Lisa Jewell
27.03.2004, 17:55
Für alle die ähnliches erlebt haben und sich darin wiedererkennen.
Ein guter Freund – nennen wir ihn der Einfach halt halber „Detlef“ - besuchte mich gestern. Normalerweise sind es fröhliche und lustige Treffen . Wir gucken zusammen die aktuelle Folge von FRIENDS, spielen uns die neusten CDs vor, lästern über unseren gemeinsamen Freundes- und Bekanntenkreis, gehen ins Kino, in Kneipen, auf Konzerte oder auf eine Party. All das was man macht, wenn man jung und hübsch ist und diesen Zustand genießen will ... oder - wie unserem Fall - man beides nicht (mehr) ist, aber sich noch an dieses Lebensgefühl klammert.
Weil wir uns gegenseitig sexuell nicht sonderlich ausziehend finden und eine Beziehung für uns nicht in Frage käme, haben wir das seltenen Glück einfach nur befreundet sein zu können. So grauenhaft ich mir Detlef als meinen Partner vorstelle, so glücklich schätze ich mich, ihn als Freund zu haben. Uns verbindet die Abneigung gegen Alkohol, der Humor, der Musikgeschmack, die Leidenschaft für Rollenspiele und die grundsätzlichen Ansichten zu allen relevanten politischen Themen. Mit anderen Worten: Er ist meine beste Freundin - die ich eigentlich gar nicht habe.
Gestern spielte das jedoch alles keine Rolle. Detlef war deprimiert, niedergeschlagen und badetet in einer großen Wanne, angefüllt mit Selbstmitleid. Er erzählte mir die Geschichte seines letzten Jahres, die er mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hat. Um euch auch nichts vorzuenthalten, reiche ich dieses Siegel nun an euch weiter.
Es begann ziemlich genau vor einem Jahr...
Detlef hatte eine längere Phase in seinem Leben hinter sich, die er einfach nur „vergammelt“ hatte. Zuviel Drogen, zuviel Fernsehen, zuviel essen...keinen Job, nicht mal eine abgeschlossene „vernünftige“ Berufsausbildung. Außerdem war er so fett, dass Frauen in seinem Leben schon länger keine Rolle mehr spielten und sein Selbstwertgefühl am Boden lag.
Es war ihm jedoch gelungen den schlimmsten Teufelskreis zu durchbrechen. Er hatte sich wieder aus seiner Wohnung getraut, sein unterbrochenes Studium wieder aufgenommen, sich neue Ziele gesetzt und damit den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht Er nahm wieder am Leben teil, anstatt nur traurig zu beobachten, wie es an ihm vorbei zog. Er war noch längst nicht wieder glücklich, aber es war schon viel besser als die Zeit davor.
Zu der Zeit fing er an in einem großen Forum für Film- und Fernsehen zu lesen, auf dass er ganz zufällig gestoßen war, weil er sich über einen aktuellen Kinofilm informieren wollte. Er hatte mit diesem Medium noch nicht viel Erfahrung und war fasziniert, dass man im Internet jede Menge Informationen erhalten und Gleichgesinnte treffen konnte, um mit ihnen darüber zu diskutieren. Bislang war das Internet für ihn nur ein Medium, um Terminabsprachen für die nächste Rollenspielsitzung zu machen und sich Bilder von nackten Frauen an zu gucken. Das es auch ein Mittel der Kommunikation mit völlig Fremden sein konnte, war für ihn ein neuer, reizvoller aber gleichzeitig auch erschreckender Gedanke.
Trotzdem verfolgte Detlef nun regelmäßig dieses Forum und nach ein paar Tagen, traute er sich sogar selbst – natürlich nur ganz zaghaft - seine Meinungen und Beobachtungen zu formulieren. Und siehe da, er bekam tatsächlich Reaktionen darauf.
„In so ein Forum zu posten, ist, wie Selbstgespräche zu führen, nur dass plötzlich jemand antwortet“ dachte er sich und ihm gefiel dieser Gedanke.
