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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Literatur (Kurzgeschichte) Aesthetics of Disgust



Clodia
26.06.2011, 23:18
hallo ^^

ich habe letztens, nach langer zeit, endlich mal wieder etwas geschrieben und soeben bemerkt, dass es in diesem forum eine kategorie für selbstgeschriebene werke gibt ... also dachte ich, veröffentliche ich sie doch hier.
über meinungen würde ich mich sehr freuen ^^ mich würde vor allem interessieren, wie die geschichte wirkt.

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Zwei Gesichter und engumschlungene Gedanken im gläsernen Spiegel, eine glänzende, entstellte Fratze mit glitzernden Zähnen aus Gleichgültigkeit und Genugtuung. Faszination eines Abgrundes, eines Kellerraumes mit tropfenden, kahlen Wänden, grau und kalt und einfach wundervoll.
In der Mitte ein kleiner Tisch mit abgenutzter Arbeitsfläche, verblichen und knöchrig in glänzendem Licht einer unsichtbaren Sonne, dem Auge der Gier, dem Fenster einer vergangenen Möglichkeit zu entkommen.
Hier wirst auf ewig du in deinem eigenen Blut dich wälzen, verloren und vergessen von all denen, die einst deinen Namen kannten. An jenem Ort, der dir ein verbissenes Lächeln auf die Lippen brennt und deine Seele in den Himmel erhebt, den niemals jemand wieder verlassen konnte. Hier, in diesem Gebilde aus Furcht und Vollkommenheit.

Ein schreiender, sich in wirrer Verzweiflung windender Körper auf einer steinernen Liege, dargeboten dem Zerfall und der Vergänglichkeit eines letzten verstreichenden Herzschlages, auf den viele, tausende folgen werden. Regennasse Wände eines Raumes, abgeschottet jeglicher Zivilisation, jedweden Gefühles, außer des brüllenden Echos seiner brüchigen Stimme, das in der faulen Wand verschwindet. Keine Tür, kein Fenster, Dunkelheit, Einsamkeit, Herzschlag.
Vergisst du nun, wer du einst gewesen bist? Verdrängst du nun die flammende Erinnerung, die deine Eingeweide zerfleischt und dem Getier ein Aufgebot an frischem Futter zu bieten vermag? Langsam und zaghaft, der zögernde Aufschrei, die vergebliche Aufbäumung. Ein Finger, zuckend, in blinder Hoffnung, in Eiseskälte unsichtbare Zeichen auf die Liege malend, während dein bebender Körper die Fähigkeit verliert, zu fühlen.
Beklommen und verstört betrachtest du die überwältigende, endlose Dunkelheit, die dein Urteilsvermögen trübt, und eine schwarze Grimasse weicht einem verzerrten Lachen auf deinen spröden Lippen. Du verstehst, nicht wahr? Nun verstehst du.
Der Sinn deines Aufenthaltes, so unerträglich wie unausweichlich, so nutzvoll wie furchteinflößend, beruhigend und beängstigend, entzieht sich allem, dem du dich zu stellen bereit erklärst. Du verstehst und wirst nie verstehen, und verrotten. Ohne Rettung, ohne Hoffnung, einsam und lachend.
Blitzende Zähne in weißem Hoffnungsschimmer, entzündete Handgelenke, eingebettet in scharfem, kaltem Metall, Schorf auf deinen Fußgelenken, Blut und Eiter verteilt auf dem Rest deines Körpers, gerinnend und fließend. Nackt.
Du schreist nicht mehr. Wie viel Zeit mag vergangen sein?
Hörst du auch die Schritte außerhalb deiner Realität? Sie verspotten dich und werden für immer vorbeigehen, ganz nahe, so fern und unerreichbar. So nahe.
Den Blick nach vorne gerichtet misstraust du deiner selbst und beginnst, den Stimmen zu glauben, die du nicht hören kannst. Strecke deine Arme gen Decke, Wassertropfen, reinigend dich deiner erbärmlichen Gedanken voller Hass und Vereitelung eines Sinnes. Das Blut rinnt langsam, sanft, seicht hinab deiner Waden, sammelt sich in einem unersättlichen See.
Verleugne dich nicht mehr. Deine Existenz ist notwendig und wird sterben. Du willst jemanden warnen? Ihn? Fandest du dies in dem letzten Tümpel deiner entrinnenden, verdorbenen Seele? Blut und Eiter.
Das zweite Gesicht des Spiegels lacht in Ekstase. Es ist nun das erste und einzige.
Und das ist deine Schuld.

