Laguna
20.09.2003, 15:45
Hallo Leute! :)
Auch wenn das Thema sicherlich mehr ins Schul-/Studentenforum passt denke ich doch mal das es hier auf wesentlich mehr Resonanz stossen wird. Deshalb poste ich es mal hier rein, da es für mich (und sicher auch für einige andere User) sehr interessant sein könnte!
Die Schule- was verbindet ihr damit? Die Vorbereitung auf unsere Zukunft, Startbrett für unser soziales Umfeld schon in jungen Jahren, oder gar Bildungsmöglichkeiten die Vorrausetzung für die wichtigsten Zweige im Berufsleben sind. Klingt doch doch eigentlich sehr objektiv und schön.
Dann gibt es Leute für die die Schule noch etwas anderes bedeutet- Leistungsdruck, Schulisches Versagen, Verhaltensstörungen, ein System mit dem du dich nie anfreunden wirst weil du ganz genau weißt es ist nicht richtig.
"Damals war wohl alles leichter". Ein Satz meiner Mutter über den ich damals noch gelacht habe.
Doch inzwischen kann ich dem nur zustimmen. Das schlimmste ist nicht mal die stetig erhöhte geforderte Leistung von den Schülern, sondern die Inkompetenz mancher Lehrer selbst (nicht alle- ich kenne genug die einsame Spitze sind) die es den Schülern schwer macht gewisse Themenbereiche ohne Probleme zu kapieren.
Besonders auf dem höheren Schulweg sind diese Probleme längst Alltag für immer mehr Schülern geworden. Eines der hervorstechensten Probleme ist hierbei der milde Übertrittsschlüssel für Schulen der Oberstufe wie die FOS (Fachoberschule), oder der BOSie nun wirklich nicht auf das vorbereiten lassen was einem letztlich dort erwartet.
Denn warst du in der Mittelstufe nicht schlecht, bist du in der Oberstufe völlig verloren- so ist es grundsätzlich, wenn es sich nicht gerade um Sonderfälle handelt (Leute die von der Mittelstufe oder vom Berusfsleben bisher völlig unterfordert gewesen sind und deshalb nur mittelträchtige Leistungen erbracht haben- hab ich schon selbst erlebt..)
Unser Schulsystem ist wirklich für die Katz- es ist nicht nur "nicht gut" es ist meiner Meinung nach absolut schlecht das beweist allein schon die unzureichende Basis der Schüler die es mit der Oberstufe versuchen möchten.
Die Probleme in der Schule und vorallem der Leistungsdruck führen imensem Stress bei vielen Menschen und der muss auch irgendwo rausgelassen werden. Dies ist an sich das schlimmste Resultat dieses närrischen Schulsystems. Die Gesundheit vieler Schüler wird hier auf die Probe gestellt.
Jetzt will ich euch den Text nicht länger vorenthalten. Lest ihn euch durch und ich würde mich freuen wenn ihr anschließend eure Meinung dazu posten würdet :)
Interview mit Jugendforscher ••••lmann
warum Schüler unter Druck einbrechen
Die Wirtschaft lästert über "Kuschelpädagogik", Eltern fordern mehr Leistungsdenken in der Schule. Doch der Soziologe Klaus Hurrelmann hält das für einen Irrweg. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt der Bielefelder Jugendforscher, wie Druck und Alltagsstress Jugendliche krank machen - und warum sie trotzdem Schulen mit festen Regeln und klaren Konturen brauchen.
SPIEGEL ONLINE:Herr Hurrelmann, Sie haben am "Jugendgesundheitssurvey" 2003 mitgewirkt. Wie geht es deutschen Kindern und Jugendlichen?
Klaus Hurrelmann: Problematisch ist heute vor allem die Verunsicherung, die junge Leute nervös macht und stressartige Symptome bedingt. Das schlägt sich nieder in Unruhe, Kopfschmerzen, in psychosomatischen Störungen. Das sind keine richtigen Krankheiten, dennoch ist das Wohlbefinden der Jugendlichen spürbar beeinträchtigt. Hinzu kommen Ernährungsprobleme und Bewegungsmangel: Sieben bis zehn Prozent der Jugendlichen sind übergewichtig.
SPIEGEL ONLINE: Aufschluss über die Lebenssituation von Jugendlichen gibt auch der Konsum von Alkohol, Zigaretten und Drogen. Welche Trends haben Sie entdeckt?
