deserted-monkey
15.11.2009, 22:52
Hallo,
nachdem ich bei einem Festplattencrash vier Geschichten verloren hatte (von der die eine bereits über 30 A4 Seiten umfasste), habe ich hier nun eine Neue geschrieben. Ist mal etwas anderes als sonst von mir gewohnt, und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es funktioniert hat. Ist übrigens in Notepad geschrieben worden (hat aber hoffentlich nicht zu viele Fehler). Viel Spass.
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Das Paradies
Der Zug fuhr an.
Langsam, als würde er immer noch in der Erinnerung schwimmen (was er tat), öffnete Carl seine Tasche.
"Willst du dir einmal ansehn', wie ich damals um die Welt gezogen bin?", fragte er den Jungen, der still neben ihm sass. Dessen Augen blickten ganz interessiert, aber er sprach kein Wort. Doch das allein genügte Carl. Behutsam holte er die handvoll Fotos aus dem Inneren der Tasche, die schon mit ihm um die halbe Welt gereist war. Dutzende Aufnäher von fernen Kontinenten klebten an ihr. Der Junge betrachtete sie mit wachsendem Erstaunen, bis Carl die Bilder in die richtige Reihenfolge gebracht hatte. Dann zeigte er ihm das erste Foto.
Sonnenuntergang am Meer. Das Wasser liegt wie ein stiller Teppich, mit dessen Fasern die Sonne verwoben scheint. Ein intensiver, süsser Duft schwelgt im Wind. Rosenblüten und Honig und Salz. Die Möwen rufen den Schrei der Freihet. Langsam versinkt die Sonne im Meer, warme Dunkelheit schmiegt sich um die Liebenden. Carl sitzt auf einem grossen, weissen Stein, der ihm die gespeicherte Wärme der Sonne auf den Körper projeziert. Sein Lächeln zeugt davon, das er noch nie glücklicher gewesen ist. Neben ihm sitzt eine Frau, so grazil und elegant wie eine Amazone, zugleich aber so natürlich wie der Wind, der ihre Haare streichelt. Sie sind golden, diese Haare, und schulterlang. Das Gesicht ist schmal, mit markanten, aber sehr hübschen Zügen, die Lippen voll und von gesundem Rot. Sie lächelt. Carl glaubt, dass keine andere Frau auf der Welt so zu lächeln vermag. Und vielleicht hat er damit recht.
"Das ist Patricia, meine Freundin", sagte Carl und blickte dem Jungen in die blauen Augen. "Noch nie habe ich ein Mädchen wie sie getroffen, nie zuvor und nie danach. Sie war etwas ganz Besonderes, manchmal konnte sie meine Gedanken lesen. Sieh' dir an, wie hübsch sie ist! Selbst ihre Füsse waren perfekt. Ihr Charakter war erfüllt von Liebe und Gütigkeit, für Kummer und Ungerechtigkeit gab es bei ihr keinen Platz. Sie war alles für mich, selbst meine Familie und Freunde hätte ich für sie im Stich gelassen."
Der Junge, dessen Name Carl nicht kannte, nickte anerkennend. Vielleicht verstand er noch nicht alles, aber seine Augen drückten eine Klugheit aus, die nicht zu verleugnen war. In ihren blauen Tiefen konnte Carl das Meer rauschen hören, er spürte den feinen Sand unter seinen Füssen und roch denselben Duft wie damals. Nur seine Patricia spürte er nicht.
"Erzählen Sie", sprach der Junge und seine Stimme schwang sich sanft von seinen spröden Lippen. Carl nickte, löste seinen Blick von den Augen des Jungen und liess ihn wieder auf den Fotos ruhen.
"Das war in Australien, dem grössten Land auf dieser Erde. Dort ist die Sonne besonders rot, und die Flora und Fauna ist besonders reich. Ein Land wo du alles andere vergisst, übermannt von der puren Schönheit dieses einzigartigen Ortes. Die Menschen dort sind nett, freundlich und voller Freude. Wir sahen Kängurus, Koalas und Tiere, die du nicht einmal in einem Bilderbuch findest. Patricia wollte mit mir ein neues Leben beginnen, dort auf diesem herrlichen Fleck Erde, in den wir uns beide verliebt hatten. Aber erst wollten wir um die Welt reisen."
