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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eine Geistergeschichte



La Cipolla
06.02.2004, 21:01
Die Story musst ich mal in der Schule schreiben, da kann ich sie ja auch mal hier hintexten. Ich find sie relativ gelungen, würde aber gern kritik hören!!!

Der Mond schien hell über der großen Weide, in der die Kinder saßen. Erik schaute auf seine Hand. In seinen Fingern lag die kleine, zärtliche Hand seiner Freundin, die sich ausgelassen an dem Geschwafel beteiligte, das zwischen den Jungen und Mädchen stattfand. Es war 1953. Ein wichtiges Jahr, hatte seine Mutter immer gesagt. In diesem Jahr hatten seine Eltern seit zwanzig Jahren zusammengelebt. Der Tag war ihm egal. Er wusste, dass es Halloween war, aber die lustige Zeit, in der man verkleidet um die Häuser gelaufen war, war vorbei und für seine Altersgenossen zog das Fest hauptsächlich unnatürlich große Mengen an Alkohol mit sich. Plötzlich stand seine Freundin auf und lächelte ihn an.
„Hm?„
„Na, komm, du alter Langweiler, wir gehen in den Wald! Wer am Weitesten an die Villa herankommt, ohne schreiend zurückzulaufen , hat gewonnen!„
„Was? Welche Villa?„
Sein Gedächtnis kehrte zurück. Sie sprach von der alten Villa mitten im Wald, in die sich als Kinder immer nicht hineingetraut hatten. Eigentlich war sie nur ein dummes, altes verrottetes Haus.
„Du weißt schon, was ich meine! Steh schon auf, du musst mich schließlich vor den bösen Geistern beschützen!„
Sie lachte ihn kurz an und half ihm dann auf die Beine.
„Können wir nicht noch ein wenig hier bleiben?„
„Keine Widerrede! Wenn alle gehen, gehen wir auch!„
Unter Grummeln gab er ihrem Befehl nach und stemmte sich auf die Hände. Dann rannte die Meute los. Erik erinnerte sich an frühere Jahre. Sie waren immer durch die weite Wiese getollt, aber vor dem Wald hatten sie sich stets gefürchtet. Und nun. Nun waren sie in dem Wald. Erik und seine Freundin rannten weiter durch das Dickicht, aber um die anderen kümmerten sie schon nicht mehr. Plötzlich stoppte der Junge. Das Mondlicht schien unheimlich auf das marode, alte Dach der Villa.
„Komm schon! Oder hast du etwa immer noch Schiss?„
„Nein, es ist nur...„
„Och, bitte! Früher wollte ich immer wissen, was noch in diesem Haus ist!„
„Na gut. Aber schnell, sonst kommen wir wieder als Letzte oben an.„
Die Schritte waren langsamer, als das Mädchen die großen Klapptüren unter penetrantem Gequietsche aufschob. Das Mondlicht schien noch immer durch die halbgebrochenen Fensterscheiben und wurde in dem großen Saal, den sie betreten hatten, nur noch von unzähligen Spinnenweben behindert. Eine dicke Staubschicht säumte den schrägen Boden und das alte, schimmlige Mobiliar. Erik erschrak, als einige Ratten über seine Füße huschten, aber seine Freundin lachte nur herzlich.
„Vor was fürchtest du dich eigentlich so sehr? Es gibt keine Geister, Erik!„
„Bist du dir sicher?„
„Aber klar! Meine Mutter hat mal erzählt, die Menschen dachten sich Gespenster und den ganzen Kram aus, um ihren Wunsch nach ewigem Leben zu vergessen. Es gibt weder Phantome, noch Gespenster!„
„Dann kann ich ja beruhigt sein.„
„Sicher kannst du das! Und das mit dem ewigen Leben ist ja wohl auch überholt , oder? Ist doch nur logisch, das nicht jeder unsterblich ist, wäre ja auch langweilig!„
Sie lachte lieblich, aber Erik antwortete nicht. Als sie einige Stufen einer Treppe, auf dessen Holz man sogar die Fußstapfen erkennen konnte, genommen hatte, drehte sie sich wieder um und stolperte beinah, aber Erik fing das Mädchen auf.
„Pass besser auf!„
Sie lächelte.
„Ich will doch gar nicht ewig leben! Aber solange ich noch lebe, werden wir uns das Leben so schön wie möglich machen, habe ich nicht recht?„
„Hast du, Kleine, hast du.„
Als sie ihre Hand auf einen alten, löwenartig aussehenden Türklopfer legte, gab die Pforte nach und fiel mit einem lauten Krach zu Boden. Staub hatte sich aufgewirbelt, als das Mädchen ihren ersten Schritt in das neue Zimmer tat. Überall stand Gerümpel herum, aber sie zwängte sich durch die Ecken und Erik folgte ihr.
„Und wenn ich doch mal sterbe, verzweifelst du nicht, ja?„
„Was schwafelst du denn für einen Unsinn?„
„Ach, weißt du, Es kann einen ja immer treffen, das Leben ist doch so schrecklich kurz! Und wenn man einmal tot ist, kommt man nie wieder zurück. Nie wieder.„
Seine Antwort blieb aus. Dann knarrte das Holz schrecklich laut. Einige Holzfetzen wurden in die Luft geschleudert, als der Boden unter seiner Freundin nachgab. Ein kurzer Schrei ertönte, dann lag wieder eine gespenstische Stille auf dem Haus. Das Loch in der Decke sah auch wieder aus, als wäre es Jahrtausende alt. Erik stürzte zu den gebrochenen Brettern und schrie. Ein einsamer Wolf draußen im Wald antwortete mit einem langen Seufzer. Der Junge konnte in der Dunkelheit nichts erkennen und nahm die Treppe zurück in den ersten Stock. In seiner Hast riss er sich an dem alten Geländer einige Splitter in die Haut und rannte weiter. Dann sah er seine Freundin, die reglos am Boden lag, in einer kleinen Blutlache um ihren Kopf. Tränen liefen über sein Gesicht. Dann schrie er. Er schrie so laut er konnte. Einige Vögel, die soeben noch in Ruhe geschlafen hatten, verließen das sichere Gehölz der Bäume. Der Mond schien noch immer provokant durch das Fenster und warf einen gespenstischen Schatten auf das blasse Gesicht des Mädchens. Die Ruhe lähmte Erik und er schrie noch einmal. Und noch einmal. Irgendwann rannte er heulend aus dem Gebäude und mit geschlossenen Augen durch den Wald. Einige Wunden, die er sich an offenen Ästen oder Sträuchern riss, ignorierte er. Der Mond schien noch immer und tauchte die Welt in ein einheitliches Grau.

