Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Gut und Böse
Grundlage dieses Threads ist folgender Beitrag, den ich gestern geschrieben hatte:
Dass die Stigmatisierung von Gut und Böse der Community nachwievor eigen ist, wurmt mich. Können wir nicht endlich damit aufhören? Literatur ist voll von allegorischen Geschichten. Ein paar Jahre in die Vergangenheit und eure Mütter haben euch vermutlich jeden Tag mit ihnen gefüttert. Ihr Anspruch ist beliebig, ihre Aussagekraft ist beliebig und ihre Struktur eignet sich zu den schönsten Bildern. Ich sehe keinen Gewinn darin, Makerspiele dem deutschen Autorenfilm anzupassen.
Das hat jetzt nur indirekt mit deinem Thema zu tun, aber ganz ehrlich: Als Autor ist es empfehlenswert zu wissen, dass Gut und Böse keine Fehlinterpretation menschlicher Realität ist, sondern eine Abkehr von der Abbildungsfunktion. (Quelle) (http://www.multimediaxis.de/threads/135972-Beweggr%C3%BCnde-meines-B%C3%B6sewichts?p=2998450&viewfull=1#post2998450)
Ja, er ist spärlich, aber ich hielt ihn nicht für so fehlinterpretierbar, wie geschehen (nichts für ungut ;)). Meine Aussage ist nicht, dass der Anschein eine mächtige Waffe ist, Gut und Böse also dem Zweck dient, die Realität zu verschleiern, bis sie irgendwann durchscheint. Vielmehr rechtfertige ich Gut und Böse als symbolische bzw. abstrakte Konzepte, abseits ihrer moralischen Ursprünge oder als Kondensat derer.
Märchen sind dafür das beste/bekannteste Beispiel. Von Volksmärchen bis zu Der kleine Prinz ist ihnen ausgeprägte Schwarz-Weiß-Malerei gemein. Die dient nicht der Verklärung unserer Realität, sondern der Stilbildung. Sie existiert in einem literarischen Kosmos, der ohne sie unwirklich wirken würde.
Andere Beispiele liefern z.B. überzeichnete Actionfilme. Was gibt es geileres als Last Action Hero oder Big Trouble in Little China? Hätte Fatih Akin bei Last Action Hero Regie geführt/das Drehbuch geschrieben, wäre der Ripper ein armes Opfer der Gesellschaft, dessen Sohn an der mexikanischen Grenze erschossen wurde. Und er hätte nur notdürftig Amerikanisch gesprochen.
Ich hätte eigentlich nur Last Action Hero schreiben sollen.
Jetzt will ich hiermit nicht sagen: "Nutzt Schwarz-Weiß-Malerei. Die ist besser!". Es ist nur sehr, sehr kurzsichtig sie zu verurteilen. Sie erfordert eine andere Art des Schreibens. Keine simplere - im Gegenteil: Man muss sich ihr gewachsen fühlen und ich schätze, das tun die wenigsten. Was schade ist.
Das Thema fühlt sich richtig alt an, aber wurde meines Wissens nie konkret besprochen. Es lässt sich eigentlich auf alles ausweiten, was erzählerisch als No Go gilt, aber - Geschichte sei Dank - keines sein kann.
La Cipolla
27.08.2012, 22:32
Gut und Böse können total klasse sein -- kommt ganz darauf an, was man machen will.
Wer eine "glaubwürdige", ernsthafte Atmosphäre schaffen will (die btw. NICHTS mit Realismus zu tun hat!), sollte es mit gut/böse nicht übertreiben. Denn wenn eine wichtige Figur nicht gerade irgendwie wahnsinnig ist, benötigt sie eine Motivation, und jede glaubwürdige und gut geschriebene Motivation hat die Angewohnheit, gut und böse irgendwo etwas zu relativieren. Das heißt wiederum NICHT, dass bei die Motivation eines jeden Charakters deutlich werden muss, oder dass die Motivation total nachvollziehbar sein sollte. Man muss bloß das Gefühl haben, dass diese Figur das, was sie tut, auch tatsächlich tun würde, wenn sie es für die Geschichte nicht tun müsste. (:p)
Randnotiz: Wahnsinnige Figuren dagegen sind noch mal viel schwieriger hinzukriegen (meistens läuft es auf "huhu, ich bin wahnsinnig, hihi!" oder "ich bin wahnsinnig, damit mein Autor freie Hand hat!" hinaus -- und beides ist total schrecklich).
Will man dagegen ganz bewusst in den pulpigeren Bereich gehen (wertungsfrei gemeint!), sind gut und böse sehr interessante Konzepte, mit denen man wunderbar arbeiten kann, um zu unterhalten. Owlys Beispiele aus dem Action-Kino unterstreichen das schon klasse.
Btw.: Märchen oder der "Kleine Prinz" sind imho denkbar schlechte Beispiele. Denn ganz davon abgesehen, dass man sich bei zweiterem durchaus streiten kann, sind es Kindermedien, oder allgemeiner ausgedrückt, sie haben eine pädagogische Funktion. Und Kinder können tatsächlich noch nicht allzu gut differenzieren (rein entwicklungspsychologisch), heißt, sie brauchen klare Aussagen, wenn es um Moral geht. Auch Erwachsene kann man mit einseitigen Konzepten teilweise besser "erziehen", also à la "er ist BÖSE, er ist der FEIND". Anders gesagt, die Medien haben nicht gut und böse, weil gut und böse so toll sind, sondern weil sie der Intention dieser Medien (Erziehung) zuträglich sind.
Unentschieden bin ich persönlich bei settingbasiertem Gut und Böse. Also bspw. Engel, Dämonen und sowas, die per se und immer gut oder böse sind. Der Witz ist, dass irgendwie alle ernst gemeinten "bösen" oder "guten" Figuren, die mir gefallen haben, letztendlich gar nicht mal so gut oder böse waren. Ich glaube also, das mag ich nicht, obwohl es etwa ziemlich tief im Fantasy-Genre verankert ist. Es fühlt sich oftmals einfach falsch und veraltet an, zu sagen "Orks sind nun mal grausame Kreaturen" (wie etwa in Herr der Ringe oder Dungeons & Dragons). Ausnahme: Es ist ein total pulpiges Setting, dass sich Null ernst nimmt und auch keinen Anspruch erhebt, ernsthaft glaubwürdige Geschichte zu erzählen. Dann von mir aus rein damit. :D
Was ich schrecklicher als jedes Schwarz/Weiß-Malen finde, sind dahin geworfene 08/15-Motivationen. WENN ich meine Figuren relativieren will, dann bitte richtig. Mal so eine kleine Rückblende mit toten Eltern tut es da imho nicht unbedingt. Was jetzt aber sehr pauschal gesagt ist, es kommt schon auf den speziellen Fall an. Wichtig ist einfach, dass man nicht auf Teufel komm raus irgendwas erklärt (wie es ja in 50% aller Hollywood-Filme passiert, dass man eben mal schnell sieht, wie dem Schurken was Schlimmes passiert, er einmal laut schreit und dann ist er BÖSE).
Edward.Newgate
27.08.2012, 22:41
@ Owly:In diesen Punkten gebe ich dir absolut Recht.
Man bedenke jedoch, dass viele Makerer nicht nicht in der Lage sind, sich der Erzählweise eines Gut-und-Böse-Plots zu stellen sondern dies schlichtweg aus Lustlosigkeit unterlassen. Ich kann da nicht unbedingt aus meinen Erfahrungen sprechen, allerdings kenne ich genug Leute, die sich abends an den Maker setzen und einfach drauflosschawänzeln. Sie wollen bei besagten Geschichten nicht ihre gesamte Erzählkunst verwenden sondern mal einfach nur mit Wachsmalstiften malen. Sprich: Picasso könnte wunderschöne Sonnenblumen in einer Vase malen, möchte aber lieber einen Stirchmännchencomic zu Papier bringen weil es entspannender ist. Verschenktes Potential (zumindest für die Makergames) wenn man so will. Das alles ist allerdings - wie du bereits erwähnt hast - schade.
...Sprich: Picasso könnte wunderschöne Sonnenblumen in einer Vase malen...
war das nicht van gogh mit den blumen? ;)
ich finde es in spielen echt schöner, wenn es nicht nur um schwarz weiß denken geht, und man sich selbst die frage stellt, ob das so richtig ist, was man hier tut. mir fällt jetzt leider kein paradebeispiel dafür ein, aber es verleiht dem plot auf jeden fall mehr tiefe und ernsthaftigkeit. wenn man natürlich nur eine geschichte alá "rette dir prinzessin aus dem turm" erzählen möchte, ist die durch und durch böse hexe sicherlich ein gut benutzbares stilmittel. sollte das ganze aber mehr an tiefe gewinnen, wird es teilweise einfach nur lächerlich.
Ich bin der Ansicht, sowohl der Protagonist als auch der Antagonist sollten sowohl gute als auch schlechte seiten haben, da man so
unteranderem die Aktionen des Antagonisten z.B. persöhnlich besser nachvollziehen kann und man bei einer Konfrontation beider
auch wirklich mitfiebern kann und die Geschichte eine gewisse Diskussionsbasis erhält, somit also auch "anspruchsvollere" Zuhörer/Leser/Spieler
zu fesseln weiß.
Ich selber führe mir aber doch gerne ab und an mal "Schwarz/Weiß Malerei" zu Gemüte, einfach weil auch etwas triviales wie "Schwarz/Weiß" unter den ganzen "Grautönen"
in gewisser Weise den Anschein von Innovation erweckt, welche ersteinmal eine gewisse Vielfalt ermöglicht und somit das Aufkommen von Langeweile unterbindet.
In Kurzform: Auch Grautöne können irgendwann mal langweilig werden.
Mr.Räbbit
28.08.2012, 10:06
Ich persönlich stehe auf nachvollziehbare Handlungen der Charaktere.
Gründe für eine bestimmte Handlung finde ich immer wesentlich spannender, als eine generelle Einstellung einer Person. Hatte da letztens mal vom Positiv-Beispiel Game of Thrones gelesen, wo keiner wirklich böse ist(...außer Joffrey -.-), sondern stets ein nachvollziehbarer Hintergedanke hinter der Handlung steckt. Ursache und Wirkung, bzw. Zielsetzung. Der Ausbau bzw. die Umsetzung dieser Handlung ist dabei aber der Knackpunkt, an dem viele "Autoren" scheitern.
Zudem finde ich es sehr interessant, wenn eine Person innerhalb einer Handlung etwas vortäuscht, ohne dass einem der Wink mit dem Zaunpfahl um die Ohren gehauen wird. (Alá Familie des Antagonisten wird getötet = Hass auf die Welt) Viel interessanter ist es, wenn die Einstellung einer Person nur Subjektiv wahrgenommen wird und der Spieler eher ein Gefühl dafür bekommt, dass hier doch irgendetwas nicht ganz stimmt.
Gut und Böse im klassischen Sinne macht zwar in den meisten Handlungsstränden, was Spiele angeht, durchaus einen Sinn, ist aber für mich persönlich idR ziemlich Öde. Es sei denn es wird persifliert oder satirisch umgesetzt. Manche Konzepte funktionieren zwar nicht ohne Schwarz/Weiß, aber ich finde das Konzept, gute und böse Charaktere ganz offensichtlich darzustellen ziemlich ausgelutscht.
Wie wäre es denn mal mit einer Handlung, bei der es keine Antagonisten im klassischen Sinne gibt. Wenn Held und Bösewicht in einer Person vereint sind. Eine Art Ying und Yang Persönlichkeit!?
Oder die Umwelt selbst das Böse darstellt? Umgekehrt kennt man das ja schon aus allerlei Trash-Spielchen (oder GTA - auch beides ohne Wertung)
Nicht das Konzept des Gut und Böse selbst ist das Problem, sondern eher die mangelnde Kreativität in der Umsetzung!
Ich finds ätzend wenn die Handlungen böser Menschen durch 'ne traurige Kindheit etc. entschuldigt und relativiert werden, das hat sowas von "niemand ist wirklich von Grund auf schlecht!", das mag stimmen, aber es gibt Menschen, die sind von Grund auf ein Arschloch.
es gibt Menschen, die sind von Grund auf ein Arschloch.
+1
Es gibt sie einfach, diese Menschen die ein Ziel verfolgen und es auf die einfachste Art und Weise erreichen möchten - in dem man lügt, betrügt und korrumpiert. Ich kenn genug Leute, die sind aber auch ohne ersichtlichen Grund öhm...voll die bösen Buben. Trotzphase? Pubertät? Midlifecrisis? Aus Spaß an der Freude? Depression wegen mangelndem Erfolg? Neid? Das reicht alles schon völlig um was böses zu machen. Umso böser und brutaler die Tat, um so dramatischer wird das Enden. Vom Bein stellen über versuchten Todschlag bis zum Genozit ist da alles mit dabei.
Vor einigen Wochen stand in der Zeitung das eine Mutter ihr Kind hat verhungern lassen - sie ist zu ihrem Freund gegangen weil ihr das Geschrei auf den Senkel ging. Purer menschlicher Wahnsinn, den ich so z.B. auch aus Silent Hill - Spielen kennen gelernt habe, obwohl da auch noch eine andere Komponente mitspielt: Radikale Taten im Namen der eigenen Religion.(vor allem in Teil 3). Das ist der Wahnsinn den ich so liebe. Nicht der "muhaha ich bin so wahnsinnig"-Wahnsinn, sondern der "Ich tue das aus einer ernsthaften Überzeugung und kuck dabei auch ganz ernst"-Wahnsinn. Jedem normalen Menschen ist klar, dass das so nicht geht und kämpft dagegen an. Der Bösewicht aber klammert sich mit so einer überzogenen Leidenschaft daran, dass man an erster Stelle Angst, an zweiter Stelle schon fast Mitleid bekommt.
Wozu gehört eigntlich der völlig Wahnsinnige Antagonist, der noch zurechnungsfähig genug ist, um intelligent und hinterhältig zu handeln? Schwarz oder grau? Schließlich handelt er aus einer Überzeugung heraus, nicht aber aus einer völlig rationalen.
Nagasaki
28.08.2012, 11:29
Ich kann mich da Owly und Corti nur anschliessen. Ich sehe das teils auch so wie Maister-Räbbit. Problematisch ist hier allerdings der Umstand, dass die Umsetzung in beiden Richtungen missglücken kann. Und das kommt bei Leuten, wie Corti so schön sagt, mit trauriger Kindheit einfach wesentlich bescheuerter rüber. Gut und Böse stellt in sich schon eine gute Basis dar. Wenn man das Ganze nun verwässern muss, weil man sich der Herausforderung nicht gewachsen sieht es knallhart und überzeugend durchzuziehen, so führt es häufig zu traurigen Ergebnissen. Es stecken (vllt) tolle Ideen dahinter, doch unzureichend inszeniert bringen einem Ideen garnichts. Okay, zugegeben, vielen Leuten in der Makerszene ist sowas scheinbar egal und Ideen werden in den Himmel gelobt, auch wenn die Umsetzung (u.a.) mir Tränen in die Augen treibt. Und, nein, es sind Tränen der Enttäuschung.
Zudem haben viele Leute in kreativen Bereichen allgemein das Problem, dass sie alles logisch und originell aufbauen wollen. Dies ist aber ein unsagbarer Fehler. Die Spieler wollen in gewissem Maße altbewährte Konventionen, so ausgelutscht sie auch sein mögen. Es geht in erster Linie um die Verpackung. Gerade bei Makergames habe ich die Erfahrung gemacht, dass ziemlicher Rotz rauskommt, wenn der Ersteller versucht(!) "authentische Charaktere" mit nachvollziehabren Handlungen und Beweggründen zu erschaffen. In gewisser Weise macht man sowas ja schon automatisch. Den Zwang nun jede Lücke füllen zu wollen und jeder tragenden Figur eine potentielle Rechtfertigung in den Mund legen zu müssen (besonders schön in überaschenden Monologen, kurz vor dem Ableben besagter Personen), kann ich nicht nachvollziehen. Zumindest nicht, wenn man schon mehrere Jahre makert und somit schon länger Geschichten erzählt. Man übertreibt es schnell.
Allgemein würde ich dazu raten beim Geschichtenerzählen Schwerpunkte zu setzen. Es braucht einfach keine perfekt ausgearbeitete Story. Sofern man nicht vermitteln will, dass es kein Schwarz/ Weiss gibt, so sollte man sich auch nicht allzuviel mit dem Thema aufhalten.
Mr.Räbbit
28.08.2012, 11:40
In Bezug auf dieses Thema will ich noch kurz anmerken, dass ein Faktor in der Erzählweise von Geschichten viel zu selten genutzt wird:
Der Zufall.
Die Welt (ja, die echte) ist doch gerade so spannend und voller irrwitziger Ereignisse, weil nichts voraussehbar ist. Warum muss innerhalb von Geschichten also alles immer logisch erklärt werden und jeder Charakter seinen festen Platz in der Geschichte haben, oder erzwungenermaßen verwoben werden!? Ich weiß, dass Handlungen so nicht funktionieren und man nicht einfach Charaktere aus einem Stück rein- und rausspringen lassen kann, aber dennoch bin ich ein Freund unkonventioneller Erzählmethoden und zumindest das Ergebnis eines Versuches würde mich doch sehr interessieren.
@Cort und Sabaku:
Kann dem nur zustimmen
@Jiro Toshima:
Die Umsetzung, da Hobbytechnisch erzeugt ist im "Indieentwickler" Bereich immer das Problemo No.1
Wozu gehört eigntlich der völlig Wahnsinnige Antagonist, der noch zurechnungsfähig genug ist, um intelligent und hinterhältig zu handeln? Schwarz oder grau? Schließlich handelt er aus einer Überzeugung heraus, nicht aber aus einer völlig rationalen.
Es spielt sicherlich der Standpunkt eine Rolle. Für die Außenstehenden und vor allen Dingen die Opfer seiner Taten, ist er der Wahnsinnige. Für sich selbst, sieht er seine Taten und Beweggründe als völlig selbstverständlich an, da er sie am Besten (und eventuell auch als Einziger) nachvollziehen kann. Innerlich ist er Grau, nach außen hin Schwarz.
Und diese Unterscheidung finde ich auch wichtig. Kein gut geschriebener Antagonist handelt schurkisch, weil er heute mal besonders böse sein will, sondern aus seiner Überzeugung heraus, es müsse für einen Zweck getan werden, der ihm (oder seiner Ansicht nach der Welt) einen Vorteil verschafft.
Cortis "Arschloch" Ausspruch - er schrieb am Wenigsten aber brachte es gut auf den Punkt - zeigt noch eine andere Art von Antagonist auf. Leute, die einfach nur Macht wollen, sehr wohl im Gewissen es würde Anderen schaden und für sich selbst einen Vorteil abwerfen. Als Beispiele wäre die Historie der christlichen Religion (zB die Inquisition) zu nennen. Oder die Mafia, die bewusst organisiertes Verbrechen durchführt. Da ist niemand fehlgeleitet, es geht einfach nur um kriminellen Gewinn. Das lässt sich locker in den Schwarzbereich abführen und muss auch nicht weiter argumentiert werden.