Das fahle Mondlicht schenkt einem reglosen Körper einen Hauch von Lebendigkeit, scheppernde Ketten, die nichts ihrer wahren Gesinnung preiszugeben bereit sind und in Harmonie, moosbewachsen und käferdurchkreucht, in stummem Tod an seinen Händen ruhen.
Vergessenheit umspielt den Zweck seiner Existenz. Schimmerndes Metall in Tiefrot.
Überlege dir gut, ob du irgendetwas weißt. Überlege dir gut, ob du irgendetwas wissen willst. Oder kannst du nicht?
Dein wissendes Lächeln straft deiner Gedanken Lügen, auf ein Neues und immer wieder und nie mehr.

Bräunlich verfärbte Fingerkuppen im Suhle einer schlammigen Pfütze, Maden mit gesättigtem, fettem, sich windendem Körper in blutgetränkten Fetzen einer einstigen Hand, zerfallen und verrottet im Wandel der Zeit, die schneller vergeht, die dich in sich aufzunehmen vermag und dich verspottet, die dich täuscht, die nicht tatsächlich besteht. Hier ist nichts so, wie es sein sollte, nicht wahr? Wahrheit lässt sich nicht betrügen, eine Sonne ist nicht ausreichend, ist wertlos; ein Antlitz im Spiegelbild einer Illusion.
Gewürm in zerfallenen Augenhöhlen mit längst getrocknetem, schmutzigem Rot, ein aufgeregter Blick, eingefangen in unbewegtem Tod eines halbverwesten Auges auf dem Boden. Zertreten und wachsam.
Hierher zurückzukehren ist töricht, gar gefahrvoll, und dennoch unausweichlich. Dich sonnend in deiner Selbstsicherheit eines verbrannten und verbannten Mondes wirst du niemals vergessen, wirst du dich niemals erinnern. All das wird vergehen und niemals wird ein Sonnenstrahl diesen Raum mit Leben erfüllen, ein Ort der Verdammnis, deine Augen glitzern in inbrünstiger Euphorie. Ein hinterhältiges Lächeln, ein schäumendes Grinsen, ein ohrenbetäubendes Gelächter, abprallend an zerfallenden, brüchigen Wänden aus altem, verbrauchtem Stein.
Nichts liegt hinter dem ursprünglich undurchdringbaren Fels. Absolut nichts.
Keine Sonne.
Kein Mond.
Du hast gewonnen. Anderenfalls wärst du nicht einmal an diesem Ort, nicht wahr? Anderenfalls hättest du diesen Ort nicht finden können, nirgendwo. Ob du ihn wieder verlassen wirst?

Andächtig streichen feingliedrige Fingerspitzen über ein verfaultes, schimmelndes Gerüst aus totem Fleisch. Aufgeregte Augen in funkelnder Begeisterung erfassen jeden Zentimeter des einst menschlichen Gehäuses, ohne Ekel, ohne Furcht, ohne die Gewissheit über den Sinn zu verlieren. Ein Sinn, verloren und versteckt, und nur du bist noch imstande, ihn zu erkennen und zu nutzen, zu vergessen und immer nach seinem Zweck zu leben, ein eigenständiges Empfinden von Freiheit und Unbeschwertheit.
Unausweichlichkeit.

Du wendest dich, überzeugt deines Erfolges, deiner Aufgabe entlastet, der Tür zu, ein Lachen, erneut, ein raues Lachen aus einer trockenen Kehle, tief und kräftig.
Niemals hat es eine Tür gegeben. Niemals ein Fenster. Die Wände sind kräftig und kalt, stabil, fest, ranken sich entlang einer unsichtbaren Mauer aus versteinerter Ewigkeit.
Die kalte Grimasse auf deinen Lippen verlässt die Gefilde deiner Wahrnehmung. Deine Hände werden taub, die Finger spreizen sich unwillkürlich, deine Augen, verschwommen, verlieren die Sicht, die Dunkelheit umhüllt das Herz, dessen Gewinn unabwendbar ist, dein Entschluss verdirbt eine Niederlage.
Ein scharfer Blick, ein letztes eindringliches Flehen, unnütz, verloren, allein.
Ein gutes Ende mit erschütternder Eindringlichkeit.
Nun kannst du alles tun.