So wurde er langsam mutiger mit dem was er schrieb und traute sich immer durchdachtere Texte zu verfassen, die auch schon nach kurzer Zeit fast gar nichts mehr mit Filmen zu tun hatten. Dafür die er zum Teil auch persönliche Antworten in seinen privaten Emailkasten bekam. Das stärkte sein Selbstwertgefühl doch erheblich. Spätestens seit dem, hatte er keine Scheu mehr seien Gedanken zu posten.
Offenbar fühlten sich davon nicht wenige – vor allem weibliche – Menschen, sehr angesprochen, denn in den kommenden Wochen, hatte Detlef plötzlich viele neue und sehr liebe Emailkontakte.
Für ihn war diese Art Menschen kennen zu lernen, vollkommen neu und aufregend. Mit einer Frau zu flirten ohne das Äußerlichkeiten eine Rolle spielten kam ihm sehr gelegen.
Detlef fuhr in dieser Phase durchaus mehrgleissieg, ohne den einzelnen Frauen dies auf die Nase zu binden, aber in letzter Konsequenz nahm er diese Kontakt ohnehin nicht so schrecklich ernst. Die neckischen Emails waren für ihn in erster Linie spaßig, mit einer klitzekleinen „Vielleicht ja doch“-Option.
Der Herbst zog ins Land und Detlefs Motivation sich weiter in den Foren herum zu treiben, wurde merklich geringer. In der Zeit zerbrachen auch die meisten von diesen Mail-Bekanntschaften und ihm wurde klar, wie oberflächlich ein Großteils des Kontakts doch war. Aber es gelang ihm auch ein paar wenige - besonders lieb gewonnen – Freundschaften hinüber zu retten, auf das sie auch ohne die Basis eines Forum funktionierten.
Der Inhalt in diesen Briefwechseln hatte ohnehin schon lange nichts mehr mit Film und Fernsehen zu tun, sondern man erzählte sich sehr persönliche Gedanken, Episoden aus dem eigenen Leben und diskutierte über alles was einem grade bewegte. Diese Form des Schreibens war zwar ähnlich anonym wie im Forum, aber noch persönlicher und zudem mit (fast) garantiertem Zuspruch und Unterstützung. Die Emailpartner waren nicht nur Zuhörer von Selbstgesprächen, sondern fast schon eine Art Tagebuch, dass antwortet.
Aber wenn sich Männlein und Weiblein schon solche persönlichen Dinge schreiben, dann bleibt das oft genug nicht nur auf einer freundschaftlichen Ebene. Auch das Interesse an den „nicht-platonischen“ Aspekten einer Freundschaft wurde geweckt und Detlef tauschte mit seiner „Mail-Favoritin“ die ersten Pläne aus, sich auch mal persönlich zu treffen und zu Beginn des Jahres wurde die auch in die Tat umgesetzt.
Detlef wollte mir gestern keine Details davon berichten, aber er machte die Erfahrung, daß es zwei sehr unterschiedliche Paar Schuhe sind, ob man eine Menschen nur schriftlich, oder eben auch leibhaftig, kennen lernt.
Man erfährt auf schriftlichen Weg, sehr viele private/intime Dinge bereits sehr frühzeitig übereinander, für die man bei einem konventionellen Kennenlernen viel länger bräuchte, um sie sich zu gestehen. In einem Brief ist einfach viel weniger Platz für Small Talk und da man nicht so schnell das Gefühl hat, dass einem bestimmte Themen peinlich sind, schreibt man sie eher auf, als, sie jemandem von Angesicht zu Angesicht zu erzählen. Dadurch kommt eine sehr vertraute Atmosphäre auf.
Andererseits neigt man bei so einem schriftlichen Kontakt dazu, zu vergessen, dass einige Dinge, die bei einem direkten, persönlichen Verlauf des Kennenslernens selbstverständlich sind, vollkommen unter den Tisch fallen. So ist der Humor eines Menschen auf schriftlichem Weg nur schwer zu beurteilen und seine Ausstrahlung ebenfalls.
Detlef machte die Erfahrung, dass es mit seiner „Lieblingsmailfreundin“ im richtigen Leben nicht paßt.