Hurrelmann: Wir haben eine unangenehme Trendwende. Tabakkonsum war fast zehn Jahre gefallen und ist nun wieder angestiegen. Insbesondere die leistungsmäßig Schlechten neigen sehr zum Rauchen. Noch deutlicher ist der Anstieg beim Alkoholkonsum. Das sind Reaktionen in Belastungssituationen, auch schon bei jüngeren. Deutlich kommt auch der Erfolg der Zigaretten- und Alkoholindustrie ins Spiel, die Produkte einem jüngeren und weiblichen Jugendpublikum schmackhaft zu machen. Da sind zum Beispiel "Alkopops", deren Alkoholgefahr zunächst wenig beachtet worden ist. Die Schweiz und Frankreich setzen aber schon auf kräftige Steuern für solche Alkohol-Mischgetränke - hier ist die Gesundheits- und Suchtpolitik gefragt.
SPIEGEL ONLINE: Führen Leistungsdruck und Stress vermehrt dazu, auch mit illegalen Drogen dem Alltag zu entkommen?
Jugendgesundheitssurvey:
Im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation befragte ein Forscherteam, dem auch Klaus Hurrelmann angehört, 23.000 Schüler in Deutschland nach ihrer gesundheitlichen Lage. Die aktuellen Ergebnisse des "Jugendgesundheitssurvey": Jeder fünfte Jugendliche leidet unter Verhaltensstörungen oder emotionalen Problemen, elf Prozent haben chronische Krankheiten (Rheuma, Diabetes, Krebs etc.). In den neunten Klassen greifen 26 Prozent der Jungen und 29 Prozent der Mädchen täglich zur Zigarette, Alkohol trinken mehr als ein Drittel der Jungen und ein Viertel der Mädchen regelmäßig.
Hurrelmann: Bei illegalen Drogen haben wir zum Glück einigermaßen beständige Werte in dieser Studie. Allerdings sind Cannabis und amphetaminartige Partydrogen inzwischen wie die Alltagsdrogen Alkohol und Tabak verbreitet, aber ohne dramatischen Anstieg. Beunruhigender ist wirklich das Problem mit Alkohol. Auffällig ist nämlich, dass Trinken bis zum Rausch deutlich öfter vorkommt. Sich so richtig besinnungslos besaufen, oft in Kombination mit Zigaretten, illegalen Stoffen, Medikamenten, um einmal voll weg zu sein und sich völlig abzukoppeln - meist ist das ein Zeichen dafür, dass die Kräfte nicht ausreichen, um mit den Alltagsanforderungen zurecht zu kommen. Dieses "Binge Drinking", wie es die Amerikaner nennen, ist ein Versuch, Belastungen auszuhalten und überall immer da zu sein, im richtigen Moment high zu sein, im richtigen Moment entspannt zu sein.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Forschungsergebnisse zeigen, dass Jugendliche schlapper, kränker, emotional anfälliger sind. Was belastet sie denn so sehr?
Hurrelmann: Der Lebensabschnitt Jugend ist heute sehr offen und beginnt so früh wie wahrscheinlich noch nie in der menschlichen Geschichte. Die Pubertät ist ganz weit nach vorne gerückt und hat kein richtiges Ende, weil der Übergang in den Beruf, in die eigene Familie sehr spät passiert. Zudem sind die Anforderungen an die Selbstorganisation, die Einteilung des täglichen Lebens, den Aufbau der Persönlichkeit sehr hoch. Vor allem ihre Eltern vermitteln den Jugendlichen Druck. Gute Leistungen werden erwartet, gleichzeitig spüren die jungen Leute, dass sie diesen Anforderungen möglicherweise nicht immer gerecht werden. Die Pisa-Studie zum Beispiel hat viel Verunsicherung gebracht.
SPIEGEL ONLINE: Nach den schlechten Pisa-Ergebnissen wurde viel über "Kuschelpädagogik" und mehr Leistungsdenken debattiert. Meinen Sie, dass Schüler gerade auf diesen Leistungsdruck verunsichert reagieren?
