PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Literatur Böse Bullen



T.U.F.K.A.S.
21.03.2011, 10:34
Sie ist kühl kalkulierend und hat eine fatalistische Weltansicht.
Er ist ein rassistisches Arschloch und entlädt seinen allgemeinen Unmut an seiner Umwelt.

Sie sind beide hart im Nehmen und die härtesten Cops der Stadt (behaupten sie zumindest). Doch als es vermehrt zu Morden im Rotlichtmilieu kommt, gelangen beide schneller an ihre Grenzen, als ihnen lieb ist.

Wenn zwei destruktive, unbarmherzige Individuen einer Neo-Nazi-Truppe den Kampf ansagen, brennt die Luft in der Hansestadt Hamburg und Umgebung. Und eine Frage wird offengelegt: Wer ist schlimmer? Der Verbrecher oder der Gesetzeshüter, der sich wie ein Verbrecher verhält?

P R O L O G I - Die Geisel ist frei.
Blut tropfte vom Dach des demolierten VW Golf. Unter der Wucht des eben auf ihn gefallenen Objekts war das Dach des PKW eingedrückt worden. Die Fenster waren gesplittert. Die Scherben lagen um das Fahrzeug herum und reflektierten das dumpfe Licht der Straßenlaterne ebenso dumpf in die Richtung des dunkelblauen Golfs. Das Objekt, welches das Vehikel so zerträmmert hatte, war circa 1,80 Meter groß, 80 Kilo schwer und an einen Stuhl gefesselt gewesen. Das war es zumindest, bevor es unter lautem Knallen aus dem siebten Stock des Hochhauses katapultiert wurde, vor dem der Wagen stand. Jetzt war es in drei Stücke á 50 Zentimeter und 20 Kilo zerrissen und lag quer verstreut auf dem hässlichsten Auto, das in dieser Straße stand. Es war ein Bankierssohn gewesen, welcher für 5 Millionen Euro freigepresst werden sollte. Aber irgendetwas lief schief.

"Diese verblödete Ostblock-Tussi hat ihn umgebracht! Haben Sie das gesehen?".
Kriminalhauptkomissar Drews tobte vor Wut und warf den Mocca Latte im Pappbecher, den ihn ein Streifenpolizist vor einer Minute in die Hand gedrückt hatte, quer über die Schanzenstraße. Er hatte fast 8 Stunden lang mit den Geiselnehmern verhandelt, um Frederik von Holdt aus seiner Gefangennahme zu befreien. Er hatte sie fast soweit gehabt, dass sie ihn freigelassen hätten für vergleichsweise schlappe 2 Millionen Euro. Allerdings gab es missverständliche Anweisungen für das Eingreifteam, das sich ein paar Räume von den Geiselnehmern entfernt bereit gemacht hatte.

"Welchen Teil von 'Nicht eingreifen!' haben diese Vollidioten nicht verstanden?", schrie er.
Sein Kollege, ebenfalls Kriminalhauptkomissar, sah ihn an und hielt es für eine gute Idee, auf die rhetorische Frage "Vielleicht 'Nicht'?" zu antworten. Die Zornesröte in Drews' vor akkutem Schlafmangel aufgedunsenem Gesicht wich einer zarten Blässe, seine passive Agressivität wich wiederum aktiver Agressivität und er sprang seinen Kollegen unter lautem Geschrei an, wodurch beide zu Boden stürzten.

