleich erkennt, dann ist es gut so. Solltest du sie erkannt haben, Zareen (ist ja nicht allzu anspruchsvoll), dann könntest du ja mal in einer freien Minute ein inhaltlich ähnliches verfassen!? Ich wär dir dankbar, denn wie gesagt, das hab ich nicht so drauf! :\

Lonegunman81
29.11.2004, 21:12
Teil 2 – Der fremde Mann, der Hof und der Keller

Ich stehe hier und mein Atem scheint zu einem Hamsterfurz verkommen zu sein. Erstens weil er stinkt, und zweitens weil er kaum wahrzunehmen ist. Mir wäre zwar danach, in tiefen Zügen zu atmen, um meiner aufkeimenden Panik gerecht zu werden, aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht. Da steht sie vor mir, diese Tür, diese entsetzliche Tür. Sie ist schwarz lackiert, doch ist vom einstigen Glanz dieses Lacks wenig geblieben. An allen Ecken ist er abgeblättert, und direkt unter dem wabenförmig unterteilten Fenster, das in den oberen Teil der Tür eingelassen ist, löst sich der Lack beinahe völlig auf.
Dieses Fenster, durch das man die meiste Zeit nichts als Dunkelheit sehen konnte, lässt nun ein schwaches Licht durch.
Er ist da unten. Aber, um Himmels willen, er ist nicht alleine!

Die Zigarette des Fremden habe ich ohne Probleme bekommen, und er war so freundlich dabei, dass wir gleich ins Gespräch kamen. Er erzählte mir, dass er noch nie dieses Kaff verlassen hatte, nicht mal in seiner Kindheit, nie! Was muss das für ein Gefühl sein, nichts von der Welt zu kennen als einen einzigen Ort?
Er habe einen Fernseher, das war seine Antwort. Einleuchtend, das mag dem ein oder anderen genügen um die Welt kennen zu lernen. Ich erfuhr, dass er ein großer Filmfan ist, spezialisiert auf romantische Komödien. Er hat wohl jeden dieser Schinken gesehen, von X Hochzeiten bis zu tausend Todesfällen, fragen sie mich nicht, ich hasse Filme.
Aber dafür lese ich, und vor allem schreibe ich, und das interessierte ihn wiederum sehr. Natürlich kannte er nichts von mir, ein Seltenleser hält sich wohl eher an die überall bekannten Autoren. Er zumindest.
Als wir beide merkten, dass es auf der Straße zu kalt war für einen längeren Plausch, schlug er vor, Essen zu gehen. Im einzigen Gasthaus des Ortes.