Die Fingerspitzern verlassen selbstbewusst die vereiste Erinnerung an etwas, das du in kürzester Zeit vergessen haben wirst. In dir selbst verschluckt, in dir vergraben. Ein Fleck, rein und weiß wie eine Lilie des Todes.
Noch ein letztes Mal betrachtest du das Antlitz, das einst den Spiegel mit dem deinen zu teilen vermochte. Ein letzter Blick auf das Gesicht, bis zur Unkenntlichkeit verdorrt.
Nur du weißt, wie er einst aussah. Nur du, und für immer wirst du darüber lachen. Es ist dein Geheimnis, auf ewig.

Desinteressiert tragen dich deine Beine hinaus, durch die Tür, die nicht existiert. Das zweite Mal. Oder das dritte?
Wie oft bist du bereits hier gewesen?
Warst du jemals hier?

Wie spät ist es eigentlich…?



Zufrieden wachte der junge Mann in einem geräumigen, hellen Hotelzimmer auf. Er hatte gut geschlafen und einen aufregenden Tag vor sich, immerhin war dies sein erster Urlaub seit mindestens vier Jahren.
Deswegen zögerte er nicht lange, gab sich nicht der allmorgendlichen Angewohnheit hin, sich wieder umzudrehen und weiterzuschlafen und schwang die Decke zurück, schlüpfte danach in seine Hausschuhe.
Das Badezimmer war ebenso geräumig und hell, ziemlich schlicht eingerichtet und dennoch wirkte es einladend, die großen Fenster ließen die Morgensonne den ganzen Raum erstrahlen und die Verzierungen an der Badewanne und dem Waschbecken in voller Schönheit zur Geltung kommen. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, ein unbeschwertes, fröhliches Lächeln, er fühlte sich wohl und hatte mit diesem Hotel definitiv nicht danebengegriffen.
Er öffnete den Wasserhahn, spritzte sich eine Ladung eiskaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete daraufhin eingehend sein Spiegelbild.
Sein Lächeln schwand.
Zweifellos war der riesige Sprung gestern noch nicht da gewesen.
Dadurch schien sein Gesicht auf eine seltsame Art und Weise zwiegespalten. Das Bild, was sich ihm so offenbarte, mutete seltsam an, nicht wie ein normal verzogenes Gesicht in einem zersprungenen Spiegel. Die eine Hälfte schien verschwommen und er vermochte sich beim besten Willen nicht in diesem Wirrwarr aus verwischten Konturen zu erkennen. Nicht einmal die Farben stimmten, sie schienen viel blasser, beinahe, als seien dort gar keine Farben.
Die andere Seite hingegen zeigte ganz deutlich sein Gesicht, und die genaue Betrachtung desselben ließ ihn erschrocken zurückfahren.
Dieses Gesicht… eindeutig war das er. Aber das war nicht seine Mimik. Niemals hatte er sich selbst mit einem solchen Ausdruck gesehen, und es schauderte ihn.
Ein verzerrtes, diabolisch wirkendes Lachen zierte die viel zu klaren Züge dieser Hälfte seines Spiegelbildes. Die Augen sprühten voller Ekstase, die Farben waren intensiv, beinahe grell. Er fand diesen Gedanken lächerlich, aber es schien fast so, als lachte dieses Bild ihn aus.
Doch …
Trotz des aufkeimenden Unbehagens konnte der Mann den Blick nicht von diesem Spiegel lösen, starrte wie gebannt auf diesen Zwiespalt, auf das, was eigentlich nicht existieren konnte. Egal, wie er den Kopf auch drehte, das Spiegelbild blieb gleich, als sei die Zeit stehen geblieben.
Nicht mehr lange hielt er dieser unheimlichen Begegnung stand und bewegte sich letztendlich fluchtartig aus diesem Raum, der plötzlich gar nicht mehr so einladend und freundlich wirkte. Was… was war das bloß gewesen? Seine Gedanken überschlugen sich, sein Herz raste und unsicher ließ er sich auf seinem Bett nieder, den Blick noch immer starr zur Badezimmertür gerichtet. Das musste er sich doch eingebildet haben, das konnte nicht …
Nachdem er sich einige Minuten nicht bewegt hatte, sein Kreislauf wieder etwas heruntergefahren war und er sich noch einmal alles hatte durch den Kopf gehen lassen, beschloss er ziemlich schnell und kompromisslos, diese … Sache als Einbildung abzustempeln. Was konnte es auch anderes gewesen sein? Sicherlich lag es nur daran, dass er doch noch sehr müde war, außerdem lag seine Brille noch auf seinem Nachtschrank. Eine andere Erklärung konnte es nicht geben und damit war die Sache ziemlich schnell für ihn erledigt.
Trotzdem entschloss er sich dazu, dieses Zimmer von nun an zu meiden. Schnell wählte er die Nummer der Rezeption und beschwerte sich über Kakerlaken in seinem Bad.

