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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Der Traum (oder: Thalia)



Virginie
19.03.2004, 04:49
Ich glaube es selbst noch nicht ganz, dass ich es wieder zum Schreiben gebracht habe... aber ich bin doch ganz glücklich, dass ich wenigstens eine kleinere Schreibblockade überwunden habe. Aber genug geredet, lest und habt Spaß ^^


Angespannt lehnte Thalia sich zurück und verzog gereizt das Gesicht. Irgendwo in ihrem rechten Flügel hatte sie Schmerzen, aber das kümmerte sie nicht weiter, immerhin war sie ein halber Dämon und als solcher ertrug man Schmerzen schließlich mit Fassung.
Der Wind hier oben über den Dächern zersauste ihre eh schon verwuschelten Haare und fast wirkte es, als hätte Thalia kleine Flammen anstatt einen tiefroten Schopf auf ihrem Kopf zu sitzen. Seufzend strich sie einige Haare aus dem Gesicht und sah in den Sternenhimmel hinauf.
Verdammt, es hätte so einfach werden können!
Nichts weiter als ein kleiner Alptraum, gepflanzt in einen von unzähligen Köpfen eines jungen Mädchens, der die arme Seele um ihren Schlaf und kurzzeitig auch um ihren Verstand bringen sollte. Eine kleine Quälerei im Unterbewusstsein, solange, bis Thalia den Angstschweiß riechen könnte, das wilde Pumpen eines angsterfüllten Herzens hörte und das dumme Menschenkind schließlich mit geweiteten Augen und im besten Fall noch einem schrillen Schrei erwachte.
Ein Kinderspiel - normalerweise!
Ein leises Kichern erklang hinter Thalia. Auch das noch, nicht, dass diese Nacht schon schlimm genug gewesen wäre. "Verfluchter Schutzengel", stöhnte sie leise, "du hast doch schon gewonnen. Es gibt keinen Grund mich auch noch zu verhöhnen! Meinst du nicht, dass du mich heute schon genug gequält hast?"
Das Kichern wurde lauter und Thalia krampfte sich der Magen zusammen, als sie bemerkte, dass die Lichtgestalt sich auch noch versöhnlich zu ihr setzte.
"Hau ab und lass mich gefälligst in Ruhe", fauchte Thalia doch der Schutzengel lächelte nur und entgegnete fast schon fröhlich: "Dabei habe ich gar nichts gemacht. Man könnte sagen, du hast dich selbst ausgeknockt!" Thalia biss sich auf die Lippen und ballte die Hände wütend zu Fäusten. Doch der Schutzengel sah sie nur weiter lächelnd an... er schien zu wissen, dass ihre Wut ihr selbst galt.
Er hatte ja recht. Was sie letztendlich daran gehindert hatte, das Mädchen in seinem Schlaf zu quälen, war sie selbst gewesen.
Dabei hatte sie sich schon so viele gehässige Bilder zurecht gelegt, mit welchen sie den Traum füllen wollte, als sie in das Unterbewusstsein eingedrungen war, und der Traum, der sich ihr zeigte als sie dort eintrat, bot sogar die besten Voraussetzungen dafür, ein wahres Grauen werden zu können.
Es war einer dieser Träume gewesen, die sich in einem riesigen dunklem Herrenhaus abspielten und zu Thalias Überraschung hatte sie sogar schon ein kleines Schluchzen vernommen, noch ehe sie überhaupt ihre düsteren Phantasien losgeschickt hatte. Interessiert war sie dem Schluchzen gefolgt und endete schließlich in einem riesigen Kaminzimmer in dessen Ecke ein kleines Mädchen (die Träumerin selbst) hockte und leise weinte.
Da war Thalia stutzig geworden. Sie war oft genug in die Träume von Menschen eingedrungen, um zu wissen, dass Alpträume (sofern sie nicht von ihr oder ihresgleichen verursacht worden waren) immer einen Auslöser im Unterbewusstsein hatten, doch sie konnte weder einen entdecken noch war ein anderer Dämon hier.
Wieso aber weinte dieses Mädchen?
Es hätte Thalia egal sein müssen! Sie hätte diesen Umstand einfach zu ihren Gunsten nutzen können, das Mädchen in seinem Traum in wahre Verzweiflung schicken und ihre helle Freude an dem Schauspiel haben können. Wen interessierte es denn, warum sie letztendlich angefangen hatte zu weinen? Hauptsache Thalia hatte ihren Spaß.
Doch zu ihrer eigenen Überraschung war sie auf das Mädchen zugegangen und hatte mit einem fast befehlendem Unterton gefragt: "Warum weinst du?"
Und damit hatte die ganze Misere angefangen.
Das Schluchzen hatte abrupt aufgehört und das Mädchen unter ihr hatte langsam ihren Kopf, bis sie Thalia mit großen verwunderten Augen angestarrt hatte. Ungeduldig hatte Thalia zurückgestarrt und auf eine Antwort gewartet, und gerade als sie ihre Frage grimmig wiederholen wollte, hatte das Mädchen plötzlich leise gemurmelt: "Das Klavier!"
"Welches Klavier?!"
Doch noch ehe das Mädchen noch überhaupt zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte Thalia eine Melodie gehört. Ein Klavierstück, erst ganz leise doch mit jedem Takt lauter werdend, melancholisch, lieblich, traurig und doch unbeschreiblich schön. Thalia war erschrocken herumgefahren, um den Ursprung dieser Melodie zu finden, doch noch ehe sie sich bewusst machen konnte, dass es keinen Ursprung gab, flüsterte das Mädchen: "Es ist dein Herz!"
"Erzähl keinen Unsinn", schrie Thalia unbeherrscht zurück - und griff sich panisch an die Brust. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass die Melodie tatsächlich nicht mehr von irgendwo aus dem Haus zu kommen schien, sondern ihren ganzen Kopf einnahm.
Sie drehte sich wieder zu dem Mädchen um und zerrte es auf die Beine: "WAS IST HIER LOS? WO KOMMT DIE MELODIE HER?" Sie schüttelte die Kleine bis diese kaum hörbar antwortete: "Sie kommt von dir! Die Melodie kommt von dir!"
Thalia ließ keuchend das Mädchen los. Plötzlich hatte sie selbst Bilder in ihrem eigenen Kopf. Eine junge Frau vor einem weißen Flügel, Tränen der Rührung in ihren Augen, während sie sich selbst beim Spielen lauschte. Ein längst vergessener Wunschtraum. Eine unterdrückte Seite von ihr, die sie nicht wahrhaben wollte. Und mit einem entsetztem Keuchen löste sich Thalia ruckartig aus dem Unterbewusstsein und fand sich taumelnd in dem Schlafzimmer des Mädchens wieder.
Vor ihr strahlte eine weiße Gestalt auf - dieser verfluchte Schutzengel - und noch ehe er auch nur einen Ton von sich geben könnte, wandte Thalia sich in Panik ab und stürzte zum offenen Fenster. Ihre Schwingen waren schon ausgebreitet, bevor sie durch die Öffnung sprang, so dass sie unsanft gegen den Fensterrahmen prallte, doch das registrierte sie nicht einmal.
Und so war sie schließlich auf einem der Dächer dieses Ortes gelandet, ballte noch immer vor Wut die Fäuste während der Schutzengel, der ihr offenbar auch noch gefolgt war, nach wie vor ruhig lächelte.
"Was willst du noch?" murmelte sie verbittert, zog ihre Knie an und schlang ihre Arme um diese herum. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete: "Nimm es nicht so schwer, du bist nun mal auch ein halber Mensch. Wieso hörst du nicht einfach auf, deine eigenen Träume zu unterdrücken?" Thalia gab nur ein verächtliches Geräusch von sich und zog die Knie noch weiter an.
Plötzlich spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter und stellte angewidert fest, dass sie sich auch noch angenehm anfühlte. Mit letzter Kraft unterdrückte sie den Impuls, die Hand abzuschütteln.
"Diese Seite gehört ebenso zu dir, wie die dämonische. Und wenn du dich danach fühlst oder dein Herz dich danach sehnt: sei einfach mal ein Mensch...", noch immer lächelnd stand der Schutzengel auf und breitete seine Flügel aus, "... und genieße diese Nacht. Sie ist wunderschön!"
Thalia sah nicht zu ihm hoch und schnaubte: "Warum gehst du nicht einfach zurück und beschützt brav dein kleines Mädchen und lässt mich in Ruhe?" Der Schutzengel schien noch eine Spur herzlicher zu lächeln: "Wer hat behauptet, ich würde dieses Mädchen beschützen?" Noch ehe Thalia begriff, was er meinte, hob er mit einem eleganten Flügelschlag ab und flog in die Nacht hinein. Überrascht blickte sie seinem hellen Licht hinterher und während eine einzelne Träne über ihre Wange lief, lauschte sie lächelnd einer lieblichen Melodie, die aus ihrem Kopf zu kommen schien.
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:)