„Sie wissen auch wirklich, was sie da tun, ja? Einem Wildfremden, der vorgibt, bestohlen worden zu sein, ein Essen auszugeben?“ Es viel mir schwer, mein Gegenüber nicht mit Bolognese Soße zu benetzen, aber ich wollte doch sicher gehen, nicht zum Tellerwaschen verurteilt zu werden.
„Ich finde, sie und ich, wir haben sofort einen guten Draht zueinander gehabt! Das sollte man feiern. Sie sehen aus, als hätten sie schon länger nicht mehr gefeiert! Ist das Leben als Schriftsteller so hart?“ Er musterte mich interessiert, aber auf eine freundliche Art! Alles an diesem Mann strahlte Freundlichkeit und Wärme aus. Was für ein Zufall, so jemanden am Ende des Pfads zu treffen.
„Nein, das Schriftstellerleben ist noch viel härter. Jetzt, da ich weiß, dass ich in wenigen Tagen, vielleicht in wenigen Wochen, sterben werde, geht es mir schon viel besser!“ Ich grinste ihn trotzig an, doch sein zutiefst entsetzter Gesichtsausdruck ließ mein Grinsen mit den Spaghetti zusammen den Hals runter laufen, um dort einen hartnäckigen Knoten zu bilden.
„Tut mir leid, Galgenhumor“, sagte ich leicht erstickt, und es tat mir wirklich Leid. Dieser Mann hatte es nicht verdient, mit meinem wehleidigen Sarkasmus bestraft zu werden. Es genügte schon, mich selbst zu bestrafen. Und mir eine weitere Zigarette anzuzünden.
„Wofür entschuldigen? Dafür, dass sie noch nicht sterben wollen? Da sehe ich keinen Sinn. Ich würde nicht anders reagieren. Ist es…“, er starrte kurz auf meine Zigarette, „…die Lunge?“
Während ich meine Zigarette anhustete, gingen mir schuldbewusste Gedanken durch den Kopf. Hatte ich ein Recht noch leben zu wollen? Ich arbeitete noch immer hartnäckig daran, das Ende zu beschleunigen.
„Ist nicht schwer zu erraten, oder?“
Er schwieg. Ich auch.
Ich sah aus dem Fenster neben mir und mein Blick fiel auf einige Kinder, die draußen Fangen oder etwas Ähnliches spielten. Ich konnte ihr Lachen nicht hören, aber man sah es in ihren Gesichtern. Sie jagten einem dickeren Jungen hinterher, der verzweifelt versuchte, eine Mauer zu erklimmen… erfolglos, denn schon lag er wie eine Schildkröte hilflos auf dem Rücken.
Das Leben wird weitergehen, überall, als hätte es mich nie gegeben.
Meine Exfrau hatte die „Lücke“, die ich hinterlassen haben mochte, schnell gefüllt mit einem Marktleiter der örtlichen Dschinghis-Filiale. Dschinghis – alles für die Frau. Hätte ich geahnt, wie weit diese Werbeslogan zu deuten ist, hätte ich ihr nie jahrelang Weihnachtsgeschenke dort besorgt. Egal… Vergangenheit, so wie ich bald Vergangenheit sein würde. Keine Kinder, keine Brüder und Schwestern. Die Eltern schon lange begraben.
„Es ist gut so, oder nicht? Dass sie immer ihre Spiele spielen werden, und das im Herbst immer die Blätter fallen werden!“ Ich sah ihn verloren an, denn ich fühlte mich verloren. Ich wollte, dass mich jemand findet und nach Hause bringt. Wo immer das sein mochte.
„Ja, ich denke das ist gut so.“ Ein freches Grinsen huschte über sein Gesicht.
„Was? Was ist so lustig?“
„Ich denke außerdem, dass man merkt, dass sie Schriftsteller sind! Sie denken zu viel!“
Ich lachte, ich lachte laut und herzlich, und bald fiel er mit in das Lachen ein, und ich ließ mir das Lachen auch nicht von meinem schmerzhaften Hustenanfall oder dem besorgten Gesichtsausdruck des Mahlzeitspenders vermiesen. Ich lachte weiter, bis mir die Tränen kamen, ob aus Schmerz oder Freude war mir egal, ich wollte lachen.

„Und hier soll ich wohnen? Sind sie sicher?“ Ich sah ihn zweifelnd an.
„So lange sie möchten! Der Hof hier gehört mir, seit meine Eltern vor 10 Jahren starben, und ich habe hier sonst niemanden. Sie sehen, wir haben einiges gemeinsam. Aber ich werde keinen namenlosen Mann hier wohnen lassen.“
Er streckte seine Hand aus, und ich ergriff sie ohne Zögern.
„Bill Vincent Waltersen, aber ich denke Bill reicht!“
„Friedel Jameson, aber ich denke Todgeweihter reicht!“
Er sah mich ruhig an. „Ich bevorzuge Friedel… auch wenn es ein ungewöhnlicher Name ist!“
Wieder musste ich lachen, und ich war froh, diesen Mann und diesen Ort gefunden zu haben.
Der Hof lag abseits des Dorfes, und es gab hier, jenseits der wenigen Felder, Wald so weit das Auge reichte. Ein schöner, ruhiger Platz, um mit den Dingen ins reine zu kommen, hoffte ich.

