basti-kun
22.01.2004, 18:10
"Heute fand ich ein Buch. Ich habe es aus meiner Kiste neben dem Bett geholt, als ich eigentlich meine Brille gesucht habe. Es fiel mir sofort auf, wieso weiß ich nicht. Vielleicht war es der braune Lederumschlag. Ein ganz edles Leder, das hab ich sofort erkannt. Bevor man es öffnen konnte, musste man einen metallenen Verschluss drücken. Wenn ich von der Farbe des Verschlusses auf die Metallart hätte tippen müssen, hätte ich wohl völlig falsch gelegen, denn er war schon grün und rot angelaufen. Ein ziemlich altes Buch.
Nach ein bisschen rumprobieren, war es dann schließlich offen. Von Hand geschrieben. Hastig schlug ich die ersten paar Seiten um und begann zu lesen, wo die ersten vollbeschriebenen begannen.
Das Papier hatte keine Linien. Es war also nicht verwunderlich, dass das Schriftbild nach rechts wie ein Wasserfall aussah. Rechts schien alles irgendwo herunterzustürzen. In der ersten Zeile drohte ein "erstes" zu ertrinken. Zeile drei hatte ein Opferpaar "für mich". Mich amüsierte das Bild eines Wasserfalls von dem Wörter fallen würden und während es Fluges ihren Wortlaut riefen. Ich habe mir früher oft solche verrückten Gedanken gemacht.
Die Geschichte handelte von einem jungen Mann. Er war gerade 17 Jahre alt geworden. Seinen Beschreibungen zufolge, war ihm sein Geburtstag egal. Die Feier "nervte" ihn, hatte er geschrieben. Vielmehr bedeutete ihm das Geld, das er bekommen hatte. In die Stadt wollte er damit und sich einige neue Anziehsachen kaufen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll... so etwas unerzogenes. Solche jungen Menschen sind es nicht wert, dass man ihren Geburtstag feiert. Ich wollte das Buch schon beiseite legen, aber etwas faszinierte mich an der Geschichte und so las ich weiter, in der Hoffnung, er würde einen Wandel durchlaufen und zur Vernunft kommen.
Er beschrieb seine Führerscheinprüfung, seine erste richtige Freundin und was mich zutiefst erschüttert hat, seinen ersten Geschlechtsverkehr mit eben dieser. Was fällt ihm denn ein? Der Beischlaf ist höchst unzüchtig und nur für das Zeugen von Kindern gedacht. Ihm machte es Spaß...es war "geil". Eine Intimität, die seinesgleichen sucht in einem Buch zu veröffentlichen... . War das nur für eine erschreckende Person? Zu welchem Maß an moralischem Verfall sollte mich dieses Buch noch führen? Doch ich las weiter.
Es war erstaunlich mit anzusehen, wie sich der immer wiederkehrende Wasserfall zu einer leichten Flussstufe entwickelt hatte. Die Abstände zwischen den erzählten Ereignissen wurde immer größer. Nun war er schon 41, hatte zwei Kinder, seine zweite Frau und einen Mercedes Benz in seiner Heimatstadt, einen vor seinem Ferienhaus am Meer und einen im Ausland. Er hatte es wahrlich zu etwas gebracht. Ich bewundere diesen Menschen.
Das Schreibbild wirkte nun wie ein künstlich angelegter Kanal, kein schwankendes Wasserniveau mehr.
Ich war fast fertig mit der Geschichte. Er war krank geworden stand hier, mehr aber auch nicht. Sicherlich war es keine schlimme Krankheit, so ein Mann wie er geht an keiner Krankheit ein!