Darüber war er sehr enttäuscht und zog sich komplett von diesem Medium „Internet“ zurück, um sich auf sein normales Leben zu konzentrieren. Er stellte es völlig ein, in irgendwelche Foren zu schreiben und beendete auch die zwei anderen Mailkontakte, die ihm verblieben waren.
Ein paar wenige Wochen ging es gut, bis sich dann wieder eine Freundin aus dieser Zeit bei ihm meldete und den Kontakt wieder aufnehmen wollte. Detlef war mittlerweile wieder in einem Gemütszustand, in dem er zwar nicht auf der Suche nach einer Mailfreundin war, aber dem „Angebot“ durchaus wohlwollen gegenüber stand.
In nur kurzer Zeit wurde aus diesem Mailkontakt, wieder ein (mehrmaliges) tägliches Ritual und niemand und nichts schien Detlef mehr Freude zu bereiten, ihn besser zu verstehen und begehrenswerter für ihn zu sein, als eben diese Frau (die noch weiter entfernt lebte, als seine erste Bekanntschaft).
Erneut nur ein paar Wochen später, kam es zum ersten realen Treffen, denn sie besuchte Verwandte in Detlefs Heimatstadt und hatte sich zwei Abende für ihn reserviert.
Diese Treffen, verbrachten die beiden bis spät in die Nacht in Kneipen, lachten, scherzten und verstanden sich blendend. Sex spielte dabei überhaupt keine Rolle, es gab noch nicht einmal einen Kuss, aber Detlef war ab Mitte des erstens Abends bis über beide Ohren verliebt. Der „schriftliche“ Eindruck wurde nicht nur bestätigt, sondern sogar weit übertroffen.
Leider schien das jedoch nicht erwidert zu werden. Mehr als „freundschaftliche Wellen“ konnte er beim besten Willen nicht von ihr empfangen und so fuhr sie wieder nach Hause und Detlef ließ den Kopf hängen und überdachte erneut den Sinn solcher Bekanntschaften.
Um so überraschter war er, als sich in den Emails in den folgenden Tagen herausstellte, dass sie ganz genauso empfindet wie er...inkl. der Überzeugung, daß es nicht auf Gegenseitigkeit beruht.
Danach gab es jedoch kein Halten mehr. In den Emails wurden die letzten schüchternen Schranken fallen gelassen, man schloss sich virtuell in die Arme und nur kurze Zeit später auch im richtigen Leben.
Detlef verbrachten einen wunderbaren Winter. Größtenteils am Computer aber gewürzt mit einigen Treffen, für die die Beiden auch größere Unannehmlichkeiten in Kauf nahmen und es immer wieder schafften ein zeitliches Plätzchen dafür zu finden.
Alles schien wundervoll zu sein, aber vor einem guten Monat beendete Detlefs Freundin dann die Beziehung aus heiterem Himmel und ohne Darlegung genauerer Gründe. Sie meldete sich einfach nicht mehr und ignorierte seine Versuche.
Die Geschehnisse des Winters hatte ihr Verhältnis dass als „virtuelle Bekanntschaft“ begann, zu einem Reallife-Erlebnis gemacht und so echt fühlte sich der Schmerz von Detlef jetzt auch an. Diesmal ging er den umgekehrten Weg und flüchtete mit seinem Kummer zurück in die virtuelle Welt.
Er entstaubte seinen Nick-Name und fing wieder an in seinen Lieblingsforen zu posten. Zunächst seine Trauer bejammernd, in Hoffnung ein paar tröstende Worte zu bekommen und als er diese Unterstützung tatsächlich bekam, fing er auch wieder an, ins „normale“ Forumsleben einzutreten.
Alles lief glänzend, Detlef fühlte sich an Board wieder sehr wohl und war prächtig abgelenkt von den Kümmernissen im Leben außerhalb seiner 4 Wände. Er war auf dem besten Wege die Frau die ihn verließ zu vergessen, auch wenn es immer noch in ihm bohrte, warum und wieso sie diesen Schritt Unternommen hatte.
