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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Literatur [Kurzgeschichte] The Killing Moon



T.U.F.K.A.S.
02.10.2011, 21:52
The Killing Moon

Komisch. Eigentlich will ich das hier gar nicht. Aber gut, jetzt hat sie schon dreimal auf mich geschossen und mich an der Schulter verletzt. Und ich glaube an Notwehr. Notwehr ist mein elftes Gebot, wenn man so will. Scheiß auf "halt die andere Wange hin". Wenn dir einer 'ne Watsche gibt, prügelst du ihm mit einem Baseballschläger in die Fresse. Wenn er dir danach selbst mit dem Baseballschläger eine überbrät, erschieß ihn. Oder sie. Präventive Notwehr, bevor weitere Gefahren von dieser Person ausgehen.

Ich kauer hinter einem umgeworfenen Esstisch aus robuster deutscher Eiche, in der linken Hand eine 357er Magnum und in der rechten eine verchromte Colt-Pistole, die ich von meinem Auftraggeber und Psychiater geschenkt bekommen hatte. Ja, Psychiater und Auftraggeber. Fragt am besten gar nicht erst. Aus der Schusswunde in der Schulter sprudelt immer noch Blut, das mir meinen besten eierschalenfarbenen Anzug versaut. Nebenbei erwähnt tut es scheiße weh. Extrem. Aber noch schlimmer als die Schusswunde tut es mir weh, was sie gerade tut.

Sie ist abgerichtet auf Leute wie mich: Arschlöcher, die im Namen anderer Arschlöcher Arschlöcher umbringen. Das hier ist nicht ihr Zuhause, sondern das von Frederick von Holt, einem Bankierssohn. Er war nicht zuhause, obwohl er das hätte sein sollen. Ich hatte mich zwei Wochen auf diesen Augenblick vorbereitet: Der Anzug, der BND-Ausweis, der gefälschte Untersuchungsbeschluss seitens der Staatsanwaltschaft, weil es Indizien dafür gab, dass er in Verbindung mit ominösen Mafia-Typen stand. Er steht in Verbindung mit ominösen Mafia-Typen. Ich muss es wissen, ich wurde von ihnen angeheuert. Sie nennen mich "Bubi" aufgrund meines Milchbubi-Gesicht, meiner fast schon jugendlichen Präsenz – dabei bin ich schon 38 Jahre alt.

Ich hab 'ne Frau, die denkt, ich würde gerade im Auftrag von Miele in dieser gottverdammten Stadt die Staubssaugerproduktion überwachen. Am Wochenende käme ich dann zurück nach Hause. Sie würde an der Eingangstür stehen, mir einen dicken Kuss geben, fragen wie es war. Wir würden dann ins Esszimmer gehen, wo mein Sohn Johannes bereits auf seinem roten Plaststühlchen sitzen und mich mit seinen großen blauen Augen anstarren würde. Er ist vier Jahre alt. Er malt für sein Leben gerne, vor allem Sachen aus Cartoonserien, die ich mit ihm zusammen sonntags anschaue. Ich erzähle den beiden dann, wie langweilig es war. Und dann wird meine sechzehnjährige Tochter vielleicht, eventuell, unter Umständen aus ihrem Zimmer herunterkommen zum Abendessen und mit mir kein Wort wechseln. Sie ist in ihrer Rebellen-Phase, so wie ich sie hatte. Nun, nicht so extrem. Sie geht bis lange-nach-der-Zeit-die-wir-ausgemacht-haben aus und kommt betrunken nach Hause, sie trägt Punker-Klamotten, sie hört vorwiegend Musik aus den 80ern und 90ern (sie hat meine komplette CD-Sammlung auf ihrem Rechner in MP3-Format). Ich muss mit ihr nochmal reden wegen dieses Mario-Typen. So ein Möchtegern-Revoluzzer, der mit mir ständig diese scheiß Grundsatzdebatte über Kapitalismus haben muss, wenn er da ist. Der Typ ist zweiundzwanzig. Was will sie mit ihm? Nun, was er mit ihr will, weiß ich ziemlich genau. Und ich hasse ihn dafür. Ich hasse ihn mehr als die druchgeknallte Killerbraut, die mit ihrer bekackten Maschinenpistole unter lautem Geratter den Tisch und damit meine Hoffnungen auseinander nimmt, hier lebend rauszukommen. Ohne Scheiß, wenn ich nach Hause komme, werde ich meine Tochter erstmal dazu überreden, ihn loszuwerden. Aber erst einmal muss ich diese Tussi hier loswerden.