Carl drehte das Foto vom Strand in Australien um und enthüllte das nächste.
Sawanne in Afrika. Trockenkahle Baobabs, braune Gräser wiegen im heissen Wind, tanzen zur Melodie der Grenzenlosigkeit. Ein Jeep steht in diesem beinahe unberührten Stück Natur, Carl blinzelt in die Kamera. Am Steuer sitzt seine Patricia, und das Licht der Sonne lässt ihre Schönheit erstrahlen. Im Hintergrund sind Giraffen zu sehen, sie recken ihre langen Hälse dem purpurnen Himmel entgegen. Neben dem Jeep steht ein Schwarzer, seine Zähne leuchten so weiss wie Elfenbein, obwohl er starken Tabak raucht. Sein Körper ist muskulös von der Feldarbeit, aber trotzdem dünn, weil die Nahrung fehlt. Patricia hatte ihm gezeigt, wie er aus Mais und Griess Polenta herstellen konnte. Der Mann war so dankbar dafür, dass er ihr ein Amulett schenkte, das er vor langer Zeit von seinem Vater erhalten hatte. Es beschütze vor bösen Geistern, hatte er ihr erklärt. Aber leider schützte es nicht vor dem Tod.
"Das war in Afrika, dem schwarzen Kontinenten. Den Mann, den du hier neben uns siehst, ist der Hüter der wilden Tiere. Wir lernten ihn in Matam kennen, wo er auf der Strasse handgewobene Teppiche verkaufte, die seine Schwester selbst gefertigt hatte. Er war arm aber die Lebensfreude sprach aus seinem Gesicht, so wie die Vergangenheit aus diesen Fotos spricht. Er lud uns ein und wir fuhren mit einem gemieteten Jeep in die Sawanne hinaus. Sie nur wie ruhig die Welt an diesem Ort ist, sieh nur! Noch fast unbefleckt von Menschenhand, geht dort alles seinen natürlichen Gang. Wir verbrachten mehrere Tage in der Wildnis, mit nur einem Zelt und einigen Wasserflaschen dabei. Er hatte für uns gekocht, afrikanische Rezepte, zu denen er alle Zutaten in diesem Paradies fand. Noch selten hatten ich und Patricia so gut gegessen."
Carl leckte sich die Lippen, als könnte er diese Köstlichkeiten immer noch an ihnen schmecken. Und wenn er sich anstrengte (als er einen kurzen Moment die Augen schloss), konnte er das wirklich. Plötzlich sangen die exotischen Vögel in seinem Kopf, er hörte das Getrappel der Giraffen, spürte die Vibrationen vom Boden in seinen Körper gleiten. Gemini, so hatte der Afrikaner geheissen, lächelte ihm entgegen, die Handflächen gegen aussen gedreht. Eine Geste des Friedens, den Carl mit keinem Wort brechen wollte.
"Was ist aus dem schwarzen Mann geworden?", fragte der Junge aufgeregt und Carl glitt in den Sitz des Zuges zurück.
Was aus Gemini geworden ist, wusste Carl nicht. Sie hatten sich in Nayé aus den Augen verloren, jeder war wieder seiner eigenen Wege gegangen. Aber Carl war sich sicher, dass der Mann den Bürgerkrieg überlebt hatte, der dort drei Jahre später das Land verwüstete. "Er verkauft Teppiche in Matam, wie immer.", antwortete er und sah das Bild vor seinem inneren Auge. Die engen Strassen, die einfachen Häuser schlichter Behaglichkeit, die Haine oben am Hügel der Stadt. Wunderschön trotz ihrer Einfachheit. Carl wechselte das Foto.
Dichter Dschungel und der Rio Amazonas. Ein Floss aus Holz, darauf sind Carl und Patricia zu sehen, sie liegen sich zufrieden in den Armen. Auf ihrem Boot befinden sich drei Führer, Ureinwohner aus diesem unerforschten Gebiet. Das Wasser ist so klar wie ein Bergsee, die Bäume am Ufer stehen dicht an dicht. Hier hat es keinen Platz für Hochhäuser und Autobahnen. Gefährliche Krankheiten lauern im Dschungel, aber ihre Führer haben ihnen Salben und Mittel dagegen gegeben. Carls Gesicht spiegelt sich im strömenden Wasser unter ihm, seine AUgen strahlen einen Glanz aus, den sie sonst noch nie angenommen haben. Ihre Führer zeigen ihnen alles kostenlos, hier hat Geld keinen Wert. Und manchmal wünscht sich Carl, das wäre überall so.