Vorgestern hatte er dann plötzlich Post von ihr im Mailkasten. Sie meldete sich, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, wie alles abgelaufen ist und um ihm doch noch ihre Beweggründe zu erläutern.
Diese Beweggründe waren ganz einfach. Sie schrieb, daß Sie diese ganze „Internetliebelei“ nicht sonderlich ernst genommen habe und für sie schon frühzeitig abzusehen war, daß sie und Detlef einfach nicht zusammen passen. Außerdem habe sie jetzt einen anderen, der auch durch eine viel bessere Verfügbarkeit überzeugt.
Gestern war Detlef bei mir und jammerte darüber, daß über das Internet eben doch keine normalen Freundschaften/Partnerschaften zu führen sind. Bestimmte Stimmungsschwankungen könne man eben schriftlich nicht erkennen. Wenn einer will, erfährt der Mensch am anderen Ende der Leitung sehr viel über einen, aber wenn man nicht will, erfährt er gar nichts.
Außerdem läuft man auf diesem Weg sehr leicht Gefahr, sich bei jeder Art von Freundschaft viel zu viel von seinem eigenen Wunschbild in den Freund hinein zu projizieren und viel zu wenig den Menschen selbst sehen.
Es war eben doch keine „echte“ Partnerschaft die er geführt hatte und ihm nun diesen Kummer bescherte und schon wieder spielt er mit dem Gedanken, dieser virtuellen Welt den Rücken zu zu wenden. Zumindest will er aber die Internet- und Realwelt strikt zu trennen und sich nie wieder auf einen ernsthaften Kontakt über dieses Medium einlassen.
Von mir wollte er nun Zuspruch für seine Pläne und jede Menge Streicheleinheiten haben. Aber da hatte sich geschnitten, von mir gab es nur einen Rat: Sorge dich nicht...Lebe!
Wenn du so viel Spaß in einem Forum hast, dann baue dieses virtuelle Dasein in dein Reallife ein! Gehe zu Community-Treffen, lerne die Menschen kennen, die da jeden Tag ihren (mehr oder weniger) Unsinn in die Tastatur hämmern. Verstecke dich nicht hinter einem Usernamen und teile dein Leben nicht in zwei Welten ein, denn so wirst du keinen von beidem gerecht. Nur so kannst du verhindern, dass du dein Reallife nicht vernachlässigst und das Forum nicht überbewertest. Man neigt zwar dazu, all die User in so einem Forum für interessanter und reizvoller zu halten, als die Menschen mit denen man alltäglich persönlichen Kontakt, aber wenn man die einmal persönlich kennen gelernt hat, wird einem schnell klar, dass das auch nur ganz normale Menschen sind wie du und ich – Nicht mehr, aber natürlich auch nicht weniger! Der Fehler ist keineswegs, diese Internetwelt überhaupt zu genießen, der Fehler ist vielmehr, in sie mehr Erwartungen zu stecken, als sie erfüllen kann.
Ich fand mich bei dieser kleinen Ansprache ausgesprochen vernünftig und logisch, aber offenbar war es auch noch ziemlich unsensibel. Detlef wird das alles sicherlich selbst wissen und gestern war er in erster Linie auf der Suche nach jemanden der ihn in den Arm nimmt. Hoffentlich hat er so jemanden dann noch gefunden, nachdem er fluchtartig meine Wohnung verlassen hat.
Wie hieß es doch noch: Ratschläge sind auch Schläge“ :rolleyes:
Detlef spricht sich aus, Detlef spricht sich aus
Ich muß ihm zuhören, doch ich möchte raus
Hilfe, Detlef spricht sich aus
...in seine Beziehung hat er so viel Gefühl investiert,
jetzt findet er, daß sie sich nicht rentiert
und er leidet an einem Vertrauensdefizit - oder so, oder so, oder so...
Das ist, was er mir verriet
Detlef ist ein langweiliger Trottel, doch er schämt sich nicht
...im Gegenteil...er liefert mir einen kompletten Bericht...