Hurrelmann: Nein. Denn die Jugendliche beklagen Schulen mit einem schlechten Arbeitsklima - mit schlechten Regeln, unzureichenden zeitlichen Strukturen, unklaren Leistungsanforderungen. Und mit Lehrern, die selbst unsicher sind und keine ganz klaren inhaltlichen und sozialen Anforderungen stellen. All diese Faktoren irritieren die Jugendliche. Das ist störend für ihre Leistungsentwicklung und ihr soziales Wohlbefinden.
SPIEGEL ONLINE: Schüler wünschen sich also strengere Regeln?
Hurrelmann: Man kann aus unserer Studie gerade ablesen, dass ein Wunsch da ist nach einer Schule mit klaren Konturen und mit Lehrern, die den eindeutigen Impuls vermitteln: Wir sind an deiner persönlichen Entwicklung interessiert, wir helfen dir. Dieses Interesse wird von vielen Schülern schmerzlich vermisst. Diese Generation ahnt, dass sie vom Gewährenlassen und schlabbrigen Umgangsformen in der Schule nicht profitieren kann. Ich denke, die Formel "Fördern und fordern" findet bei dieser Generation gute Resonanz.
SPIEGEL ONLINE: Und wie steht es mit speziellem Benimm-Unterricht? Kann das eine Lösung sein?
Hurrelmann: Nach unseren Erkenntnissen wäre das den Jugendlichen zu oberflächlich. Ich glaube, damit kann man einen Anstoß geben, Jugendliche haben aber andere Bedürfnisse. Wie verhält sich der Lehrer, wer antwortet in welcher Reihenfolge auf welche Frage, wie höflich geht man miteinander um, diskriminiert man den, der die Aufgabe nicht lösen kann - das ist die soziale Grammatik, das ist der eigentliche Benimm-Unterricht. In einem Mathe-Unterricht werden immer auch Umgangsformen gelernt. Ein Lehrer, der mit erhobenem Zeigefinger vorn steht und unhöflich ist, kann schlecht Höflichkeit verlangen. Der Lehrer, der selbst zehn Minuten zu spät kommt, kann nicht vermitteln, dass Pünktlichkeit ein wichtiger Wert ist.
SPIEGEL ONLINE: Vieles hängt also an den Lehrern. Aber bringen sie denn ausreichend soziale Kompetenz mit?
Hurrelmann: Die Lehrer in Deutschland haben eine hervorragende Fachausbildung. Aber bei einer gleichgewichtigen Ausbildung in zwei Fächern kommt zwangsläufig die allgemeine pädagogische Kompetenz zu kurz. Ob wir bei dieser Art der Ausbildung bleiben wollen, kann man durchaus zur Diskussion stellen. Aber falls ja, dann muss unbedingt nach ein oder spätestens zwei Berufsjahren eine gezielte, verpflichtende Weiterbildung erfolgen. Eine soziale Kompetenzförderung für Lehrkräfte halte ich für ganz dringend. Das sehen ja auch die Lehrer - sie sind oft an der Grenze ihrer psychischen Möglichkeiten und ihrer Leistungsfähigkeit.
SPIEGEL ONLINE: Der Fehler liegt demnach im System?
Hurrelmann: Die Atmosphäre muss stimmen. Man braucht feste Regeln, verbindliche Umgangsformen, eine funktionale Autorität der Lehrer - wie wichtig das ist, haben wir lange verdrängt. Da sind enorme Hausaufgaben zu machen in unserem System. Andere Länder haben längst die Schulen verselbstständigt und sie zu kleinen pädagogischen Dienstleistungsunternehmen gemacht, die für ihre eigenen Belange zuständig sind und flexibler reagieren können. Die Schulen dürfen nicht länger Anhängsel einer Regierungsbürokratie sein.
SPIEGEL ONLINE: Geht es Jugendlichen denn wirklich schlechter als früher?
Hurrelmann: Wir haben keine generelle Verschlechterung. Die Gesundheitssituation von Jugendlichen hat sich, etwa bei chronischen Erkrankungen, eher verbessert. Aber immer dann, wenn es um die Verbindung der eigenen Körperlichkeit mit Psyche und Umwelt geht, treten Störungen auf. Ein hoher unterschwelliger Erwartungsdruck macht Jugendlichen zu schaffen: Wie manage ich mein Leben, wie bin ich unverwechselbar und originell? Da sitzt der Brennpunkt, das spüren die jungen Leute - manche können dem Druck nicht standhalten und brechen ein.