Ein eigenartiges Buch. Die letzten Seiten sind leer, ich habe auch nirgends einen Titel oder Verlag gefunden. Das Ende reiht sich nahtlos in diese Kette ungewöhnlicher Eigenschaften ein. Es gibt keins. Das letzte Kapitel handelt von einem gewöhnlichen Tag in einem seiner Ferienhäuser. Er ist zweiundsechzig Jahre alt und immer noch mit seiner zweiten Frau verheiratet. Glücklich wie mir scheint. Sie sitzen gemeinsam auf der Terrasse und lesen. Sie ist eine liebe Frau. Ihm fällt bei einem Wort beim besten Willen nicht ein wie man es liest. Sie geht zu ihm und liest es ihm vor. Eine wundervolle Ehe. Dieser Mann hat wirklich ein grandioses Leben, Geld, Familie und viel Zeit. Ich hätte es nicht besser machen können.
Ich bin das Lesen müde und lege das Buch auf meinen Nachttisch. Ich verschließe das in Leder eingeschlagene Buch und lege mich zum Schlafen hin."
Er sieht sich die Seiten genau an. Es ist kein Wasserfall mehr, es ist auch keine Flussstufe, vorbei die Zeiten des Kanals. Es ist das Meer bei Sturm. Hohe Wellen und tiefe Wellentäler. Blitze durchzucken das Bild. Das "müde" sieht aus wie ein kleines Boot in Seenot. Hoch auf der einen Welle droht es hinunter zu stürzen und auf dem "und" zu zerschellen. Seine Tränen treffen die zittrig geschriebenen Worte. Eins ums andere fließt langsam und gleichmäßig das Papier hinunter.
Er schließt das Buch und geht zum Telefon, wählt eine ihm vertraute Nummer und wartet darauf, dass das Klingelsignal aufhört und er die Stimme seiner Schwester hört.
"Papa ist tot.", Stille, bis seine Stimme wieder den leeren Raum mit ein wenig Leben erfüllt.
"Ja, ich habe es mir gewünscht. Ich habe sein Tagebuch gefunden, er hat noch etwas eingetragen. Ich komme in ein paar Stunden. Bis dann."
Die Krankenschwester rollt die Maschinen aus dem Zimmer. Der Mann legt das Buch und die anderen, auf dem Krankenbett verteilten, Dinge in die Kiste neben dem Bett. Die öffnet sich, der Schatten des Mannes fällt auf den Toten. Er sieht sich nicht um, er geht und lässt die Tür offen. Licht fällt auf den alten Mann. Ein Mann, der sich selbst nicht erkannte.
Nach ein bisschen rumprobieren, war es dann schließlich offen. Von Hand geschrieben. Hastig schlug ich die ersten paar Seiten um und begann zu lesen, wo die ersten vollbeschriebenen begannen.
Das Papier hatte keine Linien. Es war also nicht verwunderlich, dass das Schriftbild nach rechts wie ein Wasserfall aussah. Rechts schien alles irgendwo herunterzustürzen. In der ersten Zeile drohte ein "erstes" zu ertrinken. Zeile drei hatte ein Opferpaar "für mich". Mich amüsierte das Bild eines Wasserfalls von dem Wörter fallen würden und während es Fluges ihren Wortlaut riefen. Ich habe mir früher oft solche verrückten Gedanken gemacht.
Die Geschichte handelte von einem jungen Mann. Er war gerade 17 Jahre alt geworden. Seinen Beschreibungen zufolge, war ihm sein Geburtstag egal. Die Feier "nervte" ihn, hatte er geschrieben. Vielmehr bedeutete ihm das Geld, das er bekommen hatte. In die Stadt wollte er damit und sich einige neue Anziehsachen kaufen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll... so etwas unerzogenes. Solche jungen Menschen sind es nicht wert, dass man ihren Geburtstag feiert. Ich wollte das Buch schon beiseite legen, aber etwas faszinierte mich an der Geschichte und so las ich weiter, in der Hoffnung, er würde einen Wandel durchlaufen und zur Vernunft kommen.