Detlef spricht sich aus, Detlef spricht sich aus
Ich muß ihm zuhören, doch ich möchte raus
Hilfe, Detlef spricht sich aus
(Aus dem Song „Detlef spricht sich aus“ von Bernd Begemann)
Ein guter Freund – nennen wir ihn der Einfach halt halber „Detlef“ - besuchte mich gestern. Normalerweise sind es fröhliche und lustige Treffen . Wir gucken zusammen die aktuelle Folge von FRIENDS, spielen uns die neusten CDs vor, lästern über unseren gemeinsamen Freundes- und Bekanntenkreis, gehen ins Kino, in Kneipen, auf Konzerte oder auf eine Party. All das was man macht, wenn man jung und hübsch ist und diesen Zustand genießen will ... oder - wie unserem Fall - man beides nicht (mehr) ist, aber sich noch an dieses Lebensgefühl klammert.
Weil wir uns gegenseitig sexuell nicht sonderlich ausziehend finden und eine Beziehung für uns nicht in Frage käme, haben wir das seltenen Glück einfach nur befreundet sein zu können. So grauenhaft ich mir Detlef als meinen Partner vorstelle, so glücklich schätze ich mich, ihn als Freund zu haben. Uns verbindet die Abneigung gegen Alkohol, der Humor, der Musikgeschmack, die Leidenschaft für Rollenspiele und die grundsätzlichen Ansichten zu allen relevanten politischen Themen. Mit anderen Worten: Er ist meine beste Freundin - die ich eigentlich gar nicht habe.
Gestern spielte das jedoch alles keine Rolle. Detlef war deprimiert, niedergeschlagen und badetet in einer großen Wanne, angefüllt mit Selbstmitleid. Er erzählte mir die Geschichte seines letzten Jahres, die er mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hat. Um euch auch nichts vorzuenthalten, reiche ich dieses Siegel nun an euch weiter.
Es begann ziemlich genau vor einem Jahr...
Detlef hatte eine längere Phase in seinem Leben hinter sich, die er einfach nur „vergammelt“ hatte. Zuviel Drogen, zuviel Fernsehen, zuviel essen...keinen Job, nicht mal eine abgeschlossene „vernünftige“ Berufsausbildung. Außerdem war er so fett, dass Frauen in seinem Leben schon länger keine Rolle mehr spielten und sein Selbstwertgefühl am Boden lag.
Es war ihm jedoch gelungen den schlimmsten Teufelskreis zu durchbrechen. Er hatte sich wieder aus seiner Wohnung getraut, sein unterbrochenes Studium wieder aufgenommen, sich neue Ziele gesetzt und damit den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht Er nahm wieder am Leben teil, anstatt nur traurig zu beobachten, wie es an ihm vorbei zog. Er war noch längst nicht wieder glücklich, aber es war schon viel besser als die Zeit davor.
Zu der Zeit fing er an in einem großen Forum für Film- und Fernsehen zu lesen, auf dass er ganz zufällig gestoßen war, weil er sich über einen aktuellen Kinofilm informieren wollte. Er hatte mit diesem Medium noch nicht viel Erfahrung und war fasziniert, dass man im Internet jede Menge Informationen erhalten und Gleichgesinnte treffen konnte, um mit ihnen darüber zu diskutieren. Bislang war das Internet für ihn nur ein Medium, um Terminabsprachen für die nächste Rollenspielsitzung zu machen und sich Bilder von nackten Frauen an zu gucken. Das es auch ein Mittel der Kommunikation mit völlig Fremden sein konnte, war für ihn ein neuer, reizvoller aber gleichzeitig auch erschreckender Gedanke.
Trotzdem verfolgte Detlef nun regelmäßig dieses Forum und nach ein paar Tagen, traute er sich sogar selbst – natürlich nur ganz zaghaft - seine Meinungen und Beobachtungen zu formulieren. Und siehe da, er bekam tatsächlich Reaktionen darauf.
„In so ein Forum zu posten, ist, wie Selbstgespräche zu führen, nur dass plötzlich jemand antwortet“ dachte er sich und ihm gefiel dieser Gedanke.