"Wir sind von Arequipa in Peru bis nach Brasilien gefahren, wo der Rio Amazonas in den Atlantik mündet.", erzählte Carl dem Jungen weiter. " Patricia lachte noch mehr als sonst auf dieser aussergewöhnlichen Route, sie war sehr naturverbunden. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt waren wir die glücklichsten Menschen auf der gesamten Erde. Wir lernten das Leben der Ureinwohner kennen, wir badeten in reinem, unverseuchtem Wasser und wir sahen Dinge, so wunderschön, wie sie sich ein Junge aus der Stadt nicht einmal vorzustellen vermag. Wir sahen Blumenblüten, geformt wie Trichter oder grosse Glocken, von den verschiedensten Farben und Düften; Wir sahen die Könige des Dschungels; Wir fühlten die Schönheit der Natur unsere Seelen erwärmen; Wir sahen Wasserfälle, höher als das höchste von Menschenhand gebaute Haus; Wir sahen und spürten das alles und noch viel mehr. Es war so wundervoll, dass ich es kaum in Worte zu verpacken mag."
Und da lächelte der Junge, seine blauen Augen sogen die Worte Carls auf und wirbelten sie durcheinander, weil sie kaum alles erfassen konnten. Vergnügt blickte er Carl an, seine Züge spiegelten die Ehrfurcht wider, die ihn erfasst haben musste. Bestimmt brannte er darauf, das nächste Foto zu sehen. Aber Carl wartete noch damit, bis der Chauffeur den ersten Halt ankündigte.
Die zerstörte Strasse von Netanja, Israel. Carl steht alleine vor diesem Hintergrund aus Verwüstung und menschlicher Perversion. Rauch und Feuer sind um ihn herum, zerfressen das Band, das die Menschen hier zusammenhielt. Carl steht alleine, sein Gesicht blickt schmerzvoll zu Boden, mag der Kamera nicht mehr in die Linse schauen. Patricia ist nicht mehr an seiner Seite, alles wirkt so leer ohne sie, ohne den Frieden.
"Wo ist die Frau hin?", fragt er scheu und Carl erkannte, dass der Junge wusste, dass die Geschichte bald zu Ende sein würde.
"Patricia ist weg", antwortete Carl leise und senkte nun den Blick wie auf dem Foto gezeigt. "Eine Bombe explodierte zwischen uns. Ich verlor sie, Rauch und Staub waren zwischen uns. Einen Moment konnte ich ihr Gesicht noch durch den Feuerwall erkennen, dann war es für immer fort. Ich weiss bis heute nicht, ob sie den Anschlag überlebt hat. Vielleicht ist sie dort draussen irgendwo und denkt an mich. Ich hoffe, dass sie das tut, denn ich denke jeden Tag an sie. Das ist jetzt fünf Jahre her, aber es kommt mir vor, als wäre es erst gestern passiert. So schnell schlägt das Schicksal einen Bogen in die falsche Richtung. Weisst du, ich hatte seitdem wieder eine Freundin, aber es war nie dasselbe. Patricia war mein Leben."
Der Junge nickte stumm und wirkte plötzlich verunsichert. Er räusperte sich und senkte ebenfalls seinen Blick, welcher vorher noch voller Wissen und von einer sonderbaren Durchdringlichkeit gewesen war. All das war wie weggekehrt.
"Waren Sie wirklich an all diesen Orten?", fragte er dann ganz leise, als wollte er nicht, dass Carl ihn hörte. Dieser verstaute die Fotos wieder in seiner Tasche, welche von keinen Aufnähern geziert wurde, sondern eine einfache und langweilige Aktenmappe darstellte. Auf den Fotos war nichts zu sehen, alle waren sie schwarz, ohne ein Fünkchen Licht darauf. Carl antwortete nicht, blickte stumm in die Betonwüste hinaus, während nasse Tränen über seine Wangen rollten.
Der Zug hielt kurz darauf.
Und so verliess der Junge mit den blauen Augen Carl. Sie sahen sich nicht wieder.
