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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Geschichte] Eine Nacht unter Tage



T.U.F.K.A.S.
22.10.2009, 23:42
hi hi hi! ich habe seit dem anfang meiner grundausbildung letztes jahr ein bisschen geschrieben an einer geschichte über das treiben in der hamburger unterwelt, ein bisschen im stil von filmen von tarantino und guy ritchie. ich poste mal kraft eigener arroganz die ersten paar seiten hier rein. feedback wäre definitiv cool ;)

Die Sonne ging vor vier Stunden unter.
20 Uhr 14.
Winter.
Ein Freitag.

Ich tauchte ein in das Nachtleben. Ich saß am Steuer seines roten Mercedes SLK. Geiles Fahrgefühl. Der Motor surrte, als wir mit 52 km/h über die Reeperbahn jagten. Vorbei an mal mehr, mal weniger billigen Bordellen, und mal mehr, mal weniger billigen Nachtclubs, Bars, Tanzlokalen und Sexshops. Vorbei an besoffenen Teenies, Nutten und was sich sonst so alles da tummelte.

„Hier rechts ab.“, knurrte er mit seinem markanten Barmbeker Akzent, durch den sich das „hier“ wie „hiääh“ anhörte. Er lispelte etwas, seine Stimme war entsprechend seiner kräftigen Statur brummig, sein kantiges Gesicht war gezeichnet mit ettlichen Narben von Straßenkämpfen. Es war klar, dass er Zuhälter, Drogendealer und zuständig für jede Art von Körperverletzung war, die einigen Leuten in letzter Zeit widerfahren waren. Leuten aus dem Rotlichtmilieu, manchmal auch einfach nur Freiern und Junkies, die ihn oder eine seiner „Angestellten“ um jede Menge Kohle geprellt hatten.

Er war mein Boss, zumindest jetzt im Augenblick. Als Videothekenangestellter verdient man super. Superbeschissen. Als er mit seinem südländischen Kumpel, der jetzt irgendwas anderes zu tun hatte (vielleicht verprügelte er gerade irgendeinen Freier, der nicht willig war zu bezahlen) in meinen Laden rannte und „Junge Fotzen hart gedehnt“ und noch einige solcher filmischen Meisterwerke auslieh, fragte er mich, ob er mich irgendwoher kennen würde.

Natürlich kannte er mich, ich hatte immerhin schon gut Geld gemacht mit dem Verkauf von Gras in seiner Roten Zone. Er wusste genau wer ich war. Er musterte mich damals (letzte Nacht) mit einem leicht zornigen Blick und stellte mich vor eine Wahl: Entweder ihm einen Gefallen tun und etwas Kohle kassieren – oder ‘ne Begegnung mit den Fäusten seines lustigen Bodyguards.
Mir war flau im Magen, als ich den Wagen am Hans-Albers-Platz parkte. Was würde mich erwarten? Karl Möller, in Fachkreisen wegen seiner Brutalität auch „Koma-Kalle“ genannt, meinte nur: „Raus.“ Ich stieg aus, er schloss den Wagen ab, wir gingen los. Irgendwohin. Vorbei an der „Roten Laterne“, wo ich zu meinen besten Zeiten mit Iro, Nietengürtel und jeder Menge Alkohol chillte und meine ersten Unzen Gras vertickte. Vorbei am „Peggy Sue’s“, wo ich mal in der Toilette meine damalige Freundin gefickt hatte. Vorbei an ettlichen Nutten mit mehr oder minder hübschen Figuren und Gesichtern. Schade um einige von ihnen, dachte ich, als Kalle sich in der betrunkenen, partygeilen Menschenmenge zurück fallen ließ und mich eine Treppe hinunter schubste. In Richtung eines Kellerzugangs. Shit, ich wusste was das war. Ich wusste was das hieß. Die Höhle des Löwen.

Kalle schloss die massive Eisentür hinter sich, nachdem wir den Keller betreten hatten. Kühle Betonwände, ein Tisch, ein paar Stühle, ein Schrank aus Eichenholz, mehr hatte dieser Raum nicht zu bieten. Reichte aber anscheinend. Eine alte Ikea-Lampe aus den Achtzigern erleuchtete den Kellerraum, in dem es verräterisch nach Marihuana roch. Ich setzte mich auf Befehl Kalles auf einen der Bürostühle, kramte meine Kippenschachtel aus meiner Cordjacke und steckte mir eine Zigarette an. Mit ‘nem originalen Zippo-Feuerzeug, nicht diese ••••••••••-Kopien, mit denen diese Bonsai-Bushidos und Emos rumrennen. Original vergoldet, original 1962 hergestellt, original vor drei Tagen einem meiner Kunden aus der Jacke geklaut, die er im Erdgeschoss der Videothek an einen Stuhl gehängt hatte. Der Kunde achtet ja bekanntlich selbst auf seine Garderobe, oder?

Kalle setzte sich mir gegenüber auf die andere Seite des Tisches. Er hatte etwas Wichtiges zu sagen, ich erkannte das. Er faltete seine großen Hände ineinander, blickte eine Zeit lang auf den Tisch, seufzte und nahm die Sonnenbrille ab, die er immer trug, egal ob die Sonne schien oder nicht. „Frogz“, sagte er nur. Ich wusste sofort, von wem er redete. Dieser durchgeknallte •••••••••, der mit bürgerlichen Namen Hendrik Fragmichnichtwieseinnachnameist und in der Verschwörungs­theoretiker- und Hacker-Szene nur Frogz hieß. Dieser Typ hatte sich tatsächlich in dutzende zufällig gewählte Netzwerke gecrackt, (aus Versehen?) Geld von einigen zwielichtigen Gestalten abgehoben, Pornoseiten-Abos verteilt und unter den Usernamen der Besitzer sauteure Abonements für Handyklingeltöne und –spiele abgeschlossen. Als die Polizei ihn packte und fragte, warum er es tat, sagte er nur (O-Ton): „Weil ich’s kann, weil ich’s verdammte Fickscheiße verfickt nochmal kann und ihr nicht ihr •••••••. Ha!“, gefolgt von einem spontanen, drogenbedingten Wutanfall, einem Kripo-Beamten mit Kieferbruch und einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Jetzt war er wieder frei.

