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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Nur ein Traum



Galuf
09.10.2003, 03:55
Ich möchte darauf hinweisen dass die volgende Geschichte nicht von mir stammt und dass ich den Autor nahmens Schining Moon und seine Seite nicht finden und verlinken kann.



Nahrung...
endlich... nach all den Jahrhunderten...
neue Seelen...
neue Träume...
Nahrung...

„Wir haben es gefunden!“, hallte eine Stimme durch die einsamen Korridore der unterirdischen Stadt. Professor Tikama zuckte zusammen. Er sah von dem Aufzeichnungsgerät auf, in das er gerade seinen wöchentlichen, persönlichen Bericht aufgezeichnet hatte, und runzelte unwillig die Stirn. Sein Assistent Naoko Itsumi rannte durch die große Halle vom gegenüberliegenden Durchgang auf den Professor zu.
„Wir haben es gefunden, Herr Professor!“, keuchte er wieder. Prof. Tikama stand langsam und umständlich auf. Sein Bein machte ihm wieder einmal zu schaffen. Ich sollte das hier eigentlich den jüngeren Archäologen überlassen. , dachte er. Laut sagte er: „Nun mal langsam! Was haben Sie gefunden, mein Junge?“ Naoko war noch immer damit beschäftigt, zu Atem zu kommen. Nach einer Weile brachte er schließlich hervor: „Ein... Eingang... in diese ‚Traumhalle’... Mann...“ Er hustete und murmelte dann: „Archäologie ist anstrengender, als ich dachte.“ Prof. Tikama wurde hellhörig. „Was sagen Sie da? Der Eingang? Sind Sie sicher?“ Naoko nickte heftig. „Klar. Die Runen sind dieselben wie auf dem Dokument, das Sie untersucht haben. Kommen Sie und sehen Sie selbst!“ Der Professor legte das Aufzeichnungsgerät auf einen Tisch, vergaß aber vor lauter Aufregung, es auszuschalten. Er folgte seinem Assistenten durch die scheinbar endlosen Straßen der untermeerischen Stadt. Er staunte immer wieder über die architektonische Perfektion, mit welcher diese Stadt vor tausenden von Jahren erbaut worden war. Er konnte durch die durchsichtige Decke die Fische sehen, die im Meer umherschwammen. Und das bei einer Meerestiefe von annähernd 6000 Metern. Kein durchsichtiges Material, das er kannte, könnte solch einem Druck standhalten.
Und dies alles war für die Wissenschaftler nur zugänglich geworden, weil ein junger SEED namens Squall Leonhart sich bis zum Eingang der Stadt vorgekämpft hatte und das furchterregende Monster, welches den Eingang bewacht hatte und den Namen Ultima Weapon trug, besiegt hatte. Es gab unter den Bewunderern dieses Jungen sogar solche, die behaupteten, er hätte dieses Monster allein fertig gemacht. Nachdem Prof. Tikama die Überreste von Ultima Weapon gesehen hatte, konnte er sich nur schwer vorstellen, dass es Leonhart und seinen beiden Freunden nur zu dritt gelungen war, dieses Monster zu besiegen. Aber es war nicht seine Sache, darüber nachzugrübeln. Der Sieg dieser jungen Leute hatte der Wissenschaft jedenfalls den Weg in diese Stadt freigemacht.
Allerdings hatte Prof. Tikama seit geraumer Zeit den Verdacht, dass Ultima Weapon nur eine Art Wachhund gewesen war, ein Wachhund, der verhindern sollte, dass jemand eine noch furchterregendere Bestie freiließ, die sich hier irgendwo befand. Doch seine Kollegen schenkten seinen Warnungen keine Beachtung. Sie waren alle geblendet von der Vorstellung, die sagenumwobene ‚Traumhalle’ zu finden, die angeblich die geheimsten Träume und Wünsche eines Menschen wahr werden ließ. Und nun hatten sie allem Anschein nach den Eingang gefunden. Eigentlich hätte Prof. Tikama sich über diesen Fund freuen sollen, aber er hatte gelernt, dass es immer besser war, auf seine Instinkte zu hören. Und die sagten ihm: „Lauf weg, solange du noch kannst!“ Nicht unbedingt ein gutes Zeichen.
Plötzlich hörte Prof. Tikama von weitem den Lärm von Spitzhacken und Schlagbohrern. Er blieb abrupt stehen und hielt seinen Assistenten an der Schulter zurück. „Was soll das?“, fuhr er ihn an. „Ich sagte doch, die Halle darf erst betreten werden, wenn ich sie freigegeben habe!“ Naoko grinste schief und sagte: „Sie können diese Leute sicher nicht davon abhalten, den Eingang zu öffnen. Immerhin suchen sie schon seit fast vier Monaten danach.“ „Aber wenn nun irgendwas Gefährliches...“
Seine restlichen Worte gingen in dem Jubel der Arbeiter unter, die offensichtlich am Ziel angekommen waren. Er schauderte. Naoko machte Anstalten weiterzugehen, aber er hielt ihn wieder zurück. Naoko sah ihn fragend an, aber bevor Prof. Tikama etwas sagen konnte, wurden die Schreie noch lauter. Allerdings waren es nun eindeutig schmerzvolle Schreie. Die Wände der Höhlen, durch die Naoko und Tikama gekommen waren, warfen die Laute zusätzlich zurück, sodass die Beiden den Eindruck hatte, die Schreie kämen von allen Seiten.
Naokos Augen wurden größer und obwohl er brüllte, so laut er konnte, waren seine Worte kaum zu verstehen: „Ich glaube, wir sollten lieber verschwinden!“ Urplötzlich wurde es still. „Aber wir können die anderen nicht im Stich lassen.“, meinte Prof. Tikama mit zitternder Stimme.
„Wir können ihnen aber nicht helfen, wenn wir uns auch in Gefahr begeben und draufgehen!“, sagte Naoko scheinbar ruhig. Aber in seiner Stimme schwang deutlich Angst mit. Prof. Tikama horchte noch einmal in die Stille hinein. Ein leises Geräusch war zu hören, ein Summen, das trotz der geringen Lautstärke seinen ganzen Kopf auszufüllen schien. „Ja.“, murmelte er, „Gehen wir besser zurück!“ Er sah Naoko an, doch der schien ihn nicht zu hören. Er starrte konzentriert in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Dann ging er langsam darauf zu. „Naoko! Was...“, begann der Professor, aber dann sah er einen schwachen Lichtschein, der auf Naoko zukroch. Als er ihn berührte, fing Naoko an zu wimmern. Er fiel auf die Knie und presste seine Hände gegen die Schläfen. Er riss die Augen auf und schrie einmal auf, das heißt, er versuchte es, aber aus seiner Kehle drang nur ein leises Röcheln. Dann kippte er einfach um und rührte sich nicht mehr. Grauen erfasste den Professor. Er fuhr herum und rannte trotz der Schmerzen in seinem Bein in die große Halle zurück. Als er einen flüchtigen Blick zurück warf, sah er, dass das Licht ihm folgte, allerdings sehr langsam. Vielleicht konnte er entkommen...
Er blieb verdattert vor einer Tür stehen, die vorher nicht da gewesen war! Nach kurzem Zögern fuhr er herum und rannte zu der mobilen Funkstation, die in der Halle stand. Wenn er schon nicht entkommen konnte, dann konnte er wenigstens alle anderen warnen, die er per Funk erreichen konnte. Er wählte die Frequenz und brüllte so laut er nur konnte ins Mikrofon: „An alle, die mich hören können: Ich befinde mich in der Ausgrabung unter der künstlichen Forschungsinsel, im Stillen Ozean! Irgend etwas hat alle Anderen umgebracht! Ich weiß nicht, was...“ Er drehte den Kopf und sah, dass das Licht ihn fast erreicht hatte. Und er sah auch, was das Licht verursachte. Plötzlich erfüllte ihn ein Gefühl der Zufriedenheit und der Ruhe. Er ließ das Mikrofon fallen und ging auf das Licht zu. Als das Licht ihn eingehüllt hatte, konnte man seine gellenden Schreie in der ganzen unterirdischen Stadt hören.

Galuf
09.10.2003, 03:57
Kapitel 1: Der Auftrag

„Schulsprecher Squall, bitte sofort im Direktorat melden!“
Squall verdrehte genervt die Augen und stellte sein Glas Wasser mit einem Knall auf dem Tisch ab. Einige Köpfe in der Mensa drehten sich nach ihm um. Er kümmerte sich nicht darum. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass ihn überall im Garden die Schüler bewundernd beobachteten. Und er hatte sich daran gewöhnt, dreimal die Stunde von Direktor Cid ins Direktorat bestellt zu werden. Er hatte sich daran gewöhnt, aber es nervte ihn trotzdem.
Seufzend stand er auf und bemerkte beiläufig, dass sich die bewundernden Blicke nun auf die Waffe an seinem Gürtel richteten. Seine Gunblade ‚Löwenherz’ leuchtete in einem sanften Hellblau an seiner Seite. Er konnte schon beinahe die Gedanken der Kadetten hören: „Seht ihn euch an! Das ist Squall Leonhart. Der hat die Hexe Artemisia getötet! Wow! Cool! Was für ein Held!“ Und von den weiblichen Kadetten kam vereinzelt: „Mein Gott, ist der niedlich!“
Irvine erhob sich ebenfalls und sie gingen gemeinsam in Richtung Ausgang. „Ich verstehe das nicht! Wieso bist du jetzt der große Held? Ich war auch dabei, als du diese Hexe erledigt hast!“, scherzte er. Squall lächelte flüchtig. „Glaub mir, ich würde jederzeit tauschen, wenn ich könnte.“ Irvine grinste. „Nee, danke, ich verzichte. Es wäre mir echt zu stressig, in deiner Haut zu stecken. Aber...“ Er sah über die Schulter zurück. „Du könntest mir ja deinen Fanclub überlassen.“ Squall drehte sich ebenfalls um. Ein paar Mädchen sahen ihm sehnsüchtig nach. Seit er die Hexe besiegt hatte, war er anscheinend der Mädchenschwarm im Garden. Die Bemerkungen der anderen, er wäre das auch schon vorher gewesen, überhörte er jedes Mal gewissenhaft. „Nun, dein Fanclub ist genauso groß wie meiner, würde ich sagen. Außerdem würde ich sie dir ebenfalls gerne abtreten, wenn ich könnte.“
Irvine grinste schräg. „Wenn ich es recht bedenke, wäre das vielleicht doch keine gute Idee. Damit wäre ich wohl überfordert.“ Als Squall ihm einen ungläubigen Blick zuwarf, hob er die Schultern und meinte: „Hey, sogar ein Supertyp wie ich hat Grenzen!“
Beinahe hätte Squall laut aufgelacht. Aber eben nur beinahe.
„Verzeih mir, Großmeister der Gunblade und Schulsprecher dieses großartigen Gardens“, meldete sich Irvine wieder, „Ich muss hier in die andere Richtung.“ Er deutete auf die Quartiere. Als Squall in diese Richtung sah, krampfte sich sein Herz zusammen. Er sah Selphie dort stehen und neben ihr... Rinoa. Er biss sich auf die Lippe und wandte sich abrupt von Irvine ab. „Okay“, sagte er mit einer, wie er hoffte, sicheren Stimme, „wir sehen uns später.“ Bevor Irvine etwas sagen konnte, lief er schon in Richtung Lift. Er blinzelte die Tränen weg, die in seinen Augen brannten.
Vor zwei Monaten hatte es angefangen. Er und Rinoa hatten wegen einer unbedeutenden Kleinigkeit gestritten und seitdem gingen sie sich immer aus dem Weg, soweit es in diesem Gebäude nur möglich war. Nun ja, so unbedeutend war diese Kleinigkeit vielleicht doch nicht.
Squall hatte Rinoa gesehen, als sie einmal mit Cifer gesprochen hatte und hatte sich daran erinnert, dass die Beiden eine gemeinsame Vergangenheit hatten. Daraufhin hatte er Rinoa zur Rede gestellt und, eifersüchtig wie er war, ihr vorgeworfen, dass sie wohl jeden Mann verführen würde, wenn sie die Gelegenheit dazu bekam. Danach hatte sie kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Was er ihr auch wirklich nicht übel nehmen konnte. Seine Freunde hatten versucht, mit ihm darüber zu reden, aber in den ersten Wochen war er einfach zu stolz gewesen, seinen Fehler zuzugeben. Jetzt bereute er das bitter. Er hätte alles gegeben, um seine Worte zurückzunehmen, aber jetzt war es wahrscheinlich schon zu spät, um sich zu entschuldigen. Er traute sich nicht einmal in ihre Nähe. Sie hatte nämlich offensichtlich beschlossen, ihn einfach zu ignorieren. Und das ertrug er noch weniger als alles andere. Wenn sie ihn anschreien würde, damit könnte er fertig werden. Aber nicht mit diesem eisigen Schweigen zwischen ihnen. Und das Schlimmste war: Seit dem Streit hatte sich Squall wieder immer mehr in sein emotionales Schneckenhaus zurückgezogen. Er wusste das, aber er hatte nicht vor, es zu ändern. Auch wenn seine Freunde darunter leiden mussten, langsam wurde er wieder zu dem zurückgezogenen Einzelgänger, der er vor seiner Begegnung mit Rinoa gewesen war.
Er vermisste Rinoa. Ohne sie hatte sein Leben keinen Sinn, so kitschig sich das auch anhören mochte.
Squall wurde aus seinen Grübeleien gerissen, als er im dritten Stock von Shou angesprochen wurde. „Der Direktor wartet schon auf dich. Ich glaube, diesmal ist es aber wirklich wichtig.“ Sie verstummte und sah ihn mitleidig an. „Hast du denn immer noch nicht mit ihr gesprochen?“, fragte sie. Squall bedachte sie mit einem zornigen Blick. „Gibt es in diesem Garden denn noch irgend jemanden, der sich noch nicht zu meinem privaten Therapeuten erklärt hat?“, fauchte er wütend. Ehe Shou etwas erwidern konnte, lief er ins neu gestaltete Direktorat und knallte die Tür hinter sich zu.
„Ah, da sind Sie ja“, sagte Direktor Cid. „Bitte, setzen Sie sich doch.“ Er sah stirnrunzelnd auf. „Und bitte versuchen Sie, Ihre Wut nicht an meinem neuen Büro auszulassen.“ Er bedachte die Tür mit einem resignierten Blick. Als Squall sich umdrehte, bemerkte er, dass die Tür etwas schief in den Angeln hing. „Oh!“, machte er überrascht. Er hätte wohl nicht seine 100 Exemplare des Ultima-Zaubers mit Stärke koppeln sollen. „Tut mir leid.“, murmelte er. Cid winkte ab.
„Ich werde es ihnen einfach vom Sold abziehen.“, meinte er grinsend. „Nicht, dass Sie das Geld brauchen würden. Aber lassen wir das. Wir haben Wichtigeres zu besprechen.“ Er machte eine einladende Geste auf einen der bequemen Stühle vor seinem Schreibtisch. Squall setzte sich wortlos hin und starrte auf einen Punkt hinter der Wand. Er musste sich konzentrieren, als Cid ihn ansprach. „Sehen Sie sich das an.“ Er drückte einen Knopf auf dem Pult vor ihm. Ein Stück der Wandvertäfelung glitt zur Seite und gab den Blick auf einem Monitor frei. Ein älterer Mann war zu sehen. Offenbar hatte er große Angst. Seine Worte waren kaum zu verstehen, sie wurden immer wieder von Interferenzen überlagert. Squall verstand nur einige Wortfetzen: „...hören können... Ausgrabung... Forschungsinsel, im Stillen Ozean... Anderen umgebracht... weiß nicht...“ Der Mann sah nach links und sah plötzlich ganz ruhig aus. Er machte ein paar Schritte zur Seite und war nicht mehr auf dem Monitor zu sehen. Man konnte ihn noch schreien hören, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.
„Nun, was sagen Sie dazu?“, fragte Cid. Squall richtete seinen Blick auf den Direktor. „Er sagte etwas vom Stillen Ozean. War das nicht dieser Professor, der die Ausgrabung dort geleitet hat?“ Er überlegte einen Moment. „... Prof. Tikama?“ Cid lächelte. „Ich sehe schon, Sie vergessen nichts. Ja das ist... war der Professor. Dieser Funkspruch wurde seltsamerweise nur von uns empfangen. Nicht einmal die Techniker in Esthar haben ihn aufgefangen.“
Squall runzelte die Stirn. „Die Techniker von Esthar haben ihn übersehen?“ Cid schüttelte den Kopf. „Ich sagte nicht ‚übersehen’. Sie haben keinerlei Funkkontakt mehr mit dem Team seit ungefähr... acht Tagen.“
„Woher haben Sie diese Information?“, wollte Squall wissen.
„Ich habe mit dem Präsidenten persönlich gesprochen.“
„Oh, gut. Laguna ist vertrauenswürdig.“, meinte Squall lächelnd. Dann wurde er wieder ernst.
„Aber was habe ich damit zu tun?“, fragte er misstrauisch. Cids Lächeln verschwand. „Ich möchte, dass Sie mit der Ragnarok hinfliegen und nach dem Rechten sehen.“ Squall runzelte die Stirn. „Warum ich?“, fragte er. „Nun, da wären einige Gründe!“ Cid sah Squall noch einmal ins Gesicht und entschied sich schnell für eine Zusammenfassung: „Es läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass Sie der Einzige sind, dem ich diese Sache anvertrauen kann. Die Ausgrabung war streng geheim! Außerdem hat Präsident Loire darum gebeten.“ Squalls Stirnrunzeln vertiefte sich. „Okay. Gut! Und wo ist der Haken?“ „Haken?“
Squalls Blick wurde noch düsterer. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihm etwas verschweigen wollte. „Sie wollten doch noch etwas sagen, oder?”
Cid sah ihm in die Augen. „Squall, ich möchte, dass Sie Rinoa mitnehmen.“, sagte er leise. Squall versteifte sich. „Warum, wenn ich fragen darf?“, fragte er heiser. Cid rückte seine Brille zurecht. „Nun, sie ist eine Hexe! Sie könnte Ihnen nützlich sein.“
„Aber...“
„Schluss jetzt! Sie kann sehr gut auf sich selbst aufpassen, wenn Sie das ansprechen wollten. Und ich lasse es nicht gelten, wenn Sie sie aus persönlichen Gründen nicht mitnehmen wollen!“
Squall zuckte zusammen und senkte den Blick. Eine solche Schärfe in der Stimme des Direktors war er gar nicht gewöhnt. „Aber was ist, wenn sie nicht mit mir zusammenarbeiten will?“, fragte er schließlich. Cid schwieg einen Moment. „Das heißt, Sie haben nichts dagegen?“ Squall sah ihn wieder an. „Natürlich nicht! Aber es ist ihr vielleicht unangenehm...“
„Warum haben sie eigentlich gestritten?“, unterbrach ihn Cid.
Im ersten Moment war Squall zu perplex, um zu antworten. Dann stammelte er: „Aber ich dachte... Sie wüssten das...“ „Nein, ich weiß es nicht. Die ganze Schule redet über euch zwei, aber keiner weiß, warum ihr euch aus dem Weg geht!“ Squall murmelte etwas Unverständliches. Es hörte sich verdächtig nach „Verdammte Scheiße!“ an. „Sprechen Sie gefälligst deutlich, wenn ich mit Ihnen rede!“, sagte Cid verärgert. Squall atmete tief durch. Sein Blick huschte verlegen durch den Raum. „Ich war eifersüchtig... auf Cifer.“, gestand er kleinlaut. Cid hob überrascht die Augenbrauen. Dann begann er zu lachen. Squall sah ihn überrascht an. „Was ist denn so komisch?“, wollte er wissen.
Cid kicherte weiter. Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, meinte er grinsend: „Also, das ist mir in 20 Jahren Ehe erst einmal passiert. Und Sie schaffen es schon im ersten halben Jahr. Sie sind wirklich ein Phänomen, mein Junge. Weil Sie auf Cifer eifersüchtig waren, sagen Sie? Und deshalb haben Sie Rinoa zur Rede gestellt, und es artete dann in einen handfesten Streit aus, nicht war?“ Squall wurde rot und nickte.
„Und haben Sie sich schon bei ihr entschuldigt?“ Squall schüttelte den Kopf. „Ich wollte ja, aber sie hört mir nie zu!“, murmelte er. Cid wurde wieder ernst. „Nun, Sie werden aber mit ihr reden müssen, wenn Sie mit ihr zusammen arbeiten wollen.“
„Hä?“, machte Squall verständnislos. Cid grinste. „Vertrauen Sie mir. Sagte ich schon, dass ich mittlerweile 20 Jahre mit Edea verheiratet bin? Glauben Sie mir, sobald Sie sich entschuldigt haben, wird es viel besser werden. Nun, es kann eigentlich nur besser werden, finden Sie nicht auch?“
Squall stand auf. „Sind wir dann fertig?“, fragte er ungeduldig. Cid erhob sich ebenfalls. „Gut. Benachrichtigen Sie die Anderen. Ich werde mich einmal mit Rinoa unterhalten.“ Squall wollte noch etwas erwidern, doch dann wurde die Tür geöffnet und Rinoa trat ein. Er wusste das, ohne sich umzudrehen.
„Sie wollten mich...“, begann sie, doch als sie Squall bemerkte, verstummte sie augenblicklich. Squall sah sie kurz an, dann schlüpfte er an ihr vorbei nach draußen. Als er die Tür geschlossen hatte, blieb er noch einen Moment stehen, ballte die Hände zu Fäusten und atmete tief durch. Er ging langsam zum Lift und fuhr ins Erdgeschoss, wo bereits Irvine und Selphie auf ihn warteten.
„Okaaaay, Cheeeef!“, krähte Selphie fröhlich. „Was ist looos?“ Squall musste unwillkürlich lächeln. Das musste er bei Selphies seltsamer Aussprache immer. Selphie konnte zwar auch ‚normal’ reden, aber wenn sie gut aufgelegt war, bevorzugte sie ihren... etwas eigenen Dialekt.
„Das sag ich euch noch.“, antwortete er. „Holt Xell und Quistis und wartet in einer Stunde im Schulhof. Ich muss noch...“ Er schluckte. „Ich muss mit Rinoa reden.“
„Oh!“, machte Selphie. Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Viiiiiiel Glück!“ Dann drehte sie sich um und lief davon. Irvine seufzte. „Ist sie nicht süß?“, fragte er, dann rannte er ihr nach. Squall sah ihnen nach. Dann sah er wieder zum Lift. Nervös wartete er auf das Ende des Gespräches zwischen Cid und Rinoa. Er sah den Kadetten unten auf dem Rundgang zu, wie sie miteinander plauderten. Ein Pärchen küsste sich sogar, bis sie von einem Ausbilder deswegen gerügt wurden. Für die Schüler war so etwas innerhalb der Schule nämlich verboten. Wegen ihm und Rinoa war dieses Gebot für ausgebildete SEEDs aufgehoben worden. Manche Kadetten sahen auch zu ihm hinauf und tuschelten miteinander. Er lächelte. Früher hatte er die SEEDs genauso bewundernd angestarrt. Das war allerdings schon länger her, 12 Jahre oder so. Jetzt war er 18. Sein letzter Geburtstag vor drei Wochen war der traurigste in seinem Leben gewesen. Und Rinoa hatte sich den ganzen Tag nicht blicken lassen.
Hinter ihm räusperte sich jemand. Er drehte sich um und wollte etwas sagen, aber Rinoa kam ihm zuvor.

Galuf
09.10.2003, 04:00
„Der Direktor sagte, ich soll an dieser Mission teilnehmen. Also werde ich das tun. Aber glaub nicht, dass sich dadurch etwas zwischen uns ändert.“ Ihre Stimme klang eisig. Squall sah beschämt zu Boden. Als Rinoa jedoch an ihm vorbei gehen wollte, hielt er sie zurück.
„Rinoa, warte!“, bat er. „Ich muss mit dir reden.“
„Wenn es um den Einsatz geht...“, begann sie kühl, doch er unterbrach sie wieder. „Nein. Nicht der Einsatz. Ich wollte über... uns sprechen.“ Bevor sie etwas sagen konnte, fuhr er schon fort: „Bitte, lass mich zuerst ausreden! Wenn du mir jetzt nicht zuhörst, finde ich vielleicht nie wieder den Mut, dich anzusprechen.“ Er holte tief Luft. „Ich... es tut mir leid, was ich... bei dem Streit gesagt habe. Ich habe es wirklich nicht so gemeint, das musst du mir glauben! Aber... ich war so furchtbar eifersüchtig... auf Cifer, weil ihr beide ja einmal... zusammen wart. Und dann habe ich Dinge gesagt, die ich so nicht gemeint habe. Und... ich wollte... also... nun...“ Er brach ab und sah zu Boden. Als er wieder aufsah, bemerkte er, dass ihr Tränen in den Augen standen.
„Aha, so ist das also. Du hast es ja gar nicht so gemeint, als du mich eine •••••••• genannt hast. Wie praktisch. Und jetzt soll ich einfach alles vergeben und vergessen? So einfach läuft das aber nicht!“, sagte sie gezwungen ruhig.
Squall sah wieder zu Boden. „Ich weiß. Ich erwarte auch nicht, dass du das, was ich gesagt habe, einfach so vergisst. Ich wollte mich nur bei dir entschuldigen. Ich...“ Er biss sich auf die Lippe. „Sind wir jetzt fertig?“, fragte Rinoa kalt.
„Nein. Du solltest wissen...“ Er gab sich einen Ruck und sah ihr fest in die Augen. „Es ist... war meine erste Beziehung. Ich war vor dir noch nie mit einem Mädchen zusammen. Und ich hatte ständig Angst, dass du mich einmal wegen eines Anderen verlässt. In solchen Sachen...“ Er grinste schief. „...habe ich nicht besonders viel Selbstvertrauen. Und dann habe ich euch zwei zusammen gesehen und...“ Er sah wieder weg. „Ich wollte damit nur sagen, dass ich dich schrecklich vermisse und dass ich... es nicht ertrage, wenn du... sauer auf mich bist. Bitte verzeih mir.“ Seine Stimme brach bei den letzten Worten.
Er drehte sich abrupt um, damit sie seine Tränen nicht sehen konnte. Verdammt, warum fange ich jedes Mal an zu heulen, wenn ich sie sehe? , dachte er. Laut sagte er: „In einer Stunde halten wir die Einsatzbesprechung im Schulhof ab.“ Er machte Anstalten zu gehen. Rinoa hielt ihn zurück und sagte leise: „Ich werde darüber nachdenken, was du gesagt hast. Mehr kann ich dir nicht versprechen.“ Er streifte ihre Hand ab und flüsterte: „Danke. Mehr erwarte ich nicht.“
Er rannte zur Übungshalle. Er brauchte etwas, um sich abzureagieren. Ein kleiner Archeodinos wäre dafür genau richtig. Oder auch zwei.
Schon von Weitem hörte Squall die überraschten Schreie der Kadetten, wenn sie von einem Monster angegriffen wurden. Doch heute schienen sie noch lauter zu Schreien als sonst. Er runzelte die Stirn und horchte angestrengt. Da war etwas! Ein seltsames Geräusch, das eindeutig nicht in die Übungshalle gehörte. Ein... Brüllen, wie von einem Drachen. Er lauschte noch intensiver. Ein Rumbrum-Drache? , dachte er überrascht. Er rannte in die Übungshalle und sah tatsächlich etwas Rotes durch die Sträucher schimmern. Die Schreie waren inzwischen verstummt, einige Kadetten rannte in wilder Flucht an ihm vorbei. Er lief noch schneller und ging hinter einem Strauch in Deckung. Ein einziger Kadett setzte sich noch gegen den außergewöhnlich großen Drachen zur Wehr. Er stand vor einem bewusstlosen Mädchen und nahm mit seiner Gunblade eine Verteidigungshaltung ein. Diese Waffe war seit seinem Sieg über die Hexe vor einem knappen halben Jahr die Trendwaffe. Nun, warum auch nicht.
„Wenn du sie willst, musst du erst an mir vorbei, du Scheusal!“, rief der Junge dem Drachen zu. Der Kleine war vielleicht sechzehn... Squall grinste, als er bemerkte, dass er den Jungen in Gedanken „Kleiner“ genannt hatte, obwohl er selbst kaum zwei Jahre älter war. Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf den Drachen.
Der Drache öffnete sein Maul und fing an... zu sprechen! Squall glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Der Drache sagte mit einer tiefen, aber deutlich verständlichen Stimme: „Keine Angst, kleiner Mensch. Ich bin nicht hier, um zu töten.“
Squall stand auf. „Aber ich!“, brüllte er dem Drachen entgegen. Er sprang aus seinem Versteck hervor und kam vor dem Kadetten mit einer eleganten Rolle wieder auf die Beine. „Bring sie hier raus!“, befahl er dem verängstigten Jungen, ehe er sich dem Drachen zuwandte. Dieser sah ihn wütend an. „Du hast mir ihre Träume gestohlen!“, grollte er verärgert. Squall machte eine wegwerfende Handbewegung und zog seine Gunblade. „Tja, du wirst mit mir Vorlieb nehmen müssen.“, meinte er achselzuckend. Der Drache sah ihn einen Moment lang an. „Du bist Squall Leonhart, nicht war? Du giltst als hervorragender Kämpfer.“ Irrte er sich, oder hörte Squall eine Spur von Angst in der Stimme des Ungeheuers?
„Was du nicht sagst! Ich fühle mich geschmeichelt.“, grinste er. „Kriegst du jetzt Schiss?“ Der Drache knurrte... und machte tatsächlich einen Schritt nach hinten. „Hey! Weglaufen ist nicht drin!“, rief Squall dem Drachen nach. Er lächelte gefährlich und packte die Waffe fester. „Jetzt bin ich dran!“ Er ging in Angriffsposition und schnellte nach vorn. Seine Schläge kamen so schnell hintereinander, dass der Drache keine Chance hatte, ihnen zu entgehen. Allerdings waren diese Biester schwer verletzt noch gefährlicher. Und noch dazu schien der Drache es Squall wirklich übel zu nehmen, dass er die beiden Kadetten beschützt hatte.
Blitzschnell änderte Squall eine Kopplung und wich einem Angriff des Monsters im letzten Moment aus. „Ha, war das etwa alles?“, rief er dem Drachen entgegen, worauf dieser ihn böse anfunkelte. „Wage es nicht, dich über mich lustig zu machen, Mensch!“, grollte er.
„Würde mir nicht im Traum einfallen!“, gab Squall zurück.
Der Drache brüllte zornig und sprach einen Zauber aus, der jeden Kadetten auf der Stelle kampfunfähig gemacht hätte. Aber Squall blieb ruhig stehen und grinste den Drachen frech an. Als der Feuga-Zauber beendet war, fühlte sich Squall noch wohler als am Anfang des Kampfes. Statt ihm zu schaden, hatte ihn der Spruch geheilt! Er dankte im Stillen Doomtrain für die Element- Abwehr- Kopplung und umklammerte den Griff seiner Gunblade fester.
Der Drache wich noch einen Schritt zurück. Wäre das Monster ein Mensch gewesen, hätte Squall geschworen, dass er Angst hatte. Aber dies war ohnehin kein normaler Rumbrum-Drache.
„Du willst doch nicht etwa schon gehen?“, fragte Squall sarkastisch. Statt zu antworten, sprach der Drache einen ‚Meteor’- Zauber aus. Squall wurde ins Weltall versetzt und von unzähligen Meteoriten beinahe erschlagen. Als er den Drachen wieder sehen konnte, schien ihn das Vieh beinahe anzugrinsen. Gleich darauf richtete er sich auf die Hinterläufe auf und brüllte ohrenbetäubend. Eine Flammensäule raste auf Squall zu und verletzte ihn schwer.
„Autsch!“, presste Squall hervor und ging in die Knie. Im letzten Moment wich er einem Hieb des Monsters aus. Im nächsten Moment war er schon wieder auf den Beinen. Er packte die Löwenherz fester.
Dieses Vieh hatte ihn wirklich wütend gemacht!
Blaue Blitze schossen aus dem Boden rund um Squall. Er schloss die Augen und spürte, wie neue Kraft in ihn einströmte. Der nächste Hieb schleuderte den Drachen hoch in die Luft. Squall setzte ihm nach und hieb unzählige Male auf ihn ein. Der Drache prallte schwer auf dem Boden, während Squall sicher neben ihm aufsetzte.
Squall befestigte zufrieden seine Waffe am Gürtel, als sich das Ungeheuer nicht mehr bewegte. Doch als er den Drachen genauer untersuchen wollte, schlug dieser noch ein letztes Mal die Augen auf.
„Deine Träume werden einst mir gehören, Squall Leonhart!“, drohte das Monster. Dann löste es sich vor seinen Augen in einem grellblauen Blitz auf. Squall starrte noch einige Sekunden ungläubig auf die Stelle, auf der noch eben ein zwei Meter hoher und acht Meter langer Drachenkadaver gelegen hatte. Dann drehte er sich um, um sich nach dem Kadetten und seiner bewusstlosen Freundin umzusehen. Der Junge starrte ihn bewundernd an, und das Mädchen war inzwischen wieder aufgewacht. Squall ging zu ihnen hinüber und half dem Mädchen beim Aufstehen. „War das ein echter Rumbrum-Drache?“, fragte das Mädchen mit zittriger Stimme. Squall nickte knapp und fragte den Jungen: „Kannst du sie zur Krankenstation bringen?“ Der Angesprochene nickte eifrig. Allerdings schien er noch etwas sagen zu wollen.
„Ist noch irgend etwas?“, fragte Squall so ruhig wie möglich. Der Kadett sah ihn schüchtern an. Dann fragte er aufgeregt: „Wie haben Sie das gemacht... ich meine, diese Blitze und wie Sie das Monster in die Luft...“ Dem Jungen schien ein Licht aufzugehen. „Das war ein Herzensbrecher, nicht war? Wie haben Sie das gemacht?“
Squall lächelte. „Das ist mein Geheimnis. Aber eigentlich ist das alles nur eine Frage der Übung.“, sagte er freundlich. „Irgendwann wirst du auch eine ähnliche Spezialtechnik beherrschen. Und jetzt entschuldigt mich, ich muss gehen.“ Er nickte den Beiden noch einmal zu und lief dann zum Ausgang. Draußen wurde er beinahe von Quistis über den Haufen gerannt.
„Was machst du denn hier?“, fragte er sie überrascht. „Das könnte ich dich auch fragen.“, entgegnete sie.
„Ich rette hier Menschenleben. Und du?“, grinste er. Quistis grinste ebenfalls. „Selphie und Irvine haben gesagt, wir sollen uns im Schulhof treffen. Ich suche hier eigentlich nach Xell.“
Squall grinste noch breiter. „Such unsere Leseratte doch in der Bibliothek.“ Quistis schlug sich gegen die Stirn. „Na klar! Der hat sich ja neuerdings zum Bücherwurm gemausert. Okay, ich hole ihn dann. Wir sehen uns nachher.“ Sie winkte und lief dann zur Bibliothek. Squall sah auf seine Uhr. Er hatte noch fünfundzwanzig Minuten bis zur Einsatzbesprechung Zeit. Gemächlich schlenderte er in Richtung Schulhof und sah traurig zu den Quartieren hinüber. Ob Rinoa ihm wohl irgendwann würde verzeihen können? Sofort sank seine Laune ins Bodenlose. Finster vor sich hin brütend ging er weiter. Als er im Schulhof angekommen war, stellte er erfreut fest, dass er allein war. Er legte sich quer auf eine der Bänke und starrte in den Himmel. Er dachte wieder an Rinoa. Vielleicht würde er während der Mission noch einmal die Gelegenheit haben, mit ihr zu sprechen. Er hoffte es jedenfalls. Er hatte das, was er ihr gesagt hatte, auch so gemeint. Und er vermisste sie wirklich schrecklich. Er seufzte und schloss die Augen. Er spürte die warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut und döste ein. Und wachte erst wieder auf, als ihn jemand an der Schulter packte und kräftig schüttelte. Er öffnete träge die Augen und setzte sich auf. „Ichbinjawach.“, murmelte er schläfrig.
„Gut. Ich dachte nur, es sieht nicht gut aus, wenn der Staffelführer vor der Einsatzbesprechung einschläft. Muss ja ’ne öde Mission sein.“, meinte Xell grinsend. „Keine Angst! Ich sag’s nicht weiter.“ Squall sah sich um. Außer Xell war keiner zu sehen. Er sah auf die Uhr. „Du bist drei Minuten zu früh!“, stellte er fest.
„Och, meine Uhr muss vor gehen.“ Xell senkte seine Stimme zu einem Flüstern. „Außerdem musste ich ein paar Mitglieder deines Fanclubs verscheuchen, die dich beim Schlafen beobachtetet haben.“ Squall runzelte die Stirn. „Wie?“, machte er. Xell nickte und flötete mit verstellter Stimme: „Oh- mein- Gott! Sieht er nicht NIEDLICH aus, wenn er schläft?“
Squall ließ sich mit einem gemurmelten „Meine Güte!“ wieder auf die Bank sinken und bedeckte die Augen mit der Hand.
„Heeeey Cheeeeeeef!“, ertönte Selphies Stimme. „Waaaaas machst du daaaaa?“ Squall seufzte. „Ich überlege, welche Art von Selbstmord am geeignetsten für mich wäre.“, brummte er.
„Hey, unser Lieblingsschulsprecher zeigt Humor! Ich bin begeistert!“, meldete sich Irvine kichernd. „Ich empfehle übrigens einen sauberen Kopfschuss. Dabei kann ich dir auch sofort behilflich sein.“ Er holte seine Exetor hervor. Selphie sah ihn entsetzt an. „Ich weiß nicht. Ich hatte eigentlich an eine Enthauptung mit meiner eigenen Waffe gedacht.“, meinte Squall lächelnd. Irvine schüttelte den Kopf. „Weißt du eigentlich, dass dein Kopf bei einer Enthauptung bis zu zwei Minuten weiterlebt? Mit etwas Glück ist dein kopfloser Körper das letzte, was du siehst.“, meinte er grinsend. Selphies Gesichtsfarbe wechselte von ungesundem Weiß zu einem noch ungesünderen, grünlichen Farbton. „Igitt!! Hört auf damit!“, würgte sie hervor.
„Natürlich könntest du dich auch erhängen, aber wenn dein Genick nicht sofort bricht, erstickst du qualvoll.“, fuhr Irvine ungerührt fort. „Aufhööööören!“, schrie Selphie angeekelt.
„Nun, und Gift wäre auch noch eine Möglichkeit...“, wollte Irvine fortfahren, aber er wurde sofort wieder von Selphie unterbrochen. „Irvine Kinneas! Wenn du nicht sofort damit aufhörst, bringe ich dich um. Und zwar wirklich schmerzvoll!“, drohte sie. „Meine Güte! Könnt Ihr mir noch einmal verzeihen, Milady?“, fragte Irvine scheinbar erschrocken. Selphie legte den Kopf schief und überlegte. „Nun guuuut, diiiiies erste und letzte Maaaaal möge Ihm dieser Ausrutscher verziehen seeeeeein.“, antwortete sie dann hochnäsig. Nun, es hätte wohl hochnäsig klingen sollen, aber Selphies Sprachfehler machte dieses Effekt zunichte.
Quistis und Xell fingen an zu lachen.
Squall lächelte schwach. Irgendwie war ihm nicht nach Lachen zumute. Er stand auf. Bis auf Rinoa waren anscheinend alle da. Er sah sich suchend um. „Wo ist...“, begann er, doch er wurde sofort von Selphie unterbrochen: „Oh, jaaaaa, sie saaagte, sie kommt wahrscheiiiinlich etwas spääääääter!“
Nach einer Schweigeminute meldete sie sich wieder (diesmal jedoch ohne Sprachfehler): „Hast du mit ihr gesprochen?“ Squall sah zu Boden und sagte nichts. Er nickte nur. „Selphie! Du siehst doch, dass der Mann deprimiert ist!“, sagte Irvine streng.
Squall schüttelte den Kopf. „Nein, ist schon gut. Ich habe mit ihr gesprochen, aber ich glaube nicht, dass sie mir meinen Fehler so schnell verzeiht. Ich habe ihr ziemlich wehgetan.“
„Aber du hoffst doch, dass sie dir verzeiht, nicht war?“, forschte Selphie weiter. Squall sah sie an. „Hoffen werde ich immer. Aber du weißt ja, dass ich sie eine... ••••••••... genannt habe. Dafür wird sie mir ewig böse sein.“ Er sah wieder weg. „Aber ich Idiot bin ja selbst schuld.“, fügte er niedergeschlagen hinzu.
Hinter ihm räusperte sich jemand. Er fuhr herum und starrte Rinoa an, die allem Anschein nach das gesamte Gespräch mitgehört hatte. Autsch!
„Okay!“, begann sie, „Du hast mit mir gesprochen – jetzt bin ich dran!“ Sie ging einen Schritt auf Squall zu... und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige! Er stolperte einen Schritt zurück und hielt sich eine Hand an die Wange. Verdutzt starrte er sie an.
„Jetzt weißt du ungefähr, wie ich mich gefühlt habe, als du gesagt hast, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst.“, fuhr sie ungerührt fort. Sie ging wieder auf ihn zu und rammte ihm mit aller Kraft die Faust in den Magen. Squall gab einen erstickten Schrei von sich und ging in die Knie. Bunte Kreise tanzten vor seinen Augen und er musste sich mit einer Hand auf dem Boden abstützen. Ihre zierliche Gestalt täuschte darüber hinweg, dass Rinoa es ohne weiteres mit einem Mann aufnehmen konnte, wenn es um körperliche Kraft ging. Das lag daran, das Ifrit ein sehr gutes Verhältnis zu ihr hatte. Vielleicht war es auch ein Nebeneffekt ihrer Hexenkräfte. Nun, jedenfalls tat es weh!
Rinoa ging vor Squall in die Hocke. „Und so habe ich mich gefühlt, als du gesagt hast, ich würde wahrscheinlich mit jedem in die Kiste hüpfen, sobald ich die Gelegenheit hätte.“
Squall schloss die Augen, schnappte nach Luft und krächzte dann mühsam: „Gibt es... noch... etwas,... das du mir... mitteilen willst?“ Er versuchte, sich nicht vorzustellen, was sie als nächstes machen würde. Doch dann riss er überrascht die Augen wieder auf, als er Rinoas weiche Lippen auf seinen spürte. Im ersten Moment war er viel zu perplex, um darauf zu reagieren, aber dann erwiderte er ihren Kuss so stürmisch, dass sie es war, die sich von ihm lösen musste.
Sie lächelte ihn an und flüsterte: „Das war für deine süße Entschuldigung.“ Er lächelte zaghaft zurück. Sie küsste ihn noch einmal. „Weißt du, ich habe darüber nachgedacht, was du vorhin gesagt hast. Und ich muss sagen, ich vermisse dich auch.“, sagte sie leise. „Ich will, dass es wieder so wird wie früher. Ich denke zwar nicht, dass ich diesen Streit jemals vergessen werde...“ Sie lächelte wieder. „...aber ich glaube, ich kann es dir verzeihen.“ Sie half ihm beim Aufstehen und sah ihn besorgt an, als er das Gesicht verzog. „Ich hoffe, ich habe nicht allzu fest zugeschlagen.“, meinte sie.
Squall versuchte zu lächeln, was ihm aber nicht ganz gelang. „Schon gut.“, brachte er hervor. „Ich schätze, ich habe es nicht anders verdient.“ Er verzog wieder vor Schmerzen das Gesicht und hielt sich mit einer Hand den Bauch. Rinoa sah ihn erschrocken an. Dann lächelte sie. Sie schob ihre Hand unter sein T-Shirt und flüsterte ihm ins Ohr: „Aber gegen die Schmerzen sollten wir trotzdem etwas tun, oder nicht?“ Plötzlich waren Squalls Schmerzen wie weggeblasen. Er hatte sich in der Zeit, als sie zusammen gewesen waren, an ihre Hexenkräfte gewöhnt, die diesen Effekt bewirkten. Nachdem sie so lange Zeit getrennt gewesen waren, genoss er jede ihrer Berührungen und jedes Zauberkunststückchen von ihr erst recht.
„Besser?“, fragte sie lächelnd. Er küsste sie sehr sanft und sehr lange. „Viel besser.“, erwiderte er ebenfalls lächelnd. „Mein Herz hat gerade wieder angefangen zu schlagen.“ Er schloss sie in die Arme.

Galuf
09.10.2003, 04:08
Nach einiger Zeit brach Irvine das Schweigen. „Seht ihr, und das ist der Grund, warum ich nie mit Frauen streite. Sie werden dann einfach zu brutal und...“ Er verstummte, als Quistis und Selphie wütend einen Schritt auf ihn zu machten. Er blinzelte mit gespielter Überraschung. „Was denn? Was habe ich denn gesagt?“ Quistis löste ihre Peitsche vom Gürtel. „Hey! Ich ergebe mich ja!“, rief Irvine erschrocken. Squall unterdrückte mit Mühe ein Lachen. Irvine sah ihn beleidigt an. „Wehe dir, wenn du auch nur schief grinst! Du hättest dich mal sehen sollen, als du dich von ihr hast verprügeln hast lassen.“ Er zeigte auf Rinoa. „Übrigens, meine Hochachtung. Dein Stil ist wirklich hervorragend.“
Xell kicherte. „Ja, eine saubere Rechte. Und denen dort drüben hat es sicher auch gefallen.“ Er deutete auf ein paar Kadetten, die vom Eingang her entsetzt zusahen. Jetzt konnte Squall sich nicht mehr beherrschen. Laut lachend setzte er sich einfach auf den Boden. Einen Moment später folgten die anderen ebenfalls lachend seinem Beispiel. Mein Gott, soviel gelacht wie im letzten halben Jahr habe ich in meinem ganzen Leben nicht! , dachte Squall. Überhaupt hatte sich im letzten halben Jahr sein ganzes Leben grundlegend geändert. Er hatte gelernt, anderen Menschen zu vertrauen und mit seinen Freunden zu lachen. Er war nicht länger ein mürrischer Einzelgänger, der nur für sich alleine lebte und nur redete, wenn es sein musste; er war ein sympathischer junger Mann geworden, der zwar meistens etwas still war, aber auch sehr freundlich sein konnte und dem die Schüler mit Respekt begegneten. Das gefiel ihm irgendwie.
Und beinahe hätte er das wieder verloren.
Nachdem sich alle wieder einigermaßen gefangen hatten, räusperte Squall sich und sagte: „Also, ihr wisst alle, warum ihr hier seid?“
„Es hat irgend etwas mit der Ausgrabung im Stillen Ozean zu tun, nicht war?“, meldete sich Quistis.
Squall nickte. „Ja. Von dort wurde ein Funkspruch aufgefangen. Allem Anschein nach hat etwas oder jemand das gesamte Forscherteam getötet.“
„Oh!“, machte Selphie. „Viiiielleiiiiicht der Geist vooooon Ultima Weapon?“, flüsterte sie geheimnisvoll.
„Schon möglich. Jedenfalls hat Direktor Cid den Befehl gegeben, den Fall zu untersuchen.“
Lange sagte keiner ein Wort. Dann meldete sich Xell zu Wort: „Das ist doch gefährlich, oder?“
Squall nickte. „Ja.“
„Und wir könnten alle dabei draufgehen?“
„Durchaus möglich.“
Xell grinste. „Klasse! Worauf warten wir dann noch?“

Wenig später hatten sich alle an Bord der Ragnarok versammelt. Selphie war, ohne auf den entsprechenden Befehl zu warten, im Cockpit des schnittigen Flugzeuges verschwunden. Irvine war ihr natürlich (Wie immer!) gefolgt. Quistis, Xell, Squall und Rinoa hatten es sich im Passagierraum gemütlich gemacht.
„Ich möchte bloß wissen, was außer Ultima Weapon noch dort unten sein könnte, das den Wissenschaftlern gefährlich werden konnte.“, meinte Quistis. Xell grinste schief. „Dazu gehört nicht viel, denke ich. Ich meine, keiner dieser Forscher hatte schon einmal eine Waffe in der Hand gehabt, und sie waren auch nicht besonders viele, oder?“
Squall schüttelte den Kopf. „Nein. Ich glaube, sie waren nur sieben oder acht. Plus ein paar Bergarbeiter.“
„Was haben sie dort unten eigentlich gesucht?“, meldete sich Rinoa. Xell meinte achselzuckend: „Irgend etwas, dass sie ‚Traumhalle’ genannt haben, oder so ähnlich.“ Bei dem Wort ‚Traumhalle’ schrillte eine Alarmglocke in Squalls Kopf auf. Er erinnerte sich urplötzlich an den sprechenden Drachen in der Übungshalle. Du hast mir ihre Träume gestohlen... Deine Träume werden einst mir gehören... „Traumhalle...“, murmelte er.
Rinoa sah ihn an. „Weißt du etwas Genaueres darüber?“, fragte sie. „Nein.“, antwortete Squall. „Ich finde es nur merkwürdig, dass in letzter Zeit so viele auf Träume versessen sind.“ Er erzählte den Anderen von seinem Kampf gegen den Drachen. „Ein sprechender Rumbrum-Drache? In der Übungshalle?“, vergewisserte sich Quistis ungläubig. Squall nickte ungerührt. „Warum hast du uns das nicht schon früher erzählt?“, meldete sich Irvine von der Tür her.
Squall wurde rot. „Ich hab’s... vergessen.“, gestand er.
„Vergessen?“, ächzte Xell.
„Na und? Jeder kann doch einmal etwas vergessen!“, verteidigte ihn Rinoa. Sie setzte sich auf Squalls Schoß und strich mit einer Hand über sein Haar. „Außerdem hatte er gerade etwas anderes im Kopf, nicht war?“ Squall sah ihr in die Augen. „Ja.“, sagte er leise. „Ich musste die ganze Zeit an dich denken.“ Rinoa lächelte. „Ich wusste gar nicht, dass du ein so romantischer Typ bist.“, scherzte sie. „Bin ich auch nicht. Ich sage nur die Wahrheit.“, meinte Squall ernst.
„Ähem, ich störe ja nur ungern...“, meldete sich Irvine. „Lügner!“, riefen Xell und Quistis gleichzeitig. „...aber Selphie sagte, wir sind gleich da.“, schloss Irvine beleidigt.
Squall seufzte. „Also, wir bilden wie immer zwei Teams: Ich werde Rinoa und Xell mitnehmen. Quistis, du übernimmst die Führung bei Team zwei mit Irvine und Selphie. Ich und mein Team gehen vor und schalten eventuelle Gegner aus. Ihr folgt uns, wenn ich euch per Funk die Erlaubnis erteile. Sollte uns etwas passieren, werdet ihr die Ragnarok wieder zum Garden zurückbringen und Bericht erstatten. Alles klar?“
Quistis lächelte. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir euch im Stich lassen würden?“, fragte sie augenzwinkernd. Squall lächelte ebenfalls. „Nein. Aber als Staffelführer musste ich das sagen.“
Rinoa stand auf und streckte sich. „Also, ich muss sagen, ich bin schon richtig gespannt. Wie es da unten jetzt wohl aussieht?“
„Nun, wir werden es bald genug herausfinden. Sind die G. F. gekoppelt?“ Xell und Rinoa nickten. „Eden ist schon ganz aufgeregt.“, meinte Xell. „Wie steht’s mit Bahamut?“ Rinoa lächelte. „Ihm geht es genauso. Er hatte anscheinend Heimweh.“
Selphie schaute in den Passagierraum. „Okay, Leute! Wir sind da. Alles raaaaaus hieeer!“ Squall fiel auf, dass Irvine keine seiner üblichen Bemerkungen machte. Als er seinen Freund ansah, fiel ihm auf, dass Irvine ungewöhnlich blass war. Als Irvine seinen Blick bemerkte, lächelte er schwach und sagte: „Also, ihr habt es gehört! Raus mit euch.“ Er ging an Selphie vorbei zum Ausgang. Bevor Squall ihn ansprechen konnte, hakte sich Rinoa bei ihm unter und fragte: „Gehen wir?“ Squall beschloss, später mit Irvine zu sprechen. Er lächelte Rinoa an und nickte Xell zu. „Okay, dann wollen wir mal!“

„Also ich finde, hier hat sich nicht viel verändert seit unserem letzten... Besuch.“, meinte Xell. Als er sich umdrehte, sah er, dass Rinoa und Squall schon wieder heftigst herumknutschten. Er verdrehte die Augen und schwor sich insgeheim, sich niemals mit einer Frau einzulassen. Nun, aber da war dann noch diese süße Bibliothekarin...
Xell räusperte sich und sagte: „Ich unterbreche euch ja nur ungern, aber wir haben hier einen Auftrag. Ich freue mich ja auch für euch beide, aber ihr solltet ihn trotzdem nicht vergessen.“ Die Beiden zuckten schuldbewusst zusammen und lösten sich hastig voneinander. Xell grinste. „Also ehrlich, vor einem Jahr hätte ich das nicht geglaubt, wenn es mir jemand erzählt hätte. Der große Squall Leonhart vergisst wegen einem Mädchen seine Mission. Mein Gott! Das Weltbild einiger Kadetten würde nach dieser Meldung zusammenbrechen. Und nichts für ungut, Rinoa.“ Squall wurde rot. Er räusperte sich und sagte: „Danke für den Hinweis, Xell. Und was sollte das denn heißen: ‚Der große Squall Leonhart’?“ Xells Grinsen wurde noch breiter. „Nun, so haben wir normalsterbliche Kadetten dich genannt. Der große Squall Leonhart, Meister der Gunblade, ein Genie in Sachen Kampftechniken, Klassenbester und der Einzige, der Cifer das Wasser reichen konnte. Soll ich fortfahren?“
Jetzt lächelte auch Rinoa. „Klassenbester? Ach nein?“ „Yo, das war er. Ein richtiger kleiner Streber.“, nickte Xell.
Squall grinste schief. „Muss das ausgerechnet jetzt sein? Und außerdem: Ich war kein Streber!“ Xell sah ihn schräg an. „Natürlich nicht! Welch Frevel von mir Unwürdigen, Euch einen Streber zu nennen, eure Hoheit!“ Rinoa lachte. „Habt ihr euch denn in der Klasse auch so kindisch gezankt?“, fragte sie belustigt. Squall schüttelte den Kopf. „Nee. In der Klasse habe ich ihn immer ignoriert. Damals hat mir immer so etwas gefehlt.“ Xell boxte ihm spielerisch in die Rippen, was sich für Squall anfühlte, als wären ihm einige Rippen gebrochen worden.
„Also, ich denke, wir können die anderen herunter holen.“, kicherte Rinoa. Xell holte ein kleines Funkgerät aus der Tasche. Er bewunderte immer wieder die Techniker von Esthar dafür, dass sie so schnell nach der Beseitigung der Hexe Adell aus dem Weltall und damit der weltweiten Interferenzen die geeignete Technik zur Übertragung von Funkwellen entwickelt hatten. „Hey, ihr da oben, könnt ihr mich hören?“
„Natürlich. Dürfen wir endlich runter?“, meldete sich Irvine. „Na gut. Ausnahmsweise. Aber nur, weil du es bist.“ Xell sah kurz zu Squall und Rinoa hinüber. „Und vielleicht könnt ihr mir helfen, unser Liebespärchen hier zu trennen. Die kleben allem Anschein nach aneinander fest. Sie können einfach nicht länger als fünfzehn Sekunden voneinander lassen.“, seufzte er. „Allein schaffe ich das nicht. Sie trennen, meine ich.“ „Zu viert schafft ihr das auch nicht!“, meldete sich Squall hinter ihm.
„Okay, wir kommen dann mal runter.“, meinte Irvine. Seiner Stimme nach musste er sich schon krampfhaft ein Lachen verkneifen. Xell schaltete das Funkgerät aus und sah wieder zu den beiden Anderen hinüber. Himmel-Arsch-und-Zwirn-nochmal, die zwei küssten sich schon wieder! Er schüttelte den Kopf und ging den anderen entgegen.