Zehn Minuten zuvor sah die Welt für Drews noch anders aus. Ein Eingreifteam unter der Leitung der frisch gebackenen Kriminalkomissarin Galina Dragunova machte sich im Eingangsflur, auf welchem sich die Tür zur besetzten Wohnung befand, bereit für eine eventuelle Berfreiungsaktion. Galina war als Einzige in zivil gekleidet: Hauteng anliegende Lederjacke mit Fellkragen, darunter ein Feinrip-Unterhemd, das sie ihrem Freund "entwendet" hatte, eine etwas eingelaufene, verwaschene Armeehose und leicht abgetragene Armeestiefel, die vorher ihrer Mutter gehört hatten. Sie strich sich mit den Fingern durch die schulterlangen blonden Haare, während sie mit angezündeter Zigarette im Mund ihre Dienstwaffe überprüfte: 15 Schuss im Magazin, Patronenlager frei, gesichert. Sie steckte das Magazin in die dafür vorgesehene Öffnung, zog am Schlitten der Waffe und ließ ihn nach vorne schnellen. Die Waffe war fertig geladen. Sie zog an der Zigarette, sicherte die Pistole und steckte sie zurück in den von ihrer Jacke verdeckten Schulterholster unter der linken Achsel, während der Rest des Eingreifteams die Kevlarwesten überzog, die Maschinenpistolen vom Typ Heckler & Koch MP7 durchlud und auf das Funkzeichen des Kriminalhauptkomissars wartete.

"Frau Dragunova?", flüsterte einer der Beamten. Er war ein etwa 20 Jahre alter, frisch gebackener Beamter des mittleren Dienstes, der wohl zum ersten Mal in einer brenzligen Situation war. Galina schlich zu ihm hinüber und nickte, um ihm zu signalisieren, dass sie zuhörte.
"Ich habe Mordsschiss.", sagte er und senkte dabei leicht den Kopf.
"Kein Ding, hab' ich auch.", erwiderte Galina mit einem milden Grinsen. Ihre rauchige Mezzosopran-Stimme schien die Temperatur im Gang 10 Grad kühler werden zu lassen.
"Was ist, wenn Drews sagt, wir sollen eingreifen? Ich habe noch nie auf einen Menschen geschossen, geschweige denn ihm Waffengewalt angedroht!", sinnierte der junge Beamte und fing an zu zittern. "Ich war nur hier in der Nähe und habe ganz normal Streife gefahren, und plötzlich hieß es über Funk..."
Galina fasste ihn sanft an der Schulter an. "Ganz ruhig. Alles wird gut laufen. Wir werden die Geisel schon befreien, okay?", sagte sie im zuversichtlichen Ton. Der Beamte nickte und wollte gerade etwas sagen, als das portable Funkgerät in Galinas Jackentasche zu knistern begann. Schnell wie sie konnte, fummelte sie das klobige Gerät aus der Tasche und lauschte.
"Krrrrzzz... eingreif... Krrrrrz... greife, ich wieder... Krrrzzz...". Das starke Rauschen unterdrückte jedes gesprochene Wort. "Hui, bljad!", fluchte Galina leise auf russisch und sprach ins Funkgerät: "EG Gamma an EG Alpha, bitte wiederholen, kommen!"
"E... Krrrzzz... Gamma... Krrrrrzzzz... eingreifen!"
Sie wiederholte: "EG Gamma an EG Alpha, bitte wiederholen Sie, kommen!"
"E... Krrrzzz... ich wiederho... Krrrrrzzzz... eingreifen!"
Unentschlossen, was zu tun war, dachte sie nach: Entweder forderte sie Drews noch einmal auf, den Spruch zu wiederholen, um höchstwahrscheinlich wieder nur starkes Rauschen und undefinierbare Sprachfetzen zu hören. Oder...
"Okay, Jungs, es geht los!", sagte sie enthusiastisch und zog die Pistole aus dem Holster. Die fünf Beamten in Kevlarwesten stellten sich in einer Linie hinter sie und folgten ihr den Gang hinunter.

Die Tür mit der Nummer 753 sollte die Wohnung sein, in welcher die Geiselnehmer samt Geisel Stellung bezogen hatten. Leise, wie es auf dem pissgelben PVC-Boden des Flurs ebend möglich war, und mit vorgehaltenen Waffen ging das Kommando zielstrebig den Gang herunter. Dieses Haus, ein Altbau, war früher ein Hotel gewesen und sollte eigentlich in zwei Wochen abgerissen werden. Allerdings hatten sich erst eine Kommune 1-artige Gemeinschaft und danach die Geiselnehmer hier einquartiert. Dementsprechend fiel der Termin bis vor kurzem flach. Es war ein komisches Gefühl für Galina, durch ein Haus zu gehen, das demnächst nicht mehr stehen würde in all seiner Hässlichkeit.

