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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Kurzgeschichte] - ohne Titel -



Pyrus
28.07.2004, 04:07
Grob peitschte Wasser in sein Gesicht, überspülte das liederlich zusammengebundene Floss und seine Füsse, die nach Halt suchten. Mit aller Kraft, was nicht mehr gerade viel war, paddelte er in Richtung Ufer. Doch er schaute nicht ein einziges Mal auf, um sich zu vergewissern, ob das Ufer tatsächlich vor ihm war. Vor den brennenden Augen flackerten wirre Bilder seiner Universität, der Familie, und ein erschlagend grosses Kalenderblatt mit dem heutigen Datum: 27. Juli. Seine aufgeweichten Füsse schmerzten und manchmal glaubte er zu sehen, wie sich unter ihnen Blut mit Wasser vermischte. In seinem Kopf pochte das Blut stechend, doch das war er mittlerweile gewohnt. Sein ganzer Körper fühlte sich kraftlos an und es schien ihm, als würde durch seine Anstrengungen direkt die Muskelsubstanz aufgebraucht. Doch diese ganze Szenerie und der Schmerz fühlten sich irreal an.
Sein Blick verliess den Körper und sah ihn nun von weit weg, gegen einen reissenden Strom kämpfen, der sich weiter vorne in die bodenlose Tiefe eines Wasserfalls hinunterstürzte. Ringsum war nur eine grüne Einöde, unwegsamer Urwald. Aber dennoch: festes Land. Solange man festes Land unter den Füssen hat, geht es weiter. Und solange es weitergeht, besteht Hoffnung. Gebannt starrte er sich selbst zu, wie er gegen die unbändige Macht der Wassermassen kämpfte. Nein, bändigen würde er sie niemals können, aber vielleicht konnte er ihnen wenigstens entkommen? Seine letzte Hoffnung, der letzte Halt zerschellte an einem Felsen, der scharf und beständig aus der Flut ragte. In hohem Bogen wurde er ins Wasser geworfen, von einem Strudel erfasst und er verlor sich aus den Augen. Irgendwo unter ihm wurde sein Körper von seelenlosen Gewalten hin und her und gegen Steine geworfen. Doch er tauchte nochmals auf, schlug wild um sich, doch ohne Hoffnung, ohne Ziel. Die Kraft verliess ihn beim Wasserfall. Ihm schwanden die unwirklich anmutenden Sinne vollends, als er in die Tiefe geschleudert wurde.
Blitzartig kommt er zu sich. Der Blick springt sofort auf die Uhr: zu spät. Benommen reibt er die brennenden Augen und vergräbt dann seinen pochenden Kopf in den Armen, wie um sich vor dem Chaos, das ihn umgibt zu beschützen. Dabei war dieses Chaos sein Zuhause. Schonend steht er auf, sucht sich wankend einen Weg durch benutzte Wäsche und unberührte Studienunterlagen zu seinem Computer und überprüft das Datum: 27. Juli. Beim nächsten Schritt in Richtung Badezimmer zerbricht eine CD-Hülle unter seinen nackten Füssen und er zuckt vor Schmerz zusammen. Nach einer halben Stunde unter der Dusche, wirft er noch einen Blick in sein Zimmer und wünscht, dass dieser sein letzter wäre. Mit Mühe widersteht er der Versuchung mit den Streichhölzern aus der Küche die Vergangenheit zu vernichten. Während ihn draussen die Helligkeit der Sonne quält, ist er froh darüber, kein Feuer gelegt zu haben: sein Kopf protestiert und ist alles andere als klar, aber er funktioniert noch. Er kann noch vernünftige Entscheidungen fällen. Seine nächste vernünftige Entscheidung ist ein wenig zu spazieren. Ohne sein Zutun bringen ihn seine Füsse direkt zur Uni. Er betrachtet sie, wie eine Sehenswürdigkeit. Ein wichtiges Gebäude aus vergangenen Zeiten. Da die Prüfungen bald vorüber sein werden, geht er weiter. Gegen Abend würde er einige Telefonate erledigen und wenn es ging schon morgen das Wichtigste aus dem Heim seiner Vergangenheit entfernen.
Zwei Wochen später betritt eine Räumungsmannschaft die verlassene Wohnung, flucht über das Chaos und befördert eine Menge Gerümpel und wenige nützliche Dinge hinaus.

Serpico
28.07.2004, 04:34
wirklich nett...

allerdings würde ich nicht sagen, dass er sich aus den augen verlor ...dadurch ist sofort klar, dass es ein traum ist (find ich) und das doppelgemoppel mit entscheid würd' ich auch noch mal überarbeiten...

aber weiter so! ;)

Pyrus
28.07.2004, 04:41
Doppelgemoppel war irgendwie Absicht. Bleibt drum jetzt auch drin.

Und von wegen Traum: ich behaupte jetzt einfach mal, dass es sich um ein Videospiel handelt (was mir jetzt keiner glauben muss :p)


aber weiter so!
Das hoffe ich auch. Das war sozusagen der Versuch eine Jahre andauernde Schreibblockade zu überwinden.