„Ich glaube, wir haben Xell verscheucht.“, meinte Squall nach einer Weile, nachdem er sich umgesehen hatte. Rinoa lächelte ihn an. „Wahrscheinlich. Er hält nicht viel von Liebesgeschichten.“ Sie küsste ihn noch ein letztes Mal. „So, aber jetzt ist endgültig Schluss! Meine Lippen tun schon weh.“ Squall grinste sie an. „Meine auch. Aber wir haben noch so viel nachzuholen. Wie lange ist für dich endgültig?“ Rinoa lächelte. „Ich dachte da an vierzehn Sekunden.“ Sie fielen sich wieder in die Arme. Nach einiger Zeit bemerkte Squall, dass Irvine auf den Stufen saß und sie beobachtete. Er ließ Rinoa hastig los. Sie sah ihn erst überrascht an, doch als sie sich umdrehte und Irvine bemerkte, lächelte sie. „Okay, seit wann bist du schon hier?“, fragte sie gespielt streng. Irvine sah auf seine Uhr und drückte auf einen Knopf. „Seit acht Minuten und siebenundvierzig Sekunden.“, antwortete er ernst.
Er bedachte Squall mit einem seltsamen Blick. „Junge, Junge. Ihr Beide habt eine Ausdauer...“ Rinoa schmiegte sich eng an Squall. Er legte den Arm um ihre Schultern. „Ja, nicht war?“, sagte Rinoa frech.
Irvine sah noch eine Spur trauriger aus. Dann fing er sich wieder und setzte ein strahlendes Lächeln auf. „Die anderen sind schon mal vorgegangen. Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, euch beide nach unten zu geleiten. Wenn ihr mir dann freundlicherweise folgen würdet?“ Er machte eine einladende Geste auf einen Durchgang und drehte sich abrupt um. Squall zögerte einen Moment und flüsterte dann Rinoa ins Ohr: „Könntest du schon mal vorgehen? Ich möchte mal kurz mit Irvine reden.“ Sie lächelte ihn kurz an und küsste ihn auf die Wange. „Okay, aber lass dir nicht zuviel Zeit.“, sagte sie leise.
Sie rannte an Irvine vorbei und verschwand im Halbdunkel. „Irvine! Ich möchte kurz mit dir reden.“, rief Squall seinem Freund zu. Irvine blieb gehorsam stehen, drehte sich aber nicht um. Squall ging auf ihn zu, doch Irvine sah ihn nicht an. „Also, was ist los?“, fragte Squall ernst. Irvine presste die Lippen aufeinander und sagte nichts. Er sah wieder weg.
„Es ist nichts.“, sagte Irvine leise. „Lass mich bitte in Ruhe, okay?“ Squall schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nicht okay! Wenn du etwas auf dem Herzen hast, sag es mir bitte.“ Er legte seine Hand auf Irvines Schulter. „Du hast dir zwei Monate lang meine Probleme angehört. Jetzt bin ich dran.“, sagte er. Irvine seufzte einmal und drehte sich um. Er sah wirklich unglücklich aus.
„Und du bist dir sicher, dass du dir das anhören willst?“, fragte er. Squall nickte. Irvine lächelte traurig. „Nun, ich bin mir aber nicht sicher, ob ich es jemandem erzählen will.“, sagte er. „Belassen wir es vorerst dabei, okay?“
„Na gut.“, meinte Squall achselzuckend. „Aber wenn du es mir doch einmal erzählen willst...“
Irvine klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Danke für das Angebot, Kumpel. Aber im Moment möchte ich es lieber für mich behalten.“ Er lächelte wieder. „Mein kleines Geheimnis, sozusagen. Außerdem weiß ich ja, wie sehr du solche Geschichten hasst. Aber wir sollten jetzt wirklich runter. Die Anderen warten sicher schon.“

Als die Beiden in der untermeerischen Höhle ankamen, in der sich Ultima Weapon aufgehalten hatte, warteten die anderen wirklich schon. Rinoa lief sofort auf Squall zu und küsste ihn stürmisch. „Ich hab’ dich schon vermisst. Wo warst du denn so lange?“ Squall sah auf seine Uhr und sah dann Rinoa zweifelnd an. „Ich war keine fünf Minuten weg. Das ist doch gar nicht so lange.“ „Doch.“, grinste Rinoa. „Viel zu lange.“
Aus den Augenwinkeln bemerkte Squall, dass Irvine schon wieder so traurig vor sich hin brütete. Sein Blick wanderte immer wieder zwischen ihm und Rinoa und Selphie hin und her. Das ist es also! , dachte er. Er wusste schon lange, dass Irvine in Selphie verliebt war, aber er hätte nie gedacht, dass es ihn so schlimm erwischt hatte. Aber er hatte sich jetzt um Wichtigeres zu kümmern. Er ließ Rinoa los und sagte laut: „Also, irgendwo hier muss es einen Lift geben, oder etwas ähnliches. Wir müssen noch weiter runter.“ Xell sah ihn überrascht an. „Noch weiter? Wie tief liegt diese Ausgrabung?“ „Ich weiß nicht.“, meinte Squall. „Aber Prof. Tikama hat mir erklärt, dass der Eingang hier irgendwo sein muss. Und er hat gesagt, dass er nach unten führen muss, weil das in irgendwelchen Dokumenten so beschrieben ist.“
„Wann hat er dir das erzählt?“, fragte Quistis überrascht. „Er war vor ungefähr fünf Monaten im Garden und hat mich über unseren... Aufenthalt hier ausgequetscht. Ich habe ihm gesagt, er sollte besser auch mit euch sprechen, aber er wollte nicht. Der Kerl schien mir etwas paranoid zu sein. Nun, jedenfalls muss hier ein Schalter für den Lift sein.“ Die anderen nickten und sahen sich suchend um. Squall ging auf Irvine zu, der gerade einen der leuchtenden Steine untersuchte, die überall einen schwachen Lichtschein verbreiteten. Irvine nickte ihm zu. Squall holte tief Luft und sagte so leise, dass die anderen es nicht hören konnten: „Okay, ich weiß jetzt, dass du wegen Selphie eine so miese Laune hast. Was ist los?“
Irvine seufzte und schloss die Augen. „Ich weiß auch nicht. Heute, als wir hierher geflogen sind...“ Er verstummte und sah Squall an. „Du erzählst es ihr auf keinen Fall, klar?“
„Ich schwöre!“, sagte Squall und hob die rechte Hand. „Okay. Als wir hergeflogen sind, haben wir uns im Cockpit unterhalten. Und urplötzlich hat sie mich gefragt, wie sie einem Jungen am Besten sagen soll, dass sie in ihn verknallt ist.“ Irvine senkte den Blick. „Oh!“, machte Squall. Er sah seinen Freund mitleidig an. „Das tut mir leid.“ Er schwieg eine Weile.
„Aber vielleicht hat sie ja dich gemeint.“, sagte er dann. Irvine grinste humorlos. „Und du glaubst wirklich, sie würde dann ausgerechnet mich fragen, wie man am Besten einen Mann anmacht? Glaub ich nicht, Kumpel.“ Squall hob die Schultern. „Man weiß ja nie!“, meinte er. „Und jetzt entschuldige mich. Ich sollte bei der Suche doch auch ein wenig helfen.“ Er ging zu Rinoa hinüber, die mit Quistis einen anderen Leuchtstein untersuchte.
Er küsste sie auf die Wange und flüsterte: „Ich muss mit dir reden.“ Sie stand auf. Quistis sah sie kurz an, lächelte und war mit einem fröhlichen „Bin schon weg!“ verschwunden.
„Was ist?“, fragte Rinoa. Squall sah zu Irvine hinüber. „Es ist wegen Irvine.“ Rinoa sah ebenfalls hinüber. „Warum sieht er so traurig aus?“, fragte sie.
„Nun, er vermutet, dass Selphie in einen Anderen verliebt ist. Sie hat ihn gefragt, wie man einem Mann am besten sagt, dass man in ihn verknallt ist. Weißt du, wen sie meint?“ Rinoa lachte kurz auf. „Natürlich weiß ich das! Sie meint damit Irvine! Sie ist einfach zu schüchtern, um es ihm direkt zu sagen.“ Squall hob eine Augenbraue. „Selphie - zu schüchtern? Reden wir hier von unserer Selphie Tillmit?“
„Nun, sie hatte schon zweimal einen Freund, aber sie sagt immer, bei Irvine ist es was anderes.“ Rinoa lachte wieder. „Ist ja komisch. Sie dachte immer, er will nichts von ihr wissen. Weil er doch immer den Frauenheld raushängen lässt.“
„Hey, Leute!“, rief plötzlich Xell. „Das hier sieht nach einem Schalter für einen Aufzug aus.“
„Also, das besprechen wir später.“, sagte Squall leise zu Rinoa. Laut meinte er: „Toll, Xell! Dann gehen wir runter.“

Galuf
11.10.2003, 01:28
Kapitel 2: Die Stadt der alten Rasse

Der Lift endete in weiteren etwa 50 Metern Tiefe. Ein schmaler Durchgang führte in eine riesige, um nicht zu sagen gigantische Halle, die vollgestopft war mit lauter komplizierten Geräten, die nur zu einem kleinen Teil vom Forscherteam stammen konnten. Das Meiste der technischen Gerätschaften in der Halle war so fremdartig, dass Squall sich nicht einmal entfernt vorstellen konnte, wozu sie einmal gedient haben könnten. Monitore waren an der Wand befestigt, und unter ihnen befanden sich Kontrollpulte mit hunderten Knöpfen und Schaltern, die allesamt in dunkelblau gehalten waren. Alle Kabel, die sichtbar waren, waren ebenfalls blau. Selbst die Wände hatten eine seltsame, hellblaue Farbe. Das Lager der Wissenschaftler war der einzige Fleck, wo man auch andere Farben erkennen konnte. Lichtquelle war keine zu erkennen, aber es war dennoch angenehm hell in der Halle. Die Wände waren mit kunstvollen Reliefs bedeckt, wo sie nicht mit Technik vollgepflastert waren. Als Squall eines davon genauer ansah, bemerkte er überrascht, dass es eine hübsche Frau darstellte, aus deren Händen Blitze zuckten, welche die Menschen unter ihr trafen. Die Frau sah aus wie eine Rachegöttin, die ihre Feinde vernichtete. Squall hatte beinahe den Eindruck, dass sie ihn anstarrte, so lebensecht war sie dargestellt.
Squall betrachtete noch immer staunend die detaillierte Arbeit, als er Quistis überrascht aufschreien hörte.
„Seht euch das an!“, rief sie den anderen zu. Sie deutete auf ein anderes Relief. Als Squall zu ihr hinlief und es genau ansah, stockte ihm der Atem. Hier war eine Frau zu sehen, die Rinoa verblüffend ähnlich sah! Ihre Augen waren leicht schräg, und ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen war etwas schmaler, aber die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Sie trug eine Art Diadem auf der Stirn, in das ein blauer Stein eingearbeitet war, der beständig in einem sanften Licht pulsierte. Ihre Kleidung war fremdartig, genau wie ihre übrige Erscheinung. Aber dennoch war dieses Bild nicht so beunruhigend wie das auf der anderen Seite. Diese Frau war genau das Gegenteil von der Anderen, sie sah gütig auf die kleine Gruppe herab, so wie sich kleine Kinder eine Elfe vorstellen mochten. Ihre rechte Hand hatte sie auf den Kopf eines Mannes gelegt, der neben ihr kniete. Squall sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als er den Mann sah. Er sah ihm selbst so ähnlich, dass er glatt sein Vater hätte sein können. Wie zwischen Rinoa und der Frau gab es auch zwischen ihm und dem Bild Unterschiede, der Mann war auch eindeutig älter, aber die Ähnlichkeit war wirklich beängstigend. Er hatte demütig den Kopf gesenkt, und seine Augen waren geschlossen. An seiner Seite hing ein Schwert, auf dessen Knauf er eine Hand gelegt hatte. Auch er wirkte etwas fremdartig, aber er unterschied sich nicht so sehr von einem Menschen wie die Frau.
„Was ist das?“, flüsterte Rinoa neben ihm erschrocken.
„Mann, die zwei sehen euch total ähnlich! Die könnten glatt mit euch verwandt sein!“, rief Irvine hinter ihnen ungläubig.
Squall riss sich von dem unglaublichen Anblick los und wandte sich an die anderen. „Vielleicht ist es ja nur Zufall.“ Für diese Bemerkung erntete er nur zweifelnde Blicke von den Anderen. „Okay, vielleicht auch nicht.“, gab er zu. „Aber wir sind nicht hier, um uns darüber den Kopf zu zerbrechen. Wir sollen hier eventuelle Überlebende suchen und die Todesursache der Forscher, die getötet wurden, herausfinden.“ Alle außer Rinoa nickten. Squall sah Rinoa an. Sie schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Wie gebannt starrte sie auf das Relief.
„Große Schöpferin!“, flüsterte sie. Squall sah sie beunruhigt an. „Was denn los?“, fragte er besorgt. Als sie seine Stimme hörte, schien der Bann von ihr abzufallen. Sie schüttelte heftig den Kopf und meinte: „Ich weiß nicht... Mir ist, als... würde ich diese Frau kennen. Aber...“ Sie brach ab. „Wir müssen hier raus!“, flehte sie plötzlich.
„Was ist? Was hast du denn?“, fragte Squall alarmiert. „Ich weiß es nicht!“, kreischte Rinoa ängstlich. „Wir müssen hier weg! Irgend etwas Schreckliches wird passieren, das fühle ich!“ Sie warf sich in Squalls Arme und fing an zu weinen. „Bitte, lass uns verschwinden!“, schluchzte sie.
„Ist ja gut!“, flüsterte Squall beruhigend. Er selbst hatte auch kein gutes Gefühl bei der Sache. „Ich mache dir einen Vorschlag: Sobald es auch nur ein Anzeichen einer Gefahr gibt, verschwinden wir. Okay?“ Rinoa nickte und wischte sich die Tränen von der Wange.
„Tut mir leid. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.“, meinte sie. Squall küsste sie auf die Stirn und strich mit der Hand über ihre Wange. „Schon gut. Du hast allen Grund, hier unten Angst zu haben. Ich finde es auch unheimlich hier.“ Er drehte sich um. „Okay, ich denke, wir sollten uns die Berichte der Forscher ansehen. Weiß jemand, wie diese Geräte funktionieren?“
„Yo! Ich mach’ mich gleich an die Arbeit.“, meldete sich Xell sofort. Er lief zu einem der Zelte und kam wenig später mit einigen flachen Monitoren zurück, die anscheinend so etwas wie Aufzeichnungsgeräte darstellten. Als er die kleine Gruppe wieder erreicht hatte, legte er die Monitore vorsichtig auf den Boden und meinte: „Das hier sind die privaten Aufzeichnungen der Forscher. Welchen Bericht willst du hören? Jedes dieser Dinger hat einem der Professoren gehört.“ „Ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir uns die Berichte von Professor Tikama ansehen. Er hat die Ausgrabung geleitet.“ Xell nickte und machte sich an den Monitoren zu schaffen. „Komisch.“, murmelte er. „Die Aufzeichnungen des Professors sind nicht hier.“ Er sah sich suchend um und entdeckte schließlich einen weiteren Monitor auf einem Tisch in der Nähe der mobilen Funkanlage. Er holte ihn und fummelte eine Weile daran herum. Schließlich reichte er ihn Squall.
„Du brauchst nur einzuschalten. Der gelbe Hebel auf der Seite.“, meinte er. Squall legte den Hebel um und fragte: „Kann man das Ding lauter stellen? Wir sollten das alle hören, wenn wir es schon nicht alle sehen können.“ Xell nahm ihm den Monitor aus der Hand, drückte einige Knöpfe und gab es ihm zurück. „Du musst noch etwas warten. Es wird gleich anfangen.“ Kaum hatte er das gesagt, flimmerte der Monitor und der Professor wurde sichtbar. Gebannt hörten alle dem Bericht des Mannes zu:

„Heute ist der erste Tag unserer Ausgrabung. Wir haben also wirklich unsere Suche nach der sagenumwobenen ‚Traumhalle’ begonnen. Ich mache mir keine falschen Hoffnungen: Wir werden wahrscheinlich Monate brauchen, um die gesamte Stadt hier unter dem Meer abzusuchen. Aber die Männer und ich scheuen keine Mühen, um die Traumhalle allen Menschen zugänglich zu machen.
Wir haben beschlossen, unser Lager vorerst in der großen Halle aufzuschlagen. Hier werden wir ohnehin die nächsten Wochen beschäftigt sein. Alleine die Reliefs an den Wänden können uns Geschichten erzählen, von denen wir nur träumen können, wenn wir nur lernen, sie zu verstehen! Ich bin aber zuversichtlich, was die Entschlüsselung der Runen auf den Reliefs betrifft. Mit Hilfe meines Assistenten Naoko werde ich es bestimmt schaffen.“

„Nun, an Selbstvertrauen mangelt es dem alten Knaben nicht.“, bemerkte Irvine trocken. „Da hast du wohl recht. Der gute Professor war wohl zu beschäftigt, um jeden Tag etwas festzuhalten. Er hat nur jede Woche etwas auf Band gesprochen.“, meinte Squall. „Nun, dann machen wir mal weiter.“

„Die erste Woche hier unten haben wir geschafft! Und sie war sehr erfolgreich! Naoko hat entdeckt, dass die meisten der Runen an den Wänden der Schrift von Centra sehr ähnlich sind. Die Schrift von Centra konnte zwar auch noch nicht entschlüsselt werden, aber teilweise sind sie uns bereits bekannt. So kann ich mittlerweile mit Sicherheit sagen, dass es sich bei dem Relief auf der Nordseite der Halle um eine Hexe und ihren Hexenritter handelt!“

„Oh!“, machte Squall überrascht. Rinoa runzelte die Stirn. „Das stimmt beinahe. Sie... ist keine gewöhnliche... Hexe.“ Alle Augen richteten sich auf Rinoa. „Fragt mich bloß nicht, woher ich das weiß. Ich weiß es einfach!“, sagte sie unglücklich. Squall wandte sich wieder dem Monitor zu. „Also, weiter im Text.“

„Aber ich bin mir nicht sicher, ob das auch auf die Frau im Relief an der Wand gegenüber zutrifft. Das Zeichen, das bei ihr benutzt wird, ist fast das gleiche, aber eben nur fast. Es wird aus dem Relief ersichtlich, dass sie ebenfalls Zauberkräfte hatte. Aber das andere Zeichen macht mich stutzig. Und eine weitere Rune sorgt für Verwirrung.“

Der Professor drehte das Aufnahmegerät, sodass Squall das besagte Zeichen sehen konnte. Irgendwie erinnerte es ihn an seine Kette mit dem Griever-Anhänger.

Naoko sagte, er hätte dieses Zeichen ebenfalls schon in Centra gesehen, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Nun, wie dem auch sei, es gibt noch etwas, das mir aufgefallen ist: Es besteht eine phänomenale Ähnlichkeit zwischen der Hexe und dem Hexenritter auf dem Relief und der Hexe dieser Generation, Rinoa Heartilly, und ihrem Hexenritter, Squall Leonhart.“

„Blitzmerker!“, murmelte Irvine.

„Ich denke, ich werde die Beiden einmal einladen, sich dieses Bild anzusehen. Vielleicht weiß Miss Heartilly, was es damit auf sich hat.“

„Schön wär’s!“, meinte Rinoa niedergeschlagen.

„Nun, die ‚Traumhalle’ wird warten müssen, bis wir in dieser Halle fertig sind. Die Anderen haben sich über diesen Entschluss beschwert, aber einfach so drauflos zu suchen kann gefährlich sein. Wer weiß, das Volk, dass hier gelebt hat, könnte irgendwelche Fallen hinterlassen haben. Wir können gar nicht vorsichtig genug sein.“

„Nun, das stimmt. Ein guter Rat. Sie hätten ihn nur befolgen müssen.“, meinte Quistis. Xell verzog das Gesicht. „Wissenschaftler!“, murmelte er kopfschüttelnd.
„Die nächsten drei Wochen sind für uns uninteressant.“, sagte Squall nach einem Blick auf die computergenerierten Inhaltsangaben der Berichte.

„Es ist zum Verzweifeln! Die Mannschaft macht sich langsam selbstständig! Alle sind von dieser ‚Traumhalle’ besessen. Zwei der Forscher, Professor Filaree und Doktor Ashimo sind gegen meine Befehle aufgebrochen, um das Innere der riesigen Stadt zu erkunden, die sich in einer gigantischen natürlichen Höhle, zwei Meilen östlich von hier, befindet.
Naoko beharrt weiterhin darauf, dieses seltsame Zeichen auf dem nördlichen Relief schon gesehen zu haben. Er behauptet, es befände sich in der ‚Odinshalle’ in den Ruinen von Centra. Aber auf meine Anfrage beim archäologischen Institut in Esthar wurde mir mitgeteilt, dass das Zeichen in keinem der Berichte erwähnt wird. Jedoch wurde ich darauf hingewiesen, dass es eine frappierende Ähnlichkeit zwischen einer Rune auf dem südlichen Relief und dem Zeichen für ‚Schlaf’ oder ‚Traum’ gibt. Könnte es denn sein, dass diese abgebildete Frau etwas mit der Traumhalle zu tun hat? Wenn dem so ist, haben wir einen weiteren Grund, vorsichtig zu sein. Der Text warnt nämlich vor einer großen Gefahr, die von ihr ausgeht.
Nun, ich denke, ich werde mich in den nächsten paar Wochen auf diesen Text am südlichen Relief konzentrieren. Naoko ist dem Wahnsinn der anderen noch nicht verfallen, aber ich denke, die anderen werden ihn bald überzeugt haben. Er mag ja wirklich begabt sein für den Beruf des Archäologen, aber er ist viel zu gutgläubig! Nun, ich sollte nicht meckern, schließlich habe ich ihn selbst ausgewählt. Aber sollte er auch nur einmal in Betracht ziehen, meine Befehle in Frage zu stellen, werde ich mir einen anderen Assistenten suchen. Ich hoffe, er weiß das.“

„Mann, der alte Herr ist ja noch strenger als mein Vater!“, meinte Xell kichernd. Er hatte sich nach langer Überlegung dazu entschlossen, seine Zieheltern mit ‚Mutter’ und ‚Vater’ anzusprechen. Und auch die anderen hielten sich an diesen Entschluss.

Galuf
11.10.2003, 01:31
„Jetzt mach mal halblang!“, sagte Quistis. „Ich finde deinen Vater gar nicht so übel.“ „Nun, wenn meine Freunde dabei sind, ist er ja auch ganz anders. Richtig lieb und nett.“, grinste Xell.
„Hey, aufhören! Ihr solltet euch bloß mal hören.“, meinte Squall kopfschüttelnd. Er sah noch einmal auf den Monitor. „Nun, ich schätze, das geht jetzt ewig so weiter. Ich denke, wir sollten uns den letzten Bericht anhören. Ist jemand dagegen?“ Alle schüttelten den Kopf.

„Ich glaube, ich habe es geschafft. Ich habe diese seltsame Schrift endlich entschlüsselt! Nach dem, was ich bisher übersetzt habe, handelt es sich bei diesem Raum um eine Art Tempel für die Hexe auf dem Nordrelief. Sie wird in allen von mir bisher übersetzten Texten als ‚Die Schöpferin’ bezeichnet, und sie wird wie eine Göttin verehrt. Sie war diejenige, welche die ‚Herrscherin’ auf dem Südrelief in ein ‚Land der Träume’ und ‚des ewigen Schlafes’ verbannt hat. Ich werde nun die Originalübersetzung des Textes vorlesen:

„Zu jener Zeit, da die Welt noch kein Leben kannte,
da die Sonne kein Licht spendete,
da der Mensch noch nicht über das Antlitz der Erde wandelte,
in dieser Zeit ward geboren die EINE, die große Schöpferin,
die den Menschen Leben schenkte,
die ihn lehrte, in den Höhlen unter dem Meer zu leben.
Die Schöpferin lehrte den Menschen, eine Stadt zu bauen,
so groß und prächtig, wie kein Mensch sie je wieder erbauen würde.
Die Menschen verehrten die Schöpferin,
und Sie gab ihnen alles, was sie brauchten,
sie sprach mit ihren Priestern
und warnte die Menschen vor drohender Gefahr.
Bis eines Tages die Herrscherin den Thron bestieg,
und sich gegen die Lehre der Schöpferin auflehnte.
Sie bemächtigte sich schwarzer Magie,
und verbannte die Schöpferin in eine fremde Welt ohne Magie.
Das Volk siechte unter ihrer Herrschaft langsam dahin,
bis die Schöpferin von ihrem getreuen Ritter errettet wurde,
den sie einst, in der ersten Zeit,
als ersten der Menschen geschaffen hatte.
Sie gab ihr Leben, die Gefahr von den Menschen abzuwenden,
und verbannte die Herrscherin in das Land der Träume und des ewigen Schlafes.
Vor ihrem Tode gebot sie ihrem Ritter,
ihr Volk an die Oberfläche und ins Licht zu führen.
Einer ihrer Priesterinnen aber schenkte sie einen kleinen Teil ihrer Macht,
und gebot ihr, sie bei ihrem Tode an eine Würdige zu übergeben,
damit sie über das Volk der Schöpferin wache.
Der Ritter folgte ihrem Gebot,
jedoch ließ er diesen heiligen Tempel
zu Ehren der Schöpferin errichten.
Diese Arbeit währte zwei Generationen,
doch der Ritter blieb bei dem ihm anvertrauten Volk,
ohne je ein Zeichen des Alters oder der Schwäche zu zeigen.
Nun, da diese Arbeit verrichtet ist, werden wir uns nun aufmachen,
die Oberfläche zu besiedeln.
Doch niemals darf die Herrscherin aus ihrem Gefängnis befreit werden;
Sie wird, sollte dies je geschehen, unvorstellbare Schrecken über das Volk der Schöpferin
bringen.
Deshalb wird der Zugang zu der Stadt der alten Rasse
versperrt, von einem Monster, schrecklicher als alle Monster des Mondes.“

Nun, dieses schreckliche Monster war anscheinend Ultima Weapon. Doch frage ich mich, ob mit diesem ‚Land der Träume und des ewigen Schlafes’ die ‚Traumhalle’ gemeint sein könnte. Wenn das so ist, darf sie auf keinen Fall geöffnet werden. Wir wissen nichts über diese Herrscherin, außer, dass eine Göttin sterben musste, um sie zu verbannen.
Ich mache mir große Sorgen. Dr. Ashimo glaubt nämlich zu wissen, wo sich der Eingang zu der Traumhalle befindet. Ich muss die anderen unbedingt warnen!“

Der Professor schien noch etwas sagen zu wollen, doch er wurde von einem jungen Mann unterbrochen, der irgend etwas von einem Eingang keuchte. Die beiden entfernten sich, doch der Professor hatte anscheinend vergessen, das Gerät auszuschalten. Er legte es so auf den Tisch, dass man die mobile Funkstation beobachten konnte.
„Also ehrlich, der glaubt doch nicht etwa an diese Märchen?“, fragte Irvine geringschätzig. „Aber was ist, wenn sie diese... Herrscherin nun doch befreit haben?“, meldete sich Selphie ängstlich.
„Ach was.“ Irvine versuchte, überzeugend zu klingen, aber es gelang ihm nicht ganz. „Wenn dem so wäre, hätte sie sich doch wohl schon gezeigt, oder?“
„Kann schon sein.“, gab Selphie widerstrebend zu. Eine Träne lief über ihre Wange. „Aber ich habe Angst!“ Irvine biss sich auf die Lippe. Zögernd legte er eine Hand auf ihre Schulter. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin ja auch noch da. Und wenn es sein muss, mache ich dieses Vieh alleine fertig.“, sagte er. Er lächelte Selphie aufmunternd an. „Diese Herrscherin soll nur mal versuchen, dir etwas zu tun. Dann kriegt sie’s mit mir zu tun.“ Selphie lächelte schüchtern zurück. „Ehrlich?“, fragte sie. Irvine nickte. Plötzlich umarmte sie ihn so fest sie konnte und flüsterte: „Danke Irvie.“ Überrascht erwiderte Irvine ihre Umarmung. Als sie ihn wieder losließ, trat sie erschrocken einen Schritt zurück und wurde rot.
„Oh... äh... entschuldige...“, stotterte sie verlegen. Irvine sah sie fragend an. „Was soll ich entschuldigen?“
Die Röte in Selphies Gesicht vertiefte sich. „Die Umarmung...Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.“ Irvine überlegte einen Moment und legte den Kopf schräg. „Und was soll ich daran noch mal entschuldigen?“, wollte er wissen.
„Na ja, weil, ich weiß doch gar nicht, ob du das überhaupt magst, und ob du mich überhaupt magst, aber ich hab’ mich so schrecklich in dich verliebt, und...“ Selphie verstummte, als sie merkte, dass alle sie anstarrten. „...und ich glaube, ich sage jetzt gar nichts mehr.“, schloss sie.
„Äh...“, meldete sich Irvine nach einer Schweigeminute, „...was war das letzte?“ Selphie presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. „Vergiss es!“, presste sie hervor. Irvine trat einen Schritt auf sie zu und näherte sein Gesicht ihrem.
„Ich möchte es aber nicht vergessen.“, sagte er leise. Ihre Augen wurden noch größer, als sie es ohnehin schon waren. Als er sie küsste, drohten ihre Augen glatt aus den Höhlen zu fallen. Schließlich löste er sich wieder von ihr und trat wieder einen Schritt zurück. Überrascht hob sie eine Hand an die Lippen und starrte ihn an. Irvine schien selbst von seiner Aktion überrascht zu sein.
„Tut mir leid...“, begann er, aber Selphie unterbrach ihn sofort. Sie legte eine Hand auf seinen Mund und flüsterte: „Mach das noch mal.“
Irvine blinzelte überrascht. „Was?“, machte er ungläubig. Anstatt zu antworten, küsste sie ihn einfach.
„Oh nein!“, stöhnte Xell im Hintergrund. „Jetzt fangen die Beiden auch noch an.“ Damit handelte er sich einen kräftigen Stoß von Quistis in die Rippen ein. Rinoa kicherte und schmiegte sich an Squall. Doch der reagierte überhaupt nicht auf sie. Überrascht sah sie auf. Squall starrte entsetzt auf den Monitor, der noch immer eingeschaltet war. Er war blass wie ein Toter, und seine Augen waren dunkel vor Furcht. „Mein Gott!“, murmelte er. „Mein Gott, sie ist es wirklich!“ Er ließ das Gerät fallen.

Xell spulte zum achten Mal die Aufzeichnung zurück und starrte auf das Bild, das sich ihm bot: Der Professor rannte in die Halle, gefolgt von einem unheimlichen, blauen Licht. Er stürmte zuerst aus dem sichtbaren Bereich, kehrte dann aber wieder zurück, um den Notruf zu senden. Als das Licht ihn fast erreicht hatte, trat eine weitere Person in den Aufnahmebereich. Sie glich bis ins winzigste Detail der Frau auf dem Bild, die der Professor als ‚Die Herrscherin’ bezeichnet hatte. Sie war wunderschön, ihr langes, schwarzes Haar fiel über ihre Schultern und den Rücken. Ihre Kleidung zeigte mehr, als sie verhüllte, und sie bewegte sich mit der Anmut einer Katze.
Sie winkte dem Professor, worauf er das Mikrofon fallen ließ und zwei Schritte auf sie zu ging. Sobald er aber das Licht berührte, das sie umgab, fiel er auf ein Knie herab, presste die Hände gegen die Schläfen und begann zu schreien. Die Frau legte eine Hand auf seinen Kopf und streichelte seine Wange. Der Professor hörte auf zu schreien. Er nahm die Hände vom Kopf und sah die Herrscherin an. Plötzlich packte sie ihn an der Kehle. Er gab ein ersticktes Gurgeln von sich. Die Herrscherin hob ihn, ihrer zerbrechlichen Erscheinung zum Trotz, scheinbar mühelos hoch. Das Leuchten um sie wurde einen kurzen Moment heller, und sie begann laut zu lachen. Dann wurde der Bildschirm plötzlich schwarz.
Xell sah auf. „Ich denke, Rinoa hat recht. Wir sollten hier schnell verschwinden.“
Squall reagierte erst verspätet. „Du hast recht.“ Er stand auf. „Ihr solltet weg von hier. Schnell!“ Rinoa sah ihn an. „Was soll das denn heißen?“ Sie packte ihn am Arm und drückte so fest zu, dass er beinahe aufschrie. „Was meinst du mit ‚ihr’?“, fragte sie. „Du kommst doch auch mit, oder?“ Squall wandte sich von ihr ab. Sie ließ aber seinen Arm nicht los. „Antworte mir, verdammt!“, schrie sie ihn an.
„Nein, das werde ich nicht!“, brüllte er zurück. „Und hör auf, hier rumzuschreien.“ Sie fuhr erschrocken zusammen und ließ ihn los. Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie ihn verletzt ansah. Squall hob eine Hand und strich ihr sanft über das Haar. „Entschuldige, Rinoa...“, murmelte er und drückte sie fest an sich. Sie fing an zu weinen.
„Aber warum?“, schluchzte sie. „Warum willst du nicht mitkommen?“
Squall ließ sie wieder los. „Jemand muss dieses Ding aufhalten, bis ihr die Außenwelt gewarnt habt.“, sagte er leise. Rinoa sah ihn einen Moment stumm an. „Dann lass mich bei dir bleiben!“, flehte sie dann.
Squall packte sie an den Schultern und sah ihr fest in die Augen. „Bitte, Rinoa, mach es nicht noch schwerer, als es schon ist.“, sagte er bestimmt. „Du musst überleben! Du bist möglicherweise die einzige Chance, die die Menschheit noch hat.“ Rinoa fing wieder an zu weinen. „Aber warum musst ausgerechnet du hier bleiben?“, fragte sie mit zitternder Stimme.
„Ich bin für euch alle hier verantwortlich! Ich könnte doch niemanden von euch opfern, nur weil ich zu feige bin.“ Er legte seine Stirn an ihre. „Bitte, du musst mir eines versprechen!“, sagte er leise. „Wenn ich nicht zurückkomme...“ Sofort unterbrach sie ihn. „Bitte, sag das nicht!“, flüsterte sie verzweifelt.
„Nur, falls es passieren sollte, dass ich nicht zurück komme. Such dir einen Mann, der dich glücklich machen kann.“, sagte Squall eindringlich. Sie antwortete nicht. „Versprich es mir!“, forderte er noch einmal.
„Das kann ich nicht. Ich liebe dich doch!“, schluchzte Rinoa. Sie umarmte ihn so fest sie konnte. Als sie aufsah, bemerkte sie, dass er auch weinte. „Wie kannst du nur so etwas von mir verlangen?“, flüsterte sie.
Squall drückte sie ein letztes Mal an sich, dann ließ er sie los und sah die anderen an.
„Sie hat recht.“, sagte Irvine leise. „Sag mir einen Grund, warum ich nicht bei dir bleiben sollte, oder ein anderer von uns!“ Squall senkte den Blick. „Danke für das Angebot. Aber ich kann nicht verantworten, einen von euch in den Tod zu schicken. Ich will nicht mit dem Wissen sterben, einen meiner besten Freunde getötet zu haben.“ Er sah die anderen einen nach dem anderen an. „Bitte, tut mir diesen letzten Gefallen.“
„Nun, wir wollen auch nicht, dass du unseretwegen stirbst. Schon daran gedacht?“, meinte Irvine. Xell und Quistis schwiegen, während Selphie versuchte, Rinoa zu trösten.
Squall sah Irvine flehend an. „Bitte, versteh doch! Ich will nicht für euren Tod verantwortlich sein. Ihr alle werdet zuhause gebraucht werden, wenn es mir nicht gelingt, dieses Monster aufzuhalten.“
„Sie würden sicher nicht uns alle brauchen! Und zu zweit hätten wir größere Chancen, diese Herrscherin aufzuhalten.“, gab im Irvine zu bedenken.
„Aber...“, begann Squall, doch er wurde unterbrochen.
„Er hat recht, Squall!“, schaltete sich Xell ein. „Außerdem: Wie soll es denn mit dem Garden weitergehen, wenn unser Schulsprecher nicht mehr da ist?“ Squall sah seine Freunde gerührt an. „Ich danke euch.“, flüsterte er mit Tränen in den Augen. Er wischte die Tränen weg. „Ich werde euch eines versprechen: Wenn ich überlebe, komme ich zum Garden zurück. Und wenn ich schwimmen muss. Aber jetzt müsst ihr bitte gehen.“
Er wandte sich noch einmal an Xell. „Bitte, pass auf Rinoa auf. Versprich mir, dass du auf sie aufpasst!“ Xell nickte wortlos.
Squall ging einen Schritt auf Rinoa zu, doch sie wich vor ihm zurück. „Wie kannst du mir das nur antun?“, schrie sie verzweifelt. „Ohne dich hat mein Leben doch ohnehin keinen Sinn mehr!“ Ihre Stimme brach. Squall küsste sie noch ein letztes Mal. Dann drehte er sich um und ging mit festen Schritten auf einen Durchgang auf der anderen Seite der Halle zu. Als er sich umdrehte, waren die anderen bereits verschwunden. Squall schickte ein kurzes Dankgebet zum Himmel und betrat mit blitzenden Augen und grimmiger Entschlossenheit die Höhle des Löwen.

Die Stadt war riesig. Um nicht zu sagen, sie war gigantisch! Als Squall aus dem Durchgang in die Höhle vor ihm trat, musste er sich beinahe dazu zwingen, einfach zu atmen. Eine Stadt aus dem selben blauen Material wie der Tempel breitete sich vor ihm aus. Squall stand auf einer Plattform ungefähr fünf- bis sechshundert Meter über der Stadt, und die Aussicht war schlicht überwältigend.
Kleine und beinahe normal anmutende Häuser lagen dicht neben riesigen Märchenschlössern, die mit hunderten von Türmen und Erkern verziert waren. Zwischen den Gebäuden verliefen breite Straßen, die meist von irgendwelchen Pflanzen gesäumt wurden. Wie diese Pflanzen ohne Sonnenlicht und Wasser gedeihen konnten, war Squall ein Rätsel. Eine gigantische, durchsichtige Kuppel spannte sich über die ganze Stadt.
Die größten Straßen mündeten in zwei runden Plätzen, auf welchen riesige Statuen aufgestellt waren. Wegen der Entfernung war es Squall jedoch, trotz der phänomenalen Größe der Statuen, nicht möglich zu erkennen, wen sie darstellten. Er war sich jedoch sicher, dass es sich um die Schöpferin und ihren Ritter handelte.
Squall schauderte, als er daran dachte, dass in all diesen Häusern vor langer Zeit Menschen gelebt hatten, und dass auf den Straßen Kinder gespielt hatten, während ihre Eltern sich mit Bekannten unterhielten. Es war, als könnte er die Stimmen der Millionen Menschen, die einst hier gelebt hatten, hören. Aber dieser Eindruck verschwand schnell, und Squall wurde sich der unheimlichen Stille wieder bewusst. Es war nicht einfach so, dass es hier keine Geräusche gab; Diese absolute Lautlosigkeit wäre selbst einem Toten zu leise gewesen!
Während Squall diese gigantische Stadt sechshundert Meter unter ihm bewunderte, fiel ihm auf, dass es doch ein Geräusch gab: Ein leises Schlurfen, das irgendwo unter ihm ertönte. Tatsächlich bemerkte er in diesem Moment einen riesigen Rumbrum-Drachen, der direkt unter ihm auftauchte. Blitzschnell legte Squall sich flach hin und spähte über die Kante der Plattform. Überrascht erkannte er, dass es sich nicht um eine Plattform handelte, sondern um den sichtbaren Teil eines Daches! Er lag hier auf einem sechshundert Meter hohen Gebäude, das direkt aus dem blauen Gestein gemeißelt zu sein schien.
Nachdem Squall seine Überraschung einigermaßen überwunden hatte, nahm er den Rumbrum-Drachen, der aus dem Eingang herausgetreten war, genauer in Augenschein. Er war ein wirklich großes Exemplar, aber Squall schätzte, nach einem Herzensbrecher würde auch dieses Ungeheuer tot sein, wie alle anderen auch. Das einzige Problem war, dass er sich viel zu wohl fühlte, um einen Multi-Slash auszuführen. Aber es standen ihm ja auch noch andere Mittel zur Verfügung.
Ohne lange zu zögern richtete Squall sich auf, sprang über die Kante, löste in einer geschmeidigen Bewegung seine Gunblade vom Gürtel und stürzte dem Drachen entgegen. Noch ehe er das Monster erreicht hatte, beschwor er Shiva aus ihrer Eiswelt hierher. Binnen Sekunden war sie zur Stelle, und kaum hatte Squall den Boden berührt, blies Shiva dem Drachen einen arktischen Eissturm um die Ohren. Schmerzerfüllt brüllte der Drache auf. Er drehte sich um und sah Squall hasserfüllt an. Wie bei dem Drachen in der Übungshalle glaubte Squall auch hier eine seltsame Intelligenz in den Augen des Monsters zu erkennen. Allerdings ließ sich dieser Drache nicht auf lange Gespräche mit seinem Gegenüber ein, sondern ging sofort zum Angriff über.
Das traf Squall völlig unvorbereitet. Der Drache sprach sofort zwei ‚Meteor’-Zauber aus, die Squall trotz einer hohen Geist-Kopplung viel Schaden zufügten. Nun, dann eben auf die harte Tour , dachte Squall, während er sich wieder aufrichtete. Er ging in Angriffsposition.
Orange Flammen umkreisten ihn, als er sich auf einen Multi-Slash vorbereitete. Der Drache kam gar nicht dazu, irgendetwas zu unternehmen, als ihn auch schon unzählige Hiebe trafen. Schließlich ließ Squall von ihm ab. Das Monster wollte sich schon zurückziehen, als plötzlich auch noch blaue Blitze aus dem Boden zuckten.
„Herzensbrecher!“, flüsterte Squall grimmig.
Wenig später lag der Drache sterbend auf dem Boden.
Squall stand breitbeinig und mit erhobener Waffe vor dem Drachen, bereit zuzuschlagen, sollte das Vieh noch einen Mucks von sich geben.
Plötzlich hörte er ein spöttisches Lachen und Applaus hinter sich. Blitzschnell wirbelte er herum und wollte dem riesigen Feuerball ausweichen, der auf ihn zuraste, aber es war zu spät. Squall wurde mitgerissen und mit unvorstellbarer Wucht gegen eine Wand geschleudert. Der Aufprall raubte ihm beinahe das Bewusstsein, aber Squall zwang sich, wach zu bleiben. Stöhnend quälte er sich in eine sitzende Haltung, wobei ihm schwarz vor den Augen wurde. Er fühlte warmes Blut über sein Gesicht laufen. Ein kleiner Teil von ihm wunderte sich, dass er sich offenbar nichts gebrochen hatte, aber der bei weitem größere Teil war damit beschäftigt, schlicht bei Bewusstsein zu bleiben. Seltsam war allerdings, dass der Feuerball ihn verletzt hatte, anstatt ihn aufgrund der Element- Kopplung zu heilen.
Squall hob mühsam den Kopf, als er Schritte hörte. Es war die Herrscherin, die langsam auf ihn zuging und ihn spöttisch anlächelte. Ihre Augen funkelten, und um ihre Hände zuckten Blitze, als sie stehen blieb.
„Du wolltest mich also aufhalten, törichter Bengel?“, fragte sie leise. Sie richtete die Hände auf ihn. Ein Blitz sprang auf Squall über. Unglaubliche Schmerzen durchzuckten Squalls Körper. Er schrie gequält auf. Als die Schmerzen endlich aufhörten, machte sich eine angenehme Schwärze in Squalls Gedanken breit. Er kämpfte mit allen Mitteln dagegen an. Neben ihm ertönte eine sanfte Stimme. „Gib auf!“, sagte sie.
Squall gab auf.
Und starb.

Galuf
21.10.2003, 13:52
Zur selben Zeit schreckte Rinoa an Bord der Ragnarok aus ihren traurigen Gedanken hoch. Entsetzten stieg in ihr auf, und ein schrecklicher Gedanke, der sie seit dem Abflug verfolgte, wurde zur absoluten Gewissheit.
Squall ist tot! Diese drei Worte fuhren wie ein Pfeil durch ihre Gedanken. Ihr wurde schwarz vor Augen. Als sich die Welt vor ihren Augen wieder klärte, sah sie in Quistis’ besorgtes Gesicht.
„Er ist tot!“, flüsterte Rinoa mit versagender Stimme. Quistis sah sie beunruhigt an. „Wovon redest du? Wer ist tot?“, wollte sie wissen. Rinoa hörte sie gar nicht. „Er ist tot!“, flüsterte sie wieder. Xell tauchte hinter Quistis auf. „Was hat sie?“, fragte er.
„Rinoa! Wovon redest du?“ Quistis berührte Rinoa sanft an der Schulter. Rinoa sah sie an, sie wirkte jedoch, als wäre sie weit weg. „Squall... mein Liebster... mein Ritter... bitte nicht!“ Ihre Stimme war kaum zu verstehen. Sie legte die Hände vor das Gesicht und weinte still vor sich hin. Xells Gesicht verlor alle Farbe. „Was hat sie da gesagt?“, fragte er fassungslos. Quistis bedeutete ihm, still zu sein. Sie legte ihre Hände beruhigend auf Rinoas Schultern und fragte sie mit fester Stimme: „Rinoa! Woher willst du wissen...“
„Es ist genau wie damals.“, sagte Rinoa leise. „Genau wie bei meiner Mutter! Ich spüre, dass er...“ Sie brach ab und sah Quistis verzweifelt an. „Mein Gott, Quis! Was soll ich nur tun, wenn er nicht mehr bei mir ist?“ Quistis nahm sie in die Arme. Sie spürte nun selbst, wie Tränen in ihren Augen brannten. Sie war die Einzige, der Rinoa ihr Geheimnis anvertraut hatte. Und jetzt war Squall tot. Wie sollte Rinoa das alleine schaffen?
Rinoa flüsterte immer wieder Squalls Namen, als könnte sie ihn damit wieder lebendig machen.
Der Rest des Fluges verlief in absoluter Ruhe.
Alle trauerten um ihren besten Freund.

Völlige Dunkelheit. Das war der erste Eindruck, als Squall die Augen aufschlug. Der zweite war, dass er sich nicht bewegen konnte. Es war nicht etwa so, dass er gefesselt gewesen wäre; sein Körper gehorchte einfach nicht seinen Befehlen.
Plötzlich lachte jemand. Squall hatte das Gefühl, als würde das Gelächter direkt in seinem Verstand ertönen.
„Du wirst schon noch lernen, ohne deinen Körper zurecht zu kommen.“, sagte jemand. Squall versuchte zu sprechen, aber nicht einmal das gelang ihm. „Wenn du mit mir reden willst, brauchst du einfach nur zu denken.“
Squall versuchte es. Wer bist du? , dachte er.
„Ha, ich wusste, dass du das fragen würdest!“ Plötzlich konnte Squall etwas sehen. Aber was er erkennen konnte, gefiel ihm nicht besonders. Er sah einen Raum, dessen Wände mit seltsamen Bildern und Runen übersäht waren. Die Bilder waren teilweise so bizarr und widerwärtig, dass Squalls Verstand sich schlicht weigerte, sie genau zu erkennen. In einer etwas dunkleren Ecke saß eine düstere Gestalt, die Squall vage bekannt vorkam. Aber wie die Bilder an der Wand konnte er sie nicht genau erkennen.
Squall versuchte, sich aufzusetzen, aber es gelang ihm erst beim zweiten Versuch. Er saß offenbar auf einem Altar aus blauem Stein, der ebenfalls mit seltsamen Runen verziert war. Als er sich noch einmal umsah, wäre er beinahe vor Schreck hinuntergefallen. Auf einem zweiten Altar sah er sich selbst liegen. Allerdings war sein Körper von einem seltsamen blauen Licht eingehüllt, was ihn irgendwie unwirklich aussehen ließ. Als er an sich selbst hinunter sah, erlebte er eine weitere Überraschung: Er war durchsichtig! Er konnte durch seine eigene Hand den Boden unter sich erkennen.
Was ist hier los? , dachte er betäubt.
„Du bist tot!“, kam prompt die Antwort.
Squall sah überrascht auf. Tot? Was soll das heißen? , dachte er.
„Ich denke, du kennst die Bedeutung dieses Wortes sehr gut. Und bitte, versuch deine Lippen zu bewegen, wenn du etwas sagst. Es ist ziemlich anstrengend, mit einem Geist zu reden.“
„Was?“, machte Squall verwirrt. Die Gestalt löste sich aus dem Schatten in der Ecke und kam auf ihn zu. Er erkannte die schlanke Gestalt der Herrscherin in dem düsteren Licht erst, als sie direkt vor ihm stand.
„Na, mein Kleiner, wie fühlt man sich als Geist?“, fragte sie spöttisch.
„Ich bin nicht ‚dein Kleiner’!“, schnappte Squall verärgert.
„Okay, mein Süßer. Aber ich finde, du solltest etwas mehr Respekt zeigen. Immerhin bin ich der einzige Grund, warum du noch nicht vollständig auf der anderen Seite bist.“ Sie begutachtete Squall einmal von oben bis unten und meinte dann: „Ich glaube, ich werde dich behalten.“
„Was soll das denn heißen, verdammt?“ Squall stand von dem Altar auf und versuchte, seine Waffe zu ziehen, ehe ihm einfiel, dass er ja tot war. Die Herrscherin lächelte boshaft. „Nun, ich denke, du wirst nicht in diesem Zustand verbleiben wollen, nicht wahr? Irgendwann wirst du auf Knien angekrochen kommen und mich bitten, dich wieder ins Reich der Lebenden zurückzuholen. Und dann wirst du auf ewig mein Sklave sein, Squall Leonhart.“
Squall verbiss sich ein Lachen und brummte: „Noch ein bisschen dramatischer, und ich würde dich als Theaterschauspielerin empfehlen.“ Die Herrscherin starrte ihn hasserfüllt an. „Mach dich ruhig über mich lustig. Deine Witze werden dir bald vergehen.“, zischte sie.
„Mir ist es egal, wenn ich sterbe. Meine Freunde sind in Sicherheit, und das ist das Wichtigste.“, meinte Squall äußerlich gelassen. Innerlich fühlte er sich hilflos und begann jetzt erst richtig zu verstehen, dass er tot war. Am liebsten hätte er getan, was die Herrscherin von ihm verlangte und sie angefleht, ihn wieder lebendig zu machen. Aber er hatte sich, bevor er Rinoa getroffen hatte, sein ganzes Leben nie erlaubt, seine Gefühle zu zeigen. Jetzt kam ihm dieses ‚Training’ zugute.
Die Herrscherin starrte ihn noch eine Weile mit ihrem seltsam irren Blick an, dann grinste sie bösartig. „Du denkst, du hast deine Freunde gerettet?“ Sie legte den Kopf in den Nacken und stieß ein verrücktes Lachen aus, das Squall kalte Schauer über den Rücken gejagt hätte, hätte er noch gelebt.
„Welch ein Irrtum!“, kicherte die Herrscherin. „Ich weiß genau, wo sie jetzt sind und was sie tun. Deine Freunde werden die Ersten sein, die von meiner Hand sterben, wenn ich meine Kräfte wieder erlangt habe. Verlass dich drauf. Ich habe genügend neue Träume von euren Wissenschaftlern gestohlen, um meine Magie zurück zu erhalten. Und nun sieh her!“ Sie wirbelte herum und zeichnete mit den Händen komplizierte Symbole in die Luft. Die Symbole verschwammen ineinander und bildeten eine spiegelnde Fläche, in der Squall sich selbst sehen konnte. Allerdings konnte er die Wand durch ihn hindurch erkennen. Ein grauenhafter Anblick.
Plötzlich veränderte sich das Bild. Squall konnte die Ragnarok erkennen, aber ein seltsamer Nebel lag über dem Geschehen. Im Passagierraum waren seine Freunde um Rinoa versammelt, die auf einem der bequemen Sitze saß und weinte. Er machte einen Schritt auf das Bild zu und streckte die Hand danach aus, doch er wagte nicht, es zu berühren. Stattdessen stolperte er einige Schritte zurück und wollte sich an der Wand abstützen. Doch als er die Hand an die Wand legte, glitt sie ohne auf Wiederstand zu stoßen hindurch. Erschrocken zog er seine Hand wieder zurück und starrte sie an. Hinter ihm stieß die Herrscherin wieder ihr irres Lachen aus. „Denk daran, Squall: Früher oder später wirst du wieder leben wollen.“, kreischte sie.
Squall stürzte entsetzt durch die Wand nach draußen. Doch egal, wie weit er auch lief, überall hörte er das verrückte Lachen der Herrscherin.

Nach Stunden, wie es ihm schien, blieb Squall stehen und kauerte sich auf dem Boden nieder. Er schloss die Augen und stützte den Kopf mit den Händen. Einige Zeit verstrich, ehe er wagte, den Kopf wieder zu heben. Offenbar war er bis zu einem der großen Plätze gelaufen. Er erkannte die riesige Statue des Ritters der Schöpferin. Sie war dreimal so groß wie Squall, der auch nicht der kleinste war. Squall staunte, als er die Statue genauer betrachtete. Der Ritter sah so lebensecht aus, dass Squall sich unwillkürlich fragte, welcher sterbliche Mensch zu solch einem Meisterwerk fähig sein könnte.
Der Ritter stand mit blank gezogener Waffe auf seinem Podest, beide Hände um ein Schwert gelegt, das er kampfbereit erhoben hatte. Sein Gesicht war ernst, die schrägen Augen auf einen Punkt hinter dem Horizont gerichtet. Sein langes Haar war im Nacken mit einem Band zusammengefasst, bis auf einige störrische Strähnen, die von einem schmalen Stirnband aus seinem Gesicht gehalten wurden. Und sein Gesicht...
Es schien nur zum Teil menschlich zu sein. Wie die Schöpferin auf dem Relief sah er aus wie ein Elf, der zufällig in die Welt der Menschen gekommen war. Aber er sah trotzdem nicht so seltsam fremdartig aus wie die Schöpferin. Eher wie... eine Mischung aus Mensch und Elf. Genau! Seine Augen und sein fein geschnittenes Gesicht konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er eigentlich ein Mensch war.
Squall schauderte, als er in das Gesicht sah, das seinem eigenen so ähnlich war. Er wandte sich ab und lief zu dem anderen Platz, auf dem die Statue der Schöpferin stand. Sie sah genauso aus wie auf dem Relief, nur ihre schrägen Augen waren geschlossen und sie hatte die Hände vor der Brust gefaltet. Ihr hüftlanges Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern. Ihr Gesicht erinnerte Squall, trotz aller Fremdartigkeit, so sehr an Rinoa, dass es beinahe schmerzte.
Squall wandte sich ab und ging nach kurzem Zögern auf eines der Gebäude zu, das hinter der Statue errichtet worden war. Irgend etwas an dem Gebäude schien ihn magisch anzuziehen. Er konnte gar nicht anders, als auf das Haus zuzugehen. Als er die Stufen hinaufstieg, hörte er jemanden hinter sich aufschreien. Er erkannte die schrille Stimme der Herrscherin, ohne sich umzudrehen.
„Wage es nicht, diesen Tempel zu betreten!“, kreischte sie. Squall beschleunigte seine Schritte. „Warum nicht?“, fragte er, ohne sich umzudrehen. Plötzlich spürte er, dass ihn irgend etwas zurück zu ziehen versuchte. Er wollte schneller gehen, aber er wurde von dieser seltsamen Kraft aufgehalten. „Oh nein, du wirst mir nicht entkommen!“, zischte die Herrscherin. Squall blieb stehen. Als er sich umdrehte, sah er die Herrscherin, die direkt an den Stufen des Tempel stand und triumphierend zu ihm hoch blickte. Gegen seinen Willen machte er ein, zwei Schritte auf sie zu... und spürte plötzlich, wie diese Kraft, die ihn dazu zwang, von ihm genommen wurde. Der Ausdruck auf dem Gesicht der Herrscherin wandelte sich zuerst in Bestürzung, dann in Hass. Squall drehte sich um und rannte so schnell er konnte auf den Tempel zu. Über die geschlossene Tür machte er sich als Geist keine Gedanken; er sprang einfach hindurch und kam mit einer Rolle wieder auf die Beine. Draußen schrie ihm die Herrscherin irgendwelche Verwünschungen und Flüche nach, aber Squall hörte gar nicht hin. Staunend sah er sich in dem Raum um, in dem er sich befand. Anders als der Rest der Stadt erstrahlte dieser Raum in allen Regenbogenfarben. Unzählige Kerzen steckten in Haltern an der Wand und tauchten die Szenerie in ein mildes, flackerndes Licht. Sie schienen nicht unbedingt zu den vielen komplizierten Geräten zu passen, die sich in dem Raum befanden, aber irgendwie beruhigte der Kerzenschein Squall ungemein.
Squall durchquerte diesen Raum und ging auf eine weitere Tür zu. Hinter dieser begann ein langer Tunnel, der aus Glas zu bestehen schien. An seinem Ende war helles Licht zu sehen. Squall ging darauf zu und stellte überrascht fest, dass ihm eine Wand aus Licht den Weg versperrte. Unschlüssig blieb er direkt davor stehen und sah sich nach irgend einem Schließmechanismus um. Ein Gefühl sagte ihm, dass es gefährlich war, durch diese Wand zu gehen. Als er aber nichts fand, womit man die Wand öffnen konnte, nahm er all seinen Mut zusammen... und trat hindurch.
Als Squall die seltsame, leuchtende Wand durchschritten hatte, fühlte er plötzlich Schmerzen, die sich von seinem Kopf über seinen ganzen Körper auszubreiten schienen. Er presste die Hände gegen die Schläfen und sank auf die Knie. Die Schmerzen wurden immer stärker. Squall schrie auf und stützte sich mit den Händen auf dem Boden auf, bis sie schließlich unter ihm nachgaben und er sich vor Schmerzen auf dem Boden krümmte. Schließlich wurden seine Schmerzen so groß, dass er sogar unfähig war zu schreien. Wimmernd lag er auf dem Boden und sehnte sich nach dem endgültigen Tod, der ihn von diesen Schmerzen erlösen würde. Es tat so weh, dass er sogar vergaß, dass er schon tot war. Er konzentrierte sich so gut er konnte und versuchte, gegen den Schmerz anzukämpfen.
Es hörte so schnell auf, wie es gekommen war. Squall blieb noch einen Moment überrascht liegen und versuchte, sich aufzurichten, was ihm nicht gelang.
„Bleib ruhig! Es ist bald vorbei.“, hörte er jemanden sagen. Die Stimme drang tief in seine Gedanken ein und beruhigte ihn. Schließlich wich die Schwäche von ihm, und es gelang ihm aufzustehen.
Als er sich umsah, bemerkte er eine Gestalt, die auf einem Thron saß und ihn beobachtete. Überrascht stellte er fest, dass sie ebenso durchsichtig war wie er selbst; er konnte die Frau sehen, aber gleichzeitig konnte er durch sie hindurch die Wand erkennen. Squall sah die Frau genauer an und bemerkte beinahe entsetzt, dass es sich um die Schöpferin handelte. Sie sah genauso aus wie die Statue auf dem Platz, und doch war Squall überrascht, als er sie zum ersten Mal sah. Ihre Haut und ihr langes Haar waren schneeweiß, wie auch das lange Kleid, das sie trug, und ihre Augen glühten rot in dem totenblassen Gesicht! Squall konnte etwas dunklere Pupillen erkennen; aber selbst die Iris war völlig rot.
Doch die Schöpferin schien von seinem Anblick genauso überrascht zu sein, wie er von ihrem. Sie stand langsam auf und in ihrem schönen Gesicht zeigte sich Bestürzung und Schmerz. „Vandell?“, flüsterte sie kaum hörbar. Aber sie verbesserte sich sofort: „Nein, du bist nicht Vandell. Aber dass dein Geist noch lebt, bedeutet, dass du ein Ritter bist wie er. Wer bist du?“
Squall schaffte es erst nach einigen Sekunden, ihr zu antworten. „Mein... mein Name ist Squall. Squall Leonhart.“, brachte er schließlich hervor. Die Schöpferin sah ihn noch einen Moment an. „So ist es denn wahr. Mein Volk wird noch immer von meinen Töchtern beschützt? Sage mir, Squall, wie lange habe ich geschlafen?“, fragte sie leise.
Squall schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, Schöpferin.“, sagte er. Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Schöpferin. „Du kannst mich bei meinem Namen nennen, wenn du magst. Ich heiße Hyne De Carracas.“ Squall sah sie überrascht an. „Hyne? Aber...“ Er brach ab. Hyne sah ihn belustigt an. „Du kennst diesen Namen?“, fragte sie.
Squall nickte langsam. „Ja... Es gibt eine Sage bei uns...Aber in der Sage war der Schöpfer Hyne ein Mann!“ Hyne lachte laut auf. „Dieses Märchen hat sicher ein Mann erfunden.“, lachte sie. Sie stand auf und kam auf Squall zu. „Doch ich fragte dich, wie lange ich geschlafen habe.“, meinte sie. „Aber ich weiß es nicht!“, wiederholte Squall beinahe verzweifelt. „Kann es denn sein, dass ihr Menschen vergessen habt, wann die neue Welt Centra entstand?“, sinnierte Hyne nachdenklich. Squall starrte sie an. „Centra? Ihr meint, euer Volk ist nach eurem Tod nach Centra gegangen?“

Galuf
21.10.2003, 13:55
„So weißt du es doch?“ Hyne sah ihn interessiert an.
Squall dachte angestrengt nach. Centra war seine Prüfungsfrage in Geschichte gewesen. Aber seine SEED- Prüfung war schon so lange her! Er versuchte, sich an die Frage zu erinnern. „3000 Jahre.“, sagte er schließlich. „Ich glaube, Centra entstand vor ungefähr 3000 Jahren.“
„Du weißt es nicht? Stammst du nicht aus Centra?“
„Nein. Centra wurde vor 100 Jahren von der Träne des Mondes zerstört.“
Hyne schwieg einen Moment. „Gab es viele Tote?“, fragte sie traurig. Squall hob die Schultern. „Keine Ahnung. Schätze schon. Ich war nicht dabei. Jedenfalls haben die Überlebenden angeblich den Staat Esthar gegründet und die Menschen von Esthar kolonialisierten den Rest der Welt. Mann, und ich dachte, Geschichte wäre zu nichts nütze!“
Hyne lächelte schwach. „Esthar... das bedeutet ‚Neuanfang’ in der Sprache meiner Ahnen.“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Squall.
Dann wurde sie wieder ernst. „Dass du hier bist, bedeutet, Vanessa ist wieder frei.“
„Wer ist...“, begann Squall, doch dann ging ihm ein Licht auf. „Oh. Die Herrscherin. Ja, die streunt irgendwo dort draußen herum und wartet darauf, dass ich hier raus komme. Könnt Ihr mir helfen?“
Doch Hyne drehte sich um und verschwand einfach hinter der Wand. Squall beeilte sich, ihr nachzulaufen. Er fand sich in einem leeren Raum wieder, in dessen Mitte Hyne stand und die Hände anklagend erhoben hatte. „Warum sind die Menschen hierher zurückgekehrt? Warum konnten sie mich nicht in Ruhe schlafen lassen? Wer war derjenige, der den Wächter besiegte? Wer?“, schrie sie schmerzerfüllt. Squall zuckte bei den letzten Worten zusammen. „Ich fürchte, das war ich.“, gestand er kleinlaut.
Hyne fuhr herum. Die Wut in ihrem Gesicht machte Resignation Platz.
„Natürlich.“, sagte sie müde. „Wer, außer einem Hexenritter, könnte solch eine schreckliche Bestie bezwingen?“
Squall wagte es nicht, etwas zu sagen. Er sah sie nur stumm an. Hyne schien ihm jedoch nicht böse zu sein. Sie lächelte ihn an. „Nun, vielleicht ist dies meine Möglichkeit, zu meinem Geliebten zurückzukehren.“ Sie schloss ihre unheimlichen, roten Augen und seufzte. „Vandell... ich vermisse dich so sehr...“, flüsterte sie.
Squall nahm all seinen Mut zusammen und fragte: „Ist Vandell Euer Hexenritter?“
Hyne lächelte. „Er war mein Ritter, ja. Doch ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass er noch leben könnte.“ Sie schien Squall nicht mehr wahrzunehmen. Ihr Blick war auf einen Punkt hinter der Wand gerichtet. „Er war mein Ritter, und noch so vieles mehr. Er war mein Freund, mein Bruder,... er wäre sicher auch mein Geliebter geworden, wenn uns mehr Zeit geblieben wäre. Er war mein Ein und Alles. Und doch habe ich bis zuletzt nie erfahren, ob er das Gleiche für mich empfand.
Aber wenn ich Vanessa endgültig von dieser Welt verbanne, kann ich aus diesem Dasein scheiden und ihm folgen.“ Ihr Blick kehrte in die Halle zurück. Sie sah so traurig aus, dass Squall sie am liebsten in die Arme genommen und getröstet hätte. Hyne legte den Kopf schief und sah ihn an.
„Dein Mitleid ist an mir verschwendet. Denke lieber an deine Liebste, die um deinetwillen weint. An deine Freunde, die um dich trauern. Nicht an eine 23 800 Jahre alte Frau, die dir ihre Probleme aufhalsen will. Anderen zuzuhören ist ohnehin nicht deine Stärke, nicht wahr?“
Squall starrte sie an. Für ihr Alter hat sie sich gut gehalten. , war sein erster Gedanke. Dann fiel ihm ein, dass sie eigentlich gar nichts über ihn wissen konnte. Er fühlte sich immer noch unwohl, wenn andere ihm ihre Probleme anvertrauten. Er wusste nie, was er dazu sagen sollte. „Aber woher...“ Er brach ab, als ihm einfiel, dass sie wahrscheinlich seine Gedanken lesen konnte. Immerhin war sie eine Göttin...
Einfach um etwas zu sagen, meinte er: „Ihr habt recht, ich bin kein guter Zuhörer. Aber ich möchte wissen, was passiert ist, und warum Ihr noch hier seid. Wenn das heißt, dass Ihr mir Eure ganze Geschichte erzählen müsst, dann werde ich sie mir eben anhören.“
Hyne lächelte. „Du bist ihm ähnlicher, als du glaubst. Nun gut, ich werde es dir zeigen. Gib mir deine Hand.“ Zögernd kam Squall ihrer Aufforderung nach. Plötzlich tauchten Bilder vor seinen Augen auf. Er erkannte, dass er durch Hynes Augen die Vergangenheit sah.
Kapitel 3: Hyne

Hyne schlug die Augen auf. Sie sah eine leere Landschaft. Vereinzelt nahm sie Leben auf diesem Planeten wahr, intelligentes Leben, Menschen, die in kleinen Gruppen über das Land zogen. Menschen, die kein Ziel hatten, außer dem zu überleben.
Sie fühlte sich einsam. Die Menschen fürchteten sie, weil sie anders war. Weil sie Dinge wusste, die sie auf ewig von ihnen unterscheiden würde. Die Menschen verehrten sie als Göttin. Aber keiner wollte zu ihr sprechen.
Nach einigen Jahren entschloss sie sich, einen Gefährten zu erschaffen. Er sollte ihr selbst ähnlich und unsterblich sein wie sie, sich aber von den Menschen nicht so sehr unterscheiden wie sie selbst. Er würde ihr Beschützer sein vor allen, die ihr schaden mochten. Zu dieser Zeit ahnte sie noch nicht, dass sie sich in den zurückhaltenden, schüchternen und doch so starken Mann verlieben würde. Das Gefühl, das die Menschen ‚Liebe’ nannten, war ihr völlig fremd.
Durch Magie schuf sie ihren Ritter, einen starken, schönen, ewig jungen Mann, dem sie den Namen ‚Vandell’ gab, was in der Sprache ihrer Ahnen soviel hieß wie ‚Beschützer der Göttin’.
Vandell gewann das Vertrauen der Menschen und zeigte ihnen, dass sie keine Angst vor Hyne haben mussten. Er zeigte ihnen auch, dass sie einsam war und sich nach der Fröhlichkeit und der Zuneigung der Menschen sehnte.
Von da an wagten es die Menschen, Hyne um Rat zu fragen und mit ihr zu sprechen. Sie verehrten sie aber noch immer als Göttin, deren Befehlen sie gehorchen mussten.
An ein Ereignis erinnerte sich Hyne besonders genau: Eines Tages befiel sie ein seltsames Fieber, das keines ihrer Heilkräuter bezwingen konnte. Sie war in Höhlen unter der Oberfläche geboren worden und aufgewachsen, bis sie mit fast 14 000 Jahren der Menschen auf diesem Planeten ausgesetzt worden war, weil sie sich geweigert hatte, die oft grausamen Sitten ihrer Ahnen anzunehmen. Sie hatte vor ihrer Aussetzung nie die Sonne gesehen. Und nun war sie dem ewigen Lichtschein der unbarmherzigen Sonne für fast tausend Jahre schon ausgesetzt gewesen.
Ihre Kräfte schwanden dahin, bis Vandell aus Angst um seine Herrin den Menschen befahl, eine Stadt unter dem Meer zu bauen. Nach weiteren tausend Jahren war mit Hynes Hilfe eine Stadt unter dem Meer entstanden, welche die Menschen ‚Shirkii tanea’ nannten, die ‚Stadt der alten Rasse’.
Hyne empfand Dankbarkeit für Vandell, der stets für sie gesorgt hatte und ihretwegen die Menschen dazu gebracht hatte, ihre vertraute Umgebung zu verlassen. Und sie empfand noch etwas anderes, das sie damals noch nicht definieren konnte; nun wusste sie, dass sie damals angefangen hatte, ihn zu lieben.
Nun lebten alle Menschen dieser Welt friedlich in Shirkii tanea. Bis Vanessa auftauchte.