Aber von nun an trug er Carls Bilder immer mit sich.
nachdem ich bei einem Festplattencrash vier Geschichten verloren hatte (von der die eine bereits über 30 A4 Seiten umfasste), habe ich hier nun eine Neue geschrieben. Ist mal etwas anderes als sonst von mir gewohnt, und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es funktioniert hat. Ist übrigens in Notepad geschrieben worden (hat aber hoffentlich nicht zu viele Fehler). Viel Spass.
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Das Paradies
Der Zug fuhr an.
Langsam, als würde er immer noch in der Erinnerung schwimmen (was er tat), öffnete Carl seine Tasche.
"Willst du dir einmal ansehn', wie ich damals um die Welt gezogen bin?", fragte er den Jungen, der still neben ihm sass. Dessen Augen blickten ganz interessiert, aber er sprach kein Wort. Doch das allein genügte Carl. Behutsam holte er die handvoll Fotos aus dem Inneren der Tasche, die schon mit ihm um die halbe Welt gereist war. Dutzende Aufnäher von fernen Kontinenten klebten an ihr. Der Junge betrachtete sie mit wachsendem Erstaunen, bis Carl die Bilder in die richtige Reihenfolge gebracht hatte. Dann zeigte er ihm das erste Foto.
Sonnenuntergang am Meer. Das Wasser liegt wie ein stiller Teppich, mit dessen Fasern die Sonne verwoben scheint. Ein intensiver, süsser Duft schwelgt im Wind. Rosenblüten und Honig und Salz. Die Möwen rufen den Schrei der Freihet. Langsam versinkt die Sonne im Meer, warme Dunkelheit schmiegt sich um die Liebenden. Carl sitzt auf einem grossen, weissen Stein, der ihm die gespeicherte Wärme der Sonne auf den Körper projeziert. Sein Lächeln zeugt davon, das er noch nie glücklicher gewesen ist. Neben ihm sitzt eine Frau, so grazil und elegant wie eine Amazone, zugleich aber so natürlich wie der Wind, der ihre Haare streichelt. Sie sind golden, diese Haare, und schulterlang. Das Gesicht ist schmal, mit markanten, aber sehr hübschen Zügen, die Lippen voll und von gesundem Rot. Sie lächelt. Carl glaubt, dass keine andere Frau auf der Welt so zu lächeln vermag. Und vielleicht hat er damit recht.
"Das ist Patricia, meine Freundin", sagte Carl und blickte dem Jungen in die blauen Augen. "Noch nie habe ich ein Mädchen wie sie getroffen, nie zuvor und nie danach. Sie war etwas ganz Besonderes, manchmal konnte sie meine Gedanken lesen. Sieh' dir an, wie hübsch sie ist! Selbst ihre Füsse waren perfekt. Ihr Charakter war erfüllt von Liebe und Gütigkeit, für Kummer und Ungerechtigkeit gab es bei ihr keinen Platz. Sie war alles für mich, selbst meine Familie und Freunde hätte ich für sie im Stich gelassen."
Der Junge, dessen Name Carl nicht kannte, nickte anerkennend. Vielleicht verstand er noch nicht alles, aber seine Augen drückten eine Klugheit aus, die nicht zu verleugnen war. In ihren blauen Tiefen konnte Carl das Meer rauschen hören, er spürte den feinen Sand unter seinen Füssen und roch denselben Duft wie damals. Nur seine Patricia spürte er nicht.
"Erzählen Sie", sprach der Junge und seine Stimme schwang sich sanft von seinen spröden Lippen. Carl nickte, löste seinen Blick von den Augen des Jungen und liess ihn wieder auf den Fotos ruhen.
"Das war in Australien, dem grössten Land auf dieser Erde. Dort ist die Sonne besonders rot, und die Flora und Fauna ist besonders reich. Ein Land wo du alles andere vergisst, übermannt von der puren Schönheit dieses einzigartigen Ortes. Die Menschen dort sind nett, freundlich und voller Freude. Wir sahen Kängurus, Koalas und Tiere, die du nicht einmal in einem Bilderbuch findest. Patricia wollte mit mir ein neues Leben beginnen, dort auf diesem herrlichen Fleck Erde, in den wir uns beide verliebt hatten. Aber erst wollten wir um die Welt reisen."