Er beschrieb seine Führerscheinprüfung, seine erste richtige Freundin und was mich zutiefst erschüttert hat, seinen ersten Geschlechtsverkehr mit eben dieser. Was fällt ihm denn ein? Der Beischlaf ist höchst unzüchtig und nur für das Zeugen von Kindern gedacht. Ihm machte es Spaß...es war "geil". Eine Intimität, die seinesgleichen sucht in einem Buch zu veröffentlichen... . War das nur für eine erschreckende Person? Zu welchem Maß an moralischem Verfall sollte mich dieses Buch noch führen? Doch ich las weiter.
Es war erstaunlich mit anzusehen, wie sich der immer wiederkehrende Wasserfall zu einer leichten Flussstufe entwickelt hatte. Die Abstände zwischen den erzählten Ereignissen wurde immer größer. Nun war er schon 41, hatte zwei Kinder, seine zweite Frau und einen Mercedes Benz in seiner Heimatstadt, einen vor seinem Ferienhaus am Meer und einen im Ausland. Er hatte es wahrlich zu etwas gebracht. Ich bewundere diesen Menschen.
Das Schreibbild wirkte nun wie ein künstlich angelegter Kanal, kein schwankendes Wasserniveau mehr.
Ich war fast fertig mit der Geschichte. Er war krank geworden stand hier, mehr aber auch nicht. Sicherlich war es keine schlimme Krankheit, so ein Mann wie er geht an keiner Krankheit ein!
Ein eigenartiges Buch. Die letzten Seiten sind leer, ich habe auch nirgends einen Titel oder Verlag gefunden. Das Ende reiht sich nahtlos in diese Kette ungewöhnlicher Eigenschaften ein. Es gibt keins. Das letzte Kapitel handelt von einem gewöhnlichen Tag in einem seiner Ferienhäuser. Er ist zweiundsechzig Jahre alt und immer noch mit seiner zweiten Frau verheiratet. Glücklich wie mir scheint. Sie sitzen gemeinsam auf der Terrasse und lesen. Sie ist eine liebe Frau. Ihm fällt bei einem Wort beim besten Willen nicht ein wie man es liest. Sie geht zu ihm und liest es ihm vor. Eine wundervolle Ehe. Dieser Mann hat wirklich ein grandioses Leben, Geld, Familie und viel Zeit. Ich hätte es nicht besser machen können.
Ich bin das Lesen müde und lege das Buch auf meinen Nachttisch. Ich verschließe das in Leder eingeschlagene Buch und lege mich zum Schlafen hin."
Er sieht sich die Seiten genau an. Es ist kein Wasserfall mehr, es ist auch keine Flussstufe, vorbei die Zeiten des Kanals. Es ist das Meer bei Sturm. Hohe Wellen und tiefe Wellentäler. Blitze durchzucken das Bild. Das "müde" sieht aus wie ein kleines Boot in Seenot. Hoch auf der einen Welle droht es hinunter zu stürzen und auf dem "und" zu zerschellen. Seine Tränen treffen die zittrig geschriebenen Worte. Eins ums andere fließt langsam und gleichmäßig das Papier hinunter.
Er schließt das Buch und geht zum Telefon, wählt eine ihm vertraute Nummer und wartet darauf, dass das Klingelsignal aufhört und er die Stimme seiner Schwester hört.
"Papa ist tot.", Stille, bis seine Stimme wieder den leeren Raum mit ein wenig Leben erfüllt.
"Ja, ich habe es mir gewünscht. Ich habe sein Tagebuch gefunden, er hat noch etwas eingetragen. Ich komme in ein paar Stunden. Bis dann."
Die Krankenschwester rollt die Maschinen aus dem Zimmer. Der Mann legt das Buch und die anderen, auf dem Krankenbett verteilten, Dinge in die Kiste neben dem Bett. Die öffnet sich, der Schatten des Mannes fällt auf den Toten. Er sieht sich nicht um, er geht und lässt die Tür offen. Licht fällt auf den alten Mann. Ein Mann, der sich selbst nicht erkannte.