So wurde er langsam mutiger mit dem was er schrieb und traute sich immer durchdachtere Texte zu verfassen, die auch schon nach kurzer Zeit fast gar nichts mehr mit Filmen zu tun hatten. Dafür die er zum Teil auch persönliche Antworten in seinen privaten Emailkasten bekam. Das stärkte sein Selbstwertgefühl doch erheblich. Spätestens seit dem, hatte er keine Scheu mehr seien Gedanken zu posten.
Offenbar fühlten sich davon nicht wenige – vor allem weibliche – Menschen, sehr angesprochen, denn in den kommenden Wochen, hatte Detlef plötzlich viele neue und sehr liebe Emailkontakte.
Für ihn war diese Art Menschen kennen zu lernen, vollkommen neu und aufregend. Mit einer Frau zu flirten ohne das Äußerlichkeiten eine Rolle spielten kam ihm sehr gelegen.
Detlef fuhr in dieser Phase durchaus mehrgleissieg, ohne den einzelnen Frauen dies auf die Nase zu binden, aber in letzter Konsequenz nahm er diese Kontakt ohnehin nicht so schrecklich ernst. Die neckischen Emails waren für ihn in erster Linie spaßig, mit einer klitzekleinen „Vielleicht ja doch“-Option.
Der Herbst zog ins Land und Detlefs Motivation sich weiter in den Foren herum zu treiben, wurde merklich geringer. In der Zeit zerbrachen auch die meisten von diesen Mail-Bekanntschaften und ihm wurde klar, wie oberflächlich ein Großteils des Kontakts doch war. Aber es gelang ihm auch ein paar wenige - besonders lieb gewonnen – Freundschaften hinüber zu retten, auf das sie auch ohne die Basis eines Forum funktionierten.
Der Inhalt in diesen Briefwechseln hatte ohnehin schon lange nichts mehr mit Film und Fernsehen zu tun, sondern man erzählte sich sehr persönliche Gedanken, Episoden aus dem eigenen Leben und diskutierte über alles was einem grade bewegte. Diese Form des Schreibens war zwar ähnlich anonym wie im Forum, aber noch persönlicher und zudem mit (fast) garantiertem Zuspruch und Unterstützung. Die Emailpartner waren nicht nur Zuhörer von Selbstgesprächen, sondern fast schon eine Art Tagebuch, dass antwortet.
Aber wenn sich Männlein und Weiblein schon solche persönlichen Dinge schreiben, dann bleibt das oft genug nicht nur auf einer freundschaftlichen Ebene. Auch das Interesse an den „nicht-platonischen“ Aspekten einer Freundschaft wurde geweckt und Detlef tauschte mit seiner „Mail-Favoritin“ die ersten Pläne aus, sich auch mal persönlich zu treffen und zu Beginn des Jahres wurde die auch in die Tat umgesetzt.
Detlef wollte mir gestern keine Details davon berichten, aber er machte die Erfahrung, daß es zwei sehr unterschiedliche Paar Schuhe sind, ob man eine Menschen nur schriftlich, oder eben auch leibhaftig, kennen lernt.
Man erfährt auf schriftlichen Weg, sehr viele private/intime Dinge bereits sehr frühzeitig übereinander, für die man bei einem konventionellen Kennenlernen viel länger bräuchte, um sie sich zu gestehen. In einem Brief ist einfach viel weniger Platz für Small Talk und da man nicht so schnell das Gefühl hat, dass einem bestimmte Themen peinlich sind, schreibt man sie eher auf, als, sie jemandem von Angesicht zu Angesicht zu erzählen. Dadurch kommt eine sehr vertraute Atmosphäre auf.
Andererseits neigt man bei so einem schriftlichen Kontakt dazu, zu vergessen, dass einige Dinge, die bei einem direkten, persönlichen Verlauf des Kennenslernens selbstverständlich sind, vollkommen unter den Tisch fallen. So ist der Humor eines Menschen auf schriftlichem Weg nur schwer zu beurteilen und seine Ausstrahlung ebenfalls.
Detlef machte die Erfahrung, dass es mit seiner „Lieblingsmailfreundin“ im richtigen Leben nicht paßt.