Sie kamen bei der Tür an, die sich am Ende des Ganges befand. "753. War da nicht was Geschichtliches?", fragte der immer noch ängstliche junge Beamte flüsternd nach hinten zu anderen Polizisten. Galina drehte sich zu ihm und machte "Pscht.". Die Verbrecher und die Polizisten trennten lediglich eine zwanzig Zentimeter dicke Buchenholztür. Von drinnen konnte man lautes Gefluche hören. Es war wahrscheinlich der Chef der Geiselnehmertruppe, welcher telefonisch mit Komissar Drews die Bedingungen für die Freilassung des Bankierssohns aushandelte. Dieser wiederum wimmerte lautstark um sein Leben.

"Bitte, mein Vater hat Geld. Verdammt scheiße viel Geld und er wird Ihnen alles zahlen, wenn Sie mich hier rauslassen! Kommen Sie schon...!"
"Ohne Scheiß, ich schieß' ihm 'ne Ladung Blei in sein Bonzengesicht wenn er so weitermacht!", schrie ein anderer Typ, der ebenfalls im Raum war. Laut Galinas Wissensstand waren sechs Verbrecher im Raum, allesamt aktenkundige Schwerkriminelle und bis an die Zähne bewaffnet mit Schusswaffen aller Art. Sie entschloss sich, noch einen Augenblick abzuwarten, bevor sie mit dem Eingreifteam den Raum stürmen würde.

"Oh Gott, nein! Bitte nicht, bitte nicht!", rief die Geisel im resignierenden Ton.
"Du wirst niemanden hier erschießen, Alter!", ertönte eine weitere Stimme im Raum, die weder dem Chef noch dem Schießwütigen gehörte.
"Fuck this!", rief der Schießwütige. Das Geräusch einer Waffe, die durchgeladen wurde, war zu hören. "Dieser ••••••• geht mir auf die Nerven!"
"Hör auf!", erwiderte der Chef und lud allem Anschein nach nun selbst seine Pistole fertig; bereit, seinen Kumpanen zu erschießen.
In diesem Augenblick trat Galina mit vorgehaltener Waffe die Tür ein.
"Polizei! Waffen we...!", fing sie an, lautstark ihre Präsenz anzukündigen, als der Schießwütige, der direkt vor der Tür – also jetzt vor ihr – stand, sich umdrehte und Galina eine Schrotflinte ins Gesicht hielt.
Sie krümmte den Abzug ihrer Dienstwaffe.
Wie ein nasser Sack ging er zu Boden, in seiner Stirn ein klaffendes Loch. Wild um sich schießend, gaben die restlichen Verbrecher ihrem Unmut darüber Ausdruck. Sie hechtete in den dunklen, modrig riechenden Raum hinein und fand hinter einem mit Plastikplane überzogenen Sofa Deckung, während der Rest des Eingreifkommandos im Flur Deckung suchten. Der Neue war während ihres Hechtsprungs niedergestreckt worden und rührte sich nicht mehr. Ihr Blick war auf seine Leiche fixiert, während hinter ihr zahllose Kugeln ins Sofa gepumpt wurden. Wie durch ein Wunder traten die Kugeln lediglich links und rechts neben ihr durch die Couch aus, sodass sie unverletzt blieb.