Die erste Nacht war großartig für mich, denn zum ersten mal seit langem schlief ich an einem Stück durch. Keine Alpträume, keine Ängste. Dieser Ort hatte etwas magisches an sich, etwas, das mir mein Leben erleichterte.
Bills Frage während des Frühstücks, ob mich in der Nacht auch kein Lärm gestört hätte, konnte ich sichtlich zu seiner Zufriedenheit beantworten.
„Schön, dass es dir hier gefällt! Wir werden gleich mal einen Rundgang machen. So kann ich dir alles hier mal etwas vorstellen!“
Ich aß mein Frühstück fertig, Rührei mit Bauernbrot… und raten sie was: Keine Bauchschmerzen seit langem!
Der Rundgang war sehr interessant. Es gab einen Schuppen, in dem Hühner ihre Arbeit verrichteten, und sogar eine Wiese mit einigen wenigen Kühen. Kein Schlachtvieh, wie er mir verriet, reine Milchversorgung. Ich probierte etwas frische Milch und musste mich übergeben. Ich glaube nicht, dass es an der Milch lag, viel eher wollte mich mein Körper wohl daran erinnern, das nichts mit mir in Ordnung war, so sehr ich es hier auch glauben mochte. Doch ich hörte meinem Körper nicht zu, genauso wenig wie ich auf die Schreie der Zigarettensucht achtete. Seit ich hier angekommen war, hatte ich keine Zigarette mehr berührt. Und darauf war ich auch etwas stolz! In meinem Leben hatte ich das bisher nur einmal geschafft, und das auch nur, weil es auf der sinkenden Fähre, auf der ich mich zu dem Zeitpunkt befand, und dem dazukommenden Rettungsboot keine Zigaretten gab. Aber das ist eine andere Geschichte.

Schließlich neigte sich unser Spaziergang dem Ende zu, als ich eine Scheune erblickte, die unter einem Haufen von Ästen versteckt und mit einer dicken Schicht von Moos überwachsen kaum zu erkennen war.
„Was ist das da für eine Scheune?“ Kein Husten? Ich machte Fortschritte.
„Ach das… ich hatte sie fast vergessen. Diese Scheune war… mein Bruder lebte dort. Aber das ist lange her.“ Der unruhige Tonfall und der verkniffene Gesichtsausdruck von Bill verrieten mir, dass ihm die Angelegenheit unangenehm zu sein schien. Trotzdem musste ich nachhaken. Diese Hütte schien so gar nicht zum Rest des Geländes zu passen. Sie beunruhigte mich, gleichzeitig zog sie mich auf eine finstere Art und Weise an… wie eine Schachtel Zigaretten, von der man weiß, dass sie einem den Rest geben wird.
„Dein Bruder lebte in einer Scheune? Ist das nicht ungewöhnlich? Wo ist er heute?“
Doch schon als ich ihm die Frage stellte war mir die Antwort klar.
„Er ist tot. Und er lebte dort weil… er anders war.“ Bill atmete tief durch und sah gedankenverloren zur Scheune.
„Heute ist dort nur noch der Eingang zu den Kellern. Aber da ist nichts. Ich gehe nicht mehr dort hin.“
Nun sah er mich direkt an.
„Und, nimm es mir nicht übel, ich rede auch nicht mehr darüber.“
Als wir weiter gingen, spürte ich ein Frösteln, das über meinen Körper kroch. Mir war, als würde uns die Scheune hasserfüllte Blicke nachwerfen.

Lonegunman81
26.01.2005, 01:31
Ehm, ich hab in einem der Posts von einem der Mods gelesen, das wenn man nach langer Zeit nix zu seinem Kram gehört hat, man einmal pushen kann!
Das mach ich jetzt mal, vielleicht isses damals etwas untergegangen!
Da ich ganz gern weitermachen würde hier, wüßte ich aber vorher gern, was so die generelle Meinung zum zweiten Teil ist!
Wär jedenfalls nett, daher einmal... *push*! :rolleyes:

Wohan
26.01.2005, 03:45
Ach was bin ich froh das du , Lone mich heute noch mal auf dein Text hier aufmerksam gemacht hast und da ich ich ihn auch heut doch noch gelesen habe denn ,

Er ist wiedermal sehr gut gelungen , IMO ...bringt viel Atmosphäre rein vorallem am Ende , wobei der erste Teil für mich persönlich schwer zu lesen war , nicht von deinem schreiben her sondern eher mit meinen eigenen Gefühlen momentan welches die Sache mit deinen Hauptprotagonisten und seinen Problemen , die was ich aber hier jetzt nicht näher erläutern möchte sehr ans Herz ging und mich fast stoppen lies , ws aber glücklicherweise nicht ging da jener Text mich doch drängte weiter zu lesen , was auch gut war, denn er scheint in der größten Not doch einen wieder Hoffnung vermitteln zu wollen , Hoffnung mit sich selbst und seinen Körper wieder ins Reine zu kommen ......wobei das Ende doch irgendwie was dunkles erahnen läßt ......spooocky

Nun da jetzt ja EINER sein Comment abgelassen hat hoffe ich das du weiter schreibst udn dich von deiner Schreibkrise nicht beirrend läßt .

Grüße

Ich :p