Für den spielbaren Helden wünsche ich mir jedoch, dass er sich einer Linie treu bleibt, vorzugsweise die "gute" Seite, um sich mit ihm zu identifizieren (für Filme mag etwas Anderes gelten; da ist es recht cool wenn der Protagonist einen Mistkerl-Charakter hat. Man spielt ihn ja auch nicht und verkörpert ihn somit auch nicht). Da ist es mir ein absolutes NoGo, wenn mein strahlender Held plötzlich anfängt grundlos Leute zu ermorden, arme Omas zu bestehlen oder ähnliche Spirenzchen beginnt, nur weil es halt durch die Features möglich ist. Auf eine eindeutige Charakterisierung sollte gerade beim Helden wirklich geachtet werden.
[MG]
@Corti
Das gilt aber nur für Menschen, die wirklich böse sein sollen, also quasi so was wie der Teufel in Menschengestalt. Ein richtiger Mensch wird nicht als Arschloch geboren, zumindest meine ich, dass in der Wissenschaft angenommen wird, dass die Persönlichkeit erst durch die Sozialisation entsteht. Wenn ein Mensch also ein Arschloch ist, dann muss in der Kindheit wirklich etwas schiefgelaufen sein. Wobei das nicht notwendigerweise was mit bösen Vergewaltiger-Eltern zu tun haben muss o. ä. Das Problem bei manchen Geschichten ist mMn auch eher, dass versucht wird, das Arschloch-Verhalten zu entschuldigen, man soll Mitleid mit dem Antagonisten haben, er ist nur ein armes Opfer. Ich finde es grundsätzlich nicht verkehrt, wenn man versucht das asige Verhalten vom Gegenspieler zu erklären, solange man damit nicht versucht, die Antipathie zu nehmen.
Ich finde eine klare Trennung in Gut und Böse in Ordnung, solange die Geschichte nicht besonders glaubwürdig sein soll. So was funktioniert bei High Fantasy, bei Low und Dark Fantasy wird es schon schwieriger. Wobei selbst dort Sympathie und Antipathie klar verteilt werden können. Die Serie Game of Thrones polarisiert z. B. sehr stark (in den Büchern soll das afaik nicht so ausgeprägt sein). Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der gewisse Charaktere aus der Serie sympathisch findet. Böse macht das sie zwar nicht, aber zu Arschlöchern schon.
La Cipolla
28.08.2012, 12:12
Ich glaub nicht an "böse" Menschen, aber durchaus an Menschen, deren Hintergründe man nicht kennt oder deren Entscheidungen und Verhaltensweisen man für total dumm oder asozial hält. Was man dann natürlich wieder "böse" nennen könnte ... Weshalb sich mein Post oben auch eher auf die "klassische" Definition bezieht, also eine Gesinnung in dem Sinne, dass "gut" und "böse" tatsächlich inhärente Charakteristika ohne großen Kontext sind.
Was Corti sagt, trifft imho nur zu, wenn es schlecht gemacht ist.
real Troll
28.08.2012, 12:18
Geschichten mit einem klaren Guten und Bösen verströmen für mich romantische Behaglichkeit. Wenn der Schurke böse lacht, während er das Dorf samt Bauern niederbrennt, hat das was von Kuschelrock. Ich lasse mein Feuerzeug aufschnippen und wippe wohlig mit. Luke Skywalker muss blond sein und wenn er vom ruchlosen Trachten des Imperiums erfährt, muss in seinen Augen ideale Naivität aufscheinen. Und natürlich muss der böse Imperator eine schwarze Kutte tragen, die tückische Augen und schlechte Zähne birgt. Auf eine gänzlich ironiefreie Weise mag ich das.
Solche Geschichten fallen in sich zusammen, sobald spöttischer Abstand einzieht. Wer als Erzähler unfähig zum Pathos ist, sollte davon die Finger lassen; derartiges liegt dann außerhalb seines Könnens. Der hohen Kunst des Schwarz-Weiß kann man sich dann allenfalls mit der Krücke der Parodie nähern. Ich schaffe das beispielsweise nur so. Damit gehen Nachteile einher. Man kann nur vom Abglanz der Klischees schmarotzen, sie aber nicht direkt anzapfen. Und selbst ein neues Klischee zu erschaffen, also den Gipfel der Kreativität zu erringen, weil die eigene Fantasie in diesem Fall die Vorstellung der Vielen prägte, fällt dann auch weg.
Allerdings lassen moralisch klare Konturen kaum Heldenpersönlichkeiten zu. Man ist auf Archetypen angewiesen, das dramatische Personal fungiert sehr zweckrational als Gefäße sittlicher oder unsittlicher Prinzipien. Auf der popkulturellen Ebene: Selbst Indiana Jones hat mehr Ambivalenz als die Gefährten im Herrn der Ringe (Boromir ist wohl nicht zufällig der am ehesten in Erinnerung bleibende Charakter des ersten Films). Prinzipiell überlegen ist keine der beiden Erzählweisen. Sie funktionieren je anders und das sollte man sich vor Augen halten, bevor man sich das erzählerische Mittel aussucht, das am besten dem eigenen Zweck dient. Hier stimme ich Owly zu: ein Märchen als post-existenzialistisches Selbstbetrachtungsstück aufzuziehen, verwandelte es in ein saft- und kraftloses Ding.
Was zählt ist, ob ein Arschloch glaubwürdig sein kann und das kann es, weil wir alle Arschlöcher kennen und ich finde, dass man Charakteren auch Tiefe geben kann ohne sie zu entschuldigen.
Ich kann wenig damit anfangen, wenn Charaktere einfach gut oder böse sind, weil sie so sind. Auch in einer Fantasy Geschichte sollten da schon richtige Beweggründe sein. Gut und Böse sind nie Handlungsmotive, es sind lediglich Wertungen basierend auf der vorherrschenden Moralvorstellung. Damit sind Gut oder Böse auch nie absolut, weil Moral nicht absolut, sondern abhängig von Gesellschaft und Zeit ist.
Das heisst aber nicht, dass man "bösen" Charakteren immer eine tragische Hintergrundgeschichte geben muss, nur eben eine glaubhafte Handlungsmotivation.
Ganon will beispielsweise nicht das Triforce weil er so unglaublich böse ist. Er ist ein machthungriger Mensch (was wir als böse einstufen) und daraus leitet sich sein Handeln ab. Er hat also wesentlich mehr Persönlichkeitsaspekte als böse zu sein.
Ein gutes Beispiel finde ich auch Nene aus Blue Dragon, der einfach gerne Menschen leiden sieht. Er handelt nicht so, weil es böse ist Menschen leiden zu lassen und er halt böse sein will, sondern weil er sich daran belustigen kann. Damit hat er eine ausgearbeitete Persönlichkeit, die nichts damit zu tun hat einfach böse zu sein. Sie wird lediglich von uns so eingestuft.
Schlussendlich geht es daher bei allen Charakteren, seien sie schwarz, weiss oder grau, darum, ihre Charaktereigenschaften und Handlungsmotive auszuarbeiten und sie durch diese besonders interessant und tief zu gestalten. Es ist die gleiche Arbeit und man muss auf die gleichen Dinge achten.
Weshalb sich mein Post oben auch eher auf die "klassische" Definition bezieht, also eine Gesinnung in dem Sinne, dass "gut" und "böse" tatsächlich inhärente Charakteristika ohne großen Kontext sind.
Das ist der vernünftigste Ansatz.
Btw.: Märchen oder der "Kleine Prinz" sind imho denkbar schlechte Beispiele. Denn ganz davon abgesehen, dass man sich bei zweiterem durchaus streiten kann, sind es Kindermedien, oder allgemeiner ausgedrückt, sie haben eine pädagogische Funktion.
Jein, inhaltlich vielleicht, aber selbst das ist streitbar. Viele Märchen, wie "Das Mädchen mit den Zündhölzern" und andere Andersens, finde ich wenig kindgerecht. Gerade Kunstmärchen zeichnen sich doch dadurch aus, dass sie eine Bedeutungsebene haben, die oft nur Erwachsene verstehen. Außerdem sind sie sprachlich sehr ausgefeilt. Beides nicht der Schwarz-Weiß-Malerei zum Trotz - es ist ihr zu verdanken. Worauf es mir bei Märchen ankommt: Sie sind sehr homogen. Welt, Charaktere, Ereignisse und Sprache sind nicht voneinander zu trennen.
Wie real Troll schreibt: Es ist nötig, seinen Stil der Intention anpassen zu können. Wenn man sich nur für Realismus interessiert, ist das ok. Wenn man nur zu ihm imstande ist, ist das schade. Wenn man nur zu ihm imstande ist und den Rest verurteilt, macht mich das wütend. Aber nicht so wütend, dass ich meinen Schaukelstuhl verlassen möchte. Also gar nicht.
Menschen sind zu so toller Abstraktion fähig und ihr Unterbewusstseins ist voll von Symbolen, wieso also sollte man sich vor allem, außer seiner bewussten Wahrnehmung verschließen? Das ist so, als hätte es die Kunstgeschichte seit Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gegeben.
La Cipolla
28.08.2012, 13:15
Jein, inhaltlich vielleicht, aber selbst das ist streitbar. Viele Märchen, wie "Das Mädchen mit den Zündhölzern" und andere Andersens, finde ich wenig kindgerecht. Gerade Kunstmärchen zeichnen sich doch dadurch aus, dass sie eine Bedeutungsebene haben, die oft nur Erwachsene verstehen. Außerdem sind sie sprachlich sehr ausgefeilt. Beides nicht der Schwarz-Weiß-Malerei zum Trotz - es ist ihr zu verdanken. Worauf es mir bei Märchen ankommt: Sie sind sehr homogen. Welt, Charaktere, Ereignisse und Sprache sind nicht voneinander zu trennen.
Hm, okay, da kenne ich wohl einfach zu wenig, ich bin jetzt erst mal vom üblichen Kindermärchen à la Grimms ausgegangen. Ob kindgerecht oder nicht spielt dabei (!) aber erstmal keine Rolle (zumal der Begriff im historischen Kontext sehr wechselhaft ist), denn die pädagogische Funktion ist da eigentlich immer dabei, gerade bei den Grimms -- was noch drin steckt, ändert daran nichts. Wobei in Anderssons Märchen doch das Einzige, was gut oder böse ist, die BÖSE BÖSE WELT sein dürfte. ;D
Aber wie gesagt, ich denke ich hab einfach nicht genug Ahnung vom Genre, um da was Verallgemeinerndes drüber zu sagen.
Wie real Troll schreibt: Es ist nötig, seinen Stil der Intention anpassen zu können. Wenn man sich nur für Realismus interessiert, ist das ok. Wenn man nur zu ihm imstande ist, ist das schade. [...]
Menschen sind zu so toller Abstraktion fähig und ihr Unterbewusstseins ist voll von Symbolen, wieso also sollte man sich vor allem, außer seiner bewussten Wahrnehmung verschließen? Das ist so, als hätte es die Kunstgeschichte seit Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gegeben.
Um dich zu zitieren: "Jein". Ich widerspreche dem nicht, kann mich dem jedoch auch nicht anschließen. Schwarz-Weiß-Schreibungen entstammen aufgrund ihrer anfänglichen Einfachheit, nicht grundlos oft der Anfängerfeder, was auch spielerisch nur höchst selten überzeugt. Anfänger sind oft nicht in der Lage sich mehr Gedanken über ihren Plot und Charaktere, das Spiel im Gesamten, als Werk, zu machen. Hier liegt die Ursache nicht im Interesse des Entwicklers, sondern der persönlichen Grenze.
Aus der Perspektive der Kunst, wie ich oft sehr gerne sage: Wer realistisch zeichnen kann, ist auch zur Abstraktion fähig. Wer nur abstrakt zeichnet, beherrscht den Realismus nicht. Ähnlich verhält es sich mit den Spielen: Es bedarf einer gewissen Grundlage, der Fähigkeit komplex über sein Werk nachzudenken und es auch wie gedacht umzusetzen, dazu fähig sein Abgleiche mit der Realität zu treffen und somit Variationen und Optionen zu entwickeln. Gute und überzeugende Schwarz-Weiß-Spiele oder Bestandteile zu integrieren, bedarf viel Erfahrung und Arbeit. Und der Schritt dahin, ist der Blick auf die Realität. In dem Sinne, würde ich Erst- und Frühentwicklern nicht unbedingt empfehlen, mit den Überzeichnungen von Gut und Böse zu spielen.
[Nachtrag] Ich schätze es ist unnötig zu erwähnen, dass diejenigen fortgeschrittenen Entwickler auch selbst wissen, dass sie zu Schwarz-Weiß-Abstraktionen in der Lage sind und dein Ansporn ihnen gegenüber durchaus legitim ist.
[MG]
La Cipolla
28.08.2012, 13:31
Wer realistisch zeichnen kann, ist auch zur Abstraktion fähig. Wer nur abstrakt zeichnet, beherrscht den Realismus nicht.
Hm, mutige Aussage. Wenn man einmal so richtig schön drin im Differenzieren ist, kann es durchaus schwer werden, wieder auf simple Konzepte zurückzugreifen und diese ästhetisch ansprechen durchzuziehen. Letzeres ist imho nicht sooo einfach, wie es immer gern dargestellt wird.
Wo ich dir aber recht gebe: Eine wirklich gute Abstrahierung ist letztendlich einfach er als eine wirklich gute Relativierung, denke ich.
Klar sollten die Taten eines Charakters auch nachvollziehbar sein und eine Traurige Kindheit ist ein wenig bescheuert als Grund.
Wenn jetzt z.B. der Antagonist einen Hass auf eine bestimmte Gruppe Menschen hat, dann sollte das aber auch begründet sein.
Wenn XY´s Famile halt von einer Bande Aliens umgebracht wurde und er es als Kind gesehen hat, ist klar, dass XY den Aliens nicht eben wohlgesonnen ist
und wenn er jetzt noch von einem leidenschaftlichen Alienhasser gefunden und aufgezogen wird, ist klar, dass XY wohl ebenso ein Alienhasser wird, dessen
Ziel es ist alle Aliens auszulöschen. Ob er darüber hinaus ein guter oder schlechter Mensch ist, muss dadurch nicht beeinflusst werden.
Er kann ansonsten ein richtiger heiliger sein oder halt ein Arschloch.
Ich finde ja, dass Charaktere die absolut das eine (Böse) sind ohne einen Hauch des anderen (Gut) zu haben, unglaubwürdig und flach wirken.
Aber wie gesagt, ich denke ich hab einfach nicht genug Ahnung vom Genre, um da was Verallgemeinerndes drüber zu sagen.Davor sollte ich mich eigentlich auch hüten. Mit Märchenforschung habe ich kaum Erfahrung, nur mit Märchen selbst. Die Parallelen zwischen Grimms Märchen, Andersens und denen aus 1001 Nacht, sind sehr deutlich, liegen für mich aber nicht im pädagogischen Bereich. Pädagogik ist ja meist eher die Pointe eines Märchens.
Bei Andersens Märchen ist es ja gerade der Witz, dass sie - abseits von der Sprache - sehr formfrei sind. Sein Ole Lukøje hat z.B. gefühlt nichts mit seiner kleinen Meerjungfrau gemeinsam.
(zumal der Begriff im historischen Kontext sehr wechselhaft ist)Gibt es rein pädagogische Kinderbücher, die berühmter sind als Vertreter der schwarzen Pädagogik?
Aus der Perspektive der Kunst, wie ich oft sehr gerne sage: Wer realistisch zeichnen kann, ist auch zur Abstraktion fähig. Wer nur abstrakt zeichnet, beherrscht den Realismus nicht.Expressionismus und Art Brute widersprechen dem. Nicht, dass ich das auch zwangsläufig tue, denn die Meinung finde ich nachvollziehbar. Regeln bricht man am besten, indem man sie vorher lernt und anwenden kann. Aber: Abstraktion setzt keine Kenntnis der objektiven Realität voraus. Die subjektive reicht dafür vollkommen. Vielleicht ist Abstraktion in der Beziehung nicht der richtige Begriff, es geht nämlich wirklich darum, neben der Realität anzuerkennen, dass jeder noch seine eigene mitbringt. Das wurde ja im Grunde schon dadurch ausgesagt, dass die Vorstellungen von Gut und Böse für jeden anders aussehen, aber ganz den Kern trifft das nicht, denn: Fernab von jeder Rationalität und jeder Bewertung mag existieren was will.
Die Handwerkliche Qualität von Kunst würde ich generell nur daran messen, wie sehr das Ergebnis der Vorstellung entspricht. Ob die Vorstellung irgendwas mit der Realität zu tuin hat, ist unerheblich.
Was den Rest angeht, stimme ich dir weitestgehend zu, insbesondere deinem Nachtrag! Nur: Anfängern Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie den Weg der Realität beschreiten können, ist völlig ok, solange ihnen klar ist/gemacht wird, dass es andere Möglichkeiten gibt.
Edward.Newgate
28.08.2012, 16:03
@ Yenzear (und eigentlich auch an alle anderen) :
Um sich jetzt mal auf die bösen Buben zu beschränken möchte ich folgenden, so oft zitierten Satz wieder hervorholen:
"Manche Menschen (oder Dämon oder son Zeugs) wollen die Welt einfach brennen sehen."
- Alfred aus The Dark Knight
Der Joker is in dem Film ein Penner. Ein blöder Dreckssack. Warum? Er tauchte auf, killte badasslike ein paar Leute und machte sogar Witze darüber. Ohne eine Angabe von Gründen oder Motiven. Und der Zuschauer? Der fand es(meistens jedenfalls) fett. Sprich: Arschgesicht + die nötigen Mittel (z. B. Finanzen) = legitimer Bösewicht.
Keine Leidensgeschichte, keine Biografie am Anfang der Geschichte. Böse ist da, macht böses und muss weggeballtert werden.
Die gute Person jedoch, braucht eine Vergangenheit und vor allem Beweggründe wieso diese so handelt wie sie es tut. Nicht zuletzt weil sich der Spieler mit seiner Figur identifiziert. Jeder will doch seine Lieben vor allen Gefahren schützen. Und unterm Strich hat auch ein Videospielheld Verwandte und Freunde die es zu hüten gilt. :P
Der Joker is in dem Film ein Penner. Ein blöder Dreckssack. Warum? Er tauchte auf, killte badasslike ein paar Leute und machte sogar Witze darüber. Ohne eine Angabe von Gründen oder Motiven. Und der Zuschauer? Der fand es(meistens jedenfalls) fett. Sprich: Arschgesicht + die nötigen Mittel (z. B. Finanzen) = legitimer Bösewicht.