Vanessa war eine wunderschöne junge Frau, die es genoss, von Männern bewundert zu werden. Sie war davon besessen, alle Männer und Frauen der Stadt zu ihren persönlichen Sklaven zu machen. Nach und nach scharte sie eine Menge Anhänger um sich, Männer, die ihr verfallen waren, und Frauen, die sein wollten wie sie. Aber Vanessa war damit nicht zufrieden. Sie wollte alle Menschen unter ihre Kontrolle bringen, deshalb ließ sie sich zur Königin der Stadt krönen und versuchte, Hynes Einfluss in der Bevölkerung zu unterbinden. Doch die Menschen vertrauten noch immer auf die Stimme ihrer Schöpferin Hyne und des Ritters Vandell.
War Vanessa früher nur machtbesessen, so wurde sie nun verrückt. Sie konnte es nicht ertragen, dass manche ihrer Untertanen den Befehlen der Schöpferin gehorchten und nicht ihren eigenen. Und sie konnte es nicht ertragen, dass der Ritter Vandell sie zurückwies. Ihre Verführungskünste schienen nicht an ihm zu wirken.
Vanessa begann, die schwarze Magie zu erlernen, um Hyne zu vernichten und Vandell zu ihrem Eigentum zu machen. Doch wie groß war ihr Entsetzten, als sie erkannte, dass Hyne nie sterben konnte, sofern sie es nicht selbst wünschte oder sie einen Zauberspruch ihrer Heimat aussprach, was ihr verboten war. Aber Vanessa gab nicht auf. Sie verlängerte ihr Leben durch unheilige, schwarze Magie und suchte weiter nach einer Möglichkeit, Hyne zu vernichten. Bis sie eines Tages durch Verrat an ein Buch Hynes gelangte, in dem ein Ritual beschrieben wurde, durch das Hyne von dieser Dimension in eine andere Welt ohne Magie verbannt würde.
Eines Tages marschierten Tausende ihrer Anhänger zu dem Palast der Schöpferin. In ihrer Mitte auch Vanessa, die sich von sechs Sklaven in einer Sänfte tragen ließ. Sie war begierig darauf, die verhasste Rivalin endlich zu verbannen...

Galuf
21.10.2003, 14:05
Das alles sah Squall innerhalb weniger Sekunden. Entsetzt riss er sich von Hyne los und starrte sie an. „Was war das?“, fragte er mit zitternder Stimme.
„Das war die ‚Kurzversion’ meines Lebens, wie deine Freunde sagen würden.“, antwortete Hyne bitter. „Du hast gesehen, wie ich auf dieser Welt ankam. Ich wurde von meinem Volk ins Exil geschickt, weil ich... anders war. Mein Volk war der Ansicht, dass ein Menschenleben nichts wert ist. Ich teilte diese Ansicht nicht. Deshalb wurde ich hierher verbannt.“
Hyne schloss die Augen. Die Erinnerung an diese Zeit schien ihr nicht zu gefallen. „Ich war nach unseren Maßstäben noch sehr jung. Nicht älter als du. Ich musste mit ansehen, wie ein Sklave in meinem Haus zum Vergnügen unserer Gäste gefoltert und langsam getötet wurde. So etwas war eigentlich alltäglich, aber dieses eine Mal war zuviel.
Ich wollte danach nichts mehr mit irgendwelchen Festen meiner Eltern zu tun haben. Als ich das meinen Eltern mitteilte, ließen sie mich prüfen. Es wurde festgestellt, dass ich nicht grausam genug für mein Haus war.“ Hyne lachte humorlos. „Natürlich haben sie es anders genannt, aber es lief darauf hinaus, dass ich nicht grausam genug war.“ Sie schwieg eine Weile.
Dann fuhr sie fort. „Ich wurde hier ausgesetzt. Auf einem öden Planeten mit halbzivilisierten Menschen, die sich vor mir fürchteten. Ohne Freunde. Ohne Schutz vor der Sonne. Nur mit Zauberkräften ausgestattet, welche die Menschen überzeugten, dass ich eine Göttin wäre.“
Hyne sah Squall mit ihren seltsamen, roten Augen an. „Es war die Hölle! Ich war ganz allein, weil keiner dieser Feiglinge einer ‚Göttin’ zu nahe kommen wollten. Schließlich beschloss ich, selbst einen Menschen zu erschaffen. Einen Menschen, der zwischen mir und den anderen vermitteln würde, und mit dem ich reden könnte. Er sollte unsere beiden Welten vereinen. Deshalb schuf ich Vandell LaDiganè.“ Bei dem Gedanken an Vandell lächelte sie.
„Er war... anders als alle anderen. Als er mich das erste Mal sah, erschrak er nicht, wie all die anderen vor ihm. Er nahm es hin, das ich nun einmal nicht so aussah, wie die Menschen, bei denen ich ihn in Obhut gegeben hatte. Er war selbst immer ein Außenseiter gewesen. Wahrscheinlich wegen seiner ganzen Art und besonders wegen seiner Augen. Sie sahen aus wie meine. Die Menschen respektierten ihn, aber Freunde hatte er nicht. Genau wie ich. Er lernte schon außerordentlich früh, mit dem Schwert umzugehen, und das war auch ein Grund gewesen, warum ihn seine Zieheltern schon zu mir brachten, als er in deinem Alter war.“
Hyne begann in dem Zimmer auf und ab zu gehen, während sie weiter erzählte.
„Vandell wurde zu mir gebracht. Als er mich sah, blieb er stehen und starrte mich eine Weile einfach an. Dann ging er einfach auf mich zu, kniete vor mir nieder und küsste meine Hand. Ein perfekter Gentleman, war mein erster Gedanke. Dann sah er mir in die Augen und sagte: ‚Milady, mir wurde gesagt, Ihr hättet mich erschaffen, um Euer Beschützer zu sein. Ich werde mein Leben geben, um das Eure zu schützen.’ Als ich ihn fragte, ob ihn denn meine... Fremdartigkeit nicht störe, meinte er nur: ‚Nein. Ich finde, Ihr seid wunderschön.’
Das war auch eine seiner guten Eigenschaften: Er sagte immer, was er dachte.“ Hyne hörte auf, im Raum auf und ab zu laufen. Sie sah Squall an. „Das war das erste Mal, dass jemand zu mir gesagt hatte, ich wäre schön. Zuhause war ich als Missgeburt beschimpft worden. Sicher, manche Männer interessierten sich für mich, aber keiner hatte mich je schön genannt.
Vandell schon! Ich hatte ihn auf Anhieb gern.“ Sie sah wieder weg. Als sie weitersprach, war ihre Stimme rau. „Aber geliebt habe ich ihn damals noch nicht.
Nachdem ich schon fast tausend eurer Jahre an der Oberfläche gelebt hatte, bekam ich ein seltsames Fieber. Ich konnte es nicht senken, und auch die Schamanen der Menschen vermochten nichts auszurichten. Nach einiger Zeit kam kein Mensch mehr in meine Nähe. Nur Vandell blieb bei mir. Er war richtig verzweifelt. Ich schwebte in Lebensgefahr, und er konnte nichts tun, als an meinem Bett zu wachen. Manchmal, wenn er dachte, dass ich schlief, setzte er sich neben mich und hielt meine Hand. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Er saß einfach da und hielt meine Hand.“
Hyne machte wieder eine Pause. Sie setzte sich auf einen Thron, der eine ganze Wand beanspruchte. Squall setzte sich einfach auf den Boden. Fasziniert hörte er weiter zu.
„Einmal, nur ein einziges Mal, hat er mich geküsst.“ Hyne lächelte verträumt. „Er beugte sich über mich und küsste mich so sanft, dass ich beinahe in Ohnmacht gefallen wäre. Ich hatte natürlich in meiner Heimat schon Männer geküsst, aber keiner war so zärtlich wie Vandell gewesen.
Als er wieder aufstehen wollte, machte ich die Augen auf. Er war ziemlich erschrocken, als ich ihn fragte, wieso er mich geküsst hatte. Er wurde ganz rot und verschwand wie ein Blitz aus dem Zimmer. Danach ließ er sich zwei Wochen nicht mehr blicken. Als ich eines Tages wieder aufwachte, kniete er wieder neben meinem Bett und war eingeschlafen. Ich glaube, damals habe ich mich in ihn verliebt.“
Squall konnte sich gut vorstellen, wie sich Vandell gefühlt hatte, als sie ihn bei dem Kuss ertappt hatte. Schließlich war es ihm ähnlich gegangen, als er auf der Party nach dem Sieg über die Hexe Artemisia Rinoa zum ersten Mal geküsst hatte. Zwar hatte ihn nicht Rinoa gefragt, was er da mache (sie war auch viel zu beschäftigt gewesen!), dafür aber Edea. Kurz bevor sie beinahe in Ohnmacht gefallen wäre, als sie bemerkte, was da vorging. Danach hatten alle anderen ihn und Rinoa angestarrt. Seine Freunde hatten sich nur mit Mühe ein Lächeln verkneifen können. Dann hatte Rinoa ihn (wieder einmal) auf die Tanzfläche gezerrt, wofür er ihr dankbar war. So war er den lästigen Fragen der anderen noch einmal entgangen.
Oh ja, er konnte sich gut vorstellen, wie Vandell sich gefühlt hatte!
Gebannt hörte er Hyne weiter zu.
„Schließlich, als das Fieber nicht zurückging, erzählte ich Vandell, dass ich nur in unterirdischen Höhlen überleben könnte. Sofort ließ er eine Stadt unter dem Meer bauen. Ich half dabei, so gut ich konnte.
Ich dachte nun, ich könnte endlich in Frieden leben. Doch selbst hier, in meiner Stadt, hatte ich Neider und Feinde. Die schlimmste Bedrohung war aber Vanessa. Ich glaube, sie sah in mir nur zum Teil eine Rivalin um den Thron. Größtenteils hasste sie mich, weil sie meinetwegen von Vandell abgewiesen wurde. Zumindest dachte sie das. Ich war mir dessen nicht so sicher. Nach dem einen Kuss hatte er nie wieder derartige Gefühle für mich durchblicken lassen. Sicher, er war mein bester, mein einziger Freund, aber mehr wollte er damals anscheinend auch nicht. Im Gegensatz zu mir! Ich hätte ihm so gerne gesagt, wie sehr ich ihn liebe, aber mir fehlte der Mut dazu. Tatsache ist, ich hätte nicht gewusst, was ich getan hätte, wenn er mich zurückgewiesen hätte.“
Sie sah ihn die Ferne. „Und jetzt ist er tot...“
Eine einzelne Träne lief über ihre schneeweiße Wange. Hyne schloss die Augen.
„Vanessa fand schließlich einen Weg, um mich loszuwerden. Sie ließ von einem ihrer Anhänger eines meiner Zauberbücher stehlen und fand darin einen Spruch, der mich in eine andere Dimension ohne Magie schleuderte.“ Hyne war sichtlich unwohl bei dem Gedanken. „Es war grauenvoll. Aber glücklicherweise verging die Zeit dort langsamer als hier. Hier waren fast zwei Jahrzehnte vergangen, während ich das Gefühl hatte, nur ein paar Tage gefangen zu sein. Dann holte Vandell mich zurück. Er hatte Jahre gebraucht, um den richtigen Spruch zu finden, um mich zurück zu holen. Und noch länger, um ihn vorzubereiten und auszusprechen.
Vandell besaß mindestens so große Zauberkräfte wie Vanessa, wenn nicht mehr! Aber er war nicht sehr geübt im Zaubern. Als ich wieder vor ihm stand, sprang er auf und umarmte mich so fest, dass ich beinahe keine Luft mehr bekam. Vanessa war es noch immer nicht gelungen, ihn auf ihre Seite zu ziehen, aber als er mich zurückholte, bemerkte ich als Erstes, dass sie ihn mit einem Bann belegt hatte und er nicht mehr lange würde wiederstehen können. Ich nahm den Bann von ihm, mit dem Vanessa ihn belegt hatte. Er erzählte mir, dass ich die Einzige wäre, die Vanessa noch aufhalten könnte, und dass sie ihre Untertanen zu Tode quäle.
Deshalb fasste ich den Entschluss, den selben Zauberspruch auf sie auszusprechen, den sie über mich verhängt hatte, und schickte sie in eine Welt, in der sie keine Macht hatte und gezwungen war, immerwährend zu schlafen. Ich hatte jedoch noch nicht genug Kraft, sie vollständig dorthin zu schicken; ihr Körper blieb schlafend in dieser Ebene zurück. Ich ließ die Halle, in der ich sie besiegt hatte, verschließen, denn wenn ihr Körper aufwachen würde, wäre auch ihr Geist wieder in dieser Welt.“ Hyne erhob sich von ihrem Thron. „Doch dieser Zauberbann war gleichzeitig mein Todesurteil. Es war mir verboten, einen Bann aus meiner Heimat auszusprechen. Beim ersten Mal würde ich einfach nur sterben.
Beim zweiten Mal, so wurde mir gesagt, würde mein Volk mich wieder holen, um mich zu bestrafen.
Doch ich tat es gerne, um Vandell und mein Volk zu retten. Seitdem lebe ich hier als Geist. Ich habe geschworen, die Welt vor Vanessa zu beschützen. Und nun scheint es an der Zeit zu sein, ins Leben zurückzukehren.“
Nun verstummte Hyne. Squall sah sie verträumt an. „Das war wirklich romantisch.“, meinte er lächelnd. „Freut mich, dass es dir gefallen hat.“, sagte Hyne verbittert. Sie ging einen Schritt auf ihn zu und blieb wieder stehen. „Wenn ich ihm doch nur gesagt hätte...“ Sie brach ab.
Squall dachte kurz nach und lächelte dann. „Ihr beide seid ja noch langsamer gewesen als ich und Rinoa.“ Hyne starrte ihn an. „Machst du dich über mich lustig?“, fragte sie fassungslos.
„Nein“, meinte Squall beschwichtigend, „Ich wundere mich nur. Ihr beide habt euch so lange gekannt, ihr habt euch jeden Tag gesehen, ihr wart beide verliebt, und ihr habt euch trotzdem nie getraut, es dem anderen zu sagen?“
„Ich sagte doch, ich weiß nicht, ob er mich...“, begann Hyne verärgert, doch Squall unterbrach sie wieder. „Denkt Ihr denn, er ist nur aus Spaß tagelang an Eurem Krankenbett gesessen? Und er hat Euch nur geküsst, weil er Euch so bewundert? Oder die Stadt bauen lassen, weil ihm gerade danach war? Und warum hat er wohl sein Leben riskiert, um Euch zurückzuholen? Wenn er auch nur ein kleines Bisschen ist wie ich, dann kann ich nicht glauben, dass er das aus Freundschaft oder Loyalität getan hat. Ich bin mir sicher, dass er Euch auch geliebt hat. Mit Verlaub. Eure Hoheit. Oder was auch immer.“
Hyne sah weg. Sie strich ihr schneeweißes Haar mit einer fahrigen Handbewegung hinter das Ohr. „Mag sein. Aber nun ist es zu spät.“, meinte sie mutlos.
Plötzlich straffte sie sich und war mit einem Ruck wieder die mächtige Hexe. „Ich kann hier nicht um ihn trauern, während Vanessa sich anschickt, die Welt zu erobern. Doch töten kann ich sie nicht. Das musst du tun.“
Squall machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Hyne unterbrach ihn: „Ich weiß, dass du dies in deiner derzeitigen Form nicht vermagst. Doch so kurz nach dem Tod kann ich dich aus diesem Schattenreich zurückholen. Ich kann Vanessa ablenken, doch töten musst du sie selbst.“
Squall überlegte nur kurz. „Klingt fair.“, meinte er achselzuckend.
Hyne lächelte kalt. „Nun, mach dich auf Schmerz gefasst. Dein Körper wird sich gegen die Auferweckung sträuben.“ Sie hob eine Hand und malte bizarre Zeichen in die Luft, während sie in einer dunklen Sprache offenbar den Zauberspruch intonierte. Die Symbole umkreisten Squall einmal, zweimal, dann drangen sie in seinen Geist ein und veränderten irgend etwas. Er fühlte sich plötzlich schwerelos. Tatsächlich trugen die Zeichen ihn fort, durch die Stadt hindurch und auf das große Gebäude zu, aus dem er vor Vanessa geflohen war. Er sah den Raum, in dem sein Körper auf dem Altar lag. Er konnte jede Einzelheit sehen, aber immer, wenn er etwas genauer erkennen wollte, verschwamm das Bild vor seinen Augen. Er konnte zwar die Verbrennungen in seinem Gesicht erkennen, aber er konnte sich selbst nicht in die starren, toten Augen sehen. Er wusste, dass seine Kleidung ebenfalls von Vanessas Zauberei leicht angegriffen war, aber er konnte die Verbrennungen nicht sehen.
Und nun mache dich auf Schmerz gefasst. , ertönte Hynes Stimme in seinem Kopf.
Die Zauberrunen, die sich um seine Hände gelegt hatten, zogen ihn unbarmherzig auf seinen Körper zu. Als Squall seine eigene Hand berührte, fühlte er sich, als würde er in winzige Stücke zerrissen und anschließend in seinen Körper eingepflanzt. Er versuchte zu schreien, als er wieder die Kontrolle über seinen Körper hatte, aber kein Laut kam aus seiner Kehle; die Schmerzen schnürten ihm schier die Luft ab. Er machte einen einzigen, verzweifelten Atemzug, schlicht um nicht zu ersticken, nur um die Luft wieder in den riesigen Raum hinauszuschreien. Seine Hände krallten sich in den seltsamen Stein, auf dem er lag, als wollten sie den Altar zerbrechen.
Squall fiel auf den Boden hinunter, aber er spürte es nicht. Er lag zitternd und schreiend auf dem kalten Marmorboden, die Hände in sein Haar gekrallt, totenbleich im Gesicht, und brüllte diese unvorstellbaren Schmerzen in die Welt hinaus. Dann spürte er einen scharfen Stich in seinem Kopf, und es war vorbei. Squall blieb noch einige Minuten still liegen und atmete tief durch. Er hatte sich offenbar irgendwo den Kopf gestoßen, klebriges Blut lief über sein Gesicht herab. Mit einiger Mühe richtete er sich in eine sitzende Position auf und lehnte sich gegen den kühlen Stein des Altars. Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie er jetzt wohl aussah. Blut im Gesicht, zerzaustes Haar, zitternde Hände, angekohlte Kleidung... Beinahe wie damals, als Cifer ihn im Training geschlagen hatte. Ha Ha!
Langsam stand er auf. Vorsichtig hielt er sich am Altar fest, während er erste Schritte machte. Überraschenderweise knickten seine Knie nicht bei jedem Schritt ein, wie er schon insgeheim befürchtet hatte. Nein, er war sogar relativ sicher auf den Beinen, wenn man bedachte, dass er vor wenigen Minuten tot gewesen war!
Ein weiterer Pluspunkt war, das Vanessa offenbar die Möglichkeit nicht bedacht hatte, dass er ohne ihre Hilfe wieder aufwachen könnte: Seine Gunblade lag auf einem niedrigen Tisch an der Wand. Squall nahm seine Waffe in beide Hände. Das vertraute Gewicht der Löwenherz in seinen Händen beruhigte ihn ungemein.
Plötzlich hörte er draußen einen Donnerschlag. Ihm fiel siedendheiß ein, dass Hyne versprochen hatte, Vanessa abzulenken, damit er sie ausschalten konnte. So schnell er konnte, lief er zum Ausgang... und ging ebenso schnell hinter einer großen Statue neben dem Eingang in Deckung, als er sah, das Vanessa direkt vor ihm stand. Glücklicherweise drehte sie ihm den Rücken zu, weil sie sich auf eine durchsichtige Gestalt konzentrierte, die zwei Meter über dem Platz schwebte. Squall fiel ein Stein vom Herzen, als er Hyne erkannte. Doch sie hatte sich sehr verändert. Statt des weißen Kleides, das sie vorhin getragen hatte, trug sie nun einen hautengen Anzug aus dunklem Leder, der ihre makellose Figur und ihr bleiches Gesicht besonders unterstrich. Auf ihrer Stirn glänzte das Diadem mit dem blauen Edelstein, wie auf dem Bild im Tempel. Außerdem schien sie... lebendiger zu sein. Sie hatte mehr an Substanz gewonnen, seit Squall sie zum letzten Mal gesehen hatte. Und er musste zugeben, er konnte sich nun gut vorstellen, warum die Menschen sich damals vor ihr gefürchtet hatten, wenn sie sich in dieser Aufmachung gezeigt hatte. Sie wirkte in ihrer fremdartigen Kleidung wirklich furchterregend.
Andererseits stand ihr das hautenge Leder wirklich gut...
Als Squall sich Rinoa in dieser Kleidung vorstellte, musste er lächeln. Obwohl sie Hyne sehr ähnlich sah, würde diese abgefahrene Lederkluft nicht stehen. Viel zu düster. Würde nie zu ihrem heiteren Gemüt passen.
Squall schüttelte den Kopf und verdrängte diesen albernen Gedanken. Er konzentrierte sich auf das Gespräch zwischen den beiden Kontrahentinnen.
„Du bist nur ein Geist!“, höhnte Vanessa gerade. „Und du willst mich aufhalten? Lachhaft!“
„Nun, ich könnte dich wieder in die Traumwelt schicken.“, meinte Hyne lächelnd.
„Klar könntest du. Aber was würde dann aus diesem süßen Jungen? Du würdest endgültig von dieser Welt verschwinden, und er wäre für alle Zeiten ein Geist.“ Vanessa grinste irre. „Das möchtest du ihm doch nicht antun, oder? Nachdem du selbst seit 3 000 Jahren so ‚leben’ musst.“
Hyne schien zu überlegen. „Nun, vielleicht ist er mir egal. Was dann?“
Vanessas Grinsen wurde noch breiter. „Das glaube ich nicht. Allein die Ähnlichkeit zu Vandell...“
Aus Hynes Augen und Händen zuckten Blitze, die dicht vor Vanessa in den Boden einschlugen. „Wage es nie wieder, diesen Namen auszusprechen!“, schrie sie wütend.
„Warum nicht? Der Arme hat über 6 000 Jahre bei dir gelebt, ohne je mit einer Frau zusammen zu sein. Und das nur, weil du ihn mit einem Zauberbann belegt hast, oder etwas ähnliches.“
„Das ist nicht wahr! Ich würde ihn nie verzaubern wollen, selbst wenn er noch leben würde. Dafür liebe ich ihn viel zu sehr!“
Vanessa erstarrte. „So, so. Du liebst ihn? Du, die bei ihrer Geburt noch nicht einmal wusste, was dieses Wort bedeutet!“
„Nun, im Gegensatz zu dir habe ich gelernt, was es heißt, einen Mann zu lieben.“ Hyne lächelte kalt. „Aber nun ist es genug! Diesmal wirst du entgültig sterben.“
Squall verstand den Wink sofort. Er stand auf und ging so leise wie möglich auf die Herrscherin zu und nahm eine Angriffsposition ein. Vanessa bemerkte ihn nicht einmal.
„Du kannst mich in diesem Zustand nicht töten!“, lachte sie höhnisch.
Squall packte die Gunblade fester. „Aber ich!“, sagte er leise. Blaue Blitze zuckten aus dem Boden. Squall spürte dankbar, wie Hyne ihm half.
„Herzensbrecher!“, flüsterte er kaum hörbar.
Er stieß mit aller Kraft zu.

Rinoa saß auf ihrem Bett in ihrem Quartier im Garden. Sie besaß im Garden ein eigenes kleines Apartment, mit eigenem Bad, Schlafzimmer und einem kleinen Wohnzimmer mit eigenem Fernseher. Squall hatte ein ähnliches Apartment bezogen, nur war es ein bisschen größer gewesen.
Zu ihren Füßen hatte es sich ihre Hündin Angel bequem gemacht. Angel sah ihre Herrin unglücklich an. Sie war ein äußerst sensibles Tier, und sie spürte, dass Rinoa unglücklich war. Sie winselte leise.
Rinoa lächelte schwach. „Was soll ich nur machen, Angel?“, fragte sie den Hund. Angel erhob sich und legte ihre Schnauze in Rinoas Schoß. Rinoa streichelte das seidigweiche Fell. Tränen liefen über ihre Wangen, als sie wieder daran dachte, dass Squall nicht mehr bei ihr war.
Sie stand auf und ging aus dem Zimmer. Sie beschloss, Quistis aufzusuchen, doch bevor sie das Zimmer ihrer Freundin erreichte, drang eine Durchsage aus den Lautsprechern an der Decke.
„Rinoa, würden Sie bitte ins Direktorat kommen!“ Direktor Cid klang angespannt. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass Squall so wie ein Sohn für ihn gewesen war. Natürlich hatte er das nie zugegeben.
Rinoa seufzte und machte sich auf den Weg. Angel folgte ihr rasch. Im Mittelgang des Gardens befanden sich viele Kadetten, die alle in Gespräche einstellten, als Rinoa an ihnen vorbeiging. Dennoch konnte sie einige Gesprächsfetzen aufschnappen: „... Angeblich ist er freiwillig geblieben...“ „... Nein, sie hat ihn in den Tod geschickt...“ „... Hast du gehört? Sie hat schon einen neuen...“ „... Heute will sie angeblich ihren neuen Hexenritter vorstellen...“ Rinoa blieb stehen, als sie diese Sätze hörte. Sie drehte sich langsam um und sah, dass einige Mädchen aus Squalls ‚Fanclub’ diese Lügen über sie verbreiteten. Sie hatte diese durchgedrehten Gören nie leiden können. Jetzt begann sie, sie zu hassen.
„Wie könnt ihr es wagen?“, zischte sie. „Wie könnt ihr es nur wagen, so über mich zu sprechen? Ich hätte ihn nie freiwillig zurück gelassen.“ Ihre Hände zitterten unmerklich. Sie setzte so viel von ihren Hexenkräften frei, dass ihre Augen nun in einem grellen, roten Licht glühten. Sie hasste diese vorlauten Gören in diesem Moment so sehr, dass sie tatsächlich beabsichtigte, sie mittels Magie zum Schweigen zu bringen.
Langsam hob sie ihre Hände und bemerkte mit Genugtuung, dass die Mädchen furchtsam zurückwichen. Angel bellte laut, als wollte sie Rinoa davon abbringen. Doch ehe diese ihre Kräfte einsetzen konnte, packte sie jemand von hinten und riss sie herum. Wütend versuchte sie, sich loszureißen, aber gegen ihren Gegner hatte sie keine Chance. Xell verpasste ihr eine schallende Ohrfeige ehe er sie losließ.
„Bist du verrückt geworden?“, brüllte er mit überschnappender Stimme. „Was fällt dir ein? Du kannst doch nicht einfach hier herumlaufen und irgendwelche Kadetten umbringen, nur weil du deprimiert bist!“ Er drehte sich zu den Mädchen um und fauchte nur um eine Winzigkeit leiser: „Und ihr! Verschwindet, bevor ich mich vergesse!“ Als die Mädchen seinem Befehl nachkamen, schrie er ihnen noch nach: „Und wagt es nie wieder, solche Lügen über Rinoa zu verbreiten!“
Er wirbelte wieder zu Rinoa herum. „Und jetzt zu dir.“, sagte er etwas leiser, aber seine Stimme zitterte vor unterdrückter Wut. Rinoa sah ihn mit blitzenden Augen an. „Wieso mischst du dich ein? Du hast ja keine Ahnung...“
„Gut, vielleicht weiß ich nicht, wie du dich fühlst!“, brüllte Xell. „Aber du bist nicht die Einzige, die Squall vermisst. Immerhin war er mein bester Freund!“ Rinoa fuhr unter seinen Worten zusammen, als hätte er sie geschlagen. Aber Xell dachte nicht daran aufzuhören.
„Und den anderen geht es genauso. Was denkst du, wie Ellione sich fühlt, oder Edea und Cid? Und erst Laguna? Aber laufen sie deswegen hier herum und wollen die Kadetten umbringen, nur weil die dumme Kinder sind und nicht wissen, was sie sagen? Nein!
Und denkst du, dass Squall das gewollt hätte?“
Der letzte Satz war zuviel. Rinoa brach weinend auf dem Boden zusammen. Xell nahm sie tröstend in die Arme.
„Tut mir leid. Aber ich war einfach wütend, als ich gesehen habe, was du da vorhast.“
Rinoa nickte. „Schon gut. Ich weiß gar nicht, was...“
„Wir alle vermissen ihn. Aber Kadetten zu erschrecken macht es auch nicht besser.“, meinte Xell leise. Als er ihr beim Aufstehen half, fügte er noch hinzu: „Glaub mir, ich hab’s versucht.“
Rinoa lächelte. „Das weiß ich doch. Aber...“
Sie sah weg. „Squall hat gesagt, dass du auf mich aufpassen sollst. Bisher hast du deine Sache gut gemacht. Danke.“, sagte sie nach einer Weile.
Xell sah verlegen zu Boden. „Schon okay. Aber du solltest jetzt besser zum Direktor.“
Rinoa nickte. „Weißt du, warum er mich sprechen will?“, fragte sie.
Xells Gesichtsausdruck wurde etwas düsterer. „Oh, ja. Und es wird dir nicht gefallen.“ Abrupt drehte er sich um und rannte weg.
Verstört lief Rinoa weiter zum Lift. Angel war mit Xell verschwunden. Das war kein gutes Vorzeichen.
Im dritten Stock öffnete Rinoa vorsichtig die Tür. „Sie wollten mich sprechen?“
Direktor Cid drehte sich um. „Nun, nicht direkt. Aber hier ist jemand, der sie sprechen will.“ Rinoa erschrak, als sie die hochgewachsene Gestalt erkannte, die in einem der bequemen Stühle saß. Der Mann war niemand geringerer als Oberst Caraway.
Ihr Vater war hier, um sie nach Deling City zurückzuholen.

Galuf
22.10.2003, 14:22
Währendessen war Squall damit beschäftigt, Hyne von ihrem Vorhaben abzubringen.
„Das ist doch nicht Euer Ernst?“, meinte er ungläubig. Hyne sah ihn milde an. „Ich habe dir meinen Standpunkt erklärt. Ich werde für kurze Zeit wieder vollständig in diese Ebene zurückkehren. Aber sobald Vanessa verbannt ist, werde ich für immer gehen.“
Hyne hatte es ihm tatsächlich erklärt. Aber Squall konnte sich schwer vorstellen, das Vanessa als Geist zurückkehren könnte, nachdem er selbst ihren Körper so sorgfältig zerstückelt hatte. Und jetzt eröffnete ihm Hyne, dass sie kurz wieder lebendig werden würde, um Vanessa zu besiegen und anschließend freiwillig wieder zu sterben. Diesmal allerdings für immer.
Squall schüttelte den Kopf. „Mit Verlaub, Ihr seid noch dickköpfiger als ich. Was ist, wenn Ihr Vanessa nicht verbannen könnt? Oder wenn sie nur alle hundert Jahre auftaucht, oder so ähnlich?“
Hyne lachte. „Mir scheint, dir liegt etwas daran, dass ich bleibe.“ Squall wurde rot. „Kann sein.“, murmelte er. Er sah sie nicht direkt an, als er leise sagte: „Aber was ist, wenn Vandell nicht tot ist?“
Hyne wurde wieder ernst. „Hör auf, Squall. Du wirst mich nicht umstimmen. Und außerdem könnte ich nicht bleiben, selbst wenn ich wollte. Sobald ich Vanessa verbannt habe, wird mein Vater kommen um mich zu bestrafen. Und diese Genugtuung gönne ich ihm nicht.“ Sie warf ihr langes Haar über die Schulter zurück. Sie schien mit jeder Minute mehr an Substanz zu gewinnen. Inzwischen sah sie schon beinahe... lebendig aus. Nur ihr feines Haar war noch halb durchsichtig.
„Doch nun lass mich dir etwas zeigen.“ Sie bewegte die Hand blitzschnell, und plötzlich hielt sie eine Sonnenbrille mit blau getönten Gläsern in der Hand. Squall nahm sie von ihr entgegen.
„Hübsch.“, meinte er. „Aber was soll ich damit?“
Hyne lächelte. „Sobald du sie trägst, wird dich niemand erkennen.“, sagte sie. Squall drehte die Brille unschlüssig in der Hand. „Und wozu soll das gut sein?“, fragte er verständnislos.
Hyne sah ihn ernst an. „Vanessa darf noch nicht wissen, wo du bist. Du bist durch diese Brille geschützt, aber sie wird die Gedanken deiner Freunde lesen, sobald ihr Geist hier ist. Deine Freunde waren im Wirkungsbereich ihrer Zauber. Es wird für Vanessa ein leichtes sein, sie zu finden.“ Squall dachte darüber nach. „Ich darf also mit allen sprechen, die nicht mit mir hier unten waren?“, fragte er leise. Hyne nickte. „Auch deine Hexe darf nicht erfahren, wer du bist. Wenn Vanessa von dir erfährt, bevor ich dir helfen kann...“ Sie musste nicht weitersprechen.
Resigniert meinte Squall: „Also gut. Aber was...“ Hyne lächelte. „Deine Kleidung ist auch ein Problem, ich weiß. Aber dem kann ich Abhilfe schaffen.“ Sie schloss die Augen und faltete die Hände vor der Brust. Als sie die Augen wieder öffnete, fiel ein Stapel Kleidung vor Squall zu Boden. „Das müsste dir eigentlich passen.“, meinte sie, während er die Sachen aufhob.
Staunend betrachtete Squall die Kleidung. Es handelte sich um ein weißes Hemd aus Seide, eine dazu passende schwarze Hose samt Gürtel, schwarze Schuhe aus feinem Leder und mit Schnallen aus Silber und eine schwarze, leicht taillierte Jacke. So teure Kleidung hatte er noch nie getragen. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass diese Sachen eigentlich Vandell gehörten. Hyne schien seine Gedanken gelesen zu haben, denn ihre Augen wurden plötzlich wieder traurig.
„Er war ein bisschen größer als du, aber ich habe die Sachen entsprechend umgestaltet. Probier sie doch!“ Squall wurde rot.
„Äh... würde es Euch etwas ausmachen, wenn Ihr einen Augenblick...“ Jetzt wurde Hyne rot. „Oh, natürlich.“ Sie begutachtete ihn von oben bis unten. „Obwohl ich nicht glaube, dass du etwas verstecken müsstest!“ Sie grinste ihn frech an. Dann war sie verschwunden.
Während Squall sich umzog, dachte er daran, was Hyne gesagt hatte. Er würde zwar mit den Anderen reden dürfen, aber er durfte ihnen nicht sagen, wer er war. Angestrengt überlegte er, wie er am besten in den Garden gelangen konnte. Er konnte nicht einfach hineinspazieren. Dann fiel ihm etwas ein. Laguna! Wenn ihm gemeldet würde, dass Squall tot war, würden er und Ellione sofort zum Garden fliegen. Squall könnte ihn auch in den Plan einweihen, weil er nie in der Stadt gewesen war.
„Ein guter Plan.“, meinte Hyne hinter ihm. Squall knöpfte das Hemd zu und drehte sich langsam um.
„Wie lange steht Ihr schon da?“, fragte er ruhig, während er sich die Jacke anzog.
„Keine Sorge. Ich habe dich nicht beobachtet.“, meinte sie beschwichtigend. Sie verstummte, als sie ihn genauer ansah. „Du siehst genau aus wie er.“, sagte sie leise. Dann gab sie sich einen Ruck und meinte: „Ich wollte dir nur sagen, dass du wegen deiner Waffe Probleme bekommen könntest.“
Squall sah die Löwenherz an. Nun, es gab nicht viele Leute, die solch eine Waffe besaßen.
Eigentlich war er der Einzige.
„Da ist was dran.“, gab er zu. Hyne lächelte. „Nun, Gott sei dank hast du ja mich.“ Sie berührte die Waffe und bedeutete ihm, sie in die Hand zu nehmen. Squall kam der Aufforderung nach.
Als er sie jedoch am Gürtel befestigte, verschwand sie. Das heißt, Squall spürte das vertraute Gewicht am Gürtel noch deutlich, aber sehen konnte er sie nicht.
„Wow!“, brachte er hervor. Hyne hielt ihm die Brille hin.
„Es wird Zeit.“, sagte sie. Squall setzte die Brille langsam auf. Jetzt konnte er die Löwenherz seltsamerweise wieder sehen. Er sah Hyne an, und erschrak so heftig, dass er beinahe hingefallen wäre. Sie war in eine Aura eingehüllt, die, obwohl sie sehr hell war, ihn nicht blendete. Sie sah wunderschön aus.
„Ich vergaß; Du wirst auch Zauberei erkennen können.“, meinte sie und bedeutete ihm, das Gebäude zu verlassen. Und hielt ihn sofort darauf wieder zurück.
„Woher hast du das?“, fragte sie mit einem hysterischen Unterton in der Stimme. Sie griff nach der Kette, die um seinen Hals hing. Squall zuckte zusammen. Ihre Hand war eiskalt!
„Keine Ahnung.“, antwortete er. „Die Kette habe ich schon, seit ich denken kann.“ Hyne starrte auf den Anhänger. Eine Träne lief über ihre Wange. „Das... das ist Griever!“, flüsterte sie. Squall sah sie überrascht an. „Woher wisst Ihr...“, begann er, aber er verstummte sofort, als er in ihre Augen sah. „Vandell hatte auch solch eine Kette.“, erklärte sie mit zitternder Stimme. Plötzlich, ohne Vorwarnung, brach sie zusammen. Sie kauerte auf dem kalten Boden und weinte. Sie legte ihre Hände vor das Gesicht, um ihre Tränen zu verbergen.
Squall kniete sich langsam neben ihr hin und streckte zögernd eine Hand aus. Er wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Hyne nahm ihm diese Entscheidung ab. Sie packte seine Hand und umklammerte sie so fest, dass er beinahe aufschrie. Er spürte, wie sie versuchte, ihm ihre Erinnerungen aufzudrängen, und wehrte sich verbissen dagegen. Er hasste es, wenn sie in seinen Gedanken herumpfuschte.
Aber seine Gegenwehr brach zusammen, als er den Schmerz und die Einsamkeit in ihren Augen sah. Seufzend schloss er die Augen und sah...

... einen langen Korridor, der sich vor ihr erstreckte. Hyne wusste nicht, wohin er führte, aber das war in diesem Moment egal. Sie wollte nur weg von den Männern, die in ihren Palast eingedrungen waren. Sie lief ziellos durch die Dunkelheit. Jeder Schritt, den sie machte, war eine Qual und ließ den Schmerz zwischen ihren Beinen wieder auflodern. Aber das spürte sie gar nicht mehr. Nicht, seit sie gesehen hatte, was diese Bastarde mit Myriel und Aruke gemacht hatten.
Der Korridor endete abrupt an einer massiv aussehenden Tür. Verzweifelt versuchte Hyne, die Tür zu öffnen, bis sie aus lauter Angst kurzerhand die Tür mittels Magie zertrümmerte. Ungeschickt stolperte sie in ein dunkles Zimmer. Sie stieß mit der Hüfte gegen ein Hindernis und ließ sich schluchzend zu Boden sinken. Sie konnte nicht weiter laufen. Weinend saß sie auf dem Boden und wartete darauf, dass diese widerlichen Kerle sie fanden.
Sie blinzelte erschrocken, als plötzlich einige Kerzen zu brennen begannen. Sie konnte nun erkennen, wo sie sich befand. Offenbar handelte es sich um ein Schlafzimmer. Jemand erhob sich verschlafen aus dem Bett und bewegte sich mit leisen Schritten in ihre Richtung. Hyne duckte sich ängstlich hinter die Kommode, an der sie sich gestoßen hatte, und versuchte, möglichst leise zu sein. Es nutzte nichts. Durch einen Tränenschleier konnte sie den Mann erkennen, der sich gerade über sie beugte. „Vandell?“, entfuhr es ihr.
Vandell starrte sie überrascht an. „Milady? Was... was macht Ihr hier?“, fragte er verblüfft. Hyne konnte nicht antworten. Ihr Körper wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Sie spürte, wie Vandell sie sanft hochhob und zum Bett trug. Behutsam legte er sie auf das zerwühlte Laken und setzte sich neben sie. Hyne rollte sich zu einer Kugel zusammen und weinte leise. Vandell strich zaghaft eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und zog erschrocken die Hand wieder weg, als sie zusammenzuckte. „Milady? Was ist passiert?“, fragte er besorgt. Hyne spürte, wie ihre Tränen langsam versiegten. Sie atmete ein paar Mal tief ein und setzte sich dann umständlich auf. Sie sah sich um. Offenbar war sie wirklich in Vandells Schlafzimmer gelandet und hatte ihn geweckt. Er trug nur eine schwarze Hose und ein schwarzes Stirnband, und er sah etwas verschlafen aus. Seine Augen waren aber hellwach, als er sie unsicher ansah. Als Hyne an sich heruntersah, stellte sie fest, dass sie selbst nicht viel mehr trug als er. Ihr silberfarbenes, spitzenbesetztes Nachthemd war an der Seite eingerissen und mit Blut bespritzt. Mit Arukes und Myriels Blut... Zitternd schloss sie die Augen und versuchte, die Flut an Bildern zurückzudrängen, die in ihre Gedanken einbrach.
„Milady? Hyne?“, drang Vandells sanfte Stimme in ihre Gedanken. Sie öffnete ihre Augen wieder. Sie bemerkte, dass Vandell offenbar nicht wusste, was er tun sollte. Er hob zögernd eine Hand und wischte sanft eine Träne von ihrer Wange. Hyne warf sich schluchzend an seine Brust und schmiegte sich zitternd an ihn. Vandell war für einen Moment zu überrascht, um zu reagieren, doch dann legte er vorsichtig seine Arme um sie und strich tröstend mit einer Hand über ihr Haar.
„Was ist passiert?“, fragte er wieder. Hyne ließ ihn wieder los und rückte etwas von ihm weg. „Sie... sie sind in meinem Palast...“, flüsterte sie. Sie krallte ihre Hände in das noch warme Laken. „Wer?“, fragte Vandell misstrauisch. „Sie haben... sie haben Myriel und... und Aruke...“, fuhr Hyne fort, doch dann versagte ihre Stimme. Vandells Augen weiteten sich. „Was ist mit den beiden?“, rief er erschrocken. Die beiden Mädchen waren Hynes Dienerinnen gewesen. Hyne atmete tief durch. „Sie haben sie... geschändet und... getötet. Und sie... sie...“ Sie brach wieder ab. Hilflos zog sie die Beine an und umfing ihre Knie mit den Armen. Erst jetzt schien Vandell zu begreifen, was ihr zerrissenes Nachthemd und ihr verschrecktes Verhalten zu bedeuten hatten. Er erbleichte und sprang auf. „Wer? Wer hat es gewagt...“, brüllte er vor Wut zitternd. Er wartete die Antwort gar nicht ab, sondern fuhr herum und schlüpfte in seine Stiefel. Er schnappte sich ein Hemd, das über einem Stuhl hing, und zog es schnell an. Dann nahm er sanft Hynes Hände und zwang sie, ihn anzusehen. Sie erschrak über den Ausdruck in seinen Augen. „Sie sind noch in Eurem Palast?“, fragte er wütend. Hyne nickte benommen.
Vandell wirbelte herum, hob sein Schwert auf, zog es aus der Scheide und warf diese in eine Ecke. Er drehte sich noch einmal um. „Bleibt hier, Milady. Hier seid ihr sicher.“, meinte er, ehe er in dem Gang verschwand, durch den Hyne hierher gekommen war. Hyne blieb noch einen Moment mit aufgerissenen Augen sitzen und sah ihm nach. Dann legte sie sich langsam wieder hin und starrte an die Decke.
Erst jetzt realisierte sie wirklich, dass sie sich in seinem Zimmer befand und in seinem Bett lag. Gedankenverloren ließ sie ihre Hand über das Laken und die zerwühlte Decke gleiten. Hier hatte er noch vor einigen Minuten gelegen und friedlich geschlafen...
Sie vergrub ihr Gesicht in der dünnen Decke und schnupperte daran. Sie musste unwillkürlich an den Traum denken, den sie gehabt hatte, ehe diese Bastarde in ihren Palast eingedrungen waren. In diesem Traum war sie auch hier in diesem Raum gewesen... allerdings hatte sie sich nicht bei Vandell ausgeweint...
Sie seufzte und schloss kurz die Augen. Der Schmerz zwischen ihren Beinen war plötzlich wie weggeblasen und machte einem anderen Gefühl Platz. Sie erinnerte sich daran, wie sanft er sie noch vor einigen Augenblicken in den Armen gehalten hatte. Dann dachte sie wieder an ihren Traum, und was er darin getan hatte... Sie errötete leicht und setzte sich aufrecht hin.
Plötzlich hörte sie Schreie von der anderen Seite des Ganges. Schnell stand sie auf und lief, trotz Vandells Befehl in seinem Zimmer zu bleiben, wieder in ihren Palast zurück. In einer der großen Hallen fand sie ihn. Ihn und ungefähr zweihundert Männer, die den Palast schon für sich beanspruchten. Jetzt allerdings schienen sie nur Angst vor Vandell zu haben, der mit blitzenden Augen zwischen den Überresten eines massiven Tores stand. Sein Haar bewegte sich wie im Wind und er hob sein Schwert etwas. Die meisten der Männer wichen ängstlich zurück. Einer trat jedoch vor und rief grinsend: „Willkommen! Wollt Ihr Euch uns anschließen, edler Ritter?“ Hyne erstarrte. Dieser Mann hatte... sich an ihr vergangen. Vandell machte eine wütende Handbewegung, woraufhin der Mann gegen die nächste Wand krachte. „Schweig!“, brüllte er. „Wie könnt ihr es wagen, hier einzudringen?“ Rund um ihn baute sich ein magisches Kraftfeld auf. Der Mann rappelte sich wieder auf. Entweder war er sehr mutig oder sehr, sehr dumm.
„Willst du uns Angst einjagen, Bastard?“, schleuderte er Vandell ins Gesicht. „Du bist allein. Wir sind über zweihundert Mann. Glaubst du, du hättest eine Chance?“ Vandell richtete seinen brennenden Blick auf den jungen Mann. „Vielleicht sollte ich mir die Augen verbinden, damit ihr eine Chance habt.“, erwiderte er trocken. Der junge Mann machte einen Schritt nach hinten. Plötzlich schien sein Selbstvertrauen weggewischt zu sein. Die anderen Männer versuchten, möglichst unauffällig zu verschwinden. Auf eine lässige Handbewegung Vandells krachten die riesigen Tore der Halle zu. Hyne hatte noch nie gesehen, dass Vandell so viel Magie im Kampf verwendete. Meist verließ er sich voll und ganz auf seine Kraft und Geschicklichkeit.
Er musste wirklich wütend sein.
Betont langsam hob Vandell eine Hand und löste die Kette von seinem Hals. Der Anhänger blitzte und funkelte. Vandell warf die Kette in die Luft, legte den Kopf in den Nacken und rief einige Worte. Hyne bemerkte überrascht, dass es sich dabei um ihre eigene Muttersprache handelte.
„Griever!“, rief Vandell beschwörend, „Höre mich! Demütig erflehe ich deine Hilfe! Strafe diese Unwürdigen, die meiner Herrin Leid zugefügt haben!“ Der Anhänger an der Kette leuchtete grell auf, ehe er wieder in Vandells ausgestreckter Hand landete. Zuerst geschah nichts. Einige der Männer atmeten schon erleichtert auf, und der Sprecher der Gruppe trat schon vor, um Vandell zu verhöhnen, doch dann veränderte sich etwas. Hyne spürte, wie sich hinter den Männern eine sonderbar fremdartige Aura verdichtete.
Vandell hob die Hände und schloss die Augen. „Griever!“, brüllte er wieder. „Räche meine Herrin!“ Hyne schrie überrascht auf, als urplötzlich der Löwe hinter den Männern auftauchte. Vandell wirbelte herum und starrte Hyne entsetzt an. „Ich sagte doch, Ihr sollt in meinem Palast bleiben!“, schrie er mit überschnappender Stimme. Hyne hörte ihn gar nicht. Sie starrte den silbernen Löwen an, den sie bisher nur aus den Märchen ihrer Heimat gekannt hatte.
Der Löwe brüllte so laut, dass die Angstschreie der Männer einfach verschluckt wurden. Vandell stürzte sich auf Hyne und riss sie zu Boden.
Hyne schrie überrascht auf, als er sich schützend über sie beugte und sie so fest an sich presste, dass sie keine Luft mehr bekam. Sie hörte, wie Griever wieder brüllte, spürte, wie eine gewaltige Druckwelle über sie hinwegbrauste und hörte, wie Vandell schmerzerfüllt aufschrie. Sie klammerte sich an ihn und versuchte, seine Schmerzen mit Magie ein wenig zu lindern.
Dann war es vorbei. Hyne registrierte, dass die Schreie der Männer verstummt waren, aber das war im Moment unwichtig. Vandell lag noch immer auf ihr und rührte sich nicht. Sie konnte spüren, dass er atmete, aber er bewegte sich einfach nicht. „Vandell?“, flüsterte sie. Langsam, unendlich langsam, hob er den Kopf und starrte sie an. Seine roten Augen schienen vor Schmerz etwas dunkler zu sein als sonst, auf seiner Stirn glänzte Schweiß. Er atmete schwer. Mit einiger Anstrengung schaffte er es aufzustehen. Er stützte sich an der Wand ab und versuchte, nach Möglichkeit nicht ohnmächtig zu werden. Hyne rappelte sich auf und sah sich um. Gleich darauf musste sie sich wieder setzen. Die Halle war verwüstet. Milde ausgedrückt.
Die Möbel und die komplizierten Geräte waren nur noch Trümmer, die riesigen, bunten Fenster waren geborsten, und die Männer, die sich vorhin noch hier aufgehalten hatten, waren kaum mehr als leblose Fleischklumpen, die teilweise sogar an der Wand klebten. Griever hatte ganze Arbeit geleistet.
Hyne atmete tief durch, um sich nicht übergeben zu müssen. Sie versuchte, wieder aufzustehen, aber sie schaffte es nicht ganz. Ihre Beine weigerten sich, ihr Gewicht zu tragen. Benommen spürte sie, wie Vandell neben sie trat und sanft ihre Schulter berührte. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Galuf
22.10.2003, 14:24
Als sie wieder aufwachte, lag sie in ihrem eigenen Bett. Es musste einige Zeit vergangen sein, denn das blutige Laken war offenbar ausgetauscht worden und jemand hatte sie selbst gebadet. Ihr Haar war noch feucht. Sie trug ein kurzes Nachthemd aus Seide, ähnlich dem, das sie vorher auch getragen hatte. Sie sah sich um und bemerkte, dass Vandell an einem Fenster stand und nach draußen sah. Er schien noch blasser zu sein als sonst, aber er war nicht verletzt. Als Hyne sich aufsetzte, wirbelte er herum und starrte sie an.
„Milady? Seid Ihr in Ordnung?“, fragte er etwas unsicher. Hyne nickte, streckte sich und fragte ihn, wie lange sie geschlafen hatte. Vandell kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und überlegte. „Drei... oder vier Tage, glaube ich.“, antwortete er zögernd. Hyne zuckte überrascht zusammen. „Drei Tage?“, hakte sie nach. „Eher vier. Hier drin lässt sich die Zeit so schlecht abschätzen.“, meinte Vandell achselzuckend. Hyne blinzelte. „Du warst die ganze Zeit hier?“, fragte sie überrascht. Vandell wurde rot und wich einen Schritt zurück. „I-ich wollte nicht, d-dass E-euch noch einmal jemand... etwas antut.“, stammelte er nervös. So verunsichert hatte sie ihn noch nie gesehen. Sie wischte sich noch einmal über die Augen und fuhr mit den Fingern durch ihr nasses Haar. Grinsend beschloss sie, ihn noch ein bisschen mehr zu verunsichern. „Wer hat mich eigentlich gebadet? Du etwa?“, fragte sie schelmisch grinsend. Sie musterte Vandell, der erschrocken einen Satz nach hinten machte. „N-nein, Milady! E-eine Eurer D-dienerinnen, M-milady! I-i-ich k-könnte doch nicht...“ Er verstummte und biss sich verlegen auf die Unterlippe. Hyne seufzte. Schade! , dachte sie. Laut sagte sie: „Schon gut. Ich weiß, dass du das nie tun würdest.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Er sah weg und atmete tief durch. Dann sagte er leise: „Milady, ich muss mit Euch reden.“ Hyne lächelte wieder. Dieses Lächeln hätte ausgereicht, um jeden normalen Mann verrückt zu machen, aber Vandell blieb... vergleichsweise... ruhig. Hyne klopfte neben sich auf das Bett. „Setz dich!“, meinte sie noch immer lächelnd. Vandell zögerte noch einen Moment, dann setzte er sich neben sie. „Was ist los?“, fragte sie. Vandell sah auf und sah ihr fest in die Augen. „Milady, ich... ich möchte mich verabschieden.“ Hyne runzelte verwirrt die Stirn. „Verabschieden?“, wiederholte sie. Vandell nickte. „Ich... werde diese Stadt verlassen, Milady!“, erklärte er mit fester Stimme. Hyne packte erschrocken seine Hand. „Was redest du da?“, wollte sie wissen. Vandell zuckte zusammen und sah weg. „Ich kann Euch nicht mehr dienen. Ich habe schmählich versagt!“, flüsterte er. „Ich bin es nicht wert, länger Euer Ritter zu sein! Ich habe Euch nicht vor diesen Schurken beschützt...“
Hyne fühlte sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. „Aber... aber weshalb...?“, krächzte sie. Sie spürte Tränen in ihren Augen und versuchte, sie zurückzuhalten. „Wieso willst du deshalb gleich fortgehen? Es war doch nicht deine Schuld!“ Vandell stand auf. „Ich werde gehen, Milady. Ich kann nicht mehr Euer Ritter sein, nach dem, was vor vier Tagen passiert ist. Ihr könnt mich unmöglich noch als Ritter haben wollen.“, meinte er mit zitternder Stimme. Hyne stand ebenfalls auf... und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
„Jetzt hör einmal mit diesem Ritter-Scheiß auf!“, schrie sie ihn an. Vandell legte überrascht eine Hand an die Wange und starrte sie an. „Du wirst auf keinen Fall einfach verschwinden! Ich brauche dich hier, du Idiot!“, brüllte sie. Insgeheim war sie überrascht, dass sie das wirklich gesagt hatte. Vandells Augen weiteten sich verblüfft. „A-aber... warum?“, brachte er hervor. Einen Moment lang war sie versucht, ihm den wahren Grund zu sagen, doch sie entschied sich dagegen. Sie konnte ihm einfach nicht sagen, wie sehr sie ihn liebte...
„Weil du mein bester Freund bist.“, sagte sie stattdessen. „Mein einziger Freund! Du bist der Einzige, der sich traut, mir ins Gesicht zu sagen was er denkt. Du bist der Einzige, mit dem ich vernünftig reden kann, verdammt!“ Sie drehte sich um und legte sich wieder auf das Bett. Sie vergrub ihr Gesicht in den weichen Kissen und weinte. Als Vandell sanft ihre Schulter berührte, schlug sie seine Hand weg. „Hau doch ab! Lass mich hier doch alleine! Was ich davon halte, ist dir ja sowieso egal!“, schrie sie. Vandell setzte sich neben ihr hin und nahm sie sanft in die Arme. „Es tut mir leid.“, flüsterte er. „Daran habe ich nicht gedacht. Könnt Ihr mir verzeihen, Milady?“ Hyne presste ihre Wange an seine Brust und erwiderte seine Umarmung. „Natürlich, du Dummkopf!“, schluchzte sie. „Natürlich verzeihe ich dir!“
Nach einer Weile ließ er sie los und wollte aufstehen, aber sie hielt ihn zurück. „Bleib hier! Bitte! Du... du kannst doch bei mir schlafen.“, flüsterte sie. Er wirkte etwas verlegen. „Milady, ich...“ Hyne schnitt ihm das Wort ab: „Ich verlange ja nicht von dir, mit mir zu schlafen.“, meinte sie. Ich weiß ja, dass du das nicht willst. , fügte sie in Gedanken bitter hinzu. Sein Gesicht nahm eine dunkelrote Färbung an. „Ich möchte nur, dass du bei mir bleibst.“, fuhr sie fort. Vandell nickte zögernd. Er stand langsam auf und ging zum Fenster, um die Vorhänge zuzuziehen. Vorsichtig tastete er sich im Halbdunkel zum Bett zurück und schlüpfte aus seinen Stiefeln. Obwohl sie kaum mehr als seine Silhouette sehen konnte, durchfuhr sie ein Schauder der Erregung, als er sein Hemd auszog und sich neben sie legte. Nein! , wies sie sich selbst zurecht. Du wirst ihn auf keinen Fall verführen! Er will das doch gar nicht! Hyne sah ihn wieder an. Aber ich will es! , entschied sie. Ihr Herz klopfte bis zum Hals.
Vandell legte die Hände hinter den Kopf und starrte an die Decke. Hyne konnte nicht anders als ihn anzustarren. Er sah in diesem dämmrigen Licht so verdammt gut aus!
Er bemerkte ihren Blick natürlich. Er drehte seinen Kopf ein wenig und sah Hyne an. „Ihr solltet versuchen, etwas zu schlafen, Milady.“, meinte er leise. Hyne lächelte. „Ich bin aber nicht müde.“, erwiderte sie. „Ich habe vier Tage lang geschlafen. Das müsstest du eigentlich mitgekriegt haben, Süßer.“ Sie blinzelte, als er überrascht zusammenzuckte. Habe ich ihn eben ‚Süßer’ genannt?, dachte sie errötend. Glücklicherweise konnte er das nicht sehen.
Vandell rückte ein wenig von ihr weg und richtete sich halb auf. Er beäugte sie misstrauisch und schwieg. Hyne räkelte sich behaglich und lächelte ihn an. „Was ist denn?“, fragte sie unschuldig. „Du bist doch sonst nicht so schüchtern...“ Sie stockte und verbesserte sich dann: „Gut, eigentlich bist du’s doch. Wieso eigentlich?“ Vandell zuckte wieder zusammen. „Ich... äh... ich meine... ich...“ Er brach ab und überlegte einen Moment. Sein Blick huschte nervös durch den Raum. „Keine Ahnung!“, gestand er schließlich.
Hyne kam plötzlich ein Gedanke. „Vandell? Warst du eigentlich schon einmal... mit einer Frau... zusammen?“, fragte sie zögernd. Sie wusste, dass sich beinahe jede Frau (sie selbst eingeschlossen) in der ganzen Stadt die Finger nach ihm leckte, aber... soweit sie wusste, hatte er noch nie eine Freundin gehabt.
Vandell starrte sie an. „Milady?“, fragte er schwach. Hyne riss sich zusammen. „Warst du schon einmal... mit... einer Frau im Bett?“, fragte sie. Vandell sah blitzartig weg. Er bewegte sich unbehaglich und machte Anstalten aufzustehen, aber Hyne hielt ihn zurück. Sie schauderte, als sie seine warme Haut berührte. „Hier geblieben!“, befahl sie. „Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Vandell erstarrte und schüttelte dann langsam den Kopf. „Nein... noch nie...“, flüsterte er nach einiger Zeit. Hyne schüttelte den Kopf und lächelte verführerisch. Sie kniete sich neben ihn und drückte ihn mit einer Hand wieder in das Kissen, als er sich ganz aufsetzen wollte. Mit der anderen Hand streichelte sie seine Wange. „Das sollten wir ändern.“, flüsterte sie. Er starrte sie mit großen Augen an, als sie sich vorbeugte, um ihn zu küssen. Sie verharrte wenige Millimeter vor seinem Gesicht. Sanft legte sie ihre Arme um seinen Hals und brachte sein Gesicht ihrem noch näher, ohne ihn jedoch zu küssen. Sie spürte seinen warmen Atem, der über ihre Haut strich, und sie genoss das Gefühl. Er zitterte leicht, wagte es aber nicht, eine abwehrende Bewegung zu machen.
Hyne berührte sanft seine Lippen mit ihren. Es fühlte sich an, als hätte sie der Blitz getroffen, obwohl sie ihn kaum berührt hatte. Vandell zuckte unter ihr zusammen und verkrampfte sich. Sie küsste ihn noch einmal, diesmal jedoch länger. Er entspannte sich wieder. Als sie jedoch versuchte, ihn ein drittes Mal zu küssen, drehte er das Gesicht zur Seite und schob sie sanft, aber bestimmt von sich weg.
Ehe sie wusste, wie ihr geschah, sprang er auf, zog sich rasch Hemd und Stiefel an und hastete zu einer Glastür, die zu einem kleinen Balkon führte. Er zog unwirsch den Vorhang zur Seite und riss die Tür auf. Schwer atmend hielt er sich einen Moment am Geländer fest, ehe er noch einmal zu ihr zurück sah und sich über das Geländer schwang. Hyne sprang auf und schrie seinen Namen, aber es war schon zu spät. Hyne stürzte auf den Balkon und beugte sich über das Geländer. Vandell kauerte drei Stockwerke tiefer auf dem Platz, umringt von einer Menschenmenge. Langsam stand er wieder auf. Er schien nicht verletzt zu sein. Hyne atmete auf, doch sie erstarrte, als er wieder zu ihr hoch sah. Selbst auf diese Entfernung konnte sie den Schmerz in seinem Gesicht sehen. Warum tust du das? , schien sein Blick zu sagen. Hyne spürte, wie Tränen in ihren Augen brannten.
Vandell drehte sich um und lief weg.