In all dem Chaos knarzt das Funkgerät, welches aus ihrer Tasche auf den Boden gefallen war. Die Polizisten im Flur geben Schüsse auf die Verbrecher ab. Beide Partein schrein sich gegenseitig Anweisungen zu. Dann hält eine kurze Stille Einzug ins Geschehen. Leere Magazine fallen lautstark hinter Galinas Deckung auf den Teppichboden. Wütend über die Gesamtsituation springt sie auf und zielt blindlings auf die Silhouetten der Gangster. Sanfter Mondschein erleuchtet in diesem Augenblick den Raum durch die zerschossenen Fensterläden. Die vergilbten Fensterscheiben und der Jahrzehnte alte Staub färben das Zimmer für diese Zeit in einem zartgelben Ton ein.
Galina Alexandrowna Dragunova. Angeblich über fünf bis sechs Ecken verwandt mit Jewgeni Dragunow. Russischer Waffenhersteller. Er entwarf eines der populärsten Scharfschützengewhre der Welt auf Basis des AK 47-Chassis. Bekannt für seine Präzision und Reichweite. War in einigen Egoshootern vertreten. Sie hasst Waffengewalt. Sie will sie nicht anwenden. Gelb ist ihre Lieblingsfarbe. Erinnert sie an ihre Heimat. Warum? Wenn sie es selbst wüsste...

Der erste Schuss aus ihrer P8-Pistole bricht die Stille und streckt den ersten Geiselnehmer nieder. Während sie nach rechts rennt, um hinter einer halbvergammelten Kommode Deckung zu suchen, erschießt sie einen Mann mit zwei Bauchschüssen. Nach einigen Augenblicken hinter dem Schrank rennt sie weiter, während sie blind das Feuer auf die Verbrecher eröffnet. Lautes Geschrei wird übertönt durch die donnernden Salven aus ihrer Pistole. Sie hechtet in Richtung der Geiselnehmer, die kopflos durch den Raum vor ihr wegrennen. Einer möchte durch den Flur fliehen und wird brutal von den immernoch dort wartenden Polizisten erschossen. Die restlichen zwei Männer eröffnen das Feuer auf das Eingreifteam, während Galina hinter einem umgekippten Couchtisch vor dem zerschossenen Sofa auf dem Rücken liegt und ihre Waffe nachlädt. Sie schaut nach links. Direkt vor dem größten Fenster des Zimmer sitzt der gefesselte und mit einer Augenbinde versehene Frederik von Holdt auf einem einfachen Holzstuhl und schreit sich die Seele aus dem Leib. Er ist im Anzug gekleidet. Dunkle Jacke und Hose, Lackschuhe. Blut läuft seine Mundwinkel hinunter und verteilt sich tröpfchenweise auf seinem weißen Hemd, während er wild seinen Kopf in alle Richtungen schleudert und nach Hilfe schreit. Apokalyptisches Chaos umringt ihn. Wieder Herrin ihrer Sinne, steht Galina auf und erschießt ohne große Anstrenungen die zwei verbleibenden Geiselnehmer, welche immernoch mit dem Eingreifteam beschäftigt waren. Nachdem die beiden zu Boden gesunken sind, atmet Galina erleichtert aus, setzt sich auf die plastikfolierte Couch und fährt sich mit den Händen durch ihr Gesicht.

"Scheiße.", entfuhr es ihr. Sieben Tote innerhalb von nicht einmal zwei Minuten. Das alles wegen eines Typs, der laut Medienberichten im großen Stil Drogen konsumierte und verkaufte, eine Prostituierte vergewaltigt hatte und im Allgemeinen nicht gerade das hatte, was man einen guten Ruf nennen würde. Sie fixierte ihn stillschweigend, während ihn einer der Kollegen vom Eingreifteam die Fesseln abzunehmen versuchte. In diesem Moment flog eine Tür auf, die sie übersehen hatte. Aus dem Badezimmer, dessen Durchgang sich links von der Eingangstür der Wohnung befand, rannte ein Mann, dessen körperliche Einzelheiten Galina wegen der diffusen Lichtverhältnisse nicht einschätzen konnte, laut schreiend auf die Geisel zu, eine Schrotflinte im Anschlag. Blitzschnell hechtete Galina vom Sofa herunter auf die Seite, um schnellstmöglich einen gut platzierten Schuss auf den Angreifer abgeben zu können. Sie traf ihn in die Kniescheiben. Laut fluchend stürzte die Silhouette zu Boden, allerdings nicht, ohne einen Schuss aus der Schrotflinte abzugeben.