„Okay, worum geht’s diesmal?“, fragte ich und zog an meiner Zigarette. Frogz und ich waren eine Zeit lang ganz gut befreundet, als wir auf dieselbe Schule gingen. Er hatte eine leicht problematische Beziehung zu seinen Eltern, denn sein Vater schlug ihn ohne Vorwarnung, teilweise vor meinen Augen, zu Brei, weil dieser es nicht geschissen bekam, einen Job zu bekommen. Frogz‘ Mutter starb an Lungenkrebs, obwohl sie nie geraucht hatte. Das arme Schwein musste erst unter seinem Vater, dann unter behördlichen Fehlgriffen in Sachen Pflegefamilien leiden. Das hatte ihn zu dem gemacht, was er war. Ein Genie gefangen im Körper eines Würstchens mit dem Verstand und den Verhaltensweisen eines Wahnsinnigen. Ich hatte aufgehört zu zählen, wie oft ich ihn aus der Scheiße geholt hatte, ohne Geld oder andere Gegenleistungen entgegen zu nehmen, denn immerhin war er mein Kollege. Da war ich Kumpel.
Aber diesmal hatte er es übertrieben, so wie Kalle aussah mit einer anschwellenden Wutader auf seinem kahl geschorenen Schädel. „Er…“, fing er an, „… hat es wieder getan.“ Okay, der Fall war klar. „Wieviel hat er diesmal abgehoben?“, fragte ich. Die Antwort kam prompt: „Du glaubst es mir eh nicht, Digger. Ich glaub’s ja nich’ma‘ selber, ey.“ Er lachte verbittert und fuhr fort: „Eintausendzweihundervierunddreißig Euro und sechsundfünfzig beschissene Cent.“ Ich sah die Zahl vor meinem inneren Auge: 1234,56 Ohren. Irgendwie konnte niemand anderes als Frogz so eine beknackte Summe Geld abheben. „Plus ich hab‘ jetzt so’n bescheuertes Jamba-Abo am Arsch, das mich fast zwanzig Tacken im Monat kostet. Diese dumme…!“, Kalle stand wutentbrannt und mit roter Birne auf und knallte seine rechte Faust auf den Tisch. Einige Sekunden lang war es still. Ich blieb äußerlich ruhig, aber innerlich malte der Kackstift vor Panik, dass Kalle mich gleich krankenhausreif prügeln würde. Ich lächelte mild und sagte möglichst ohne sarkastischen Unterton: „Und jetze? Soll ich ihn aus seiner Wohnung schleifen und ihm seine Tastatur quer in den Arsch schieben oder was?“ Kalle lachte kurz und meinte darauf: „Das wäre noch zu nett. Bring‘ ihn einfach zu mir. Finde ihn und bring‘ ihn rüber, ich kümmer‘ mich um den Rest.“ Mit diesen Worten entließ er mich zurück an die frische Luft. Auf den Kiez. 1234,56 Euro. Ich lachte lauthals und klatschte in die Hände vor Freude. Irgendwie geil, dachte ich und machte mich auf zur S-Bahnstation Reeperbahn, die zehn Minuten Fußweg entfernt war von meiner Position.

Das Schlimme war, dass Kalle nicht der Einzige war, der ein Hühnchen mit Frogz zu rupfen hatte. Wär‘ ja auch langweilig, oder?

Selbe Zeit, anderer Ort.

Farmsen bei Nacht. Ein Bezirk im Stadtteil Wandsbek, beherrscht von bis zu zehnstöckigen Wohnhäusern, die sich wie Antennen in den Nachthimmel reckten. Hier lebte Felix. Er war mies gelaunt, wie immer. Er wollte nur eine normale Ausbildung, ein normales Leben und allgemein etwas Normalität in seinem Leben. Aber nein: Er hatte ein beschissenes Abitur mit einem Schnitt von 3,8, eine ständig zugekiffte Freundin, die er trotz ihrer Schwäche für weiche Drogen liebte, und seine Eltern waren vor acht Jahren bei einem Wohnungsbrand getötet worden, als er dreizehn war. Nichts war normal für ihn. Als er die Wohnungstür hinter sich zuschloss, das Treppenhaus drei Stockwerke hinunterrannte und an die frische Luft ging, wusste er nicht, was er heute Abend noch tun sollte, außer zu joggen und seine Aggressionen abzubauen. Seine normale Runde wurde diesmal begleitet vom neuen Metallica-Album „Death Magnetic“, das aus seinem Maxfield-MP3-Player über seine Sennheiser-Kopfhörer direkt in sein Gehirn geleitet wurde. Geiles Album, dachte er, als er durch den hinter dem Wohnhaus befindlichen Park joggte. Normales Tempo, nicht zu schnell, sonst hälst du nicht so lange durch, dachte er weiter. Heute will ich weiter als sonst.

Weiter als sonst

Eine Gestalt sprang aus dem Gebüsch rechts neben ihm. Vielleicht war es eine natürliche Reaktion zwecks Selbsterhaltungstrieb, aber Felix‘ Schlag traf den potentiellen Angreifer unbeabsichtigterweise am Unterkiefer. Die Gestalt lag am Boden und jaulte. „Auuuuua, maaaaaan was verdammte Scheiße hab ich diiiir getaaaan mann aaaaaah!“, schrie eine vertraute Stimme vom Boden herauf und spuckte Blut auf Felix‘ weiße Sneaker. „Ey alter, die Sneaks haben sechzig Schlaufen gekostet!“, fluchte Felix, hüpfte ein paar Zentimeter zurück und half daraufhin Farid auf die Beine. Farid war sein bester Kumpel, Halb-Afghane und – umgangssprachlich ausgedrückt – für jeden Scheiß zu haben.