Squall ließ Hynes Hand los. Sie kauerte weinend auf dem Boden, aber ihre Tränen versiegten allmählich. Er erhob sich langsam und half Hyne beim Aufstehen. „Und was ist dann passiert?“, fragte er. Er wusste, dass das nicht unbedingt taktvoll war, aber er musste es einfach wissen!
Hyne schüttelte den Kopf. „Wir... haben gestritten... als er mich danach... mit einem meiner Ex-Liebhaber... erwischt hat.“ Sie schniefte und wischte ihre Tränen weg. „Als er wieder zurückkam, brachte er einige Oberflächenbewohner mit. Als ich einige Jahre später meine Macht weitergeben musste, wählte ich eine von ihnen aus, weil ich wusste, dass Vandell sich um sie kümmern würde. Er mochte diese seltsamen Menschen. Besonders den Jungen, der mit der neuen Hexe verlobt war. Er hat den Jungen selbst ausgebildet.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht einmal, ob er vielleicht auch seine Kräfte weiter gegeben hat. Ich spüre nichts von ihm in dir.“
Nach einer Weile grinste Squall. „Also, jetzt bin ich mir sicher.“, meinte er. Hyne starrte ihn an. „Was meinst du?“, fragte sie tonlos.
Squall zögerte, ehe er sagte: „Er war sicher bis über beide Ohren verliebt.“ Hyne sah traurig zu Boden. „Wieso haben das alle außer mir gemerkt?“, murmelte sie. Squall sah sich unbehaglich um. Er hatte keine Ahnung, was er darauf erwidern sollte. Hyne nahm ihm die Entscheidung ab.
„In ein paar Stunden ist es ohnehin egal.“ Sie lächelte plötzlich. „Wie alt bist du, Squall?“, fragte sie. Squall runzelte die Stirn. Was sollte dieser Themenwechsel? „Achtzehn. Wieso?“, erwiderte er. „Und an welchem Tag wurdest du geboren?“, fragte Hyne weiter. „23. August. Aber wieso wollt Ihr das wissen?“, meinte Squall verwirrt. Hyne schloss die Augen und forschte in seinen Gedanken nach etwas. Ehe er etwas dagegen tun konnte, zog sie sich auch wieder zurück. „Entschuldige, aber eure Zeitrechnung ist etwas andere als unsere. Ich wollte nur sichergehen.“, meinte sie. „Sichergehen?“ Squall verstand nur Bahnhof. Hyne kicherte. „Wusstest du, dass du im Zeichen des Löwen geboren bist?“ Squall hob überrascht eine Hand an seine Kette. „Zeichen des Löwen? Was soll das sein?“ Hyne kicherte wieder. „Es überrascht mich nicht, dass du die Sternzeichen nicht kennst. Aber du solltest wissen, dass der Tag der Geburt viel über einen Menschen aussagt.“, erklärte sie. „In deinem Fall ist es ganz besonders seltsam. Löwe-Geborene sind eigentlich sehr offene und fröhliche Menschen. Und das trifft bei dir ja offensichtlich nicht zu.“ Squall lächelte. „Nein. Diese zwei Eigenschaften passen wohl am wenigsten zu mir.“ Hyne lächelte wieder. „Bei Vandell war es genauso. Ich glaube, dass haben wohl alle Hexenritter gemeinsam.“ Sie verstummte kurz. „Was mich allerdings verwundert, ist die Ähnlichkeit. Warum siehst du genauso aus wie er?“ Squall runzelte die Stirn. „He! Woher soll ich das wissen? Rinoa sieht auch genauso wie Ihr aus.“ Hyne schloss kurz die Augen. „Rinoa... sie ist deine Hexe?“, fragte sie leise. Squall nickte. „Liebst du sie?“, fragte Hyne weiter. Squall nickte wieder. „Mehr als mein Leben!“, flüsterte er. Hyne lächelte traurig. „Dann solltest du schnell gehen. Ich fürchte, sie wird deinen... Tod nicht verkraften.“ Squall zuckte zusammen. „Woher weiß sie davon?“, fragte er erschrocken. Hyne überlegte kurz. „Es ist schwer zu erklären... Ich glaube, sie hat es gespürt.“, erklärte sie. Dann drehte sie sich um. „Und du solltest jetzt gehen.“
Hyne machte eine Handbewegung. Plötzlich befanden sie sich beide an der Oberfläche der künstlichen Forschungsinsel. Squall konnte die Küste des Centra-Kontinents gerade noch erkennen.
Squall fiel noch etwas ein. „Aber wie soll ich nach Esthar kommen?“
„Mach dir keine Sorgen. Deine Freunde werden dir helfen.“ Plötzlich war Hyne verschwunden. Squall grübelte noch darüber nach, was das wohl bedeuten mochte, bis er ein Geräusch hinter sich hörte. Er fuhr herum und starrte Bahamut an, der direkt hinter ihm aufgetaucht war.
„Bahamut?“, fragte er vorsichtig. Der riesige Drache nickte. Squall verstand die Welt nicht mehr. „Aber was machst du hier?“
„Die Schöpferin hat mich gerufen. Ich bin ihrem Ruf gefolgt.“, antwortete Bahamut mit seiner majestätischen, tiefen Stimme.
Jetzt verstand Squall, wen sie mit ‚Freunde’ gemeint hatte.
„Du sollst mich nach Esthar bringen, richtig?“, fragte er. Bahamut nickte. „Aber vermisst dich zuhause denn keiner?“, fragte Squall weiter. Wäre Bahamut dazu in der Lage gewesen, hätte er wohl breit gegrinst.
„Nun, da ein gewisser Schulsprecher tot ist, sind Eure Freunde mit der Vorbereitung für eine Gedenkfeier beschäftigt, kleiner Mensch!“
Squall zögerte noch einen kurzen Moment. Dann fragte er den großen Drachen: „Könntest du mir vorher einen Gefallen tun?“

„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, schrie Rinoa im selben Moment ihren Vater an. „Ich werde bestimmt nicht mit dir nach Deling City kommen!“
Oberst Caraway sah sie streng an. „Es ist bestimmt das Beste für dich.“, sagte er in einem Tonfall, als wäre sie eine seiner Untergebenen. Rinoa funkelte ihn an.
„Du glaubst wohl, nur weil Squall nicht mehr hier ist...“
Caraways Selbstbeherrschung bröckelte. „Dieser eingebildete Söldner hat dir nur geschadet, merkst du das nicht?“, zischte er wütend.
Rinoa wurde noch wütender. „Er ist kein eingebildeter Söldner. Er hat mir niemals geschadet. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft er mir das Leben gerettet hat!“, schrie sie ihren Vater an. Etwas leiser fügte sie hinzu: „Außerdem habe ich ihn geliebt!“
Caraway lachte. „Du weißt noch nicht einmal, was Liebe ist. Irgendwann wirst du einsehen, dass ich recht habe.“
Rinoa verschränkte die Arme vor der Brust. „Ach? Wahrscheinlich, wenn ich irgendwo auf meine vier Kinder aufpasse und darauf warte, dass mein Mann aus dem Krieg zurückkommt?“, fragte sie kalt. Caraway lehnte sich zurück. „Dieser Squall wäre ohnehin nicht gut genug für dich gewesen.“
Ehe Rinoa etwas sagen konnte, hörte sie ein amüsiertes Lachen hinter sich. Caraway sah stirnrunzelnd auf, um zu sehen, wer ihm zu wiedersprechen wagte. Als Rinoa sich umdrehte, war sie wirklich überrascht.
„Cifer?“, murmelte sie. Der blonde Söldner beachtete sie gar nicht. Er ging einige Schritte auf den Oberst zu und lächelte noch immer.
„Ach, er wäre nicht gut genug für sie? Wer zum Teufel wäre es dann? Immerhin hat Squall vor einem halben Jahr die Welt gerettet.“
Inzwischen waren auch Rai-Jin und Fu-Jin im Türrahmen aufgetaucht. Fu-Jin nickte nur, während Rai-Jin Cifer eifrig beipflichtete. „Ja, das ist mal wahr! Außerdem hat ihn mal Präsident Loire zum Ehrenbürger von Esthar ernannt. Und er ist mal der einzige, der Rinoa mal davon abhalten kann, mal einfach ihre Hexenkräfte einzusetzen.“
Rinoa unterdrückte ein Lächeln, als die Miene ihres Vaters immer düsterer wurde, als er an ihre Kräfte erinnert wurde. Caraway stand steif auf. „Und er hat auch so ganz nebenbei Rinoa von Artemisia befreit. Außerdem war er derjenige, der Esthar wieder entdeckt hat. Und wie Sie bestimmt wissen, unterhält Galbadia inzwischen sehr ertragreiche Handelsbeziehungen zu Esthar.“, fuhr Cifer fort. „Und noch dazu ist er der verdammt noch mal beste Gunbladekämpfer, den diese Welt je gesehen hat. Und glauben Sie bloß nicht, dass es mir leicht fällt, das zu sagen.“ Er wollte offenbar noch etwas sagen, aber Caraway schnitt ihm mit einer zornigen Geste das Wort ab.
Er wandte sich wieder an Rinoa. „Ich werde warten, bis diese Trauerfeier vorbei ist.“, drohte er. „Dann werde ich dich mit nach Hause nehmen, junge Dame.“ Mit diesen Worten stolzierte er hinaus.
Cifer grinste nun geradezu unverschämt. „Dein alter Herr ist ja heute gut drauf.“, meinte er erheitert. Rinoa lächelte schwach. „Was willst du hier?“, fragte sie müde.
Cifer hob die Schultern. „Ich hab das von Squall gehört.“, sagte er schlicht.
„Und du bist wohl auch noch froh darüber?“, fragte Rinoa. Sie wollte es eigentlich zornig sagen, aber ihre Stimme klang nur müde.
„Warum?“, wollte Cifer wissen. Rinoa sah ihn verwirrt an. „Aber er war doch...“
„Wieso denn ‚war’?“, fragte Cifer. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Squall Artemisia überlebt hat, nur um jetzt draufzugehen? Okay, ich hasse ihn mehr als irgendeinen Menschen auf der Welt, aber ich glaube nicht, dass er den Löffel abgegeben hat. Er ist nicht der Typ, der sich von einer Hexe unterkriegen lässt.“ Er musterte Rinoa. „Dich hat er ja auch kleingekriegt.“ Seine Stimme klang völlig gleichgültig.
Rinoa spürte die Tränen, die in ihren Augen brannten. „Aber ich weiß, dass er tot ist!“
Fu-Jin winkte ab. „Schwachsinn!“, meinte die grauhaarige Kriegerin schlicht. Rai-Jin nickte. „Genau! Wir glauben mal alle, dass er noch lebt.“ Rinoa schwieg.
Cifer grinste und zog seine Gunblade. „Stimmt! Außerdem möchte ich derjenige sein, der ihn um die Ecke bringt.“, meinte er fröhlich.
Er lächelte kalt und bedeutete Fu-Jin und Rai-Jin, nach draußen zu gehen. „Ich verstehe ohnehin nicht, warum ihr so ein Theater um ihn macht. Ich glaube nicht, dass ihm das gefallen würde. Die Trauerfeier meine ich. Ich würde zumindest eine kleine Gedenkfeier bevorzugen. Nur die engsten Freunde und so.“ Er verzog das Gesicht. „Is’ ja auch nicht mein Problem. Nun, wir sehen uns später.“ Er folgte seinen zwei Freunden aus dem Zimmer.
Rinoa blieb nachdenklich und bestürzt zurück.

Galuf
22.10.2003, 14:26
Kapitel 4: Erwachen

Squall kletterte leichtfüßig über einige Trümmer, die den Eingang zu den Centra-Ruinen versperrten. Bei seinem letzten Besuch war der Eingang noch nicht versperrt gewesen. Nun, das war auch schon länger her.
„Okay. Dann wollen wir mal.“, brummte er. Er rannte einige Stufen hinauf, wobei er immer versuchte, das seltsame Licht, das gleichzeitig am Geländer hinauflief, zu überholen. Es gelang ihm nicht ganz. „Verdammt!“, maulte er. Auf einer großen Plattform bemerkte er einige Tomberys, die langsam umherschlurften. Er wies Diabolos an, sie ihm vom Leib zu halten und hastete weiter durch ein großes Portal, wo ein großer Steinquader, der wie ein Aufzug wirkte, ihn eine Ebene höher brachte. Oben angekommen, bemerkte er als erstes, dass die Treppe, die er beim ersten Besuch entdeckt hatte, nicht mehr da wahr.
„Na großartig!“, seufzte er. Das bedeutete wieder die gleiche Prozedur wie beim ersten Mal: Leiter hinauf, blauen Knopf drücken, Leiter hinunter, noch einen blauen Knopf drücken, um die Treppe auszufahren. Bei allem Respekt für die Technik von Centra, das war doch ein wenig übertrieben! Nun, es blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Schweigend begann Squall, die Leiter hinaufzuklettern. Zum Glück wusste er jetzt, wie es funktionierte und musste nicht mehr lange suchen.
Wenig später stieg er die steinernen Stufen hoch, die einmal rund um den Turm führten und ihn zu einer Plattform brachten. An der Wand des Turms war eine massive Tür eingelassen, die in die Odinshalle führte. Sie war natürlich geschlossen.
Squall kletterte eine weitere Leiter neben der Tür nach oben. Eine Gargoylestatue starrte ihn aus einem roten Auge an. Die andere Augenhöhle war leer. Als Squall sich suchend umsah, entdeckte er einen roten Edelstein, der auf dem Boden lag. Er hob ihn auf und setzte der Statue das zweite Auge ein. Plötzlich entflammte eine Säule auf der anderen Seite der Plattform. Die Flammen bildeten Zahlen, die Squall verändern konnte, um einen Code einzugeben. Als er die richtige Zahlenfolge eingegeben hatte, meldete eine düstere Stimme aus der Statue: „Geheimcode bestätigt!“
Squall grinste die Statue an und sagte fröhlich: „Besten Dank.“
Er kletterte wieder hinunter und betrat die Odinshalle. Fast erwartete er, wieder Odin zu sehen, der auf seinem Thron auf ihn wartete. Aber allzu schnell wurde er wieder daran erinnert, dass Odin von Cifer geschlagen worden war und Gilgamesh nun den Eisenschneider besaß.
Squall sah sich um. Hier hatte sich überhaupt nichts verändert. Bis auf den großen Steinthron und einige Metallteile, die verstreut auf dem Boden lagen, befand sich nichts in diesem Raum.
Erst jetzt meldete sich eine Stimme in Squall, die ihm sagte, dass er gar nicht wusste, was genau er suchte. Er sah sich einmal um und begann dann, die Wände zu untersuchen. Der Assistent von Professor Tikama hatte behauptet, dass er hier ein Griever-Zeichen gesehen hatte. Squall wusste zwar nicht warum, aber aus irgendeinem Grund war es wichtig, dass er dieses Zeichen fand.
Nach einiger Zeit brach er die Suche ab. Die Wände waren mit seltsamen Zeichen übersät. Es war schlicht unmöglich, Griever in diesem Zeichensalat zu finden.
Verärgert ballte Squall die Hand zur Faust und fluchte halblaut.
Plötzlich hörte er eine Stimme hinter sich. „Was suchest du, kleiner Mensch?“ Squall wirbelte herum und weigerte sich zuerst zu glauben, was er sah. Hinter ihm war die riesige Gestalt von Odin aufgetaucht. Squall kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Doch als er die Augen wieder öffnete, war Odin noch immer da: majestätisch, furchterregend und riesengroß.
Als Squall seine Überraschung endlich überwunden hatte, fragte er mit einer krächzenden Stimme: „Odin? Aber wie...“ Er räusperte sich und versuchte es noch einmal. „Wieso bist du hier? Ich dachte...“ „...ich wäre tot?“, vollendete Odin seinen Satz. Er hätte wohl gelächelt, wäre er dazu in der Lage gewesen. „Ich kann nicht eingehen in die Hallen des Todes. Ich bin ein... wie nanntest du es?... eine G.F.! Vergaßest du dieses?“ Squall ging ein Licht auf. „Also warst du gar nicht tot?“, fragte er.
„Ich bin mir sicher, dies gerade erklärt zu haben.“, antwortete Odin ungerührt. Squall war verwirrt.
„Aber... warum bist du nach diesem einen Kampf nicht mehr aufgetaucht?“
Odins Augen funkelten zornig. „Ich verlor mein Schwert im Gefecht gegen diesen Jüngling. Ohne meine Klinge bin ich es nicht wert, dir zu Diensten zu sein.“ Allmählich verstand Squall. Er würde wohl einmal ein längeres Gespräch mit Gilgamesh führen müssen.
„Ich fragte dich, was du zu finden hoffst, kleiner Mensch.“, meldete sich Odin nach einer kurzen Pause. Squall fuhr zusammen und löste hastig seine Kette vom Hals. Er hielt sie Odin entgegen. „Kennst du dieses Zeichen?“, fragte er hoffnungsvoll.
Odin nahm die Kette entgegen und betrachtete sie eingehend. „Dies ist das Zeichen des ersten Ritters. Vandell LaDiganè ist sein Name.“ Squall hatte das auch schon vermutet. „Ist dieses Zeichen irgendwo in diesem Raum?“, fragte er ungeduldig. Odin nickte langsam. „Es zeiget die Stelle, wo der Ritter ward begraben bei lebendigem Leib.“, sagte er bekümmert.
Squall lief ein kalter Schauer über den Rücken. „Lebendig begraben?“, wiederholte er. Odin nickte. „Er war bestrebet, seiner Herrin zu folgen, doch das Volk verweigerte ihm dies.“
Squall verstand zuerst nicht, was das heißen sollte, doch dann ging ihm ein Licht auf. „Du meinst, er wollte sich selbst umbringen, aber die Leute hatten etwas dagegen?“ Odin nickte wieder. „Die Menschen versiegelten diese Wand, die führet zu seinem Schlafgemach. Sie nahmen ihm jede Möglichkeit, seiner Herrin zu folgen. Nun vermag niemand zu sagen, ob er noch immer, nach Tausenden von Jahren, auf Rettung harret, oder ob er sein Leben aushauchte.“ Odin deutete auf die Wand hinter seinem Thron. Squall erkannte überrascht, dass über dem Thron Griever eingraviert war. Er wusste gar nicht, wie er ihn übersehen hatte können.
Hastig kletterte er den riesigen Thron hinauf und betrachtete zuerst die Gravur und dann seine Kette. Aber es fiel ihm beim besten Willen nicht ein, was er jetzt machen sollte.
„Du weißt nicht zufällig, wie...“, wollte er Odin fragen, doch dieser war verschwunden. Squall sah sich suchend um. Deshalb bemerkte er auch nicht, dass um seinen Anhänger ein seltsames Leuchten tanzte und gleich darauf wieder erlosch.
Achselzuckend sprang Squall wieder zu Boden und begann mit dem Abstieg. Er hatte es wenigstens versucht. Aber Squall konnte sich ohnehin nicht vorstellen, dass Vandell diese lange Zeit allein überlebt haben sollte.
Vielleicht könnte er einmal Laguna bitten, eine neue Expedition hierher zu schicken. Apropos Laguna; langsam sollte er sich auf den Weg nach Esthar machen. Schon von weitem konnte er Bahamut erkennen, der außerhalb der Ruinen auf ihn wartete.
Als Squall die Odinshalle verlassen hatte, begann das Griever-Zeichen an der Wand zu glühen. Einige Maschinen, die seit Jahrhunderten stillstanden, begannen wieder zu arbeiten. Und tief im Inneren der Ruinen öffneten sich Türen, die seit über 100 Jahren nicht mehr geöffnet worden waren...

Im Inneren der Ruinen regte sich eine Gestalt. Wegen der immer herrschenden Schatten konnte man nicht viel erkennen, doch es war klar, dass es sich um einen Mann handelte. Er richtete sich auf und erhob sich von dem Bett, das in der Mitte eines großen, luxuriös eingerichteten Raumes stand. Die Bewegungen des Mannes waren langsam, als wäre er gerade aus einem langen Schlaf erwacht.
Er machte eine fahrige Handbewegung, und mit einem Mal war es durch hunderte Kerzen etwas heller im Zimmer. Geblendet hob er eine Hand vor die Augen. Sein Gesicht wurde von den flackernden Schatten verborgen, als traute sich das Licht nicht, sein Gesicht zu erhellen. Dafür konnte man nun alles andere erkennen.
Der Mann war nackt, sein Körper war muskulös, aber nicht übertrainiert. Seine Bewegungen waren geschmeidig, obwohl er lange geschlafen hatte. Er war etwas größer als Squall. Sein Haar war im Nacken mit einem Lederband zusammengefasst, aber wie bei Squall hingen auch ihm einige Strähnen des glänzenden, dunkelbraunen Haares in die Stirn. Eine lange, hässliche Narbe verlief dicht über seinem Herzen und zog sich an seinem Hals hinauf, bis sie sich in den Schatten in seinem Gesicht verlor.
Mit einer weiteren Handbewegung zauberte er sich Kleidung herbei. Langsam zog er sich an und legte sich am Ende einen langen, schwarzen Umhang um die Schultern. Die Kapuze des Umhangs zog er sich tief ins Gesicht. Erst jetzt lichteten sich die Schatten in seinem Gesicht. Die obere Gesichtshälfte wurde nun zwar von der Kapuze verborgen, aber hohe Wangenknochen und ein sinnlicher Mund wurden nun sichtbar, die ihm ein elfenhaftes Aussehen verliehen. Erst jetzt wagte er, die Augen zu öffnen. Sie glühten rot unter der Kapuze hervor.
Vandell LaDiganè bemerkte, dass der Eingang zu seiner Kammer wieder geöffnet war. Also brauchte ein Hexenritter nach all der Zeit wieder seine Hilfe. Mit langsamen Schritten stieg Vandell die Stufen hinauf, die seit so langer Zeit niemand mehr betreten hatte, und bewegte sich auf den Ausgang zu. Er wurde von der grellen Sonne geblendet, die er seit 100 Jahren nicht mehr gesehen hatte.
„Endlich frei!“, flüsterte er. Jeder andere hätte sich nach fast 2 000 Jahren Gefangenschaft, in der er nur selten die Sonne hatte sehen dürfen, wahrscheinlich gefreut und hätte vielleicht auch gelacht. Aber Vandell blickte nur zum Horizont und blieb ruhig. Er hatte seit 3 000 Jahren nicht mehr gelacht.
Seit dem Tod seiner Herrin.
Hyne...
In seinen Träumen hatte sie ihn verfolgt, ihn angefleht, ihr zu helfen, aber er konnte nichts tun! Er konnte sie nicht retten! Am Anfang seiner Gefangenschaft wäre er seiner Wahnvorstellungen wegen beinahe gestorben. Doch er hatte sich wieder aufgerafft. Er hatte sich geschworen, jedem seiner Nachfolger zu helfen.
Vandell fasste einen Entschluss: Er würde diesem jungen Ritter, der ihn befreit hatte, helfen. Dann würde er sich selbst töten.
Er hatte den Ritter schon lange gespürt, bevor der Junge die Ruinen erreicht hatte. Der Kleine war Vandell irgendwie ähnlich; Auch er zeigte nicht gerne seine Gefühle Fremden gegenüber. Aber Vandell war verletzt, als er die Gedanken des Jungen las. Die Gedanken des jungen Mannes waren voll gewesen von einem Mädchen, das Vandells Herrin erstaunlich ähnlich sah. Er wünschte dem Jungen von Herzen, dass er seine Hexe würde beschützen können. Vandell selbst hatte es nicht geschafft.
Vandell drehte sich um und betrat die Halle erneut. Er blieb vor einem besonders kompliziert aussehenden Symbol an der Wand stehen und drückte kurz seine Hand darauf. Gleich darauf glitt ein Stück der vermeintlich massiven Wand zur Seite. Vandell betrat eine weitere Halle. In der Mitte schwebte ein kunstvoll gestaltetes Schwert einen halben Meter über einem Podest.
Soulkiller...
Das ganze Schwert war schwarz wie die Nacht, und der Griff wies kunstvolle Einlegearbeiten auf. Vandell packte das Schwert mit beiden Händen und zog es aus dem Bereich des Magnetstrahles, der es seit 2 000 Jahren an diesem Platz hielt. Das Schwert fühlte sich gut in seinen Händen an; Vandell war sich sicher, dass es schon ungeduldig darauf gewartet hatte, endlich wieder das Blut seiner Widersacher zu trinken.
Er befestigte das Schwert an seinem Gürtel und trat wieder in den Sonnenschein hinaus.
Vandell unterdrückte jede Gefühlsregung, die in ihm aufzukeimen drohte. Dennoch war er irgendwie, auf eine sehr zurückhaltende Art und Weise, glücklich.
Nicht mehr lange, und er würde Hyne De Carracas endlich folgen können.

Bahamut setzte Squall in der Nähe von Esthar ab. Der große Drache wollte nicht unbedingt von allen Menschen gesehen werden, was Squall nur recht war. Er spazierte gemächlich durch die Straßen der Stadt. Es herrschte wie immer reger Verkehr, Touristen und Einheimische unterhielten sich lachend miteinander. In dieser Stadt konnte man sich einreden, dass wirklich Frieden auf der Welt herrschte.
Kein einziger dieser Menschen erkannte Squall. Normalerweise wurde er sofort angesprochen, wenn er in Esthar zu Besuch war. Beinahe jedes Mal flehte ihn irgendein Teenager um ein Autogramm an.
Nun, diesmal schien ihn wirklich niemand zu erkennen. Allerdings bemerkte er einige Mädchen, die ihm hinterher sahen und tuschelten. Squall lächelte und nickte ihnen freundlich zu. Wenn er sich nicht täuschte, war gerade eines der Mädchen in Ohnmacht gefallen. Squall lachte kurz auf und setzte seinen Weg fort.
Allmählich begann er zu glauben, was die Anderen immer behaupteten. Vor allem Quistis vertrat nämlich die Ansicht, dass Squall ohne weiteres als Model durchgehen könnte.
Squall war wegen seinem angeblich guten Aussehen nicht eingebildet. Er kümmerte sich auch nicht unbedingt darum. Allerdings fand er auch selbst, dass er gegenüber einigen anderen jungen Männern einen gewissen Vorteil in punkto Aussehen hatte.
Außerdem wäre Rinoa wohl nicht mit ihm zusammen, wenn er wirklich hässlich wäre.
Während Squall nun in Gedanken versunken weiterschlenderte, fiel ihm noch etwas auf. Die Menschen schienen an seiner Kleidung nichts ungewöhnliches zu finden. Squall überlegte, wie er Hyne dazu überreden könnte, ihm diese Brille zu schenken.
Schließlich erreichte Squall die Präsidentenresidenz. Das riesige Gebäude stand wie ein Fels in der Brandung von neugierigen Touristen, die das prächtige Gebäude belagerten. Squall fragte sich schon, wie er da hinein kommen sollte, als er von jemandem angesprochen wurde.
„Hey, Kleiner, pass auf wo du hintrittst!“ Squall kannte diese Stimme. Sie gehörte Kiros, einem der Berater des Präsidenten. Offenbar erkannte sogar er Squall in seiner ‚Verkleidung’ nicht. Als Squall sich umdrehte, bemerkte er auch Ward, der wie ein grimmiger Bär die Touristen musterte.
Squall lächelte Kiros an. „Verzeihung, wissen Sie zufällig, wie ich in die Residenz komme?“, fragte er so unschuldig wie möglich. Kiros runzelte die Stirn. „Nun, wenn du keiner der engsten Freunde des Präsidenten bist oder keiner Reisegruppe angehörst wohl gar nicht.“, meinte er. Squall versuchte, sich ein Lachen zu verkneifen. Es gelang ihm nicht.
Jetzt wurde der sonst so ruhige Kiros wütend. Der elegante, dunkelhäutige Mann beugte sich vor und sah Squall ins Gesicht. „Was ist denn so lustig?“, wollte er wissen.
Squall sah sich um und stellte beruhigt fest, dass keiner der Passanten Notiz von dem kleinen Streit nahm. Er nahm die Brille ab.
Kiros machte einen überraschten Satz nach hinten. „Squall?“, krächzte er. Auch Ward machte den Mund auf, um etwas zu sagen, bis ihm einfiel, dass er ja gar nicht mehr sprechen konnte.
Squall nickte amüsiert. Dann setzte er die Brille wieder auf. Kiros blinzelte. „Ja, spinn’ ich denn?“, brachte er hervor. „Wie hast du das gemacht?“
Squall hob die Schultern. „Eine Art Zauber.“, erklärte er. „Ich weiß auch nicht, wie er funktioniert.“ Kiros sah ihn genauer an.
„Wieso hab ich dich nicht gleich erkannt? Und was sind das für abgefahrene Klamotten?“, fragte er.
Squall hob die Hand. „Alles zu seiner Zeit. Ich muss dringend mit Laguna sprechen.“
Kiros grinste. „Na, warum hast du das nicht gleich gesagt?“ Bevor Squall ihn darauf hinweisen konnte, dass er es gesagt hatte, gab Kiros Ward einen Wink. Der nickte und bewegte sich gemächlich auf die Menschenmenge zu. Überraschenderweise machten ihm alle bereitwillig Platz. Nun, so überraschend war es doch nicht. Es wollte sich eben keiner mit dem Polizeichef von Esthar anlegen.
Hinter Ward schloss sich die Gasse schnell wieder, sodass Squall und Kiros sich beeilen mussten, ihm zu folgen. Erleichtert ließen sie sich auf die Transportplattform fallen, die sie ins Innere der Residenz brachte. Drinnen ging es allerdings genauso hektisch zu wie draußen. Offenbar wurden hier seit neuestem Führungen durchgeführt, denn auch in der Residenz war eine Menschenmenge versammelt, die sich um einen Führer versammelt hatte, der den gesamten Komplex erklärte.
Glücklicherweise fanden die Leute selbst hier Platz, um Ward auszuweichen.
Gleich darauf schloss Kiros erleichtert die Türen von Lagunas Büro hinter sich. Präsident Laguna Loire , Squalls Vater, bemerkte sie gar nicht. Er war in ein Gespräch mit Oberst Caraway verwickelt, den Squall auf dem Monitor erkennen konnte.
„Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass Sie Rinoa mitnehmen, zum Teufel noch Mal!“, rief Laguna gerade aufgebracht. Squall wurde hellhörig.
„Nun, ich bin ihr Vater. Ich entscheide, ob ich sie mitnehme oder nicht. Und ich wüsste nicht, was Sie das angeht!“, erwiderte der Oberst gelassen. „Ich sollte Sie nur informieren, dass dieser vorlaute Junge im Kampf gefallen ist. Die Trauerfeierlichkeiten beginnen morgen. Sie sind natürlich eingeladen.“
Laguna sprang aus seinem Stuhl auf. „Verlassen Sie sich drauf, ich werde kommen!“ Er zögerte kurz. „Und es geht mich sehr wohl etwas an, was sie mit Rinoa machen. Squall war mein Sohn! Er hätte das niemals zugelassen. Und wagen Sie es nicht noch einmal, meinen Sohn einen ‚vorlauten Jungen’ zu nennen!“ Er fing sich wieder. „Aber jetzt will ich mit Direktor Cid sprechen!“
„Tut mir leid, aber der Direktor ist nicht zu sprechen. Er holt Edea Kramer hierher.“, sagte Caraway, ohne eine Miene zu verziehen.
Laguna richtete sich auf. „Nun, dann werde ich eben Ellione informieren.“, meinte er erzwungen höflich. Etwas leiser fügte er hinzu: „Und ich werde nicht zulassen, dass Sie Squalls Andenken beschmutzen. Mein Junge besaß mehr Ehre, als sie jemals haben werden, trotz ihrer Auszeichnungen und Orden. Auf Wiedersehen!“ Mit diesen Worten schaltete Laguna den Monitor aus. Er stützte sich auf seinem Schreibtisch ab. So vornüber gebeugt und mit so ernster Miene sah er richtig alt aus. Der jugendliche Elan, der ihn sonst immer auszeichnete, schien völlig zu fehlen.
Kiros räusperte sich leise. Laguna hob schwerfällig den Kopf und sah ihn an. Er strich sich mit einer fahrigen Geste sein langes, dunkles Haar aus dem Gesicht. „Was ist los?“, fragte er niedergeschlagen.
„Das sollte ich lieber fragen.“, entgegnete Kiros. Laguna seufzte und richtete seinen Blick wieder auf die Tischplatte. „Dieser Oberst Caraway hat mir gerade mitgeteilt, dass Squall...“ Er brach ab. Kiros wechselte einen erstaunten Blick mit Squall, der einen Finger an die Lippen legte. Kiros verstand sofort.
„Was ist mit ihm?“, fragte er. Laguna holte tief Luft. „Squall ist tot. Im Kampf gefallen. Die Trauerfeier ist morgen.“, berichtete er tonlos. Es machte Squall ganz krank, seinen Vater so zu sehen. Auch, wenn er ihn erst seit einem knappen halben Jahr kannte.
Squall nahm die Brille ab und steckte sie ins Haar. „Was denn! Warum weiß ich nichts davon? Und warum bin ich nicht eingeladen?“, fragte er unschuldig. Lagunas Kopf schoss so schnell nach oben, dass Squall beinahe einen Schritt zurückgetreten wäre. Lagunas Gesicht drückte Verwirrung, Freude, Unglauben und noch viele andere Gefühle aus. Er rannte auf seinen Sohn zu und wollte ihn in die Arme nehmen, überlegte es sich jedoch noch anders und blieb einen halben Meter vor ihm stehen. „Squall! Du lebst! Aber...“ Der Präsident suchte nach den richtigen Worten (Was wirklich nicht oft vorkam! Normalerweise redete er wie ein Wasserfall.), während Squall milde lächelte.
„Ist ’ne lange Geschichte.“ Laguna rang noch immer mit sich, um Squall nicht einfach in die Arme zu nehmen und anzufangen zu heulen. Squall nahm ihm die Entscheidung ab, indem er seinen Vater umarmte und ihm kameradschaftlich auf die Schulter klopfte. „Hi Dad!“, lachte er. Laguna strahlte. Es kam nicht oft vor, dass Squall ihn ‚Dad’ nannte.
„Ich muss sofort Direktor Cid...“, begann er, doch Squall unterbrach ihn erschrocken.
„Nein! Keiner im Garden darf wissen, dass ich noch lebe!“ Laguna wirkte verwirrt. „Aber warum denn?“, fragte er. Squall seufzte. „Wie gesagt, die Geschichte ist ziemlich lang.“
„Macht nichts. Wir haben Zeit!“, meldete sich Kiros. Squall sah ihn an. Er lächelte. Dann setzte er sich in einen der bequemen Stühle im Büro und begann zu erzählen.

Rinoa wachte auf. Undeutlich erinnerte sie sich an einen Traum... In dem Traum hatte sie Squall gesehen, und sich selbst... Squall hatte gesagt, dass er sie nie verlassen würde...
Es war kein Traum gewesen, sondern eine Erinnerung. Eine Erinnerung an die erste gemeinsame Nacht...
Rinoa legte eine Hand auf ihren Bauch. Sie schloss die Augen. Sie glaubte, seine sanften Berührungen wieder zu spüren, seine zärtlichen Küsse zu erwidern, seine geflüsterten Worte zu hören... Seine Hände liebkosten ihren Körper, seine wunderschönen Augen strahlten eisig blau, seine Lippen versprachen ihr so vieles...
Sie spürte wieder Tränen in den Augen. In den letzten Stunden hatte sie so oft geweint, aber trotzdem waren noch Tränen da. Sie dachte wieder an den Traum. Dann kamen ihr die Worte in den Sinn, die er zum Abschied gesagt hatte. Bitte versprich mir... versprich mir, dass du dir einen Mann suchst, der dich glücklich machen kann...
Rinoa weinte still in das Kissen. Die Worte von Cifer schienen so unglaubhaft zu sein. Sie wusste doch, dass Squall...
Ihre Gedanken brachen ab. Sie dachte wieder an diese Nacht, in der er versprochen hatte, immer für sie da zu sein; das hatte er versprochen, und so vieles mehr...
Rinoa schlief wieder ein.

Squall beendete seinen Bericht. Er sah die drei Männer vor sich an und wandte sich wieder an Laguna. Der schien aus einer Traumwelt zurückzukommen.
„Wow!“, machte er. Squall nickte. „Genau das habe ich auch gesagt.“, meinte er ernst.
Kiros schüttelte den Kopf. „Und die zwei sind noch immer getrennt?“, fragte er.
„Nun, in gewisser Weise schon. Sie ist ein Geist, der versucht, wieder lebendig zu werden, und er wurde lebendig begraben, und keiner weiß, ob er noch lebt.“
Ward schwieg eisern. Nun, in der Hinsicht hatte er keine große Wahl. Kiros übersetzte Wards Gesten: „Ward meint, er findet das echt zum Heulen.“
„Geht uns wohl allen so.“, gab Laguna zu. Er wandte sich wieder an Squall. „Also darf keiner etwas erfahren? Auch Rinoa nicht?“ Squall schüttelte den Kopf.
„Besonders Rinoa nicht! Ich will sie nicht in Gefahr bringen.“ Laguna wirkte etwas verlegen. „Ja, natürlich! Aber... darf ich es wenigstens Ell und Cid verraten?“, fragte er.
Squall überlegte. „Theoretisch schon. Aber bei Ell bin ich ganz sicher, dass sie es Rinoa sofort erzählen würde.“ Laguna nickte. Er stand auf.
„Na gut, dann werde ich mich eben darauf beschränken, Oberst Caraway in seine Schranken zu weisen.“ Ein gewisses Leuchten trat in seine Augen. „Aber, diese Vanessa... wird sie ganz sicher aufkreuzen?“
„Früher oder später, ja. Und sie kommt bestimmt nicht allein.“, bestätigte Squall. Das Leuchten in Lagunas Augen wurde stärker. „Guuuut! Ich brauche ohnehin etwas Bewegung.“
Squall lächelte. Er setzte die Brille wieder auf. „Ich denke, Ellione sollte langsam von meinem Tod erfahren.“

Ell nahm diese Botschaft seltsam gefasst auf. Sie war zwar während des ganzen Fluges sehr still, aber sie weinte nicht. Dafür bewunderte Squall sie. Sie hatte immer behauptet, dass er ihr liebster ‚kleiner Bruder’ war, aber sie versuchte trotzdem, nicht um ihn zu weinen. Sie wusste, dass er das gehasst hätte.
Laguna stellte Squall im Garden als seinen Leibwächter vor. So gelangte er in den Garden und erhielt ein Zimmer in der Nähe seines eigenen Apartments. Als Squall einmal ‚zufällig’ an der offenen Tür zu seinem Apartment vorbeischlenderte, bemerkte er, dass Rinoa in seinem Bett lag. Sie schlief, doch sie schien keine angenehmen Träume zu haben. Vorsichtig schlich er zum Bett und kniete sich daneben hin. Er wagte es nicht, sie zu berühren, er beobachtete sie nur. Sie sah wie ein schlafender Engel aus, fand Squall. Allerdings schlief sie keineswegs ruhig. Ihr langes Haar fiel ihr ins Gesicht, ihre Lippen bewegten sich, ihre Hände zitterten. Beinahe hätte Squall sich nach vorne gebeugt und sie geküsst, doch im letzten Moment entschied er sich dagegen.
„Bald!“, flüsterte er. „Bald werde ich es dir sagen können.“ Dann stahl er sich wieder aus dem Zimmer. Niemand hatte ihn bemerkt.
In der Mensa setzte er sich allein an einen Tisch neben seinen Freunden. Keiner erkannte ihn. Interessiert lauschte er der Unterhaltung.
„Ich fasse es nicht, dass Caraway Rinoa mitnehmen will. Sie ist doch kein kleines Kind mehr!“, schimpfte Selphie gerade aufgebracht. Sie musste wirklich wütend sein, denn sie vergaß sogar ihre seltsame Aussprache. Quistis pflichtete ihr bei. „Das ist wirklich herzlos! Wo sie doch hier alle ihre Freunde hat, und erst die Erinnerungen an Squall...“
Squall dachte an all die gemeinsamen Stunden mit Rinoa. Er spürte, wie er rot wurde.
Äußerlich gelassen nippte er an seinem Getränk und lauschte weiter.
„Aber ein Mensch hat sich wirklich anständig benommen.“, berichtete Xell gerade. „Nämlich Cifer. Er hat noch nicht einmal versucht, Rinoa anzubaggern. Er und seine Gehilfen sind wohl der Ansicht, dass Squall gar nicht tot ist.“ Squall sah überrascht auf.
„Schön wär’s! Aber Squall ist nun einmal...“, murmelte Quistis niedergeschlagen.
Plötzlich stand Irvine auf. „Wir sollten dieses Gespräch beenden. Ihr wisst doch genau, wie sehr Squall sich davor gefürchtet hat, zur Vergangenheit zu werden. Und kaum ist er einen Tag tot, fangen wir schon an, ihn zur Vergangenheit zu machen!“
Guter alter Irvine. Squall war ihm dafür wirklich dankbar. Er hasste es, wie sie über ihn sprachen. Als wäre er wirklich tot.
Irvine ging langsam hinaus. Squall folgte ihm. Als er Irvine eingeholt hatte, sah dieser überrascht auf. Er erkannte ihn noch immer nicht.
„Hallo!“, meinte Squall so ungezwungen wie möglich. Irvine nickte knapp. „Du bist doch dieser Leibwächter von Laguna, nicht wahr?“, fragte er. Squall grinste.
„Ich wollte nur kurz mit dir reden, wenn du nichts dagegen hast. Ich kam ja nicht umhin euer Gespräch... mitzuhören.“
„Du hast gelauscht?“, fragte Irvine.
„Ich habe beobachtet und die Situation eingeschätzt!“, verbesserte ihn Squall. Er gab sich gekränkt.
„Ich wollte nur fragen, wer dieses süße Mädchen ist, die im Apartment von diesem...Squall... liegt. Schwarzes Haar, blaues Kleid,... Sie ist nicht zufällig diese Rinoa, von der ihr gesprochen habt?“
Irvine sah ihn misstrauisch an. „Ja, das hört sich nach Rinoa an. Wieso?“
Squall grinste wieder. „Glaubst du, ich hätte bei ihr Chancen?“, fragte er frech. Gleich darauf fühlte er sich von Irvine am Kragen gepackt und gegen die Wand gepresst. Irvine starrte ihn zornig an. „Wenn du auch nur versuchst, ihr zu nahe zu kommen, dann bringe ich dich eigenhändig um! Und wenn du Lagunas kleiner Bruder bist. Das ist mir scheißegal!“, brüllte er.
Er ließ Squall los, drehte sich um und ging weiter, als wäre nichts geschehen.

Galuf
22.10.2003, 14:34
Squall richtete sich auf. „Squall muss wirklich glücklich gewesen sein, wenn er solche Freunde hatte.“, rief er Irvine leise nach. Irvine blieb stehen.
„Ich hoffe, dass er glücklich war.“, gab er ebenso leise zurück, ohne sich umzudrehen.