Wenn ein Schuss aus einer derartig wuchtigen Waffe aus einem Abstand von circa vier Metern auf eine Person von mittlerer Statur (und zudem in sitzender Haltung) abgefeuert wird, passiert folgendes: Die Person wird – aufgrund besagter Wucht – von den Füßen gerissen. Der Ort, an welchem die Projektile einschlagen nennt man "Trefferzone". Alle sich dort befindenden Organe, Muskeln etc. werden in eine breiige Masse verwandelt und teilweise mitsamt einer roten Wolke aus Körperflüssigkeit – umgangssprachlich "Blutfontäne" genannt – nach hinten und vorne aus dem Körper herauskatapultiert. Die Person wird alles mitbekommen und über kurz oder lang vor lauter Schmerzen ohnmächtig werden. Allerdings kann es auch sein, dass sie während ihres Fluges aus einem Fenster im siebten Stock ohnmächtig wird, weil jeglicher Sinn für Schwerkraft ausgeschaltet wird. Den finalen Todesstoß versetzt eine unsanfte Landung auf dem Dach eines scheiße hässlichen VW Golf, Baujahr '94.

Mit diesen Bildern im Kopf erschoss Galina den am Boden liegenden Angreifer mit mehreren Schüssen in den Rücken und spuckte die abgebrannte Zigarette, die immernoch in ihrem Mundwinkel hing, auf seine Leiche.

"Hey!", schrie jemand von unten. Sie stand langsam auf, trat zum Fenster und sah hinunter. Dort standen ein paar Dutzend Streifenpolizisten. Die Leichenteile von Frederik von Holdt wurden von dem Autodach, auf dem sie gelandet waren (als sie noch in einem Stück gewesen waren), von Männern in weißen Kitteln heruntergesammelt. Gebannt blickten Galina ungefähr zwanzig Augenpaare an. Voll mit Hass, Unverständnis, Enttäuschung.
Komissar Drews hielt ein Megaphon vor seinen Mund und Galina verstand nur noch, wie er mit zynischem Unterton diese sechs Worte sagte, die vorerst ihre Karriere bei der Kripo auf Eis legen sollten.

"Gut gemacht! Die Geisel ist frei!"

All das spielt sich mal wieder vor ihrem geistigen Auge ab, als sie, nur in Unterwäsche und einem Ramones-T-Shirt gekleidet, zuhause auf der Couch liegt und lethargisch auf den Fernseher schaut, in dem irgendeine uninteressante Kochshow läuft. Ihr fester Freund steht hinter der Couch und schaut sie an. Er wird gleich die Wohnung verlassen, um zur Arbeit zu gehen.

"Das hätte jedem passieren können.", brummt er in versöhnlichem Tonfall.

Keine tröstenden Worte, wenn man bedachte, dass sie seit zwei Monaten zwangsbeurlaubt und immer noch traumatisiert war.

"Ich meine: Deinen Job bist du ja nicht los. Du bist nur im Urlaub – erstmal."

Zwangsbeurlaubt wegen Befehlsverweigerung. Der Fakt, dass der Funkkontakt recht mangelhaft war während der Operation, milderte die ganze Sache zwar etwas ab. Aber trotzdem blieb weiterhin der andere, essentielle Fakt stehen – nämlich, dass die Geisel, die sie befreien sollte, und ein Kollege des Eingreifteams tot waren.

"Bald kannst du wieder auf Arschlochjagd gehen und brauchst dir keine Gedanken zu machen. Okay?"

Nein, nicht okay. Trotzdem nickt sie. Er küsst sie kurz auf die Stirn und geht zur Tür hinaus.

"Bis nachher. Lieb' dich!"

