Owly
03.07.2011, 13:46
Ein andächtiger Grauschleier wog den jungen Morgen schwer. Nebelschwaden zogen vorbei, während wir eine Landstraße entlangfuhren. Sie waren langsam, wie man es von Nebelschwaden erwartet, doch wir schienen noch langsamer zu sein. Überhaupt schien alles andere einer unnatürlichen Langsamkeit unterworfen und totenstill war es, wie auf dem Weg zu einer Beerdigung.
Es lag kein Salz auf der Straße.
Warum lag kein Salz auf der Straße? Richtig, es war Herbst...
Drei unbekannte Männer, Jelena und ich, wir schwiegen während der Fahrt, allerdings unterschied sich unser Schweigen stark voneinander. Die Unbekannten schwiegen, weil sie keine Rolle spielten, meine ehemalige Freundin schwieg, um die Zukunft vorherzusagen und ich tat es, weil ich es nicht besser wusste, weil alles um mich herum wider besseres Wissen existierte.
Alte Brunnen kann man nicht mehr trocken legen.
Ich besah die Umgebung. Frostbedeckte Wiesen, die sich wie römische Schutzwälle neben uns auftürmten, wurden gelegentlich von den knorrigen Überresten eines Laubwaldes durchbrochen. Kein Ast, kein Grashalm bewegte sich unter der Schwere dieser geisterhaften Atmosphäre. Ich konzentrierte mich auf die Geräusche des Autos, um festzustellen, ob wir tatsächlich fuhren, doch da war nichts. Der Motor war ebenso wenig zu hören, wie die Reifen auf dem rissigen Asphalt. Wenn, dann glitten wir dahin.
Von Leitplanken geschützte Abgründe sind ein Symbol für Superheldentum. So die verformte(?) Erinnerung.
Eine riesige Weidefläche, über und über bedeckt mit verdorrten Trauerkränzen, starrte wie ein untotes Regiment ausgehöhlt in die sinnverwandte Leere des Horizonts, den ich zu meiner Linken vermutete, ohne ihn indes wirklich dort zu wissen.
"Was sollen die Kränze da?" Meine Frage konnte den Bann des allgemeinen Schweigens nicht lösen.
Der Schnitt ist tiefer als die vorigen. Er tut nicht weh. Noch nicht.
Wir waren ausgestiegen, die zwei unbekannten Männer, Jelena und ich, und standen auf einer der Wiesen, die ich eben noch fern, wie aus einer anderen Welt, glaubte. Jelena trug ein langes, weißes Seidenkleid und war dazu barfuß. In ihren Armen hielt sie, eingewickelt in weißem Stoff, der dem ihres Kleids ähnelte, jedoch ungleich plumper wirkte, ein Neugeborenes, dessen Geschlecht ich nicht ausmachen konnte. Wir gingen ein paar Schritte, bis Jelena mit einer Frage an mich die Gesetze der allumfassenden Stille umschrieb:
"Weißt du, was ein Baby in Gefahr tut?"
"Es schreit." Entgegnete ich wie selbstverständlich.
"Falsch!" Schrie sie mich an, zeigte sich aber umgehend wieder beruhigt.
Wir kletterten, Jelena voraus, den zarten Anstieg der Wiese hoch und machten in einer Ecke Halt, die von verwitterten Büschen gesäumt war. Vor uns lag ein kleiner Tümpel mit dreckig grünem Wasser und tief wie die Erde selbst. Jelena kniete vor ihm nieder, packte das erbarmungswürdige Bündel Mensch aus und legte es auf den kalten Boden, sodass sein Kopf über die Kante des Wasserlochs ragte und bereits bis zum vorderen Haaransatz eintauchte, als wollte man es taufen. Mit ihrer linken Hand fixierte sie den Bauch des Säuglings, damit er sich nicht rauswinden konnte, und mit der rechten überstreckte sie seinen Nacken, bis ein dumpfes Knacken zu hören war, wie wenn man mit geschlossenem Mund eine Erdnuss zerkaut. Sein Gesicht war jetzt nur noch als schemenhafte Fratze durch das faulige Wasser zu erkennen und weckte Erinnerungen an Inklusen urtümlicher Insekten. Unter kränklichem Gurgeln füllten sich Lunge und Magen des Kindes mit der Brühe, der es selbst Nahrung sein würde. Es dauerte nicht lange, da zeigte sich die Oberfläche des nassen Grabs wieder beruhigt.
