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La Cipolla
26.05.2004, 03:16
Ich war schrecklich müde an diesem Tag, aber meine Augen fielen nur selten zu, wie sie es sonst in dieser Situation öfters taten. Der Grund war simpel und ernüchternd, denn der Vollmond stand hämisch grinsend am Firmament und klemmte meine Augenlider an die Brauen, so blieb mir nichts anderes übrig, als mich auf dem schwarzen Dach auszustrecken und zu warten, dass der Schlaf mich überwindete. Der Wind war lau an diesem Herbstmorgen und es würde noch eine Weile dauern, bis die Sonne ihre Strahlen über die Berge warf.
"Na, auch mondsüchtig?"
Ich stemmte mich leicht überrascht auf die Beine und blickte zur anderen Seite des Gebäudes, wo ein Mädchen stand, recht offensichtlich, die enge Lederkleidung ließ kaum einen Fehlschluss zu. Ihre Augen, die selbst im matten Licht des Mondes grünlich zu glühen schienen, betrachteten argwöhnisch meine Klamotten. Neben den abgetretenen, schwarzen Sandalen trug ich eine etwas zu lange dunkelgraue Schlabberhose, die über den Füßen auf dem Dach schliff sowie eine schwarze Decke, mantelartig um den Oberkörper geschwungen.
"Ja. Aber ich schlafe auch sonst selten um diese Zeit."
Das Mädchen lächelte und machte einige Schritte auf mich zu. Ihre Haare, man konnte ihre Farbe im Dunkeln nicht genau erkennen, hingen ihr bis zu den Schultern, waren aber, so voll, wie sie erschienen, nicht von einem Frisör geschnitten, sondern einfach nur gekürzt. Ebenfalls auffällig war die Tatsache, dass ihre Schritte trotz den Lederstiefeln, die sie trug, keinerlei Geräusche verursachten, abgesehen von dem unausweichlichen Knarren des Wellbleches. Die Absätze hatte sie wohl entfernt und die Sohlen mit einer Stoffschicht überzogen, eine Taktik, die mir nicht so ungewöhnlich erschien, wie es bei gewöhnlichen Leuten wohl gewesen wäre. Ich selber trug schließlich immer ein unglaublich dickes Paar Socken mit mir, mit Drähten durchzogen, um den Druck des rauhen Untergrunds abzufedern, ohne dabei Krach zu verursachen.
"Ich werde wohl auch kein Auge zukriegen, bis der verdammte Mond untergegangen ist. Wollen wir nicht ein wenig herumziehen?"
Ich blickte ihr in die Augen und überlegte. Nein. Die Ordnungshüter hier waren nicht einmal mehr motiviert genug, einem über die Dächer zu folgen, und weiß Gott, Spitzel, so was gab es nur in Filmen.
"Du solltest wissen, dass ich mich selten, nein, wenn ich ehrlich bin, niemals mit irgendwelchen Frauen treffe."
Als Antwort auf ihre fragenden Blicke fügte ich ein entrüstetes "Geschweige denn mit Männern!" hinzu, woraufhin sie leise kicherte. Dieser Satz war eigentlich meine Standardantwort, aber, als ich der jungen Frau in die grünen Augen schaute, hatte ich beinahe Probleme, diese Worte emotionslos auszudrücken, daher musste es wohl ein wenig gekünstelt herüber gekommen sein.
"Ach, komm schon, andere, denen du diese Antwort entgegen geschleudert hättest, hätten dich wahrscheinlich lachend stehen gelassen."
Durchaus. Das war schließlich der Sinn der Sache.
"Aber mich wirst du so schnell nicht los. Und, was ist?"
Sie legte ihren Kopf auf die Schulter und lächelte auf eine Art, die mich verlegen machte. Ich nickte.
"In Ordnung. Auf welchem Weg sollen wir gehen?"
"Ich würde sagen, unten, hier oben sind wir doch die ganze Nacht."
"Da hast du wohl Recht. Um diese Zeit ist es unten sowieso noch schöner als am Tag."
Die Einkaufsstraße war leer, so früh am Morgen, und die Laternen schimmerten nur matt auf Sparstrom. Selbst die Penner schliefen schon, nur ein vereinzeltes Bellen hörte man von ihren verwahrlosten Kötern. Das Mädchen henkelte sich bei mir ein und das kalte, glatte Leder ihrer Handschuhe berührte meine Fingerspitzen. Sie schaute mich an, als ihre flüstergleichen Worte erklangen und sich der Ruhe der Nacht anpassten.
"Trägst du immer abgeschnittene Handschuhe?"
"Ja. Ich fühle mich wie ein Gabelstapler, wenn etwas auf meinen Fingern hängt."
Sie kicherte leise und drückte sich noch ein wenig näher an mich. Ihre Worte waren nun unhörbar für den Rest der Welt, der in diesen Augenblicken nicht mehr als eine unwichtige Nebenrolle spielte.
"Was ist mit Fingerabdrücken?"
Ich schwieg eine Weile und mein Atem kondensierte in der kühlen Luft, ebenso der Ihre.
"Was nützen sie, wenn man nicht weiß, wem sie gehören?"
"Sehr optimistische Einstellung."
Trotz der wenigen Worte, die gefallen waren, hatten wir schon ein Stück zurückgelegt und der Boulevard neigte sich seinem Ende zu. Eines der letzten Gebäude war mir wohlbekannt. Davon abgesehen, dass der Besitzer dieses Restaurants gleich darüber wohnte, mitsamt dem unglaublich wertvollen Schmuck seiner Gattin, von dem schon an so manchem Tag das ein oder andere Stück verschwunden war, hatte die Fast Food - Kette als Einzige durchgehend geöffnet.
"Lass uns einen Happen essen, das Letzte war bei mir eine Packung kalter Bouletten aus dem Supermarkt."
"Wenn du mich aushältst, gerne. Aber pass auf, dass ich nicht zu viel esse, sonst werde ich irgendwann noch fetter, als ich eh schon bin."
Ein kurzer Blick auf ihren Körper ließ mich schmunzeln, aber ich ließ sie in ihren Wahnvorstellungen bleiben. Es gab durchaus Stellen, die mit mehr gesegnet waren, als man dort sonst sah, aber ihre Taille gehörte definitiv nicht dazu, und bei dem Rest hätte sich niemand darüber beschwert. Meine Hand drückte die Tür mit dem großen gelben, stilisierten M zur Seite und wir traten ein. Die Verkäuferin trug die ewig gleiche, merkmalslose Uniform und starrte uns gelangweilt an.
"Was darfs sein?"
Wir mussten einen recht eigenwilligen Anblick darstellen, meine Begleitung ganz in Leder, ich mit meinem improvisierten Poncho, aber, wenn man jahrelang in einem Fast Food - Restaurant gearbeitet hat, wundert man sich nur noch über wenige Dinge.
"Bitte einen McChicken.", sagte das Mädchen.
"Für mich bitte auch."
"Zwo mal McChicken!!", donnerte die Kassiererin zu den unsichtbaren Arbeitskräften im Hintergrund. Man durfte zwei Uhr morgens keine Gastfreundschaft erwarten. Das Mädchen und ich ließen uns an einem kleinen Tisch nieder und mir fielen abermals ihre Haare auf, deren nussbraune Strähnen zerzaust in den Nacken fielen. Obwohl ihre Frisur, wenn man sie so nennen wollte, durch die offensichtlich einfach mit einem Messer abgeschnittenen Haare doch recht ungepflegt aussah, fand ich die junge Frau plötzlich unglaublich hübsch, wie sie auf ihrem Stuhl saß und auf den McChicken wartete, aber ich bezweifelte, dass es anderen Männern ebenso gegangen wäre. Meine Blicke waren ihr wohl nicht entgangen, jedenfalls schmunzelte sie, als die Burger gebracht wurden. Wie es aussah, hatte auch sie länger nichts mehr gegessen, denn man konnte ihre Art, das Hühnerbrötchen zu verspeisen, nicht gerade mit der einer feinen Dame vergleichen, aber bei mir verhielt es sich auch bloß nicht anders. Wir mussten beide grinsen, als das Mahl nach wenigen Momenten in unseren Mägen verschwunden war, und als selbst die Kassiererin uns anschaute, als wären wir dem Stadtzoo entflohen. Kurz darauf verließen unsere Schritte das Restaurant und die Dämmerung rückte langsam näher. Das Mädchen lächelte abermals und zeigte mit dem Finger auf die Fenster über sich.
"Warst du schon einmal dort?"
"Ja. Die Leute sind schrecklich naiv, sie merken kaum, wenn etwas fehlt."
Ihr stummes Nicken, verbunden mit einem freudigen Schmunzeln, gab mir Recht. Ohne noch ein Wort zu verlieren, lief sie auf das Haus zu und setzte ihren Stiefel an die Wand.
"Komm."
Ich rammte meine kurzen Fingernägel in die Rillen, die beim Zusammenmauern der Backsteine entstanden waren und zog mich hoch. Die junge Frau musste mehr Kraft innehaben, als ihre dünnen Arme vermuten ließen, jedenfalls erreichte sie das Dach noch lange vor mir. Die Sonne schielte schon über den Horizont und die Fremde legte sich auf die Ziegel.
"Der Mond ist untergegangen."
Ich ließ mich neben ihr nieder und schaute ihr in die grünen Augen.
"Bis morgen, wenn der Mond wieder auf uns herab blickt."
Ihre Lippen drückten sich kurz auf meine Stirn, dann schliefen wir ein, und die ersten Menschen erschienen auf dem Boulevard unter uns.