Am Abend fand eine Trauerfeier zu Squalls Ehren statt. Squall war gerührt, wie viele Menschen gekommen waren, um von ihm Abschied zu nehmen. Menschen, die er noch nicht einmal persönlich kannte. Eigentlich hätte er eine etwas privatere Feier vorgezogen, aber was sollte er machen? Er konnte diese Menschen schlecht nach Hause schicken.
Seine Gedanken wanderten zu Rinoa. Was sie wohl gerade machte? Er musste unbedingt mit ihr reden! Aber er konnte nicht mit ihnen sprechen, solange Vanessa noch in dieser Sphäre war. Verdammt!
Jetzt schien sich etwas zu tun. Eine kleine Gruppe löste sich vom Rest der Menge und ging auf die Bühne zu, die auf dem freien Gelände vor dem Garden errichtet worden war, weil im Schulhof kein Platz für die vielen Leute gewesen wäre.
Squall spürte Tränen in den Augen, als er in der Gruppe seine Freunde erkannte. Selphie, Quistis und Xell trugen ihre SEED- Uniformen, Irvine kam ganz in schwarz: Schwarzer Mantel, schwarze Hose, sogar der Hut war schwarz!
Dann sah Squall Rinoa. Ihm stockte der Atem. Sie trug ein schwarzes Kleid, das die Schultern freiließ und am Hals mit einem dünnen Band befestigt war. Es war hoch geschlitzt, und in dem schwarzen Stoff glitzerten silberfarbene Fäden. Rinoa hatte ihr langes, dunkles Haar hochgesteckt, auch in ihrem Haar glitzerte Silber. Und sie trug die Kette mit den beiden Ringen, wie Squall sehr erfreut feststellte.
Sie sah aus wie eine Göttin!
Als sie auf der Bühne stand, wurde es sofort ruhig. Das war an sich schon ein Wunder, da sich wirklich viele Menschen auf der Alclad-Ebene eingefunden hatten.
Als sie begann zu sprechen, konnte jeder auf der Ebene sie hören, obwohl sie nicht einmal ein Mikrofon benutzte. Squall vermutete einen Hexentrick dahinter.
„Ich möchte mich kurz fassen.“, begann sie. Keine Einleitung, keine Begrüßung. Immer geradeheraus, was sie dachte.
„Ich will hier nicht über meinen verstorbenen Ritter sprechen. Ich weiß, dass er das gehasst hätte.“ Die schonungslose Wahrheit.
„Nein, ich möchte etwas ankündigen. Ich werde hier keinen neuen Hexenritter vorstellen, was viele vermutet haben.“ Squall jubelte innerlich, als er das hörte. Doch der Jubel klang schnell wieder ab, als er ihre nächsten Worte hörte.
„Ich werde noch heute sterben. Von meiner eigenen Hand.“ Wie bitte? Erstauntes Gemurmel wurde laut. Squall fühlte sich, als hätte ihm jemand kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Auch die anderen schienen erstaunt zu sein. Aber sie unternahmen nichts, als Rinoa einen kleinen Dolch aus ihrem Stiefel holte. Sie konnten gar nichts unternehmen, erkannte Squall, weil Rinoa sie irgendwie verzaubert hatte. Das galt auch für all die anderen Menschen, die hier versammelt waren. Nur Squall schien dagegen immun zu sein. Ein Magiestrang bewegte sich zwar auf ihn zu, erlosch aber, sobald er Squalls Hände berührte. Er dankte still Hyne für ihre Hilfe und schlich sich im Schutz der Schatten näher an die Bühne heran. Rinoa bemerkte ihn nicht.
„Ja, ich werde mir hier und jetzt das Leben nehmen. Ich könnte es nicht ertragen, ohne Squall zu leben.“, rief sie gerade in die Nacht hinaus.
Squall zog sich am Rand der Bühne hoch. Er schlich im Schutz der Schatten noch näher. Noch zwei Schritte...
Rinoa bemerkte ihn noch immer nicht. Dafür aber Quistis, die in seiner Nähe festgebannt war. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, dass er sich frei bewegen konnte, aber sie war durch Rinoa unfähig zu sprechen. Squall beachtete sie nicht. Er bewegte sich weiter auf Rinoa zu.
Rinoa hob den Dolch.
Als ihre Hand wieder heruntersauste, packte Squall ihr Handgelenk von hinten und verdrehte es so hart, dass sie überrascht aufschrie. Sie ließ aber den Dolch nicht fallen.
„Rinoa...“, sagte Squall leise. „Rinoa, bitte hör auf damit!“
Sie war im ersten Moment viel zu überrascht, um zu reagieren, aber dann versuchte sie, sich von ihm loszureißen. Er versuchte, sie weiter festzuhalten, aber sie wand sich so lange in seinem Griff, bis er sie loslassen musste. Sie drehte sich zu ihm um und starrte ihn wütend an. Squall wollte keine nähere Bekanntschaft mit dem Dolch in ihrer Hand machen, deshalb blieb er ruhig stehen und hob beschwichtigend die Hände. „Alles in Ordnung.“, sagte er leise. „Bitte leg die Waffe weg.“ Rinoa funkelte ihn an. „Wer bist du?“, fragte sie verärgert. Squall erinnerte sich an Hynes Verbot, mit seinen Freunden zu sprechen und sagte nur: „Ich bin ein Freund. Ich werde dir nichts tun, keine Angst. Leg jetzt den Dolch weg!“ Rinoa dachte nicht daran.
„Wie kannst du es wagen, von mir etwas zu verlangen?“, schrie sie außer sich vor Wut. Squall überlegte sich schon, wie er ihr den Dolch abnehmen könnte, ohne sie zu verletzen, als er eine Veränderung in ihrer Aura bemerkte. Er konnte im letzten Moment einem magischen Angriff ausweichen, den er ohne die Brille gar nicht bemerkt hätte. Er ließ sich zu Boden fallen und rollte sich blitzschnell zur Seite. Er sprang auf und bemerkte eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Plötzlich wurde sein Kopf herum gerissen und er spürte einen scharfen Schmerz an der Wange, wo Rinoas Dolch ihn streifte. Eher aus Überraschung taumelte er zwei Schritte nach hinten. Er stolperte über ein Kabel und fiel ungeschickt auf die Knie. Er hielt sich eine Hand an die Wange und bemerkte entsetzt, dass er die Brille verloren hatte. Schnell sprach er einen Zauber, um den Schnitt an der Wange zu heilen und überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Er sah, dass Rinoa sich für einen weiteren Angriff bereitmachte und traf eine Entscheidung. Als Rinoa wieder angriff, nahm er die Hand vom Gesicht und starrte sie an. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, als sie ihn erkannte, und sie zögerte einen Moment. Das war alles, was Squall brauchte. Er packte ihr Handgelenk und riss sie zu Boden. Blitzschnell war er über ihr, entwand ihr den Dolch und hielt sie fest, bis sie sich nicht mehr wehrte. Sie starrte ihn entsetzt an.
„Squall?“, flüsterte sie mit erstickter Stimme. Ohne zu antworten, küsste er sie sanft. Dann erinnerte er sich an die Tausenden von Menschen, die noch immer von Rinoa festgehalten wurden. „Lass los!“, flüsterte er eindringlich. Er spürte, dass Rinoa beinahe sofort gehorchte.
Das Publikum war zunächst noch still, aber nachdem sich Rinoas Magie verflüchtigte, begannen die Leute vereinzelt, sich wieder zu bewegen. Squall lächelte und half Rinoa wieder auf die Beine. Er küsste sie noch einmal.
Als Squall sich wieder von Rinoa löste und ihr in die Augen sah, brach sie in seinen Armen zusammen. Sie klammerte sich an ihn und weinte. Squall hielt sie fest.
„Squall... Aber ich dachte... ich...“ Rinoas Stimme wurde immer leiser und erstarb schließlich ganz. Squall hielt sie weiter fest.
Langsam kamen Irvine und die Anderen näher, um sich davon zu überzeugen, dass es wirklich Squall war, der vor ihnen stand. Squall wandte sich zu seinen Freunden um, ohne Rinoa loszulassen, die sich noch immer an seiner Schulter ausweinte. Irvine und Quistis starrten ihn einfach an, während Selphie und Xell sich sofort auf ihn stürzten und ihm zur Begrüßung um den Hals fielen. Was nicht so einfach war, da Rinoa sich noch immer an ihm festklammerte. Squall ließ diese lebhafte Begrüßung über sich ergehen, doch als Irvine und Quistis auch noch auf ihn zustürzten, drängte er sie sanft zurück. Seine Freunde strahlten regelrecht, während sie ihn genauer begutachteten.
„Squall! Du lebst noch?“ „Gottseidank! Aber wie...“ „Wie bist du hierher gekommen?“ Die Fragen sprudelten regelrecht aus ihnen heraus. Squall hob abwehrend die Hand.
„Später!“, bat er. „Ich werde es euch später erklären, aber jetzt bitte ich euch, mir zu helfen.“
Irvine runzelte die Stirn. „Was ist los?“, fragte er besorgt. Squall wollte antworten, aber plötzlich ertönte ein schrilles Kichern hinter ihm.
Natürlich Vanessa! Eines musste man ihr lassen; sie war pünktlich.
Squall achtete nicht auf den Aufschrei des Publikums, sondern wirbelte herum und zog mit einer fließenden Bewegung die Löwenherz. Xell zuckte zusammen, als die plötzlich sichtbare Gunblade dicht an seinem Gesicht vorbeizischte. Squall achtete nicht darauf.
„Alle sofort in den Garden! SEEDs mit ungerader Einsatznummer kümmern sich um die Leute und die Kadetten, die anderen bleiben!“, brüllte er so laut, dass trotz der herrschenden Panik überall sein Befehl befolgt wurde. Seine einzige Sorge war, ob die vielen Menschen auch in den Garden passen würden.
Vanessa wartete überraschenderweise, bis die Gäste in Sicherheit waren. Ein spöttisches Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Erst, als die SEEDs hinter Squall versammelt waren, begann sie zu sprechen.
„Squall, Squall!“, meinte sie kopfschüttelnd, „Du bist ein Dummkopf. Du hättest mein Angebot annehmen sollen.“ Sie legte den Kopf schräg und lächelte milde. „Aber ich gebe dir noch eine letzte Chance. Du könntest an meiner Seite über diese schwächlichen Menschen herrschen! Du würdest unsterblich sein! Überlege es dir gut!“
Squall verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Fahr zur Hölle!“, zischte er wütend. Möglichst unauffällig sah er sich nach Hyne um.
‚Wenn Vanessa kommt, werde ich dir helfen!’ , hat sie gesagt. Ha! ,dachte Squall verzweifelt.
Vanessa lachte. „Du weißt nicht, was du tust! Du willst dein Leben wegwerfen, nur um deinen Freunden zu helfen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Närrischer, kleiner Mensch!“
Squall überlegte fieberhaft, wie er sie hinhalten könnte. Dann fiel ihm etwas ein.
„Soweit ich weiß, bin ich aber nicht der Einzige, der dich je zurückgewiesen hat!“ Vanessas Lächeln erstarb abrupt.
„Vandell LaDiganè hat sich wohl auch nicht sonderlich für dich interessiert!“, fuhr Squall ungerührt fort. Er überhörte Rinoas halblaute Frage, wer Vandell sei, und konzentrierte sich weiter auf Vanessa. Die verzog das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse.
„Mag sein.“, gab sie zu. „Doch nur, weil diese Hexe ihn verzaubert hat!“
Squall unterdrückte ein Lächeln, als er sagte: „Hyne hat etwas anderes behauptet. Und, ehrlich gesagt, vertraue ich ihr mehr als dir!“
„Hyne? Ihr? Hä?“, murmelte Irvine hinter ihm verständnislos. Squall beachtete ihn nicht.
„Vielleicht fand er dich einfach nicht attraktiv!“, meinte er an Vanessa gewandt.
„Schweig!“, kreischte Vanessa und richtete eine Hand auf ihn. Aber Squall spürte keine Schmerzen, wie er beinahe erwartet hatte. Stattdessen nahm er endlich Hynes Aura war, die sich hinter Vanessa verdichtete.
Vanessa spürte es offenbar auch. Ihre Augen weiteten sich furchtsam.
Dann explodierte die Welt vor Squall in einem grellen Lichtblitz.
Als Squall die Augen wieder öffnete, sah er Hyne, die hinter Vanessa schwebte. Seltsames Licht umtanzte ihren Körper, ihre roten Augen waren halb geschlossen, ihr Haar bewegte sich, als führe ein Windstoß hindurch. Ein halb durchsichtiges Kleid schmiegte sich an ihre zierliche Gestalt. Kein Laut war zu hören.
Vanessa kauerte auf dem Boden und wagte es nicht, Hyne anzusehen. Ihre Gestalt wurde zunehmend durchsichtiger, bis sie aussah wie Squall, als er tot gewesen war.
Hyne hob den Blick ein wenig. Sie sah Squall direkt in die Augen.
„Du warst tapfer, junger Ritter. Doch nun lass mich mein Werk vollenden.“ Squall nickte und steckte die Gunblade weg. Er riskierte einen kurzen Blick auf Rinoa, die neben ihn getreten war. Sie starrte Hyne bewundernd an. Squall war sich ziemlich sicher, dass die anderen auch so zu Hyne aufsahen. Er konzentrierte sich wieder auf Hyne und Vanessa.
Vanessa hatte sich bereits wieder erhoben. Sie zeichnete seltsame Symbole in die Luft, doch auf eine Handbewegung Hynes verschwanden die Zeichen wieder. Vanessa schrie erschrocken auf und versuchte es noch einmal. Doch diesmal wich Hyne ihrem Angriff schnell aus und ging ihrerseits zum Angriff über. Sie stürzte sich auf Vanessa... und durch sie hindurch!
Irgend etwas veränderte sich. Vanessa schrie noch einmal und sank in die Knie. Hyne richtete sich wieder auf. Das seltsame Licht tanzte wieder über ihre Hände, hinauf zu ihrem Gesicht, und breitete sich schließlich auf ihren ganzen Körper aus.
„Vanessa Ginirae!“, rief sie, ohne sich zu Vanessa umzudrehen. „Lange genug habe ich dich geduldet. Dein Schicksal ist der Tod!“ Sie hob die Hände und begann zu singen. Das Licht wurde heller, während sie in der Sprache ihres Volkes den Bannzauber aussprach. Sie begann, langsam zu einer unhörbaren Melodie zu tanzen. Anfangs waren ihre Bewegungen noch ruhig und fließend, doch dann wurde sie immer schneller und ihre Stimme klang etwas schriller.
Dann, ohne Vorwarnung, wirbelte sie herum und richtete ihre Hände auf die am Boden kauernde Gestalt Vanessas. Einzelne Lichtfunken sprangen auf Vanessa über, bis sie von dem Licht vollständig eingehüllt war. Sie schrie schmerzerfüllt auf und krallte die Hände in ihr langes Haar.
Hyne blickte unbarmherzig auf die leuchtende Gestalt herab. „Stirb, Vanessa Ginirae!“, sagte sie leise. „Du kannst deinem Schicksal nicht entkommen.“ Vanessa richtete sich auf.
„Nein... aber... ich kann... kann... es... erträglicher...machen...“, keuchte sie mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht. Sie versuchte, ihre Hand zu heben, schaffte es aber erst beim dritten Versuch. Hyne wollte sie davon abhalten, aber sie kam zu spät. Vanessa grinste irre und flüsterte ein einziges Wort, das Squall nicht verstand.
Dann löste sie sich in einer Explosion aus grellem Licht auf.

Als Squall wagte, den Kopf wieder zu heben, war Vanessa endgültig verschwunden. Hinter ihm richteten sich die anderen wieder auf und schüttelten benommen ihre Köpfe. Hyne stand noch immer an der Stelle, wo sie Vanessa endgültig besiegt hatte. Sie wirkte etwas verwirrt.
Squall machte einige Schritte auf sie zu und blieb zwei Meter hinter ihr stehen.
„Hyne? Was ist los?“, fragte er vorsichtig. Hyne wandte sich zu ihm um. „Ich weiß es nicht...“, sagte sie langsam.
Squall versuchte es noch einmal. „Was hat sie gesagt?“
Hyne blinzelte. „Rache!“, antwortete sie nach einer Weile. „Aber ich weiß nicht...“ Sie brach erschrocken ab und starrte auf einen Punkt hinter Squall. Als er sich umdrehte, erschrak er heftig. Die ganze Alclad- Ebene war von Monstern aller Art bedeckt!
Rumbrum-Drachen drängten sich neben Morbolen, Quale und Schmelzdrachen duckten sich kampfbereit, Galchimesäras hüpften übermütig auf und ab. Stahlgiganten polierten ihre Schwerter, während Behemoths und Chimära-Hirne ungeduldig mit den Pranken scharrten.
So viele Monster auf einem Haufen hatte Squall zuletzt gesehen, als er die Träne des Mondes aus nächster Nähe bewundern hatte dürfen.
Alle SEEDs schrieen erschrocken auf, als sie diese unvorstellbare Meute von Monstern sahen. Irvine und Quistis holten sofort ihre Waffen hervor, doch sie wussten sehr wohl, dass dies nur eine nutzlose Geste war. Nicht einmal mit mehreren Aura-Spells könnten sie diese Monsterhorde besiegen.
Trotzdem zog auch Squall seine Waffe und gesellte sich zu seinen Freunden. Er konnte von Hyne keine Hilfe erwarten, die ohnehin schon von ihrem Kampf gegen Vanessa geschwächt war. Aber er wusste, dass sie ohne Hilfe verloren waren.
Squall biss sich auf die Lippe und sah sich um. Alle SEEDs standen gefasst in ihren Kampfpositionen da und versuchten, möglichst furchtlos auszusehen. Was ihnen nicht gelang. Nur Cifer und seine Freunde, die sich ebenfalls unter den anwesenden SEEDs befanden, musterten die Monsterhorde eher abschätzend als furchtsam.
Auch Laguna, Kiros und Ward waren geblieben, wofür Squall ihnen dankbar war. Laguna und Kiros waren mit ihren Waffen ernstzunehmende Gegner, und Ward, der seine Harpune natürlich nicht immer mit sich herumschleppte, konnte den Monstern auch mit bloßen Händen gefährlich werden.
Squall wandte sich zu Rinoa um, doch ehe er etwas sagen konnte, bemerkte er eine Bewegung auf einem Gipfel der Bergkette des Gualug-Gebirges.
Überrascht riss er die Augen auf.
Er ließ seine Waffe fallen.

Vandell beobachtete den jungen Ritter aus sicherer Entfernung. Er sah, wie er in einer großen Stadt seine Freunde um Hilfe bat, er sah, wie er sich als Beschützer des dunkelhaarigen Mannes ausgab, dessen Aura mit der des Jungen Ähnlichkeiten aufwies. Er sah auch, wie der Junge seine Hexe daran hinderte, sich selbst zu töten.
Und nun sah er, dass der junge Ritter Hilfe gegen die Monsterhorde brauchte.
Vandell war sich sicher, dass Vanessa die Monster beschworen hatte, bevor sie von einer Hexe vernichtet wurde, die Vandell zuerst für Hyne gehalten hatte. Aber er wusste, dass er sich irren musste. Hyne war in seinen Armen gestorben, und er hatte keine Chance gehabt, sie zu retten. Sie konnte es unmöglich sein!
Vandell schüttelte diesen unerwünschten Gedanken ab und konzentrierte sich. Er zog sein Schwert und trat aus seinem Versteck in den Bergen hervor. Er kletterte geschickt auf den Gipfel des höchsten Berges und beobachtete die Menschen, die gegen die Monster kämpfen wollten. Vor ihm fiel der Fels beinahe senkrecht ab.
Das Schwert Soulkiller in der einen, eine dünne Kette aus Silber mit seinem Abzeichen in der anderen Hand, stand er dort und ließ seinen Geist wandern. Silberfarbenes Licht erstrahlte rund um seine Gestalt, als er die Geister jener rief, die ihm zu Diensten waren. In der Ferne ertönte das Klirren von Schwertern und das Murmeln vieler Männer.
Vandell rief einige Worte in einer Sprache, die er von Hyne gelernt hatte. Er legte sich die Kette wieder um den Hals und packte das Schwert mit beiden Händen, hob es hoch über den Kopf... und rammte es mit aller Kraft in den Boden. Das Licht wurde heller, als er die Hände wieder hob und seinen Ruf wiederholte. Seine Hände bewegten sich ohne sein Zutun; sie schossen nach vorne und nach oben und öffneten ein Portal zu jener Welt, in der die Geister auf seinen Ruf warteten. Vandell packte seine Waffe wieder und hob sie mit einer Hand hoch über den Kopf. Blaue Schemen stürzten aus dem Portal hinter ihm. Sie alle trugen das Zeichen eines Ritters. Sie alle waren herausragende Kämpfer. Und sie alle waren tot.
Die toten Ritter formierten sich und bildeten eine Linie entlang der Kante. Vandell atmete noch einmal durch, trat vor... und sprang mit einem gellenden Kampfschrei in die Tiefe.

Squall zweifelte an seinem Verstand, als er den Mann springen sah. Er fiel etwa zweihundert Meter, ehe er auf einem Felsvorsprung landete. Dem Mann schien es nichts auszumachen; mühelos rollte er sich ab und sprang wieder. Er landete mitten in der Monsterhorde.
Und ebenso die Geister, die er gerufen hatte.
Die beiden Heere prallten mit fürchterlicher Wucht aufeinander. Zuerst schienen die Ritter den Monstern hoffnungslos unterlegen zu sein, doch ein Jeder von ihnen wütete wie ein Berserker unter den Monstern. Und sie hatten den Vorteil, dass sie bereits tot waren; die Monster konnten ihnen nichts anhaben. Die Ritter benutzten ausnahmslos Schwerter als Waffen, sie setzten nicht einmal Magie ein, um den Kampf zu erleichtern.
Plötzlich bemerkte Squall, dass der schwarze Krieger, der das Heer gerufen hatte, von Dutzenden Monstern umzingelt war.
Squall erhaschte einen Blick auf den Mantel des schwarzen Kriegers. Überrascht bemerkte er den Löwenkopf auf dem Gewand des Mannes. Ein weiterer Blick auf die Kleidung der anderen Krieger zeigte, dass fast jeder das Löwenzeichen trug. Es waren ausschließlich Hexenritter, die gegen die Monsterhorde kämpften!
Squall konzentrierte sich wieder auf den schwarzen Ritter. Er kämpfte mit einer wahnsinnigen Geschicklichkeit, die Squall unwillkürlich die Luft anhalten ließ. Er schlug einen Salto nach dem anderen, wich den Angriffen der Monster beinahe spielerisch aus und kämpfte manchmal auch waffenlos. Seine Martial-Arts-Technik ließ sogar Xell alt aussehen: Der Ritter rammte sein Schwert in die Scheide, brach einem Rumbrum-Drachen mit einem wuchtigen Handkantenschlag das Rückgrat, wirbelte herum, verpasste einem Chimära-Hirn einen Tritt in eines seiner vier Gesichter, der das Monster vor Schmerz aufheulen ließ, machte schnell wie ein Blitz einen Handstandüberschlag nach hinten, um dem Angriff eines Behemoths auszuweichen, zog wieder seine Waffe, zerteilte einen Morbol in zwei Hälften...
Aber Squall konnte sehen, dass seine Kräfte nicht ewig reichen würden. Der Ritter wehrte sich noch recht gut, aber gegen diese Übermacht würde er nicht lange wiederstehen können, zumal die Monster ihn unfair von hinten angriffen.
Ohne zu zögern, hob Squall seine Waffe auf und stürzte sich in den Kampf. Seine Gefährten taten es ihm gleich. Squall erreichte den schwarzen Ritter in dem Moment, als ein Stahlgigant gerade seine Waffe auf den Ritter heruntersausen ließ. Squall zerteilte den Stahlgiganten mit einem sauberen Schnitt. Der Ritter konnte der abgelenkten Klinge im letzten Moment ausweichen.
Squall konnte das Gesicht des Mannes unter der Kapuze nicht genau erkennen, aber er glaubte zu wissen, wem er gegenüber stand. Als er die rotglühenden Augen sah, die in den Schatten im Gesicht seines Gegenübers leuchteten, war er sich sicher.
„Ich danke Euch für Eure Hilfe, Vandell!“, rief er dem Anderen über den Lärm der Schlacht zu. Vandell sah ihn schweigend an. „Ich fühlte mich verpflichtet, dir zu helfen, junger Ritter!“, gab er schließlich zurück. Squall nickte ihm zu und erlegte einen Morbol, der zwischen ihnen aufgetaucht war, mit einem Herzensbrecher.
Plötzlich hob Vandell beide Hände über den Kopf. Das silberne Licht breitete sich wieder von seinen Handflächen über seine ganze Gestalt aus. Er murmelte einige seltsam klingende Wörter in einer Squall fremden Sprache. Sämtliche Geister auf dem Schlachtfeld begannen ebenfalls zu leuchten. Sie schwebten plötzlich zwei Meter über den Monstern. Sie hoben alle gleichzeitig die Hände.
Das Licht wurde immer heller, bis Squall geblendet die Augen schließen musste. Er hörte noch, wie Vandell etwas schrie, dann nur noch ein ohrenbetäubendes Brüllen. Er warf sich zu Boden und spürte, wie eine gewaltige Druckwelle über ihn hinwegbrauste. Die Monster brüllten im Chor auf. Dann wurde es wieder still.

Galuf
22.10.2003, 14:36
Nicht dass ihr Leute denkt dass das auch nur die Hälfte der Geschichte war.

Bald mache ich weiter.

Artax
25.10.2003, 10:23
Wow, also ich muss das jetzt einfach nochmal hier loswerden. Hab's dir zwar schon gesagt, aber egal:

Saugut, dieses FanFic !!! Riesengroßes Kompliment an den Autor!

Schade, dass du ihn nicht mehr finden konntest... Mit dem neuen Teil bin ich noch lang nicht fertig, aber spätestens dann musst du weiterposten :D

Galuf
25.10.2003, 16:38
Kapitel 5: Vandell

Als Squall wieder wagte aufzustehen, lagen alle Monster tot oder sterbend am Boden. Staunend sah Squall sich um.
Die Geister der anderen Hexenritter verblassten, als sie nicht mehr gebraucht wurden. Vandell hob die Hände zum Himmel und rief mit lauter Stimme: „Dank euch allen, die ihr bereit wart, eurem Bruder zu helfen.“ Er ließ die Hände wieder sinken und sah Squall noch einmal an.
„Und du, kümmere dich um deine Hexe. Sie ist verletzt!“, sagte er. Squall fuhr erschrocken herum und rannte zu Rinoa, die aus einem hässlichen Kratzer am Arm blutete. Sie winkte ab, als er ihr helfen wollte. Dann legte sie ihre gesunde Hand auf die Wunde und heilte sie.
Squall spürte, dass Vandell hinter ihn getreten war. Er drehte sich um.
Vandell hatte die Kapuze noch immer ins Gesicht gezogen. „Ich wünsche dir, dass du deine Hexe besser beschützen kannst als ich meine. Ich habe sie verloren. Dieses Schicksal wünsche ich dir nicht.“, sagte er leise. Squall nahm seinen ganzen Mut zusammen und sprach den schwarzgekleideten Ritter an.
„Ihr habt eure Hexe nicht verloren. Hyne lebt!“, widersprach er Vandell. Dieser zuckte heftig zusammen, als er den Namen seiner Herrin hörte. Er strich die Kapuze zurück, sodass Squall nun endlich sein Gesicht sehen konnte. Vandell sah Squall wirklich so ähnlich, wie in den Visionen, die ihm Hyne in der Stadt gezeigt hatte. Seine Augen glühten rot, wie die von Hyne. Sein langes dunkelbraunes Haar wurde von einem schmalen silbernen Band aus dem Gesicht gehalten und war im Nacken mit einem Lederband zusammengefasst, und seine Haut war etwas blass. Kein Wunder, nach 2000 Jahren ‚Gefängnis’. Nur eines stimmte nicht: Eine lange, hässliche Narbe zog sich über sein Gesicht. Sie begann auf der Stirn, verfehlte knapp sein Auge, verlief über seine Wange und verschwand im Kragen seines Hemdes.
Seine elfenhaften Züge verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. „Was weißt du denn davon? Und woher kennst du Hyne?“, fragte er bitter.
In diesem Moment hörte Squall Hynes Stimme hinter sich. „Vandell?“, fragte sie kaum hörbar. Ihrer Stimme nach stand sie kurz vor einem Zusammenbruch.
Vandell starrte sie an. Sein Gesichtsausdruck war aber weniger überrascht, wie Squall erwartet hatte, sondern eher entsetzt. Er taumelte einige Schritte nach hinten, ohne seinen Blick von Hyne abzuwenden. Er verzerrte gequält das Gesicht, presste die Hände gegen die Schläfen und schüttelte heftig den Kopf.
„Nein!“, kreischte er verzweifelt. „Was willst du noch von mir? Was soll ich noch tun, um endlich Frieden zu finden?“ Er wirbelte herum und rief etwas. Plötzlich tauchte aus dem nichts ein schwarzes Pferd hinter ihm auf. Mit einer kräftigen Bewegung schwang er sich in den Sattel und ließ das Tier auf den Strand zugaloppieren. Die Hufe des Pferdes berührten das Wasser nicht, als es über das Meer in südlicher Richtung davonjagte.
Squall starrte ihm nach. Von allen möglichen Versionen hätte er diesen Gefühlsausbruch am wenigsten erwartet. Er drehte sich zu Hyne um. Sie stand noch immer hinter ihm, eine Hand ausgestreckt, als wollte sie Vandell zurückhalten. Sie wirkte verwirrt.
„Aber was...“, begann sie, aber weiter kam sie nicht. Sie brach zusammen und begann zu weinen. „Warum läuft er vor mir davon?“, schluchzte sie.
Squall wusste nicht, was er tun sollte. Aber Rinoa ging auf die weinende Hexe zu und nahm sie in die Arme.
„Wie kann er denn glauben, dass Ihr noch lebt, Milady? Ihr wart lange fort!“, sagte sie leise.
Hyne hob den Kopf ein wenig.
„Er hat Angst, dass er Euch ein zweites Mal verlieren könnte, weil Ihr für ihn nur eine Wahnvorstellung seid. Er kann nicht glauben, dass Ihr ins Leben zurückgekehrt seid.“, fuhr Rinoa fort. Verstehen leuchtete in Hynes Augen auf. Sie stand auf. Rinoa erhob sich ebenfalls.
„Und was sollte ich deiner Meinung nach tun?“, fragte Hyne kaum hörbar. Rinoa lächelte sie aufmunternd an. „Ihr müsst ihm folgen! Ihr müsst ihm seine Ängste nehmen. “
Hyne lächelte ebenfalls. Sie sah Squall an. „Pass gut auf deine Hexe auf. Sie ist etwas Besonderes!“ Squall küsste Rinoa sanft. „Das weiß ich doch!“, sagte er lächelnd.

Vandell irrte ziellos in der untermeerischen Stadt umher, die er seit so langer Zeit nicht mehr betreten hatte. Die einst so vertrauten Straßen schienen plötzlich so fremd zu sein. Wo früher Menschen gelebt und gelacht hatten, empfing ihn nun eisige Stille.
Beinahe unbewusst richtete Vandell seine Schritte zum ‚Platz des Ritters’, wo die Menschen ihm zu Ehren einen Palast errichtet hatten. Seit 3 000 Jahren hatte er sein Heim nicht mehr betreten. Vandell stieß das Tor viel heftiger auf, als er beabsichtigt hatte, und rannte halb verrückt vor Schmerz und Trauer durch die leeren Gänge. In seinem alten Schlafgemach blieb er keuchend stehen. Hunderte Kerzen flammten auf, als er das große, dunkle Zimmer betrat.
Vandell ließ sich auf die Knie sinken. Tränen brannten in seinen Augen, aber er verbot sich selbst, wie ein kleines Kind zu weinen. Sein ganzes Leben hatte er nicht geweint! Bis auf... dieses eine Mal...
Erinnerungen brachen über ihn herein wie eine Flutwelle. Vandell schloss gequält die Augen.
Damals... als sie ihn zum ersten und letzten Mal geküsst hatte... als er vor ihr davon gelaufen war...

Vandell sah noch einmal zurück, bevor er sich über das Geländer des Balkons schwang und drei Stockwerke tief fiel. Er rollte sich geschickt ab und blieb einen Moment so auf dem kalten Pflaster des Platzes knien. Er hörte, wie Hyne über ihm seinen Namen rief und stand auf. Langsam sah er noch einmal nach oben. Wieso tust du mir das bloß an? , dachte er.
Er drehte sich um und ging langsam auf die Menge zu, die sich auf dem Platz versammelt hatte. Die Menschen wichen ihm ängstlich aus. Seine Augen blitzten und er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Vor ihm bildete sich eine Gasse in der Menschenmenge. Vandell begann zu laufen. Er wollte nur noch hinaus. Hinaus aus dieser verfluchten Stadt. Weg von Hyne, die ihm von ihrem Balkon nachsah.

Wenig später erreichte er die Oberfläche. Nur wenige Menschen kannten den geheimen Aufstieg zu dieser kleinen Insel, auf der er sich gerade aufhielt. Vandell atmete tief durch und genoss das Gefühl des Windes auf seiner Haut. Er liebte diesen Platz. Hier konnte er in Ruhe meditieren, ohne dauernd von irgendwelchen Bittstellern belästigt zu werden. Normalerweise.
Heute jedoch war ihm so gar nicht nach Ruhe und Frieden. Er brauchte irgend etwas, um sich abzureagieren. Er war wütend. Wütend auf sich selbst und auf Hyne. Auf sich selbst, weil er davongelaufen war, als Hyne versucht hatte, ihn zu verführen. Und auf Hyne, weil sie einen solch unfairen Trick benutzt hatte, um ihn herumzukriegen. Wenn sie weinte, konnte Vandell sie einfach nicht alleine lassen. Und dieses Mal hatte sie das eiskalt ausgenutzt.
Vandell wusste nicht einmal, warum er weggelaufen war. Er hatte sich schon oft gewünscht, das sie Interesse an ihm zeigte, aber irgendwie...
Er ballte zornig eine Hand zur Faust und schlug mit aller Kraft nach einem großen Stein. Der Felsen explodierte regelrecht. Was sie versucht hatte kam ihm so... billig vor! Er wollte nicht einer ihrer zigtausend Liebhaber sein, sosehr er sie auch begehrte. Er liebte sie von ganzem Herzen, und er wollte, dass sie diese Liebe erwiderte. Vandell wusste, dass die Chancen dafür nicht gut standen, aber...
Er ließ sich auf die Knie sinken und starrte auf einen Punkt hinter dem Horizont. Wahrscheinlich vergnügt sie sich gerade mit einem anderen... , dachte er bitter. Er spürte ein seltsames Brennen in seinen Augen und blinzelte ein paar Mal, um das Gefühl zu vertreiben. Er konnte aber dennoch nicht verhindern, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. Er stützte sich mit den Händen auf dem Boden ab und ließ den Kopf hängen. Er weinte, ohne den wirklichen Grund dafür zu kennen. Aber schließlich versiegten seine Tränen. Der Wind zerrte an seinem Haar und an seiner Kleidung, als er aufstand und zu den Klippen ging. Der salzige Geruch des Meeres beruhigte ihn ein wenig. Er schloss die Augen und genoss das Gefühl der wärmenden Sonne auf seiner Haut und der Gischt, die seine Kleidung wie ein feiner Sprühnebel durchnässte.
Plötzlich schlugen alle seine Instinkte Alarm. Er war nicht mehr allein hier. Er öffnete langsam die Augen und lauschte, um die Anzahl der Eindringlinge festzustellen. Er hörte zwei gedämpfte Stimmen, die sich zu streiten schienen. Zwei Männer. Wahrscheinlich stritten sie sich darum, wer ihn als erster angreifen durfte. Vandell gestattete sich ein dünnes Lächeln. Er entspannte seine Muskeln und legte eine Hand an die Hüfte. Dann runzelte er die Stirn. Sein Schwert...?
Er atmete zischend aus, als er sich erinnerte, dass es noch in Hynes Schlafgemach liegen musste. Er hatte es bei seinem übereilten Aufbruch vergessen. Er biss sich auf die Unterlippe. Nun, die zwei würden auch so kein Problem sein.
Plötzlich hörte er weitere Geräusche. Er konzentrierte sich und machte zu seiner Überraschung acht verschiedene Schrittmuster aus. Acht? Wo kamen die anderen sechs her? Egal. Acht würden auch kein Problem sein. Jetzt blieben sie stehen. Eine Frau begann aufgeregt auf die anderen einzureden, ohne ihre Stimme sonderlich zu heben. Vandell verstand die Worte nicht, aber sie schien ihre Gefährten von ihrem Vorhaben abhalten zu wollen. Vandell blieb äußerlich völlig entspannt an den Klippen stehen und tat, als hätte er die Gruppe von Oberflächenbewohnern nicht bemerkt. Innerlich wappnete er sich gegen einen Angriff der Männer. Er hörte, wie sich einer von ihnen an ihn heranschleichen wollte. Er machte das außerordentlich geschickt! Wäre Vandell ein normaler Mensch gewesen, hätte er ihn bestimmt nicht bemerkt. Ehe der Mann ihn erreicht hatte, war ein leises Schaben zu hören, als würde... eine Waffe gezogen? Vandell seufzte. Wenigstens war dieser Kampf etwas, worauf er sich völlig konzentrieren musste. Das lenkte etwas von seiner depressiven Stimmung ab.
Der Mann hinter ihm stieß plötzlich einen heiseren Schrei aus und griff an. Vandell wirbelte herum und duckte sich unter einem Schwerthieb seines Gegners weg. Er drehte sich einmal um die eigene Achse und trat aus der Drehung heraus nach dem Kopf des Mannes. Der Mann duckte sich schnell und versuchte wieder, Vandell mit dem Schwert zu treffen. Vandell machte einen Handstandüberschlag und starrte den Mann an. Er ist gut! , dachte er überrascht. Er blinzelte, als er seinen Gegner genauer musterte. Und er ist so jung! Er war eigentlich noch ein Junge!
Der Kleine griff Vandell noch einmal an und schrie überrascht auf, als Vandell ihm das Schwert aus der Hand trat. Gleich darauf ging er durch einen Tritt zwischen die Schultern zu Boden. Vandell kickte das Schwert weg, dass der junge Mann fallen gelassen hatte. Er schüttelte den Kopf. Der Kleine war sicher nicht älter als achtzehn.
Vandell sah den Jungen gelassen an. Der Kleine schnappte nach Luft, als er Vandells rote Augen sah. Das machte ihm nichts aus; er war daran gewöhnt, dass die Leute seine Augen etwas beunruhigend fanden. Der Junge hielt sich für einen von der Oberfläche erstaunlich gut.
Nach einer Weile fragte Vandell: „Willst du den ganzen Tag hier sitzen bleiben, mein Junge?“ Der Angesprochene schrie auf und krabbelte von Vandell weg. „Er spricht! Der Dämon... er spricht! Götter...“, kreischte er. Das überraschte Vandell ein wenig. Anscheinend hielten sie ihn seiner Augen und seiner blassen Haut wegen für einen Dämon. Das war etwas Neues. In der Stadt hielt man ihn für einen Halbgott. Na ja, so groß war der Unterschied gar nicht.
Er seufzte und ging vor dem Jungen in die Hocke. „Ich bin kein Dämon, du Dummkopf. Und jetzt sag deinen Gefährten, dass sie herauskommen sollen.“ Der Junge schob trotzig das Kinn vor. „Niemals!“, meinte er. „Ihr könnt mich töten, aber ich werde meine Familie nicht verraten!“ Vandell grinste. Das schien dem Jungen mehr Angst einzujagen als Vandells Aussehen. Unter der Sonnenbräune wurde er plötzlich blass. „Hör mal, ich weiß, dass sich deine Leute dort hinter den Felsen verstecken. Also sei ein braver Junge und sag ihnen, dass sie rauskommen sollen, okay?“, meinte Vandell lächelnd. Der Kleine war mutig, das musste man ihm lassen.
„Aber wer sagt mir, dass Ihr sie nicht tötet?“, fragte der Junge stur. Vandell erhob sich und beugte sich ein wenig vor. „Überleg mal: Wenn ich ein Dämon oder so wäre, dann könnte ich sie auch gleich töten, ohne sie erst herauszuholen.“ Er hielt dem Jungen eine Hand hin. Der ignorierte ihn und stand auf. Er klopfte sich den Staub von den Kleidern und beäugte Vandell misstrauisch. Der verschränkte die Arme vor der Brust und wartete. Der Junge gab sich einen Ruck und lief zu seiner Familie zurück. Vandell konnte einige Gesprächsfetzen auffangen. Der Kleine wurde anscheinend gerade von den älteren Männern gerügt. Vandell schüttelte den Kopf und ging auf die Menschen zu. Er blieb in einigen Metern Entfernung stehen und lehnte sich gegen einen Felsen. Ein alter Mann schimpfte gerade den Jungen, der zu Boden sah. Neben ihm stand ein weiterer Mann, der vermutlich der Vater des Jungen war, und starrte den alten Mann an. Einige Meter entfernt kümmerten sich zwei Frauen um zwei kleine Kinder und ein vielleicht sechzehn Jahre altes Mädchen. Das Mädchen warf dem alten Mann immer wieder böse Blicke zu.
Alle in der Gruppe hatten eine von der Sonne gebräunte Haut und dunkles Haar. Sie trugen Kleidung in den verschiedensten Grüntönen. Nur der Alte trug eine rote Robe und einen quietschbunten Umhang. Die anderen Männer trugen grüne Hosen und eine kurze Tunika darüber. Der Vater des Jungen hatte sich ähnlich wie Vandell die Haare mit einem Stirnband zurückgebunden. Die Frauen trugen einfache Kleider aus grünem Stoff. Die Kinder, zwei Jungen, liefen in kurzen Hosen herum und spielten miteinander.
Plötzlich bemerkte der Mann mit dem Stirnband Vandell, der die Menschen interessiert beobachtete. Nachdem er ihn eine Weile angestarrt hatte, ging er zu ihm hinüber und blieb einen Schritt vor ihm stehen. Sehr zu Vandells Missfallen sank der Mann vor ihm auf die Knie.
„Ich... ich möchte Euch danken, dass Ihr meinen... meinen Sohn verschont habt, mein Lord.“, flüsterte er kaum hörbar. Vandell verzog das Gesicht. „Sag das noch mal und ich überlege es mir noch einmal.“, brummte er. „Und steh gefälligst wieder auf.“ Der Mann gehorchte. Auf seinem Gesicht machte sich ein zögerndes Grinsen breit. Plötzlich schob der alte Mann ihn weg und kreischte mit schriller Stimme: „Bist du von Sinnen, Jerkin? Wie kannst du es wagen, mit diesem Dämonen zu sprechen?“ Vandell verdrehte genervt die Augen. „Ich. Bin. Kein. Dämon.“, meinte er betont langsam. Der Mann machte eine komplizierte Geste und kreischte: „Fahr zur Hölle! Dort gehörst du auch hin! Ich werde mich nicht beflecken wie Jerkin und Ryoga! Ich höre deine Lügen nicht!“ Jerkin starrte ihn an. Der Junge, Ryoga, stellte sich neben seinen Vater. „Ich glaube aber nicht, dass er ein Dämon ist, Shoun.“, meinte er. Jerkin nickte.
„Na, herzlichen Dank!“, knurrte Vandell. Er bekam langsam Kopfschmerzen.
Shoun ließ sich jedoch nicht beirren. „Seht doch seine Augen! Seine Haut! Er kann nicht menschlich sein!“ Vandell starrte den alten Mann beleidigt an. Er packte Shoun am Kragen seiner Robe und zischte: „Hör mir jetzt gut zu! Ich habe heute nicht unbedingt gute Laune, klar? Ich habe vor vier Tagen zweihundert Männer getötet. Wenn du noch einmal das Wort ‚Dämon’ erwähnst, erhöhe ich die Zahl auf zweihundert und eins. Verstehen wir uns?“ Er ließ Shoun wieder los. Der alte Mann wurde blass und machte wieder Anstalten, etwas zu erwidern, aber eine der Frauen kam ihm zuvor. „Shoun, du Idiot! Lass den Ärmsten doch in Ruhe!“ Sie lächelte Vandell an. „Ihr müsst ihm verzeihen, mein Lord, er ist nicht mehr ganz bei Sinnen.“ Vandell verdrehte wieder die Augen. „Verzeiht, aber ich weiß nicht, wie ich Euch sonst ansprechen soll, mein Lord!“, entschuldigte sich die Frau schnell. Vandell unterdrückte ein resigniertes Seufzen. „Vandell.“, meinte er etwas sanfter. Die Frau nickte. „Ich bin Verena. Dies ist meine Tochter Akari...“ Sie deutete auf die jüngere Frau. „... mein Schwiegersohn Jerkin, meine Enkel Ryoga, Hiko und Arras...“ Sie deutete nach der Reihe auf die entsprechenden Personen. „... und meine zukünftige Enkelin Mikarai.“ Das Mädchen nahm vorsichtig Ryogas Hand und lächelte schüchtern. Vandells Gesicht verdüsterte sich, als Ryoga Mikarai sacht küsste. Er sah wieder zum Meer. Unwillkürlich dachte er an Hynes Kuss und senkte den Blick. Seine Augen wurden feucht, aber er blinzelte die Tränen schnell weg. Verena schien das zu bemerken. Sie drehte sich um und rief ihren Leuten zu: „Steht hier nicht herum. Bereitet das Abendessen vor. Wir werden hier bleiben.“ Die Männer und Frauen gehorchten. Verena drehte sich wieder zu Vandell um. „Ich sehe viel Schmerz in Eurer Aura, Vandell. Möchtet Ihr mir sagen, was Euch so bedrückt?“, fragte sie. Vandell schüttelte den Kopf. „Ich will dich nicht mit meinen Problemen belasten.“, meinte er traurig lächelnd. Verena legte ihre Hand auf seinen Arm. „Es belastet mich nicht. Ich möchte Euch nur helfen.“, sagte sie.
Vandell streifte ihre Hand ab und ging zu den Klippen. Er wollte einer völlig fremden Frau nicht seine Probleme anvertrauen. Verena gab aber nicht auf. „Es ist wegen einer Frau, nicht wahr?“, fragte sie leise. Vandell starrte auf das Meer und nickte langsam. „Die Schöpferin?“, forschte Verena weiter. Vandell sah überrascht auf. „Woher weißt du von ihr?“, wollte er wissen. Verena lächelte. „Eine Sage bei uns berichtet von ihr und ihrem tapferen Ritter. Ich dachte es mir, als ich Euch von weitem gesehen habe. Eure Aura ist so rein wie keine andere, die ich bisher gesehen habe.“ Vandell sah wieder auf das Meer hinaus. Die Sonne war bereits im Begriff unterzugehen.

Galuf
25.10.2003, 16:40
„Wieso seid ihr hier?“, fragte er nach einer Weile, um vom Thema abzulenken. „Hier halten sich sonst keine Menschen auf.“ Verena sah zu Boden. „Wir... sind Flüchtlinge. Vor zwei Wochen wurde unser Dorf angegriffen. Nichts, was Euch interessieren könnte.“ Ihre Stimme klang sonderbar rau. Vandell überlegte. Auf dem östlichen Kontinent waren vor einiger Zeit kleinere Scharmützel gemeldet worden. „Ihr stammt vom östlichen Kontinent?“, fragte er vorsichtig. Verena nickte. „Ich spüre, dass sie uns noch immer verfolgen. Mikarai war an einen ihrer Anführer versprochen, aber Ryoga wird sie nicht gehen lassen. Ich fürchte, dass er etwas Dummes tut, wenn sie hierher kommen.“ Vandell sah zu Ryoga und Mikarai hinüber. „Wo hat er so zu kämpfen gelernt?“, fragte er Verena. Sie lächelte stolz. „Er hat es sich selbst beigebracht. Niemand zuhause konnte ihn schlagen.“ Vandell nickte. Ryoga hatte eine außergewöhnliche Begabung für den Schwertkampf. Sein Stil war Vandells eigenem ähnlich. „Glaubst du, dass er sich von mir ausbilden lassen würde?“, fragte er Verena nachdenklich. Sie blinzelte. „Von Euch? Natürlich würde er! Die Legenden des Hexenritters haben ihn schon immer fasziniert!“ Sie seufzte. „Das einzige Problem ist, dass wir nie an einem Ort bleiben können. Sie würden uns finden.“ Sie machte ein finsteres Gesicht. „Aber lange können wir nicht mehr weiter.“ Vandell sah wieder zu der kleinen Gruppe hinüber. „Das braucht ihr auch nicht.“, entschied er schließlich. Verena sah ihn verständnislos an. Ohne ein weiteres Wort ging Vandell zu den Felsen hinüber und berührte eine getarnte Stelle an einem großen Felsbrocken. Ein kleiner Monitor wurde sichtbar. Aus einem getarnten Mikrofon drang eine freundliche Stimme: „Bitte geben Sie Ihren Zugangscode ein.“ Verschiedene Symbole wurden auf dem Monitor sichtbar. Vandell berührte sie in einer bestimmten Reihenfolge und beugte sich vor, um die Netzhautkontrolle vornehmen zu lassen. „Warnung!“, ertönte die Stimme. „Nicht registrierte Personen befinden sich im unmittelbaren Umkreis.“ Vandell richtete sich wieder auf. „Schon gut. Sie stellen keine Bedrohung dar. Sie werden mich begleiten.“, meinte er kühl. Ein Piepsen war zu hören, dann wurde der Eingang zur Stadt enttarnt. Ein kurzes Aufflackern zeigte, dass das Kraftfeld außer Kraft war.
Als Vandell sich wieder umdrehte, starrten die Menschen mit offenem Mund den Eingang an. „Ich würde vorschlagen, ihr fangt an zu packen. Eure Freunde werden gleich hier sein.“ Er trat zur Seite und machte eine einladende Geste. „Magie!“, entfuhr es Shoun. Er machte wieder seltsame Zeichen vor der Brust. „Nein, nur simple Tarntechnik.“, wiedersprach Vandell. „Aber ihr solltet wirklich gehen. Ein Schiff hat soeben am Strand angelegt. Zwölf Männer werden gleich hier sein.“ Er spürte die Wut in den Männern deutlich. Schnell begann Verena, die zwei Kinder und Shoun zum Eingang zu scheuchen. Mikarai und Akari sammelten hastig ihre Habseligkeiten auf und folgten ihnen, während Ryoga und Jerkin sich wachsam umsahen. Vandell lächelte humorlos. „Ihr könnt ruhig gehen. Ich halte sie noch eine Weile auf.“ Die beiden Männer zogen sich widerstrebend zurück. Vandell atmete tief durch und machte einige langsame, fließende Bewegungen, die seine Muskeln lockerten. Als der Erste der Verfolger aus dem Wald auftauchte, schrie er auf und machte einen grotesken Sprung nach hinten. Seine Kumpane erschraken ebenfalls, als sie Vandell sahen. Die Sonne war fast untergegangen, deshalb schienen Vandells Augen ein bisschen heller zu leuchten. Flüchtig dachte Vandell daran, dass er mit einem wehenden Umhang wohl etwas beeindruckender ausgesehen hatte, aber sein Aussehen schien die Männer auch so schon genug zu schockieren. Als die Männer sich wieder gefangen hatten, trat einer von ihnen vor und zog sein Schwert. „Aus dem Weg, Dämon!“, schrie er Vandell zu. Der konnte deutlich hören, wie Ryoga hinter ihm „Au weia!“ murmelte. Er lächelte dünn. „Was ist, wenn ich nicht aus dem Weg gehe?“, rief er dem Mann zu. Der zuckte zusammen. „Ich habe keine Angst vor dir, Ausgeburt der Hölle! Ich weiß, wie man mit Deinesgleichen umgeht.“ Er hielt plötzlich einen Lederbeutel in der Hand und öffnete ihn. Vandell konnte ein Pulver darin erkennen. Der Mann streute eine Handvoll davon vor sich aus und murmelte einige dunkel klingende Worte. Das Pulver begann zu leuchten und flog auf Vandell zu. Der blieb gelangweilt stehen und machte eine Geste, ehe das Pulver ihn erreichte. Es fiel dicht vor ihm harmlos zu Boden. Vandell vertrödelte seine Zeit nicht mit reden, sondern ging in Angriffsposition. Vier der Männer attackierten ihn gleichzeitig. Vandell setzte über den ersten hinweg, packte die Hand des zweiten, hebelte ihn über die Schulter und setzte ihn mit einem Tritt in den Magen außer Gefecht. Der Mann hielt sich den Bauch und wälzte sich auf dem Boden. Vandell fegte dem nächsten Angreifer die Füße unter den Beinen weg und rammte ihm den Ellbogen ins Kreuz. Zwei waren bereits außer Gefecht. Er wich einem Schwerthieb aus und trat nach der Schwerthand seines Gegners. Der Mann ließ mit einem Schrei seine Waffe fallen. Ein Tritt ins Gesicht ließ ihn mit ein halben Salto zu Boden gehen. Er drehte sich um und sah gerade noch, wie Ryoga den letzten mit einem Fausthieb ins Land der Träume schickte. Der Junge hielt sich die schmerzende Hand und verzog das Gesicht. „Los, verschwinde!“, rief er Ryoga zu, ehe er sich wieder seinen Gegnern zuwandte. Einer der Männer trat vor und näherte sich Vandell vorsichtig. Er hielt einen langen Stab in den Händen. Seine Bewegungen machten deutlich, dass er auch damit umgehen konnte. „Lass es!“, zischte der Mann. „Wir werden sie bekommen, Dämon. Du kannst uns nicht aufhalten!“ Vandell schrie frustriert auf. „ICH BIN KEIN DÄMON, VERDAMMT NOCH MAL!“, brüllte er. „Okay, ich bin vielleicht ein bisschen älter als ihr alle zusammen, und ich sehe auch ein wenig anders aus als ihr, aber ich bin ein MENSCH!“ Er verpasste einem der Männer, die vor ihm auf dem Boden lagen, einen Tritt, als er sich bewegte. „Dem nächsten, der mich Dämon nennt, werde ich ernsthaft wehtun, klar?“
Der Mann mit dem Stab grinste. „Du kannst die Wahrheit nicht verbergen. Du kennst den Eingang zur Hölle, und du willst die Braut unseres Häuptlings dorthin entführen. Wenn du kein Dämon bist, musst du der Teufel persönlich sein!“ Vandell fing einen beidhändig geführten Hieb des Mannes ab und entriss ihm den Stab. Er wirbelte den Stab ein paarmal herum und schlug ihn dem Mann so hart gegen die Kniekehlen, dass er einen Salto machte und stöhnend liegen blieb. Lächerlich. Wie wollten diese Männer Vandell mit Waffen besiegen, die er selbst erfunden hatte? Vandell warf den Stab weg und drehte sich um Ryoga stand noch immer hinter ihm und hatte den kurzen Kampf mit offenem Mund beobachtet.„Gehen wir.“, meinte Vandell, ohne die restlichen Männer zu beachten. Er ging gemächlich zum Eingang, wo der Rest der Familie wartete. Ryoga folgte ihm schnell. Im Inneren des Korridors legte Vandell seine Hand auf ein blaues Display und verschloss so den Eingang.
„Ich... ich weiß nicht, ob... ob wir das annehmen können. Ich meine...“, meldete sich Verena. Vandell schnitt ihr mit einer unwilligen Geste das Wort ab. „Meinetwegen könnt ihr auch hier bleiben. Allerdings wäret ihr in meinem Palast besser aufgehoben.“ Überraschenderweise war es Akari, die sein Angebot annahm. „Habt Dank. Aber wirklich nur, wenn es keine Umstände macht. Und wir werden auch nicht lange bleiben.“ Vandell lächelte dünn. „Ach? Und wohin wollt ihr gehen? Ihr könnt nicht mehr zurück.“ Die Familie schwieg.
Vandell drehte sich um und drückte auf einem weiteren Schaltpult einige Knöpfe. Eine Liftplattform wurde heraufgeholt. Normalerweise nahm er die Treppe, aber Vandell wollte das diesen erschöpften Menschen nicht zumuten. Er trat auf die Plattform und winkte den unentschlossenen Menschen, ihm zu folgen. „Geben Sie bitte Ihr Ziel an.“, erklang wieder die freundliche Computerstimme. Ohne zu zögern antwortete Vandell. „Platz der Schöpferin.“ Der Lift setzte sich sofort in Bewegung. Durch die durchsichtige Plattform kam der Boden schnell näher. Abrupt änderte der Lift seine Richtung und setzte seinen Weg durch einen horizontalen Korridor fort. Direkt unter dem Platz der Schöpferin öffnete sich ein Loch in der Decke. Der Lift glitt nach oben und stoppte.
Die Flüchtlinge sahen sich staunend um und folgten Vandell eilig, der sich bereits auf Hynes Palast zu bewegte. Er stieß das Tor auf und durchquerte rasch die erste Halle. Er bedeutete seinen Gästen zu warten und entschuldigte sich: „Ich muss nur schnell etwas holen. Ich werde eine Dienerin schicken, die sich um euch kümmert.“ Er ging weiter und blieb dann vor Hynes Schlafzimmer stehen. Er atmete einige Male tief durch und ignorierte die Geräusche, die aus dem Zimmer drangen, als er die Tür öffnete. Er beachtete Hyne und ihren Liebhaber gar nicht, die erschrocken zusammenfuhren und sich hastig trennten, sondern hob sein Schwert vom Boden auf und wollte wieder gehen. Hyne kleidete sich mittels Magie schnell an und stand auf. „Warte!“, rief sie ihm nach, als er das Zimmer verließ. „Was... was machst du hier?“ Vandell schnallte sich das Schwert wieder um und sah sie an. „Wonach sieht es denn aus?“, fragte er. Hyne starrte ihn wütend an. „Du bist nur hier, um dein verdammtes Schwert zu holen?“, schrie sie. Vandell hob eine Augenbraue. „Weshalb sollte ich sonst hier sein?“, fragte er kühl. Er drehte sich um, ohne ihre Antwort abzuwarten. Hyne lief ihm nach, als er zu der Halle zurückging.
„Du kannst doch nicht einfach so wieder gehen!“, rief sie ihm nach. „Ich will mit dir reden.“ Vandell blieb stehen. „Ich aber nicht mit Euch, Milady.“, erwiderte er leise. Hyne packte seine Schulter, aber er schlug ihre Hand weg. Er wirbelte herum und sah ihr tief in die Augen. „So etwas Schäbiges hätte ich nicht von Euch erwartet!“, zischte er. „Noch dazu nach dem, was Euch vor vier Tagen zugestoßen ist.“ Hyne trat einen Schritt zurück. „I-ich weiß, ich hätte es nicht tun sollen, aber...“ Sie schluckte und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. „Bist du sehr böse? Ich... ich würde es verstehen wenn... wenn du mich... hassen würdest.“, presste sie hervor. Vandell ließ sich nicht von ihren Tränen rühren. Diesmal nicht!
„Ich weiß es nicht, Milady.“, antwortete er ehrlich. „Ich brauche etwas Zeit, um darüber nachzudenken. Allein.“ Er drehte sich wieder um und setzte seinen Weg fort. Er hörte, wie Hyne hinter ihm zusammenbrach und weinte. Es zerbrach ihm das Herz, aber er blieb hart. Er befahl einer Dienerin, sich um ihre Herrin zu kümmern, und einer weiteren, sich um seine Gäste zu kümmern. Dann zog er sich zurück.