Keine Leidensgeschichte, keine Biografie am Anfang der Geschichte. Böse ist da, macht böses und muss weggeballtert werden.
ich kenn die eigentlichen batman comics nicht, aber in the dark knight hat joker jedenfalls öfter mal von sich gegeben, was in seiner vergangenheit passiert ist, auch wenns jedes mal abweichende storys waren, aber im kern waren sie identisch. und das reicht ja meist schon. zumal joker ein ganz spezieller vertreter der badguys ist.
sorata08
28.08.2012, 16:24
@Edward.Newgate:
Das lustige beim Joker aus "TDK" ist ja sogar, dass man es so auslegen könnte, dass er vielleicht sogar selber nur den verrückten Clown mimt und dann mit seinen unterschiedlichen Origin-Stories daherkommt, weil er sich über die Tatsache, dass man Schurken auf so einfache Dinge wie traumatische Kindheit etc. zu reduzieren versucht, lustig macht.
Was den Joker ausmacht, ist einfach sein Mangel an jeglichen moralischen Grenzen, um das zu tun, was er tut.
Das machte für mich in FF-6 auch Kefka (um beim Thema Clown zu bleiben) so "sympathisch". Er definierte sich und seine Absichten einfach durch seine Taten. Eine ganze Burg über's Trinkwasser vergiften, Genozid aus Prinzip betreiben und völlig unberechenbar zerstören und morden. Das war unkompliziert und einfach "böse".
Wobei es aber schwierig ist, einen solchen Wahnsinn korrekt und passend umzusetzen, damit es nicht in Evil-Overlord, der völlig sinnlos Leute und Dörfer anzündet und dumm herum lacht, ausartet.
Wenn ich da Kefka hernehme ist es vermutlich die Plötzlichkeit seiner Aktionen und der Fakt, dass sie heimtückisch und unmoralisch sind und man den Protagonisten auch anmerkt, dass ihnen das an die Nieren geht.
Vermutlich muss es für den Spieler halbwegs relevant und ersichtlich sein, warum die Taten des Bösen den Helden persönlich betreffen und das Böse muss auch kompetent genug auftreten, dass man zumindest den Eindruck gewinnt "Mist! Wenn ich den nicht aufhalte, brennt der Irre echt alles ab!"
(Bei vielen platten Bösewichtern fragt man sich ja, warum die nicht über ihre eigenen Füße stolpern...)
MfG Sorata
Liferipper
28.08.2012, 16:26
Kommt drauf an. Ein Kerl, der z.B. seinen Boss absticht und daraufhin seinen Platz einnimmt, braucht keine wirkliche Erklärung. er ist eben machtgeil. Solche Menschen gibt's. Wenn hingegen jemand an einer Bombe rumbastelt, mit der er die Welt vernichten kann, wüsste ich schon gerne, warum (und wenn die Erklärung nur lautet, dass er wahnsinnig ist). Wenn man seine eigene Welt kaputtmacht zieht man daraus in der Regel nicht allzuviele Vorteile, ist also kein Verhalten, das Otto-Normal-Arschloch an den Tag legt.
Leute wie der Joker oder Kefka sind eben deshalb so interessant, da Wahnsinn ihre Hauptcharaktereigenschaft ist und man nie so wirklich weiß, was sie als nächstes machen werden.
Man kann jetzt allerdings nicht so genau kategorisieren, ob sie nun flach aufgrund eines Mangels an tiefe sind oder aber interessant weil eben unberechenbar.
Es wird irgendwas dazwischen mit einem drall zum interessanten sein vermute ich.
Ob eine einzelne Story allzuviele dieser "Gestalten" verträgt sei mal so dahingestellt, allerdings währe es sicher interessant.
La Cipolla
28.08.2012, 18:36
Die genannten Personen sind aber Ausnahmen und funktionieren auch nur deshalb. Nolans Joker ist deshalb so angsteinflößend, weil er NICHT nachvollziehbar handelt, weil er ganz direkt KEINE "normale" menschliche Motivation hat. Als Ausnahme ist sowas Wahnsinn, großartig, absolut genial. Aber a) muss man das erstmal hinkriegen, denn da gehört was dazu -- siehe auch mein Satz im dritten Post zu wahnsinnigen Schurken -- und b) funktioniert sowas nur, wenn es uns aus dem Bedürfnis schleudert, andere (auch Schurken) verstehen zu wollen. Wenn jeder Schurke so wäre, würde es nicht klappen. Deshalb spielt Nolan ja auch so großartig mit den möglichen "Entstehungsgeschichten", die der Joker von sich gibt: Der Zuschauer WILL verstehen, warum er das tut, weil nun mal jeder geistig gesunde Mensch eine Motivation hat. Aber es ist nicht zu verstehen, nicht in diesem Film. Es gibt Hinweise, und die widersprechen sich, und am Ende weiß man gar nichts darüber, warum dieser Mensch zu solchen wahnsinnigen Taten bereit ist. Die ganzen Internet-Diskussionen darüber, wie der Joker denn nun "echt" entstanden ist, unterstreichen das bloß noch.
Gibt es rein pädagogische Kinderbücher, die berühmter sind als Vertreter der schwarzen Pädagogik?
Kommt drauf an, wen du fragst ... in der Generation unserer Eltern? Hm. Ich denke, da sind die Grimms schon noch so das Dominante, danach folgen "schwarze" Klassiker wie der Struwwelpeter, aber direkt daneben auch Pipi Langstrumpf und das Sams. Das sieht in der aktuellen Elterngeneration (also unserer ^^) aber schon wieder ganz anders aus. Da finden dann auch mal hochmoderne Sachen wie die Wilden Kerle -- die ja selbst schon auf ein "modernes" Werk anspielen -- oder Neil Gaiman den Weg in den Mainstream. Und allgemein würde ich sagen, dass die Berühmtheit weniger eine Rolle spielt als noch vor 50 Jahren.
Wobei "rein pädagogisch" natürlich so eine Kategorie ist ... :D
caesa_andy
29.08.2012, 08:33
Sowohl der Joker als auch kefka passen nicht in ein "Gut oder Böse" Schema. Einfach deshalb, weil sie beide PSYCHOPATHEN sind.
Ich frage mich grade, ob es angebracht ist, einen Menschen als notorischen Bösewicht an den Pranger zu stellen, weil er an einer psychischen Störung leidet. Natürlich wirken beide nach Außen hin wie das absolute Böse. Die Wahrheit ist aber, das sie beide - einfach aufgrund ihrer besonderen, mentalen Situation - weder Empathie besitzen, noch ein Gewissen. Es ist wissenschaftlich belegt, das Psychopathie durch Fehlfunktionen in der Großhirnrinde, der Amygdala und dem Hippocampus verursacht wird. Ein Psychopath kennt kein "Schuldbewustsein". Er hat es einfach nicht, weil dieser teil seines Gehirns nicht richtig funktioniert.
Das ist in diesem Fall auch kein "Ist mir alles scheiß egal"-Verhalten, dass ist schlicht eine - durchaus behandelbare - Krankheit, vollkommen ungeachtet dessen, was Alfred in TDKR über den Joker sagt. Die verhaltensmuster des Jokes sind mehr als eindeutig, um ihn als Psychopathen zu erkennen.
Der Klassische "Bösewicht" definiert sich einfach nur deshalb als "Böse" weil er irgendwas haben will, und dabei über leichen geht. Sie sind aber nicht vollkommen irre und unberechenbar. ... Macht, Geld ... was weiß ich. Manche werden auch von Hass oder der Gier nach rache angetrieben. Sauron, Ganon, Tantalus aus SoM, Megatron, Palpatine, dieser general aus Avatar ... DAS sind so Leute, die in dieses Muster fallen. Personen wie der Joker - oder auch Kefka - sind demgegenüber in höchstem Maße tragisch. Sogar noch weitaus tragischer als jeder "Papa hat mir als Kind immer den Popo vollgehehauen, deshalb will ich die Welt zerstören!"-Schurke. Denn diese Menschen SIND NICHT ABSICHTLICH böse, sie können einenfach nicht anders sein, als sie sind, weil ihr Verstand anders funktioniert als der anderer menschen.
La Cipolla
29.08.2012, 08:55
Die verhaltensmuster des Jokes sind mehr als eindeutig, um ihn als Psychopathen zu erkennen.
Na ja, wir reden erstmal von einer Comicverfilmung und von einem japanischen Videospiel. Da GIBT es einfach mal -- als FAKT! -- böse Charaktere. In der echten Welt sind "gut" und "böse" bloß moralische Konstrukte, also pure Ansichtssache, aber in schwarz-weiß-gefärbten, "pulpigen" Medien sieht das komplett anders aus. Da sollte man nicht mit psychologischen Verhaltensmustern herangehen, denn diese Medien WOLLEN gar nicht völlig glaubwürdig sein (Hölle, ein Mann in einem Fledermauskostüm! :D).
Randnotiz: Du hast aber recht, Nolans Batman tut gern mal so, als wäre er ernst zu nehmen ... Point taken. ^^'
Ob man es gut findet, dass die "Symptome" von realer Psychopathie für pulpige (unernste) Schurken wie den Joker oder Kefka verwendet werden, ist definitiv eine interessante Frage. Der Punkt ist: Sie eignen sich großartig, weil sie fremdartig und potentiell gefährlich sein können, und mehr braucht es dafür ja nicht. ^^ Tragische Schurken sind ja an sich auch nichts Seltenes oder Schlechtes. Tatsächlich werden sie aber, wie du schon impliziert hast, nicht als tragisch dargestellt, sondern eher als "rein böse" oder lustig, oder beides. Und das ist dann tatsächlich etwas fragwürdig, weil es eine Krankheit ins Lächerliche zieht. Früher hat man ja auch gern mal Behinderte als böse und gemein dargestellt, was inzwischen auch verpönt ist (sowohl in ernsthaften als auch in pulpigen Medien). Wir reden also von politischer Korrektheit, denn ich sage jetzt mal, niemand zweifelt daran, dass behinderte oder kranke Menschen moralisch Schlechtes tun können.
Diese Herangehensweise hat aber einen irgendwie lustigen Nebeneffekt: Es entfernt die letzte realistische Variante eines "von Natur aus empathielosen, 'bösen' Menschen" -- und sei es nur durch die Krankheit! -- aus der glaubwürdigen Fiktion. Die Realität muss in Zukunft also ohne wirklich "böse" Schurken auskommen, sondern sich ausschließlich auf ihr subjektives (bei uns christliches) Moralbild berufen, um die Antagonisten unsympathisch zu machen. Dem Pulp dagegen bleibt dieses "inhärent Böse" natürlich erhalten. Der kann weiterhin sagen "Engel sind nun mal gut!" und "Orks sind nunmal böse und brutal!". Nur bei "Der ist nun mal verrückt und deshalb böse!" sollte er sich vielleicht etwas zurückhalten, aus politischer Korrektheit, da gebe ich dir recht.
Zumal ich Schurken, die "einfach bloß verrückt" sind, auch für ziemlich abgedroschen halte. ;)
Mordechaj
29.08.2012, 09:46
Ich möchte mich einmal kurz an der Märchen-Sache aufhängen und hoffentlich deutlich machen, wieso diese Diskussion sogar ziemlich wichtig für das Thema ist, dann übergehen zu Gründen und Konsequenzen, soweit ich sie wahrnehme.
Die Einteilung der Welt der Gesinnung in die Extreme Gut und Böse folgert aus der Überzeichnung vor allem der europäischen Kulturbilder durch die monotheistischen Religionen. Hier fand das erste Mal effektive Kulturmanipulation statt, die es erforderte, Dinge gut und andere schlecht/böse zu zeihen. Dadurch kam es auch zu der starken Dichotomisierung des eigenen (Guten, Moralischen) und des anderen (Bösen, Unmoralischen) -- was vorher der Unterschied zwischen beispielsweise hellenischem Bürger und den Barbaren ausmachte (die einen waren Menschen, die anderen wilde Halbwesen), machte nun der Kulturkampf: Georg gegen den Drachen, das Christentum gegen die Heiden, die Rechtschaffenen gegen den Teufel etc.
In Bezug auf das europäische Märchen muss das deutlich machen, dass viele davon das Kondensat einer Zeit und einer Gesellschaftsgruppe sind, wo diese Manipulation nicht oder nur unzureichend Wirkung hatte. Viele wurden mit der Zeit christlich überzeichnet, einiges veränderten die Grimms den Umständen der Zeit entsprechend auch selbst nachträglich. Es handelt sich aber bei beispielsweise den deutschen Volksmärchen deshalb um eine so brisante und eigentümliche Sammlung, weil hier hinter der kollektiven Autorschaft in vielen Fällen vermutlich vor allem Frauen sitzen. Frauen nahmen sehr lange noch ins Mittelalter hinein -- fast eigentlich bis zur Verstädterung -- wenig am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teil, weshalb sich "am Herd" die überall sonst ausgemerzten heidnischen Geschichten (und Bräuche) weitertradieren konnten. (In dieser Stellung liegt meiner Meinung auch sehr stark die misogyne Haltung der mittelalterlichen Kirche und letztendlich auch die Hexenverfolgung begründet: Der Frau konnte man aufgrund der Gesellschaftsstrukturen viel schwerer Herr werden.)
That said, es gab diese Dichotomisierung auf philosophischer Ebene zuvor nur in Ausmaßen, die wahrnehmungsbedingt sind. Die meisten antiken Hochkulturen sahen in der Welt ein Zusammenspiel aus Gegensätzen, das heißt, nichts war grundsätzlich gut oder böse, sondern prinzipiell erst ein Prinzip mit einem Gegenprinzip (Moral war noch kein Prinzip, höchstens standes- und geschlechtsgemäßes Verhalten).
Die Ablehnung das Gut-Böse-Schemas halte ich, um ehrlich zu sein, für ziemlich natürlich. Die "andere Seite" ist ja gerade das spannende, ihre Erlebbarkeit dadurch begründet, dass das entweder-oder-Schema in der realen Welt nicht existent ist. Die Dichotomisierung macht die Dinge meist einfach und greift Erzählweisen auf, die nur allzu generisch und altbekannt sind. Und damit meine ich beispielsweise nicht Märchen, die ihren Reiz meiner Meinung nach in ganz anderen Faktoren finden, sondern eben die generischen Geschichten, die uns seit Jahrzehnten und noch über das heute hinaus umgeben: Lassen wir das nur mal Harry Potter sein oder Matrix oder eine beliebige Fantasy-Welt in Büchern, Filmen, Spielen und in jedem Vorstellungsraum, der uns irgendein Abenteuer vermitteln will: Das Abenteuergenre ist immerhin genauso überzeichnet wie der europäische Kulturraum -- Georg gegen den Drachen.
Es ist ein simples Schema, das sehr schnell auch mal langweilig werden kann; deshalb hält es sich im Übrigen, so meine ich, vor allem nur noch im interaktiven Bereich wirklich hartnäckig, hier steht die Erfahrung der Geschichte hinter anderen Dopamin-Streuern zurück.
Andererseits -- und das halte ich nicht nur für die Konsequenz aus der kulturellen Überzeichnung, sondern auch für ein dem Menschen inhärentes und wichtiges Bedürfnis -- ist das Gut-Böse-Schema wunderbar dazu geeignet, dem Rezipienten die Möglichkeit zu Auslöschungsgedanken zu geben, die in der realen Welt unablässig unterdrückt werden müssen. Gut-Böse-Geschichten haben dann quasi kathartischen Charakter, man kann "mit den eigenen Dämonen kämpfen" (ob nun Selbsthass oder Welthass, unterdrückte Wut oder auch nur ein aufbrausendes Gemüt kuriert werden, ist dabei wohl sogar gleichgültig). Irgendwer (d.i. das Böse) bekommt heftig auf die Fresse und am Ende siegt das Gute über das Böse -- das ist nicht nur ein sehr beruhigender und anschaulicher Gedanke, sondern steht in der Tradition von ordo-Erzählungen (die Geschichte beginnt mit einem Bruch der vorherrschenden Ordnung oder leitet in eine gebrochene Ordnung ein und zum Ende der Geschichte wird die Ordnung wiederhergestellt -- oder in ganz seltenen Fällen von einer neuen ersetzt). Im abendländischen Denken heißt ordo eben: Es gibt das, was man darf, und das, was man nicht darf, es gibt die Guten (meist wir) und es gibt die Bösen (meist die anderen; austauschbare Feindbilder), wir sind rechtmäßig, die anderen nicht, wir gewinnen, die anderen nicht.
Es steckt in beiden Denkweisen ein unheimlich geniales Erzählpotential und beide haben ihre Gebiete, in denen sie absolut brillant wirken können. Die simple Logik von Gut-und-Böse ist meistens viel komplexer, als man denkt; gerade die "echten" und teilweise völlig unmotivierten Schurken und Fiesgegner zeigen das sehr schön, denn diese bieten dadurch, dass ihre Handlungsmotivation sehr unbearbeitet bleibt oder gar ausgespart wird (es wird dem Rezipienten also nicht bzw. nicht vollständig klar, warum der Böse Böses tut, sondern nur, dass er Böse ist und Böses tut), eine maximale Projektionsfläche für die Katharsis.
Man muss aber eben auch im Hinterkopf behalten, dass das Gut-Böse-Schema nicht nur deshalb Ablehnung erfährt, weil es als simpel wahrgenommen wird, sondern auch deshalb, weil man damit tagtäglich konfrontiert wird: Es hat in den meisten Fällen wenig Eigencharme und es ist sehr schwer, sich nicht einfach in eine Reihe von Gut-Böse-Erzählungen einzuordnen. Darüber hinaus stellt die Abwendung von diesem Schema in unserem modernen Kulturkreis den Prozess des Erwachsenwerdens und der Wahrheitsfindung dar: Bei mir beispielsweise hat sich sehr fest der Moment ins Hirn gebrannt, wo ich lernte, dass der Wolf fressen muss und nur Fleisch fressen kann und deshalb gar keine andere Wahl hat, als die Geißlein verschlingen zu wollen. Solche Erlebnisse sind offenbar häufiger, sie markieren den Übergang vom unreflektierten Kindesdenken (das freilich nur scheinbar unreflektiert ist, sie werden nur in unserer Erziehungswelt viel mit "Einfachheit" beworfen, weil man meint, mehr könnten sie nicht verstehen) hin zum hinterfragenden Selbst, das den meisten Manipulationen standhält. Und da ist nämlich die Krux: Das Gut-Böse-Schema nimmt unheimlich schnell manipulative Züge an. Man braucht nur mal aufmerksam durch einige Gut-Böse-Geschichten zu lesen oder zu schauen oder zu spielen, um zu sehen, wie unheimlich künstlich die Guten gut und die Bösen böse gemacht werden. Beispielsweise haben viele moderne Heldengeschichten so eine wunderbare Definition von Töten aus Notwehr: Der Held darf metzeln, wie es ihm recht ist, die anderen sind ja die Bösen und die haben eh schon mindestens ganze Völkerstämme auf dem Gewissen und sollten gerichtet werden. Das James-Bond-Phänomen. Oder es muss irgendein Tribut für die Geschichte sterben (es gibt also beispielsweise eine Nebenfigur, die nur für ihren eigenen Tod konzipiert ist, der entweder den Fortgang der Geschichte markiert oder eine Schlüsselszene ermöglicht) und der Held setzt alles daran, den Tribut zu retten, aber die inhärente Logik der Geschichte verlangt nunmal den Tod, also scheitert die Rettung und der gute Held macht sich alle möglichen Vorwürfe und ist furchtbar betrübt, weshalb man ihm seine Unfähigkeit schon gar nicht mehr übel nehmen kann und überhaupt nicht merkt, wie perfide da ein fiktives Menschenleben just for the lolz geopfert wurde.