„Digger, du bist so übelst aggressiv, wegen jedem Müll tickst du aus mann, was soll’n das?!“, schrie Farid leicht lispelnd und augenscheinlich verärgert. „Ja, bin ich etwa mit ‘nem Kampfschrei aus’m Scheiß-Unterholz gestürmt mit ‘ner schwarzen Jacke und Kapuze über’m Kopf?“, fragte Felix ebenso verärgert. Farid gestikulierte wild, rang nach Worten, aber am Ende kam nur ein gebrochenes „Psycho!“ aus seinem Mund. „Komm‘, Digger, gib‘ Check!“, lachte Felix. Sie gaben sich die Hand, falteten ihre Finger ineinander und grunzten so ähnlich wie Tim Taylor aus „Hör‘ mal wer da hämmert“, einer TV-Serie aus den USA, die jeden Abend auf RTL2 ausgestrahlt wurde und von der beide große Fans waren. „Komm‘, geh’n wir ein Stück!“, meinte Farid und massierte dabei seinen lädierten Unterkiefer.

„Was meinst du damit – Fetter Job?“, fragte Felix, nachdem Farid ihm einen kurzen Überblick gegeben hatte über die momentane Situation auf dem Kiez. Er hatte etwas gesagt von einem durchgedrehten Typen, der einige Untergrund-Größen um Geld erleichtert hatte. Viel Geld, etwas im Hundertausender-Bereich. Und jetzt würde jedermann nach diesem Kerl suchen. Auch Wladimir Tashenko, ein Usbeke und Kopf einer einflussreichen russischen Gang namens „Da Huis“. Nebenbei war Wladimir mal Felix‘ Auftraggeber zu dessen weniger ruhmreichen Zeiten.

„Eeeeey wir werden stinkefotzereich, glaub‘ mir!“, sagte Farid freudestrahlend, als sie zum dritten Mal eine Runde im Park gedreht hatten und wieder an dieser Mülltonne vorbei gegangen waren, auf die irgendein Witzbold vor langer Zeit einen Penis gesprayt hatte. Vielleicht Felix selbst im Alkoholrausch, er wusste es nicht.

„Alter, du weißt, dass ich sowas nicht mehr mache.“, entgegnete Felix, während Farid in seiner Hosentasche fummelte. Er suchte wohl seine Zigaretten.

„Was soll’n das heißen: ‚sowas‘?“, fragte Farid mit entgeistertem Blick, während er endlich nach zwanzig Sekunden seine Zigaretten hervorkramte, aber jetzt sein Feuerzeug suchte.

„Sowas… heißes.“, meinte Felix nach kurzer Überlegung und fuhr sich mit den Händen durch seine kurzen, blonden Haare. Farid holte kurz Luft, überlegte sich wohl, was er sagen wollte, und antwortete: „Da ist nix Heißes dran! Wir suchen den •••••••, wir plätten den •••••••, bringen den ••••••• zu Wlado und sacken die Kohle ein…!“ Dabei zog er nervös an seiner Zigarette. Er hatte es nach fast zwei Minuten tatsächlich geschafft hatte, sie anzustecken. „… für den •••••••?“, ergänzte Felix mit einem fragenden Unterton. Farid nickte. Er sah wohl, dass sein Kollege am rotieren war, dass ihm die Frage im Kopf herum schwirrte ‚Tu ich’s oder nicht?‘ und brach dementsprechend die Stille: „Ganz im Ernst: Du brauchst Abstand, digger. Von dem Scheiß hier. Mit deiner Alten, mit deinen Eltern. Glaub‘ mir, du brauchst das! Du brauchst das wirklich. Im Ernst, du br…“ „Wiederhol‘ dich nicht dauernd!“, entgegnete Felix leicht verärgert, und ergänzte nach kurzer Überlegung: „Meinetwegen. Wann geht es los?“

Zumindest besagt das die Legende, die ich nach dem ganzen Müll, der danach passierte, so aufgeschnappt hatte. Felix und Farid habe ich nur kurz gesehen. Das war’s auch schon. Man sieht sich normalerweise zweimal im Leben, aber den beiden begegnete ich nur bei der Beweisaufnahme, als mich zwei Kripo-Beamte fragten, ob ich diese zwei „jugendlichen Straftäter identifizieren“ könne. Konnte ich nicht, ich sah nur die Fotos der beiden, und darunter ihre Namen und Geburtsjahre: Farid Habdullah, 1986. Felix Szroeder, 1987. „Hab‘ ich noch nie gesehen.“, hatte ich gesagt, und wurde dann entlassen, ohne für meine Taten bestraft zu werden. Irgendwie cool, aber es macht depressiv, wenn man gegenrechnet, wieviele Leute sterben mussten. Leute, die das Leben vielleicht genossen haben. Ich mag das Leben, was ich führe, nicht. Ich hasse meinen Job, meine Ex-Freundin und meine Eltern. Auf mich wartet niemand, wenn ich nach Hause komme. Aber es passt schon.
Ich komme vom Thema ab, merk‘ ich grad. Also weiter.

20:30, Altona, eine Ein-Zimmer-Wohnung.
Grasgeruch… schon wieder.
Liebe macht blind, taub und blöd.

Er hatte den Blues.

Er wurde geboren, es gab Komplikationen, er bekam Narben, denn der Kaiserschnitt wurde verkackt vom leitenden Arzt.

Er hatte den Blues.