Goddess
28.07.2004, 23:51
Ich finde den ersten Teil Deiner Geschichte richtig gut, aber irgendwie will mir der Übergang zum realen Leben nicht gefallen. Vielleicht würde ich es lieber mögen, wenn der erste Teil länger wäre und der zweite etwas kürzer... hmm, ist aber nur IMHO! ;)

Aber sonst sehr gut formuliert und trifft im Großen und Ganzen meinen Geschmack... :)

Valada
31.07.2004, 09:31
Ich hatte Dir negative Kritik versprochen, hier kommt sie.
Das Beispiel mit dem reißenden Fluß ist irgendwie ausgelutscht, man merkt gleich, dass es eine Metapher für's Leben sein soll.
Rein schreibtechnisch sollte man zudem vermeiden Wörter in kurzen Abständen zu wiederholen:
"...wie sich unter ihnen Blut mit Wasser vermischte. In seinem Kopf pochte das Blut stechend,..."
"... Er kann noch vernünftige Entscheide fällen. Sein nächster vernünftiger Entscheid ist ein wenig zu spazieren..."
Oder die brennenden Augen, jeweils anfangs im Traum und im Wachseins erwähnt.
Sowas klingt einfach blöd, wenn es nicht einen bestimmten stilistischen Effekt hat. Wobei Du mir auch gerne erklären kannst, ob es einen haben sollte, den ich übersah. ^^
Zumindest bei den Augen ist es garnicht mal so schlecht, weil es die Paralelle zwischen Fiktion und Realität auszudrücken vermag.
Der Übergang zum Wachsein kam exakt an der Stelle, wo man ihn erwartete. Wer träumt schon den eigenen "Tod" ? Langweilig. ^^
Was ich gut fand, ist der Ausdruck "er funktionierte noch". Alles, was zählt, ist zu funktionieren in diesem Staat. Es klingt so richtig schön verbiestert, und zusammen mit dem Ende zynisch.
So wie ich das verstehe, hat er wohl doch nicht so richtig "funktioniert." Wobei das Ende zeimlich offen ist und ich einfach einen Suizid reininterpretiere.
Die Idee war gut, die Umsetzung nicht. IMHO.

Pyrus
31.07.2004, 09:51
Du hast recht, der Fluss ist ein sehr ausgelutschtes Bild und auch das zu sich kommen ist genau da, wo man es erwartet. Allerdings erwartet man das zu sich kommen dort, weil man meist an dieser Stelle zu sich kommt. Was realistisch ist, ist nicht gleich plump ;).

Zu den Wiederholungen: Das mit dem Blut ist schlecht. Die brennenden Augen sind aber bewusst so, den Grund hast du ja schon selbst genannt. Der doppelte Entscheid (mittlerweile in Entscheidung geändert), war auch beabsichtigt. Hat mir einfach gefallen und ich finds immer noch überhaupt nicht schlecht.

Wäre für mich noch ganz hilfreich, wenn du mir noch genauer erläutern könntest, weshalb du am Ende auf Suizid kommst, bzw. wo du das Gefühl bekommen hast, dass er doch nicht ganz "funktionierte".

Und danke für die ausführliche Kritik (und eigentlich auch ermutigende Kritik, weil wenn die Idee gut war, hätte ich vielleicht sogar was draus machen können).

Valada
12.08.2004, 12:21
Original geschrieben von Zareen
Wäre für mich noch ganz hilfreich, wenn du mir noch genauer erläutern könntest, weshalb du am Ende auf Suizid kommst, bzw. wo du das Gefühl bekommen hast, dass er doch nicht ganz "funktionierte".

Da ich g'rad so am Schreiben bin, will ich hier auch noch antworten.
Wie komme ich darauf ? Zuerst der Selbstmordgedanke, der ergibt sich hauptsächlich durch den letzten Satz: "Zwei Wochen später betritt eine Räumungsmannschaft die verlassene Wohnung, flucht über das Chaos und befördert eine Menge Gerümpel und wenige nützliche Dinge hinaus."

Wenn er nur woanders hingegangen wäre, hätte er seine Sachen mitgenommen oder selber entsorgt. Räumkomandos tauchen eigentlich nur auf, wenn der Besitzer der Wohnung in die Klapse gesteckt wird oder verstorben ist. Zudem erweckt die Formulierung "wenige nützliche Dinge" den Eindruck, dass das Leben des Eigentümers trist und grau war, er also nicht viele Gründe hatte, im Leben zu bleiben.
Auch die Tatsache, dass keine Anverwandten sondern ein Unternehmen sich um die verlassene Wohnung kümmert, deutet auf ein wenig erfreuliches Leben hin. Und ist damit ein Grund mehr eben jenes zu verlassen.

Warum er doch nicht funktionierte... nun, hätte er es, hätte er die Prüfungen wiederholt, wäre "seinen" Weg, wie in seine Umgebung am liebsten sah, weitergegangen. Das ist er aber nicht, hat also für das System nicht funktioniert.

Pyrus
12.08.2004, 22:53
Erstmal danke, Val, dass du dir nochmal Zeit genommen hast.

Räumkomandos tauchen eigentlich nur auf, wenn der Besitzer der Wohnung in die Klapse gesteckt wird oder verstorben ist.
Oder wenn er spurlos verschwunden ist, der Vollständigkeit halber ;).


Zudem erweckt die Formulierung "wenige nützliche Dinge" den Eindruck, dass das Leben des Eigentümers trist und grau war, er also nicht viele Gründe hatte, im Leben zu bleiben.
Er hatte ja vor das Wichtigste noch zu holen, bevor er verschwindet. Ende zweitletzter Abschnitt.


Warum er doch nicht funktionierte... nun, hätte er es, hätte er die Prüfungen wiederholt, wäre "seinen" Weg, wie in seine Umgebung am liebsten sah, weitergegangen. Das ist er aber nicht, hat also für das System nicht funktioniert.
Ich glaube, du hast das Funktionieren etwas anders aufgefasst, als ich es gemeint habe. Ich meinte nicht das Funktionieren in der Gesellschaft, sondern das in-sich-selbst keine Defekte haben; Entscheidungen zu fällen, hinter denen man stehen kann.