Das Interview führte Jörg Hackhausen
Auch wenn das Thema sicherlich mehr ins Schul-/Studentenforum passt denke ich doch mal das es hier auf wesentlich mehr Resonanz stossen wird. Deshalb poste ich es mal hier rein, da es für mich (und sicher auch für einige andere User) sehr interessant sein könnte!
Die Schule- was verbindet ihr damit? Die Vorbereitung auf unsere Zukunft, Startbrett für unser soziales Umfeld schon in jungen Jahren, oder gar Bildungsmöglichkeiten die Vorrausetzung für die wichtigsten Zweige im Berufsleben sind. Klingt doch doch eigentlich sehr objektiv und schön.
Dann gibt es Leute für die die Schule noch etwas anderes bedeutet- Leistungsdruck, Schulisches Versagen, Verhaltensstörungen, ein System mit dem du dich nie anfreunden wirst weil du ganz genau weißt es ist nicht richtig.
"Damals war wohl alles leichter". Ein Satz meiner Mutter über den ich damals noch gelacht habe.
Doch inzwischen kann ich dem nur zustimmen. Das schlimmste ist nicht mal die stetig erhöhte geforderte Leistung von den Schülern, sondern die Inkompetenz mancher Lehrer selbst (nicht alle- ich kenne genug die einsame Spitze sind) die es den Schülern schwer macht gewisse Themenbereiche ohne Probleme zu kapieren.
Besonders auf dem höheren Schulweg sind diese Probleme längst Alltag für immer mehr Schülern geworden. Eines der hervorstechensten Probleme ist hierbei der milde Übertrittsschlüssel für Schulen der Oberstufe wie die FOS (Fachoberschule), oder der BOSie nun wirklich nicht auf das vorbereiten lassen was einem letztlich dort erwartet.
Denn warst du in der Mittelstufe nicht schlecht, bist du in der Oberstufe völlig verloren- so ist es grundsätzlich, wenn es sich nicht gerade um Sonderfälle handelt (Leute die von der Mittelstufe oder vom Berusfsleben bisher völlig unterfordert gewesen sind und deshalb nur mittelträchtige Leistungen erbracht haben- hab ich schon selbst erlebt..)
Unser Schulsystem ist wirklich für die Katz- es ist nicht nur "nicht gut" es ist meiner Meinung nach absolut schlecht das beweist allein schon die unzureichende Basis der Schüler die es mit der Oberstufe versuchen möchten.
Die Probleme in der Schule und vorallem der Leistungsdruck führen imensem Stress bei vielen Menschen und der muss auch irgendwo rausgelassen werden. Dies ist an sich das schlimmste Resultat dieses närrischen Schulsystems. Die Gesundheit vieler Schüler wird hier auf die Probe gestellt.
Jetzt will ich euch den Text nicht länger vorenthalten. Lest ihn euch durch und ich würde mich freuen wenn ihr anschließend eure Meinung dazu posten würdet :)
Interview mit Jugendforscher ••••lmann
warum Schüler unter Druck einbrechen
Die Wirtschaft lästert über "Kuschelpädagogik", Eltern fordern mehr Leistungsdenken in der Schule. Doch der Soziologe Klaus Hurrelmann hält das für einen Irrweg. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt der Bielefelder Jugendforscher, wie Druck und Alltagsstress Jugendliche krank machen - und warum sie trotzdem Schulen mit festen Regeln und klaren Konturen brauchen.
SPIEGEL ONLINE:Herr Hurrelmann, Sie haben am "Jugendgesundheitssurvey" 2003 mitgewirkt. Wie geht es deutschen Kindern und Jugendlichen?
Klaus Hurrelmann: Problematisch ist heute vor allem die Verunsicherung, die junge Leute nervös macht und stressartige Symptome bedingt. Das schlägt sich nieder in Unruhe, Kopfschmerzen, in psychosomatischen Störungen. Das sind keine richtigen Krankheiten, dennoch ist das Wohlbefinden der Jugendlichen spürbar beeinträchtigt. Hinzu kommen Ernährungsprobleme und Bewegungsmangel: Sieben bis zehn Prozent der Jugendlichen sind übergewichtig.
SPIEGEL ONLINE: Aufschluss über die Lebenssituation von Jugendlichen gibt auch der Konsum von Alkohol, Zigaretten und Drogen. Welche Trends haben Sie entdeckt?