Er wurde eingeschult mit seinen Narben und seiner Wut. Es gab Komplikationen, er bekam Schläge, denn die anderen Kids hassten ihn. In der Schule ging es weiter. Erst nach jahrelanger Ausbildung in Waffenkunde, Nahkampf und Schießlehre bei der Bundeswehr bekam er auf einem Ehemaligentreffen seiner Schule seine Chance. Niemand dieser ••••••• überlebte, dachte er damals mit einem Anflug von Lebensfreude.

Er hatte den Blues.

Verdammt ja, er hatte den Blues, den Hasenscharten-Durchgedrehter-Waffenfreak-Computercrack-Psycho-Blues im Drum’n’Bass-Rhythmus, finde ich. Ich muss es ja wissen, ich meine… Ach, kommt alles noch, jedenfalls: Was er dachte, wusste er nicht so genau. Aber er dachte irgendwas. Alles war okay irgendwie. Beim Bund war er normal, trotz der Hasenscharte, die in der Mitte seiner Oberlippe klaffte. Erst beim Ehemaligentreffen explodierte er, denn sie tuschelten über ihn. Sie mochten ihn nicht und ließen ihn das aufs Brutalste spühren. Er zog sein Messer, sie zogen ihre Grimassen, er zog sein Ding durch. Null Tote, drei Verletzte, jede Menge Schreie. Keine Anzeige, komischerweise.

Kein Problem, denn er hatte kein Bedürfnis mehr nach Stress. Er hatte sich selbst mehr oder weniger resozialisiert. An der Kasse im Aldi schlug er nicht mehr die Kassiererinnen zusammen, weil sie nicht-dienstliche Gespräche für wichtiger erachteten als seine Lebensmittel und seine Zeit. Er schoss nicht mehr mit seiner Glock 7-Pistole auf Tauben, die es sich auf dem Geländer seines Balkons bequem machten. Er verprügelte auch seine Freundin nur noch einmal die Woche, maximal. Und dann auch nur aus gutem Grund und wenn es wirklich gar nicht mehr anders ging. Er hasste Komplikationen. Auch wenn er sie anzog wie ein Magnet. Ein eins achtzig großer, egomaner, verbauter Problemmagnet mit einer Hasenscharte und einem gewissen Talent, was IT-Zeug und sowas anging.

Er hielt die Maus fest in der rechten Hand. Sein Schreibtisch war stellvertretend für den Rest der Wohnung, oder besser gesagt für den „Reinschiffzustand“, wie es die Ausbilder während meiner Grundausbildung beim Bund immer nannten. Kurzum: Seine Wohnung sah aus, als wären Bomben erst in den Kleiderschrank, dann in die Küche und zu guter Letzt in einen x-beliebigen Mülleimer eingeschlagen: Überall lagen Mahnungen, Zeitschriften (Pornos und Computerheftchen, die keine Sau ohne IT-Kenntnisse versteht. Also die Computermagazine, Pornos versteht denk ich mal jeder, der nicht katholisch erzogen wurde), Joghurtbecher, Pizzaschachteln, Tupperdosen, benutzte Kondome und olle Klamotten herum, die Wochen alten Zeitschriften stapelten sich in jeder Ecke, Staub flog durch den Raum und sah aus wie kleine Schneeflocken, sobald orange-stichiges Tageslicht durch das seit Monaten ungeputzte Fenster samt verdreckter Fensterbank schien. Die Ein-Zimmer-Wohnung war ein Paradies für Messies, Pornoliebhaber und Computerfreaks. Auf dem kackbraunen Sofa lag seine Freundin. Und sie hatte seine letzten sauberen blauen Boxershorts und ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin scheiße – na und?“ an. Sie war stoned, es stank nach Marihuana, Zigarettenpapers und zerpflückte Kippenschachteln, aus denen sie sich die „Filter“ – genannt Tips – für ihre Joints bastelte, lagen auf dem zugemüllten Couchtisch. Und sie hatte seine letzten sauberen Boxershorts an.

Frogz drehte sich langsam auf seinem Chefsessel um und wandte den Blick vom Laptop-Bildschirm auf seine Freundin. Sie lag da auf dem Rücken, einen Joint zwischen den schmalen Lippen, ihre Augenlider geschlossen und ihre roten Haare schmiegten sich an ihr etwas kantiges, aber hübsches Gesicht. Sie war schlank, und das trotz ihrer allabendlichen Fressattacken, bei denen sie gerne einmal den kompletten Kühlschrank leerfegte. Sie sah um Klassen besser aus als er. Aber all diese Schönheit änderte nichts daran, dass sie seine letzten sauberen Boxershorts anhatte. Teilen und herrschen lautete die Devise.

„Das sind meine.“, meinte er mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Er lispelte etwas wegen der Hasenscharte.

„Hä?!“, ertönte es vom Sofa in einer tiefen, angenehmen Stimmlage. Er hörte genau heraus, dass sie sternhageldicht war.

„Ich hab‘ gesagt:…“, er beugte sich auf dem Sessel nach vorne, das Lächeln war zu einem ernsthaften Gesichtausdruck geworden „… das sind meine Boxershorts!“

„Was machst’n du’n jetz‘ für’n Aufstand wegen so’ner scheiß Boxershort… solchen Shorts, so’ner Shorts…“, sie überlegte, immernoch die Augen geöffnet, „… wegen sowas halt? Kapier‘ ich nich‘, und selbst wenn… Bla, hol‘ halt die Bull’n wenn’e deine scheiß Boxers wiederhamm‘ willst, Alder…“ Sie schnippte etwas Asche vom Joint und verfehlte dabei den Aschenbecher. Einige graue Krümel mehr lagen jetzt auf dem Couchtisch, direkt neben der Coupé, Augst-Ausgabe '07.