NeoInferno
19.03.2004, 22:26
Gut geschriebene Geschichte. Daumen hoch :)

La Cipolla
19.03.2004, 22:30
Mal wunderschön anders als die ganzen Am-stück-engel-und-dämonen-geschichten! Weil es nicht so elend protzig rüberkommt wie bei anderen Leuten.

aber ich bin doch ganz glücklich, dass ich wenigstens eine kleinere Schreibblockade überwunden habe.
Ich auch.:D

Chi3
07.04.2004, 03:53
Kommt hier noch was, oder ist die Schreibblockade zurück gekehrt? Ich bin zwar eigentlich nicht so der Fan von diesen Engel-und-Dämonen-Stories, aber diese gefällt mir bisher. Gut geschrieben. Und jetzt will ich wissen wie's weitergeht ;)

Dark Melfice
07.04.2004, 14:10
Hmmmm...ja :)

Schön geschrieben und mal eine ungewöhnliche Idee. Was kann man da schon großatig schreiben außer; gefällt mir! ;)

Virginie
08.04.2004, 16:51
Original geschrieben von Chi3
Kommt hier noch was, oder ist die Schreibblockade zurück gekehrt? Ich bin zwar eigentlich nicht so der Fan von diesen Engel-und-Dämonen-Stories, aber diese gefällt mir bisher. Gut geschrieben. Und jetzt will ich wissen wie's weitergeht ;)

Hier kommt leider nichts mehr, da dies eine abgeschlossene Kurzgeschichte ist (Thalia wird jetzt wohl die Nacht noch genießen ^^).

Freut mich, dass sie Euch gefällt! Danke