Er öffnete die Augen wieder und atmete tief durch. Nach einiger Zeit erhob er sich ungelenk und setzte sich auf das große Bett. Er stützte den Kopf mit einer Hand und starrte auf einen Punkt irgendwo hinter der Wand. Langsam streifte er den Umhang ab und warf ihn in eine Ecke.
Seine Träume hatten ihn also nach so vielen Jahren wieder eingeholt. Es musste einfach eine Vision gewesen sein, als Hyne plötzlich hinter dem jungen Ritter aufgetaucht war.
Sie war vor langer Zeit in seinen Armen gestorben.
Sie war tot!
Und doch...
Er ließ sich nach hinten sinken und starrte die Decke an.
Sie hatte genau so ausgesehen, wie er sie in Erinnerung hatte. Ihre roten Augen, die schneeweiße Haut, das seidige, weiche Haar,...
Vandell seufzte. Er erhob sich und ging langsam zu einer schmalen Tür, die in eine große Halle führte, welche niemand außer ihm selbst je betreten hatte. Große Kristalleuchter spendeten ein mildes Licht. An den Wänden hingen Bilder in den verschiedensten Größen, manche wirkten düster, manche fröhlich, und alle waren so lebensecht gezeichnet, dass man sich fragte, wieso sie nicht anfingen zu sprechen. Einige waren kaum mehr als Skizzen, doch gerade diese Bilder gefielen ihm am meisten.
Vandell sah sich um. Alle diese Bilder hatte er selbst gezeichnet. Er seufzte wieder. Die Bilder im vorderen Teil waren größtenteils Landschaftszeichnungen. Er war manchmal heimlich an die Oberfläche gegangen und hatte Sonnenuntergänge gezeichnet. Manchmal hatte er auch die Menschen in der Stadt gezeichnet, wie sie einfach ihr Leben lebten. Von einem Turm seines Tempels, wo ihn niemand sehen konnte. Diese Zeichnungen drückten seinen Wunsch aus, einer von ihnen zu sein, ein normaler Mensch zu sein, der sich nicht um das Wohl eines Volkes kümmern musste. Wie oft hatte er sich gewünscht, ein normaler Mann zu sein, mit einem normalen Beruf, vielleicht auch einer hübschen Frau und Kindern...
Doch dann hatte er wieder an Hyne gedacht. Und er hatte gewusst, dass er niemals ein normales Leben führen könnte, weil er zu ihr gehörte. Weil er sie liebte.
Manchmal hatte er Stunden in Hynes Schlafgemach verbracht und sie im Schlaf gezeichnet. Ihr entspanntes Gesicht, ihr langes Haar, das teilweise ihr Gesicht verdeckte, ihr wundervoller Körper, der sich unter der dünnen Decke abzeichnete... Manchmal hatte Vandell sie dafür verflucht, dass sie ihn als ihren Ritter geschaffen hatte. Er hatte oft neben ihrem Bett gesessen und sie beobachtet. Sein Verlangen nach ihr war mit jedem Mal größer geworden, und doch hatte er einfach zugesehen, wie sie oft andere Männer zu sich genommen hatte. Vandell hatte sich lange eingeredet, dass es ihm egal wäre. Doch jedes Mal, wenn er neben ihrem Bett saß und sie im sanften Schein der Kerzen betrachtete, flammte seine Liebe zu ihr so heftig auf, dass es schmerzte.
Die gegenüberliegende Wand der Galerie wurde von einem schweren Samtvorhang verborgen. Vandell überlegte, ob er auch die Bilder, die dahinter verborgen waren, betrachten sollte, entschied sich aber dagegen. Seine Erinnerungen wurden durch die anderen Zeichnungen schon unangenehm geweckt.
Er schloss die Augen und kämpfte wieder gegen die Tränen an. Abrupt drehte er sich um, knallte die Tür zu...
...und prallte erschrocken zurück, als er die Gestalt bemerkte, die ihn aus dem Halbdunkel des Schlafzimmers beobachtete. Für einen Moment weigerte er sich einfach zu erkennen, wer sich in den Schatten versteckte, aber als Hyne ins Licht trat, wurden seine Augen wieder feucht. Er schloss die Augen.
„Ihr seid nicht wirklich hier!“, flüsterte er schwach. Ein helles Lachen ertönte zur Antwort. Vandell spürte, dass Hyne nun dicht vor ihm stand. Er öffnete die Augen. Hyne lächelte ihn warm an. Sein Widerstand schmolz bei diesem Lächeln dahin. Als sie seine Wange berührte, brach er zusammen. Er rutschte langsam an der Wand zu Boden und blieb kurz so sitzen, ohne wegzusehen. Dann beugte er sich vor, umfing ihre Knie mit den Armen und begann zum ersten Mal in seinem langen Leben zu weinen. All die Tränen, die er so lange zurückgehalten hatte, brachen nun aus ihm hervor. Hyne strich mit beiden Händen beruhigend durch sein Haar. Sie sank ebenfalls auf die Knie und nahm ihn in die Arme. „Weißt du, du siehst niedlich aus, wenn du weinst!“, flüsterte sie sanft.
Jetzt prallte Vandell erschrocken zurück. Es tat so gut, sie auf so vertraute Art und Weise zu berühren, aber sein Schmerz über seine unerwiderte Liebe und seine Angst hatte ihn über die Jahre noch verschlossener gegenüber diesen... Zärtlichkeiten gemacht, als er es schon sein ganzes Leben lang gewesen war. Hastig stand er auf und trat einen Schritt zurück. Hyne erhob sich ebenfalls.
Eine Weile wagte Vandell nicht, etwas zu sagen, aus Angst, er könnte aus diesem süßen Traum wieder erwachen. Sie war so wunderschön, wie er sie in Erinnerung hatte; Ihr hüftlanges Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern. Ein langes Kleid mit einem hohen Schlitz an der Seite schmiegte sich an ihre Gestalt. Vandell konnte einfach nicht anders, als sie anzustarren.
Hyne lächelte. „Du bist noch immer so schüchtern wie früher.“, sagte sie. Vandell errötete leicht. Er sagte noch immer nichts. „Warum so still? Hast du mir nichts zu sagen, nach all der Zeit?“, fuhr Hyne fort.
Oh doch... ich möchte dir so vieles sagen, aber... , dachte Vandell schaudernd. Verlegen sah er zu Boden. Hyne ging achselzuckend an ihm vorbei. Vandells Herz schlug schneller, als sie dicht an ihm vorbei huschte. Zu spät bemerkte er, dass sie sich auf die Gemäldegalerie zu bewegte. Erst, als sie die Tür öffnete, reagierte er, aber es war schon zu spät. Hyne trat in die Galerie und sah sich staunend um. Sie ging an den ersten Bildern vorbei und blieb bei den Zeichnungen stehen, die sie selbst zeigten. Vandell wagte nicht, ihr ins Gesicht zu sehen, als sie sich zu ihm umdrehte.
„Das ist wirklich...“, begann sie, doch sie brach sofort ab, als sie Vandells unglücklichen Gesichtsausdruck bemerkte. „Was ist los?“, fragte sie ihn sanft. Vandell sah an ihr vorbei, als er sagte: „Ihr... solltet das hier nicht sehen. Ich... ich meine...“ Er brach ab und sah sie verlegen an.
Hyne lächelte amüsiert. „Oh, es stört mich nicht, dass du mich gemalt hast, wenn du das meinst!“, meinte sie. Vandell schüttelte den Kopf. „Ja! Nein!... Es ist nur...“ Er brach wieder ab. Sein Blick glitt nervös über den Vorhang an der Wand auf der anderen Seite. Hyne bemerkte seinen Blick natürlich. Sie drehte sich wieder um und schob den Vorhang mittels Magie zur Seite.
„Nein!“, rief Vandell erschrocken, doch es war schon zu spät. Hyne starrte auf die Bilder, die zum Vorschein gekommen waren. Sie sah sich selbst und Vandell, sie küssten sich auf den meisten Bildern wie ein Liebespaar, oder sie hielten sich einfach an den Händen, oder sie selbst lag in seinen Armen...
Hyne war überwältigt von der Schönheit der Bilder. Sie trat näher an eines der Bilder und sah es genauer an. Es war noch nicht fertig, aber trotzdem wunderschön. Vandell schien auf dem Bild zu lächeln, während er sie küsste. Es wirkte so... so natürlich, dass es beinahe schmerzte. Hyne berührte das Bild sanft und drehte sich dann wieder um. Ihr fiel auf, dass sie Vandell noch nie lachend und nur selten lächelnd gesehen hatte.
Vandell trat einige Schritte zurück und lehnte sich gegen die Wand. Seine Hände zitterten, und eine sehr intensive Röte legte sich über sein Gesicht. Als Hyne ihn ansah, zuckte er unmerklich zusammen. Scheinbar gelassen blieb Hyne vor ihm stehen und musterte ihn schweigend.
„Denkst du, wir würden das auch so gut hinkriegen?“, fragte Hyne schließlich. Vandell starrte sie an. Er hörte zwar ihre Worte, aber er verstand sie nicht. „Was?“, fragte er vorsichtig.
Statt zu antworten, nahm Hyne seine Hände und legte sie um ihre Taille. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und näherte ihre Lippen seinen...
Vandells Puls raste, und seine Hände pressten sie beinahe automatisch gegen ihn. Seine Knie wurden weich, als ihre Lippen seinen Mund berührten. Zuerst waren ihre Küsse kurz, beinahe schüchtern, doch dann, als er ihre Küsse zaghaft erwiderte, schmiegte sie sich enger an ihn und küsste ihn so lange, bis er sich von ihr losriss und einige Schritte zurücktaumelte. Er hob eine Hand an die Lippen und starrte sie mit großen Augen an. Hyne war selbst überrascht. Sie betrachtete Vandell genauer: Er stand vor ihr, zitterte am ganzen Leib, als hätte er Fieber. Seine Augen leuchteten, aber in seinem Blick lag auch eindeutig Angst. Angst vor den Gefühlen, die er so lange unterdrückt hatte, und die jetzt aus ihm hervorzubrechen drohten.
„Keine Angst.“, flüsterte Hyne. Sie streichelte sanft seine Wange und küsste ihn noch einmal. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich eng an ihn. Als sie ihren Mund wieder von seinem löste, sah sie, dass er wieder weinte. „Was ist denn?“, fragte sie erschrocken. Vandell lächelte. „Ich liebe dich...“, flüsterte er ihr ins Ohr. Hynes Herz setzte für einen Moment aus. So lange hatte sie darauf gewartet, dass er diese Worte sagte...

Galuf
25.10.2003, 16:43
Sie nahm lächelnd seine Hand und führte ihn in sein Schlafgemach. Er widersetzte sich ihr nicht. Schweigend blieb er vor dem Bett stehen. Unwillkürlich fiel ihm auf, dass er ungewollt sein Schlafzimmer sehr... romantisch eingerichtet hatte. Nur die flackernden Kerzen erhellten den Raum, in dem sich außer dem Bett nur wenige Möbel befanden. Die vorherrschende Farbe war ein dunkles Rot; Hynes Lieblingsfarbe. Vandell zuckte zusammen, als Hyne ihn berührte. Sein Herz raste, und beinahe hätte er sie einfach auf das Bett geworfen, sie in die weichen Kissen gedrückt, und sie wieder und wieder geküsst...
Hyne strich mit einer Hand über sein glänzendes, dunkles Haar und begann mit der anderen, sein Hemd aufzuknöpfen. Ihre Hand glitt über die Narbe, von seiner Stirn bis dicht über seinem Herzen.
„Woher kommt diese Narbe?“, fragte sie leise. Vandell sah an ihr vorbei und errötete leicht. Er zog ihre Hand weg. „Einer meiner... Nachfolger... hat dich vor langer Zeit beleidigt.“, flüsterte er mit rauer Stimme. Hyne sah ihn erstaunt an.
„Du hast gegen ihn gekämpft?“, vermutete sie.
„Ich habe ihn getötet!“, verbesserte er sie. Schockiert trat Hyne einen Schritt zurück. Sie legte eine Hand auf ihren Mund.
„Du hast einen deiner Söhne getötet? Meinetwegen?“, flüsterte sie ungläubig. Vandell sah ihr in die Augen. „Ich wusste nicht, was ich tat. Ich war damals wahnsinnig vor Schmerz, weil ich dich verloren hatte. Ich...“ Er verstummte. Offenbar sprach er nicht gerne davon.
Hyne umarmte ihn wieder. „Schon gut! Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst.“ Sie küsste ihn sanft. Dann presste sie ihre Lippen auf seine Stirn, auf die Stelle, wo die Narbe begann. Ihre weichen Lippen wanderten nach unten, immer der Narbe entlang. Vandell stöhnte leise. Als sie mit der Hand noch einmal die Narbe berührte, verschwand sie urplötzlich.
Zu ihrer Überraschung schob er sie jedoch wieder weg. „Bitte... ich... ich kann das nicht...“, stammelte er unsicher. Hyne ließ sich aber nicht abschütteln. „Etwas sagt mir, dass du es doch kannst!“, meinte sie lächelnd, als sie ihn wieder umarmte. Vandell wollte sie wieder wegschieben, aber seine Hände gehorchten ihm nicht. Er zitterte am ganzen Leib, als sie sich, noch immer lächelnd, an ihn schmiegte.
Hyne küsste ihn wieder, und glücklich registrierte sie, dass er ihren Kuss jetzt ohne Scheu erwiderte.
Er legte seine Arme um ihren Körper und drückte sie so fest an sich, als wolle er sie nie wieder loslassen. Seine Hände liebkosten ihren Körper, seine sanften und doch so starken Berührungen machten sie beinahe wahnsinnig. Hyne stöhnte leise, als er den Verschluss ihres Kleides öffnete und es über ihre Schultern zu Boden gleiten ließ. Sie schmiegte sich noch enger an ihn und riss ihm beinahe die Kleider vom Leib. Als er sie wieder küsste, beugte er sie leicht zurück. Hyne klammerte sich an ihm fest, als würde sie sterben, wenn sie ihn losließ. So lange... sie hatte so lange auf ihn gewartet! Sie hatte ihr Verlangen nach ihm nie befriedigen können, trotz ihrer hunderten Liebhaber. Immer, wenn sie ihn gesehen hatte, war ihre Sehnsucht noch größer geworden.
Und jetzt war er hier bei ihr, hielt sie in seinen starken Armen und küsste sie, so zärtlich und doch leidenschaftlich... Hyne gab einen erstickten Schrei von sich, als seine Hand tiefer glitt und sie an noch fester an sich drückte. Sie spürte seine Erregung deutlich, als er die weiche Haut an ihrem Hals küsste und sie auf das Bett legte.
„Ich liebe dich!“, flüsterte sie atemlos. Vandell fuhr fort, jeden Zoll ihrer zarten Haut zu küssen. „Ich liebe dich auch. Ich liebe dich, seit ich dich zum ersten Mal sah.“, gab er ebenso leise zurück. Er küsste sie wieder. Und wieder...

Rinoa brach hastig die Verbindung zu Hyne ab, die diese vor ihrem Verschwinden zu Rinoa aufgebaut hatte. Rinoa hatte alles beobachtet, was vorgefallen war, und es Squall erzählt, der sich bei ihr aufhielt. Aber was die beiden jetzt vorhatte, ging nun wirklich nur sie etwas an!
Die Bilder verschwammen rasch vor ihren Augen. Sie sah Squall an, der ihr gegenüber saß, und wurde rot, als sie daran dachte, was die beiden gerade machten.
„Was ist los?“, drang Squalls Stimme in ihre Gedanken. Sie schüttelte den Kopf. „Nichts!“, behauptete sie. Squalls helle Augen zeigten deutlich, dass er ihr nicht glaubte. Aber dann stand er achselzuckend auf. „Du willst es nicht wissen!“, versicherte Rinoa ihm. Er grinste. „Will ich nicht?“, fragte er. Rinoa schüttelte den Kopf. Squall nickte und sah zum Meer hinunter.
Das war auch einer der vielen Gründe, warum sie ihn liebte. Er wusste genau, wann er nicht weiter fragen durfte.
„Ich finde es schön, dass sie endlich zueinander gefunden haben.“, meinte sie lächelnd. Squall lächelte zurück. Rinoa liebte dieses Lächeln.
„Na ja, sie haben sich auch lange nicht gesehen.“, sagte er. Rinoa legte ihre Arme um seinen Hals. „Ich weiß gar nicht, ob ich es ohne dich so lange aushalten könnte. Die letzten beiden Monate waren schon schlimm genug!“, sagte sie leise. Squall küsste sie sanft. „Jetzt bin ich ja hier!“, erwiderte er.
Rinoa legte ihren Kopf an seine Schulter. „Ja. Gott sei dank!“ Sie sah in die Ferne, zum Meer, und dachte an Hyne und Vandell.
So standen sie einige Zeit, ehe sich Cifer zu ihnen gesellte.
„Nein, ist das nicht süß?“, grinste er. Squall ließ Rinoa nicht los, als er sich zu Cifer umdrehte. „Was willst du?“, fragte er. Seine Stimme klang diesmal nicht ganz so eisig wie sonst, wenn er mit Cifer sprach. Cifers Grinsen erlosch. Der großgewachsene, blonde Krieger funkelte ihn an. „Eine Erklärung!“, erwiderte er scharf. „Die anderen mögen sich ja damit abfinden, dass du sie hinhältst, aber ich will wissen, was es mit dieser rotäugigen Hexe und diesem Typ, der aussieht wie du, auf sich hat!“ Seine Stimme zitterte unmerklich. Er sprach nicht gerne mit Squall, wenn es nicht unbedingt sein musste, seit... nun, seit er ihn das letzte Mal besiegt hatte. Normalerweise beruhte das auf Gegenseitigkeit.
Aber seit Squall diese Armee von Hexenrittern gesehen hatte, fühlte er sich mit Cifer irgendwie verbunden. Immerhin war er Artemisias Hexenritter gewesen.
Cifer wartete immer noch auf seine Antwort. Langsam wurde er sichtlich nervös. Geduld war noch nie seine Stärke gewesen. Squall seufzte und ließ Rinoa los.
„Du kennst doch die Legende vom Schöpfer Hyne?“, fragte er. Cifer nickte langsam. Seine Augen sagten deutlich: Und was hat das mit meiner Frage zu tun?
„Nun, diese ‚rotäugige Hexe’ war Hyne.“, fuhr Squall fort.
Cifers Kinnlade klappte nach unten. „Wie?“
Squall lachte kurz. „Außerdem ist sie so etwas wie Rinoas Mutter. Sie war die erste Hexe überhaupt. Und was diesen ‚komischen Typen’ angeht; sein Name ist Vandell, und er ist ihr Hexenritter.“
„Also quasi unser Papi, wie?“, grinste Cifer. Er lachte laut auf. „Und du erwartest, dass ich das glaube?“, fragte er bissig. „Diese wandelnde Leiche soll...“
Weiter kam er nicht. Squalls Schlag kam so schnell, dass Cifer keine Chance hatte, ihm zu entgehen. Als er sich wieder aufrichtete, lief Blut aus seiner Nase, und sein Auge fühlte sich etwas geschwollen an. Squall stand mit blitzenden Augen und geballten Fäusten vor ihm, als wollte er noch einmal zuschlagen.
„Es ist mir egal, wenn du mich auslachst. Aber wenn du noch einmal Hyne beleidigst, werde ich dich eigenhändig umbringen!“, zischte er mühsam beherrscht.
Cifer trat schaudernd einen Schritt zurück. Solche Gefühlsausbrüche war er von seinem Gegenüber nicht gewöhnt. Normalerweise war Squall die Ruhe in Person und ignorierte solche Bemerkungen nach Kräften! Noch vor einem Jahr war er den anderen Schülern im Garden völlig emotionslos erschienen, und jetzt verteidigte er eine Frau, die er noch nicht einmal einen Tag lang kannte, wie ein wildes Tier!
Cifer wich noch einen Schritt zurück, als er in Squalls Augen sah. Eigentlich hatte Cifer vor nichts Angst, aber etwas in Squalls Blick sagte ihm, dass dieser seine Drohung wahr machen würde.
Eine Weile blieb die Situation noch angespannt, bis Rinoa Squall beruhigend eine Hand auf die Schulter legte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Squall entspannte sich allmählich und nahm widerstrebend die Hände herunter.
Cifer zog es vor, schnell zu verschwinden.
Als sie wieder allein waren, wandte sich Rinoa wieder Squall zu.
„Was soll das?“, fragte sie ihn leise. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“, gab er zu, „Aber als er Hyne beleidigt hat, da...“ Rinoa legte ihre Hand auf seine Wange. „Schon gut.“, sagte sie leise. Sie blickte in die Richtung, in die Cifer verschwunden war. „Ich kann ihn sowieso nicht leiden.“, fügte sie grinsend hinzu.

Einige Kerzen brannten noch, als Hyne wieder erwachte. Sie fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr. Sie nahm ihre ganze Umwelt intensiver wahr als vorher. Sie spürte deutlich das kühle Laken auf ihrem Körper, die Wärme, die von der schlafenden Gestalt neben ihr ausging... Vandell...
Vandell schlief noch immer. Seine Hände hatte er locker um Hynes Körper gelegt und sie im Schlaf näher an sich gezogen. Hyne richtete sich ein wenig auf und betrachtete ihn. Sein Gesicht war ruhig und entspannt, auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln. Hyne konnte sich nicht erinnern, wann er je so schön ausgesehen hatte. Er war einfach in jeder Hinsicht perfekt: Er sah gut aus, war ein hervorragender Krieger, ein strenger, aber gerechter Mann... und ein wundervoller Liebhaber, wenn auch etwas schüchtern.
Sie küsste ihn sanft und legte seinen Kopf an ihre Brust. Sie streichelte sein dunkles Haar. Es bildete einen hübschen Kontrast zu ihrer hellen Haut. Im Schlaf murmelte er ihren Namen.
Hyne schauderte, als er sich, noch immer schlafend, eng an sie kuschelte. Plötzlich spürte sie, wie er sich verspannte. Sie lächelte, als sie merkte, dass er aufgewacht war und nicht wusste, wie er sich verhalten sollte.
Hyne nahm ihm diese Entscheidung ab, indem sie seinen Kopf ein bisschen fester an ihre Schulter drückte. Sie spürte, wie sich sein Atem um eine Winzigkeit beschleunigte.
„Ich liebe dich!“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Statt zu antworten, nahm er ihre Hand und küsste sie sanft. Hyne sah ihn liebevoll an. Sie konnte in dem dämmrigen Licht nicht viel erkennen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er errötete, als sie ihm die Frage stellte, die ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge lag:
„Vandell... war es etwa dein erstes Mal?“ Zuerst antwortete er nicht. Als er es schließlich tat, zitterte seine Stimme leicht.
„Wieso... willst du das wissen? War ich... nicht gut?“ Hyne lächelte. Sie selbst hatte diese Frage auch gestellt, als ein Junge aus ihrer Heimat ihr die Unschuld genommen hatte. Er hatte ihr damals mit ausgesuchter Grausamkeit erklärt, was sie alles falsch gemacht hatte.
Später war sie sogar darin unterrichtet worden, mit einem Mann zu schlafen! Ihr Vater war der Ansicht gewesen, dass sie keine anständige Ehefrau abgeben würde, wenn sie nicht einmal wusste, wie man einem Mann Freude bereitete.
Hastig verdrängte sie diese Gedanken. Vandell wartete noch immer auf ihre Antwort. Sie schüttelte den Kopf.
„Nein! Es war wunderschön...“ Sie küsste sein weiches Haar. Er zitterte in ihren Armen. Seine Hand rutschte etwas tiefer und drückte sie fester an ihn.
„Vandell... Liebster... war es für dich auch schön?“, flüsterte Hyne. Vandell sah ihr in die Augen.
„Milady... ich bin über 9 000 Menschenjahre alt. Aber ich habe erst heute Nacht begonnen, wirklich zu leben!“, antwortete er ernst.
Hyne küsste ihn. „Es ist gut. Schlafe, mein Geliebter!“, flüsterte sie. Vandell fielen wie auf einen Befehl die Augen zu.
Erst als Hyne sicher war, dass ihr Zauber wirkte, ließ sie Vandell los und stand auf. Sie kleidete sich an und beugte sich noch einmal über den schlafenden Mann. Tränen brannten in ihren Augen. Sie drückte ihre Lippen auf seine Stirn und berührte sanft seine Wange.
„Leb wohl! Es tut mir leid.“, sagte sie, ehe sie weinend zum Ausgang rannte.

Selphie war die erste, die Vandell bemerkte, als er in den Garden stürmte. Er war noch bleicher als einige Stunden zuvor, seine Kleidung war unordentlich, in seinem Blick rang Schmerz mit schierer Verzweiflung. Und die Narbe in seinem Gesicht war verschwunden. Er rannte Selphie beinahe über den Haufen. Als sie ihn erstaunt anstarrte, packte er sie unsanft an der Schulter.
„Wo ist der Hexenritter?“, fuhr er sie an. Seine Stimme klang etwas schrill. Offenbar war er der Verzweiflung nahe.
Selphie wollte sich aus seinem Griff befreien, aber sie erreichte mit ihren Bemühungen nur, dass er sie auch mit der zweiten Hand packte. „Das tut weh!“, schrie sie.
„Antworte mir!“, brüllte er. Selphie schrie noch einmal auf, als er fester zudrückte.
Plötzlich riss jemand Vandell herum und verpasste ihm einen Hieb ins Gesicht, der ihn völlig überraschend traf und zu Boden gehen ließ. Xell zog Selphie von ihm weg und starrte den am Boden kauernden Ritter böse an. Von der Bücherei kamen Irvine und Quistis auf sie zugerannt. Irvine bemerkte sofort die roten Stellen, wo Vandell Selphie gepackt hatte. Beruhigend nahm er sie in die Arme, während sich Quistis neben Xell aufbaute.
Vandell richtete sich mit einiger Mühe wieder auf. Er strich geistesabwesend mit der Hand über das Gesicht. Von Xells Hieb war nicht einmal eine Schwellung zu sehen.
„Was soll das?“, fuhr ihn Irvine an, der die noch immer zitternde Selphie im Arm hielt. Vandell schien erst jetzt zu bemerken, was er gemacht hatte. Er starrte Selphie einige Sekunden an, dann schüttelte er den Kopf und sagte unsicher: „Ich... es tut mir leid! Ich muss den Hexenritter sprechen!“ Seine Erscheinung hatte nichts mehr mit seinem selbstbeherrschten Auftritt einige Stunden zuvor gemein. Offenbar stand er kurz vor einem völligen Zusammenbruch.
Irgendwie tat er den anderen leid.
„Was ist hier passiert?“, ertönte plötzlich Squalls Stimme über die Menge hinweg, die sich um Vandell und die anderen geschart hatte. Er stand beim Lift, aus dem er gerade getreten war. Rinoa war nirgends zu sehen.
Vandell rannte sofort auf ihn zu. Die schaulustigen Kadetten machten ihm hastig Platz.
Als er Squall erreicht hatte, fiel er vor ihm auf die Knie.
„Bitte, hilf mir!“, schluchzte Vandell. „Du bist meine letzte Hoffnung!“ Squall starrte ihn erschüttert an. Hier vor ihm kniete Vandell LaDiganè, der Ritter der Schöpferin Hyne, und weinte? Etwas wirklich Schlimmes musste passiert sein!
Squall zwang Vandell aufzustehen und führte ihn zum Lift. Im ersten Stock brachte er ihn in Squalls eigenes Büro, wo Vandell sich auf ein bequemes Sofa sinken ließ. Hier waren sie wenigstens vor den neugierigen Blicken der Kadetten geschützt.
Squall lehnte sich gegen den Schreibtisch und sah Vandell auffordernd an.
„Was ist los?“, fragte er leise.
Vandell strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und atmete tief durch. Als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, hob er den Blick und sah Squall direkt in die Augen.
„Hyne ist weg!“, sagte er tonlos. Es kostete Squall einige Überwindung, dem Blick des Ritters standzuhalten. Aber er schaffte es. Vandell sah als erster weg. Er wischte sich mit der Hand einmal über die Augen und fragte leise: „Weißt du, wo sie sein könnte?“
Squall schüttelte den Kopf. „Nein. Woher auch?“ Vandell schloss die Augen. „Du hast als letzter Mensch mit ihr gesprochen, darum dachte ich...“ Er verstummte und schwieg eine Weile. Dann sah er Squall wieder an. Diesmal lag Verbitterung in seinem Blick.
„Diese Kleidung... hast du sie von Hyne bekommen?“, fragte er. Verwirrt sah Squall an sich herunter. Er trug noch immer Vandells Sachen.
„Ja, aber...“, begann er, aber Vandell brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Schweigen. „Bevor oder nachdem sie sich dir... hingegeben hat?“, fragte er kühl. Squall ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten.
„Ich habe nicht mit ihr geschlafen!“, zischte er wütend. Er wusste nicht, wieso, aber es machte ihn wütend, wenn jemand Hyne beleidigte. Beinahe hätte er sich auf Vandell gestürzt, obwohl dieser die Hand bereits auf den Griff seines Schwertes gelegt hatte. Squall atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. „Wie kommt Ihr auf diese Idee?“, fragte er ruhig.
Vandell stand auf. Er drehte sich um und wollte gehen, aber Squall hielt ihn zurück. Vandell wirbelte herum und schlug wütend Squalls Hand weg. Seine Augen funkelten.
„Diese •••••••• hat mich nur benutzt! Sie hat ihren Spaß gehabt und ist abgehauen!“, schrie er. Aber selbst Squall konnte hören, dass er seine Worte nicht ernst meinte.
Unsäglicher Schmerz lag in seiner Stimme.
„Das ist nicht wahr! Und Ihr wisst das genauso gut wie ich.“, widersprach er Vandell. „Sie hat nur von Euch gesprochen, als ich sie getroffen habe. Und sie war verzweifelt, weil sie Euch nicht in den Tod folgen konnte.“
„Er hat recht!“, hörte Squall Rinoa hinter Vandell sagen. Sie trat neben ihn und sah Vandell mitfühlend an. „Ich bin mir sicher, dass sie Euch nicht verletzen wollte.“
Vandell starrte sie stumm an. Sie erinnerte ihn wohl an Hyne. „Aber wieso ist sie gegangen?“, fragte er schließlich heiser. Rinoa antwortete nicht.
Vandell drehte sich um und wollte gehen.
Plötzlich erinnerte sich Squall an sein Gespräch mit Hyne.
Es war mir verboten, einen Bann aus meiner Heimat auszusprechen. Beim ersten Mal würde ich einfach sterben. Beim zweiten Mal...
„Vandell!“, rief er aufgeregt. Der Ritter drehte sich um und starrte ihn hoffnungsvoll an. „Wo wurde Hyne damals von ihrem Volk ausgesetzt?“, fragte Squall etwas leiser.

Die Sonne ging auf. Hyne hatte so lange keinen Sonnenaufgang beobachten können. Dieser würde ihr letzter sein.
Die noch schwachen Sonnenstrahlen färbten die Wolken rot, der Himmel schimmerte golden. Die Sterne verblassten am Firnament. In dem riesigen Wald unterhalb des Plateaus, auf dem Hyne sich befand, begannen sich kleine und große Tiere zu regen. Vereinzelt hörte man einen Vogel zwitschern. Der Wind ließ die Blätter des Waldes rascheln. Die Luft schmeckte rein und unberührt. Das goldene Licht der Sonne ließ den Grandidieri- Wald in einem inneren Leuchten erstrahlen.
Aber Hyne konnte diesen Anblick nicht genießen. Jeden Moment würde ihr Vater sie holen. Sie zurückbringen zu ihrem Volk, um sie zu bestrafen, weil sie sein Verbot zweimal missachtet hatte. Die Bestrafung war Hyne egal.
Das einzige, was sie schmerzte, war, dass sie Vandell nie wieder sehen würde.
Sie betete zu ihren Göttern, dass er ihr vergeben würde. Sie selbst schaffte es nicht, ihr zu verzeihen, was sie ihm angetan hatte. Sie wusste, dass es falsch gewesen war, aber sie hatte es nicht verhindern können. Sie hatte so lange auf diesen Augenblick gewartet, und er war so zärtlich gewesen...
Hyne spürte, dass die Sonne ihre Tränen trocknete. Sie erhob sich. Der Wind zerrte an ihren Kleidern und an ihrem Haar. Hyne spürte ihn nicht. Sie spürte nur die immer stärker werdende Aura, die sich hinter ihr bildete. Sie hatte die Aura bereits gespürt, als sie mit dem frey’gen, einem Raumschiff, auf dem Planeten gelandet waren.
Ihr Vater war nicht allein gekommen. Hyne spürte die Anwesenheit ihrer Mutter, die anderen Frauen aus Vaters Harem, einige Diener und...
Sie erstarrte. Auch Trevor war gekommen. Der Adoptivsohn ihres Vaters und alleinige Erbe seines Reiches.
Der Mann, dem sie zur Frau versprochen war.
Sie drehte sich nicht um. Ihr Vater trat auf sie zu. „Du närrisches kleines Kind!“, lachte er leise. Erst jetzt drehte Hyne sich zu ihrem Vater um. Sie starrte ihm so lange in seine golden glühenden Augen, bis er sie schlug. Sie presste die Hand auf ihre brennende Wange. Sie hörte Trevors Lachen.
„Du sehnst dich wohl nach deiner Heimat?“ Es war keine Frage. Hyne antwortete auch nicht. Ihr Vater packte ihren Arm und zwang sie, ihn anzusehen.
Er war ein großer, gutaussehender Mann, mit goldenem Haar und goldenen Augen. Sein Gesicht war so elfenhaft wie das von Hyne, seine Haut war ebenso weiß. Etwas in seinen Augen sagte den Menschen, die mit ihm sprachen, dass er Spaß an den Schmerzen und am Leid Anderer hatte.
Trevor trat hinter ihn. Trevor war das Ebenbild ihres Vaters, obwohl er nur adoptiert war, nur sein Haar war silbrig grau und seine Augen von einem scheußlichen grün. Hyne schauderte, als sie ihn sah.
Ihre Mutter hielt sich im Hintergrund. Hyne hatte ihr Aussehen von ihrer Mutter geerbt. Selbst ihre Augen waren dieselben. Das Haar ihrer Mutter war jedoch eisblau gefärbt. Hynes Mutter trug ein äußerst knappes Kleid, das ihre... körperlichen Vorzüge betonte. Hyne fand, sie sah damit aus wie eine ••••, nicht wie eine Königin. Sie wirkte irgendwie abwesend, als ginge es hier nicht um ihre Tochter.
Ihr Vater lachte. „Du bist so still, Tochter. Hast du deinem Herrn nichts zu sagen?“ Er lächelte grausam. „Oder deinem Verlobten?“ Er schleuderte sie in Trevors Arme. Dieser lächelte ebenfalls. Seine Augen musterten sie gierig. Aber als er versuchte, sie zu küssen, rammte sie ihm das Knie mit aller Kraft zwischen die Beine. Trevor ließ sie mit einem erstickten Keuchen los und krümmte sich vor Schmerz. Als er eine Hand nach ihr ausstreckte, wich Hyne zurück. Sie konnte das unterdrückte Kichern einiger Frauen und Diener hören.
„Du kleine...“ Weiter kam Trevor nicht. Er schnappte nach Luft und versuchte, sich wieder aufzurichten. Hynes Vater lachte laut. „Ich sehe schon, diese Welt hat dir nicht gut getan. Wir werden dich wohl wieder anständig erziehen müssen!“ Er musterte sie mit dem gleichen Blick wie Trevor vor einigen Augenblicken. „Ich werde das selbst übernehmen!“, fügte er heiser hinzu.
Hyne spuckte vor ihm auf den Boden. „Eher werde ich sterben!“, schrie sie. Das Grinsen ihres Vaters wurde noch breiter. „Oh, daran werde ich dich hindern! Das wäre viel zu einfach.“
Hyne wurde übel, als sie sich vorstellte, wie diese Bestrafung aussehen mochte: Sie selbst in einem Kleid wie ihre Mutter, im Bett ihres eigenen Vaters...
Sie glaubte nicht, dass sie nach dieser einen Nacht mit Vandell noch die Berührung eines anderen Mannes ertragen konnte. Erst recht nicht die des Mannes, den sie am meisten verachtete.
„Wer ist Vandell?“, drang plötzlich Trevors Stimme in ihre Gedanken. Hyne zuckte zusammen. Ihr wurde klar, dass er ihre Gedanken gelesen hatte. Sie antwortete nicht. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie ihre Mutter hinter ihren Vater trat. Auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Schadenfreude, wie auf dem ihres Vaters. Eher... Mitleid!
War es möglich, dass ihre Mutter Gefühle für sie empfand?
Sie hörte, wie Trevor seine Frage wiederholte und verschloss ihre Gedanken vor ihm. Ihr Vater grinste sie noch immer an. „Gib dir keine Mühe, Kleiner! Sie wird nicht antworten.“
Trevor packte sie plötzlich an der Schulter und drehte sie zu sich um. Er verdoppelte seine Anstrengungen, ihre Gedanken zu lesen. Hyne verschloss sich noch mehr. Trevor grinste.
„Er ist wohl dein chat’laà?“, fragte er amüsiert. Sie verpasste ihm eine schallende Ohrfeige und riss sich wieder von ihm los. Trevors Grinsen wurde breiter. „Plötzlich so gewalttätig? Das gefällt mir!“
Hyne funkelte ihn an. „Er ist mein del’catá!“, zischte sie. Trevor lachte laut auf.
„Dein Ritter, wie?“, kicherte er. „Ein einfacher Mensch?“ Auch ihr Vater lachte. Einige der Diener kicherten ebenfalls. Aber die meisten der Sklaven blieben ruhig. Hynes Mutter starrte ihren Mann hasserfüllt an. Das überraschte Hyne nun wirklich!
Sie sagte nichts. „Wie auch immer!“, lachte ihr Vater. „Du wirst ihn ohnehin nicht mehr sehen.“ Er überlegte kurz und lächelte dann grausam. „Obwohl, ich könnte ihn mitnehmen und vor deinen Augen foltern! Würde dich das etwas gefügiger machen?“
Hyne erschrak. Ihr Vater würde diese Drohung wahrmachen, wenn sie nicht gehorchte, daran zweifelte sie nicht. Sie sagte nichts mehr, als Trevor sie in die Arme nahm und sie küsste.
Plötzlich sackte Trevor zusammen und ließ sie los. Hyne fiel auf die Knie und starrte ebenso wie er ungläubig auf den immer größer werdenden Blutfleck auf seinem schneeweißen Gewand. Aus seiner Brust ragte die Spitze eines schwarzen Schwertes.
„Nein... doch nicht so!“, krächzte er.
Vandell zog Soulkiller aus Trevors Körper. Die Leiche fiel vor ihm zu Boden.

Vandell kochte innerlich, als er diese Ratte von einem Mann niederstreckte, der es gewagt hatte, Hyne zu küssen. Er hatte genau gehört, was diese Männer zu Hyne gesagt hatten, und er hatte auch gehört, dass der Jüngere ihn selbst als chat’laà beschimpft hatte. Die ungefähre Übersetzung dieses Wortes war ‚Sklave’.
Im Sinne von ‚Liebesdiener’.
Aber am meisten hatte ihn der ältere Mann, der wahrscheinlich Hynes Vater war, erzürnt, als er von einer Bestrafung gesprochen hatte. Für die Blicke, die er dabei Hyne zugeworfen hatte, würde Vandell ihn töten.
Als die Leiche des jüngeren Mannes vor ihm im Gras lag, beruhigte sich Vandell soweit, dass er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Er rammte das Schwert in den Boden und kniete sich vor Hyne nieder, um sie zu umarmen. Sie klammerte sich schluchzend an ihn.
„Was machst du hier?“, flüsterte sie. „Sie werden dich töten!“ Vandell drückte sie fester an sich.
„Das sollen sie mal versuchen!“, beruhigte er sie. Er spürte, dass ihr Zittern tatsächlich etwas nachließ. Sie sah ihn an und küsste ihn innig. Sie legte ihre Arme um seinen Nacken und schmiegte sich eng an ihn. Vandell erwiderte ihren Kuss ebenso stürmisch, wobei ihm das Herz bis zum Hals klopfte. Am Rande bemerkte er, dass die beiden Ritter, die ihn begleiteten, sich zwischen ihn und Hyne und ihren Vater stellten.
Cifer, der blonde Junge, sprühte nur so vor Vorfreude auf den Kampf. Der andere, Squall, war nur wenig beherrschter. Beide zogen ihre Waffen.
Vandell ließ Hyne los. „Das ist Wahnsinn!“, versuchte sie es abermals. „Du kannst sie nicht besiegen!“ Vandell küsste sie sanft auf die Stirn, packte seine Waffe und trat zu den beiden anderen Rittern. Er wusste, dass er von Hyne keine Hilfe erwarten durfte. Sie konnte ihre Magie nicht gegen ihr eigenes Blut einsetzen.
Ihr Vater starrte ihn an. Seine Augen funkelten. Und das nicht nur sprichwörtlich.
„Packt sie!“, brüllte er seinen Dienern zu. Sie gehorchten ihm sofort. Einige von ihnen kämpften ohne Waffen, einige hielten plötzlich gefährlich aussehende Fernwaffen in den Händen, aber die meisten kämpften mit Schwertern oder ähnlichen Waffen, wie ihre Gegner.
Vandell schätzte ihre Zahl auf ungefähr 90 bis 100. Sie würden für drei Hexenritter kein Problem sein.
Cifer war der Erste, der einen der weißgesichtigen Diener tötete. Seine Gunblade durchbohrte seinen Gegner und verwundete sogar noch einen schwer, der hinter dem Ersten stand. Squall schwang seine Waffe ebenso präzise. Er durchtrennte einem die Kehle, schlug einem zweiten die Hand ab, wirbelte herum und sprach einen ‚Ultima’ – Zauber auf die Fernkämpfer aus und wich im letzten Moment einem Schuss derselbigen aus.
Am schlimmsten aber wütete Vandell unter seinen Feinden. Er schlug dem ersten gleich den Kopf ab, sprang einen zweiten an und brach ihm mit einem Fausthieb das Genick, und als ein dritter vor ihm fliehen wollte, schleuderte er einen kleinen, aber wirksamen Wurfstern nach ihm, der den Feigling schwer verletzte. Er wirbelte auf der Stelle herum, trat aus der Drehung nach einem weiteren Diener und verfehlte ihn knapp. Hastig schlug er einen Salto, der ihn aus der Reichweite der Waffe seines Gegenübers brachte. Er riss Soulkiller nach oben, um einen Hieb eines weiteren Feindes abzuwehren, brachte seinen Gegner aus dem Gleichgewicht und spießte ihn regelrecht auf. Einer der Schützen traf Vandell. Der Schuss streifte ihn zwar nur, aber Vandell musste trotzdem die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien. Dankbar nahm er wahr, dass Rinoa, die sich in den Büschen am Rand des Waldes versteckt hielt, ihn sofort heilte.
Er bemerkte, dass Squall von einem Gegner angegriffen wurde, ihn aber nicht wahrzunehmen schien. Vandell war mit einem Satz bei ihm, und ein wuchtiger Schwerthieb spaltete den Diener beinahe bis zur Hüfte. Squall schien auch das nicht zu bemerken. Ein konzentrierter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Vandell schützte ihn, so gut er konnte und berührte ihn an der Schulter.
Squall erwachte so plötzlich aus seiner Erstarrung, wie er in sie verfallen war. „Eden! Mach sie fertig!“, brüllte er. Ein riesiger Schatten legte sich über die Kämpfenden. Gleichzeitig verschwanden alle Diener. Verblüfft sah sich Vandell um. Dann ging ihm ein Licht auf: Squall musste eine dieser G. F. eingesetzt haben, von denen er ihm erzählt hatte. Vandell hatte sich geweigert, diese Geister zu koppeln. Inzwischen überlegte er, ob das eine gute Idee gewesen war.
Als die weißgesichtigen Diener wieder sichtbar wurden, blieben die meisten von ihnen regungslos liegen. Einige hatten vom Angriff der G. F. schwere Verbrennungen davongetragen. Sie waren kaum noch fähig, ihre Waffen zu halten.
Ein knappes Dutzend scharte sich um ihren Anführer, Hynes Vater, der die drei Ritter mit seinen Blicken regelrecht aufspießte.
„Es ist noch nicht vorbei!“, fauchte er wütend. Er hob beide Hände und war plötzlich verschwunden. Ebenso seine Diener und Frauen.
Und mit ihnen auch Hyne.

Galuf
03.11.2003, 14:00
Kapitel 6: Das Ende

Hyne wehrte sich nach Kräften, als zwei der übrig gebliebenen Diener sie äußerst unsanft in eine Kammer an Bord des frey’gen stießen. Sie war nicht in der Lage, die Diener anzugreifen und zu fliehen, denn ihr Vater hatte sie aller aggressiven Zauber beraubt.
Nur einige wenige Kräfte waren ihr geblieben. Drittes Auge, etwas Telekinese, Telepathie,...
Telepathie!
Sie konnte versuchen, mit jemandem Kontakt aufzunehmen und ihn hierher zu bringen.
Aber alle Menschen, die sie kannte, waren für Telepathie völlig unbegabt, einschließlich Vandell.
Halt! Die kleine Hexe, Rinoa, könnte sie hören. Zu ihr hatte Hyne schon einmal eine Verbindung aufgebaut. Es konnte klappen, wenn Hyne sich konzentrierte...
Sie kniete sich auf den kalten Boden und schloss die Augen. Ihr Atem wurde ruhig, ihre Hände lagen leicht auf ihren Oberschenkeln.
Hyne nahm Kontakt zu Rinoa auf.

Rinoa schrie erschrocken auf, als sie Hynes Stimme in ihren Gedanken hörte.
Hilf mir...
„Hyne... ich kann Euch hören! Wo seid ihr?“, rief sie laut. Sie bemerkte am Rande, dass die drei Hexenritter zusammenzuckten.
Vandell packte sie an der Schulter, als sie Hynes Namen aussprach, wurde aber seinerseits wieder von Squall weggerissen. Rinoa konzentrierte sich mit aller Kraft auf die leise Stimme in ihrem Kopf.
Ich weiß es nicht... folge meinen Gedanken, sie werden dich führen...
Rinoa schloss die Augen und versuchte, die Richtung zu bestimmen. Sie deutete nach Süden.
„Sie ist irgendwo in dieser Richtung. Ich kann ihre Stimme hören!“ Squall und Cifer wollten schon zur Ragnarok laufen, die am anderen Ende des Plateaus auf sie wartete, aber Vandell hielt sie rasch zurück.
„Dafür ist keine Zeit! Sie kann das nicht sehr lange durchhalten.“, drängte er. Rinoa fühlte sich tatsächlich schon erschöpft. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn.
Vandell holte seine Kette aus dem Ausschnitt seines Hemdes. Squall war nicht überrascht, als er den Griever- Anhänger sah. Vandell hielt die Kette hoch und murmelte viermal ein seltsam klingendes Wort. Vier Pferde tauchten aus dem Nichts vor ihm auf. Der schwarze Hengst trottete gehorsam auf seinen Herrn zu. Die anderen Pferde waren ebenfalls prächtige Tiere, ein Schimmel und zwei Rotfüchse. Vandell schwang sich schnell in den Sattel.
Die anderen waren noch nie in ihrem Leben geritten, aber Squall und Cifer hatten keine Probleme aufzusteigen. Rinoa wollte ebenfalls aufsitzen, aber ihre Erschöpfung wurde immer deutlicher. Vandell dirigierte sein Pferd mit leichtem Schenkeldruck zu ihr und hob sie kurzerhand in den Sattel. Als er sie fragte, ob sie eine längere Strecke reiten könne, nickte sie tapfer. Sie klammerte sich an der dichten Mähne des Pferdes fest. Sie schloss kurz die Augen und versuchte, diese unnatürliche Erschöpfung mit ihren Hexenkräften zu beseitigen.
Als sie sich bereit fühlte, ließ sie ihr Pferd in die ungefähre Richtung galoppieren, in der sie Hyne vermutete. Die drei Ritter folgten ihr. Rinoa staunte, als sie den Boden zwei Meter unter den Hufen des Pferdes sah. Sie klammerte sich am Hals des Rosses fest und machte die Augen zu, um sich zu konzentrieren.
Da... war etwas! Etwas weiter südöstlich. In der Kashukbaar-Wüste?
Die Pferde galoppierten so schnell dahin, dass das leise Säuseln des Windes zu einem ohrenbetäubenden Brüllen anschwoll. Rinoa konnte bereits die Türme von Esthar- Stadt sehen.
Sie musste schreien, um Squall, der neben ihr ritt, das Wort „Kashukbaar!“ zuzurufen. Er schien sie zuerst nicht zu verstehen, aber als sie es ein zweites Mal brüllte, nickte er und deutete in die Richtung.
Plötzlich überholte Vandell Rinoa, die bisher an der Spitze der kleinen Gruppe geritten war, und übernahm die Führung. Er war eine wirklich beeidruckende Erscheinung; seine Augen leuchteten rot, der lange, schwarze Umhang flatterte im Wind, die störrischen Haarsträhnen, die ihm immerzu ins Gesicht fielen, wurden aus seinem Gesicht geweht. Sein Gesichtsausdruck verhieß seinen Gegnern nichts Gutes. Er beugte sich tief über den Hals seines Hengstes, das schwarze Schwert in der Hand. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und starrte in die Richtung, in die Rinoa gedeutet hatte. Squall und Cifer zogen ebenfalls ihre Gunblades.
Rinoa hörte auf, Vandell anzustarren und konzentrierte sich wieder darauf, die Erschöpfung zu bekämpfen, die ihr noch immer zu schaffen machte. Sie atmete auf, als sie wieder Land sah. Doch fast gleichzeitig erschrak sie heftig, als sie das riesige, unförmige Gebilde sah, das im Sand der Wüste lag. Es war wirklich groß; Zehnmal so groß wie der Garden, wenn nicht größer! Es schien die ganze Wüste auszufüllen.
Dicht vor dem Raumschiff zügelte Vandell sein Reittier. Die anderen taten es ihm nach. Vandell ließ seinen Blick über das riesige Gebilde schweifen, dann stieg er ab. Squall und Cifer schwangen sich ebenfalls aus dem Sattel, einzig Rinoa blieb zusammengesunken auf ihrem Pferd sitzen. Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie hatte nicht genug Kraft, um sich länger im Sattel zu halten. Undeutlich nahm sie wahr, dass Squall sie schnell auffing, als sie vom Pferd rutschte. Er legte sie auf den warmen Sand, beugte sich über sie und tätschelte leicht ihre Wange. Rinoa konnte hören, dass er etwas sagte, aber sie verstand die Worte nicht. Nur langsam lichteten sich die Nebel vor ihren Augen.
„Rinoa! Was hast du? Was ist los?“, wiederholte Squall gerade. Rinoa schüttelte den Kopf. „Mir geht es gut.“, krächzte sie. „Ich bin nur... etwas erschöpft...“ Ihre Augen fielen wieder zu. Squall schrie erschrocken auf und packte ihre Hand. Sie zwang sich, die Augen wieder zu öffnen.
„Mach... dir keine Sorgen... um... mich! Ihr... müsst... Hyne retten!“, flüsterte sie schwach. Squall schüttelte den Kopf. „Nein! Ich bleibe bei dir.“, sagte er fest. Rinoa lächelte ihn an. Sie verdrängte die Erschöpfung wieder mit ihrer Magie und richtete sich ein wenig auf. Squall stützte sie sanft. Rinoa legte eine Hand an seine Wange.
„Mir geht es gut! Das war nur ein Schwächeanfall. Ist gleich wieder vorbei!“ Ihre Stimme hörte sich noch immer ein wenig rau an. Sie räusperte sich und redete einfach weiter, bevor er widersprechen konnte. „Du musst ihr helfen! Ich komme schon zurecht.“
Squall sah sie unglücklich an. „Aber die zwei...“, versuchte er es noch einmal, aber Rinoa unterbrach ihn sofort. „Willst du, dass ich dir befehle mitzugehen?“, fragte sie leise. Er schüttelte langsam den Kopf. Rinoa küsste ihn kurz.
„Na also! Dann geh!“, flüsterte sie. Squall nickte widerstrebend, hob sie hoch und trug sie in den Schatten einer kleinen Oase, die sich in der Nähe befand. Er legte sie unter einen Baum und sah ihr tief in die Augen. Dankbar nahm er den Umhang, den ihm Vandell hinhielt, und bettete ihren Kopf darauf.
„Ich bin bald wieder hier.“, versprach er ihr. Rinoa nickte. Er drückte seine Lippen kurz an ihre Stirn und stand auf. Rinoa sah ihm nach, bis er mit den anderen zwei Rittern im Inneren des Raumschiffes verschwunden war. Dann verlor sie endgültig das Bewusstsein.

„Was ist denn mit ihr los?“, fragte Cifer, als sie im Raumschiff waren. Squall hob ahnungslos die Schultern. „Keine Ahnung!“, sagte er leise. Er machte sich wirklich Sorgen um Rinoa, die jetzt ganz allein bei der Oase lag. Am liebsten wäre er zurück gerannt. Aber er wusste, dass sie recht hatte. Die anderen brauchten seine Hilfe.
Außerdem war er Hyne etwas schuldig.
„Es ist anstrengend, die Gedanken eines Menschen zu lokalisieren.“, meldete sich plötzlich Vandell. „Ich hab’s nie geschafft.“
Squall starrte ihn an. „Ihr habt das nie geschafft?“ Vandell nickte ungerührt. „Ich habe kein Talent für Telepathie. Meine Stärken liegen woanders.“, meinte er. Demonstrativ zog er seine Waffe. Er sah Squall an. „Und hör auf, mich mit ‚Ihr’ und ‚Euer’ anzureden. Ich bin nur ein Ritter, wie du auch! Wenn du so seltsam mit mir redest, komme ich mir uralt vor.“
Cifer lachte leise. Squall blinzelte überrascht. „Okay... Vandell.“, sagte er schließlich. Nach kurzem Überlegen fügte er hinzu: „Und du bist uralt!“
Vandell lächelte. „Stimmt. Ich vergesse es immer wieder.“, sagte er. Er drehte sich um und huschte zum nächsten Durchgang. Cifer und Squall folgten ihm so leise wie möglich. Als Squall um die Ecke spähte, bemerkte er, dass sich ein langer Korridor vor ihm erstreckte. Es war kein Mensch zu sehen. Aber ein leises Geräusch konnte er hören. Ein leises, ersticktes Wimmern drang aus einer der Türen, die an den Korridor anschlossen. Auch das etwas lautere Stöhnen eines Mannes war zu hören. Ekelhaft!
Plötzlich huschte Cifer zu der Tür. Vandell und Squall folgten ihm ebenso leise. Die Tür war nur angelehnt. Cifer stieß sie leise auf.
Ein junges Mädchen lag auf einem Bett in dem Schlafzimmer. Sie starrte an die Decke und versuchte, nicht auf den Mann zu achten, der auf ihr lag und sie an allen möglichen Stellen berührte und küsste. Squall erstarrte, als er ihre Augen sah. Sie waren nicht wie die Augen von Vandell oder Hyne, nein, sie waren ganz normal!
Das Mädchen war ein normaler Mensch!
Ehe die Anderen ihn zurückhalten konnten, trat Cifer in den Raum. Squall unterdrückte einen Fluch und folgte ihm. Vandell schlich ebenfalls hinterher und schloss die Tür hinter sich.
Cifer blieb neben dem Bett stehen. Scheinbar interessiert beugte er sich über die Beiden. Das Mädchen schrie leise auf. Der Mann fuhr hoch und sah Cifer entgeistert an. Der grinste ihm ins Gesicht und schlug ihn nieder. Bewusstlos blieb der Mann liegen. Das Mädchen raffte hastig seine Kleider zusammen und starrte Cifer ängstlich an.
„Mann! Böses Foul!“, meinte Squall und verzog das Gesicht, als er das blutverschmierte Gesicht des Mannes betrachtete.
„Da werden Erinnerungen wach, wie?“, grinste Cifer. Vandell räusperte sich.
„Könnten wir dann wieder gehen? Wir müssen Hyne retten, schon vergessen?“ Seine Stimme klang etwas verärgert. Cifer drehte sich um und sah ihm frei ins Gesicht. „Gerne!“, meinte er gelassen. „Weißt du, wo sie ist?“ Vandell verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen und fixierte Cifer mit seinem durchdringenden Blick. „Nein!“, sagte er leise. Er klang ein bisschen verlegen. Er verschwand in einem Nebenraum, um ihn zu untersuchen.
Cifer wandte sich wieder dem Mädchen zu. „Hallo!“, sagte er. Er lächelte sie aufmunternd an. „Wie ist dein Name?“ Das Mädchen wich erschrocken etwas zurück.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde dir nichts tun.“, fuhr Cifer noch immer lächelnd fort. „Ich heiße Cifer. Der Kleine dort drüben ist Squall, und der Typ in Schwarz heißt Vandell. Er ist kein Verbrecher, auch wenn er so aussieht.“ Squall winkte kurz. Vandell kam aus dem Nebenzimmer zurück. „Das hab ich gehört!“, brummte er böse. Squall begann, das Zimmer nach einem Plan oder etwas Ähnlichem abzusuchen. Mit einem Ohr verfolgte er die Unterhaltung von Cifer und der Kleinen.
„Und wie heißt du?“, fragte Cifer wieder. Das Mädchen wurde rot.
„Salina, Herr!“, flüsterte sie kaum hörbar.
„Salina.“, wiederholte Cifer. Squall begutachtete Salina etwas genauer. Sie war bestimmt keinen Tag älter als sechzehn. Sie war ausgesprochen hübsch, mit ihrem schulterlangen, blonden Haar und den smaragdgrünen Augen. Aber sie schien noch immer sehr ängstlich zu sein.
„Okay, Salina, erstens: Nenn mich nicht Herr! Und zweitens: Was machst du hier?“ Die Röte auf Salinas Gesicht wurde noch etwas intensiver. „Was ich hier mache? Ich... ich bin eine chat’laà Herr... Cifer!“ Cifer warf Vandell einen hilfesuchenden Blick zu.
„Eine ••••.“, erklärte dieser. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen. Salina sah ihn mit großen Augen an, das heißt, sie starrte seine Augen an.
Cifer grinste, als ihm einfiel, das Trevor Vandell auch einen chat’laà genannt hatte.
„Ach, der Grauhaarige von vorhin hielt dich für Hynes Betthäschen?“, kicherte er. Squall verkniff sich ein Lachen und tat, als würde er weiter eine der Schubladen untersuchen.
Vandell zuckte die Achseln und starrte an Cifer vorbei. Noch vor einigen Stunden hätte er Cifer für diese Bemerkung enthauptet. Aber langsam gewöhnte er sich daran.
„Und was hieß das andere? Das, was Hyne gesagt hat?“, bohrte Cifer weiter. „Del’catá?“, half Squall nach. Vandell hob wieder die Schultern. „Weiß ich nicht!“, antwortete er kurz angebunden.
Plötzlich meldete sich Salina. „Del’catá... das bedeutet ‚Ritter’... oder ‚Geliebter’ oder... äh... Ehemann...“, erklärte sie schüchtern. Vandell wurde rot. „Herzlichen Dank!“, murmelte er, während die beiden jüngeren versuchten, nicht laut zu lachen.
Cifer straffte die Schultern und wandte sich wieder Salina zu. „Gut, ich hätte da eine Frage...“, meinte er so ernst wie möglich. „Weißt du etwas von einer Gefangenen, die hierher gebracht wurde?“ Salina nickte langsam.
„Ja, der... der König hat seine... Tochter hergebracht. Die Prinzessin Hyne.“
„Prinzessin?“, fragte Squall verwundert mit einem Seitenblick zu Vandell. Der hob abwehrend die Hände. „He, sie hat mir nie etwas davon erzählt!“, protestierte er.
„Weißt du, wo sie jetzt ist?“, bohrte Cifer weiter. Salina nickte wieder. „Ich kann Euch hinführen, wenn... wenn Ihr wollt!“, sagte sie eifrig. Cifer lächelte sie an. „Danke. Ich weiß das Angebot zu schätzen.“ Salina wurde wieder rot. „Ich... äh... würde es Euch etwas ausmachen, wenn... wenn ich mir etwas... anderes anziehe?“
Verlegen wich Cifer etwas zurück. „Klar. Wir warten solange draußen.“ Er warf Vandell und Squall einen beschwörenden Blick zu. Squall verschwand sofort nach draußen, während Vandell den Mann packte, der gerade im Begriff war aufzuwachen, und ihn sich über die Schulter warf. Als er ihn nach draußen bringen wollte, krachte der Kopf des Mannes mit voller Wucht gegen den Türrahmen.
„Ups!“, machte Vandell und grinste. Squall grinste zurück. Cifer huschte als letzter aus dem Zimmer und schloss leise die Tür.
„Wir sollten den hier irgendwo verstecken.“, meldete sich Vandell zu Wort. Er deutete auf den leblosen Körper, der schlaff über seiner Schulter lag. Squall sah sich um und bemerkte einen Schacht, den er nach kurzem Herumwerkeln öffnete. Vandell ließ den bewusstlosen Mann einfach hineinfallen.
Kurz darauf schlüpfte Salina aus dem Zimmer. Statt den ••••ngewändern trug sie jetzt Jeans und eine weiße Bluse. Doch selbst in dieser abgetragenen Kleidung sah sie hübsch aus.
Sie winkte den drei Rittern und bedeutete ihnen, ihr zu folgen. Während sie die Drei durch die endlosen Korridore führte, schien sie etwas sagen zu wollen, ließ es dann aber doch bleiben. Als sie zu einem größeren, gut bewachten Tor kamen, deutete sie auf eine kleine Kammer, in die sie verschwand. Die anderen folgten ihr.
„Ich weiß nicht, wie ihr dort hinein kommen wollt, aber sie ist dort drinnen. Wo genau, weiß ich nicht.“ Sie starrte wieder Vandell an. Dann räusperte sie sich und fragte mit zittriger Stimme: „Ist es wahr, dass Ihr der del’catá der Prinzessin seid?“
Vandell schürzte die Lippen. „Ihr Ehemann bin ich nicht, und ihr Geliebter bin ich erst seit heute, aber der Rest dürfte stimmen.“, antwortete er. „Warum?“
Salina starrte ihn weiter an. „Nun, weil die anderen chat’laà haben von Euch erzählt... Aber sie haben gesagt, Ihr wärt ein... hässlicher Mischling, und dass Hyne ihr Blut... verunreinigt hätte, als sie mit Euch... ja... äh... Ihr wisst schon... und... lauter solche Sachen.“
„Ach was?“, fragte Vandell nachdenklich. „Man spricht hier von mir?“ Salina nickte mit hochrotem Kopf.
„Und? Bist du enttäuscht?“, wollte Vandell wissen. Sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Ich... finde nicht, dass Ihr ein... hässlicher... Mischling seid. Ihr seid... wunderschön!“, antwortete sie stockend.
„Herzlichen Dank!“, lachte Vandell. Er küsste charmant ihre Hand. „Es baut mein Selbstwertgefühl auf, das von einem so hübschen Mädchen zu hören.“
Salina traten Tränen in die Augen. „Hört auf! Ich weiß, dass ich nicht hübsch bin!“, weinte sie. Sie zog ihre Hand weg, als wäre Vandells Hand glühend heiß. Überrascht sah Squall sie an. „Quatsch!“, sagte er. „Du bist wirklich ein hübsches Mädchen.“ Salina hob den Blick ein wenig. „Nein, das bin ich nicht! Sonst hätte der König mich schon einmal zu sich gerufen.“
Squall winkte ab. „Du willst doch nicht wirklich mit ihm ins Bett, oder?“ Sie sah ihn verwundert an.
„Aber... ich kann doch... nirgendwo sonst mehr hin...“, stotterte sie.
Dann straffte sie sich und wischte sich die Tränen ab. „Ihr müsst gehen. Der König will Hyne heute noch zu sich rufen!“
Vandell nickte. Er nahm noch einmal ihre Hand und küsste sie sanft. Diesmal zog sie ihre nicht weg. „Ich danke dir, Salina. Ich stehe in deiner Schuld. Und Hyne ebenso.“ Er verließ die Kammer schnell. Squall sah zu Cifer hinüber, der die ganze Zeit sehr still gewesen war. Dann folgte er Vandell nach draußen.
Ehe Cifer ihm folgen konnte, wurde er von Salina zurückgehalten. „Cifer... ich möchte dir danken... weil du mir geholfen hast... vorhin.“, sagte sie leise.
„Keine Ursache!“, gab er zurück. Salina ließ ihn noch immer nicht los. „Ich... hätte noch eine Bitte...“ Cifer hob fragend eine Augenbraue. „Was denn?“
Salina sah ihm nicht in die Augen, als sie antwortete. „Ich habe noch nie... einen Mann... aus freien Stücken geküsst.“, flüsterte sie. Sie sah ihn erwartungsvoll an. Cifer lächelte schwach.
„Und warum erzählst du das ausgerechnet mir?“, fragte er. Salina sah wieder weg. „Ist... auch nicht wichtig. Vergiss es!“ Cifer sah, dass eine Träne über ihre Wange lief. Er wischt sie sacht weg. Salina zuckte zusammen, als er sie berührte.
„Es ist wichtig! Und ich werde es auf keinen Fall vergessen.“, sagte er leise. Er küsste sie sanft. Sie klammerte sich an ihn und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und weinte. Beruhigend streichelte er ihr Haar.
„Ich... ich glaube, ich... habe mich in dich verliebt!“, flüsterte sie. Er ließ sie schnell los.
„Nein, das hast du nicht!“, widersprach er. Er drehte ihr den Rücken zu. „Du bist mir nur dankbar, weil ich dir geholfen habe, nichts weiter.“
„Aber...“, versuchte sie ihm zu widersprechen, aber er schnitt ihr mit einer herrischen Geste das Wort ab. „Du kennst mich erst seit knappen fünfzehn Minuten. Du weißt nicht, was ich in der Vergangenheit getan habe. Wenn du es wüsstest, würdest du mich hassen, wie alle anderen auch.“, sagte er verbittert. Er drehte sich noch einmal zu ihr um. „Du solltest von hier verschwinden. Wenn dieser goldäugige Typ bemerkt, dass du uns geholfen hast, kriegst du Probleme.“ Ehe sie etwas sagen konnte, schlüpfte er aus der Kammer und schloss die Tür hinter sich.