„Ich such‘ die seit Tagen, hab‘ seit drei Tagen dieselbe Unterhose an und vielleicht gilt hier immernoch das Recht des Inhabers: MEINE Wohnung, MEINE Boxershorts, DU in MEINER Wohnung, DEIN Knackarsch in MEINEN Boxers.“, führte Frogz aus und wurde langsam ungehalten. Das äußerte sich darin, dass sein Lispeln immer stärker wurde: „Du kannft nicht einfach fo tun alf ob dir Flampe die komplette Wohnung gehören w-w-w-wür… w-w-würde!“, er fing an zu stottern, seine Freundin wusste genau was das hieß. Wie von einer Hornisse gestochen sprang sie vom Sofa, schnappte sich ihre Klamotten, die auf dem Couchtisch lagen, und rannte zur Tür. Sie konnte sie schnell genug öffnen und hinter sich schließen, sodass sie vor seiner Wohnung im Flur stand. Der von Frogz geschmissene Aschenbecher traf nicht ihren Hinterkopf, sondern die Tür, und zerschellte daran. In der Wohnung konnte sie ihn laut fluchen, stottern und lispeln hören. Scheiße, ich hab‘ mein Gras drinnen vergessen, egal hol‘ ich gleich auf’m Weg nach Hause Nachschub für den Nachmittag. Dachte sie, als sie die zwei Stockwerke im Treppenhaus hinter sich brachte, bevor sie an die frische Luft ging. Und hier komme ich ins Spiel.

Coolerweise habe ich alles, was ein moderner Anfang-Zwanziger in Hamburg braucht: Ein Auto, einen Job plus Nebentätigkeit, Kontakte auf dem Kiez, eine Fickbeziehung und eine „Gang“. Zumindest sowas ähnliches.

Ich ging noch kurz in die Videothek, a.k.a. mein Arbeitsplatz, um noch drei DVDs abzuholen, die ich da für mich selbst hinterlegt hatte. Das ist das Geilste an meinem Job: Filme umsonst. Plus man kann ganz toll Kunden davon abhalten, ihr Geld für Schrott rauszuschmeißen. Das beste Beispiel wäre die Situation vor zwei Wochen, als meine Ex-Freundin mit ihrem neuen Spasti-Freund in mein Etablissement kam, um sich „Titanic“ auszuleihen. Jeder Mensch mit etwas Füllung im Kopf weiß, dass dieser Film weder „schön“, romantisch, sexy oder sonstwas, sondern nur lächerlich und blöde ist. Sie hatte schon immer etwas gegen meinen Filmgeschmack, diese dumme Kuh.
Naja, jedenfalls kam sie mit ihrem Öko-Freund, stöberte etwas in der Verkaufs-DVD-Ecke und stratzte kurz darauf auf den Tresen zu, hinter dem ich arme Sau wie angewurzelt stand.

„Hi, Jan.“, sagte sie extra unterkühlt und wischte sich ein paar Strähnen ihrer langen blonden Haare aus dem immernoch wunderschönen, etwas kindlichen Gesicht.
„Hey, Nadine.“, seufzte ich extra genervt nach kurzer Überlegungspause und strich mir über meine vier Millimeter kurzen dunkelbraunen Haare, um ihre ach so theatralische Geste zu verarschen. „Hallo, neuer Freund von Nadine. Ich bin Ex-Freund von Nadine und du siehst aus, als hättest du immer gute Noten an deiner Walldorf-Schule gehabt du scheiß Hippie!“, sagte ich in Gedanken zu Peace Paule, der seinen Arm urm ihre Hüfte gelegt hatte, allerdings kam es nicht laut raus. Ich räusperte mich, setzte mein Strahlemann-Lächeln auf und fragte: „Was kann ich für euch süßen Häschen denn tun, hm?“
Ihr neuer Freund, der mit seinen langen schwarzen Haaren, der pissgelben Cordjacke und den grauen Cordjeans plus schwarz-weißen Chucks (ohne Cordmuster) aussah wie ein Mix aus einem vercracktem Indie-Rockband-Gitarristen und dem „Hair“-Ensemble, mischte sich in unsere Konversation ein: „Nja, wir hätten gerne ‘nen Film ausgeliehen.“
„Ach wie schön, so’n schöner romantischer Videoabend zu zweit. Ist DAS schööön!“, entgegnete ich extra überbetonend und möglichst ohne sarkastischen Unterton. „Jan, lass es…“, meinte Nadine daraufhin und wendete den Blick von mir ab. Ihr Freund sah mich nur verwundert an, das große „What the fuck?“ war ihm in seine Hornbrillengläser gebrannt.

„Na gut, ihr Schnuckel, an was hattet ihr denn da gedacht?“, sagte ich immernoch lächelnd und sah die beiden abwechselnd an, „Wenn ich euch beiden sehe, denke ich da an „Texas Chainsaw Massacre“ oder „Natural Born Killers“. Oder auch an „Hostel“. Die Szene, wo die nackige Tussi voneiner anderen nackigen Tussi mit ‚ner Sense zerstückelt wird – einfach fantastisch!“ Okay, die Szene war aus „Hostel 2“, Asche über mein Haupt. Egal, beide Filme waren scheiße.

„Das war in „Hostel 2“ gewesen.“, antwortete Nadine entnervt und sah mich hasserfüllt an, „Ich war dazu gezwungen, solchen Dreck mit ihm zu gucken!“, ergänzte sie für ihren Freund, so, als wäre ich nicht in der Nähe. Sie zog das dauernd ab, ich hasse sowas. Das wurde mit mir schon in der Schule getan. Mittlerweile war mein Lächeln zu einem ernsthaft angepissten Gesicht geworden. „Also entweder ihr leiht jetzt was aus, oder ich schmeiße euch raus!“, rief ich und ergänzte murmelnd: „Hey hey, das reimt sich.“ Ich musste mich ein bisschen über diese poetische Glanzleistung meinerseits freuen.. „Okay, keinen Stress provozieren!“, sagte ihr Freund mit einer deeskalierenden Geste. Er hob leicht die Hände hoch. Sehr deeskalierend. „Habt ihr hier auch „Titanic“?“, fragte er.

