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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Umgang mit Akzenten, Dialekten und anderen "Sprachbesonderheiten"



La Cipolla
20.10.2012, 11:06
Der Titel sagt es ja schon:

Akzente und Dialekte beim kreativen Schreiben -- benutzt man die? Und wie genau? Subtil beschreiben oder lieber direkt ausschreiben? Ich habe letztens übrigens gelesen, das Ausschreiben von Aussprachevarianten wäre Diskriminierung. Hm.
Und wir nehmen gleich mal noch charakteristische Grammatik und entsprechendes Vokabular hinzu ("Altaaa!", "ain't goin' home"). Wie kann/sollte man denn nun damit umgehen?
Ich find's interessant und hab auch schon seeehr unterschiedliche Meinungen dazu gehört. Mal sehen. :D

Mordechaj
20.10.2012, 12:18
Im groben ist das ziemlich kulturabhängig; im angelsächsischen Raum wirst du zum Beispiel verschriftlichten Sprachbesonderheiten viel eher begegnen, als in Kontinentaleuropa, weil die großen Schriftsteller dieser Tradition nicht davon abgesehen haben, die sprachlichen Distinktionsmerkmale in ihren Texten aufleben zu lassen. Im deutschsprachigen Raum kommt zu dem Prestige-Aspekt (ein Dialekt kann "hässlich" oder besonders "angenehm" sein; er kann die Leute "dümmlich" und "dorftrottelig" zeihen oder, wenn beispielsweise dezidiert standardnah, "blasiert" oder "bonzenhaft" machen) auch noch eine sehr starke Identitätsbindung dazu, die andernorts viel schwächer ist. Vor allem die volkstümliche Ebene (dialektale Lieder, Dialektwerke wie beispielsweise von Lene Voigt für das Sächsische, etc.) trägt zu einer starken Identifikation mit einem bestimmten Dialekt bei, weshalb sich hier Leute schon "beleidigt" fühlen könnten, vor allem, weil das Schriftsystem eigentlich nicht dafür geschaffen ist, vom Standard abweichende Varianten zu tragen. Das hat die Naturalisten natürlich nicht davon abgehalten zu versuchen, Dialoge in Niederberlinerisch festzuhalten.

Allgemein ist es für den Leser sehr anstrengend, vom Standard abweichende, sprachlich besondere Formen zu lesen. Anders ist das natürlich bei der Distinktion des Wortschatzes; Leute, die "grandios" und "Adieu" sagen, sind nicht dieselben wie die, die sich mit "Alter" ansprechen und "Ey" verwenden. Den Bayern wirst du ebenso wenig von einem Pissputt sprechen hören, wie den Friesen vom Draschen. Außerdem stellen Varianzen in Satzbau und Komplexität gute Mittel zur Distinktion dar.

Man muss halt immer schauen, wie viel Authentizität wirklich angebracht, ob sie im Fall des Falles wirklich auch zweckdienlich ist, ab wann sie das Lesevergnügen erheblich stört. Wie gesagt lässt sie sich auch auf Akzent- und Dialektebene kaum wirklich adäquat herstellen, weil das Schriftsystem nunmal die Standardsprache fasst, nicht aber die Varietäten. Ohne Restandardisierung im Text selbst (zum Beispiel Regeln wie: <oa> für die sächsische a-Lautvariante, <s's> für die stimmhaften Zischlaute im Hessischen) -- die kaum zu stemmen ist --, sorgt das eher für unverständliches Palatscher als für Authentizität.

Moyaccercchi
20.10.2012, 13:30
Dialekte? Ja, bitte! =)
Ich habe das schon in vielen Büchern anderer Sprachen als unglaublich toll umgesetztes Identitätsmerkmal verschiedener Charaktere gefunden (Good Omens für den englischsprachigen Raum ^^, aber auch meine Isländer hier: wenn dort sehr junge Charaktere auftreten, dann sprechen sie auch genau diesen schlimmen Englisch-Isländisch-Mix, den sie im echten Leben an den Tag legen („schlimm“ nur, weil das ganze trotzdem in Isländisch geschrieben ist, also muss man die Worte auf Isländisch aussprechen, und dann das Ausgesprochene Englisch hören, um zu verstehen, was eigentlich los ist - so wie die Aussprachehilfen der Computerbild Spiele früher)), aber das einzige wirklich vernünftige Stück Literatur das ich im deutschen Raum kenne, das verschiedene Dialekte toll einsetzt, ist der Hauptmann von Köpenick. Wahrscheinlich gibt es noch mehr, aber mehr ist mir zumindest noch nicht über den Weg gelaufen. ^^
Bei all dem sind es jedoch immer die Charaktere, die im Dialekt sprechen. Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn das ganze Buch selbst im Dialekt geschrieben wäre, also der Erzähler Dialekt hätte (und vielleicht noch lustiger, der Erzähler einen arg fiesen Dialekt hätte, aber die Charaktere alle einwandfreies Hochdeutsch sprechen), kann ich mir nichtmal vorstellen...