Hurrelmann: Wir haben eine unangenehme Trendwende. Tabakkonsum war fast zehn Jahre gefallen und ist nun wieder angestiegen. Insbesondere die leistungsmäßig Schlechten neigen sehr zum Rauchen. Noch deutlicher ist der Anstieg beim Alkoholkonsum. Das sind Reaktionen in Belastungssituationen, auch schon bei jüngeren. Deutlich kommt auch der Erfolg der Zigaretten- und Alkoholindustrie ins Spiel, die Produkte einem jüngeren und weiblichen Jugendpublikum schmackhaft zu machen. Da sind zum Beispiel "Alkopops", deren Alkoholgefahr zunächst wenig beachtet worden ist. Die Schweiz und Frankreich setzen aber schon auf kräftige Steuern für solche Alkohol-Mischgetränke - hier ist die Gesundheits- und Suchtpolitik gefragt.
SPIEGEL ONLINE: Führen Leistungsdruck und Stress vermehrt dazu, auch mit illegalen Drogen dem Alltag zu entkommen?
Jugendgesundheitssurvey:
Im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation befragte ein Forscherteam, dem auch Klaus Hurrelmann angehört, 23.000 Schüler in Deutschland nach ihrer gesundheitlichen Lage. Die aktuellen Ergebnisse des "Jugendgesundheitssurvey": Jeder fünfte Jugendliche leidet unter Verhaltensstörungen oder emotionalen Problemen, elf Prozent haben chronische Krankheiten (Rheuma, Diabetes, Krebs etc.). In den neunten Klassen greifen 26 Prozent der Jungen und 29 Prozent der Mädchen täglich zur Zigarette, Alkohol trinken mehr als ein Drittel der Jungen und ein Viertel der Mädchen regelmäßig.
Hurrelmann: Bei illegalen Drogen haben wir zum Glück einigermaßen beständige Werte in dieser Studie. Allerdings sind Cannabis und amphetaminartige Partydrogen inzwischen wie die Alltagsdrogen Alkohol und Tabak verbreitet, aber ohne dramatischen Anstieg. Beunruhigender ist wirklich das Problem mit Alkohol. Auffällig ist nämlich, dass Trinken bis zum Rausch deutlich öfter vorkommt. Sich so richtig besinnungslos besaufen, oft in Kombination mit Zigaretten, illegalen Stoffen, Medikamenten, um einmal voll weg zu sein und sich völlig abzukoppeln - meist ist das ein Zeichen dafür, dass die Kräfte nicht ausreichen, um mit den Alltagsanforderungen zurecht zu kommen. Dieses "Binge Drinking", wie es die Amerikaner nennen, ist ein Versuch, Belastungen auszuhalten und überall immer da zu sein, im richtigen Moment high zu sein, im richtigen Moment entspannt zu sein.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Forschungsergebnisse zeigen, dass Jugendliche schlapper, kränker, emotional anfälliger sind. Was belastet sie denn so sehr?
Hurrelmann: Der Lebensabschnitt Jugend ist heute sehr offen und beginnt so früh wie wahrscheinlich noch nie in der menschlichen Geschichte. Die Pubertät ist ganz weit nach vorne gerückt und hat kein richtiges Ende, weil der Übergang in den Beruf, in die eigene Familie sehr spät passiert. Zudem sind die Anforderungen an die Selbstorganisation, die Einteilung des täglichen Lebens, den Aufbau der Persönlichkeit sehr hoch. Vor allem ihre Eltern vermitteln den Jugendlichen Druck. Gute Leistungen werden erwartet, gleichzeitig spüren die jungen Leute, dass sie diesen Anforderungen möglicherweise nicht immer gerecht werden. Die Pisa-Studie zum Beispiel hat viel Verunsicherung gebracht.
SPIEGEL ONLINE: Nach den schlechten Pisa-Ergebnissen wurde viel über "Kuschelpädagogik" und mehr Leistungsdenken debattiert. Meinen Sie, dass Schüler gerade auf diesen Leistungsdruck verunsichert reagieren?