Ich eskalierte.

„Bitte?!?“, fragte ich laut. So laut, dass sich die paar anderen Besucher in der Videothek umdrehten und mich anstarrten. „Diese fette Kuh, Kate „Vorleser-Nazi-Braut“ Winslet bumst mit ‘nem Milchbubi und ist am Ende zu blöd, um ihn rechtzeitig aus dem Scheiß-Wasser zu holen! Wie romantisch!“ Die letzten zwei Worte brüllte ich förmlich heraus. Nadine und ihr Freund zuckten zusammen. „Scheiß auf diesen Film! Wenn ihr zwei Vögel was romantisches mit Tiefgang sehen wollt, guckt „Before Sunset“ oder meinetwegen „High Fidelity“! Sie…“, ich zeigte mit dem nackten Zeigefinger auf die angezogene Ex-Freundin, „… weiß wovon ich rede, weil John Cusack im Hintergrund über Ex-Freundin Nummer 2 philosophierte während ich sie GEFICKT HABE!!!“

Stille. Nadine schaute betroffen auf den Boden, ihr neuer Freund sah abwechselnd sie und mich – immernoch auf sie zeigend – an. „Es war ein Fehler. Lass uns gehen, Jochen.“, sagte Nadine daraufhin leise und drehte sich um. Jochen sah mich an und sagte mir unterkühlterweise: „Du bist erbärmlich.“ Das war zuviel. Ich war drauf und dran, über die Theke zu hüpfen und ihm per Faustschlag seine blöde Hornbrille in die Augen zu befördern. „Erbärmlich? Du nennst mich erbärmlich! Komm‘ her Latsche, ich box‘ dir deine Öko-Visage zu Brei du Bastard! KOMM‘ HER! Denkst du ich hab‘ Angst vor dir, du… du… SPASTI?! Verfatzt euch aus meinem Laden oder es knallt!“ Ungefähr bei der Hälfte meines Monologs waren die beiden Clowns schon abgehauen. Mein Kumpel Robert, genannt Bobby, hatte mich zurückgehalten, bevor ich etwas wirklich schlimmes anstellen konnte.
Ja. Das war schön damals. Oder auch nicht.

Wo war ich?

Ach ja:…

Zurück in die damalige Gegenwart: Tanya war sexy. Verdammt heiß, wirklich jetzt. Ich könnte tausend Dinge aufzählen, die absolut heiß an ihr sind: Angefangen bei ihren schulterlangen roten Haaren und ihren tiefgrünen, kleinen Augen, die für einen dauerhaften Schlafzimmerblick sorgten. Danach ihre C-Cup-Brüste, dieser unglaubliche Knackarsch, diese Telefonsexstimme. Und einfach ihre ganze Art: Absolut locker, dauernd irgendeine anzügliche Bemerkung auf den Lippen, leichter russischer Akzent. Boah, ich verliere mich in Gedanken über sie in Schulmädchen­uniform, und wie ich sie als Mathelehrer für ihre schlechten Noten in Analysis bestrafe. Oh yeah, baby.

„Hey, J.R., alles klar bei dir?“, fragte sie, als sie halb angezogen und mit einigen Klamotten in den Händen am Tresen stand und sich über diesen lehnte, sodass ich in den T-Shirt-Ausschnitt auf einen Teil ihrer Brüste sehen konnte. „“Ich bin scheiße – na und?“ – Bist du kein Stück, Baby.“, sagte ich und musterte sie etwas: Sie hatte nur diese grässliche weiße T-Shirt und knielange Boxershorts an, dazu braune Turnschuhe. Der Rest ihrer Gaderobe war über ihre Arme gelegt. Sie musste ziemlich überstürzt irgendwo heraus gerannt sein.

„Sag‘ das mal meinem neuen Freund, dieses blöden Choleriker.“, entgegnete sie und rollte das r am Ende des Cholerikers. Ihren Grammatikfehler bemerkte ich gar nicht. Ich war sowas von verschossen in sie. „Naja, ähm…“, sie überlegte und sah kurz auf den dunkelblauen Teppichboden unter ihr, „Dings… ah ja…“, ihr Gesicht hellte sich auf, „Ich brauch‘ was, Alder.“ Okay, Alde. „Zeug. Du weißt schon.“ Sie sah mich an, als würden ihre Augen mich durchbohren können. Dieses Grün... Ich fasste mich und rief nach meinem Kumpel Bobby. „BOBBY!“, brüllte ich durch den Laden. „WAAAS?“, kam es entnervt zurück aus der Pornoecke. „KUNDSCHAFT FÜR DIE AB 21-ECKE!“, schrie ich wieder zurück. Ja, der Laden ist etwas größer, als ihr vielleicht denkt und mein Chef ist fast nie da. Deshalb herrscht Happy Anarchy bei Video24. Tagein, tagaus. Deshalb ist dieses Codewort – jemand für die ab 21-Ecke – für Bobby und sonst niemanden verständlich. Es bedeutet soviel wie: „Robert, beweg‘ deinen Arsch hierher, da will jemand Gras und ich brauche die Kohle. Also beeil‘ dich!“ Bobby kam angeschlurft. Ein unscheinbarer Typ mit etwas längeren schwarzen Haaren und ein wenig Übergewicht.