Hyne lächelte, als sie den entfernten Lärm von klirrenden Schwertern wahrnahm. Sie machte eine Handbewegung und trug statt des Kleides plötzlich wieder den hautengen Lederanzug. Ein silberner Kettengürtel war um ihre Hüfte geschlungen. In ihrem Haar glitzerten silberne Bänder. Das Diadem mit dem Königsstein erschien auf ihrer Stirn.
Sie versuchte, Vandell zu lokalisieren, aber ihre Kräfte kamen nicht gegen den Zauber ihres Vaters an. Aber wenn sie erst aus dieser Zelle draußen war...
Sie hörte Vandell nach ihr rufen. „Vandell! Ich bin hier!“, schrie sie so laut wie möglich. Kurz darauf trat er die Tür ihres Gefängnisses ein. Hyne fiel ihm sofort um den Hals und brachte ihn damit beinahe zu Fall. Vandell ließ Soulkiller auf den kalten Boden fallen und drückte Hyne fest an sich. „Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein!“, flüsterte er. Hyne ließ ihn wieder los. Vandell betrachtete sie etwas genauer und grinste dann beinahe unverschämt. „Ich liebe es, wenn du diese Sachen trägst!“, meinte er. Hyne lächelte lasziv zurück. Sie legte eine Hand an die Hüfte und strich mit der anderen über ihren wohlgeformten Körper. „Was hältst du davon, wenn ich mir noch eine Peitsche besorge?“, gurrte sie. Vandell verzog das Gesicht. „Nein, danke. Es ist auch so schon anstrengend genug!“ Hyne legte ihre Arme um ihn. „Ach? Was du nicht sagst! Ich fasse das als Kompliment auf.“, kicherte sie. Vandell küsste sie zärtlich.
„Wie habt ihr mich so schnell gefunden?“, fragte sie etwas ernster. Vandell grinste wie ein kleiner Schuljunge. „Ich könnte jetzt sagen, meine Liebe hat mich zu dir geführt.“, meinte er. „Aber tatsächlich hat uns eine chat’laà deines Vaters geholfen.“
Hyne war überrascht, wie schnell er sich an das Verhalten der anderen Menschen angepasst hatte. Er wirkte beinahe schon so... äh... ‚normal’ wie Squall.
„Eine chat’laà?“, fragte sie nach. Vandell nickte. Er küsste sie kurz und wurde wieder ernst.
„Aber Squalls Hexe ist sehr erschöpft. Sie liegt draußen bei einer kleinen Oase. Du musst ihr schnell helfen!“ Hyne nickte. Sie nahm seine Hand. „Gehen wir!“, sagte sie. Vandell hob schnell sein Schwert auf und führte sie nach draußen. Hyne wich erschrocken einem Wächter aus, der an ihr vorbeitaumelte. Sein rechter Arm fehlte völlig; vermutlich war Cifer dafür zuständig, der ihm schnell nachsetzte und ihn ebenso schnell tötete. Er nickte Vandell zu, deutete eine Verbeugung vor Hyne an und durchbohrte einen weiteren Wächter. Über den Kampfeslärm hörte Hyne, wie Squall sich mit Cifer unterhielt. „...und dann wollte Quistis doch tatsächlich, dass ich die praktische Kampfausbildung für die achte Klasse übernehme!“, plauderte Squall gerade, ohne auf den Wächter zu achten, der versuchte, sich an ihn heranzuschleichen. Im letzten Moment wirbelte er herum und spießte ihn förmlich auf. Cifer grinste und wehrte den Schwerthieb eines Gegners ab, ohne hinzusehen. „Ich hoffe, du hast abgelehnt! Als Ausbilder wärst du eine Niete!“, sagte er fröhlich.
Es steigerte nicht unbedingt das Selbstvertrauen der Wächter, dass ihre Gegner sich nur am Rand mit ihnen beschäftigten.
Vandell bedeutete Hyne, sich nicht von der Stelle zu rühren und ließ sein Schwert auf einen der armen Teufel niedersausen. Hyne bemerkte, dass die Wächter jetzt offenbar eine andere Taktik anwandten; sie kreisten die Hexenritter ein und richteten ihre Pistolen auf die drei.
Squall hatte dafür nicht mehr als ein müdes Lächeln übrig. Blaue Blitze sprangen vom Boden auf ihn über. Wie vor einigen Stunden, als er Vanessa getötet hatte.
„Schicksalszirkel!“, brüllte er. Er sprang hoch und drehte sich einmal um die eigene Achse. Von seiner Waffe ging ein Feuerring aus, der die Wächter traf und sie vor Schmerz aufschreien ließ. Gleich darauf explodierte der Boden unter ihren Füßen. Squall setzte sicher wieder auf dem Boden auf, während die meisten der Wächter bewusstlos oder tot umfielen.
Er nickte Cifer zu. „Ich habe abgelehnt. Aber nur, weil ich als Schulsprecher schon ausgelastet bin.“, erklärte er im Plauderton.
Ein knappes Dutzend der Wächter waren aber noch immer auf den Beinen und richteten abermals ihre Waffen auf die Ritter. Hyne hob schnell eine der Pistolen eines toten Wächters auf und zielte auf einen, der Cifer gerade attackierte. Cifer stolperte beinahe, als der tote Wächter von hinten gegen ihn prallte. Er starrte zuerst Hyne, dann den Wächter an, und schüttelte den Kopf. Hyne erschoss einen weiteren Wächter und wich der Attacke des nächsten geschickt aus. Sie trat nach seinem Kopf und verfehlte ihn knapp. Schnell schlug sie ein Rad und fegte ihm blitzschnell die Füße unter den Beinen weg. Sie packte seinen Kopf und verdrehte ihn so ruckartig, dass sein Genick mit einem trockenen Schnappen brach.
Im Kampf ohne Waffen stand sie Vandell um nichts nach.
Vandell erledigte noch einen Wächter und war mit einem Satz bei ihr. „Wo hast du das gelernt?“, keuchte er atemlos. Offenbar strengte so ein Schwertkampf auf Dauer doch ziemlich an. Sie küsste ihn schnell und grinste ihn an. „Als Mitglied der Königsfamilie muss man auf einiges gefasst sein!“, antwortete sie geheimnisvoll. Vandell hob das Schwert schnell über den Kopf und wehrte damit die Attacke eines Wächters ab, der ihn nun mit dem Schwert attackieren wollte. Schnell drehte er sich um und zerteilte dabei den Wächter in zwei Hälften. Sonst war kein Wächter mehr zu sehen. Nun, zumindest kein lebendiger Wächter. Squall und Cifer untersuchten die Leichen nach etwas Nützlichem. Vandell drehte sich wieder zu Hyne um und schob Soulkiller in die Scheide. Hyne sah sich um und verzog das Gesicht. „Musste das denn sein?“, fragte sie angewidert. Vandell umarmte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Nase. „Sie wollten mich nicht zu dir lassen! Das haben sie davon.“, erwiderte er ernst.
Hyne ließ ihn wieder los und ging zu Cifer und Squall. Vandell folgte ihr.
Squall richtete sich schnell auf, als er Hyne bemerkte. „Hyne, wir müssen schnell hier raus!“, bat er. Ein flehender Unterton lag in seiner Stimme. „Rinoa ist...“ Hyne nickte.
„Ich weiß!“, sagte sie leise. Sie zerzauste sein schweißnasses Haar. „Keine Angst, ich werde ihr helfen.“ Squall trat einen Schritt zurück. Er hasste es, wenn er wie ein kleines Kind behandelt wurde, auch wenn Hyne etwas älter als er war und sicher mütterliche Gefühle für ihn entwickeln durfte. Cifer kicherte.
Hyne hob fragend eine Augenbraue und lächelte. „Ich vergaß. Du willst ja nicht von einer anderen Frau als deiner Hexe berührt werden.“
Squall wurde rot. „Können wir endlich gehen?“, schnappte er. Vandell legte den Kopf schief. „Er erinnert mich immer mehr an jemanden, den ich recht gut kenne.“, sagte er an Hyne gewandt. Die nickte. „Oh ja, ich kenne ihn auch. Du meinst diesen schüchternen Typen, der sich über 6 000 Jahre bei mir gelebt hat und nie gewagt hat, allein mit mir zu sprechen? Der nachts immer in mein Zimmer geschlichen ist, und mich beim Schlafen beobachtet hat?“, fragte sie unschuldig. Vandell wurde rot und hielt die Klappe. Squall und Cifer hielten sich schon die Bäuche vor lachen. Vandell warf ihnen einen giftigen Blick zu. „Du ruinierst mir mein Image!“, grummelte er. Hyne sah ihn treuherzig an. „Kannst du mir noch einmal verzeihen?“, flötete sie.
„Du hast ja keine Ahnung, wie lange es gedauert hat, die Menschen davon zu überzeugen, dass ich ein kaltherziger, unfehlbarer Mann bin.“, brummte er beleidigt. „Kaltherzig? Vielleicht. Aber unfehlbar? Keine Chance!“, meinte Hyne grinsend. Vandell sah schmollend weg.
Hyne klimperte mit ihren langen Wimpern. Sie hakte sich bei ihm unter und sah ihn mit einem unwiderstehlichen Dackelblick an. „Ich bin zuhause auch gaanz brav! Versprochen!“, sagte sie mit einer seltsam kindlichen Stimme. Ihre Hand wanderte von seiner Brust über seinen Bauch weiter nach unten, bis er sie packte und etwas wegschob.
„Okay. Ich werde daran denken.“, kicherte er.
Squall und Cifer waren urplötzlich damit beschäftigt, die Innenausstattung des Raumschiffes zu begutachten. Squall stieß Cifer an und deutete auf den Ausgang aus dem Gefängnistrakt. Cifer nickte so würdevoll wie möglich, aber seine Mundwinkel zuckten verräterisch. Erst, als sie sicher waren, dass Hyne und Vandell sie nicht mehr hören konnten, prusteten sie wieder los. Cifer stützte sich an der Wand ab, während Squall sich auf eine Kiste setzte, die im Korridor herumstand.
„Sind die zwei immer so?“, fragte Cifer lachend. Squall schüttelte kichernd den Kopf. „Nein. Hyne war vor ein paar Stunden noch ein verbitterter Geist, und Vandell war bis vor kurzem ungefähr so wie ich früher. Nur schlimmer!“
Cifer wurde urplötzlich ernst. „Squall... ich möchte dich etwas fragen.“ Squall sah ihn fragend an. „Wie denkst du von mir?“, fragte Cifer leise. „Glaubst du auch, dass ich ein Versager bin?“
Squall starrte ihn überrascht an. „Warum sollte ich?“, fragte er verwundert. Cifer sah zu Boden. „Nun, weil... weil ich damals... Artemisia geholfen habe. Alle reden über mich. ‚Da ist der Verräter!’ ‚Das ist dieser Loser, der der Hexe geholfen hat!’ ‚Der Hexenritter ohne Hexe!’ Und lauter solche Dinge sagen sie über mich.“, sagte er leise und verbittert. Squall stand auf.
„Wer behauptet das?“, fragte er ruhig. Cifer sah ihn an. „Einfach alle! Die Kadetten im Garden. Die Leute in Deling City. Die SEEDs. Alle!“
Squall legte den Kopf schief. „Diese Leute haben auch geglaubt, dass ich ein gefühlloser Roboter wäre. Du darfst nicht darauf hören, was die Leute über dich sagen! Du bist ein guter Kämpfer! Und du stehst dazu, was du getan hast.“
Cifer sah wieder weg. „Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was denkst du?“ Squall überlegte kurz. „Ich hasse dich nicht, wenn du das meinst. Ich fand es früher ganz nützlich, dass du mich manchmal im Training geschlagen hast. Sonst wäre ich wohl noch eingebildeter gewesen, als ich es ohnehin schon war. Und nur, weil du deine Hexe beschützen wolltest, bist du kein schlechter Mensch.“ Er stockte kurz. „Ich hätte wahrscheinlich dasselbe für Rinoa gemacht.“, fügte er hinzu. Cifer lachte kurz und bitter.
„Nein, hättest du nicht.“ Er setzte sich hin. „Aber ich trage es dir nicht nach, dass du meine Hexe getötet hast. Du hast nur deinen Job gemacht.“ Er tat Squall irgendwie leid. Squall dachte daran, wie sehr Cifer sich verändert hatte, seit dieser Sache mit Artemisia. Cifer war ein charismatischer Anführer; das heißt, er wäre es gewesen, wenn er nicht immer so egoistisch gewesen wäre. Aber ein Mensch konnte sich ändern. Das wusste Squall am besten. „Cifer, wir müssen keine Feinde sein.“, sagte er leise. Cifer schüttelte den Kopf. „Hör schon auf! Deine Freunde würden es doch nicht verstehen. Besonders der Hasenfuß nicht. Er hasst mich!“
Squall verzog das Gesicht. „Wundert dich das denn, wenn du ihn immerzu so nennst? Xell ist kein Feigling. Und die anderen möchten dich sicher auch nicht zum Feind haben.“ Cifer starrte an ihm vorbei. „Ich weiß, dass alle mich für einen egoistischen Angeber halten, und ich weiß auch, dass ich daran selbst schuld bin, aber...“ Er sah Squall in die Augen. „...ich kann auch anders sein! Nur Fu-Jin und Rai-Jin wissen das!“ Er lächelte schwach. „Und du jetzt auch. Aber sag’s nicht weiter.“, fügte er hinzu. Squall zögerte nicht lange. Er hielt Cifer die Hand hin. „Ich sage nicht, dass wir Freunde sein können. Aber wir müssen keine Feinde mehr sein.“ Cifer zögerte noch einen Moment. Dann ergriff er Squalls ausgestreckte Hand.
„Gut. Ich bin nur mal gespannt, wie du das den anderen erklären willst.“, sagte er. Als Squall sich wieder umdrehte, hörte er noch, wie Cifer etwas murmelte.
„Danke, Kleiner!“

Galuf
03.11.2003, 14:02
Squall lächelte. „Keine Ursache!“, erwiderte er.
Plötzlich hörte er, wie jemand langsam Beifall klatschte. Vandell trat aus den Schatten, dicht gefolgt von Hyne. „Ich habe mich schon gefragt, wie lange ihr noch braucht.“, meinte er. Er legte einen Arm um Hyne und lächelte die zwei an. „Ich habe mich ohnehin schon gefragt, wie zwei verwandte Seelen wie ihr so zerstritten sein können.“
Cifer lachte. „Verwandte Seelen? So ein Quatsch. Unterschiedlicher könnten wir kaum sein!“
„Das stimmt nicht.“, widersprach ihm Hyne. „Ihr beide wollt immer der Beste sein. Ihr beide würdet für eure Freunde alles tun. Und ihr beide habt schon oft euer Leben riskiert, um das eurer Hexe zu schützen.“ Cifer zuckte beim letzten Satz zusammen. Oh ja, er hatte oft sein Leben für Artemisia riskiert, auch als sie noch in Edeas Körper eingedrungen war. Und er hatte jedes Mal versagt.
Squall wechselte schnell das Thema. „Wir sollten jetzt aber wirklich verschwinden!“ Hyne nickte und führte die kleine Gruppe durch die endlosen Gänge des Raumschiffes. Sie fand sich mit einer traumwandlerischen Sicherheit zurecht, die darauf hinwies, dass sie schon sehr oft an Bord dieses Raumschiffes gewesen war. Vereinzelt trafen sie auf Wächter, die jedoch nicht lange genug überlebten, um Alarm zu schlagen. Als die riesige Halle mit der Rampe sichtbar wurde, über welche die Hexenritter ins Raumschiff eingedrungen waren, wurde Hyne nervös.
„Es ist viel zu einfach!“, murmelte sie.
Und wie auf ein Kommando erschien ihr Vater in einer Explosion goldenen Lichts. Er lächelte kalt. „Du dachtest, du könntest mir entkommen?“, fragte er mit einer Stimme, die einen Vulkan zum Gefrieren bringen könnte. Er schüttelte den Kopf.
„Du hast ja keine Ahnung, wie oft ich dich schon töten hätte können. Dich und deine... Menschenfreunde!“ Hyne starrte ihm geradewegs in die Augen.
„Warum hasst du mich so sehr?“, fragte sie leise.
Das schöne Gesicht ihres Vaters verzog sich zu einer hässlichen Fratze. „Warum?“, brüllte er. Seine Augen funkelten. „Warum ich dich hasse?“ Er machte einen Schritt auf sie zu und blieb wieder stehen, als Vandell drohend sein Schwert hob. Er musterte den Ritter eingehend, bevor er sich wieder Hyne zuwandte.
„Ich werde es dir sagen! Du hast mir immer nur Sorgen bereitet mit deinen... gefühlsduseligen Anwandlungen! Ich wollte dich zu einer guten Königin erziehen. Aber du hast dieses Geschenk zurückgewiesen!“ Er holte tief Luft. „Du hast ja keine Ahnung, wie viele Frauen Trevor liebend gern zum Mann gehabt hätten! Aber du, du Miststück musstest dich ja mit mir messen!
Der gesamte Adel lachte mich deinetwegen aus! Die Tochter von mir, König Gareth, die Thronfolgerin, eine zukünftige Königin, die Gefühle hat? Lächerlich!“ Er spuckte das Wort förmlich aus. „Ich habe deine Kapriolen lange geduldet, weil du Glynas Tochter bist. Aber als du diesen Sklaven befreit hast, hast du den Bogen überspannt! Ich habe dich hierher geschickt, weil ich dir eine Chance geben wollte, dich zu mir zu bekennen. Aber du kleines verzogenes Gör erschufst dir einfach diesen... Bastard zum Gefährten und spieltest dich als Göttin auf! Aber ich werde es nicht länger dulden, dass du den Namen meines Hauses beschmutzt!“
Eine Kugel aus goldenem Licht löste sich urplötzlich von seiner Hand und raste auf Hyne zu. Hyne unternahm nichts, um den Angriff abzuwehren, sondern blieb wie angewurzelt stehen. Im Gegensatz zu ihrem Vater hatte sie Skrupel, Magie gegen ihr eigenes Blut einzusetzen.
Vandell nicht. Er war mit einem Hechtsprung an ihrer Seite, und noch im Sprung streckte er die Hand nach Hynes Vater aus. Eine silberne Lichtkugel traf die goldene knapp, bevor sie Hyne erreichte, und löschte sie völlig aus. Vandell kam mit einem Handstandüberschlag wieder auf die Beine und stellte sich mit gezogener Waffe schützend vor sie. Squall und Cifer wollten ihm zu Hilfe eilen, aber Vandell bedeutete ihnen mit einer herrischen Geste, sich nicht einzumischen.
„Ich schaffe das schon!“, sagte er. „Passt auf Hyne auf!“ Hyne erwachte aus ihrer Erstarrung. „Nein! Er wird dich...“, schrie sie entsetzt, aber Vandell verschloss ihre Lippen schnell mit einem zärtlichen Kuss. „Ich werde nicht sterben!“, flüsterte er eindringlich. „Bitte, geh zu Squall und rühre dich nicht von der Stelle. Ich werde schon mit ihm fertig!“ Hyne brach in Tränen aus. „Nein, das wirst du nicht!“, schluchzte sie. „Du hast ja keine Ahnung, wie viele Menschen er schon getötet hat!“ Sie klammerte sich an ihn, aber Vandell schob sie sanft weg. „Ich habe dich nicht nach so vielen Jahren wieder gefunden, nur um jetzt zuzusehen, wie du von ihm verschleppt wirst!“, sagte er ernst. Gareth lachte.
„Du solltest lieber auf sie hören! Sie mag ja Gefühle haben, aber sie ist nicht dumm. Du bist mir hoffnungslos unterlegen!“, höhnte er. Vandell sah über die Schulter zu ihm zurück. „Halt die Klappe!“, zischte er. Gareth starrte ihn fassungslos an. Vandell kümmerte sich nicht um ihn. Er sah Hyne tief in die Augen und küsste galant ihre Hand, ehe er sich zu Gareth umdrehte, der inzwischen vor Wut schäumte. Noch immer weinend schlich Hyne zu Squall und Cifer, die den Kampf im Schutz eines der zahlreichen Tunnels beobachteten.
Vandell hielt seine Waffe locker in der rechten Hand. Er wirkte sehr entspannt, während sich Gareth ihm gegenüber aufbaute. „Du willst mich also herausfordern, Mensch?“, fauchte er. Um seine Hände tanzten Lichtfunken. Seine Augen blitzten. Vandell nickte gelassen. „Ich werde nicht erlauben, dass du Hyne mitnimmst.“, sagte er laut. Gareth legte den Kopf in den Nacken und lachte. „Du wirst es nicht erlauben? Nun, ich hatte eigentlich auch nicht vor, dich um Erlaubnis zu bitten, Dummkopf!“, höhnte er. Vandell lächelte dünn. Er packte sein Schwert mit beiden Händen und rief: „Dein Geschwätz ermüdet mich. Bringen wir es hinter uns!“
Gareth deutete eine Verbeugung an und fragte hämisch grinsend: „Welche Waffen dürfen wir benutzen?“ Vandell lächelte ebenfalls. „Ich möchte mich hier nicht festlegen. Wie es Euch beliebt, Milord!“, meinte er mit einer spöttischen Verbeugung.
Gareths Grinsen verschwand abrupt. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Seine Hände bewegten sich langsam nach oben. Er verharrte einen Moment in dieser Stellung, dann nahm er die Hände ebenso langsam wieder herunter. Die Farbe seiner Kleidung wechselte zu einem dunklen Rot. Nach einer weiteren Handbewegung lag plötzlich ein Schwert in seinen Händen, das nur aus Licht zu bestehen schien. Er griff an.
Vandell erwartete seinen Angriff ruhig. Die Waffen der Kontrahenten prallten mit furchtbarer Wucht aufeinander. Gareths Waffe sprühte Funken, als sie den harten Stahl Soulkillers berührte. Vandell löste sich schnell von seinem Gegner und ging zum Gegenangriff über, den Gareth spielend abwehrte. Er zog sich rasch wieder zurück und begann, Vandell mit schleichenden Bewegungen zu umkreisen. Vandell ließ sich nicht einschüchtern. Er hob seine Waffe etwas und stach ein paar Mal nach Gareth, der geschickt auswich. Nun begann Gareth, Vandell mit schnellen Hieben einzudecken. Vandell schlug einen Salto, der ihn aus der Reichweite seines Gegners brachte.
„Du kämpfst gut!“, meinte Gareth anerkennend. Er grinste bösartig. „Aber nicht gut genug!“, fügte er hinzu. Seine freie Hand zuckte vor und machte eine kompliziert aussehend Geste. Er ballte die Hand zur Faust und machte eine Bewegung in Vandells Richtung, die so schnell war, dass man sie eher erahnte als wirklich sah! Vandell hob abwehrend die Hände, als eine Druckwelle auf ihn zuraste. Dicht vor ihm wurde die Druckwelle umgelenkt und raste nun auf Gareth zu, der verblüfft die Hand wieder öffnete. Die Druckwelle löste sich auf.
„Wie hast du das gemacht?“, schrie er zornig. Ohne auf eine Antwort zu warten, stürzte er sich wieder auf Vandell, der seinen blitzschnellen Angriffen nur mit Mühe ausweichen konnte. Die beiden Gegner wurden zu huschenden Schemen, die sich so schnell bewegten, dass man ihnen kaum folgen konnte. Nur hie und da konnte man Vandells Waffe aufblitzen sehen, oder Gareths Lichtschwert. Beide Kontrahenten kämpften mit einer Geschicklichkeit, die kein Mensch in einem Leben erreichen konnte. Und ihre Schnelligkeit ließ sogar Xells Final-Heaven alt aussehen.
Schließlich trennten sich die Kämpfenden wieder voneinander. Keiner der Beiden konnte im Schwertkampf einen Vorteil erringen. Gareth warf sein Schwert in die Luft, worauf es spurlos verschwand. Widerstrebend ließ Vandell Soulkiller in die Scheide gleiten.
„Weißt du...“, meinte Gareth nachdenklich, „... da du meinen Thronerben getötet hast, brauche ich Ersatz für ihn.“ Er musterte Vandell anerkennend. „Wärst du nicht interessiert?“
Vandell spuckte auf den Boden. „Niemals!“, rief er wütend. Seine Stimme verriet aber auch Erschöpfung. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, während Gareth noch immer frisch und ausgeruht zu sein schien.
Gareth schüttelte den Kopf. „Du weißt nicht, was du da ablehnst! Du wärest nach meinem Tod der Herrscher über sechs Planeten! Und du könntest Frauen und Macht haben, mehr als du brauchst!“ Vandell ballte die Hände zu Fäusten. „Ich brauche keine Frauen und Macht. Die einzige Frau, die ich will, ist Hyne!“ Gareth seufzte bedauernd. „Nun, aber sie wäre Gift für dich, mit ihren rebellischen Gedanken. Diese Verbindung könnte ich nicht erlauben.“ Er versuchte noch einmal, Vandell zu überreden. „Aber denke doch nur an die Macht, die du erlangen würdest! Deine Skrupel könnte ich dir leicht austreiben!“ Vandell schwieg eisern. Seine Augen funkelten wütend. Gareth schüttelte wieder den Kopf. „Du bist ein verliebter Idiot!“, lachte er spöttisch. „Glaubst du denn wirklich, Hyne würde sich in einen Mann wie dich verlieben? Ha! Für sie bist du nichts weiter als ein Spielzeug!“ Er lachte. Vandell sah bestürzt zu Hyne, die ihren Vater mit großen Augen anstarrte. Sie wusste offenbar, was er vorhatte. „Nein!“, wimmerte sie, aber sie konnte es nicht verhindern. Squall und Cifer stützten sie rasch, als sie zusammenzubrechen drohte.
Gareth hob noch immer lachend eine Hand. Die Luft zwischen ihm und Vandell flimmerte, und allmählich zeigte sich ein Bild, das Vandell nur zu gut kannte: Die unterirdische Stadt. Der Platz der Schöpferin war zu sehen. Das Bild verschwamm und bildete ein neues: Vandell sah sich selbst, wie er die Tür zum Schlafgemach der Schöpferin bewachte. Erinnerungen stiegen in ihm hoch und drohten ihn zu ersticken. Er konnte sich aber nicht von dem Anblick abwenden, der sich ihm bot.
Die Tür des Schlafgemaches öffnete sich. Hyne trat heraus. Sie wirkte etwas abwesend, als hätte sie Drogen genommen. Sie war sehr leicht bekleidet; sie trug nur einen dünnen Bademantel, und Vandell starrte sie mit großen Augen an. Squall und Cifer verfolgten die Szene mit wachsendem Entsetzen. Der echte Vandell taumelte und fiel auf die Knie, ohne seinen Blick von der Szene abzuwenden, während der andere Vandell demütig den Blick senkte und Hynes Befehle erwartete.
„Schaff ihn hier raus.“, befahl Hyne abwesend und deutete auf den Mann, der hinter ihr das Zimmer verließ. Vandell nickte gehorsam und packte den Mann, der sich heftig wehrte. Er schleifte den Mann zum Ausgang und versetzte ihm einen Stoß, der den Mann fast zu Boden gehen ließ. Als Vandell sich umwenden wollte, rappelte sich der Mann auf und schrie wie von Sinnen: „Wie kann sie mich einfach so rauswerfen lassen? Das kann diese kleine •••••••• doch nicht mit mir machen!“ Vandell erstarrte und drehte sich langsam wieder um. Einige Schaulustige blieben stehen, um zu sehen, was hier passierte.
„Was hast du gesagt?“, fragte Vandell mit einer Stimme, die Squall einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Der Mann in der Szene schien aber nicht zu begreifen, wie gefährlich die Situation für ihn wurde. Er beschimpfte Hyne einfach weiter, bis Vandell sein Schwert zog und ihn enthauptete. Seelenruhig schob Vandell das Schwert wieder in die Scheide und deutete auf einen Mann in der Menge. „Du! Schaff diese Schweinerei hier weg!“, befahl er tonlos. Dann drehte er sich um und verschwand wieder im Palast der Schöpferin. Die unsichtbare Kamera folgte ihm. Als er wieder bei Hynes Schlafzimmer angekommen war, atmete er tief durch und klopfte. Als Hyne die Tür öffnete, wurde er sichtlich nervös. Er erhaschte einen Blick auf das Innere des Zimmers. Das Bett war völlig zerwühlt, und Hynes Kleider lagen auf dem Boden verstreut herum. Sie trug noch immer nur den dünnen Bademantel. „Was ist los?“, fragte sie müde. Vandell wagte erst nicht zu antworten, dann sagte er: „Euer chat’laà... er hatte einen kleinen Unfall.“ Hyne wandte sich achselzuckend wieder ab. „Unfälle passieren!“, sagte sie nur. Dann schloss sie die Tür wieder.
Die Szene verblasste. Gareth lachte wieder. „Sie wird dich genauso fallen lassen wie diesen Unglückseligen!“, kicherte er. Vandell hielt sich die Ohren zu und schüttelte den Kopf. „Nein! Nein! Hör auf!“, schrie er mit überschnappender Stimme. Gareth lachte nur noch lauter.
„Warum? Verträgst du die Wahrheit nicht? Sie ist eine kleine ••••, und wenn sie dich nicht mehr interessant findet, wird sie dich fallen lassen!“ Vandell schloss die Augen.
„Sieh dir doch nur einmal an, welche Männer sie schon vorher um den Verstand gebracht hat!“, kreischte Gareth irre. Ein neues Bild entstand. Hyne saß scheinbar gelangweilt auf einem Bett. Sie trug ein dünnes Kleid aus Seide und schien auf etwas zu warten. Oder auf jemanden.
Plötzlich tauchte ein Mann auf. Er war wohl sehr verängstigt.
„Was willst du von mir?“, fragte er mit zitternder Stimme. Hyne setzte ein betörendes Lächeln auf. „Denk genau nach.“, schnurrte sie. „Ich bin hier alleine und warte schon seit Stunden auf dich. Was könnte eine schwache Frau wie ich schon von einem starken, jungen Krieger wie dir wollen?“ Sie erhob sich und umarmte den jungen Mann. Der schob sie weg und flüsterte: „Hör auf! Du weißt, dass ich in zwei Tagen heiraten werde.“ Hyne lächelte. „Was denn? Du ziehst diese Bürgerliche mir vor? Mir, der Prinzessin? Außerdem...“ Sie öffnete die Spange, die ihr Kleid an der Schulter zusammenhielt. „...wenn ich nicht bekomme, was ich will, werde ich gesprächig. Und du willst doch nicht, dass unsere... Affäre bekannt wird. Was würde deine Verlobte sagen?“ Sie lachte und legte ihre Arme um die Schultern des Mannes. Der stöhnte und schloss die Augen. Hyne küsste ihn. „Na also. So ist’s brav.“
Die Szene verblasste wieder. „Siehst du?“, meinte Gareth. „Sie war einfach nur auf deinen Körper aus, weiter nichts. Und ich bin mir sicher, sie hatte schon hunderte bessere Liebhaber als dich. Warum sollte sie bei dir bleiben wollen?“
Hyne schrie auf. Sie stürzte aus ihrem Versteck hervor und ließ sich neben Vandell auf die Knie fallen. Bestürzt bemerkte sie, dass er weinte. Sie hatte nie gewusst, dass ihre Liebhaber ihn so sehr verletzt hatten!
„Ist es wahr?“, flüsterte er. Hyne nahm sein Gesicht zwischen beide Hände und zwang ihn, sie anzusehen. „Nein!“, sagte sie fest. „Ich liebe dich wirklich! Ich weiß erst seit heute Nacht, was Liebe ist... du hast es mir gezeigt... Vandell.“ Vandell senkte den Blick. „Aber wie kann ich dir glauben?“, fragte er verzweifelt. „Ich habe so oft mit angesehen, wie du mit deinen chat’laà umgegangen...“ Hyne küsste ihn sacht. „Du bist aber kein chat’laà! Du bist mein del’catá... mein Ritter...“, sagte sie leise.
Gareth verzog das Gesicht und unterbrach sie unwirsch. „Genug!“, schrie er zornig. „Das ist ja grauenhaft! Ich hätte nie gedacht, dass die Menschen hier so... verseucht sind von Gefühlen!“ Er hielt plötzlich einen langen Stab in der Hand. Er breitete zornig-rote Flügel aus und schwebte auf einmal einen Meter über dem Boden. Goldene Lichtfunken sprangen von dem Stab auf ihn über. Er wirbelte einige Male herum und machte komplizierte Gesten mit den Armen und den Händen. Die Luft um ihn flimmerte. Etwas materialisierte sich vor ihm. Es sah aus wie ein Drache, auch wenn Squall noch nie einen solchen Drachen gesehen hatte. Er war ein prächtiges Geschöpf, stolz und mächtig. Seine Schuppen glänzten golden, ebenso wie seine Augen. Der Drache nahm eine lauernde Haltung ein. Sein langer, beweglicher Schwanz peitschte hin und her. Neben diesem Drachen sahen die größten Rumbrum-Drachen wie kleine Eidechsen aus.
Zufrieden ließ sich Gareth wieder auf den Boden sinken. „Los, mein Baby! Zeig es ihnen!“, brüllte er vor Vorfreude beinahe überschnappend. Der Drache brüllte zustimmend und erhob sich in die Luft. Vandell riss Hyne weg und wich dem ersten Angriff im letzten Moment aus. Als er wieder etwas zu Atem gekommen war, knurrte er verärgert: „Jetzt reicht es!“ Er löste die Kette von seinem Hals und hielt sie hoch. Der Griever-Anhänger leuchtete kurz auf. Im selben Moment spürte Squall, wie sein eigener Anhänger kurz glühend heiß wurde und wieder erlosch. Hastig zerrte er die Kette hervor und betrachtete sie genauer. Cifer schrie plötzlich erschrocken auf und zog hastig seinen Mantel aus. Auf seinem rechten Oberarm erkannte Squall überrascht eine Tätowierung, die wie sein Anhänger aussah. „Was war das, verda...“ Cifer brach überrascht ab, als der Boden vor Vandell und Hyne zu leuchten begann. Squall erinnerte sich schaudernd an den Kampf gegen Artemisia. Damals hatte sie aus diesem Portal Griever beschworen, der dann gegen Squall und seine Freunde gekämpft hatte.
Doch dieses Mal stand Griever auf seiner Seite!
Der riesige Löwe wand sich aus dem leuchtenden Loch im Boden und brüllte laut auf. Aber anders als damals, als Squall gegen ihn gekämpft hatte, hatte sein Fell eine silbrig-graue Farbe. Alles, was Vandell zauberte, schien silbrig zu sein.
Dieser Griever war anders als der, den Squall besiegt hatte. Er war größer und furchteinflößender, als Squall ihn in Erinnerung hatte. Seine Augen waren bodenlose, schwarze Seen, aus seiner Kehle erklang ein leises Knurren, als er den Drachen musterte. In seinen dunklen Augen erkannte Squall etwas wie eine uralte Intelligenz.
Dies war der wahre Griever, erkannte Squall. Die G. F., die Artemisia gerufen hatte, war nur eine plumpe Nachahmung gewesen. Dieser Löwe strahlte eine Aura von Macht und Stärke aus, die in Squall das Gefühl gab, er wäre unbesiegbar.
Gareth schnaubte verächtlich. „Griever? Lächerlich! Er hat keine Chance gegen Ashkrad!“, höhnte er. Vandell richtete sich auf. „Wir werden sehen!“, sagte er.
Wie auf ein Kommando stürzten sich die gewaltigen Kreaturen aufeinander. Griever gelang es als erster, seinen Gegner zu verwunden, doch der Drache Ashkrad setzte sofort einen Hieb nach, der Griever an der Schulter verletzte. Der Löwe brüllte vor Schmerz laut auf. Er bewegte seine Löwenpranken wie normale Hände und formte eine weiße Energiekugel, die er dem Drachen entgegenschleuderte. Der Drache wurde mit voller Wucht getroffen und wankte. Aber er fing sich schnell wieder und sprang Griever an. Er brachte den Löwen zu Fall und schnappte nach dessen Kehle. Seine dolchartigen Zähne bohrten sich tief in Grievers Hals. Griever schüttelte ihn ab und schleuderte wieder eine Energiekugel, doch diesmal verfehlte er Ashkrad. Der Drache öffnete sein riesiges Maul und stieß einen seltsam menschlich wirkenden Schrei aus. Einige goldene Ringe bildeten sich vor ihm in der Luft und rasten auf den verwundeten Löwen zu. Griever sprang hoch, um den Ringen auszuweichen, doch einer streifte ihn an einem der Hinterläufe. Die restlichen rasten weiter und explodierten, als sie die gegenüberliegende Wand erreichten. Ashkrad schrie wieder, diesmal jedoch etwas schriller, und aus seinem Maul zuckten schwarze Blitze, die Griever nur um Haaresbreite verfehlten.
Plötzlich kreuzte Griever seine wie menschliche Arme anmutende Vorderläufe vor der Brust. Squall erinnerte sich schaudernd daran, wie er von einem „Schock-Pulsar“ um ein Haar getötet worden wäre. Der Drache bekam diesen Schock-Pulsar jetzt zu spüren. Weißes Licht umgab ihn, und er wurde emporgehoben, bis er aus Squalls Blickfeld verschwand. Nur ein kurzes Aufblitzen am Himmel zeugte davon, dass der Drache gerade den stärksten Angriff von Griever über sich ergehen lassen musste. Als Ashkrad wieder auftauchte, schwankte er heftig und wäre beinahe umgefallen. Im letzten Moment fing er sich wieder. Ashkrads Augen funkelten, als er wieder sein Maul öffnete. Diesmal schrie er aber nicht; nein, er fing an zu sprechen!
„Warum tust du das, Griever?“, grollte er. „Du warst einmal mein bester Schüler! Wir kämpften einst Seite an Seite! Warum hilfst du nun diesen schwächlichen Menschen?“
„Du hast uns verraten!“, brüllte Griever zurück. „Du dienst denen, die wir einst bekämpft haben! Du bist eine Schande für unsere Rasse!“ Ashkrad knurrte verärgert. Er stieß wieder einen Schrei aus, diesmal jedoch tiefer als vorher. Schwarzes Licht (es war das erste und letzte Mal in seinem Leben, dass Squall schwarzes Licht sah) raste auf Griever zu, der nicht mehr ausweichen konnte. Das Licht hüllte ihn ein und schien ihn von innen her aufzufressen. Griever brüllte erneut vor Schmerz, doch sein Brüllen wurde immer schwächer, bis es schließlich erstarb. Griever fiel schlaff zu Boden und blieb still liegen. Vandell, Cifer und Squall schrieen beinahe gleichzeitig auf.
Vandell presste die Hände an die Schläfen und schrie weiter, als hätte er selbst Schmerzen. Offenbar hatte er eine enge geistige Bindung zu Griever gehabt. Er brach zusammen und holte einmal Luft, nur um wieder vor Schmerz zu schreien. Hyne berührte ihn erschrocken an der Schulter, doch er schlug ihre Hand einfach weg. Squall und Cifer liefen zu ihm, aber sie wussten nicht, wie sie ihm helfen sollten. Vandell krümmte sich auf dem Boden und brüllte noch immer seine Schmerzen in die Welt hinaus. Urplötzlich war es vorbei. Er lag völlig still da und rührte sich nicht mehr. „Nein!“, kreischte Hyne verzweifelt. Sie bettete seinen Kopf in ihren Schoß und weinte. Sie versuchte, ihn mit Magie wieder zum Leben zu erwecken, doch es nutzte nichts. Squall versuchte, einen ‚Erzengel’ auf ihn zu sprechen, doch der Zauber funktionierte ebenso wenig wie die Phönixfeder, die Cifer warf. Hyne strich immer wieder über Vandells lebloses Gesicht. Sie achtete nicht auf ihren Vater, der sich am anderen Ende der Halle wieder aufrichtete. Offenbar hatte er eine ähnliche Bindung zu Ashkrad wie Vandell zu Griever. Durch Ashkrads schwere Verletzungen war er sehr geschwächt. Trotzdem richtete er sich auf und lachte.
„Ich sagte doch... dass er keine... Chance hat!“, keuchte er. Ashkrad kauerte noch immer auf dem Boden und funkelte die kleine Gruppe von Menschen an, die sich um den vorlauten Mann, der Griever beschworen hatte, versammelt hatte.
Squall sprang wütend auf und wollte sich schon auf Gareth stürzen, als er eine bekannte Stimme hörte.
„Warte kleiner Mensch! Dies ist unsere Aufgabe.“ Squall sah sich erschrocken um. „Odin?“, rief er verwundert. Gleich darauf erschien Odin zwischen ihm und Ashkrad, der Anstalten gemacht hatte, sich auf ihn zu stürzen. Und Odin war nicht allein!
Hinter ihm wurden die anderen G. F. sichtbar. Shiva stand friedlich neben Ifrit, Alexander stapfte neben Doomtrain herum. Auch Bahamut, Eden, Diabolos und alle anderen waren da. Viele andere, die Squall nicht kannte, wurden ebenfalls sichtbar. Die riesige Halle schien noch größer zu werden, um den G. F. Platz zu machen.
Odin drehte sich zu Ashkrad um. „Du Verräter wagst es, hierher zurückzukehren?“, donnerte er. Ashkrad duckte sich, als hätte Odin ihn geschlagen. „Verfluchter! Vergaßest du, was ich dir verkündete?“, fuhr Odin zornig fort. „Nun wirst du sterben für deinen Verrat! Du hast gegen deinen eigenen Schüler gekämpft und mein Gebot verletzt! Dafür gibt es nur die eine Strafe!“ Squall blinzelte überrascht. Er hatte nicht gewusst, dass Odin eine so mächtige G. F. war! Sogar Ashkrad musste sich seinem Urteil beugen.
Ashkrad aber funkelte Odin triumphierend an. „Aber wie willst du dein Urteil vollstrecken, Odin? Ich sehe dein Schwert nicht!“, grollte er. Odin wirkte ein wenig verunsichert.
Plötzlich verschwand das Raumschiff. Alle befanden sich auf einer unendlich großen Ebene. Ein strahlend blauer Himmel spannte sich über die Landschaft. Wie aus dem Nichts fielen vier Schwerter vom Himmel. Squall spürte Begeisterung in sich hochsteigen. „Gilgamesh!“, schrie er. Tatsächlich erhob sich zwischen den Schwertern Gilgameshs massige Gestalt. Doch anders als sonst packte er keines der Schwerter, um seine Gegner zu vernichten. Statt dessen nahm er behutsam den ‚Eisenschneider’... und hielt ihn Odin hin.
„Dies verlorest du, mein Bruder.“, ertönte eine Stimme aus dem Tuch, dass sein Gesicht verbarg. Ohne eine Miene zu verziehen, nahm Odin seine Waffe entgegen. „Ich danke dir, Bruder!“, erwiderte er schlicht. Sofort sah er wieder zu Ashkrad, der versuchte, sich aus dem Staub zu machen.
„Verräter! Nun erhältst du deine Strafe!“, brüllte er dem Drachen zu.
Die Hölle brach los.
Nacheinander griffen alle G. F. den goldenen Drachen an. Der brüllte immer wieder auf, wenn eine Angriff einer G. F. vorbei war. Schließlich packte Gilgamesh seine drei verbliebenen Schwerter Masamune, Excalibur und Excalipoor, um mit allen dreien zuzuschlagen. Als letzter griff Odin an. Mit einem lauten Brüllen stürzte er sich auf den Drachen. Er schlug so oft und so schnell zu, dass Squall es aufgab, mitzuzählen.
Das Brüllen von Ashkrad hörte abrupt auf. Der Drache war tot.
Odin wandte sich Squall zu.
„Nun, mein kleiner Ritter, leb wohl. Und bedenke, ich werde immer zur Stelle sein, wenn du Hilfe ersehnst!“ Er wollte sich umdrehen, aber Squall schrie ihm nach: „Warte!“ Odin drehte sich wieder um.