Ich warte, bis sie nachlädt. Dann mache ich einen Satz von hinterm Tisch und rolle mich auf dem Boden ab, um direkt aufzustehen. Ich bin jetzt im Wohnzimmer. Die dunkelgrün gestrichenen Wände verwandeln sich um mich herum in einen verdammten Urwald. Die braunen Polstermöbel explodieren rechts neben mir, links entstehen unzählige Löcher in der Wand und in den Bildern, die an ihr hängen. Zersplitterndes Glas fliegt mir ins Gesicht. Brennender Schmerz zieht sich von meinen Schläfen bis hin zum Kinn. Schnittwunden sind schrecklich. Nach dieser Tortur dürfte der Name "Bubi" erst einmal gestorben sein. Sie schießt durch die Wand, nur ahnend, wo ich sein könnte. Aber sie ist verdammt gut, sie verfehlt mich nur um gefühlte Millimeter, während die komplette Wohnzimmereinrichtung zerstört wird.

Ich bin am anderen Ende des Zimmers angekommen. Ich lehne mich an eine schwere Kommode und denke nach. Von hier aus renne ich ein paar Meter durch den Raum und gelange dann in den Wintergarten. Durch den könnte ich dann ins Gartenareal gelangen, mich gegebenenfalls in den Wald schlagen, der direkt an von Holts Anwesen grenzt. Aber die freie Fläche muss ich erst einmal überleben, und sie würde mich erschießen, bevor ich die ersten zehn Meter hinter mich gebracht hätte. Zurück durchs Haus rennen, durch die Eingangstür, ab ins Auto wäre natürlich das Naheliegendste. Aber dazu müsste ich die Killerbraut und ihre zwei Helfer umbringen. Ach scheiße, die zwei Penner mit den Schrotflinten hatte ich ganz vergessen. Meinen Partner hatten sie direkt erwischt, als wir einen Schritt ins Haus getan hatten. Er liegt jetzt im Eingangsbereich und blutet den Ahornlaminatboden voll.

"Und?", ertönt eine Mezzosopranstimme, die die Raumtemperatur um zehn Grad herunterzukühlen scheint. "Schon genug?"
Mit dem Ärmel wische ich mir Schweiß und Blut aus dem Gesicht, bevor ich "Ich wollte dich grad daselbe fragen." entgegne. Bloß keine Schwäche zeigen, lieber versuchen anhand ihrer Stimme herauszufinden, wo sie jetzt steht. Ich lausche so gut ich kann, aber meine Trommelfelle sind ziemlich mitgenommen nach dem ganzen Geballer.
"Nun, es sieht aus als ob einer von uns hier in einem beschissenen schwarzen Sack herauskommen wird.", sagt sie. Das Klicken eines Feuerzeugs ertönt und Nikotingeruch steigt mir in die Nase. "Und ich werd' den Sack am Kopfende tragen, soviel kann ich dir sagen."
"Warum nicht am Fußende?", frage ich. Shit, ich würde am liebsten jetzt auch eine rauchen. Aber ich hab meiner Frau geschworen, aufzuhören und ziehe das jetzt schon seit drei Wochen erfolgreich durch. Diese •••••••• wird mich nciht dazu bringen, den Schwur zu brechen.
"Weil nur dein Kopf übrig bleiben wird, wenn ich mit dir fertig bin.", kommt es eiskalt zurück. Ich schaue weg von der Wand und drehe meinen Kopf zu den Fenstern des Wohnbereichs. Hinter den weißen Vorhängen, vor dem großen Fenster zum Außenbereich bewegen sich zwei Sillhouetten, allem Anschein nach zwei der Typen, die sie hierher mitgebracht hat.
"Bevor das passiert, werde ich dir deine scheiß Titten zu Klump schießen, glaub' mir!", konter ich und ziele mit den Pistolen auf die beiden Schatten hinter den Vorhängen.
"Ich glaube du verstehst nicht.", fängt sie an und scheint bei jedem Wort, das sie spricht, näherzukommen.
"Ich."
Die beiden Typen haben Schrotgewehre. Fuck. Ich muss schneller sein.
"Werde."
Sie wird hinter mir auftauchen und mich durchlöchern.
"Dich."
Nicht, wenn ich schneller bin. Gedanken rasen schneller als Kugeln. Gleich wird's zum Blutbad kommen und maximal einer wird hier rauskommen, egal wie.
"Zerfetzen."
Scheiße.