Der Kalender zeigte 1997. Erik gab einem lachenden Kind, das mit einem Hexenkostüm vor seiner Tür stand, ein paar Süßigkeiten und wünschte ihm ein frohes Halloween. Er blieb noch einige Sekunden an der Tür des kleines Hauses stehen und beobachtete die Nacht. Der Mond schien noch immer, aber das Licht der Straßenlaternen löschte die Dunkelheit. Dann sah er seine jüngste Tochter, die schweißüberströmt aus einer Seitenstraße gerannt kam.
„Papi! Lechzi ist in die alte Villa gerannt und kommt nicht wieder heraus! Ich hab ja solche Angst! Der Hund weiß sicher gar nicht, wo die Ausgangstür ist!„
Erik erinnerte sich. Damals hatte er tagelang in seinem Zimmer gesessen und geweint. Er hatte seine Sorgen irgendwann vergaben und begonnen, ein mehr oder weniger normales Leben zu führen. Mit 35 hatte er geheiratet und in den folgenden Jahren hatte seine Frau drei Kinder zur Welt gebracht, für die er gut sorgte. Aber innerlich hätte er jeden Tag stundenlang weinen können.
„Gut, Kleine, Papa wird mal nachschauen, ob wir Lechzi dort wieder rauskriegen.„
„Ich will aber mitkommen!„
„Oh nein! Dieses Haus ist alt und gefährlich, dort darfst du niemals reingehen!„
„Ich weiß doch! Hast du mir doch schon tausend mal gesagt!„
„Hab ich?„
„Hast du!„
„Oh. Ich schau jetzt mal nach dem Hund, vielleicht hat er sich ja verletzt!„
Erik lief durch das Viertel. Es war schon seltsam. Der komplette, alte Wald war verschwunden und irgend ein Immobilienfuzi hatte die Fläche mit kleinen 1-Familienhäusern vollgebaut. Aber die alte Villa stand noch immer. Mitten zwischen all den Neubauten vegetierte die alte Bruchbude vor sich hin. Man erzählte sich, bei den geplanten Abrissarbeiten gab es gewisse Probleme, und kurz darauf hatte man sich erzählt, in dem Haus würde es spuken. Erik hatte das ignoriert. Er wollte nie wieder etwas mit diesem Gebäude zu tun haben. Und nun war er auf dem Weg dort hin. Der Hund Lechzi war das Ein und Alles seiner kleinsten Tochter. Das Gebäude kam ihm dunkler vor als der Rest des Viertels. Ein starker Windstoß öffnete die Türen, als er gerade sein Hand danach ausstrecken wollte. Der große Saal sah noch immer genau so aus wie vor 44 Jahren, nur der Staub und die Spinnenweben waren dichter geworden. Die Geräusche der kleinen Straße, die eigentlich an dem Haus vorbeiführte, waren verstummt und nur der Wind pfiff über den Boden. Dann hörte Erik etwas. Es war ein schmerzvolles Winseln, und er hatte Lechzi sofort wieder erkannt. Aber sein Gefühl sagte ihm, dass da noch etwas gewesen war. Es hatte sich angehört wie das liebliche Lachen einer jungen Frau. Er schüttelte den Kopf. Lechzis Winseln war sicher von weiter oben gekommen. Erik setzte seinen Fuß auf die erste Stufe der alten Treppe, die sich sofort mit einem elenden Geknirsche wehrte. Bei der Zweiten stoppte er. Er hätte schwören können, wieder ein Lachen gehört zu haben. Der nächste Schritt patschte auf die Dielen. Dann zuckte er zusammen. Eine Stimme kam von oben, freundlich und nett.