„Moin moin…“, murmelte er. Er murmelte immer, wenn er nicht gerade „WAAAS?!“, „Hamm’wa nich‘!!!“ oder „Jahaaan? Kommste ma‘ kurz?!“ durch den Laden brüllte oder Laute von sich gab, die sich anhörten, als ob man langsam die Luft aus einem Luftballon entweichen ließ. Diese Geräusche hatten soviele verschiedene Bedeutungen, dass ich gar nicht alles zusammen fassen kann. Dieses „Pffffrrrrt“ bedeute von „Warte, ich überlege…“ und „Was fragste mich denn sowas? Guck‘ ins Telefonbuch oder so.“ so ziemlich alles, bis hin zu „Oh, scheiße… Da war doch was…“. Seiner Laune gab er auch durch die Art und Weise Ausdruck, mit der er rauchte – hatte er Dreck am Stecken, quarzte er zum Beispiel sehr zurückhaltend und paffte meistens, anstatt zu inhalieren. Bobby ist eine komplexe Gestalt. So komplex, dass er mindestens fünfzig Mal pro Tag „Deine Mudder“ sagen muss, um diese Genialität seiner selbst hinter der Maske eines durchschnittlichen, leicht pummeligen, ständig notgeilen Gammlers zu verstecken, dessen einzige Lebensfreude es ist, anderen Leuten den Tag zu vermiesen.

„Wow, heiß…“, sagte er mit einem Lächeln über seinem von Burger King und Aknenarben gezeichneten Gesicht, als er die halbnackte Tanya erblickte. Sein Grinsen wich allerdings einem finsteren Gesichtsausdruck, als er meine ebenso lüsternen Blicke sah: „Scheiße, J.R., ich dachte diese Frauenscheiße ist vorbei, verdammte Scheiße.“ Das sagte er leise zu mir gewandt, sodass ich den Geruch von tagelanger Nicht-Hygiene und Fastfood-Ernährung voll abbekam, gemischt mit Zigarettengeruch und einem Hauch Raumspray.
„Alter!“, entgegnete ich und trat einen Schritt zurück, um der Burger-Fahne zu entgehen, die Bobby mit sich zog, „Duschst du dich in Frittenöl oder warum riechst du wie ‘ne Pommesbude in Bottrop?“ „Weil ich deine Mudder gevögelt hab.“, konterte Bobby mit einem Grinsen und führte Tanya in das Hinterzimmer der Pornoecke, in dem wir gefühlte 50 Tonnen Gras lagerten. Ich glaube, es waren nur 5 Kilo, aber sie stanken wie 50 Tonnen. Zum Glück hatten wir das „Lager“ so verputzt und isoliert, dass diese bestialische Gestank niemals nach draußen entwich.

Solange Bobby mit Tanya weg war, war ich also alleine an der Front. Genau in dem Augenblick, als mir dies bewusst wurde, kam ein kurzhaariger, großer blonder Mann – ich schätzte ihn auf Mitte 30 – und ein blondes, attraktives, leicht bekleidetes und ziemlich heftig schwankendes Mädchen – ungefähr 16 bis 18 Jahre jung – in den Laden gestiefelt. Er sagte zu ihr irgendwas auf russisch, keine Ahnung, was er sagte. Ich ahnte nur, dass es nicht gerade „Ich liebe dich, Schatzi“, sondern eher das Gegenteil gewesen sein muss, denn die Blondine schaute deprimiert auf den Boden und zupfte an ihrem viel zu kurzen, roten Kleid herum. Sie sah mich nur ganz kurz an. Aber dieser Blick reichte schon. Er war so traurig, um Hilfe schreiend und deprimierend, dass ich plötzlich eine leise Ahnung hatte, was sie und was er war.

„Ey, suce.“, pöbelte Ivanoderwieauchimmer Russki mich an, „Such‘ ich Film.“. Ehrlich, mich macht ein russischer Akzent heiß – aber nur, wenn die Stimme einer Frau gehört. Dieser Typ war alles andere als heiß, geschweige denn eine Frau. „Is‘ drringend, weisse?“ „Jaaa!“, sagte ich kopfnickend und sah aus wie ein Wackeldackel, „Welcher darf’s denn sein?“ „Kak?“, fragte Ivanoderso stirnrunzelnd, „Sagte ich doch, hui:…“, er hob den linken Zeigefinger und gestikulierte mit der rechten Hand wild herum, während er sprach, „Film!“, sagte er nach kurzer Überlegungspause. „Ach so!“, antwortete ich mit einem milden Lächeln, „Welcher denn?“ Ivandingsbums eskalierte langsam: „Booooaaaah hui! Ich suche scheißenschwule‘ Film, du mir helfen, bljad! Weisse, Film, Name weiß‘ nich‘, irgendwas mit Fotzen und Pistolen und Scheiße!“ Ah toll, mit so einer Filmbeschreibung konnte ich natürlich sehr viel anfangen, denn von dieser Sorte gab es ja gerade einmal schlappe 90 Millionen, davon die Hälfte aus Italien. „“Django“?“, fragte ich mit unsicherer Stimme. Ivanoderso hatte wohl die Schnauze gestrichen voll: „Booooaaaaah Njet suce! Schwörr, ich prrügel‘ dich tot du schwulem Video•••••••! Warrte…!“ Er wandte sich der Blondine zu und schrie ihr irgendeine Frage auf russisch entgegen, gefolgt von der ihrerseits ebenso geschrienen Antwort auf russisch. „Schwörr: „Fucking on Heaven’s Door“ oderr so, bljad.“, meinte er zu mir gewandt, nachdem ihm sein Nuttenjoker die Antwort zugebrüllt hatte.
„Hey hey, ich leih‘ dir gar nix aus, wenn du die Lady weiter so anschreist.“, sagte ich leise und mit einem ernsten Tonfall. Ivan fand das wohl ziemlich lustig. So lustig, dass er grinsenderweise eine schwarz lackierte Pistole aus seiner Trainingsjacke holte und sie mir vor die Stirn hielt. Es klackte, das Teil war entsichert und bereit, mein Hirn an das „Stirb Langsam 4.0“-Plakat, das hinter mir hing, zu klatschen. „Gib mirr Film. Jetzt.“, brummte Ivan.