Ich krümme die Zeigefinger und schon knallt es mehrere Male hintereinander. Das Fenster fällt unter lautem Klirren in sich zusammen, genauso fallen die beiden Schatten um, nachdem sie spastisch zappelnd eine Ladung Blei abbekommen haben. Einer von ihnen fällt in den Raum hinein und lässt seine Pumpgun aus der Hand gleiten, welche einige Meter über den Parkettboden schlittert, leider nicht in meine Richtung. Der andere kippt stumpf nach hinten auf den Rasen. Ihre Maschinenpistole rattert und ich springe vorwärts in Richtung des zerbrochenen Fensters. Ich verkriech mich hinter einem der zerstörten Sofas, während sie eine türförmige Öffnung in die Wand schießt und durch sie bricht als wäre sie der verfickte Juggernaught. Sie ist eine grazile, schmale Person, mehr kann ich nicht ausmachen, da sie in einer Wolke aus Staub nun ebenfalls nur eine Sillhouette ist. Kugeln pfeifen durch die Luft und schlagen rechts neben mir ein. Ich bin desorientiert und will nur weg. Also hüpfe ich rückwärts zum zerstörten Fenster und der Kampf wird nun in den Wintergarten verlagert, dessen fragile Glasfassade in sich zusammenfällt und ein Meer aus Scherben hinterlässt. Hinter einem Steinofen bleibe ich erst einmal sitzen und lade den Revolver nach. Die Pistole kann ich wegschmeißen. Keine Munition dafür. Fuck, die 9mm-Patronen sind natürlich im Auto. Ich bin so dämlich.

Ich stehe auf, werfe ihr das Stück Scheiße entgegen und vernehme einen kurzen Schmerzensschrei. Hab ich sie getroffen? Ich habe ja nichtmal wirklich gezielt. Lichtblitze zucken im Wohnzimmer, lautes, wiederholtes Knallen ertönt, Funken sprühen am Kachelofen und ich setze mich ruckartig wieder hin und habe nun einen wudnerbaren Blick über das Gartenareal, das so ungefähr drei Hektar groß sein dürfte. Die Sonne geht langsam hinter dem Wäldchen unter, das nun in ein rötliches Licht getaucht wird. Pastellfarben scheint die Luft zu sein, schmecken tut sie nach Blut, Salz, Schwarzpulver. Riechen tut sie nach Rußpartikeln und runtergebrannten Kippen. Der Wald wäre mein Ticket nach Hause, würde ich so weit kommen. Doch nein, ich hab's gerade selbst gesagt: Ich wäre tot, bevor ich einen Schritt auf dem perfekt geschnittenen Englischen Rasen, gesäumt von kunstvoll geschnittenen Hecken und Nussbäumen mit ebenso künstlerisch wertvoll scheinenden Kronen, gemacht hätte. Sie muss sterben. So einfach ist das. Sie muss...

Der Ofen zerbricht hinter mir in einzelteile und etwas trifft mich am Hinterkopf. Das Nachladegräusch einer Schrotflinte ertönt, als ich zu Boden falle. Ich rolle mich zur Seite, während es wieder knallt und ein Krater rechts neben mir entsteht. Grashalme fliegen durch die Luft und in mein Gesicht. Ich stehe so schnell es geht auf und erblicke sie schemenhaft am Rande des Wintergartens, welcher nun nur noch eine Ruine ist – ebenso wie die Inneneinrichtung des Erdgeschosses.