Das Baby schrie nicht.
Es lag kein Salz auf der Straße.
Warum lag kein Salz auf der Straße? Richtig, es war Herbst...
Drei unbekannte Männer, Jelena und ich, wir schwiegen während der Fahrt, allerdings unterschied sich unser Schweigen stark voneinander. Die Unbekannten schwiegen, weil sie keine Rolle spielten, meine ehemalige Freundin schwieg, um die Zukunft vorherzusagen und ich tat es, weil ich es nicht besser wusste, weil alles um mich herum wider besseres Wissen existierte.
Alte Brunnen kann man nicht mehr trocken legen.
Ich besah die Umgebung. Frostbedeckte Wiesen, die sich wie römische Schutzwälle neben uns auftürmten, wurden gelegentlich von den knorrigen Überresten eines Laubwaldes durchbrochen. Kein Ast, kein Grashalm bewegte sich unter der Schwere dieser geisterhaften Atmosphäre. Ich konzentrierte mich auf die Geräusche des Autos, um festzustellen, ob wir tatsächlich fuhren, doch da war nichts. Der Motor war ebenso wenig zu hören, wie die Reifen auf dem rissigen Asphalt. Wenn, dann glitten wir dahin.
Von Leitplanken geschützte Abgründe sind ein Symbol für Superheldentum. So die verformte(?) Erinnerung.
Eine riesige Weidefläche, über und über bedeckt mit verdorrten Trauerkränzen, starrte wie ein untotes Regiment ausgehöhlt in die sinnverwandte Leere des Horizonts, den ich zu meiner Linken vermutete, ohne ihn indes wirklich dort zu wissen.
"Was sollen die Kränze da?" Meine Frage konnte den Bann des allgemeinen Schweigens nicht lösen.
Der Schnitt ist tiefer als die vorigen. Er tut nicht weh. Noch nicht.
Wir waren ausgestiegen, die zwei unbekannten Männer, Jelena und ich, und standen auf einer der Wiesen, die ich eben noch fern, wie aus einer anderen Welt, glaubte. Jelena trug ein langes, weißes Seidenkleid und war dazu barfuß. In ihren Armen hielt sie, eingewickelt in weißem Stoff, der dem ihres Kleids ähnelte, jedoch ungleich plumper wirkte, ein Neugeborenes, dessen Geschlecht ich nicht ausmachen konnte. Wir gingen ein paar Schritte, bis Jelena mit einer Frage an mich die Gesetze der allumfassenden Stille umschrieb:
"Weißt du, was ein Baby in Gefahr tut?"
"Es schreit." Entgegnete ich wie selbstverständlich.
"Falsch!" Schrie sie mich an, zeigte sich aber umgehend wieder beruhigt.
Wir kletterten, Jelena voraus, den zarten Anstieg der Wiese hoch und machten in einer Ecke Halt, die von verwitterten Büschen gesäumt war. Vor uns lag ein kleiner Tümpel mit dreckig grünem Wasser und tief wie die Erde selbst. Jelena kniete vor ihm nieder, packte das erbarmungswürdige Bündel Mensch aus und legte es auf den kalten Boden, sodass sein Kopf über die Kante des Wasserlochs ragte und bereits bis zum vorderen Haaransatz eintauchte, als wollte man es taufen. Mit ihrer linken Hand fixierte sie den Bauch des Säuglings, damit er sich nicht rauswinden konnte, und mit der rechten überstreckte sie seinen Nacken, bis ein dumpfes Knacken zu hören war, wie wenn man mit geschlossenem Mund eine Erdnuss zerkaut. Sein Gesicht war jetzt nur noch als schemenhafte Fratze durch das faulige Wasser zu erkennen und weckte Erinnerungen an Inklusen urtümlicher Insekten. Unter kränklichem Gurgeln füllten sich Lunge und Magen des Kindes mit der Brühe, der es selbst Nahrung sein würde. Es dauerte nicht lange, da zeigte sich die Oberfläche des nassen Grabs wieder beruhigt.
Das Baby schrie nicht.