Darüber war er sehr enttäuscht und zog sich komplett von diesem Medium „Internet“ zurück, um sich auf sein normales Leben zu konzentrieren. Er stellte es völlig ein, in irgendwelche Foren zu schreiben und beendete auch die zwei anderen Mailkontakte, die ihm verblieben waren.
Ein paar wenige Wochen ging es gut, bis sich dann wieder eine Freundin aus dieser Zeit bei ihm meldete und den Kontakt wieder aufnehmen wollte. Detlef war mittlerweile wieder in einem Gemütszustand, in dem er zwar nicht auf der Suche nach einer Mailfreundin war, aber dem „Angebot“ durchaus wohlwollen gegenüber stand.
In nur kurzer Zeit wurde aus diesem Mailkontakt, wieder ein (mehrmaliges) tägliches Ritual und niemand und nichts schien Detlef mehr Freude zu bereiten, ihn besser zu verstehen und begehrenswerter für ihn zu sein, als eben diese Frau (die noch weiter entfernt lebte, als seine erste Bekanntschaft).
Erneut nur ein paar Wochen später, kam es zum ersten realen Treffen, denn sie besuchte Verwandte in Detlefs Heimatstadt und hatte sich zwei Abende für ihn reserviert.
Diese Treffen, verbrachten die beiden bis spät in die Nacht in Kneipen, lachten, scherzten und verstanden sich blendend. Sex spielte dabei überhaupt keine Rolle, es gab noch nicht einmal einen Kuss, aber Detlef war ab Mitte des erstens Abends bis über beide Ohren verliebt. Der „schriftliche“ Eindruck wurde nicht nur bestätigt, sondern sogar weit übertroffen.
Leider schien das jedoch nicht erwidert zu werden. Mehr als „freundschaftliche Wellen“ konnte er beim besten Willen nicht von ihr empfangen und so fuhr sie wieder nach Hause und Detlef ließ den Kopf hängen und überdachte erneut den Sinn solcher Bekanntschaften.
Um so überraschter war er, als sich in den Emails in den folgenden Tagen herausstellte, dass sie ganz genauso empfindet wie er...inkl. der Überzeugung, daß es nicht auf Gegenseitigkeit beruht.
Danach gab es jedoch kein Halten mehr. In den Emails wurden die letzten schüchternen Schranken fallen gelassen, man schloss sich virtuell in die Arme und nur kurze Zeit später auch im richtigen Leben.
Detlef verbrachten einen wunderbaren Winter. Größtenteils am Computer aber gewürzt mit einigen Treffen, für die die Beiden auch größere Unannehmlichkeiten in Kauf nahmen und es immer wieder schafften ein zeitliches Plätzchen dafür zu finden.
Alles schien wundervoll zu sein, aber vor einem guten Monat beendete Detlefs Freundin dann die Beziehung aus heiterem Himmel und ohne Darlegung genauerer Gründe. Sie meldete sich einfach nicht mehr und ignorierte seine Versuche.
Die Geschehnisse des Winters hatte ihr Verhältnis dass als „virtuelle Bekanntschaft“ begann, zu einem Reallife-Erlebnis gemacht und so echt fühlte sich der Schmerz von Detlef jetzt auch an. Diesmal ging er den umgekehrten Weg und flüchtete mit seinem Kummer zurück in die virtuelle Welt.
Er entstaubte seinen Nick-Name und fing wieder an in seinen Lieblingsforen zu posten. Zunächst seine Trauer bejammernd, in Hoffnung ein paar tröstende Worte zu bekommen und als er diese Unterstützung tatsächlich bekam, fing er auch wieder an, ins „normale“ Forumsleben einzutreten.
Alles lief glänzend, Detlef fühlte sich an Board wieder sehr wohl und war prächtig abgelenkt von den Kümmernissen im Leben außerhalb seiner 4 Wände. Er war auf dem besten Wege die Frau die ihn verließ zu vergessen, auch wenn es immer noch in ihm bohrte, warum und wieso sie diesen Schritt Unternommen hatte.
Vorgestern hatte er dann plötzlich Post von ihr im Mailkasten. Sie meldete sich, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, wie alles abgelaufen ist und um ihm doch noch ihre Beweggründe zu erläutern.