Sie winkt ihm halbherzig hinterher. Die Tür knallt zu und sie kann sich nun wieder voll und ganz auf das beschissene Fernsehprogramm konzentrieren.


P R O L O G II – Das Trio.
"Schätze, das müsste er sein."
Er sieht sich nach hinten hin um und streicht sich über den angegrauten Drei-Tage-Bart. Dann wendet er sich wieder seinem Gegenüber zu und nimmt einen Schluck aus der Bierflasche.
"Sicher?", fragt er und stellt die Flasche behutsam zurück auf den Tresen, an dem sie auf abgeranzten Barhockern sitzen.
"Hab' ich dich jemals angelogen, was sowas angeht?"
"Nein. Aber ich würde es begrüßen, wenn du dir hunderprozentig sicher bist. Ich muss wissen, ob ich den Richtigen schnappe oder nicht."
Jetzt dreht sich der Informant kurz um und betrachtet noch einmal den Typen, der mit zwei Kumpels an einem kleinen Teakholz-Tisch in der von ihm aus rechten Ecke der Bar hockt. Sie bereden gerade irgendetwas, sehr leise und ab und zu vorsichtig mit den Augen ihre Umgebung abtastend.
Der Informant wendet sich wieder dem älteren Mann mit Drei-Tage-Bart zu.
"Absolut sicher."
Der andere Typ nickt kurz und steht auf, die Flasche in der linken Hand, während die rechte Hand schon einmal vorsorglich in Richtung der Dienstwaffe wandert, die in einem Schulterholster unter seinem dunkelbraunen Overcoat ruht.

Langsam schlendert er in die besagte Ecke der Lokalität, den kommenden Schlagabtausch vorausahnend. Je näher er kommt, desto mehr merkt er, wie ihm das Adrenalin in die Adern schießt. Es wird schmutzig werden – definitiv. Er überlegt kurz, wei er am besten auf sich aufmerksam machen sollte, ohne allzuviel Aufsehen in der Kneipe zu erregen.
"Na, ihr Ficker?", brüllt er hochmotivert dem Trio entgegen. Erschrocken drehen sie sich zu ihm.
"Was, bitte?", fragt einer der drei, so gut wie er kann seinen osteuropäischen Akzent unterdrückend.
"Oh, entschuldigt bitte. Was ich sagte, war...", er schiebt seinen Mantel ein wenig zur Seite, sodass seine Dienstwaffe nebst Polizeimarke zu sehen ist, "... Komissar Gerhard Fröbmann. Ich such nach einem Typen namens Ivan Iljov oder so." Er nimmt einen Schluck aus der Bierflasche und fährt fort. "Ja, so oder so ähnlich. So ein Ex-Sowjetarschloch halt."
"Wir kennen keinen Ivan.", sagt derselbe Typ in immer noch perfekt aufgesetztem Hochdeutsch und lehnt sich lässig zurück. Seine Helli-Hansen-Daunenjacke gibt dabei knatschende Geräusche von sich.
"Ach, Leute wie ihr müsst doch wenigstens einen Ivan kennen.", sagt Fröbmann und nimmt einen weiteren Schluck.
"Leute wie wir?", fragt der Mann in der Daunenjacke und neigt den Kopf leicht nach unten, den Polizisten nun mit einer Mixtur aus Skepsis und Verachtung anschauend. Seine beiden Kumpels sehen abwechselnd ihn und Fröbmann an, unschlüssig, ob sie eingreifen sollten oder nicht.
"Ja. Leute wie ihr. Scheiß Intensivtäter-Schmarotzer-Gesindel, die ihre Cousinen mitnehmen und an die Meistbietenden verhökern, als wären sie Schlachtvieh."
Einer der beiden Stummen steht nun auf und erhebt das Wort. Sein Gesicht ist keine zehn Zentimeter von Fröbmanns leicht verknitterten Gesicht entfernt.
"Unsere Cousinen? Was haben unsere...?", fängt er an. Doch bevor er weitersprechen kann, hat ihm Fröbmann schon mit immenser Urgewalt die Bierflasche über den Schädel geschlagen. Sie zersplittert, der Typ geht bewusstlos zu Boden. Ein paar Leute in der Bar stehen nun auf und verschwinden durch die Eingangstür. Fröbmann zieht die Dienstwaffe.
"Scheiß Russenpack.", stößt er zornig heraus und zielt mit der Pistole abwechselnd auf den Mann in der Daunenjacke und seinen Kumpanen, der erschrocken die Hände hochgerissen hat und laut ein- und ausatmet. Er redet etwas auf russisch oder serbisch oder wie-auch-immer zu seinem Chef (das scheint er zumindest zu sein) und deutet hektisch auf den bewusstlosen Mann am Boden.
"Ey, das ist Polizeigewalt der allerübelsten Sorte!", schaltet sich ein Mitt-Zwanziger in das Geschehen ein, der am anderen Ende der Kneipe sitzt. Die Frau, mit der er unterwegs ist, versucht ihr Bestes, um ihn aus der Sache herauszuhalten. Aber er hat schon Alkohol getrunken und steht seinerseits auf, um die Sache aus der Nähe zu betrachten.
"Wer hat Sie um ihre verdammte Meinung gebten? Setzen Sie sich wieder hin oder ich nehme Sie fest wegen Strafvereitelung.", poltert Fröbmann drauflos, den Neuankömmling in dieser Sache keines Blickes würdigend.
"Das sind nur Mitbürger mit Migrantenhintergrund, die leise miteinander reden! Warum denken Sie bitte sofort, dass die Kollegen etwas Schlimmes vorhaben?", sagt der junge Mann, immer näher kommend und Fröbmann langsam auf die Nerven gehend. Er dreht sich kurz zu ihm um, um ihn zum Gehen aufzufordern.