Ich schluckte und kramte etwas unsicher in einer der DVD-Schubladen unterm Tresen. Ich war nicht auf der Suche nach seinem blöden Porno. Ich war auf der Suche nach Bobbys Schrotflinte, die irgendwo hinter den Naughty Schoolgirls-DVDs liegen musste. Da war sie. Ich musste nur noch rankommen. „Gleich hab‘ ich’s!“, sagte ich zu Ivan. Als ob ich soviel Trara um einen blöden Sexfilm machen würde. „Gleich!“ Die abgesägte Pump Action hatte sich verkanntet an der linken Schiene der Schublade. Ivan grummelte etwas auf russisch. Seine Stimme kam näher, was hieß, dass er sich über den Tresen lehnte und mich sehen konnte. Bevor er irgendwas sagen konnte, zog ich mit roher Gewalt an der Schrotflinte, sodass sie mir mitsamt Russian Lession 6 & 7 aus der Schublade entgegenkam. Ich hatte aus irgendwelchen selten dämlichen Gründen den linken Zeigefinger am Abzug, zudem entglitt mir die Waffe Richtung Ivans Hackfresse.

Ein lauter Knall, ein heftiger Rückstoß, mein schmerzender linker Arm, ein Frauenschrei.

Oh kacke.

Ich hatte Ivanodersos Hackfresse zu Hackfleisch verarbeitet.

Im selben Augenblick, in dem mir die Tragweite meiner Lage bewusst wurde, kamen Tanya und Bobby angestürmt und sahen abwechselnd mich, Ivans Überreste und die Tussi an, die immernoch planlos im Schock da stand, wo sie abgestellt wurde.

„Was… verfickte Scheiße…?!“, kam es aus Bobbys Mund gefurzt. „Ja…“, entgegnete ich und sah Ivanodersos Blut in einem dünnen Rinnsal vom Tresen aus direkt auf meine Schuhe tropfen, „Genau das.“ Ich stand auf, mein linker Arm tat weh vom Rückstoß der Pumpgun. Schnell zündete ich mir eine Zigarette an und versuchte, einen Überblick zu bekommen. Tanya hatte plötzlich ‘ne Jeans, die hatte sie vorher nicht angehabt. Hatte sie wohl in der Pornoecke angezogen. Es stank nach Weed, und außerdem…
„Sag‘ was!“, riss mich Bobby aus meinen Gedanken, während Tanya zu dem Mädchen rüberging und sie auf russisch beruhigte. „Okay.“, fing ich an, Bobby folgte meinen Handbewegungen Richtung Ivan, Schublade, Schrotflinte, Mädel und meinem Schwanz (warum auch immer ich darauf zeigte). „Sag‘ mir was passiert ist, Kollege Bierbauch.“, forderte Bobby und zündete sich jetzt ebenso eine Zigarette an. „Also…“, fing ich wieder an und zog an meiner Zigarette, „Ivan hier kam rein – mit der Tussi im Kleid – und wollte ‘nen Film ausleihen. Uuund er hatte eine Pistole. Uuund deshalb dachte ich, es wäre eine super Idee, ihn mit der Schrotflinte zu bedrohen. Warum auch immer. Und dann…“, ich machte eine Pause, um selbst meine dämliche Aktion zu realisieren, „… hab‘ ich die Schrotflinte rausgezogen, da hat sich ein Schuss gelöst und jetzt sieht Ivans Gesicht aus wie ein Kilo Gehacktes.“ Bobby sah mich an, danach das zermatschte Gesicht von Ivan. Dann blickte er zu Boden, zog an seiner Kippe und sagte diese fünf magischen Worte, die die komplette Situation perfekt zusammenfassten: „Kopfschuss! Scheiße! Das tötet Leute!“ Ich nickte, lächelte mild und sagte nur „Ich weiß.“

„Jungs, sie heißt Anna, ist fünfzehn Jahre alt und der Typ da – Alexej – war ihr Zuhälter.“, sagte Tanya, während sie auf uns zukam. „Und nun?“, fragte ich und runzelte die Stirn. Sie hob die rechte Augenbraue: „Alexej? Alexej Tashenko?“, sagte sie mit fragendem Unterton. Jetzt klingelte es. „Verwandt mit dem Usbeken? Wladimir? Der Chef von dieser Gang namens „Da Huis“?“, fuhr sie fort und ich merkte, dass ich nicht mehr auf Teppichboden, sondern Wackelpudding stand. Jetzt war mir bewusst, dass wir knietief in der Scheiße steckten. „Alles klar, J.R.?“, fragte Bobby. Ich hörte ihn nur verschwommen. Ich sah nur noch das Mädel in ihrem viel zu engen Kleid an und dachte daran, wer meine Playstation 3 bekäme, sobald ich sterben würde.

es geht noch weiter, aber das wäre es erstmal für euch zum reinkommen oder so :D

deserted-monkey
23.10.2009, 09:04
Hab's durch.
Bin gespannt wie's weitergeht, denke aber, dass es schon etwas voraussehbar ist. Was ich definitiv sagen kann, ist, dass du dich im Vergleich zu deiner letzten Geschichte weiterentwickelt hast. Vor allem stiltechnisch. Das Ganze liesst sich ziemlich angenehm, ist auch flüssig und aus einem Guss, keine grösseren Stilbrüche. Rechtschreibefehler habe ich praktisch keine gefunden. Allerdings wirkt für mich die Story etwas zu gewöhnlich. Klar, die Charaktere wissen auf ihre ganz eigene Weise eine gewisse Faszination auszulösen, aber ihr Handlungsrahmen wirkt sehr an gewisse Filme angelehnt. Die Dialoge finde ich meist gut, es gibt aber Stellen die für mich überzogen wirkten und deshalb von mir in ihrer Glaubhaftigkeit etwas in Frage gestellt werden (vor allem das ganze Digger, Alder und ey, Mann! fand ich etwas nervig). Einige Dialogzeilen brachten mich aber wirklich zum lachen. :D
Ja, ich würde sagen du postest am Besten weitere Teile, ich werde sie bestimmt kommentieren. ;)