Dieser Art von Manipulation widersetzt sich der Rezipient in der Regel, sobald er sich ihrer gewahr wird. Wir (die Community) bewegen uns in Kreisen, wo diese Gewahrwerdung praktisch unausweichlich ist, genauso wie die Wahrnehmung dieser riesigen Menge an Gut-Böse-Geschichten: Klar, gerade im Gaming-Bereich wird diese Schablone noch sehr häufig benutzt, teilweise so schlecht, dass auch dem letzten die manipulativen Mechanismen auffallen. Und das ist natürlich ein ziemlich negatives Erlebnis, die wenigsten wollen die Stahlgerüste sehen, die die Geschichte mühsam oben halten, sondern die prachtvoll gestaltete Fassade bewundern. Das Phänomen Innovation.
caesa_andy
29.08.2012, 10:25
Na ja, wir reden erstmal von einer Comicverfilmung und von einem japanischen Videospiel. Da GIBT es einfach mal -- als FAKT! -- böse Charaktere. In der echten Welt sind "gut" und "böse" bloß moralische Konstrukte, also pure Ansichtssache, aber in schwarz-weiß-gefärbten, "pulpigen" Medien sieht das komplett anders aus.
Da sollte man nicht mit psychologischen Verhaltensmustern herangehen, denn diese Medien WOLLEN gar nicht völlig glaubwürdig sein (Hölle, ein Mann in einem Fledermauskostüm! :D).
Randnotiz: Du hast aber recht, Nolans Batman tut gern mal so, als wäre er ernst zu nehmen ... Point taken. ^^'
Da hörst du von mir keinen Wiederspruch. In mir sträubt sich nur alles dagegen, ausgerechnet den Joker oder Kefka als Paradebeispiel des "gut gemacht, reinen Bösen" zu akzeptieren. Wäre hier Palpatine genannt worden, oder Megatron hätte ich das akzeptiert. Beide wollen einfach nur Macht, wollen herschen und dem Universum ihren Stempel aufdrücken. WARUM sie das tun, wird nie genau erleutert. Beide sind einfach ... böse, weil sie böse sind.
Aber Kefka und der Joker sind nunmal "Böse", weil sie offensichtlich Krank sind - und das sehe ich keineswegs als Paradebild des profillosen Schurken. Beide Charaktere haben durchaus einen ernsten tragischen Hintergrund. Nur wird einem dieser halt nicht mit "Pipi in den Augen" eingebläut, sondern man muss zwischen den zeilen lesen (und etwas allgemeinbildung haben :D) um zu erkennen, das bei beiden Charakteren eine psychische Störung vorliegt.
Ob man es gut findet, dass die "Symptome" von realer Psychopathie für pulpige (unernste) Schurken wie den Joker oder Kefka verwendet werden, ist definitiv eine interessante Frage. Der Punkt ist: Sie eignen sich großartig, weil sie fremdartig und potentiell gefährlich sein können, und mehr braucht es dafür ja nicht. ^^
Ich würde die neueren teilen von FF und auch Nolans Batman tatsächlich nicht unbedingt dem Pulp-Genre zuordnen. Tatsächlich hält sich das "Ich bin so furchbar Böse und gemein, weil es Geil ist" syndrom zumindest seit FF6 doch ziemlich grenzen. Außer Adell und fällt mir jetzt kein "Primär-Antagonist" ein, der einfach nur "Herrschen" wollte. Sephiroth glaubte, er würde den planeten vor den Shinra schützen, Kuja konnte seine eigene Sterblichkeit nicht akzeptieren. Sin war - angesichts seiner potentuiellen Möglichkeiten - sogar ein ziemlich zurückhaltender Bösewicht. Vayne wollte die Welt aus der hand irgendwelcher Götter befreien, damit die Menschen sich selbst regieren konnten.
Tragische Schurken sind ja an sich auch nichts Seltenes oder Schlechtes. Tatsächlich werden sie aber, wie du schon impliziert hast, nicht als tragisch dargestellt, sondern eher als "rein böse" oder lustig, oder beides. Und das ist dann tatsächlich etwas fragwürdig, weil es eine Krankheit ins Lächerliche zieht. Früher hat man ja auch gern mal Behinderte als böse und gemein dargestellt, was inzwischen auch verpönt ist (sowohl in ernsthaften als auch in pulpigen Medien). Wir reden also von politischer Korrektheit, denn ich sage jetzt mal, niemand zweifelt daran, dass behinderte oder kranke Menschen moralisch Schlechtes tun können.
Im Film ist das Sicher vor allem der Spielzeit geschuldet. Bei 90 - 120 Minuten Spieldauer hat man einfach nicht immer die Zeit, den Antagonisten so vielschichtig darzustellen, wie er sein könnte. Und grade beim Joker sehe ich da auch durchaus Absicht hinter. Nolan wollte batman einfach mit einem Schurken konfrontieren, den Batman nicht verstehen konnte. Etwas, dem man mit Moral nicht beikommt, weil es kein berechenbares verhaltensmuster gibt.
Diese Herangehensweise hat aber einen irgendwie lustigen Nebeneffekt: Es entfernt die letzte realistische Variante eines "von Natur aus empathielosen, 'bösen' Menschen" -- und sei es nur durch die Krankheit! -- aus der glaubwürdigen Fiktion.
Das ist nicht richtig, nein. Du missinterpretierst den Gedanken hier vollkommen. Ein Psychopath ist aufgrund seiner Krankheit absolut unberechenbar. Das machte den Joker ja grade aus. Der Typische Bösewicht ist im Gegensatz dazu aber in im höchsten maße berechenbar. Man denke da nur an die Szene, in welcher sich Luke selber Darth Vader ausliefert, weil er dessen Denkweise verstehen konnte. Welcher trottel käme aber auf die Idee, sich freiwillig jemandem wie dem Joker auszuliefern? Ein psychopatischer Charaktertypus wie der Joker ist absolut ungeeignet, eine "böse Rolle", wie die von Ernest Stavro Blofeld zu spielen. Wenn man einfach nur einen "Bösen" Charakter haben will, dann ist ein Psychopat eine ganz, ganz schlechte Wahl.
Die Realität muss in Zukunft also ohne wirklich "böse" Schurken auskommen, sondern sich ausschließlich auf ihr subjektives (bei uns christliches) Moralbild berufen, um die Antagonisten unsympathisch zu machen.
Wie gesagt ... das problem sehe ich durchaus nicht so. Es gab immer schon Schurken, deren Motive letztlich einfach verheimlicht wurden. Auch ein liebender familienvater kann ein grausamer Bösewicht sein, wenn das medium ihn ausschließlich in seiner rolle als skrupellosen Wirtschaftsboss zeigt, und den anderen Aspekt seiner persönlichkeit einfach verschweigt. Es zwingt den Autoren ja niemand dazu, alle Aspekte eines Charakters zu beleuchten, wenn er das selber nicht will.
Nimm diesen Computerprogramierer aus JurrassicPark. Der typ war ein Arschloch, ein Geldgeiler Mistkerl und unsympatisch ohne Ende. Aber was zeigt der Film über das Privatleben dieses Mannes? Gar nichts. Der Zuschauer sieht nur den "ist zustand". Wie es dazu kam, spielt für die handlung keine Rolle und bleibt deshalb ungesagt. Auf den Zuschauer wirkt er deshalb einfach "böse", obwohl er es möglicherweise gar nicht ist.
Luthandorius2
29.08.2012, 11:04
Das klassische Gut vs. Böse find ich langweilig, wenn sonst nichts geboten wird. Klassisch hier im Sinne von: Irgendeiner oder irgendwas ist einfach böse, ohne Hintergründe, einfach so. Und gegen das wird gekämpft. Ende. Das ist langweilig. Hatte man ja eigentlich auch in Herr der Ringe z. B. was ein wahrliches Meisterwerk war(ohne jetzt die näheren Hintergründe der Entstehung der Welt usw. zu kennen - für mich war Sauron einfach nur "der Böse"), aber da wurde halt gut dargestellt, wie die Menschen ums Überleben kämpften usw. Epische Schlachten. Das kann man schon gut machen. Ist halt etwas schwieriger.
Wer eine gute Handlung hat und Charaktere mit guten Hintergründen, die erst mal "einfach nur böse" scheinen, aber von irgendwas getrieben wurden, der hat es leichter bzw. eigentlich auch schwieriger. Da ja die Charaktere dann mehr Ausarbeitung erfordern. Aber da kann man sich dann auf diese Charaktere konzentrieren. Hat man einfach nur "böse" ohne Hintergrund muss man komplett die Atmosphäre und auch die Nebencharaktere ausbauen, weil wenn dann tatsächlich nur ein Held gegen das böse kämpft ist es langweilig. Da müssen dann schon zerstörte Dörfer kommen, mit Nebenquests, mit Nebenchars die Hintergründe haben, Familie haben, die gestorben ist, usw. - statt einfach nur von einem Ork zum nächsten Ork bis man am Ende den Oberork killt und fertig. (Und Orks habe ich übrigens auch lieber wenn sie nicht einfach nur böse sind - die sind auch Lebewesen und kämpfen zum Überleben - wirklich böse sind Dämonen usw... die sind entweder einfach so da, oder werden von Menschen die aus irgendwelchen Bewegründen sich dazu entscheiden, missbraucht und geraten dann aber ausser Kontrolle).
Ich stimme dir absolut zu, Luthandorius. Es kommt arg oft vor, dass ein zu besiegender böser Weltenherrscher oder -Zerstörer zwar aus der Erzählung heraus böse ist, aber effektiv niemand auf dieser Welt von seinen Taten betroffen ist und sich somit die Frage stellt, wieso sich die Party überhaupt auf den langen Marsch begibt, um das "Böse" zu besiegen und die Welt zu retten.
Der König erzählt davon, dass all seine Soldaten nicht gegen den Schurken abstinken konnten und nur der Außerwählte zur Rettung beitragen kann - lassen wir den inhaltlichen Bullshit beiseite: Ich habe noch nie tote Soldaten oder Gräber gesehen, die aus einer Schlacht mit dem fiesen Schurkenlord resultierten. Wo sind die zerstörten Dörfer? Wo die Nachwirkungen einer geballten Schlacht? Oft wird viel erzählt (manchmal nicht einmal das) aber nichts gezeigt - das spornt mich als Spieler nicht wirklich an. Böse ist, wer Böses tut. Wer einfach nur herumsteht und androht Böse zu sein oder nur der weissagende Alte sagt, dass er total doll böse ist, ist es nicht.
[MG]
@Mordechaj:
Das, was du zu Volksmärchen schreibst, liest sich alles sehr plausibel. Aber auf Kunstmärchen lässt sich das nicht übertragen, oder? Sicher stehen auch die in einem historischen Kontext, doch greifen sie weniger volksspezifische Moral auf, als die ihren Autoren eigene. Insofern finde ich Gut und Böse interessant: Als Abbildung der spezifischen Moral eines Autors. Etwas, das sich aus einer Volksmoral entwickelt hat, jedoch nicht mit ihr identisch ist oder aber ziemlich fundiert.
Dank dir insgesamt für deine Ausführungen.
real Troll
29.08.2012, 16:00
Im abendländischen Denken heißt ordo eben: Es gibt das, was man darf, und das, was man nicht darf, es gibt die Guten (meist wir) und es gibt die Bösen (meist die anderen; austauschbare Feindbilder), wir sind rechtmäßig, die anderen nicht, wir gewinnen, die anderen nicht.
Ich versuche den Gedankengang mal derart zu simplifizieren, bis er einen Griff hat, an dem man ihn auf das Niveau spielerelevanter Überlegungen herunterziehen kann. (Nichts gegen deinen Exkurs, ich habe ihn mit Vergnügen gelesen, auch wenn der Monotheismus - streng genommen - auch das Böse für Gott vereinnahmt.)
Ordo mildert ab, indem er begreiflich macht oder zumindest Interpretationsanknüpfungspunkte für vertraute Sinnsysteme schafft. Das Böse wird durch Rechtfertigung dem eigenen Weltbild angeeignet. In gewisser Weise nimmt man einen gedanklichen Exorzismus des Fremdartigen aus der Welt vor. Die Spielmechanik tickt ähnlich. Der Held entfernt den Schurken samt Schergen, indem er sich per Erfahrungspunkten vertraut macht. Auf Stufe 1 unterläge er dem Endboss hoffnungslos, der spielmechanische Aneignungsprozess lässt ihn wachsen und schließlich gewachsen sein. Liest man die Funktionsweise eines Rollenspiels auf diese Weise sinnbildlich, passt ein Böser mit einem Motiv sehr gut ins spielerische System eines der eigenen Ohnmacht vorbeugenden Logos. Das lässt sich ebenso ins Erzählerische übertragen. Einziger Nachteil in meinen Augen: Der Verzicht auf ein pures Böses triebe Mystik und Exotik aus dem Spiel, wenn nicht anderweitig vorgebeugt würde.
Mordechaj
29.08.2012, 16:39
@Mordechaj:
Das, was du zu Volksmärchen schreibst, liest sich alles sehr plausibel. Aber auf Kunstmärchen lässt sich das nicht übertragen, oder? Sicher stehen auch die in einem historischen Kontext, doch greifen sie weniger volksspezifische Moral auf, als die ihren Autoren eigene.
Ich denke, da triffst du so ziemlich genau den Punkt: Kunstmärchen sind mit einem empirischen Autor ausgestattet; das ist meiner Meinung nach auch die einzig stichhaltige Unterscheidung zum Volksmärchen. Dass weniger volksspezifische Wertevorstellungen (sagen wir es lieber so, moralisch erbaulich sind Märchen zumindest für mein bescheidenes Empfinden nur sehr selten; wenn sie nicht gerade christlichen Einflussnahmen entspringen) in Kunstmärchen zu finden sind, würde ich allerdings fast verneinen. Das trifft mit absoluter Sicherheit für eine Vielzahl von Kunstmärchen zu, ohne Zweifel, nur gibt es tatsächlich einige Beispiele, wo der geneigte und uninformierte Leser niemals zu einem Urteil kommen könnte. Der gestiefelte Kater beispielsweise gehört meiner Erfahrung nach dazu. Es gibt wenig echte Unterscheidungsmerkmale.
Dazu kommt, dass die Volksmärchen, die uns überliefert sind, heutzutage ja zu sehr großen Teilen die der Grimms sind; und von denen sind eben nur Einzelversionen überliefert oder Fragmenterzählungen zusammengeflickt -- im engsten Sinne würde man hier ebenfalls von Kunstmärchen sprechen können. Diese "erstarrten" Märchen unterscheiden sich von den Kunstmärchen nur noch durch ihre kollektive Urheberschaft, die Erzähltraditionen sind beinahe konkruent, nur ist es einem Autor viel einfacher möglich, seine Intention zu festigen, während der Volksmund durch seine zahlreichen Variationen des "Originals" dankenswerter Weise jede Klarheit erstmal ausgemerzt hat.
Ich finde es schwierig, vom Werk auf den Autor schließen zu wollen. Bin allerdings auch sehr tief in der These vom Tod des Autors drin, und die ist definitiv alles andere als unanfechtbar. Gerade in einfachen Erzählungen und bewusst nachempfundenen Volksmundtraditionen ist es schwierig, die Wertevorstellungen des Autors herauszulesen, schon der soziale Kontext wird schwierig, dort wo mühelos getäuscht wird. Außerdem sind Gut-Böse-Geschichten gern (ob nun bewusst oder unbewusst) auf große Projektionsflächen ausgelegt, weshalb die Motive oftmals sehr simpel gehalten sind: Hier ist der Rezipient angehalten, ganz im Sinne der Katharsis seinen eigenen Konflikt reinzulegen. Deshalb sind die meisten Gut-Böse-Geschichten, meiner Einschätzung nach, überhaupt nicht mit Moral, sogar sehr selten mit Wertekomplexität, ausgestattet; man liest eben hinein, was einem so rumsteht -- bewusst oder unbewusst oder gar beides.
Anders verhält sich das natürlich im Fall von "Gut und Böse mit Feindbild", da werden sowohl Moral als auch Wertevorstellungen forciert und stark abgegrenzt.
Das wohlgemerkt alles im europäischen Kontext. Märchen und allgemein Literatur anderer Völker sehen völlig anders aus.
( [...] auch wenn der Monotheismus - streng genommen - auch das Böse für Gott vereinnahmt.)
Das halte ich für einen sehr spannenden Gedanken -- könntest du ihn ausführen? Ich meine in etwa zu wissen, in welche Richtung er strebt, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Es wäre spannend zu ergründen, ob diese Vereinnahmung von außerhalb oder von innerhalb so wahrgenommen wird.
Ordo mildert ab, indem er begreiflich macht oder zumindest Interpretationsanknüpfungspunkte für vertraute Sinnsysteme schafft. Das Böse wird durch Rechtfertigung dem eigenen Weltbild angeeignet. In gewisser Weise nimmt man einen gedanklichen Exorzismus des Fremdartigen aus der Welt vor. Die Spielmechanik tickt ähnlich. Der Held entfernt den Schurken samt Schergen, indem er sich per Erfahrungspunkten vertraut macht. Auf Stufe 1 unterläge er dem Endboss hoffnungslos, der spielmechanische Aneignungsprozess lässt ihn wachsen und schließlich gewachsen sein. Liest man die Funktionsweise eines Rollenspiels auf diese Weise sinnbildlich, passt ein Böser mit einem Motiv sehr gut ins spielerische System eines der eigenen Ohnmacht vorbeugenden Logos. Das lässt sich ebenso ins Erzählerische übertragen. Einziger Nachteil in meinen Augen: Der Verzicht auf ein pures Böses triebe Mystik und Exotik aus dem Spiel, wenn nicht anderweitig vorgebeugt würde.
Ich würde ordo um ehrlich zu sein eher teleologisch sehen. Es handelt sich um einen zugrundeliegenden Ruhezustand, wie er etwa in idealistischen und utopistischen Vorstellungsräumen quasi die Hauptrolle spielt. Ordo ist quasi alles Rechtmäßige und in seiner Funktionsweise klar geordnete.