@Medivh, ravenous_rat und den Rest der Leute, die mich kennen: Das ICH in dieser Story bin nicht ich, nur, um mir komische Kommentare zu ersparen...;) . Diese Kurzgeschichte entstand eher nach der Vorlage eines kranken Traumes und ich hoffe, das Mädchen war eine Vision, nicht nur ein Traum.:rolleyes:

NeoInferno
26.05.2004, 21:25
Liest sich gewohnt gut :)
Ich kann zwar keine tiefere Intension entdecken (ausser die, dass man sich bei Vollmondnächten mehr auf Dächern rumtreiben sollte *g*) und auch einige Formulierungen würde ich austauschen (evtl. "Obdachloser" o.Ä. anstatt "Penner") aber ansonsten gute Geschichte für zwischendurch.

Neo

La Cipolla
27.05.2004, 21:23
Tiefere Intension gibts auch kam, da die Story wie gesagt einen meiner kranken Träume beschreibt, da wollt ich nicht noch wie sonst mit Gewalt einen Sinn reinquetschen...:rolleyes:
Wenn überhaupt: Es gibt auch Leute, die dann aktiv sind, wenn selbst die Disco-Gänger pennen, und als "Lykantroph" gehört man da ja unfreiwillig dazu. Und das mit den Formulierungen stimmt, hört sich anders echt besser an, thanks.http://www.multimediaxis.de/images/smilies/old/sm_12.gif :D