In diesem Moment greift der Typ in der Daunenjacke in seine Innentasche. Fröbmann sieht das nur im Augenwinkel. Blitzschnell wirblet er herum und schießt ihm dreimal in die rechte und linke Schulter. Vor Schmerzen schreiend lässt der Mann vom Inhalt seiner Innentasche ab. Fröbmann hechtet hin und tastet hinein.

Eine Zigarettenschachtel.

Er hätte um ein Haar jemanden erschossen, der lediglich eine rauchen wollte.
"Nun, Rauchen ist doch schlecht für die Gesundheit.", murmelt er und tippt eine Nummer in sein Handy. Sie sollen kommen und den Verdächtigen abholen. Er und einer seiner Komplizen seien insofern ausgeschaltet, als dass sie sich nicht gegen eine Verhaftung wehren könnten. Einer weiterer wäre im Schock und würde sich nicht mehr bewegen, aber noch atmen. Er gibt dann noch die Adresse heraus und legt auf.

"Und? Sind Sie zufrieden mit ihrer für die Justiz sehr wertvollen Arbeit?", brüllt der alkoholisierte junge Mann, der von seiner weiblichen Begleitung festgehalten wird.
Fröbmann dreht sich langsam zu ihm um. Hätte dieses Arschgesicht nicht gestört, wäre das hier nie passiert. Ein lautes Schnaufen von sich gebend, stürzt er sich auf den Kerl und hält ihn am Boden fest.
"Strafvereitelung, ich hab'S dir gesagt du Vollidiot!", sagt er und hebt den Kopf. Da stehen zum einen die Freundin des Festgehaltenen, die weinend darum bittet, ihn gehen zu lassen. Und dann sitzt der Informant immer noch am Tresen links von ihr und schaut ihn an, als hätte er gerade Ghandi, Mutter Teresa und Oskar Schindler gleichzeitig festgenommen, und nicht einen russischen (oder serbischen) Drogendealer, einen seiner Komplizen und eine besoffene, neunmalkluge Flachpfeife.

"Die Welt ist ein Scheißhaus.", seufzt er leise inmitten des Geschreis und der Panik.