Ordo liegt dem Rezipienten bzw. Spieler eigentlich immer vor Augen: Held mit Prinzessin = ordo ; Held ohne Prinzessin = defizitärer Zustand, den es zu beheben gilt. Telos muss die Wiederherstellung der Ordnung sein -- so werden die meisten herkömmlichen Spiele übrigens zu "Lustspielen" im literarischen Sinne, sie brechen kurz die Welt auf, lassen etwas erleben, dann wird der "Riss in der Welt" wieder geschlossen. Denke da jetzt beispielsweise an Super Mario, hier ist der ordo-Bruch konsequenzlos -- aber immer noch ist die Wiederherstellung der Ordnung unabdingbar telos. Dem gegenüber steht die Sorte, die dem Entwicklungsroman ganz gut angleicht (der Bruch der Ordnung führt zur sogenannte Liminalität, also einer Zeit der Grenzerfahrung ohne die herkömmlich geordneten Regeln, in der der Held wichtige Erfahrungen sammelt, etwas über sich selbst erfährt und alte Konflikte bewältigt -- der ordo-Bruch ist hier meist schon weit vor der eigentlichen Erzählung abzusehen). Prince of Persia läuft meiner Meinung nach ein solches Schema ab.
Der entthronte König (Legitimitätsbruch), die geraubte Jungfer (Bruch der sozialen Anbindung), Tote, die aus den Gräber auferstehen (Bruch der natürlichen Trennung der Sphären) -- jedem Helden wie auch jedem Rezipienten und Spieler ist sehr schnell klar, was nicht in Ordnung ist, und vor allem, dass die Ordnung wieder hergestellt werden muss. (Robin Hood zeigt sehr schön, dass auch Interims-Ordnung ihren Reiz hat.) Das Böse ist dann eben immer das, was die Ordnung gefährdet. Für den Spieler gibt es kaum bessere Motivationen und Anreize, als einen fiesigen Störenfried, der dann womöglich auch noch auf alles spuckt was rechtens ist. (Einer der Gründe, warum Bösewichter so überaus häufig als geistesgestört dargestellt werden.)
Die Erfahrungspunkte und den Levelanstieg würde ich dabei um ehrlich zu sein nich als MIttel der Vertrautmachung sehen, denn die geschieht in der Regel im Fortverlauf der Handlung; diese beiden Größen unterstützen diesen Fortverlauf zwar erheblich, sind letzten Endes aber nur Steigerungsressourcen, die die Überwältigung des Störenfrieds ermöglichen. Darüber hinaus stellen sie das charakterliche Wachstum des Helden dar (Liminalität geht immer mit Zugewinn an Fähigkeiten, Erfahrung und Wissen einher) -- in vielen Fällen wird dieser Zuwachs ja erst durch den ordo-Bruch, es wurde Magie freigesetzt oder es existierte eine Prophezeihung, die den Helden im Fall der Fälle auserkohr -- zumeist ist der Held ja sogar so eng mit Liminalität und ordo-Bruch verbunden; Harry Potter ist praktisch Konsequenz aus seinem eigenen ordo-Bruch, ähnlich ist das für Superhelden der Fall. Sinnvoller finde ich dann schon das "Gewachsensein", das Fremde/Böse/Störende bleibt zwar fremd/böse/störend, wird aber eben überwältigbar.
Sorry, dass ich jetzt zurück-aufgebauscht habe, so viel ist aber für mein Empfinden sehr wichtig: Der Spieler wie auch jeder andere Rezipient muss sich mit ordo genauso zurechtfinden, wie mit der Tatsache, dass er da nur ein paar Tasten drückt und das, was er sieht, nicht wirklich geschieht. Sie macht nur bedingt begreiflich, in erster Instanz ist sie telos des Spielgeschehens -- genauso, wie ein Urzustand (Naturzustand, Urchristentum, Urkommunismus) telos jeder Utopie ist. Und das ist es dann eigentlich, das uns quasi archetypisch mit ordo vertraut macht: Sie gehorcht ähnlichen Regeln wie die Ordnung, die wir uns idealisieren, weil wir uns im ständigen Zustand der Unordnung befinden und gegen ihn ankämpfen. Im Spiel und in der Erzählung erfolgt die Katharsis (oder, wie du es treffend ausdrückst, der Exorzismus). Das ordo-System ist deshalb so erfolgreich und deshalb so zugänglich, weil wir uns damit den eigenen Bruch in der Ordnung vor Augen halten und in eine Welt eintauchen, in der es möglich ist, der Absurdität unseres Daseins mit Legitimität und Geordnetheit beizukommen.
real Troll
30.08.2012, 08:52
@ Mordechaj
Wäre so ein äußerliches Böses nicht lediglich eine bloße Zustandsbeschreibung? Falls böse sei, was die Ordnung angreift, reduzierte sich die interessante ethische Figur in meinen Augen zu sehr auf ein Synomym für Konflikt. Klar, den braucht es, damit die Geschichte in Schwung kommt, damit es überhaupt eine Geschichte abseits des Einerlei gibt. Aber selbst Seifenopern gehen einen Schritt weiter, indem sie nicht nur eine äußere Beschreibung des Bösewichts und seines Tuns abgeben, sondern auch den Blick umkehren - nun von innen nach außen, mit den Augen des Bösen auf die Welt, weil sie Motive ins Spiel bringen. Das Böse wird individuell, der Held ist mehr als ein Klempner, der nicht etwa nur einen Wasserrohrbruch oder eine andere Art Unfall repariert, der Held stemmt sich gegen Absichten. Die Innensicht wirft immer die Frage nach Schuld auf. Ist der Schurke verrückt oder skrupellos oder ist sein ethisches System schlicht inkompatibel oder macht er aus seiner Warte gar nichts per se Schlechtes oder entzieht er sich am Ende gar modernen Relativierungen, weil er tatsächlich böse ist? Schuld und Persönlichkeit weiten nicht nur die erzählerischen Möglichkeiten. Erzählerisch wie spielmechanisch ist der Bösewicht das Gravitationszentrum (dazu muss ihn die Kamera nicht einmal fortwährend zeigen). Wäre er ein Zustand, lenkten wir keinen Schwertkämpfer, eher verfolgten wir die Abenteuer eines Sozialarchitekten bei seinem Schreibtischkampf gegen die Verhältnisse. Schuld gibt ein einfaches Ziel. Der Böse pflanzt Sinn in den Helden. Auf der Heldenreise macht sich unsere Spielfigur den Bösen erfahrbar.
Ein Schlenker: Ich finde nicht jedes böse Motiv spielerisch befriedigend, vor allem, wenn es zu grau wird. Der böse König beschließt, tausend Menschen umbringen zu lassen. Unser Held stemmt sich dagegen, metzelt die Schergen des Königs dahin, steht endlich im Thronsaal und erfährt, der König habe nur den Großteil seiner Untertanen retten wollen, weil eine fürchterliche Krankheit drohe und nicht gegenügend Arzneien für alle Menschen vorhanden seien. Bevor alle unterversorgt sind, rettet der König lieber die Mehrheit auf Kosten der Wenigen. Bäh, was soll das denn? Schlimmer noch: Weil wir auf unserem Abenteuer an die tausend Schergen getötet haben, haben wir dem König die eklig schwere Aufgabe bereits abgenommen.
Gott ist allmächtig. Gott ist gut. Es gibt das Böse in der Welt. Für christliche Denker ist es nach wie vor eine Herausforderung, alle drei Sätze für sich genommen wahr und im Zusammenhang gelesen widerspruchsfrei sein zu lassen. Auswege, wie "Gott ist gar nicht allmächtig" (Mani, William James) oder "Gott ist schuld", geben den monotheistischen Grundgedanken des einen Schöpfergottes, der ohne Gegenprinzipien in seiner Welt ist, die er gut gemacht hat, auf. Dualismus ist Häresie. Alles kommt aus Gott, er ist die Ursache, also liegt auch die Verantwortung für alles bei ihm.
Die Knobelaufgabe hat viele Lösungen hervorgebracht, unter anderem die sehr elegante, dass im Bösen die Gottesgnade der Freiheit sichtbar wird.
La Cipolla
30.08.2012, 10:22
Ein Schlenker: Ich finde nicht jedes böse Motiv spielerisch befriedigend, vor allem, wenn es zu grau wird. Der böse König beschließt, tausend Menschen umbringen zu lassen. Unser Held stemmt sich dagegen, metzelt die Schergen des Königs dahin, steht endlich im Thronsaal und erfährt, der König habe nur den Großteil seiner Untertanen retten wollen, weil eine fürchterliche Krankheit drohe und nicht gegenügend Arzneien für alle Menschen vorhanden seien. Bevor alle unterversorgt sind, rettet der König lieber die Mehrheit auf Kosten der Wenigen. Bäh, was soll das denn? Schlimmer noch: Weil wir auf unserem Abenteuer an die tausend Schergen getötet haben, haben wir dem König die eklig schwere Aufgabe bereits abgenommen.
Das Problem kenne ich, hatte ich früher gern mal beim P&P-Spielleitern. Gab dann gern mal sehr enttäuschte oder wütende Spieler, so cool die Story auch war. :p Ich glaube, die Essenz ist: Man hat sich angestrengt, man hat investiert, also will man auch etwas erreichen. Ich denke aber, dass das an sich nicht zwangsweise etwas mit gut und böse zu tun hat -- das ist bloß eine Baustelle, an der es sehr schnell relevant werden kann, weil es sozusagen "im Trend" liegt, alles zu relativieren. ^^
@caesa_andy:
Ich würde die neueren teilen von FF und auch Nolans Batman tatsächlich nicht unbedingt dem Pulp-Genre zuordnen.
Ich weiß absolut, was du meinst. Aber ich kann die Sachen trotzdem nicht völlig ernst nehmen, und das ist für mich das treibende Kriterium,.
Wobei FFVI echt noch seeehr quirky war, teilweise. ;) Nach kurzer Überlegung: FFXII nehme ich bisher noch gerade so ernst (bin aber noch am Spielen), die anderen Teile sind mir da auch zu viel gewesen. Was natürlich nichts Schlechtes ist, Teil IX wäre als glaubwürdiges Medium wesentlich schlechter gewesen, Teil VII hätte nicht mal funktioniert. Bei Teil VIII merkt man ein bisschen den seltsamen Effekt, der entsteht, wenn sich die Autoren nicht ganz sicher sind, welches Genre sie machen wollen ... :D
Ich meinte mit "Schurke" auch nicht unbedingt, dass jemand unglaublich böse ist, sondern erst mal nur, dass er die moralisch zweifelhafte Antagonistenrolle einnimmt. Das ist wahrscheinlich eine sehr breite Definition, sollte aber schon mal einiges an Verwirrung auflösen. ^^ Wobei deine Definition (von wegen berechenbar und so) dann wiederum ziemlich spezifisch ist. Man denke an Trickster-Figuren u.ä., die eignen sich auch hervorragend als Schurken, obwohl sie nur selten als böse wahrgenommen werden.
Long story short: Definitionsblaaa. Ist bei dem Thema aber auch echt ein Fallstrick.
Es gab immer schon Schurken, deren Motive letztlich einfach verheimlicht wurden. Auch ein liebender familienvater kann ein grausamer Bösewicht sein, wenn das medium ihn ausschließlich in seiner rolle als skrupellosen Wirtschaftsboss zeigt, und den anderen Aspekt seiner persönlichkeit einfach verschweigt. Es zwingt den Autoren ja niemand dazu, alle Aspekte eines Charakters zu beleuchten, wenn er das selber nicht will.Das spielt für mich überhaupt keine Rolle. Ich bewerte nur, was im Medium ist (dafür reicht es natürlich auch schon, wenn darauf angespielt wird, so subtil es auch sein mag!), alles andere ist Interpretation. Heißt, wenn eine Figur ausschließlich als "böse" dargestellt wird, ist sie für dieses Medium böse, in meinen Augen. Dass das in der Realität nix zu sagen hat, muss man denk ich nicht erwähnen.
caesa_andy
30.08.2012, 10:51
@caesa_andy:
Ich weiß absolut, was du meinst. Aber ich kann die Sachen trotzdem nicht völlig ernst nehmen, und das ist für mich das treibende Kriterium,.
Wobei FFVI echt noch seeehr quirky war, teilweise. ;) Nach kurzer Überlegung: FFXII nehme ich bisher noch gerade so ernst (bin aber noch am Spielen), die anderen Teile sind mir da auch zu viel gewesen. Was natürlich nichts Schlechtes ist, Teil IX wäre als glaubwürdiges Medium wesentlich schlechter gewesen, Teil VII hätte nicht mal funktioniert. Bei Teil VIII merkt man ein bisschen den seltsamen Effekt, der entsteht, wenn sich die Autoren nicht ganz sicher sind, welches Genre sie machen wollen ... :D
Schade, das du ausgerechnet das "Seriöseste" FF von allen ganz gekonnt unterschlägst ;) FF10 ist Storymäßig und von der Symbolkraft her schlicht ein Meisterwerk der Popkultur und alles andere als überzeichnet ;)
Ich meinte mit "Schurke" auch nicht unbedingt, dass jemand unglaublich böse ist, sondern erst mal nur, dass er die moralisch zweifelhafte Antagonistenrolle einnimmt. Das ist wahrscheinlich eine sehr breite Definition, sollte aber schon mal einiges an Verwirrung auflösen. ^^ Wobei deine Definition (von wegen berechenbar und so) dann wiederum ziemlich spezifisch ist. Man denke an Trickster-Figuren u.ä., die eignen sich auch hervorragend als Schurken, obwohl sie nur selten als böse wahrgenommen werden.
Long story short: Definitionsblaaa. Ist bei dem Thema aber auch echt ein Fallstrick.
Das ist mir schon klar, das es verdiedene Sorten von Schurken gibt. Ich blieb in diesem fall - gemäß dem Thema - einfach beim "Klassischen Bösen". Und Charaktere, die einfach als "das große Überböse" ohne graufärbung dargestellt werden, sind normalerweise eben sehr berechenbar, vor allem in der fantasy. Ich meine, wann haben den so Leute wie Blofeld, Palpatine, Sauron oder Ganon denn mal irgendwas getan, was vollkommen "unerwartet" gewesen ist? Und diese Charaktere symbolisieren nunmal das klassische, klischee-böse in Reinform.
Das spielt für mich überhaupt keine Rolle. Ich bewerte nur, was im Medium ist (dafür reicht es natürlich auch schon, wenn darauf angespielt wird, so subtil es auch sein mag!), alles andere ist Interpretation. Heißt, wenn eine Figur ausschließlich als "böse" dargestellt wird, ist sie für dieses Medium böse, in meinen Augen. Dass das in der Realität nix zu sagen hat, muss man denk ich nicht erwähnen.
Ich wollte lediglich darauf raus, das ein "nur böser" Charakter nicht zwingend unglaubwürdig sein muss. So lange man dem Konsumenten einfach nicht offen legt, was hinter der maske liegt, kann der konsument auch nicht wissen, ob der charakter wirklich so zweidimensional ist, wie er ihn sieht. In sofern bleibt beim "bösen" immer ein gewisser Spielraum.
Jerome Denis Andre
30.08.2012, 10:53
Ein Schlenker: Ich finde nicht jedes böse Motiv spielerisch befriedigend, vor allem, wenn es zu grau wird. Der böse König beschließt, tausend Menschen umbringen zu lassen. Unser Held stemmt sich dagegen, metzelt die Schergen des Königs dahin, steht endlich im Thronsaal und erfährt, der König habe nur den Großteil seiner Untertanen retten wollen, weil eine fürchterliche Krankheit drohe und nicht gegenügend Arzneien für alle Menschen vorhanden seien. Bevor alle unterversorgt sind, rettet der König lieber die Mehrheit auf Kosten der Wenigen. Bäh, was soll
Wobei ... wenn das schön inszeniert wird, und einen gar emotional bewegt kann das auch ein "tolles" Ende sein...
Ich könnte mir zum Beispiel gut eine Revolutionsgeschichte vorstellen, bei der sobald das Regime - unter Hilfe des Heldens - gestürzt ist, der Held herausfindet, dass eigentlich auch die vermeintlich Guten eigentlich nur machtgeil waren, und nun ein eventuell sogar schlimmeres Regime errichten als zuvor.
Funktioniert in der Realität ja auch. (NLA / FSA).
La Cipolla
30.08.2012, 11:03
Hm. Ich finde, es kann ein guter TWIST am Ende sein, aber aufhören sollte man dort lieber nicht. Dann fühlt sich wie erwähnt die gesamte Spielzeit etwas verschwendet an. Sage ich aus Erfahrung. Wenn man noch auf die Ergebnisse eingehen kann, ist es aber schon wieder etwas gänzlich anderes.
Es sei denn natürlich, man will echt einen auf total-artsy machen und auf die Motivationen der meisten Spieler scheißen. ;D
Funktioniert in der Realität ja auch. (NLA / FSA).
Das ist aber ein echt schlechtes Argument. ^^'' In einem Rollenspiel hast du die ROLLE des Helden -- das heißt, du darfst es nicht mit einem realen Ereignis vergleichen, das du von irgendwo hörst (das mag durchaus eine schöne Geschichte sein!), sondern mit einer Erfahrung, die du selbst machst. Und glaub mir, das ist für die entsprechenden realen Menschen genau so deprimierend wie für den Spieler. :D Zumindest, wenn es an der Stelle aufhört.
Jerome Denis Andre
30.08.2012, 12:43
Ja naja. Von der Realität abgesehen (die aber halt gut ist, um das ganze "Realistisch" zu machen, bzw. eine auf die Realität anwendbare Botschaft zu vermitteln), funktioniert das ganze doch auch in Romanen recht gut.
Es gibt so viele Romane in denen der Hauptcharakter sich am Ende umbringt, getötet wird, scheitert, oder sonstwas. Und teilweise sind das gefeierte Bücher, die gerade deswegen so toll sind.
EDIT: Gilt freilich auch ab und an für Filme, zumindest solche die in Richtung Drama gehen. "Z" zum Beispiel würde selbst wenn das ganze nicht in echt passiert wäre, ohne den "Magenschlag" ganz am Ende einfach nicht funktionieren ...
Ich denke, dass das (Rollen)Spiel von allen Medien am stärksten auf eine positive Identifikationsfigur angewiesen ist. Man empfindet ja nicht nur nach, sondern man steuert die Figur auch. Romane mit einem tragischen Ende wollen wohl meistens mit dem Scheitern des Helden etwas aussagen, ich weiß nicht ob Spiele, also vor allem Rollenspiele, in denen man sich wegen dem Grinden und Erkunden nie ganz auf die Geschichte konzentriert und der Spielspaß auch nicht nur durch sie entsteht, dafür so geeignet sind. Und Tragik, die nur dazu da ist, damit am Ende alle schön schluchzen, ist nichts besonders Erstrebenswertes. Die wäre dann auf dem Niveau der Telenovellas und Seifenopern.
La Cipolla
30.08.2012, 15:00
Wie gesagt, in einem ROLLENspiel übernimmt man eine oder mehrere ROLLEN. Das ist schon der entscheidende Unterschied zu Büchern, Filmen etc. Das heißt nicht mal, dass ein Spiel nicht tragisch sein darf, aber es darf nicht alles, was der Spieler geschafft hat, Null und nichtig machen.