Ich stoße einen lauten Schrei aus und renne in Richtung der Gestalt, reiße sie um und hocke nun auf ihr. Ich boxe ihr drei oder vier Male mitten in die Fresse, bevor ich sehe, wem ich da einschenke: Sie ist höchstens so alt wie meine Tochter. Rote Haare, funkelnde blaue Augen, kindliche Gesichtszüge, ein paar Sommersprossen und schmale Lippen. Eine dicke Kippe im Mund, schaut sie mich eindringlich an und bewegt sich keinen Millimeter, blinzelt nicht ein einziges Mal. Blut läuft aus den Mundwinkeln, unter ihrem linken Auge ist nun ein Veilchen, der Staub von der eingerissenen Wand lässt sie extrem blass wirken. Und jetzt hab ich sie, könnte sie brutal zu Brei prügeln. Ihr die verfickten Augen mit einem Löffel entfernen und sie ihrem Boss schicken. Ich könnte sie übel zurichten wenn ich wollte.
"Was geht ab?", fragt sie und bläst mir blauen Dunst entgegen.
"So einiges, schätze ich.", antworte ich und halte mit meinen Händen ihre Hände fest. Der Griff ist so stark, dass sie hiernach noch blaue Flecken an den Handgelenken haben dürfte. Ebenso nehme ich mal an, dass all das Glas auf dem sie liegt Schnittwunden an ihrem Rücken zur Folge haben wird.
"Was willst du jetzt machen? Mich ficken, mich umbringen, beides?"
"Ich hatte nichts dergleichen vor, das ist nicht mein Stil."
"Was ist denn dein Stil? Ziehst deine Chow Yun-Fat-Nummer ab und verpisst dich dorthin, wo du hergekommen bist?"
"So in etwa. Und du? Was ist dein Stil?"
Wieder nimmt sie einen tiefen Zug von der Zigarette und lässt blauen Rauch aus dem Mund entweichen, während sie sagt: "Verbrannte verfickte Erde."
Dann spuckt sie mir die fast abgebrannte Zigarette mitten is Auge. Funken sprühen, es brennt. Reflexartig lasse ich von ihr ab und halte mir mit den Händen das Auge zu. Sie stößt mich von sich herunter, stürzt sich auf mich und schlägt immer wieder auf mich ein.
Immer.
Wieder.
Gesicht brennt.
Scherben im Rücken.
Für ihre Statur hat sie extrem viel Kraft.
Schlag an den Hals.
Atmung nicht mehr so richtig, ich ich ich.
Wieder.
Der Mond kommt zum Vorschein. Er gibtgibtgibt dem rötlichen Farbton eine bläuliche Note es ist als wäre alles lila.
Sie schlägt wieder zu.
Gott, mach dass.
Es aufhört.
Fuck.
Schicksal gegen meinen Willen.
Schicksal gewinnt.
Mein Sohn liebt es zu malen. Ichwerde ichwerde nicht wissen was ich will wissen wie ich.
Sie lässt von mir ab.
Sie geht einige Schritte zurück.
Sie hebt die Schrotflinte auf.
Sie kommt zurück.
Was ist mit meinen Augen? Sie ist wieder nichts weiter als eine Sillhouette hinter einem Schleier.
Shit.
"Wie ich sagte.", sagt sie. "Einer wird rausgetragen. Einer trägt raus. Dein verdammter Kopf wird mir 50.000 Euro einbringen, weißt du."
Jetzt nur noch rechts. Links blind.
"Das hier ist der Part, den ich am meisten hasse. Der Part, wo ich dir klarmachen muss, warum und weshalb diese ganze...", siestecktsich eine Kippe an, glaube ich, und hockt sie neben mich. Ihre Augen scheinen in der Nacht zu leuchten sosososo wie ihre Zigarette. "... Scheiße halt. Shit, ich wünschte, es müsste nicht sein. Aber weißt du, wenn ich dich leben lassen würde, würden sie mir sagen 'Nee nee, bring' ihn um.'. Und dann würde ich zu dir nach Hause kommen und nicht nur dich umbringen, sondern deine ganze beschissene Familie gleich mit. Ich würde es nicht gern tun, aber der verfickte Boss ist halt ein bisschen eigen in der Hinsicht und ich bin gut in diesem Verbrannte-Erde-Scheiß, also... Ja." Sie steht langsam wieder auf.
Ich spucke etwas Blut aus undweiß ichweiß endlich, wer vor mir steht.

"Wie ein Bluthund, hä?", frage ich unter Schmerzen.
Sie nickt.
"Deshalb... deshalb..."

Ich mach eine kurze Pause, um wieder etwas Blut hochzurotzen.
"Deshalb nennen sie dich den Husky?"
"Verfickt korrekt, Dude."

Bumm.



ihr tut es nicht leid.

mir schon.

it must be
the killing time
unwillingly mine

Defc
02.10.2011, 22:05
Das ist die erste Geschichte, die ich wirklich komplett gelesen habe und tja, ich bin beeindruckt. Mir gefällt der Schreibstil, auch wenn er manchmal etwas schwankt, was aber kaum auffällt.
Werde mir die Geschichte morgen nochmal durchlesen und dann genauer auf die Einzelheiten eingehen, gefällt mir aber, wie gesagt, sehr gut.