Carl drehte das Foto vom Strand in Australien um und enthüllte das nächste.
Sawanne in Afrika. Trockenkahle Baobabs, braune Gräser wiegen im heissen Wind, tanzen zur Melodie der Grenzenlosigkeit. Ein Jeep steht in diesem beinahe unberührten Stück Natur, Carl blinzelt in die Kamera. Am Steuer sitzt seine Patricia, und das Licht der Sonne lässt ihre Schönheit erstrahlen. Im Hintergrund sind Giraffen zu sehen, sie recken ihre langen Hälse dem purpurnen Himmel entgegen. Neben dem Jeep steht ein Schwarzer, seine Zähne leuchten so weiss wie Elfenbein, obwohl er starken Tabak raucht. Sein Körper ist muskulös von der Feldarbeit, aber trotzdem dünn, weil die Nahrung fehlt. Patricia hatte ihm gezeigt, wie er aus Mais und Griess Polenta herstellen konnte. Der Mann war so dankbar dafür, dass er ihr ein Amulett schenkte, das er vor langer Zeit von seinem Vater erhalten hatte. Es beschütze vor bösen Geistern, hatte er ihr erklärt. Aber leider schützte es nicht vor dem Tod.
"Das war in Afrika, dem schwarzen Kontinenten. Den Mann, den du hier neben uns siehst, ist der Hüter der wilden Tiere. Wir lernten ihn in Matam kennen, wo er auf der Strasse handgewobene Teppiche verkaufte, die seine Schwester selbst gefertigt hatte. Er war arm aber die Lebensfreude sprach aus seinem Gesicht, so wie die Vergangenheit aus diesen Fotos spricht. Er lud uns ein und wir fuhren mit einem gemieteten Jeep in die Sawanne hinaus. Sie nur wie ruhig die Welt an diesem Ort ist, sieh nur! Noch fast unbefleckt von Menschenhand, geht dort alles seinen natürlichen Gang. Wir verbrachten mehrere Tage in der Wildnis, mit nur einem Zelt und einigen Wasserflaschen dabei. Er hatte für uns gekocht, afrikanische Rezepte, zu denen er alle Zutaten in diesem Paradies fand. Noch selten hatten ich und Patricia so gut gegessen."
Carl leckte sich die Lippen, als könnte er diese Köstlichkeiten immer noch an ihnen schmecken. Und wenn er sich anstrengte (als er einen kurzen Moment die Augen schloss), konnte er das wirklich. Plötzlich sangen die exotischen Vögel in seinem Kopf, er hörte das Getrappel der Giraffen, spürte die Vibrationen vom Boden in seinen Körper gleiten. Gemini, so hatte der Afrikaner geheissen, lächelte ihm entgegen, die Handflächen gegen aussen gedreht. Eine Geste des Friedens, den Carl mit keinem Wort brechen wollte.
"Was ist aus dem schwarzen Mann geworden?", fragte der Junge aufgeregt und Carl glitt in den Sitz des Zuges zurück.
Was aus Gemini geworden ist, wusste Carl nicht. Sie hatten sich in Nayé aus den Augen verloren, jeder war wieder seiner eigenen Wege gegangen. Aber Carl war sich sicher, dass der Mann den Bürgerkrieg überlebt hatte, der dort drei Jahre später das Land verwüstete. "Er verkauft Teppiche in Matam, wie immer.", antwortete er und sah das Bild vor seinem inneren Auge. Die engen Strassen, die einfachen Häuser schlichter Behaglichkeit, die Haine oben am Hügel der Stadt. Wunderschön trotz ihrer Einfachheit. Carl wechselte das Foto.
Dichter Dschungel und der Rio Amazonas. Ein Floss aus Holz, darauf sind Carl und Patricia zu sehen, sie liegen sich zufrieden in den Armen. Auf ihrem Boot befinden sich drei Führer, Ureinwohner aus diesem unerforschten Gebiet. Das Wasser ist so klar wie ein Bergsee, die Bäume am Ufer stehen dicht an dicht. Hier hat es keinen Platz für Hochhäuser und Autobahnen. Gefährliche Krankheiten lauern im Dschungel, aber ihre Führer haben ihnen Salben und Mittel dagegen gegeben. Carls Gesicht spiegelt sich im strömenden Wasser unter ihm, seine AUgen strahlen einen Glanz aus, den sie sonst noch nie angenommen haben. Ihre Führer zeigen ihnen alles kostenlos, hier hat Geld keinen Wert. Und manchmal wünscht sich Carl, das wäre überall so.