Letztendlich kann ich mir aber sogar vorstellen, dass das klappt. Dann darf nur keine allzu starke Identifikation mit dem Helden sein, die Story muss weit wichtiger sein als ein individuelles Spielgefühl und wahrscheinlich wäre es sogar vorteilhaft, wenn das Ganze möglichst wenig "Spiel" ist.
Liferipper
30.08.2012, 16:24
Es gibt so viele Romane in denen der Hauptcharakter sich am Ende umbringt, getötet wird, scheitert, oder sonstwas. Und teilweise sind das gefeierte Bücher, die gerade deswegen so toll sind.
Naja, es ist aber ein Unterschied, ob ein Held am Ende "einfach nur" stirbt, oder ob man ein "Übrigens, alles, was passiert ist, war völlig sinnlos" ins Gesicht geklatsch bekommt.
Einfaches Beispiel:
Jungfrau soll bösem Drachen geopfert werden.
Gut: Vater von Jungfrau kämpft gegen Drachen, erschlägt ihn, wird aber schwer verwundet. Er stirbt in dem Wissen, dass er seine Tochter gerettet hat.
Schlecht: Vater von Jungfrau kämpft gegen Drachen, erschlägt ihn, wird aber schwer verwundet. Er stirbt in dem Wissen, dass er seine Tochter gerettet hat. Eine Woche später kommt ein neuer Drache und verspachtelt die Jungfrau doch noch.
caesa_andy
30.08.2012, 16:41
Die Sache ist doch ganz einfach:
Was eine Geschichte vermitteln soll, ist am Ende das gefühl, das der Spieler durch seine Handlungen etwas BEWEGT hat. Das muss aber nicht immer das klassische Happy-End sein. Natürlich darf die Welt, nachdem der Held sie gerettet hat, in trümmern liegen. Aber das wichtige ist, dass der Spieler das Gefühl bekommt, es ist sein Verdienst, das die Welt überhaupt noch existiert.
Wenn den Leuten im Spiel am Ende nichts anderes bleibt, als Tod, Zerstörung, Elend ... und ein winzig kleiner Schimmer Hoffnung, auf eine bessere Zukunft, dann ist das ein tolles, tragisches Ende, finde ich. Aber wenn dieser Schimmer Hoffnung einfach weggewischt wird, und der Spieler da da sitzt und sich fragt "Und wozu nun alles?" Dann ist das Ende Mist.
Mordechaj
03.09.2012, 21:31
Antwort spät nachgelegt, eine Reise nach Strassburg ist jenseits von Gut und Böse!
Wäre so ein äußerliches Böses nicht lediglich eine bloße Zustandsbeschreibung?
Ich würde nicht unbedingt und von vornherein von einer Zuschreibung sprechen. Das Konzept "Böse", das der Mensch hat, ist relativ universell (Jung würde womöglich von einem dunklen Archetypen sprechen); es ist das andere, bedrohliche Etwas. Ethisch böse ist ja auch nur das, das die uns konstruierte Ethik gefährdet -- wie böse ist einer, der ganze Volksstämme zum Sklavendienst unterjocht? Nach unserer modernen Auffassung womöglich ziemlich. Dann wiederum steht unsere Gesellschaft auf der Basis von Gesellschaften, die genau das über Jahrhunderte hinweg getan haben, kollektiv und ohne viele Skrupel.
Was heißt das für diesen Fall hier? Das "Böse" ist ein füllbares Konzept, aber es ist ein beständiges. Egal wo man es jetzt herleitet, sei es aus den Urinstinkten, aus der kulturellen Genese oder aus einer Prägung, die jeder von uns erfahren hat: Das Böse ist als Vorstellungsobjekt irgendwie da und vielseitig mit Konnotationen belegbar. In unserer Gesellschaft ist das beispielsweise das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einst gehörte dazu auch das Verbrechen gegen göttliches Gebot (der Pakt mit dem Teufel hat noch heute so einen Anklang von Urbösem).
Ach ja, das Urböse (oder auch Archetypus des Bösen). Hier steckt meiner bescheidenen Einschätzung nach die Quelle jeder Vorstellung des Bösen, gerade eben weil das Böse in der Regel keine Motivation und Erfahrbarkeit haben kann. In der Instinkt-These würde man hier wohl mit dem Bedrohlichen der Natur argumentieren, mit den natürlichen Feinden der frühen Menschen. Die Kultur-These würde eher vom Eigenen (das Gute) und dem Anderen (das Böse, potentiell Gefährliche) ausgehen, individuell sähe man darin womöglich nicht-hinterfragte Grenzerfahrungen. So oder so führt offengelegte Motivation zu Vertrautheit, Vertrautheit zu Abschwächung und letztendlich zu Verlust des "Böse"-Charakters -- das Böse würde quasi domestiziert. Dabei ist doch aber Auslöschung das Ziel. Die Domestikation ist eher eine Zwangsvorstellung vor allem moderner Gesellschaften, deren Moralkodex Auslöschungsgedanken unterdrücken macht.
Versteh mich dabei nicht falsch, ich persönlich finde wie erwähnt die Erfahrbarmachung des Bösewichts ebenfalls unheimlich spannend. In diesem Moment löst sich allerdings die Gut-Böse-Dichotomie beinahe auf (meiner Meinung nach auch Intention der Perspektivierung bzw. Domestikation). Wir sprechen dann meiner Meinung nach über ein anderes Erzählschema. Beide sind inhärent spannend, was ja auch der Grund ist, warum beide sich noch immer halten und teilweise miteinander spielen. Heutzutage spielt auf beiden Ebenen die ethische Komponente eine große Rolle, was im Gut-Böse-Schema zu erwähnten etwas lächerlichen Situationen führt, wo die Handlungsmotivation händeringend überkleistert werden muss.
Darüber hinaus habe ich mich auch stellenweise etwas unklar ausgedrückt: Es geht nicht ausschließlich um komplett unmotivierte Bösewichte, allerdings kommt es eben, je mehr Perspektive man vom Bösen erhält, zum Domestikationsphänomen. Will man die Dichotomie der Bedrohlichkeit aufrecht erhalten, müssen diese Ausdrücke ausbleiben, oder aber die Andersartigkeit und Gefahr bestätigen: Der Nazi-Offizier, der für Frau und Kinder (Maxime des Verantwortungsbewusstseins) sorgen muss und nur Befehle ausführt, um für sie am Leben zu bleiben (Maxime der Notwehr), ist eine vollkommen andere Figur als der sadistische Schlächter, der völlig ohne Grund (Maxime der Rationalität) und ohne Skrupel (Maxime des Bewusstseins von Grenzen) foltert und tötet. Die Grusel-Faszination beispielsweise des Geisteskranken geht vor allem von dessen Unberechenbarkeit und Unmotiviertheit aus -- es gibt keine abschätzbaren Gründe für sein Handeln, deshalb steht er sehr nah am Urbösen, das uns auch ohne erkennbaren Grund Leid zufügt.
Ein Schlenker: Ich finde nicht jedes böse Motiv spielerisch befriedigend, vor allem, wenn es zu grau wird. Der böse König beschließt, tausend Menschen umbringen zu lassen. Unser Held stemmt sich dagegen, metzelt die Schergen des Königs dahin, steht endlich im Thronsaal und erfährt, der König habe nur den Großteil seiner Untertanen retten wollen, weil eine fürchterliche Krankheit drohe und nicht gegenügend Arzneien für alle Menschen vorhanden seien. Bevor alle unterversorgt sind, rettet der König lieber die Mehrheit auf Kosten der Wenigen. Bäh, was soll das denn? Schlimmer noch: Weil wir auf unserem Abenteuer an die tausend Schergen getötet haben, haben wir dem König die eklig schwere Aufgabe bereits abgenommen.
Genau SO (in etwa) motiviert Wolfgang Holbein seine Geschichten. ^^
Gott ist allmächtig. Gott ist gut. Es gibt das Böse in der Welt. Für christliche Denker ist es nach wie vor eine Herausforderung, alle drei Sätze für sich genommen wahr und im Zusammenhang gelesen widerspruchsfrei sein zu lassen. Auswege, wie "Gott ist gar nicht allmächtig" (Mani, William James) oder "Gott ist schuld", geben den monotheistischen Grundgedanken des einen Schöpfergottes, der ohne Gegenprinzipien in seiner Welt ist, die er gut gemacht hat, auf. Dualismus ist Häresie. Alles kommt aus Gott, er ist die Ursache, also liegt auch die Verantwortung für alles bei ihm.
Die Knobelaufgabe hat viele Lösungen hervorgebracht, unter anderem die sehr elegante, dass im Bösen die Gottesgnade der Freiheit sichtbar wird.
Wobei wir, denke ich, mit diesem Abschnitt der Theodizee schon wieder in einem ganz anderen Bereich sind: Diese Knobelei ergibt sich ja erst aus dem Konzept der Transzendenz/Immanenz; Gott steht außerhalb der Dinge, über den Dingen, mit jedem Ding in Verbindung, in allen Dingen. Er ist niemals inhärent. Dieses Problem wirft aber zugegebenermaßen nur die Missionierungsreligion auf (wenn sie beispielsweise von Emanation ausgeht), weil sie mit ihrem "Mit uns oder gegen uns." relativ unintendiert globales Denken in Gang setzt: Es gibt nicht mehr nur die "Menschen" (die göttlich auserkohrenen) und die anderen, sondern es gibt gute Menschen (zum Beispiel Christen) und schlechte Menschen (zum Beispiel Heiden). Gott ist also plötzlich nicht mehr nur für das "Menschenvolk" (im Bund mit Gott), sondern für alle Menschenvölker da. Er hat auf einmal Einfluss auf Gut und Böse und ist nicht mehr nur höheres Prinzip einer Sphäre des Nahen. Ist G-tt beispielsweise für die frühe jüdische Theologie der Gott des jüdischen Volkes (ethnosoziale Näherelation), ist er bei den Christen der Gott aller Völker (umgreift ethnosoziale Nähe UND Ferne). Das Prinzip des Bösen ist dann nicht mehr im Außerhalb und damit auch im Außerhalb Gottes, sondern im vollen Einflussbereich der Welt, dessen höheres Prinzip Er ist.
Mani greift übrigens auch das der indoeuropäische Kulturphänomen der Binäroppositionen auf; es gibt das "Eine" und das "Andere". Wieder steht das Böse im Außerhalb, im materiell-chthonischen und düsteren "Unten", sein Gegenprinzip des Guten im immateriell-aitherischen "Oben". Er steht damit in der Tradition etwa griechisch-antiker oder buddhistischer Philosophie, nur mit dem kleinen aber sehr entscheidenden Unterschied, dass dem keine Dialektik zugrundeliegt: Der Manichäismus steht klar auf der Seite des guten Lichts, des einen Wahren.
La Cipolla
03.09.2012, 22:21
Genau SO (in etwa) motiviert Wolfgang Holbein seine Geschichten. ^^
Oh mein Gott, das stimmt. :eek:
Jetzt weiß ich auch, warum die ein, zwei Bücher, die ich gelesen habe, kurz nach dem Lesen immer extrem deprimierend schlecht waren, mir mit etwas Abstand dann aber (zumindest in dieser Hinsicht) ganz gut gefallen haben. xD
Liferipper
04.09.2012, 08:55
Beim Stichwort Hohlbein fällt mir noch ein Beispiel für "So nicht!" ein: Die Insel der Sternenbestie, ein Spielbuch auf Enwor.
Es geht darum, als einfacher Bauernbursche mit einigen Kriegern eine Insel zu erkunden (warum hab ich inzwischen vergessen). Es passiert eine Menge, aber am Ende schafft man allein es gerade noch so, mit dem bloßen Leben von der Insel zu entkommen. Und dann stellt man fest, dass sich irgendein böses Monster im eigenen Körper breitgemacht hat. Egal, was man bis dahin getan hat. Die Lösung für das einzige halbwegs gute Ende:
Man muss sich, sobald man die Insel betreten hat, entscheiden, wieder zu verschwinden. Bis dahin hat man rund 20 von 357 Stationen des Buches gesehen -_-'.
real Troll
04.09.2012, 11:13
@ Mordechaj
Wenn man das Böse einem generellen Relativismus anheim stellt, kann das erzählerisch zum Spannungsabbruch führen. Das sehe ich ganz ähnlich, denn das vollständig Erklärte (beim Bösen: vollständig schuldentlastet) wird schnell reizlos und gewöhnlich. Belässt man im Schurken bei aller Motivsuche eine Portion "Urböses", erhält man sich das feindliche Fremde als unnahbaren, schillernden Reiz. In den schattigen Fugen hockt noch Mythos.
Wird das Spiel dadurch platt? Im Ausdruck "Märchen für Erwachsene" liegt Herablassung; zwar habe sich der Autor bemüht und sei dem ganz Simplen entronnen, aber die triviale Herkunft, die Genre-Verwandtschaft hafte unlösbar am Werk. Wer auf grimmigen Grau-Realismus pocht, wird dem Satz, das Böse sei nur das jeweils zeitgemäße Konstrukt einer bestimmten Gesellschaft (Soziologie) oder der Willensfreiheit des jeweiligen Einzelnen (Existenzialismus), folgen wollen, denn dieser verspricht die Aura höheren Verständnisses. Ich halte die Ängste, man verlöre seinen Anspruch, wenn man angeblich unreflektiert vom Wesen "des Bösen" spricht, für übertrieben. Erstens ist alles in einer Geschichte gut aufgehoben, wenn es dramaturgisch funktioniert. Wahrheitsfindung und Erkenntnisvermögen muss man nicht unbedingt aus einem Makerspiel ziehen wollen müssen. Neben dem allgemeinen Argument habe ich noch ein spezifisches. Denn zweitens halte ich die behauptete Konstruiertheit des Bösen in dieser absoluten Aussage für falsch, sehe zumindest hier nicht einmal einen prinzipiellen Widerspruch zum ersten Satz.
Mord, Diebstahl, Vertrags- oder Vertrauensbruch sind bei allen Wandeln bleibende Verurteilungsgründe. Der Relativismus deutet auf die Grenzen dieser Aussage, setzt dabei allerdings bei einer allgemeinen Menschenmoral an, stochert hier aber im Leeren und demonstriert nur, dass es sie nicht gibt. Er setzt sich ein überdehntes Zugehörigkeitsempfinden als Basis. Fragt man hingegen nicht nach allen Menschen, sondern nur nach den Zugehörigen einer Gruppe (ja, deren Grenzen sind nicht schicksalsgegeben), gewinnt das Böse klarere Kontur. Es ist der Gruppenschädling, der Spalter - schlimmstenfalls ein solcher, der das Vermögen der anderen, überhaupt einen Sozialverband bilden zu können, unterminiert. Bei allem Bemühen, das Böse immer nur als von den den sich ändernden Umständen bedingt ansehen zu wollen, ist der genannte Punkt ein ziemlich stabiler Angelpunkt der ethischen Wertung. Schlage ich nach, lese ich, dass sich der Teufel in der Sprache des Neuen Testaments von "entzweien" ableitet, dass schon Platon von der ursprünglichen Ungeteiltheit der noch nicht für ihr Vergehen gestrafter Menschen sprach und fühle mich total bestätigt.
Für die Makerpraxis: Das Böse ist urtümlich böser in einer Bürgerkriegsgeschichte als in einer Erzählung über zwei verfeindete Königgreiche.
@Mordechaj: Ich denke, geht man nach Jung, sind Gut und Böse Zustandsableitungen. Beides entspringt dem Bewusstsein, im Gegensatz zu den Archetypen, die uns nur bei ihrer inhärenten Interpretation bewusst werden können. Die Vorstellung gefällt mir, denn sie erklärt unser gültiges Rechtsverständnis: Wer unbewusst handelt, ist entweder vermindert schuldfähig, gar nicht, oder gehört für immer weggesperrt. Jung würde vielleicht sagen, böse ist, wer die Archetypen kennt, sich ihre Numinosität bewahrt hat und trotzdem wider besseren Wissens handelt. Vielleicht würde er so einen Menschen aber auch einfach als geisteskrank abtun. Menschen ohne Numinosität seien höchsten unmoralisch und das schließt besonders solche Beispiele ein:
wie böse ist einer, der ganze Volksstämme zum Sklavendienst unterjocht? Nach unserer modernen Auffassung womöglich ziemlich. Dann wiederum steht unsere Gesellschaft auf der Basis von Gesellschaften, die genau das über Jahrhunderte hinweg getan haben, kollektiv und ohne viele Skrupel.
Mordechaj
04.09.2012, 16:05
Erstens ist alles in einer Geschichte gut aufgehoben, wenn es dramaturgisch funktioniert. Wahrheitsfindung und Erkenntnisvermögen muss man nicht unbedingt aus einem Makerspiel ziehen wollen müssen.
Da stimme ich völlig zu, das wäre auch ein fragwürdig übertriebener Anspruch. Es geht mir auch eher um die quasi psychologische Wirkung, also das Warum? der dramaturgischen Funktionabilität. Ich denke, das Böse wird auf Erzähl- und Erfahrungsebene reizvoll, weil es -- verhelfs des ewigen Triumphierens des Guten -- den Exorzismus zulässt. Die Auslöschung hat befreienden Charakter. Gleichzeitig hat aber auch die Erfahrbarmachung und Annäherung ihren Reiz, die Domestikation des Bösen verleiht Macht und Bildungscharakter. Beides erfüllt psychologisch teilweise sogar offenliegende Bedürfnisse des Rezipienten, im ersten Fall die (Selbst-)Überwindung, in zweiterem die Selbstpotenzierung bzw. die Potenzierung der Welt. Zwei grundsätzlich positive Urerfahrungen: Einmal der Sieg durch Vernichtung, ein andermal das Lernen und Weiterentwickeln (das letztendlich ebenfalls ein Abtöten des Überwundenen einschließt). In beiden Fällen lässt sich seine grundsätzliche (Um-)Ordnung erreichen, entweder durch Reinstallation (Beheben des ordo-Bruchs), ein andermal durch Reorganisation (Abschluss einer Entwicklung zum neuen Ganzen). Im Auslöschen der bösen Andersartigkeit kommt der Rezipient dann, den Protagonisten stellvertretend, für eine Weile zur idealen Gänze; im Domestizieren und Übersteigen des bösen Störenfrieds macht er die beruhigende Erfahrung der Veränderlichkeit -- stellvertretend für die Erzählwelt.
Und da gibt es natürlich Zwischennuancen und Mischverhältnisse, die auf das anvisierte Publikum abgestimmt sein wollen. Dennoch sind beide Erfahrungen grundständig.