Diese Beweggründe waren ganz einfach. Sie schrieb, daß Sie diese ganze „Internetliebelei“ nicht sonderlich ernst genommen habe und für sie schon frühzeitig abzusehen war, daß sie und Detlef einfach nicht zusammen passen. Außerdem habe sie jetzt einen anderen, der auch durch eine viel bessere Verfügbarkeit überzeugt.
Gestern war Detlef bei mir und jammerte darüber, daß über das Internet eben doch keine normalen Freundschaften/Partnerschaften zu führen sind. Bestimmte Stimmungsschwankungen könne man eben schriftlich nicht erkennen. Wenn einer will, erfährt der Mensch am anderen Ende der Leitung sehr viel über einen, aber wenn man nicht will, erfährt er gar nichts.
Außerdem läuft man auf diesem Weg sehr leicht Gefahr, sich bei jeder Art von Freundschaft viel zu viel von seinem eigenen Wunschbild in den Freund hinein zu projizieren und viel zu wenig den Menschen selbst sehen.
Es war eben doch keine „echte“ Partnerschaft die er geführt hatte und ihm nun diesen Kummer bescherte und schon wieder spielt er mit dem Gedanken, dieser virtuellen Welt den Rücken zu zu wenden. Zumindest will er aber die Internet- und Realwelt strikt zu trennen und sich nie wieder auf einen ernsthaften Kontakt über dieses Medium einlassen.
Von mir wollte er nun Zuspruch für seine Pläne und jede Menge Streicheleinheiten haben. Aber da hatte sich geschnitten, von mir gab es nur einen Rat: Sorge dich nicht...Lebe!
Wenn du so viel Spaß in einem Forum hast, dann baue dieses virtuelle Dasein in dein Reallife ein! Gehe zu Community-Treffen, lerne die Menschen kennen, die da jeden Tag ihren (mehr oder weniger) Unsinn in die Tastatur hämmern. Verstecke dich nicht hinter einem Usernamen und teile dein Leben nicht in zwei Welten ein, denn so wirst du keinen von beidem gerecht. Nur so kannst du verhindern, dass du dein Reallife nicht vernachlässigst und das Forum nicht überbewertest. Man neigt zwar dazu, all die User in so einem Forum für interessanter und reizvoller zu halten, als die Menschen mit denen man alltäglich persönlichen Kontakt, aber wenn man die einmal persönlich kennen gelernt hat, wird einem schnell klar, dass das auch nur ganz normale Menschen sind wie du und ich – Nicht mehr, aber natürlich auch nicht weniger! Der Fehler ist keineswegs, diese Internetwelt überhaupt zu genießen, der Fehler ist vielmehr, in sie mehr Erwartungen zu stecken, als sie erfüllen kann.
Ich fand mich bei dieser kleinen Ansprache ausgesprochen vernünftig und logisch, aber offenbar war es auch noch ziemlich unsensibel. Detlef wird das alles sicherlich selbst wissen und gestern war er in erster Linie auf der Suche nach jemanden der ihn in den Arm nimmt. Hoffentlich hat er so jemanden dann noch gefunden, nachdem er fluchtartig meine Wohnung verlassen hat.
Wie hieß es doch noch: Ratschläge sind auch Schläge“ :rolleyes:
Detlef spricht sich aus, Detlef spricht sich aus
Ich muß ihm zuhören, doch ich möchte raus
Hilfe, Detlef spricht sich aus
...in seine Beziehung hat er so viel Gefühl investiert,
jetzt findet er, daß sie sich nicht rentiert
und er leidet an einem Vertrauensdefizit - oder so, oder so, oder so...
Das ist, was er mir verriet
Detlef ist ein langweiliger Trottel, doch er schämt sich nicht
...im Gegenteil...er liefert mir einen kompletten Bericht...
Detlef spricht sich aus, Detlef spricht sich aus
Ich muß ihm zuhören, doch ich möchte raus
Hilfe, Detlef spricht sich aus
(Aus dem Song „Detlef spricht sich aus“ von Bernd Begemann)