"Wir sind von Arequipa in Peru bis nach Brasilien gefahren, wo der Rio Amazonas in den Atlantik mündet.", erzählte Carl dem Jungen weiter. " Patricia lachte noch mehr als sonst auf dieser aussergewöhnlichen Route, sie war sehr naturverbunden. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt waren wir die glücklichsten Menschen auf der gesamten Erde. Wir lernten das Leben der Ureinwohner kennen, wir badeten in reinem, unverseuchtem Wasser und wir sahen Dinge, so wunderschön, wie sie sich ein Junge aus der Stadt nicht einmal vorzustellen vermag. Wir sahen Blumenblüten, geformt wie Trichter oder grosse Glocken, von den verschiedensten Farben und Düften; Wir sahen die Könige des Dschungels; Wir fühlten die Schönheit der Natur unsere Seelen erwärmen; Wir sahen Wasserfälle, höher als das höchste von Menschenhand gebaute Haus; Wir sahen und spürten das alles und noch viel mehr. Es war so wundervoll, dass ich es kaum in Worte zu verpacken mag."
Und da lächelte der Junge, seine blauen Augen sogen die Worte Carls auf und wirbelten sie durcheinander, weil sie kaum alles erfassen konnten. Vergnügt blickte er Carl an, seine Züge spiegelten die Ehrfurcht wider, die ihn erfasst haben musste. Bestimmt brannte er darauf, das nächste Foto zu sehen. Aber Carl wartete noch damit, bis der Chauffeur den ersten Halt ankündigte.
Die zerstörte Strasse von Netanja, Israel. Carl steht alleine vor diesem Hintergrund aus Verwüstung und menschlicher Perversion. Rauch und Feuer sind um ihn herum, zerfressen das Band, das die Menschen hier zusammenhielt. Carl steht alleine, sein Gesicht blickt schmerzvoll zu Boden, mag der Kamera nicht mehr in die Linse schauen. Patricia ist nicht mehr an seiner Seite, alles wirkt so leer ohne sie, ohne den Frieden.
"Wo ist die Frau hin?", fragt er scheu und Carl erkannte, dass der Junge wusste, dass die Geschichte bald zu Ende sein würde.
"Patricia ist weg", antwortete Carl leise und senkte nun den Blick wie auf dem Foto gezeigt. "Eine Bombe explodierte zwischen uns. Ich verlor sie, Rauch und Staub waren zwischen uns. Einen Moment konnte ich ihr Gesicht noch durch den Feuerwall erkennen, dann war es für immer fort. Ich weiss bis heute nicht, ob sie den Anschlag überlebt hat. Vielleicht ist sie dort draussen irgendwo und denkt an mich. Ich hoffe, dass sie das tut, denn ich denke jeden Tag an sie. Das ist jetzt fünf Jahre her, aber es kommt mir vor, als wäre es erst gestern passiert. So schnell schlägt das Schicksal einen Bogen in die falsche Richtung. Weisst du, ich hatte seitdem wieder eine Freundin, aber es war nie dasselbe. Patricia war mein Leben."
Der Junge nickte stumm und wirkte plötzlich verunsichert. Er räusperte sich und senkte ebenfalls seinen Blick, welcher vorher noch voller Wissen und von einer sonderbaren Durchdringlichkeit gewesen war. All das war wie weggekehrt.
"Waren Sie wirklich an all diesen Orten?", fragte er dann ganz leise, als wollte er nicht, dass Carl ihn hörte. Dieser verstaute die Fotos wieder in seiner Tasche, welche von keinen Aufnähern geziert wurde, sondern eine einfache und langweilige Aktenmappe darstellte. Auf den Fotos war nichts zu sehen, alle waren sie schwarz, ohne ein Fünkchen Licht darauf. Carl antwortete nicht, blickte stumm in die Betonwüste hinaus, während nasse Tränen über seine Wangen rollten.
Der Zug hielt kurz darauf.
Und so verliess der Junge mit den blauen Augen Carl. Sie sahen sich nicht wieder.
Aber von nun an trug er Carls Bilder immer mit sich.