Mord, Diebstahl, Vertrags- oder Vertrauensbruch sind bei allen Wandeln bleibende Verurteilungsgründe. Der Relativismus deutet auf die Grenzen dieser Aussage, setzt dabei allerdings bei einer allgemeinen Menschenmoral an, stochert hier aber im Leeren und demonstriert nur, dass es sie nicht gibt. Er setzt sich ein überdehntes Zugehörigkeitsempfinden als Basis. Fragt man hingegen nicht nach allen Menschen, sondern nur nach den Zugehörigen einer Gruppe (ja, deren Grenzen sind nicht schicksalsgegeben), gewinnt das Böse klarere Kontur. Es ist der Gruppenschädling, der Spalter - schlimmstenfalls ein solcher, der das Vermögen der anderen, überhaupt einen Sozialverband bilden zu können, unterminiert. Bei allem Bemühen, das Böse immer nur als von den den sich ändernden Umständen bedingt ansehen zu wollen, ist der genannte Punkt ein ziemlich stabiler Angelpunkt der ethischen Wertung. Schlage ich nach, lese ich, dass sich der Teufel in der Sprache des Neuen Testaments von "entzweien" ableitet, dass schon Platon von der ursprünglichen Ungeteiltheit der noch nicht für ihr Vergehen gestrafter Menschen sprach und fühle mich total bestätigt.
Für die Makerpraxis: Das Böse ist urtümlich böser in einer Bürgerkriegsgeschichte als in einer Erzählung über zwei verfeindete Königgreiche.[/QUOTE]
Hier aber gerade sehe ich den Punkt: Die Zuschreibungen sind (wie so oft) arbiträr und kontextbasiert. Was unterscheidet denn unser Verständnis von Böse von dem anderer Kulturen? Genau, vor allem das Verständnis des Eigenen, die Definition der eigenen Sphäre und des eigenen Sozialverbandes. Die Konstruiertheit des ethischen Bösen schlägt sich dort nieder, wo ihm kulturelle Zuschreibungen eingeflöst werden, die dadurch innerhalb dieser Kultur beinahe untrennbar mit der Ahnung vom Urbösen verbunden sind. Und auch dieses Konstrukt ist wieder kontext- und nutzenabhängig; beispielsweise ist Mord in jeder Gesellschaft völlig anders definiert, teilweise sogar spaltet dieses Definitionsproblem neue Gruppen in diese Gesellschaft. In manchen ist der Ritualmord alltäglich Gutes, die Todestrafe Erhaltungswerkzeug einer etablierten Ordnung. Jede Gesellschaft definiert sich, was sie für schützenswert erachtet -- Ist es das Leben? Welches und wessen Leben? --, ein Verstoß gegen diese konstruierten Kleinodien ist dann ethisch verwerflich. Das gilt auch für Vertrag und Vertrauen, denn auch diese haben nur intrinsischen Wert, nicht aber über die Grenzen der Sphäre des Eigenen hinaus: Klar, sie sind ja gerade die Konstituenten des Sozialverbandes.
Ich glaube im Übrigen, wir reden ohnehin gerade über dasselbe und sind eigentlich ganz ähnlicher Meinung, haben da nur einen anderen Wortschatz. Das Konstruierte steht immer im Kontext der jeweils eigenen Sphäre und kommt inklusive eines Konzeptes vom "Anderen" (hebr. שטן satan: "Gegner"; die Nebenbedeutung "Ankläger" kommt aus dem semitischen Gerichtswesen, wo einer dem anderen gegenüberstand) und lässt ihm Gefährdungscharakter angedeihen (griech. διάβολος, diábolos: "Entzweier", "Störer", "Verderber", "Verdreher"; mit διά durch [in der griechischen Multikonnotation], βάλλω werfen, aber auch: gestürzt werden --> "Gefallener", "Verstoßener"; es handelt sich bei διάβολος um ein Wortspiel en façon der mündlichen Tradition im östlichen Mittelmeerraum). Das Andere, Fremde, ist immer bedrohlich -- bis man global denkt.
Ich denke, geht man nach Jung, sind Gut und Böse Zustandsableitungen. Beides entspringt dem Bewusstsein, im Gegensatz zu den Archetypen, die uns nur bei ihrer inhärenten Interpretation bewusst werden können.
Auch hier würde ich gern eine Unterscheidung zwischen dem ethischen Bösen und eben dem Urbösen vornehmen. Viele Attribute des Bösen sind nämlich alles andere als bewusst -- beispielsweise das Hässliche und Bedrohliche, Monströse. Ob wir uns da jetzt einbilden, es handle sich um evolutionär potente Überbleibsel der ersten Säugetiere, die noch den fetten Mäulern von Dinosauriern durch instinktive Angstreaktionen entrinnen mussten, oder ob wir darin ein grundlegend gesundes Verteidigungsverhalten sehen, bleibe erstmal außen vor. Das ethische Böse jedenfalls ist bestens noch eine Umlagerung der kulturellen Vorstellung von Verwerflichem auf das grundständige Urböse. Beides ist aber immer noch trennbar, das bedrohliche, unmotivierte Urböse mit all seinen Konsequenzen noch unbewusst verdauert.
real Troll
04.09.2012, 17:27
@ Mordechaj
Klar, im Grundsätzlichen reden wir beide über dieselben Relativismen. Trete ich aus den Bedingtheiten der Gruppe und verschaffe mir den äußeren Blick (per Exil, kulturübergreifender Kontaktfreude oder Zeitreise), sehe ich die Kontextabhängigkeiten der jeweiligen Gruppenmoral, ihre Entwicklung und Wurzeln. Absolutheiten verschwimmen nur zur spezifischen Zwischenstationen des Wandels.
Warum ich mich trotzdem an der angreifbaren rhetorischen Figur erprobe, etwas Absolutes (Das Böse) auf relativer Grundlage zu behaupten, folgt aus zwei Problemen, die der äußere Blick in meinen Augen mit sich bringt. Im gedanklichen Spiel mit Wahrnehmungen zerfließt ihm das präsente Phänomen bösen Tuns und böser Ziele zur Sinnensstörung. Ausgerechnet auf dem Feld der Moral macht sich der äußere Blick begriffslos, weil er den Hauptgegenstand (gewiss listig) hinweg definiert. Mein zweites Problem ist erkenntnistheoretischer Natur. Der äußere Blick hat eine persönliche Grenze (ich werde nie zum Betrachter der gesamten Erde taugen, schon gar nicht mit der Implikation eines Richters) und auch ein Größerer als ich stößt an die absolute Grenze seiner Weltgebundenheit, denn das Beobachterproblem liegt kurz gesagt darin, dass man die Welt nur in Gänze überschauen könne, wenn man aus ihr herauszutreten vermöchte. Den absoluten äußeren Blick auf unser sich ausdehnenden Universum kann niemand einnehmen, der ihm nachträglich eingeboren wurde. Das ist ein Problem des Relativismus, denn die Sicht auf die letztgültigen Bedingtheiten sind ihm (nach wissenschaftlichen Maßstäben) verwehrt. Genau das, auf was er bei konsequenter Weiterung zielt, kann er nicht sehen. Mir erscheint er daher als final fruchtlos. In Ansätze, die versuchen, Gewinn aus der Binnensicht ziehen, lege ich größere Hoffnungen.
Und da gibt es natürlich Zwischennuancen und Mischverhältnisse, die auf das anvisierte Publikum abgestimmt sein wollen. Dennoch sind beide Erfahrungen grundständig.
Und bevor gar kein anderer mehr mitliest, eine handfeste These mit konkretem Basteleibezug: Ich glaube, ein Makerhorrorspiel ist immer stärker, wenn es nicht auf Erfahrbarmachung des Bösen abzielt, sondern auf den Exorzismus(versuch). Darum ist "Prometheus" auch schlechter als "Alien".
@real Troll: Ich kenne Prometheus nicht, daher habe ich ein Problem Erfahrbarmachung zu verstehen. Meinst du damit, dem Bösen ausgesetzt zu sein, ihm als Spielball zu dienen; die bloße Erzeugung einer Stimmung; oder das Böse als solches zu erklären und ihm damit seines Mysteriums zu berauben? Horror wirkt auf mich sehr breit gefächert. Diablo gruselt mich trotz Überlegenheit meines Avatars, weil das Böse allgegenwertig ist und nicht erst im Begriff, Einzug zu halten. Resident Evil gruselt mich mit seiner parabelmäßigen Spannungskurve, cheap scares und dem Einbruch des Widernatürlichen in das Natürliche. Silent Hill gruselt mich durch Vagheit und das permanente Gefühl keine Kontrolle zu haben. Letzteres ist den meisten Alpträumen am ähnlichsten, aber dann wiederum ist nichts intensiver, als ein kleiner Schreckmoment auf dem Gipfel der Entspannung.
@Mordechaj und ganz allgemein:
Interessant ist auch, dass ich in Horrorspielen noch nie bewusst vom Bösen ausgegangen bin, obwohl sie, von allen Spielen, Gefahr und Urängste am gegenwärtigsten machen. Sofern das Eigenschaften sind, die man dem Bösen zuschreibt, wurden sie jedenfalls mir nicht effektiv anerzogen. Wäre es verkehrt, von mir auf andere zu schließen, oder liegt womöglich in der Annahme, das Verständnis vom Urbösen gehe auf noch ursprünglichere Wesen zurück, der Fehler? Ich kann mir irgendwie beides nicht so recht vorstellen.
Mordechaj
04.09.2012, 21:50
In Ansätze, die versuchen, Gewinn aus der Binnensicht ziehen, lege ich größere Hoffnungen.
Da gehe ich auch vollkommen mit, es geht mir nur darum, dass das Ur-Phänomen des Bösen quasi-archetypisch durch die Essenz des "Anderen" bestimmt ist und dass das ethische Böse sich dies a posteriori zunutze macht. Das bedeutet zweierlei; einmal dass es sich beim Bösen um ein gesellschaftlich konventioniertes handelt, das in der Binnensicht eben einfach "das" Böse ist; ein andermal dass diese absolute Zuschreibung vor allem durch den Nexus zum Urbösen Wirkung hat: Hier entfaltet der Jungsche Energiekomplex seine Wirkung beim Rezipienten, nicht etwa die (durchaus logische) Zuschreibung via Konvention. Wichtig ist das deshalb, weil das Phänomen des Bösen entweder diese unbewusste Komponente hat (das unmotivierte Böse), oder eben einen rational nachvollziehbaren Kern aufweist (es ist motiviert und domestizierbar). Die Tatsache beispielsweise, dass das simple Gut-Böse-Schema (Bösewicht ist böse, guter Wicht ist gut; guter Wicht siegt, weil er gut ist, et voilà tout) sehr auf Ablehnung stößt, begründet sich ja gerade in der Irrationalität: Der aufgeklärte Mensch forscht nach Gründen, er hinterfragt, stellt fest. Entweder verkauft man ihm das unmotiviert Böse also besonders gut mit wenigen Begründungsversuchen (Voldemort in Harry Potter; Machthunger, Machtkorrumpiertheit, Familiengeschichte) und lässt die Grenzen womöglich durch Stellvertreter verschwimmen (Snape, Malfoy), oder aber man lässt einen weiten Exkurs in die andere Sphäre zu: Schau, das Böse hat einen Ursprung und eine Genese (mir fallen da momentan nur die Naturalisten ein, Papa Hamlet beispielsweise leitet das Böse unter anderem aus sozialen und gesellschaftlichen Missständen her.
Bei Harry Potter sieht man übrigens sehr schön die Mischform, die meiner Meinung nach auch enorm zur Funktionabilität der Reihe beigetragen hat: Quasi in Personalunion sind die Todesser (zumindest die, die keine Statisten sind) Stellvertreter der persona Voldemort, ihr Zusammentreffen in der persona des Dunklen Lords potenziert das Böse. Hier ist beispielsweise Bellatrix Lestrange Figur des Urbösen, ihr Handeln ist unmotiviert sadistisch und in hohem Maße verachtenswürdig, über ihr Dasein erfährt man nichts als ihre Greultaten -- anders beim Dunklen Lord selbst, der Produkt seiner Macht und teilweise seiner Vorgeschichte ist. Konsequenterweise ist der Tod von Bellatrix auch eine dieser befreienden Stellen im Buch, man hätte die Alte am liebsten ja selbst durch die Seiten des Buchs hindurch erniedrigt und erdolcht. Bei Voldemorts Tod ist das ein wenig anders, hier steht dann die Erlösung im Gesamten im Vordergrund -- er selbst hat uns ja auch keiner Hauptperson beraubt. Mit ihm stirbt das metastasierende Böse ab, dessen Symptom beispielsweise Bellatrix darstellte der Organismus der ordo in der HP-Welt wird geheilt (wie beispielsweise auch Draco Malfoy "geheilt" wird).
(Das ist alles furchtbar subjektiv.)
Das Böse hat meiner Meinung nach immer diese zwei Seiten, das was es im Kern ist (das Urböse), und das was es ausmacht (die Zuschreibung). Erstere würde ich als tiefenpsychologisch bestimmbar verorten, zweitere als ethisch, soziologisch bestimmbar: Nichts bringt die Herzen von demokratisch-bürgerlich geprägten Menschen mehr zu Schlagen, als wenn Gefahr und Unheil der auf einen oder wenige vereinten Macht offengelegt wird. Wir müssen da aber natürlich die Binnensicht wahren, allein schon, weil die Draufsicht unser Publikum womöglich eher abstößt und langweilt -- Papa Hamlet ist stellvertretend für die meiste deutsche naturalistische Literatur äußerst ermüdend, da analytisch und eindringlich; von prodesse et delectare (Es soll nützen und unterhalten.) hat man da nix gehört. Ich halte es aber für äußerst wichtig und spannend, die Mechanismen offen zu legen, um ihre Wirkung nachzuvollziehen und daraus zu schöpfen. Und da sticht meiner bescheidenen Meinung nach eben die Trennung der Zuschreibung vom Energiekomplex sehr hervor.
(Ich möchte Jung hier übrigens keine höhere Wahrheit unterstellen, ich finde gerade sein Geisteskonzept äußerst esoterisch. Sein Vokabular eignet sich an dieser Stelle aber ganz gut, um die Unterschiede zu verdeutlichen.)
Meiner äußerst bescheidenen Einschätzung nach sind wir im Übrigen bereits dann in der Binnensicht, wenn wir über das Böse reden. Es handelt sich dabei um ein Konzept, das (meiner persönlichen Wahrnehmung nach) keine kulturübergreifende Wirkung hat (das "Urböse" im kollektiven Bewusstsein hingegen schon). Im Gilgamesch-Epos beispielsweise kann ich kein Anzeichen des Bösen entdecken; selbst der fürchterliche Chumbaba, den die Helden töten wollen, kann nur sehr, sehr schlecht hineingeborgt überhaupt irgendwie mit zugekniffenen Augen in das Böse-Konzept gesteckt werden.
@real Troll: Ich kenne Prometheus nicht, daher habe ich ein Problem Erfahrbarmachung zu verstehen. Meinst du damit, dem Bösen ausgesetzt zu sein, ihm als Spielball zu dienen; die bloße Erzeugung einer Stimmung; oder das Böse als solches zu erklären und ihm damit seines Mysteriums zu berauben?
Ich meine (einfach mal frech auf eine fremde Frage antwortend), der Troll geht hier von der Offenlegung und Perspektivierung des Bösen aus; man erfährt also als Rezipient, was den Bösewicht ausmacht, was seine Motive sind, worin sein böses Handeln wurzelt. Vergleich Kelvenspiele: In Sonnenschauer wird der böse Herrscher halt einfach böse; ganz unmotiviert und eigentlich auch ohne jede andere Konsequenz, als dass er zum Gegner avanciert. In ZauPri hingegen haben wir es mit einem Bösewicht zu tun, der die (einem jeden Menschen bestens bekannte und damit Ur-)Erfahrung des Verlustes gemacht hat, und deshalb die Ordnung gefährdet. Das Böse in ZauPri (ich bin mir sehr sicher, dass Kelven es mir übel nehmen könnte, dass ich den Begriff des Bösen auf seine Geschichten herunterbreche, spielt er doch gerade dieses Konzept geschickt aus) ist damit motiviert und nachvollziehbar, "erfahrbar". Oder eben das (teilweise) erfahrbar gemachte Böse in Harry Potter; Tom Riddle hatte einen fiesen Muggelvater, eine schwere Kindheit, wurde durch seine überdurchschnittlichen Fähigkeiten und den falschen Einfluss korrumpiert und immer machthungriger und schließlich -- gänzlich charakterlich verwüstet -- zu Lord Voldemort.
Horror wirkt auf mich sehr breit gefächert. Diablo gruselt mich trotz Überlegenheit meines Avatars, weil das Böse allgegenwertig ist und nicht erst im Begriff, Einzug zu halten. Resident Evil gruselt mich mit seiner parabelmäßigen Spannungskurve, cheap scares und dem Einbruch des Widernatürlichen in das Natürliche. Silent Hill gruselt mich durch Vagheit und das permanente Gefühl keine Kontrolle zu haben. Letzteres ist den meisten Alpträumen am ähnlichsten, aber dann wiederum ist nichts intensiver, als ein kleiner Schreckmoment auf dem Gipfel der Entspannung.
Das nur am Rande noch: Hier finde ich sehr schön an Beispielen das "Gefühl" des Urbösen verdeutlicht. Einer der Gründe, warum Tension, also dramaturgische Spannung, in Unterkategorien unterteilt wird (ich gehe hier jetzt einfach mal mit Surprise, Suspense, Mystery mit, viele Quellen setzen hier sehr berechtigterweise andere Schwerpunkte), ist diese Zerteilung des Urbösen in Urerfahrungen. Der instinktive Schreck (Surprise!) auf eine Bedrohungssituation ist eine intensive und sehr nahegehende Urerfahrung, sie entlädt schnell und sehr potent "Energie" (im eher Jungschen Sinne). Suspense hingegen ist die ständige Bedrohung durch einen imminenten Schrecken; das Gefühl von Hilf-, Macht- und Schutzlosigkeit gegen eine nicht wahrnehmbare, aber numinös erfahrbare Gefahr ist ähnlich potent wie der eigentliche Schreck und versetzt uns in einen Zustand der Urangst zurück.
Interessant ist auch, dass ich in Horrorspielen noch nie bewusst vom Bösen ausgegangen bin, obwohl sie, von allen Spielen, Gefahr und Urängste am gegenwärtigsten machen. Sofern das Eigenschaften sind, die man dem Bösen zuschreibt, wurden sie jedenfalls mir nicht effektiv anerzogen. Wäre es verkehrt, von mir auf andere zu schließen, oder liegt womöglich in der Annahme, das Verständnis vom Urbösen gehe auf noch ursprünglichere Wesen zurück, der Fehler? Ich kann mir irgendwie beides nicht so recht vorstellen.
Die Frage ist hier für mich, was du mit "ursprünglichere Wesen" meinst. Man könnte hier beispielsweise schon sehr berechtigt (berechtigt, weil schon an anderen Stellen geschehen) argumentieren, dass die uns durch die natürliche Auslese verliehenen Instinktängste, also unbewusste und ihre ursprüngliche Funktion größtenteils abgelegte Gefühle, in diesen Horror-Erzählwelten kulminieren. Oder, wieder mit Jung gesprochen, es handelt sich eben um im kollektiven Bewusstsein wahrhaftige Urerfahrungen, denen wir ausgesetzt werden.