„...Vor was fürchtest du dich eigentlich so sehr... Es gibt keine Geister...„
Ruhe entlarvte die Angst des Mannes. Er schüttelte wieder den Kopf und ging weiter.
„...die Menschen dachten sich Gespenster und den ganzen Kram aus, um ihren Wunsch nach ewigem Leben zu vergessen...„
Schweiß lief über seine Stirn. Die Stimme war klar und eindeutig. Er hatte sie schon bei dem ersten Lachen erkannt, wollte es aber nicht wahr haben.
„...Ist ja wohl logisch, das jeder irgendwann stirbt, alles andere wäre ja auch langweilig...„
Eine Träne lief über Eriks Gesicht und seine Schritte beschleunigten sich.
„Ist da wer?„
Kurze Zeit blieb es ruhig.
„...Aber ich will doch gar nicht ewig leben...„
Er hatte den alten Türrahmen erreicht. Lechzi lag leise winselnd auf dem Boden, aber Erik beachtete den Hund gar nicht. Über dem Tier schwebte eine bläulich-durchsichtige Silhouette einer Frau.
„...wenn ich doch mal sterbe, verzweifelst du nicht, ja...?„
Es war nicht irgend eine Frau. Tränen liefen über sein Gesicht.
„...ach weißt du, es kann einen ja immer treffen, das Leben ist so schrecklich kurz...„
Er war ganz nah bei dem Schemen.
„...und wenn man einmal tot ist, kommt man nie wieder zurück...„
Der Wind berührte sanft seine tränenüberlaufenen Lippen. Die Silhouette des Mädchens schaute glücklich und ihre Hände tanzten mit dem Wind.
„...Nie wieder...„
Dann verschwand der Schemen und Erik hockte vor dem Hund, der seinen Kopf fragend zur Seite legte. Seltsamerweise war ihm nicht nach Tränen zumute. Das erste Mal seit 44 Jahren fühlte er sich gut. Er schaute zu dem Hund und sprach im Flüsterton.
„Komm, Lechzi! Wir gehen nach Hause. Das Leben geht weiter. Jedenfalls meistens.„
Sein Lachen kam das erste Mal seit einer verdammt langen Zeit wieder von Herzen.
„Und wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm. Lassen wir die Toten ruhen und genießen unser Leben, damit sie sich nicht schuldig fühlen.„
Dann stand er auf.
„Und Geister, die gibt es nicht. Wir brauchen sie schließlich nicht. Wir haben mehrere Millionen andere, lebendige Menschen!„
Nach einigen Stufen schaute er skeptisch den Hund an, der ihm gefolgt war.
„Verdammt, jetzt rede ich schon mit meinem Hund. Ich sollte eindeutig mehr Zeit mit meiner Familie verbringen, schließlich ist heute ein Feiertag!„
Erik ging zurück nach Hause und feierte den Rest des Tages mit seiner Familie. Seine Frau wollte ihn zu einem Arzt schicken, als er am nächsten Tag freiwillig die schwerkranke Schwiegermutter im Altersheim besuchen wollte. Seine Kinder schauten ihn schräg an, als er eine Woche darauf beschloss, Skateboardfahren zu lernen. Irgendwann viel später, mit 117 Jahren starb er mit einem Lächeln auf dem Gesicht auf seinem Skateboard an Altersschwäche