Hurrelmann: Nein. Denn die Jugendliche beklagen Schulen mit einem schlechten Arbeitsklima - mit schlechten Regeln, unzureichenden zeitlichen Strukturen, unklaren Leistungsanforderungen. Und mit Lehrern, die selbst unsicher sind und keine ganz klaren inhaltlichen und sozialen Anforderungen stellen. All diese Faktoren irritieren die Jugendliche. Das ist störend für ihre Leistungsentwicklung und ihr soziales Wohlbefinden.
SPIEGEL ONLINE: Schüler wünschen sich also strengere Regeln?
Hurrelmann: Man kann aus unserer Studie gerade ablesen, dass ein Wunsch da ist nach einer Schule mit klaren Konturen und mit Lehrern, die den eindeutigen Impuls vermitteln: Wir sind an deiner persönlichen Entwicklung interessiert, wir helfen dir. Dieses Interesse wird von vielen Schülern schmerzlich vermisst. Diese Generation ahnt, dass sie vom Gewährenlassen und schlabbrigen Umgangsformen in der Schule nicht profitieren kann. Ich denke, die Formel "Fördern und fordern" findet bei dieser Generation gute Resonanz.
SPIEGEL ONLINE: Und wie steht es mit speziellem Benimm-Unterricht? Kann das eine Lösung sein?
Hurrelmann: Nach unseren Erkenntnissen wäre das den Jugendlichen zu oberflächlich. Ich glaube, damit kann man einen Anstoß geben, Jugendliche haben aber andere Bedürfnisse. Wie verhält sich der Lehrer, wer antwortet in welcher Reihenfolge auf welche Frage, wie höflich geht man miteinander um, diskriminiert man den, der die Aufgabe nicht lösen kann - das ist die soziale Grammatik, das ist der eigentliche Benimm-Unterricht. In einem Mathe-Unterricht werden immer auch Umgangsformen gelernt. Ein Lehrer, der mit erhobenem Zeigefinger vorn steht und unhöflich ist, kann schlecht Höflichkeit verlangen. Der Lehrer, der selbst zehn Minuten zu spät kommt, kann nicht vermitteln, dass Pünktlichkeit ein wichtiger Wert ist.
SPIEGEL ONLINE: Vieles hängt also an den Lehrern. Aber bringen sie denn ausreichend soziale Kompetenz mit?
Hurrelmann: Die Lehrer in Deutschland haben eine hervorragende Fachausbildung. Aber bei einer gleichgewichtigen Ausbildung in zwei Fächern kommt zwangsläufig die allgemeine pädagogische Kompetenz zu kurz. Ob wir bei dieser Art der Ausbildung bleiben wollen, kann man durchaus zur Diskussion stellen. Aber falls ja, dann muss unbedingt nach ein oder spätestens zwei Berufsjahren eine gezielte, verpflichtende Weiterbildung erfolgen. Eine soziale Kompetenzförderung für Lehrkräfte halte ich für ganz dringend. Das sehen ja auch die Lehrer - sie sind oft an der Grenze ihrer psychischen Möglichkeiten und ihrer Leistungsfähigkeit.
SPIEGEL ONLINE: Der Fehler liegt demnach im System?
Hurrelmann: Die Atmosphäre muss stimmen. Man braucht feste Regeln, verbindliche Umgangsformen, eine funktionale Autorität der Lehrer - wie wichtig das ist, haben wir lange verdrängt. Da sind enorme Hausaufgaben zu machen in unserem System. Andere Länder haben längst die Schulen verselbstständigt und sie zu kleinen pädagogischen Dienstleistungsunternehmen gemacht, die für ihre eigenen Belange zuständig sind und flexibler reagieren können. Die Schulen dürfen nicht länger Anhängsel einer Regierungsbürokratie sein.
SPIEGEL ONLINE: Geht es Jugendlichen denn wirklich schlechter als früher?
Hurrelmann: Wir haben keine generelle Verschlechterung. Die Gesundheitssituation von Jugendlichen hat sich, etwa bei chronischen Erkrankungen, eher verbessert. Aber immer dann, wenn es um die Verbindung der eigenen Körperlichkeit mit Psyche und Umwelt geht, treten Störungen auf. Ein hoher unterschwelliger Erwartungsdruck macht Jugendlichen zu schaffen: Wie manage ich mein Leben, wie bin ich unverwechselbar und originell? Da sitzt der Brennpunkt, das spüren die jungen Leute - manche können dem Druck nicht standhalten und brechen ein.
Das Interview führte Jörg Hackhausen