Galuf
03.11.2003, 14:05
„Was ist mit Vandell?“, fragte Squall mit zitternder Stimme. Er spürte, wie Cifer neben ihn trat. „Du musst ihm helfen, Odin!“, meinte er ebenfalls. Von Vandells Leiche konnte man Hynes unterdrücktes Schluchzen hören. „Wieso? Wieso sollte ich das tun?“, fragte Odin verwundert. „Aber... er ist doch...“, stotterte Squall fassungslos. Cifer trat einen Schritt vor und hob drohend die Faust. „Du wirst ihm sein Leben zurückgeben, klar?“, fauchte er Odin an. Der wirkte etwas verwirrt. „Wie soll ich ihm das Leben schenken? Er ist doch noch am Leben!“, meinte er. Squall und Cifer fuhren überrascht zusammen. „Aber wieso wacht er nicht auf?“, fragte Squall leise. Odin hob die Schultern. „Der Ritter und Griever haben eine enge geistige Bindung. Wird der eine verletzt, verspürt auch der andere den Schmerz.“ Squall blinzelte. „Aber... Griever ist doch tot... und du sagst, Vandell ist noch am Leben?“ Er schüttelte den Kopf. „Sorry, ich steige aus.“
Odin legte den Kopf schief und sah ihn streng an. „Hast du schon vergessen, wie überrascht du warst, mich am Leben vorzufinden? Ich sagte dir doch, dass niemand eine G. F. töten kann.“ Er bedachte den goldenen Drachenkadaver, der sich langsam auflöste, mit einem finsteren Blick. „Niemand außer mir.“, fügte er hinzu.
„Aber er wird sterben, wenn du ihm nicht hilfst!“, schrie plötzlich Hyne. „Hast du denn schon vergessen, was er für dich getan hat, undankbare Kreatur?“ Squall und Cifer sahen sich verwirrt an. Squall beschloss, Hyne später zu fragen, was sie damit gemeint hatte. Odin schien zu überlegen. Dann nickte er. „Der Ritter der Schöpferin wird leben.“, versprach er. Dann war er verschwunden.
Plötzlich hörte Squall einen leisen Schrei. Als er herumwirbelte, sah er einen riesigen Vogel, dessen Gefieder in allen Regenbogenfarben glänzte. „Phönix!“, entfuhr es ihm.
Hyne sah zu dem riesigen Vogel auf. Ihre Stimme zitterte, als sie fragte: „Bitte... kannst du ihm helfen?“ Phönix antwortete nicht. Er breitete stattdessen seine Schwingen aus und erhob sich mit lautem Gekrächze in die Lüfte. Der Boden um Vandell und Hyne schien zu explodieren. Plötzlich schrie Vandell auf. Hyne drückte ihn fester an sich. Orange Flammen züngelten aus dem Boden und legten sich um Vandell und Hyne. Dann war es plötzlich wieder vorbei.
Vandell erhob sich langsam. Hyne fiel ihm mit einem Aufschrei um den Hals. Erschöpft, aber glücklich drückte er sie an sich.
Das Raumschiff wurde wieder sichtbar. Squall und Cifer traten neben Hyne und Vandell, die sich noch immer umarmten. Niemand achtete auf Gareth.
Der erhob sich wieder und brüllte: „Dafür werdet ihr bezahlen!“ Offenbar war seine Bindung zu dem Drachen nicht so stark gewesen, denn trotz Ashkrads Tod war er noch immer imstande, sie alle zu vernichten.
Hyne hielt Vandell zurück, der sich trotz seiner Erschöpfung auf ihren Vater stürzen wollte, und trat ihm allein gegenüber. „Du hasst mich, weil ich lieben kann? Weil ich Mitleid für diese armen Teufel empfinde, die dir dienen? Nur deshalb?“
„Nein!“, ertönte plötzlich eine weibliche Stimme aus einem der angrenzenden Gänge. „Das ist nicht der einzige Grund.“ Hynes Mutter trat aus den Schatten. Glyna trug einen ähnlichen Anzug wie Hyne. Ihr eisblaues Haar war zu einem langen Zopf geflochten. In einer Hand hielt sie eine Art Waffe.
„Er hasst dich, weil du alles darstellst, woran auch ich einmal geglaubt habe. Alles, woran die Rebellen glauben.“ Sie sah ihre Tochter liebevoll an. „Auch ich habe einst gegen ihn gekämpft. Doch anders als du habe ich mich von ihm kaufen lassen. Ich wollte Macht, und er hat sie mir gegeben. Aber als du geboren wurdest und begannst, dich gegen ihn aufzulehnen, begann ich wieder zu hoffen. Ich hoffte, dass nicht alles umsonst war.“ Sie richtete ihren Blick auf ihren Ehemann. „Als er dich hierher verbannte, trat ich einer der Widerstandsgruppen bei, die sich nach deinem Vorbild gebildet hatten. Seitdem habe ich auf eine Möglichkeit gewartet, ihn zu töten!“ Sie hob die Waffe. Hynes Vater kreischte schrill und versuchte, einen Schutzschild um sich aufzubauen, aber er hatte nicht mehr genug Kraft. Ein verheerender Energiestrahl traf ihn mit voller Wucht und schleuderte ihn gegen die Wand. Röchelnd versuchte er, sich wieder aufzurichten, aber er schaffte es nicht. Er streckte eine grauenvoll verstümmelte Hand nach Glyna aus, als wollte er sie um Verzeihung bitten. Die Hand fiel schlaff herab. Aber er lebte noch immer!
Hyne und Glyna traten Seite an Seite neben ihn. Sie sahen stumm auf das verkohlte Etwas hinunter, das einmal ein mächtiger Zauberer und König gewesen war. Aber keine der Beiden schien gewillt zu sein, ihn von seinen Leiden zu erlösen.
Schließlich trat Vandell neben den König, der schon mehr tot als lebendig war. Er hob Soulkiller hoch über den Kopf und stieß es tief in das kalte Herz des Tyrannen. Mit einem erlösten Seufzer hauchte er seine rabenschwarze Seele aus.
Hyne schrie auf und packte ihn an der Schulter. „Was hast du getan?“, schrie sie. Vandell hielt ihrem zornigen Blick stand. Schließlich sah sie weg.
„Ich habe ihn von seinen Leiden erlöst.“, antwortete er ruhig. Hyne sah trotzig wieder auf. „Er hätte länger leiden sollen!“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Er hat Jahrhunderte, nein, Jahrtausende lang seine Familie und seine Untergebenen gequält! Er hat keinen schnellen Tod verdient!“
Vandell starrte sie schockiert an. Er schüttelte den Kopf. „Und das von dir? Du warst es, die immer gepredigt hat, wie wichtig eine Familie ist! Und dass man dem Menschen verzeihen soll, der einem am meisten geschadet hat!“ Hyne zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen.
„Du weißt doch gar nicht...“, zischte sie, aber Vandell ließ sie nicht ausreden. „Nein, vielleicht weiß ich nicht, was er dir angetan hat! Aber selbst du musst doch um deinen Vater trauern!“, brüllte er. „Ich habe keine Eltern! Diese beiden ebenso wenig!“ Er deutete auf Cifer und Squall. „Aber ich habe lange gebraucht, um über den Tod meiner Zieheltern hinweg zu kommen. Sie haben mich als einen der Ihren aufgezogen, obwohl sie wussten, dass ich nie zu ihnen gehören würde. Dass ich auf ewig ein Ausgestoßener sein würde. Und sie haben in Kauf genommen, von ihren Freunden geächtet zu werden, weil sie mich, einen Mischling, als einen der ihren aufgenommen haben!“ Hyne traten Tränen in die Augen. „Ich werde nie vergessen, wie meine Stiefbrüder mich verteidigten, wenn die anderen Kinder mich verspottet haben! Und ich werde niemals, hörst du, niemals die Tränen meiner Ziehmutter vergessen, als sie mich zu dir gehen lassen musste!“ Vandell stockte kurz, als er Hynes Tränen sah. Etwas leiser fuhr er fort:
„Damals wollte ich dich töten, weißt du das?“ Hyne starrte ihn entsetzt an. „Ich wollte dich töten“, fuhr er fort, „weil du mich einfach so erschaffen hattest, ohne nachzudenken, wie es für mich sein würde. Ich bin sehr einsam aufgewachsen. Ich hatte niemals Freunde. Auch keine Freundin. Und selbst meine Stiefbrüder haben sich im Grunde vor mir gefürchtet.“ Er machte wieder eine Pause. „Als meine Zieheltern mich zu dir schickten, wollte ich dich auf der Stelle töten. Aber dann habe ich dich gesehen.“ Er strich sanft eine Strähne ihres langen Haares aus ihrem Gesicht. „Ich habe gesehen, wie einsam und verloren du auf dem Thron gesessen bist. Du warst nicht viel mehr als ein Kind, das man in einen goldenen Käfig gesperrt hatte. Und alle hatten Angst vor dir. Du warst ganz allein. Wie ich.“ Er legte eine Hand an ihre Wange. „Damals habe ich gedacht, dass wir vielleicht gemeinsam einsam sein könnten.“, flüsterte er. Er nahm Hyne in die Arme. Sie schmiegte sich sofort an ihn und weinte.
Vandell war aber noch nicht fertig. „Squall kennt seinen leiblichen Vater erst seit einem halben Jahr. Aber er würde sterben, um ihn zu verteidigen! Und Cifer würde niemals zulassen, dass dem Ehepaar Kramer etwas zustößt, weil sie ihn aufgezogen haben! Ich kann mir nicht vorstellen, dass du überhaupt keine Gefühle für deinen Vater hattest.“
Hyne blinzelte ihre Tränen weg und sah noch einmal die Leiche ihres Vaters an. Ihre Mutter wirkte erschüttert. „Wie kannst du dir das nur gefallen lassen?“, fragte sie fassungslos. „Er ist nur ein Mensch! Er darf so nicht mit dir reden!“ Hyne sah wieder auf. Sie dachte lange über Vandells Worte nach.
„Aber er hat doch recht, Mutter!“, sagte sie leise. „Ich habe Vater irgendwie geliebt. Er wollte immer nur das Beste für mich. Dass seine und meine Ansichten verschieden waren, war doch nicht seine Schuld!“ Sie nahm Vandells Hand. „Und er darf mit mir reden, wie es ihm gefällt. Er ist mein del’catá!“ Glyna sog scharf die Luft ein. „Also ist es wahr? Du hast diesen Bastard erwählt?“ Hynes Hand schnellte vor und legte sich um Glynas Kehle.
„Wage es nie wieder, ihn zu beleidigen! Er war immer für mich da! Immer! Was ich von dir nicht behaupten kann.“, zischte sie wütend. Glyna riss sich wieder los. Zu Hynes Überraschung lächelte sie. „Eine andere Antwort hatte ich nicht erwartet. Ich habe gehofft, dass du hier glücklich wirst.“, sagte sie leise. Sie zog ihre völlig überrumpelte Tochter näher zu sich und küsste sie auf die Stirn. „Du hast meinen Segen, meine Tochter.“, flüsterte sie. Sie ging langsam auf Vandell zu, der ihrem Blick furchtlos begegnete. „Pass gut auf sie auf.“, sagte sie. Vandell nickte. Glyna nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und sah ihm lange in die Augen. Was sie dort sah, schien sie zufrieden zu stellen. „Ja.“, flüsterte sie. „Sie hat eine gute Wahl getroffen.“
Glyna drehte sich um und musterte Squall und Cifer, die still die ganze Szene beobachtet hatten. Sie nickte ihnen zu.
Dann wandte sie sich um und verschwand in einem der Korridore. „Leb wohl, mein Schatz!“, flüsterte sie, bevor die Schatten sie verschluckten. „Werde hier glücklicher, als du es bei mir sein konntest.“
„Ich liebe dich!“, erwiderte Hyne ebenso leise. „Du wirst mir fehlen.“
Verstohlen wischte sich Squall eine Träne von der Wange. Aber plötzlich hörte er, wie jemand hinter ihm die Rampe hinauf rannte. Als er sich umdrehte, bemerkte er überrascht Salina, die keuchend nach Atem rang. Cifer bemerkte sie auch. „Was machst du hier? Ich sagte doch, du sollst von hier verschwinden!“, herrschte er sie an. Sie beachtete ihn nicht und lief auf Squall zu.
„Draußen liegt ein Mädchen! Sie ruft immer wieder nach dir!“, keuchte sie. „Ich glaube...“ Bevor sie den Satz beenden konnte, stieß Squall sie unsanft zur Seite und rannte so schnell er konnte nach draußen. Er hielt sich nicht damit auf, die kurze Leiter am Ende der Lampe hinunter zu laufen, sondern sprang einfach über die Kante. Mit einer eleganten Rolle kam er wieder auf die Beine. So schnell er konnte, rannte er weiter. Die Palmen der Oase schienen so unendlich weit entfernt zu sein! Er rief immer wieder Rinoas Namen, aber sie antwortete ihm nicht. Panik machte sich in seinen Gedanken breit. Was ist, wenn sie tot ist, oder wenn... , dachte er, aber er zwang sich, diesen Gedanken abzubrechen.
Endlich konnte er Rinoa sehen! Sie lag näher an der Quelle, als er es in Erinnerung hatte. Ein feuchtes Stück Stoff lag auf ihrer Stirn. Offenbar hatte sich Salina um sie gekümmert. Sie war fürchterlich blass. Und sie bewegte sich nicht.
Squall fiel neben ihr auf die Knie und nahm sie sanft in die Arme.
„Rinoa! Bitte, tu mir das nicht an!“, flüsterte er. Sie bewegte sich nicht. Er drückte sie etwas fester an sich. „Bitte, sag irgend etwas! Rede mit mir! Rinoa...“ Er krallte eine Hand in ihr schweißnasses Haar und küsste ihre kalte Stirn. „Rinoa! Wach auf! Bitte...“ Tränen traten in seine Augen. „Du darfst mir hier nicht wegsterben!“, schrie er verzweifelt. Am Rande nahm er wahr, dass die Anderen sich der Oase näherten. Es war ihm völlig egal. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem ohnmächtigen Mädchen in seinen Armen.
Sachte strich er eine Strähne ihres pechschwarzen Haares aus dem bleichen Gesicht. „Rinoa! Bleib bei mir, bitte...“
Sie hörte auf zu atmen. „Nein!“, kreischte Squall entsetzt. „RINOA!“ Hastig fühlte er ihren Puls. Er spürte überhaupt nichts. „Nein!“, wimmerte er. „Oh Gott, bitte nicht!“ Er legte sie wieder in den warmen Sand und legte seine Hände vor das Gesicht. Tränen liefen über seine Wangen. Er vergaß alles um sich herum und weinte hemmungslos. Immer wieder flüsterte er ihren Namen, als könnte er sie dadurch wieder lebendig machen. Aber sie wachte nicht auf. Sie lag vor ihm, so bleich und still...
Squall ließ die Hände erst sinken, als jemand ihn an der Schulter berührte. Durch den Tränenschleier konnte er Hyne erkennen. Ihre Ähnlichkeit mit Rinoa sprang ihm jetzt besonders ins Auge. Er senkte den Blick wieder und schloss die Augen. Er ließ es zu, dass sie ihn in die Arme nahm und ihm beruhigend über das Haar strich.
„Sie ist tot!“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme. Hyne sagte nichts. Er öffnete die Augen wieder und sah Hyne ins Gesicht. „Das ist deine Schuld!“, schrie er. „Du hast gewusst, dass es gefährlich ist!“ Hyne wischte sanft eine Träne von seiner Wange. „Ja.“, sagte sie leise.
Squall sprang auf und taumelte einige Schritte zurück, bis er gegen eine Palme prallte. „Ja? Ist das alles? Kein ‚Es tut mir leid!’? Sie ist tot!“, kreischte er.
Hyne stand auf. „Das ist sie nicht.“, sagte sie ruhig.
Squall brauchte einige Zeit, bis er den Sinn dieser Worte erfasste. „Du... du meinst sie lebt...“, krächzte er. Hyne nickte. „Und ich werde sie wieder aufwecken.“, bestätigte sie.
Unsicher machte Squall wieder einige Schritte auf sie zu und wäre beinahe hingefallen, wenn Cifer ihn nicht schnell gestützt hätte. Er schüttelte unwirsch Cifers Hand ab und lief weiter auf Hyne zu. Er sank vor ihr auf die Knie und packte ihre Hand. „Bitte! Bitte, bring sie zurück! Bring sie wieder zurück zu mir!“, flehte er. Hyne zwang ihn aufzustehen. Sie lächelte ihn an. „Das werde ich, keine Sorge. Das bin ich dir schuldig.“
Sie kniete neben Rinoa nieder und atmete ruhig durch. Sie faltete ihre Hände vor der Brust. Mit ihrer angenehmen Stimme begann sie, ein leises, ruhiges Lied zu singen. Sie wiegte sich im Takt der Musik. Der Stein auf ihrer Stirn begann zu leuchten und breitete sein Licht über ihren ganzen Körper aus. Als Hyne die Augen wieder öffnete, wechselten sie die Farbe, zuerst rot, dann blau und schließlich ein so reines Weiß, dass es beinahe blendete. Hyne hob ihre Hände über den Kopf und sang etwas lauter. Zwischen ihren Händen bildete sich eine leuchtende Kugel, die heller strahlte als die Sonne, ohne zu blenden. Die Kugel schwebte langsam auf Rinoa zu. Hyne legte ihre Hände auf Rinoas Körper, die Handflächen nach oben. Die leuchtende Kugel legte sich auf ihre Hände und löste sich auf. Glitzernde Lichtteilchen breiteten sich über Rinoas Körper aus.
Plötzlich schrie Rinoa laut auf. Ihre Stimme war schrill, als verspüre sie unvorstellbare Schmerzen. Schaudernd erinnerte sich Squall daran, wie Hyne ihn selbst wieder auferweckt hatte. Rinoa lebte zwar noch, aber es schien genauso schmerzhaft zu sein. Er kniete sich neben Rinoa hin und nahm sanft ihre Hand. Ihre Augen waren weit geöffnet, aber sie schien Squall nicht zu sehen. Ihre Hand schloss sich so fest um seine, dass er beinahe aufschrie. Er umarmte sie und wiegte sie sanft. Sie hatte aufgehört zu schreien, aber ihre Fingernägel gruben sich äußerst schmerzhaft in seine Hand. Ihr Atem ging schnell und flach.
„Es tut so weh...“, flüsterte sie. Squall konnte sie beinahe nicht verstehen. „Squall? Wo bist du...“, rief sie plötzlich. Squall drückte sie etwas fester an sich. „Ich bin hier!“, sagte er leise. „Keine Angst, es ist gleich vorbei! Ich bin hier..“ Rinoa schien noch etwas sagen zu wollen, aber plötzlich bäumte sie sich auf, krallte ihre Hände in ihr Haar und schrie wieder auf. „Es tut so weh!“, kreischte sie wieder. Sie presste plötzlich ihre Hände gegen den Bauch und krümmte sich. Ihr Gesicht war vor Schmerzen verzerrt. Squall wurde unruhig. Bei ihm hatte es nicht so lange gedauert! Und er war tot gewesen, verdammt noch mal!
Hyne packte ihn plötzlich und zog ihn von Rinoa weg. Sie strich mit einer Hand über Rinoas Körper. Über ihrem Bauch verharrte sie. Ihre Augen weiteten sich erschrocken. Hastig winkte sie Vandell zu sich.
„Halt sie fest!“, befahl sie ihm. Keine einfache Aufgabe. Vandell hielt Rinoa so ruhig er konnte, aber sie wand sich noch immer vor Schmerz in seinem Griff.
Plötzlich wuchsen Hyne wie aus dem Nichts zwei weiße Schwingen aus den Schultern. Ein Ausdruck höchster Konzentration lag auf ihrem Gesicht. So sah Rinoa auch aus, wenn sie ihre Hexenmagie entfesselte.
Hyne legte eine Hand auf Rinoas Stirn, die andere auf ihren Bauch. Sie murmelte einige dunkel klingende Worte in ihrer Muttersprache. Dann schrie sie Vandell etwas zu, das Squall nicht verstand. Er starrte ängstlich in Rinoas schmerzverzerrtes Gesicht. Sie schlug wie wild um sich, als Vandell plötzlich losließ. Dann stieß sie einen markerschütternden Schrei aus und bäumte sich wieder auf. Sie krallte ihre Hände in den Sand. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten blicklos ins Leere.
Dann, von einer Sekunde auf die andere, war es vorbei. Rinoa fiel schlaff in den Sand und blieb still liegen. Erst nach einigen Sekunden wagte Squall, sie zu berühren. Ihre Haut war kalt, aber sie atmete! Squall küsste sie sanft und drückte sie fest an sich. Er spürte, dass sie wach war, als sie ihre Arme um ihn legte. Er verbarg sein Gesicht in ihrem weichen Haar und weinte leise. Rinoa presste ihre zitternden Lippen kurz gegen seine Wange und lächelte erschöpft.
„Fast... hätte ich dich verloren!“, flüsterte Squall kaum verständlich. Rinoa war nicht fähig, irgend etwas zu erwidern. Ihr Körper schmerzte noch immer. Aber sie war glücklich.
„Ich glaube, du wirst ein längeres Gespräch mit deinem del’catá führen müssen!“, sagte plötzlich Hyne. Sie klang müde. Als Rinoa erschöpft aufsah, bemerkte sie, dass Hyne damit sie gemeint hatte. Wusste sie etwa, dass...?
Rinoa nickte langsam. Sie schloss wieder die Augen und legte ihren Kopf an Squalls Schulter, der inzwischen aufgehört hatte zu weinen. Er küsste sie zärtlich und sah ihr tief in die Augen. Rinoa lächelte schwach und hob eine Hand. Squall nahm sie und berührte sie sanft mit seinen Lippen. Er strich liebevoll eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und küsste sie noch einmal. Rinoa versuchte, etwas zu sagen, aber ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Sie versuchte es wieder, und diesmal gelang es ihr, „Ich liebe dich!“ zu flüstern. Squall lächelte und erwiderte leise: „Ich liebe dich auch!“
Hyne legte Squall eine Hand auf die Schulter und schob ihn sanft zur Seite. Rinoa sah sie an und hoffte, dass Hyne ihr Geheimnis nicht verraten würde. Hyne nahm Rinoas Gesicht zwischen ihre Hände und küsste ihre Stirn. Rinoa fühlte, wie neue Kraft in sie strömte. Sie wusste, dass dieses Geschenk der Schöpferin bald aufgebraucht sein würde, aber im Moment war sie kräftig genug, um aufzustehen. Squall stützte sie schnell, als sie schwankte. Dankbar lehnte sie sich gegen ihn. Als er sie hochhob und zu einem der Pferde trug, widersetzte sie sich ihm nicht. Er hob sie auf das Pferd und schwang sich hinter ihr in den Sattel. Rinoa spürte, wie er einen Arm um sie legte. Sie schloss die Augen und schmiegte sich eng an ihn.
Auch Hyne und Vandell ritten gemeinsam auf dem schwarzen Hengst. Salina schwang sich in den Sattel des Pferdes, das Rinoa geritten hatte, und Cifer saß schon auf seinem Rotfuchs. Vandell ritt voraus, in Richtung Esthar. Dort würden sie medizinische Hilfe für Rinoa und Hyne bekommen, erklärte er Squall, der sein Pferd neben ihn lenkte. Der nickte und ritt etwas schneller, als die Residenz sichtbar wurde. Er erkannte in der Menschenmenge vor dem Gebäude deutlich Ward, und neben ihm Kiros und Laguna. Offenbar waren sie gleich nach seinem Aufbruch nach Esthar zurückgekehrt. Squall stellte sich vor, wie es wohl auf die Männer wirken musste, die Pferde gute zehn Meter über dem Boden auf die Präsidentenresidenz zugaloppieren zu sehen. Er schrie Cifer, der hinter ihm ritt, zu: „Sag ihnen, sie sollen Professor Odyne holen. Wir warten in Lagunas Büro.“ Cifer nickte und lenkte sein Reittier auf den Platz, auf dem sich Laguna und die anderen aufhielten. Squall deutete auf das Dach der Residenz. Vandell nickte. Sicher setzten die Pferde auf dem Dach auf. Squall und Vandell schwangen sich beinahe gleichzeitig aus dem Sattel und hoben ihre Hexen herunter. Rinoa war noch immer wach, aber Hyne war in Ohnmacht gefallen. Die Rettung von Rinoa hatte sie offenbar ausgelaugt.
Salina blieb unschlüssig stehen. Sie wusste offenbar nicht, wohin sie gehen sollte. Squall nickte in Richtung des Liftes, der ins Innere der Residenz führte. „Na los, komm schon!“, sagte er. Salina schüttelte den Kopf. „Ich kann doch nicht... Das ist die Residenz des Präsidenten von Esthar!“, sagte sie erschrocken. Squall lächelte. „Ja, klar! Keine Angst, mein Vater wird dir schon nicht den Kopf abreißen. Besonders nicht, nachdem du uns geholfen hast.“ Salina starrte ihn mit großen Augen an. Offenbar erkannte sie ihn erst jetzt. „Du... du bist der Squall? Der Sohn des Präsidenten? Du hast die... Hexe Artemisia besiegt?“, ächzte sie. Squall nickte und legte den Kopf schief. Also gab es doch noch Menschen, die ihn nicht kannten. Salina schlug eine Hand vor den Mund. „Und Cifer...“ „... war ihr Hexenritter, ja. Und jetzt komm schon! Wir haben nicht ewig Zeit!“, unterbrach Squall sie. Vandell war mit Hyne schon ins Gebäude verschwunden, und Rinoa wurde zunehmend schwächer.
„Du... du bist also... der Sohn von Raine? Aus Winhill?“, fragte Salina schüchtern. Squall sah sie überrascht an. „Woher weißt du das?“, fragte er. Salina senkte den Kopf. „Ich... stamme aus Winhill. Meine Mutter hat mir immer davon erzählt, wie Raine gestorben ist, nachdem sie... nachdem sie den Sohn des Präsidenten zur Welt gebracht hat. Äh, nachdem sie dich zur Welt gebracht hat!“, verbesserte sie sich hastig. Squall spürte Tränen in den Augen brennen. Er hatte seine Mutter nie kennen gelernt. Er war von klein auf in Edeas Waisenhaus aufgewachsen, weil Laguna erst später von ihm erfahren hatte. Aber manchmal vermisste er seine Mutter trotzdem.
Salina wurde rot. „Meine Mutter... hat gesagt, dass sie bei deiner Geburt dabei war. Sie war Raines beste Freundin, und sie hat dich auch in das Waisenhaus gebracht. Sie... sie wollte nicht, dass du bei deinem Vater aufwächst.“ Squall drehte sich abrupt um. Rinoa hatte das Bewusstsein verloren, während er Salina zugehört hatte. Er lief zum Lift und rief Salina über die Schulter zu: „Komm schon! Wir reden später weiter.“ Salina setzte sich gehorsam neben ihm auf den Lift. Sie schwieg, bis sie Rinoa ins Lagunas Büro gebracht hatten.
Laguna rannte Squall sofort entgegen. Vandell stand neben einer Couch, auf der Hyne lag und von Prof. Odyne untersucht wurde. Der schien sich unter Vandells kritischer Beobachtung nicht wohl zu fühlen.
Laguna nahm Squall seine süße Last ab und legte sie ebenfalls auf eine bequeme Couch. Squall ließ sich neben ihr auf die Couch sinken und nahm ihre Hand. Er sah zu Odyne, der gerade Vandell mit Fragen löcherte, die dieser geduldig beantwortete.
„Dies sei ein ungewöhnlicher Fall, oder? Diese Frau sei kein Mensch, oder?“
„Nein. Sie ist die Schöpferin Hyne, falls Ihnen dieser Name etwas sagt.“
„Hm! Ich habe von dieser Legende gehört, oder? Hyne de Carracas sei ihr Name, oder?“
„Ja.“
„Und wie sei Euer Name?“
„Vandell LaDiganè.“
„Ah, der Ritter, oder? Ich habe gehört von einer Inschrift in Centra...“
„Hm. Nun, davon gab es einige. Wurde ich etwa auch erwähnt?“
„Oh, ja! Viele Male! Eure Augen seien sehr interessant, oder?“
Es erstaunte Squall, wie geduldig Vandell die Fragen des Professors beantworten konnte. Das bedeutete, dass Hyne und Rinoa nicht in Gefahr waren. Wenn es anders wäre, wäre Vandell niemals so ruhig geblieben.
„Hören Sie mal, meine Augen gehen Sie überhaupt nichts an!“, meinte Vandell gereizt. Offenbar war Odyne nicht der Erste, der ihn darauf ansprach. Odyne ließ sich aber nicht einschüchtern.
„Ich denke...“ „Und ich denke, dass du dich endlich um die beiden Ladies kümmern solltest!“, unterbrach ihn Laguna scharf. Vandell warf ihm einen dankbaren Blick zu.
Squall stand auf. Salina stand noch immer bei der Tür und starrte abwechselnd ihn und Laguna an. Squall ging zu ihr und machte eine einladende Geste nach draußen. Sie nickte und verschwand sofort. Als sich die Tür wieder geschlossen hatte, fragte er: „Möchtest du nicht nach Hause?“ Sie schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. „Sie haben meine Mutter... umgebracht, als sie... mich verschleppt haben... vor zwei Monaten.“ Squall runzelte die Stirn.
„Und dein Vater?“, fragte er vorsichtig.
„Ist nach meiner Geburt abgehauen.“
„Oh! Tut mir leid.“
Salina lachte leise. „Du müsstest dieses Gefühl doch kennen.“, meinte sie bitter.
Squall schüttelte den Kopf. „Laguna konnte nichts dafür. Er wollte Ell retten, als ich geboren wurde. Deshalb war er nicht bei Raine.“ Salina nickte. „Ich konnte ohnehin nie glauben, dass er sie einfach so zurückgelassen hat.“, sagte sie. „Sie muss eine sehr nette Frau gewesen sein. Meine Mutter hat oft von ihr gesprochen.“ Sie musterte Squall eindringlich. Der sah zu Boden. „Du scheinst sehr viel von ihr zu wissen.“, meinte er leise. Salina lächelte. „Klar. Meine Mutter hat sich immer über diesen verantwortungslosen Kerl aufgeregt, der sie geschwängert hat.“
„Herzlichen Dank!“, meldete sich Laguna hinter ihnen. Salina wurde blass. „Verzeihung... ich... ich wollte nicht...“ Laguna winkte ab. „Schon gut. Ich weiß, dass die Leute in Winhill mich nicht besonders mochten.“ Er schwieg eine Weile. „Es tut mir leid, dass deine Mutter tot ist. Wenn ich dir irgendwie helfen kann...“ Er lächelte schwach. „Aber jetzt müsst ihr mich entschuldigen. Ich muss einen Staat regieren.“ Obwohl er lächelte, wirkte er irgendwie traurig.
Salina sah ihm betroffen nach. „Ich wollte ihn nicht beleidigen. Es tut mir leid.“, flüsterte sie. Squall sah ihr in die Augen und lächelte. „Das weiß er, keine Sorge. Du kannst ohnehin nichts dafür. Du warst noch nicht einmal auf der Welt, als er Winhill verlassen hat.“ Er spürte Trauer in sich aufsteigen und er musste wieder an seine Mutter denken.
„Weißt du, wie meine Mutter war? Was für ein Mensch sie war?“, fragte er leise. Salina fühlte sich sichtlich unwohl. „Nur aus den Erzählungen meiner Mutter. Das ist nicht viel.“ Squall lächelte traurig. „Das ist mehr, als ich weiß.“, meinte er bitter.
Salina schwieg eine Weile. „Sie war... ein ruhiger Mensch.“, begann sie. „Sie war auch sehr gutherzig und hilfsbereit. Sie... sie war aber manchmal auch ziemlich naiv. Als Laguna um ihre Hand angehalten hat, sagte sie sofort ja, ohne nachzudenken.“ Sie schwieg wieder. „Außerdem soll sie sehr hübsch gewesen sein.“ Squall lächelte. „Kiros sagt immer, ich wäre wie sie. Er ist offenbar sehr froh darüber.“ Salina fühlte sich offenbar nicht wohl. Sie schwieg und sah zu Boden.
Squall wechselte das Thema. „Wohin willst du jetzt gehen?“, fragte er. Salina antwortete nicht. Squall bemerkte Cifer, der auf sie zukam. Plötzlich hatte er eine Idee.
„Sag mal, magst du Kinder?“, fragte er. Salina nickte überrascht. „Ich liebe Kinder! Ich habe immer auf die Kleinen im Dorf aufgepasst.“
Squall lächelte. „Hast du schon einmal von Edeas Waisenhaus gehört? Edea sucht immer noch nach einer Helferin...“

Galuf
03.11.2003, 14:07
Epilog:

Als Rinoa aufwachte, bemerkte sie als erstes, dass sie wieder im Garden war. Sie lag in Squalls Bett, in seinem Apartment. Sie trug nur ein kurzes Nachthemd aus Seide unter der dünnen Decke. Die Schmerzen in ihrem Kopf waren verschwunden. Sie fühlte sich einfach wohl.
Bis sie versuchte, sich aufzusetzen. Mit einem erschrockenen Keuchen ließ sie sich wieder auf das Kissen fallen, als ein heftiges Schwindelgefühl sie packte.
„Rinoa? Alles in Ordnung?“ Seine Stimme...
Rinoa lächelte. „Jetzt schon!“, flüsterte sie. Sie konnte seine Gestalt im Halbdunkel des Zimmers nur undeutlich erkennen. Als er sich vorbeugte, erhellte Mondlicht sein Gesicht. Er lächelte sie an. „Was ist passiert?“, fragte Rinoa leise. Squall setzte sich neben ihr auf das Bett.
„Nicht jetzt!“, flüsterte er. Er beugte sich über sie und küsste sie sanft. Rinoa erwiderte seinen Kuss ebenso zärtlich. Sie schlang ihre Arme um ihn und zog ihn dichter an sich.
So lange waren sie getrennt gewesen, so lange... Jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach ihm, nach seinen heißen Küssen und seinen zärtlichen Berührungen. Aber Squall löste sich schnell wieder von ihr. Zuerst verstand Rinoa nicht weshalb, aber dann bemerkte sie eine weitere Gestalt im Zimmer. Sie setzte sich auf und spähte in die Richtung, wo jemand sie beobachtete. Erschrocken erkannte sie ihren Vater, der in der Ecke des Zimmers stand und Squall mit seinen Blicken regelrecht aufspießte.
„Was willst du hier?“, fuhr sie ihn an. Oberst Caraway sah sie lange an. „Entschuldige bitte, dass ich mir Sorgen um dich mache!“, erwiderte er.
„Mir geht es gut, danke.“, meinte sie kühl. „Würdest du jetzt bitte gehen?“ Sie konnte die Verärgerung, die von ihm ausging, beinahe sehen. Wütend machte er einige Schritte auf sie zu. Sie schmiegte sich enger an Squall, der sofort schützend einen Arm um sie legte. Sie fühlte sich sicher bei ihm.
„Ich verbitte mir diesen Ton, junge Dame!“, zischte Caraway. „Was denkst du dir eigentlich? Dass ich dich einfach diesem... Mistkerl überlasse?“ Er schien völlig zu übersehen, dass der ‚Mistkerl’ ebenfalls anwesend war.
„Es ist immer wieder schön zu erfahren, wie Sie über mich denken!“, sagte Squall kühl. „Aber ich denke, Sie haben Ihre Tochter gehört.“ Caraway starrte ihn an.
„Du...“, begann er, aber er brach sofort wieder ab.
Squall ignorierte ihn und wandte sich wieder Rinoa zu. Sie hörte, wie ihr Vater überstürzt das Apartment verließ. Es kümmerte sie nicht. „Rinoa... Schatz, ich muss dich etwas fragen...“, sagte Squall leise. Rinoa sah ihn an. „Was denn?“
Squall schien unsicher zu sein, wie er anfangen sollte. Rinoa küsste ihn, um ihm Mut zu machen.
„Als Hyne dich... aufgeweckt hat...“, begann Squall, „... da hat sie etwas gesagt. Dass du mit mir über etwas sprechen müsstest!“ Rinoa streichelte sanft seine Wange.
„Ja... ich glaube, ich muss es dir sagen.“ Squall küsste sacht ihre Handfläche. Rinoa wagte nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Sie holte tief Luft.
„Squall... ich... ich bin schwanger!“, flüsterte sie. Squall erstarrte. Er packte Rinoas Hand. „Was?“, flüsterte er fassungslos.
„Ich bin schwanger!“, wiederholte sie. Squall drückte ihre Hand noch fester.
„Seit wann?“, fragte er heiser. Rinoa wusste zuerst nicht, worauf er hinaus wollte, aber dann verstand sie. „Das Kind ist von dir! Ich bin im dritten Monat.“ Ungläubig hob Squall eine Hand, wagte es aber nicht, sie zu berühren. Rinoa nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. Sie lächelte ihn beruhigend an.
Er schien noch immer nicht zu begreifen. „Aber... man sieht doch gar nichts...“, flüsterte er. Rinoa streichelte seine Wange. „Das kommt noch.“, erwiderte sie. Squall sah sie an. Er sah plötzlich viel jünger aus. Er wusste offenbar nicht, was er sagen sollte. Hilflos ließ er seine Hände sinken. Rinoa streichelte sanft seine Wange. „Was ist?“, flüsterte sie. Squall starrte sie an. „Aber... wir... wir sind doch beide noch so jung! Ich meine... ich bin erst achtzehn, und... du erst siebzehn...“ Er verstummte und schloss die Augen. Rinoa spürte Tränen in ihren Augen. „Freust du dich denn nicht?“, fragte sie. Squall riss die Augen auf starrte sie an. „Doch... es ist nur... das kommt so plötzlich! Ich weiß nicht, was ich sagen soll!“ Seine Stimme brach. Rinoa legte seinen Kopf an ihre Schulter. „Sag nichts... halt mich nur fest!“, flüsterte sie. „Ich... ich habe lange nachgedacht.“, fuhr sie fort. „Es macht mir nichts aus, dass wir noch so jung sind. Ich hätte mir auch etwas mehr Zeit gewünscht, aber... ich möchte dieses Kind... unser Baby... auf die Welt bringen. Ich werde sicher keine perfekte Mutter sein, aber ich habe... mit Edea gesprochen, und... sie sagte, dass sie uns helfen würde, das Kind großzuziehen.“ Sie sah ihm in die Augen. „Squall... willst du etwa kein Kind von mir?“, fragte sie verletzt, als sie die Tränen in seinen Augen sah. Er legte einen Finger auf ihre Lippen und schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht... ich weiß nur nicht, ob ich für eine solche Verantwortung schon bereit bin...“ Er küsste sie sacht. „Aber solange du bei mir bist, stehe ich alles durch.“, fügte er lächelnd hinzu. Schweigend blieben sie sitzen.
Nach einer Weile hörte Rinoa Musik. Sie sah auf und lauschte.
„Gibt’s hier etwa eine Party?“, fragte sie erfreut. Squall lächelte und nickte. „Ja... willst du hingehen?“ Rinoa sah ihn an. „Nur wenn du auch willst.“, meinte sie.
Squall lachte. „Ob ich will? Ich habe gerade erfahren, dass ich Vater werde! Ich will feiern!“ Rinoa lachte ebenfalls. Sie war froh, dass er es so aufnahm. Sie hatte sich ständig ausgemalt, was passieren würde, wenn sie es ihm sagte.
Sie stand auf und sah sich um. „Ich schätze, ich sollte mir etwas anderes anziehen.“, meinte sie kichernd. Sie verstummte, als er von hinten seine Arme um sie legte und ihren Hals küsste. Seine Lippen wanderten langsam nach oben, und ihre Haut brannte, wo sein Mund sie berührte... Sie drehte sich um und schloss die Augen. Sie spürte, wie er seine weichen Lippen auf ihren Mund presste und erwiderte seinen Kuss ebenso stürmisch. Seine Hand wanderte nach unten, unter den Saum des kurzen Nachthemdes, und streichelte ihre zarte Haut. Rinoas Herz klopfte ihr bis zum Hals, als er die Träger des Nachthemdes von ihren Schultern gleiten ließ. Das Nachthemd fiel zu Boden. Seine Hände pressten sie fester an sich.
Obwohl es fast wehtat, schob sie ihn von sich weg. „Es reicht! Du wolltest doch auf die Party?“, flüsterte sie atemlos. Sie sah selbst im dämmrigen Licht des Mondes, dass er errötete. Er räusperte sich und nickte. Er vermied es, sie direkt anzusehen. Wortlos begann Rinoa, sich das Kleid anzuziehen, das auf einer Couch lag. Sie schätzte, dass es von Hyne war, denn sie selbst hatte es noch nie gesehen. Es war rot und sehr schlicht geschnitten. Rinoa verliebte sich sofort in das Kleid. Sie verschwand für längere Zeit im Bad, um sich etwas frisch zu machen.
Sie huschte wieder zu Squall, der bereits an der Tür wartete. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihm ins Ohr: „Fortsetzung folgt!“
Er lächelte und nickte. „Aber jetzt sollten wir gehen.“ Sie hakte sich bei ihm unter und lächelte ebenfalls. „Ich bin nur mal gespannt, wie Laguna es aufnimmt, dass er Großvater wird.“, kicherte sie.

Die Party war bereits voll im Gange, als die Beiden den großen Ballsaal betraten. Selphie, Irvine, Xell und Quistis bemerkten sie natürlich sofort. Selphie rannte sofort auf sie zu und fiel Rinoa um den Hals.
„Ich daaaaaaaaaachte schoooon, ihr koooommt nicht meeeeehr!“, quietschte sie vergnügt. Irvine klopfte Squall auf die Schulter. „Na, ihr Zwei habt euch wirklich Zeit gelassen!“, meinte er grinsend. Xell grinste ebenfalls. „Ach komm, lass den Beiden doch ein wenig Privatsphäre.“ „Sie hatten bestimmt fürchterlich viel zu besprechen!“, fügte Quistis lachend hinzu.
Rinoa lachte. „Ja, stellt euch vor, mein Vater war die ganze Zeit dabei!“, kicherte sie. Quistis hob eine Augenbraue. „Ach? Und, was hat er gesagt?“, wollte sie wissen.
„Weiß nicht so genau.“, erwiderte Rinoa nachdenklich. „Als ich sagte, dass er gehen soll, ist er abgehauen. Und dann ist Squall auch so still geworden, als ich gesagt habe, dass ich schwanger bin.“
Urplötzlich wurde es still. „Was war das eben?“, fragte Xell nach einer längeren Pause. „Du hast schon richtig gehört.“, bestätigte Squall. „Sie ist schwanger.“ Wieder eine Pause. Dann fiel Selphie Rinoa wieder um den Hals. „Das ist ja suuuuuuuper!“, rief sie strahlend.
„Hast du’s schon Laguna erzählt?“, wollte Irvine wissen. Auch er strahlte über das ganze Gesicht. Squall schüttelte den Kopf. „Nein. Wir wollten ihn eigentlich gerade suchen.“
„Er ist gerade in ein sehr lebhaftes Gespräch mit diesem Oberst verwickelt.“, meldete sich eine vertraute Stimme hinter Squall. Als er sich umdrehte, sah er Vandell, der ihn angrinste.
Er sah einfach umwerfend aus. Sein dunkles Haar glänzte, und das schmale, schwarze Stirnband, das es ihm aus dem Gesicht hielt, war mit feinen silbernen Stickereien verziert. Eine silberne Spange hielt das lange Haar im Nacken zusammen. Er trug ein schwarzes Hemd aus Seide, auf dem der Löwenkopf in Silber aufgestickt war. Seine (schwarzen!) Hosen steckten in schwarzen, natürlich mit Silber verzierten Stiefeln. Ein bodenlanger schwarzer Umhang vervollständigte das Bild. Seine roten Augen schienen zu leuchten.
„Wow! Du siehst toll aus!“, meinte Rinoa staunend. Vandell verneigte sich vor ihr. „Dies aus dem Mund einer solch bezaubernden Schönheit zu hören, beglückt mich aufs höchste, Milady!“, erwiderte er charmant. Rinoa wurde rot. Vandell lächelte. „Aber, aber! Bringe ich dich etwa in Verlegenheit?“, fragte er. Squall legte einen Arm um Rinoa und warf Vandell einen strengen Blick zu.
„Hey, ich dachte, du hast schon eine Freundin! Außerdem ist Rinoa schon vergeben!“, sagte er. Vandell lachte. „Verzeih mir, mein tapferer junger Freund. Aber du wirst mir doch erlauben, dass ich mit über 9 000 Jahren beginne, mit jungen Frauen zu flirten?“
Squall bemerkte, wie Rinoa noch mehr errötete.
„Also, für dein Alter hast du dich gut gehalten.“, meinte er lachend. Vandell sah keinen Tag älter aus als 25. Selphie schnappte überrascht nach Luft. „9 000 Jahre?“, keuchte sie. Vandell verbeugte sich. „Jawohl, hübsches Fräulein!“, sagte er. Selphie wurde rot. Irvine hob drohend die Faust.
„Squall, sag ihm, er soll damit aufhören. Sonst gibt es ein Duell im Morgengrauen! Frauen anmachen ist mein Job!“, meinte er scheinbar verärgert. Er wurde schnell wieder ruhig, als Selphie ihn verletzt anstarrte. „Macht der Gewohnheit!“, murmelte er kleinlaut. „Entschuldige, Selphie!“ Sie dachte aber nicht daran, diesen Ausrutscher zu entschuldigen. Wütend kehrte sie ihm den Rücken zu. Irvine wurde plötzlich ganz nervös. „Selphie, ich hab’s doch nicht so gemeint! Ich bin nur so daran gewöhnt...“ „... den Frauenheld herauszuhängen lassen?“, beendete Xell seinen Satz. „Das solltest du dir abgewöhnen, mein Freund!“, fügte er hinzu. Selphie war noch immer beleidigt. Irvine sank vor ihr auf die Knie. „Bitte, Selphie, verzeih mir!“, flehte er. Selphie wurde rot. „Irvieee, steh wieeder auuf!“, sagte sie verlegen. Einige Kadetten beobachteten diese Szene schon interessiert. Irvine schüttelte den Kopf. „Nur wenn du meine Entschuldigung annimmst!“, beharrte er. „Jaja, schon guuuuuut!“, rief Selphie genervt. „Aber jetzt steeeeh wieder auuuf!“ Grinsend erhob sich Irvine wieder und drückte Selphie an sich.
Vandell lachte wieder. „Nur mit der Ruhe, Kleiner! Ich denke, bei deiner Freundin hätte ich ohnehin keine Chancen.“, meinte er an Irvine gewandt. Squall war sich da nicht so sicher. Vandell schien überhaupt großen Einfluss auf die Frauen im Saal zu haben. Er war auch nicht überrascht, dass sein Fanclub sich vollständig versammelt hatte, und einige der Mädchen Vandell immer wieder verliebte Blicke zuwarfen. Jetzt, wo Squall und Rinoa wieder ein Paar waren, machten sie sich wohl bei Vandell Hoffnungen.
Er nahm Vandell zur Seite und grinste. „Also, wenn du Mädchen brauchst, mit denen du flirten kannst; die dort drüben wären bestimmt nicht abgeneigt.“ Vandell sah in die angegebene Richtung und sog scharf die Luft ein. „So viele?“, murmelte er. Squall lachte. „Versuch es mal! Winke ihnen einmal rüber!“ Vandell winkte gehorsam. Dann runzelte er die Stirn. „Warum sind die drei jetzt umgefallen?“, fragte er besorgt. Squall lachte wieder. „Mach dir nichts draus. Bei mir haben sie das ständig gemacht.“ Vandell musterte ihn. „Kann ich verstehen. Du bist ja auch ein gutaussehender junger Mann!“, meinte er grinsend. Als wäre ihm die Ähnlichkeit zwischen ihm und Squall erst jetzt aufgefallen!
Rinoa gesellte sich zu ihnen. „Wo bleibst du so lange?“, wisperte sie Squall ins Ohr. „Ich vermisse dich schon!“ Sie küsste ihn kurz auf den Mund. Squall lächelte. Er küsste sie auch, nur viel länger.
„Na hallo, ihr seid hier nicht alleine!“, meldete sich plötzlich Hyne. Seufzend ließ Rinoa Squall los. „Hier hat man auch nie Ruhe, oder?“, fragte sie frustriert. Hyne schüttelte den Kopf. „Nein, ich fürchte nicht.“ Sie schmiegte sich an Vandell, der sie sofort an sich drückte. Squall sah aus den Augenwinkeln, dass einige Mädchen aus dem Fanclub in Tränen ausbrachen.
Hyne hatte sich besonders herausgeputzt. Ihr langes, weißes Haar war von weinroten Strähnen durchzogen. Die roten Strähnen hoben ihre Augen noch deutlicher hervor. Ihre Kleidung war ebenfalls rot, allerdings ein bisschen dunkler. Sie trug ein bauchfreies enges Top und eine Hose aus dunkelrotem, glänzendem Leder. Sie trug keinen Schmuck, außer dem Diadem. Der Stein leuchtete jetzt aber rot.
Sie zog sofort alle Männer in ihren Bann.
„Wow!“, brachte Squall nur hervor. Er starrte sie mit offenem Mund an. Aber er riss sich schnell wieder von ihrem Anblick los, als Rinoa Vandell fragte: „Sag mal, bist du denn nicht eifersüchtig, wenn alle Männer deine Freundin anstarren?“ Vandell lachte. Hyne ebenfalls.
„Ha, dann müsste ich aber erst recht eifersüchtig sein! Sieh dich doch einmal um!“, kicherte sie ausgelassen. Aber Rinoa brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass sämtliche Anwesenden, ob männlich oder weiblich, das Paar anstarrte.
Laguna gesellte sich zu der Gruppe. „Hallo, meine Lieben!“, begrüßte er sie fröhlich. „Ich hoffe, ich störe euch nicht?“ Squall grinste ihn an. „Was wäre, wenn du’s doch tätest?“, fragte er vergnügt. Laguna verzog das Gesicht. „Manchmal frage ich mich, wie so ein missratener Junge mein Sohn sein kann!“, brummte er. Squall schnappte empört nach Luft, während alle anderen in schallendes Gelächter ausbrachen. „Das tun wir auch manchmal!“, kicherte Irvine, worauf die anderen noch lauter lachten. Nur Vandell wahrte ein wenig Anstand. Allerdings zuckten seine Mundwinkel schon verräterisch.
Beleidigt sah sich Squall um. „Herzlichen Dank für die Rückendeckung!“, meinte er missmutig. Rinoa fiel ihm noch immer lachend um den Hals und küsste ihn. „Sei doch nicht gleich beleidigt! Ich hasse es, wenn du so böse dreinschaust. Lach doch mal!“ Sie lächelte. „In sechs Monaten wirst du ohnehin nicht mehr viel zu Lachen haben. So ein Baby ist mit gewissen Entbehrungen verbunden, weißt du...“, fügte sie leise hinzu. Squall lächelte ebenfalls, als er den ungläubigen Gesichtsausdruck auf Lagunas Gesicht bemerkte.
„Hab ich irgendwas verpasst?“, fragte Laguna. Rinoa ließ Squall langsam los und sah Laguna tief in die Augen. „Laguna, du wirst Großvater!“, sagte sie geradeheraus. Laguna traten die Tränen in die Augen. Er sah seinen Sohn an. „Squall, mein Junge... ist das wahr?“
„Na ja, das solltest du wohl besser Rinoa fragen! Aber ich sehe keinen Grund, warum es nicht wahr sein sollte.“, meinte Squall grinsend. Laguna sah richtig erschüttert aus.
„Meine Güte! Ich werde alt!“, murmelte er. Er wischte sich einmal über die Augen und lächelte. „Aber ich muss sagen, du hast einen guten Geschmack, was Frauen angeht!“ Squall dachte daran, dass Laguna einmal in Julia Heartilly, Rinoas Mutter, verliebt gewesen war. „Muss wohl in der Familie liegen!“, kicherte er. Laguna lachte. Dann wurde er abrupt wieder ernst.
Rinoa ging auf ihn zu und umarmte ihn fest. Laguna drückte sie kurz an sich, dann ließ er sie wieder los. „Und du wirst wohl demnächst meine Schwiegertochter?“, fragte er hoffnungsvoll. Es war kein Geheimnis, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass Squall endlich Rinoa einen Antrag machte. Squall war aber der Ansicht, dass sie beide noch zu jung waren.
Aber die jetzigen Umstände veränderten alles. Lächelnd nahm er Rinoas Hand. „Vielleicht!“, antwortete er statt ihr. Er ließ sich vor ihr auf die Knie sinken. „Wenn du „Ja!“ sagst...“, sagte er leise. Rinoa wirkte völlig überrumpelt. Squall küsste, noch immer vor ihr kniend, ihre Hand.
„Rinoa Heartilly!“, begann er ernst. Wie auf ein Kommando wurde es still im Saal. Squall kümmerte sich nicht darum. „Ich liebe dich mehr als mein eigenes Leben. Du bist der Grund, warum ich wieder zu Lachen gelernt habe. Du hast mir gezeigt, dass es im Leben mehr gibt, als nur den Kampf und den Ehrgeiz, der Beste zu sein. Du bist ein Teil meines Lebens, und ich würde das um nichts in der Welt ändern wollen. Du wirst die Mutter meines Kindes sein.
Und du bist die Frau, mit der ich mein Leben verbringen will.“ Er sah ihr fest in die Augen, als er sagte: „Rinoa, willst du mich heiraten?“
Rinoa starrte ihn mit großen Augen an. Squall stand langsam wieder auf. Enttäuschung machte sich in ihm breit, als Rinoa nicht antwortete.
„Wenn du... noch Zeit brauchst, oder so ähnlich, verstehe ich das.“, fügte er hinzu. Rinoa schüttelte den Kopf. Sie legte ihre Hände an seine Wangen und zog ihn etwas näher zu sich.
„Ich will!“, flüsterte sie mit erstickter Stimme. „Ja, Squall, ich will dich heiraten!“ Tränen liefen über ihre Wangen. Squall küsste die Tränen sanft weg. Er drückte Rinoa fest an sich und küsste sie immer wieder.
Vereinzelt hörte man zaghaftes Klatschen. Schließlich brandete tosender Applaus auf.
„Ist das romaaaaantisch!“, schniefte Selphie. Irvine drückte sie fest an sich und wischte ihre Tränen weg. Quistis lächelte wissend, als wollte sie sagen: Ich hab’s ja schon immer gewusst!
Xell lachte und klopfte Laguna auf die Schulter, der glücklich zurücklächelte. Edea und Cid Kramer gesellten sich zu der kleinen Gruppe. Edea weinte vor Glück und drückte die Hand ihres Mannes, der Squall wie ein stolzer Vater ansah. Ellione fiel Squall sofort um den Hals, als er Rinoa losließ, und beglückwünschte die Beiden überschwänglich.
Plötzlich wurde es etwas ruhiger. Squall bemerkte, dass Cifer und seine Freunde aufgetaucht waren. Cifer und Squall sahen sich lange an, ohne etwas zu sagen. Dann lächelte Cifer. Er hielt Squall die Hand hin und sagte leise: „Viel Glück, Kleiner. Du wirst es brauchen!“ Squall packte die ausgestreckte Hand und lächelte ebenfalls. „Danke. Ich weiß das zu schätzen.“, erwiderte er.
Cifer nickte und drehte sich um. Xell starrte ihn verärgert an. Wenn Blicke töten könnten, wäre Cifer in diesem Moment tot umgefallen.
Cifer hielt auch Xell die Hand hin. „Es tut mir leid, dass ich dich immer verarscht habe, Xell! Und glaub bloß nicht, dass mir das leicht fällt.“, meinte er. Xell starrte ihn entgeistert an. „Wer bist du, und was hast du mit Cifer gemacht?“, keuchte er entsetzt. Cifer lachte. „Ich mein’s ernst! Nimmst du meine Entschuldigung an?“ Xell überlegte noch kurz, dann nahm er zögernd Cifers Hand und drückte sie kurz.
Fu-Jin und Rai-Jin reichten Rinoa und Squall ebenfalls die Hand. „Alles Gute!“, sagte Fu-Jin lächelnd. Irvine blinzelte überrascht. „Mein Güte! Hat sie eben gelächelt?“, ächzte er. Fu-Jin bedachte ihn mit einem bösen Blick. „Ruhe!“, zischte sie. Rai-Jin versuchte, die Situation etwas zu entspannen. „Kinneas, an deiner Stelle wäre ich mal ruhig! Fu-Jin hat in solchen Sachen mal überhaupt keinen Humor.“, erklärte er.
„Ich Unwürdiger habe den Zorn der großen Fu-Jin auf mich gezogen! Gott steh’ mit bei!“, rief Irvine mit schlecht geschauspielerter Verzweiflung. Alle brachen in schallendes Gelächter aus. Auch Salina, die unauffällig an Cifers Seite getreten war und seine Hand nahm. Es überraschte Squall nicht sonderlich, dass Cifer seine Hand nicht wegzog. Die Beiden hatten den ganzen Abend miteinander gesprochen... Nun ja, den Großteil des Abends! Wenn sie nicht gerade... anderweitig beschäftigt gewesen waren.
Squall sah zu Hyne und Vandell hinüber, die die ganze Zeit kein Wort gesagt hatten. Beide lächelten und musterten die glücklichen Menschen. Hyne ließ Vandell los und nahm Rinoas Hand.
„Werde glücklich, meine Tochter!“, sagte sie leise. Rinoa lächelte. „Das werde ich bestimmt!“, erwiderte sie mit einem verliebten Blick zu Squall. Hyne lachte kurz. „Das denke ich auch. Und du wirst bestimmt eine gute Mutter.“
Vandell legte Squall eine Hand auf die Schulter. „Und du wirst deinem Kind bestimmt ein guter Vater sein.“, sagte er leise. Squall sah ihn zweifelnd an. Daran hatte er noch gar nicht gedacht!
„Da wäre ich mir nicht so sicher.“, meinte er unglücklich. Vandells Lächeln wurde eine Spur breiter. „Ach was! Das habe ich auch gedacht, aber als Belinda...“ Er brach ab, als er bemerkte, dass ihn alle anstarrten.
„Belinda?“, fragte Hyne mit einem lauernden Blick. Vandell sah sich unbehaglich um. „Mein... äh... Patenkind!“, erklärte er. Hyne sah ihn weiter an. „Patenkind?“, fragte sie weiter.
Vandell seufzte. „Komm schon, erzääähl!“, drängte Selphie neugierig. Auch alle anderen sahen ihn erwartungsvoll an. Er sah sich noch einmal um und hob abwehrend die Hände. „Okay, ich sag’s ja schon!“, meinte er beschwichtigend. „Das war kurz, nachdem wir nach Centra gegangen waren. Damals gab es Kämpfe mit den Oberflächenbewohnern. Belindas Vater war im Kampf gefallen, und ihre Mutter wollte sie aussetzen... oder töten. Ich habe sie gesehen, als ich am Meer spazieren ging. Es sah so aus, als wollte sie das Baby ins Meer werfen.“ Er verstummte kurz. Alle hörten ihm gebannt zu. Also fuhr er ergeben fort:
„Ich habe sie daran gehindert. Sie weinte, und sie erzählte mir, dass sie allein das Kind nicht großziehen könne, weil keiner ihrer... Freunde... bereit war, ihr zu helfen. Damals brauchte ein Kind einen Vormund, um in der Gesellschaft anerkannt zu werden. Ein Freund ihres Mannes hatte sich zwar dazu bereiterklärt, der Vormund der Kleinen zu sein, aber er hatte es sich nach dem Tod ihres Mannes wieder anders überlegt.
Sie tat mir leid. Deshalb erklärte ich mich dazu bereit, der Vormund von Belinda zu sein.“ Er lächelte, als er daran dachte.
„Sie konnte es zuerst nicht glauben! Vandell, der Ritter der Schöpferin, der Führer des Volkes, sollte der Vormund ihrer Tochter sein? Sie dachte, ich würde mir einen Scherz erlauben. Aber ich versicherte ihr, dass ich zu der Zeremonie kommen würde.
Keiner in Centra glaubte ihr. Alle hielten mich für einen gefühllosen Roboter, weil ich mich sehr zurückgezogen hatte, als ich Hyne verloren hatte.“ Hyne schmiegte sich an ihn und lächelte. „Warum sollte ich einer armen Witwe helfen, die ihre Freunde verloren hatte?“, fuhr Vandell lächelnd fort. „Als die Priesterin bei der Zeremonie fragte, wer der Vormund des Mädchens sein wolle, begannen die einstigen Freunde des verstorbenen Kriegers zu lachen. Sie verspotteten die Frau. Aber als ich mich meldete, waren sie plötzlich still.“
Vandell lächelte verträumt. „Belinda wuchs unter meiner Aufsicht auf. Sie war der einzige Lichtblick in meinem Leben. Sie war auch der einzige Grund, warum ich Hyne nicht in den Tod folgen wollte. Als sie starb, änderte sich das.“ Er sah Squall an. „Du weißt, was danach passiert ist.“
Squall nickte. „Sie haben dich lebendig in dieses... Grab eingesperrt.“, sagte er leise. Vandell nickte. „Aber genug von mir! Ihr zwei solltet lieber feiern, anstatt euch meine Geschichten anzuhören.“ Rinoa machte ein trauriges Gesicht. „Schade! Ich fand die Geschichte schön.“, meinte sie.
Vandell lachte. „Ein andermal vielleicht. Aber jetzt amüsiert euch! Ihr solltet endlich eure Verlobung feiern. Das ist ein Befehl!“, fügte er streng hinzu, als Squall widersprechen wollte.
Alle brachen wieder in schallendes Gelächter aus.

Wenig später fanden Rinoa und Squall endlich etwas Zeit für sich. Sie saßen auf einer der Bänke im Schulhof und betrachteten den Sternenhimmel.
„Weißt du noch? Auf dem Fest, nachdem wir Artemisia besiegt hatten...“, fragte Rinoa. Sie kuschelte sich an Squall, der sie sofort in die Arme nahm. „Wie könnte ich das je vergessen?“, erwiderte er lächelnd. „Schließlich hätte Irvine unseren ersten Kuss beinahe gefilmt!“
Rinoa lachte. „Genau! Schade, dass die Batterien leer waren.“ Squall runzelte die Stirn. „Wieso schade?“, fragte er. Rinoa sah ihn an. „Stimmt! Ich erinnere mich ohnehin jedes Mal daran, wenn du mich küsst...“, flüsterte sie. Squall lächelte und küsste sie sanft. „Jetzt auch?“, fragte er. Rinoa setzte sich auf seinen Schoß und legte ihre Arme um seine Schultern „Ja... jetzt auch!“, antwortete sie leise. Sie küsste ihn noch einmal. Dann legte sie ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen.
Jemand räusperte sich. Als Rinoa die Augen wieder öffnete, sah sie ihren Vater, der sie im schwachen Mondlicht musterte. Sie spürte, wie Squall sich verspannte.
„Rinoa, könnte ich kurz mit dir sprechen?“, fragte Caraway mit einem Seitenblick auf Squall.
„Ich habe keine Geheimnisse vor meinem Verlobten, Dad!“, gab Rinoa hitzig zurück. Caraway runzelte die Stirn. „Aber ich!“, erwiderte er. „Bitte, könnten wir uns alleine unterhalten?“
Rinoa wollte etwas erwidern, aber Squall kam ihr zuvor. „Schon gut!“, meinte er. „Ich schau mal zu den Anderen rein.“ Er stand auf und verschwand im Halbdunkel.
Rinoa funkelte ihren Vater an. „Was ist?“, fragte sie so ruhig wie möglich. Caraway seufzte. Als er sie wieder ansah, sah er traurig aus. „Was ist nur passiert, dass wir uns nur noch streiten?“, fragte er bitter. „Wir waren doch einmal eine Familie!“ Das überraschte Rinoa ein wenig. Sie stand auf.
„Als deine Mutter gestorben ist, ist diese Familie zerbrochen.“, fuhr er fort. „Und jetzt verliere ich dich auch noch!“ Rinoa sagte nichts. Ihr Vater strich mit der Hand über ihre Wange.
„Du bist genauso wie deine Mutter. Du bist das einzige, was mir von ihr geblieben ist!“, flüsterte er. Irrte sich Rinoa, oder zitterte seine Stimme wirklich?
„Egal, was du denkst, aber ich habe deine Mutter wirklich geliebt! Das musst du mir glauben. Und jetzt verliere ich dich an diesen... Squall...“
Wenigstens hatte er nicht „Mistkerl“ gesagt!
„Was hast du eigentlich gegen ihn? Was macht er falsch?“, fragte Rinoa leise. Caraway lächelte schwach. „Gar nichts. Das ist ja das Problem!“ Irritiert sah Rinoa ihn an.
„Er ist ein netter Junge.“, fuhr Caraway fort. „Er ist der Sohn des Präsidenten von Esthar, und er ist ein ausgezeichneter Soldat. Er weiß, wie er seine Mitmenschen für eine Sache motivieren kann. Und er ist schonungslos ehrlich. Ich müsste mich eigentlich für dich freuen... und unter anderen Umständen würde ich ihn auch mögen... wahrscheinlich.“ Caraway seufzte. „Aber ich ertrage es nicht, dass ich dich an ihn verliere!“
Rinoa umarmte ihren Vater. „Du verlierst mich nicht, Dad.“, sagte sie leise. „Ich werde immer dein kleines Mädchen sein. Aber du musst aufhören, so schlecht über ihn zu sprechen. Ich liebe ihn!“ Caraway lächelte. „Ich weiß!“, sagte er mit rauer Stimme. Er ließ Rinoa los und sagte: „Aber das macht es noch schlimmer!“ Bevor Rinoa etwas erwidern konnte, wandte er sich zum Gehen. „Dad!“, rief sie ihm nach. „Ich liebe dich auch.“ Caraway drehte sich nicht um, aber er blieb kurz stehen. „Danke!“, sagte er so leise, dass sie es fast nicht verstand.
Er nickte Squall freundlich zu, der gerade wieder zurück kam. Angel begleitete ihn. Sie sprang kläffend auf Rinoa zu, als sie sie bemerkte. Squall sah dem Oberst erstaunt nach. Dann wandte er sich wieder Rinoa zu, die noch immer Angel begrüßte.
„Was wollte er denn?“, wollte Squall wissen. Rinoa antwortete nicht. Sie kraulte Angel nachdenklich zwischen den Ohren und starrte auf einen Punkt hinter dem Horizont. Squall setzte sich neben sie. Er beobachtete eine Weile, wie Rinoa Angels weiches Fell streichelte. „Mann, wäre ich gerne der Hund!“, brummte er. Rinoa lachte und küsste ihn. „Dann würdest du aber einiges verpassen!“, lachte sie. Squalls Augen leuchteten. „Zum Beispiel?“, fragte er grinsend.
Rinoa küsste ihn noch einmal. „Das zum Beispiel!“, antwortete sie. Squall lachte. „Das ist ein Argument.“, meinte er lächelnd. Rinoa kuschelte sich an ihn und schloss die Augen. Squall streichelte ihr Haar und sagte: „Ich denke, wir sollten wieder hinein gehen. Hyne sagte, sie hätte ein kleines Geschenk für uns...“ Rinoa sprang sofort auf. „Ich liebe Geschenke! Gehen wir!“ Sie zog den völlig überraschten Squall einfach mit sich.

Ein ungläubiges „Wie bitte?“ von Vandell war das Erste, was Squall und Rinoa hörten, als sie den Saal wieder betraten. Er funkelte Hyne an, die sich ihm gegenüber aufgebaut hatte und ihn anflehte: „Bitte, Schatz, nur dieses eine Mal noch. Für die zwei frisch Verlobten!“ Vandell schüttelte den Kopf. „Keine Chance!“, meinte er. „Ich werde auf keinen Fall hier singen!“ Alle, die in der Nähe standen, horchten auf. „Aber Liebling...“, versuchte Hyne es noch einmal, aber Vandell schüttelte wieder den Kopf. „Ich habe nein gesagt. Außerdem kann ich gar nicht singen!“ Hyne lachte hell auf. „So ein Schwachsinn!“ Sie umarmte ihn und sah ihm tief in die Augen. „Du hast eine wunderschöne Stimme. Und ich habe dich schon einmal singen gehört. Erinnerst du dich? Damals, bei diesem Fest, als du für mich ein Lied gesungen hast... nur für mich. Das war wunderschön...“ Sie lächelte ihn an. Vandell seufzte ergeben. „Habe ich denn eine Wahl?“, fragte er niedergeschlagen.
Squall grinste. „Oh, der große Ritter Vandell wird uns Beiden ein Ständchen bringen? Welche Ehre!“ Rinoa verpasste ihm einen leichten Klaps auf den Oberarm. „Lass ihn. Wenn er nicht singen will, dann muss er auch nicht.“ Sie sah Vandell treuherzig an. „Aber schön wäre es schon...“, fügte sie hinzu. Auch Selphie fing an zu betteln. „Oh ja, biiitte! Bitte siiingen!“ Irvine, Quistis und Xell sahen ihn ebenfalls erwartungsvoll an. Vandell sah sich verzweifelt um. „Habe ich denn eine Wahl?“, wiederholte er. „Schön, ich singe. Aber was ist mit der Begleitung? Ich meine, wenn ich mich da rauf stelle, brauche ich eine instrumentale Begleitung, sonst klingst das bescheuert.“ Hyne lächelte. „Keine Sorge, du hast ja mich!“ Vandell nickte ergeben. Er folgte Hyne auf die Bühne. Sie verschaffte sich bei allen Anwesenden Gehör und verkündete: „Sehr geehrte Gäste, ich möchte um Ruhe bitten. Mein Ehemann Vandell wird heute Rinoa Heartilly und Squall Leonhart ein besonderes Geschenk machen. Er hat das noch nie in der Öffentlichkeit gemacht, also bitte ich Sie, still zu sein, bis er fertig ist.“ Sie gab das Mikrofon an Vandell weiter, der es mit geschlossenen Augen annahm. Er stellte sich mitten auf die Bühne und schien sich zu konzentrieren. Rinoa drückte Squalls Hand. „Seit wann sind die beiden denn verheiratet?“, flüsterte sie. „Keine Ahnung.“, meinte er achselzuckend. Dann verstummte er, als leise Musik hörbar wurde. Das Licht wurde ein wenig gedämpft, um die richtige Atmosphäre zu schaffen. Leise, langsam, traurig schwebte die Melodie durch den Raum. Vandell öffnete die Augen, aber er schien weit weg zu sein. Als er zu singen begann, schien jeder im Raum den Atem anzuhalten. Seine Stimme war angenehm und ein wenig melancholisch, und er sang ein Lied in einer Sprache, die niemand kannte. Squall legte einen Arm um Rinoa, die sich lächelnd an ihn schmiegte. Vandells ein wenig traurige Stimme weckte in jedem schöne Erinnerungen. Als er geendet hatte, blieb es noch einen Moment ruhig im Saal. Jeder erwachte langsam aus seinen Träumen. Und für diesen Moment war die Welt für alle in Ordnung.

Ende

BsDisaster656
09.11.2003, 17:30
schöne geschichte:D ;)