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Moana
06.09.2009, 03:00
Kurz vor Mitternacht.
Es ist kalt. Wir haben Spätherbst, bald Winter. Der neue Mantel erweißt sich als nicht Wintertauglich. Nicht sonderlich warm und umständlich lang. Die Straße vollbefahren.
Hell. Laut. Zu Laut. Ich laufe über die Straße. Die Stadt lebt. Alles hell. Zu viel. Geht weg!
Ich muss zur U-Bahn.
Ich steige die Stufen herab zur Station. Dort sind viele Menschen, Zigarettenqualm steigt mir in die Nase, das Parfüm der alten Dame vor mir, der Biergestank des Penners auf den Stufen. Es riecht nach Urin. Das Licht. Zu Hell. Viel zu hell.
Muss warten, die U-Bahn kommt erst in einer halben Stunde.
Setze mich.
"Entschuldigen Sie?"
Mein Puls beginnt zu rasen. Ich springe auf und renne. Scheiß auf die U-Bahn, ich schaffe es auch zu Fuss. Renne aus der Station nach Draußen.
Es beginnt zu schneien.

Ungefähr dreizehn Minuten nach Zwölf.
Bin bis zum Kirchplatz gerannt. Bin außer Puste. Muss mich setzen. Hier ist es nicht so laut.
Aber immer noch zu viele Menschen. Ein paar frierende Obdachlose, zugedeckt mit Zeitungen und Müll. Ein Schild vor ihnen. "Kein Dach auf dem Kopf, bitte eine Spende." Jaja... Bestimmt wieder irgendein Syndikat, das Menschen auf die Straße schickt und dann das Kleingeld einkassiert. Gibt's doch überall. Eine Gruppe Jugendlicher. Sie grölen lautstark. "Scheiß
auf die Polizei!" "Zwischen Bullenhelm und Nasenbein passt immer noch ein Pflasterstein!"
Ihre Parolen. Dumm, stumpfsinnig. Ein Streifenwagen fährt vor. Sie beginnen zu rennen. Mein Puls rast. Ich renne wieder.

Kurz vor Halb Eins.
Habs fast geschafft. Nur noch zwei Blocks. Aber jetzt erstmal eine Pause. Gehe zur Tanke
gegenüber. 2 Red-Bull und ne Schachtel Marlboro bitte. Ich bezahle und geh raus.
Bank. Sitzen.
Denk nach, denk nach. Nur nicht den Kopf verlieren. Es war nicht meine Schuld. Es war ihre
Schuld... Ja genau, es war IHRE Schuld. Die U-Bahn kommt aus dem Tunnel. Das Licht ist
grell. Kann nicht erkennen, wohin sie fährt. Doch. Nicht meine Richtung. Egal, ich habs nicht mehr weit.

Punkt Halb Eins.
Ich schließe die Wohnungstüre hinter mir. Sinke auf den Boden. Bin völlig kaputt. Aber sicher.
Hierher kommt niemand. Richte mich auf. Gehe ins Wohnzimmer.
Sie liegt da. Blut. So viel Blut. Kopfschmerzen. Gehe ins Bad. Tabletten, wo hab ich sie hingelegt? Müssen doch hier sein. Verdammt, sind alle.
Denk nach, denk nach. Muss was tun, kann sie doch nich einfach hier liegen lassen! Was, wenn wer sie so sieht?
Was ist nur in mich gefahren? Bin noch nie so ausgetickt. Die Vase, zerbrochen. Scherben. Blut. Warum??
Polizeisirenen.
Es ist viertel vor Zwei.

DieHeiligeSandale
06.09.2009, 10:38
Insgesamt eine gute und interessant geschriebene Geschichte. Das hohe Tempo der panischen Gedanken im Kopf des Protagonisten wird sehr gut deutlich. Das macht die Geshichte spannend. Dein fast kontinuierliches Weglassen von Verben trägt zwar meistens zu diesem Effekt bei, sorgt aber in seiner Masse auch dafür, dass die Sprache teilweise hölzern und à la "Ich Tarzan, du Jane" rüber kommt, als wäre der Protagonist dumm. Vielleicht ein paar Verben mehr hie und da, dann hat sich das.
Und kurz noch. "Scheiß auf die Polizei!" eignet sich eher nicht als Parole. Beliebter sind rythmische Sprüche wie "Polizei SA/SS, GSG9 und BGS!" oder "Hass, Hass, Hass wie noch nie! All Cops Are bastards, ACAB!" oder "Deutsche Polizisten - Mörder und Faschisten!"

Das war's von mir.

PiqueValet
06.09.2009, 22:53
Gefällt mir echt gut, ein Stil den ich persönlich sehr gerne mag, ein kleines Stück aus einer möglicherweise großen Handlung rausgerissen und das dann präsentieren, so entseht aus einem Teil eine unendliche Vielzahl an Geschichten.

Und dieses Stück hier wird echt gut erzählt, obwohl ich am Anfang keinen Grund dafür gesehen habe, habe ich mich beim Lesen gehetzt gefühlt, das Einzige, was mich ein wenig ausgebremst und mir damit irgendwie den Fluss genommen hat war die Pause bei der Tankstelle, ich finde da gerät es etwas ins Stocken, vor allem weil es sich danach plötzlich wieder beschleunigt und dann ja erst in der Wohnung, "in Sicherheit" so langsam ausklingt.
Weis nicht ob dieser Effekt gewollt war, ich perönlich bin eher drüber gestolpert.

Anders als bei Sandale entstand bei mir aber durch das Auslassen der Verben kein Eindruck eines dummen Protagonisten sondern eines, der seine Gedanken nicht abarbeiten kann, weil sie durch ihn durch rasen und ich denke so soll es ja auch sein.
In Punkto Parole stimme ich ihm wieder zu, vor allem zur Zweiten passt "Scheiß auf die Polizei" nicht so recht dazu.

Dennoch wie gesagt im Gesamtbild echt gut und ein schönes Kopfkino in wenigen Zeilen.

Geno.

waterboynation
12.09.2009, 05:00
Finde es gut geschrieben und man kommt beim lesen kommt man gut in den Text, um zu verstehen um was es geht. Kann man auch ein wenig mit der heutigen Gesellschaft vergleichen, die verleben ihr Leben auch so hektisch und haben keine Gedanken für andere Menschen mehr.

(wüsste noch gar nicht das man hier auch Gedichte und Texte veröffentlichen kann)

mfg waterboynation