Genau hier würde ich vom Urbösen ausgehen, das keinen Namen trägt (außer eben, man nennt das "Urböses"). Bedrohung und Andersartigkeit machen diese Erfahrungen unberechenbar und potenzieren damit noch die Bedrohlichkeit und die Angstreflexe. Deshalb führt das Erlebnis, das du in solchen Horrorszenarien hast, auch nicht zum "Merke: Das ist grundlegend Böses" -- es ist das bloße Erlebnis dieses Urbösen.
Um das aber nochmal zu verdeutlichen (denn ich glaube, ich habe das nicht wirklich so verständlich machen können): Ich verwende die Bezeichnung "Urböses" hier genau für dieses Konzept "Bedrohung und Andersartigkeit". Dieses Konzept hat a priori nicht unbedingt etwas mit dem "Bösen" zu tun, das wir kennen und das uns vor allem ethisch bzw. moralisch eingeprägt ist; es ist meines Wissens auch nicht im Wortfeld "böse" im kollektiven Wortschatz abgespeichert. Erst wenn man sich die Überformtheit (sei sie nun kulturell oder auf Medien beschränkt) klar macht, kommt der Nexus zustande: Das Böse ist meist abscheulich Unansehnlich oder sonst irgendwie widerwertig oder eben gar geistesgestört. Oder es fehlen ihm essentielle Werteschranken, wie etwa dem miesen Typen, der aus Kalkül und in vollem Bewusstsein der Fremdkonsequenzen Böses tut. (Das hat irgendwer auch mal als das "Dilemma" des Bösen bezeichnet, glaube ich. Dieses kalkulierte Böse trägt, trotz seines besonders hohen Grades an Rationalität, immer noch die Züge von Gestörtheit, alias Psycho-/Soziopathie.)
(So, jetzt sind meine "Ur-"s aufgebraucht.)
Ich empfinde es als den größeren Spagat Menschen in ihrer vollen Charakterspanne zu beschreiben- mit guten wie schlechten Seiten. Klares Schwarzweiß Design ist nicht meins, in meinen Augen mittlerweile auch überholt.
Jeder weiß, das es nicht so einfach ist, und in jedem Monster steckt(e) mal ein Mensch. Für mich stellt es die höhere Kunst da, dies auch so darstellen zu können. Es gibt da kein größeres Drama in einer Geschichte für mich, als wenn man Protagonist und Antagonist gleichermaßen schätzt, weil man in ihrer Menschlichkeit ihre Beweggründe verstehen lernt.
The_Burrito
04.09.2012, 23:11
Ich empfinde es als den größeren Spagat Menschen in ihrer vollen Charakterspanne zu beschreiben- mit guten wie schlechten Seiten. Klares Schwarzweiß Design ist nicht meins, in meinen Augen mittlerweile auch überholt.
Jeder weiß, das es nicht so einfach ist, und in jedem Monster steckt(e) mal ein Mensch. Für mich stellt es die höhere Kunst da, dies auch so darstellen zu können. Es gibt da kein größeres Drama in einer Geschichte für mich, als wenn man Protagonist und Antagonist gleichermaßen schätzt, weil man in ihrer Menschlichkeit ihre Beweggründe verstehen lernt.
In gewissem Sinne gebe ich dir da durchaus recht. Aber man darf nicht vergessen, dass wir hier nicht einfach nur Geschichten erzählen, sondern Spiele machen. Und für die meisten Spieler ist es, so meine ich einmal, befriedigender wenn sie am Schluss das Gefühl haben "Hurrah! Ich habe es geschafft!" und nicht "Hm ... Jetzt habe ich diese Arme Sau niedergeknüppelt die eigentlich gar nichts dafür kann, dass sie ist wie sie ist. Irgendwie fühl ich mich mies...".
Letzteres passiert immer eher dann wenn man zu sehr versucht das Verhalten seiner Gegenspieler zu entschuldigen.
real Troll
06.09.2012, 19:19
@ Mordechaj
Ich greife mir noch einmal den Exorzismus aus deinem Gedankengang, denn ich glaube, er versenkt sich sehr tief in die Vorstellung vom Bösen als leibgewordener Gegner. Sei das nun der dunkle Herrscher (töten) oder eine schlechte Idee in den Köpfen (Massenbekehrung). Letzteres ist wohl nur umständlich im Spiel darzustellen, ersteres ist - wie zahllose Vorbilder zeigen - wirkungsvoll erprobt.
Was ist mit Endzeitszenarien? Hier ist das Böse ein amorpher Umstand, der nicht mit dem Knüppel zu erschlagen ist. Dem Problem des ziemlich totalen zivilisatorischen Zusammenbruchs mit allen hässlichen, pulpigen oder hemdsärmelig-fröhlichen Folgen ließe sich zwar gedanklich begegnen, die Erfahrbarmachung hülfe, besser zurecht zu kommen. Aber der Bruch ist irreparabel. Aneignung führt nicht zur Wiederherstellung guter Ordnung, und der Lernende kann sich nicht über einen bösen Meister erheben. Die beiden Siegmittel Auslöschung und Reifung wären in so einem Szenario wohl nur dann geeignete Instrumente, wenn man das Ganze als (Wieder)Aufbaustrategiespiel aufzöge. In einem Abenteuerspiel mit seinem enger gefassten, weil nur auf persönliches Eingreifen beschränkten Wirkungskreis bliebe allerdings ein Drittes, um dem Bösen zu begegnen: fortwährende Behauptung. Das aktuelle "DayZ" stellt so eine Möglichkeit dar. Nur weiß ich nicht, wie befriedigend ein Spielzuschnitt auf Rollenspieler wirkt, der ständig prüft, ob man bestehen kann, ohne eine finale Erlösung anzubieten.
@ Owly
Es was so gemeint, wie Mordechaj sagt.
Vielleicht denke ich zu heroisch, aber beim Bösen im Spiel denke ich gar nicht so sehr an Angst und lauernde Schrecken. Für mich ist das Böse das, was den guten Sinn in den Heldenkampf legt. Eine Art spielmechanische Theodizee, die prinzipiell auch ohne Höllenwesen auskäme.
Mordechaj
06.09.2012, 22:21
@real Troll:
Das ist eigentlich ein ganz interessanter Gedanke und die ausgehende Frage nach der Wirkungsfähigkeit entscheidet womöglich über Aufstieg und Fall des Konzepts. Dabei denke ich, dass es hier sogar zwei Faktoren gibt, einer davon hat mit der forwährenden Behauptung gegen das Böse, wie du sie erwähnst, zu tun, ein anderer von einer Reperatur der zerstörten Ordnung.
In ersterem Fall ist denke ich die (und hier werde ich kurz ein bisschen pseudowissenschaftlich) Dopaminwirkung sehr entscheidend; ein Konzept, das keinen Endzustand erreicht, muss zumindest voranbringen und Wettkampf erzeugen. So funktionieren ja beispielsweise auch die Welten in MMORPGs, die niemals abgeschlossen sind, sondern im Idealfall und natürlich zum Erhalt der zahlenden Spielerbasis immer neue Möglichkeiten bieten, besser zu sein als andere, im allgemeinen Fall aber vor allem auch der virtuellen Umwelt Herr zu werden. Auch solche Konzepte kommen nicht ohne das herkömmliche Gegnerschema aus, wobei natürlich neure Entwicklungen wie DayZ da eine große Ausnahme darstellen.
Hier würde ich dann konventionell vor allem die zweite Variante sehen, sozusagen der "Reset-Knopf". Utopistische Denksysteme finden in solchen Szenarien ihre Kulmination: Nicht auszumalen, welche Welten man sich schaffen könnte, wenn die etablierte Zivilisiertheit aufhören würde zu existieren. Jede realisierte Utopie (der Mensch neigt zu Utopien, vor allem zu rückwärtsgewandten und solchen, die ihn aus der unnatürlichen Verfassung der Kultiviertheit führen) folgt auf Auslöschung des Status Quo, viele Utopien sind darauf ausgerichtet, einen ehemaligen Status Quo zu retablieren -- oft ist das der naturbelasse Urzustand (Urchristentum, Urkommunismus, der Mensch im Einklang mit der Natur, Ökologiebewusstsein). DayZ begreife ich noch immer als ein soziales Experiment, das wunderbar dazu dient, den NatUr-Zustand einigermaßen nachzuempfinden. Da stecken Freiheitszustände drin, die man sich gar nicht ausmalen mag, denn jegliche Handlungskonsequenz ist entweder nichtig oder unabsehbar -- gegenüber reellen und absehbaren Handlungskonsequenzen in der zivilisierten Welt.
Ich denke, der Reiz an diesen irreparabel gebrochenen Ordnungen ist gerade der unwiderrufliche Ausbruch aus jeder Form des geordneten Dahinlebens. Und das Böse wird dahin zurückgelegt, wo es eigentlich herkommt: In die Natur oder zumindest in dieses unsichere Immerda, diese urtümliche Bedrohung, der man nicht entrinnen kann. Genau das ist ja die Urerfahrung des Bösen. Sie ist nicht abgebunden oder moralisch, sie ist auch keinem fiesen Bösewicht auf den Rücken geschnürt, es ist die reine und unverfälschte Form des dunklen Ahnens (Suspense) und sich Erschreckens (Surprise). Die fortwährende Behauptung wird dort zur absoluten Dopamin-Maschine, wo das "natürlich vorgesehene" (wieder: das ist pseudowissenschaftlich) der Belohnungsmechanismen auf einmal wieder intakt ist. Im Gegensatz zum geordneten und damit in der Regel absolut sicheren Dasein in der kultivierten Gesellschaft, in der der größte Quälgeist Disstress ist, dem kaum beizukommen ist, versetzt die unwiderruflich gebrochene Ordnung in einen Zustand der rudimentären Gesellschaft oder gar in die freie Einsamkeit des NatUr-Zustandes zurück. Dort, wo das Urböse noch aktiv ist und nicht von kulturellen Überzeichnungen zu einer ethischen Kategorie verfälscht worden ist. Das Fehlen des ultimativen Triumphierens wird dadurch auch eher zum geringfügigen Störfaktor: Triumph ist schließlich auch nur der schlechte Ersatz für den entfesselten Energiekomplex des Urbösen, der in seiner ethisch-kategorischen Verfasstheit nur noch wenige Züge des Urabenteuers trägt. In einer Spielwelt, in der Ethik und Moral keinerlei Rolle mehr spielen können, ist man dem desirablen Zustand so greifbar nah, dass die Ersatzwirkung der Vernichtung des kulturell überformten Bösen quasi nicht mehr nötig ist.
real Troll
08.09.2012, 14:45
@ Mordechaj
Das ist sehr konstruktiv gedacht, aber ich denke, wenn man die Dystopie wieder zur Utopie umbiegen möchte, übergeht man das lustvolle Spiel mit dem Gegenteil. Natürlich redest du auch nicht von einer Reform zurück zum Naturzustand des Rosseau'schen Kinderlachens, eher schon zurück zum Wolfsgeheul Hobbes'. Aber wenn das Böse durch die äußeren Urzustände nun wieder unmittelbar würde, wäre die Zivilisation in diesem Gedankenbild der (vorübergehende) Schutzpanzer. Hingegen ist sie in der Dystopie nur ein wechselndes Gefäß des Bösen. Die Zivilisation implodiert dort wegen ihrer selbst und der erzählerische Reiz der endzeitlichen Folgen folgt meist aus dieser Grundfigur. DayZ wie Mad Max stellen keine Reset-Szenarien dar, keinen Rücksprung, keinen neuen Startversuch. Sie erzählen vom Ende als Fortsetzung, denn die verbliebenen Akteure werden von den Resten des Einstigen genährt. So, wie sie unfähig sind, davon zu lassen und all ihr Trachten darum kreisen lassen, bleiben sie verflucht. Das ist nicht nur pessimistisch und mit einiger Angst vor der Entwicklung seit der Industrialisierung beschwert, es ist auch esoterisch und damit auf die richtige Art lächerlich, die es für erzählende Spiele wertvoll machen kann. Mit einer guten Portion Verdammnis und Weihrauch bleibt das Böse in meinen Augen interessanter als eine psychologisierende Deklinationstabelle.
Mordechaj
08.09.2012, 15:27
Ich möchte auch den Bedrohungs- und Endzeitcharakter gar nicht herausnehmen oder vollständig psychologisieren; um ehrlich zu sein habe ich mit dem tiefenpsychologischen Ansatz selbst einiges an Problemen, sein Vokabularium bietet sich hier nur sehr gut an (zumindest für mich, der noch kein adäquateres entwickelt hat).
Ich denke, es ist schwer verständlich zu machen, welche Dialektik da für mich drinsteckt, zumal sie vermutlich auch nicht nachweisbar ist. Ich finde es nur fast zu simpel, bei der bösen Verdammnis als Reiz an der Sache stehen zu bleiben. Denn warum ist dieser Reiz denn da, wie natürlich ist es für uns, diese Endzeitszenarien mit so einer merkwürdig anziehenden Faszination wahrzunehmen?
Ich meine, genau da steckt die Dialektik: Die Dystopie, die gleichzeitig Utopie ist. Der Schutz der Gesellschaft, der gleichzeitig ungemein schwächt und das Individuum verschluckt. Der gesellschaftliche Schutz bedeutet gleichzeitig eine Freiheitseinschränkung (genau das führt ja zu so Sachen wie der Überwachungsdebatte -- wäre der Mensch zufrieden mit der gesellschaftlichen Teilhabe am eigenen Leben, hätte keiner ein Problem damit, sich Ortungschips implantieren zu lassen), der ewige Kampf und die gleichzeitig gegenseitige Bedingung zwischen Individuum und Gesellschaft kulminieren in einer fast wahnhaften Vorstellung der völligen Freiheit. Und dieses Freiheitsgefühl ist abgebunden in jenen Urerfahrungen; damals, als ein Mensch der Bestie (lies: dem anderen, dem Anderen, dem Unbekannten, dem Bösen) noch barhändig gegenüber stehen konnte. "Es ist immer beides." sagt man oft, und das halte ich hier sogar für eine zugrundeliegende Wahrheit. Natürlich ist es pessimistisch und dystopisch und auswegslos und eigentlich so unwünschenswert wie nur möglich -- aber dieser Reiz und diese Faszination, die dahinter steckt, begründet sich meiner Meinung nach nicht nur in der Was-wäre-wenn-Figur. Wir haben es hier im Grunde auch mit einer Zielgruppe zu tun, die sich scherzhaft oder sehr ernsthaft auf die Zombieapokalypse vorbereitet: Das Szenario ist klar abgesteckt und mehrfach in gleicherweise umerzählt, es sind Zeiten des Mangels und der Unsicherheit -- aber auch der maximalen Freiheit und Selbstbehauptung. Es ist ein Reset, der nicht zwangsläufig auch einen gesellschaftlichen Neustart au fur et à mesure nach sich zieht. In DayZ stellen sich allerdings einige interessante Phänomene ein, etwa neue (aber durchaus bekannte) soziale Strukturen, meist in Form der Rekreation der Sippengemeinschaft. Der Weg dahin ist noch genauso Urerfahrung wie die Wolfshierarchie.
Es gibt eine ziemlich populäre Polarisierung in der Bewertung von gesellschaftlichen Handlungen, die glaube ich vor allem in den USA der 80er-Jahre sehr oft von Seelsorgern und Therapeuten bemüht wurde, die zwischen Liebe und Furcht. Was uns Kultur, Zivilisation, Gesellschaft, Ethik, Moral und wer nicht alles vermitteln, ist eindeutig die Übermacht und Rechtmäßigkeit des Konzeptes "Liebe" über das Konzept "Furcht". Aber was heißt das eigentlich? In einem westlichen Verständnis ist Liebe viel weiter gedacht als nur die Liebe zwischen zwei Menschen, es ist das gesellschaftliche Phänomen und fast die gesellschaftliche Pflicht der Selbstaufgabe und Prästion gegenüber anderen Menschen. Furcht hingegen ist so negativ belegt wie nur möglich, sie ist unehrenhaft, untugendhaft, unmännlich, schwach, gering etc.ppai. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass die Selbstaufgabe der Liebe ein unheimlich unnatürliches und das Individuum bedrohendes Konzept ist, die Selbsterhaltung der Furcht hingegen natürlich und absichernd. Die Gesellschaft will ersetzen, was das Individuum die Furcht zu Diensten macht, fordert dafür aber die stückweise Selbstaufgabe. Der Mensch ist nun aber genetisch nicht auf gesellschaftliche Sicherheit "vorprogrammiert" und so unterdrückt er lediglich den Furchtkomplex, den er in der Folge in fiktiven Welten ausleben will; dort wo er wieder ganz bei sich ist, im NatUr-Zustand.
real Troll
08.09.2012, 18:00
Da gehe ich weiträumig mit. Dass Geborgenheit auch erdrücken kann, findet sich ebenfalls im überindividuellen Ringen um die angemessene Befindlichkeit wieder - um Politik einmal als nervöses Leiden zu interpretieren. Von Urerfahrungen weiß ich zuwenig, um davon sprechen zu wollen, aber auf einer empirisch fassbareren Ebene sind diese Vorstellungen vom fruchtbaren Zusammenbruch ja absolut aktuell. Linke Aussteiger- wie rechte Redneck-Fantasien sehen dem Zusammenbruch der westlichen Welt, wie wir sie kennen, mit frohem Hoffen entgegen. Damit die andere - den eigenen Wünschen freiere - Welt möglich wird, muss das Alte weg. Nur: Ist hier das Böse nicht eigentlich eher ein guter Verbündeter? Ein Mäzen, der mit dem Chaos kreatives Baumaterial spendiert? Vielleicht verstehe ich dich falsch, aber ich glaube, das rückt weit von der traditionellen Vorstellung ab. Das ist nicht schlimm, aber für die erzählerischen Zwecke hat das herkömmlich Böse durchaus sein nützliches Bewenden.
Und um eine Lanze für den Reiz der Verdammnis zu brechen: Die eigene, missliche Lage, in der (oder besser: durch die) man das Böse erfährt, wirft die Frage eigener Schuld auf. Kollektives Versagen, sündhafter Lebenswandel, persönliche Untaten - das Böse kann dann als Medium der Reinwaschung eingesetzt werden (Happy End) oder man hält es konsequent grimmig dystopisch. Stilistisch passt beides, es sattelt auf kulturell verankerten Bildern auf (immer praktisch beim Erzählen, weil man anzapfen kann, statt alles neu entwerfen zu müssen) und man ist schön frei, den eigenen Geschmack entscheiden zu lassen. Und ja, ich gebe nicht auf, den Thread immer noch ein wenig mit der Makerei in Berührung halten zu wollen. ;)
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