Laaris
06.02.2004, 23:32
Eine sehr schöne Geschichte über Liebe, Selbstvorfürfe und die Tatsache, dass das Leben weitergeht/weitergehen muss.
Dass Erik dann auf dem Skateboard stirbt ist vielleicht etwas kitschig, betont aber, wie sehr er nun sein Leben wieder genießen kann.
Gefällt mir sehr, weiter so!

Maisaffe
07.02.2004, 22:12
Original geschrieben von Laaris
Eine sehr schöne Geschichte über Liebe, Selbstvorfürfe und die Tatsache, dass das Leben weitergeht/weitergehen muss.
Dass Erik dann auf dem Skateboard stirbt ist vielleicht etwas kitschig, betont aber, wie sehr er nun sein Leben wieder genießen kann.
Gefällt mir sehr, weiter so!

http://www.multimediaxis.de/images/smilies/old/s_048.gif Was gibts da noch zu sagen???

Sehr schöne Geschicht und naja, das Ene mit dem Skateboard...muss ganz schön fit gewes sein der "alte" ^^

NeoInferno
08.02.2004, 18:15
Kann mich nur anschliessen.
Nice :)

La Cipolla
09.02.2004, 20:31
Thanks!

Das mit dem Skateboard soll gerade die Wandlung zeigen, ausserdem ist diese Story anfangs ja so unglaublich depressiv, da muss man auch mal ein Bisschen Spaß reinbringen! :D

kate@net
15.11.2006, 07:44
„Und Geister, die gibt es nicht. Wir brauchen sie schließlich nicht. Wir haben mehrere Millionen andere, lebendige Menschen!„
[...]„Verdammt, jetzt rede ich schon mit meinem Hund. Ich sollte eindeutig mehr Zeit mit meiner Familie verbringen, schließlich ist heute ein Feiertag!„
[...]Irgendwann viel später, mit 117 Jahren starb er mit einem Lächeln auf dem Gesicht auf seinem Skateboard an Altersschwäche

Gefiel mir wirklich gut. Besonders die Zitate. Vieleicht packe ich eins davon in meine Signatur. Muss da ja mal wieder was neues reinsetzen. Waar zwar nicht wirklich gruselig. Aber endlich mal eine glaubwürige Liebesgeschichte.