Ohne Augen können Dinge nicht gesehen werden. Doch nicht jedes Auge ist imstande, dieselben Dinge zu erkennen, zu erfassen oder zu begreifen, manche Dinge, unsichtbar für den einen, bedeutsam, bestimmend für den anderen, tödlich, erfüllend.
Ein leerer Spiegel für eine unwissende Putzfrau, einen nächsten, einen übernächsten Gast, ein junges Mädchen, eine alte Frau, einen Hund, einen Blinden.
Wieso nicht gehst du erneut in dieses Zimmer und erkennst, dass sich dein Spiegelbild nicht mit dir entfernte? Bist du nicht bereit, das Gelächter zu vernehmen? Bist du nicht bereit zu lachen?
Vielleicht morgen? Vielleicht …
Verschwommene Konturen fließen langsam aus dem Spiegel heraus, fließen zu Boden. Du kannst ihn nicht vergessen. Du willst ihn vergessen. Du wirst ihn vergessen, doch es ist unmöglich, unabwendbar und dennoch…
Augen auf deinem Körper, die du nie bemerken wirst. Und du weißt, dass sie da sind.

Zufrieden wachte der junge Mann in einem geräumigen, hellen Hotelzimmer auf. Er hatte gut geschlafen und einen aufregenden Tag vor sich, immerhin war dies sein erster Urlaub seit mindestens vier Jahren.
Deswegen zögerte er nicht lange, gab sich nicht der allmorgendlichen Angewohnheit hin, sich wieder umzudrehen und weiterzuschlafen und schwang die Decke zurück, schlüpfte danach in seine Hausschuhe.
Das Badezimmer war ebenso geräumig und hell, ziemlich schlicht eingerichtet und dennoch wirkte es einladend, die großen Fenster ließen die Morgensonne den ganzen Raum erstrahlen und die Verzierungen an der Badewanne und dem Waschbecken in voller Schönheit zur Geltung kommen. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, ein unbeschwertes, fröhliches Lächeln, er fühlte sich wohl und hatte mit diesem Hotel definitiv nicht danebengegriffen.
Er öffnete den Wasserhahn, spritzte sich eine Ladung eiskaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete daraufhin eingehend sein Spiegelbild.
Sein Lächeln schwand.
Es war nicht zu fassen, zwar sah er sich jeden Morgen im Spiegel, doch nie hatte er sich daran gewöhnen können, morgens so verknautscht auszusehen. Augenringe, wirre Haarsträhnen, winzige Augen, und da klebte doch tatsächlich noch ein Rest Kaffee vom Vortag an seinem Mundwinkel. Kopfschüttelnd schlug er sich die zweite Ladung Wasser ins Gesicht und beschloss, die kleine und dennoch hübsch anzusehende Badewanne auszuprobieren.

Niemand beobachtete ihn dabei. Er war allein. Völlig allein.
Hast du vergessen, dass du dich selbst getötet hast?
Gleichgültigkeit und Genugtuung.
Die Tür, die nicht existiert, ist offen.