DieHeiligeSandale
04.07.2009, 11:34
Der Versuch einer Art Kindergeschichte. Zumindest der Anfang davon.
Die Welt ist ein Rätsel. In den Tiefen der Wälder hält sie Geheimnisse versteckt. In den Tiefen der Meere bewahrt sie Schätze auf, die darauf warten, entdeckt zu werden. In den Tiefen des Erdreiches vergraben lässt sie längst untergegangene Zeiten überdauern. Es gibt so viel zu entdecken und noch mehr zu verstehen.
Willy Wunderbaum hatte sich vorgenommen, die Erde kennen zu lernen. Er war acht Jahre alt und lebte mit seinen Eltern in einer schönen Gegend der Stadt, in der auch du lebst. Er besaß einen Tropenhelm aus Plastik, wie ihn die Dschungelabenteurer aus dem Fernsehen trugen. Außerdem hatte er ein Fernglas und ein Schweizer Taschenmesser. Seine Sammlung von Dingen, die für Abenteuer unerlässlich sind, wurde von einem Wanderrucksack für Kinder, einer Lupe und einem Schreibblock mit Kugelschreiber vervollständigt.
Eines Tages, nach dem Abendbrot, sagte Willy zu seinen Eltern: „Mama, Papa, es ist schön bei euch. Aber ich werde mich jetzt auf den Weg machen und ein Abenteuer erleben. Ich weiß nicht, wann ich wieder hier sein werde. Wartet nicht auf mich.“ Er sagte dies äußerst bedeutungsschwer, hatte lange an dem Satz gefeilt, schließlich war es sein Abschied von seinen Eltern. Zum ersten Mal würde er sie verlassen um die Welt zu bereisen. Von Reisen, hatte man ihm gesagt, kommt nie der selbe Mensch zurück.
Seine Mutter und sein Vater lächelten sich geheimnisvoll und vergnügt an. „Ist gut“, sagte seine Mutter und strubbelte Willy durchs Haar. „Aber putz dir vorher die Zähne!“. Willy versprach es hoch und heilig. Er ging in sein Zimmer und packte die Reisesachen. Dann zog er sich seine Jacke und seine guten Lederschuhe an. Er betrachtete sich im Spiegel; so mit Tropenhelm, Rucksack, Jacke und Schuhen sah er sehr professionell aus. Ein echter Abenteurer. Er putze sich die Zähne, wie er es versprochen hatte. Drei Minuten, denn so gehört es sich. Danach ging er die Treppe herunter, in den Hausflur, zur Haustür, öffnete sie, trat heraus und verließ das Elternhaus, um sich auf den Weg zu seinem ersten Abenteuer zu machen. Ein glorreiches Gefühl war das, fand Willy, als wäre er schon der Held, der er werden wollte.
Willy wusste ganz genau, wo er hin gehen musste, wenn er geheimnisvolle Abenteuer erleben wollte. Wenn man die Straße ein Stück herunter ging und dann in den alten Kiesweg abbog, kam man zu einem Wald. Gerade jetzt in der Abendsonne warf der Wald lange, geheimnisvolle Schatten voraus und verhieß Abenteuer. Hier gab es etwas zu entdecken, keine Frage.
Ein wenig mulmig war Willy schon zumute, als er so da stand, im Begriff, den Wald zu betreten. Vorbei an dein beiden Baumriesen, die den Beginn des schmalen Waldweges säumten, der vom Kiesweg her abbog. Hinein ins Ungewisse, das darauf wartete, von ihm entdeckt zu werden. „Ich hab keine Angst.“, sagte Willy. Zunächst sagte er es leise, zu sich selbst, quasi um sich daran zu erinnern, dass er wirklich keine Angst hatte. Dann sagte er es noch ein paar mal, etwas lauter, bestimmter, in Richtung des Waldes. Am Ende sagte er es laut und sicher zu den beiden Baumriesen. Die kicherten tief und langsam, aber gutmütig, wie Bäume im Frühling eben kichern, und luden ihn mit großen Gesten dazu ein, nun doch endlich einzutreten, statt draußen zu stehen und zu rufen. Willy lies sich nicht länger bitten, machte sieben Schritte und war mitten im Abendteuer.
Von irgendwoher heulte ein Wolf, das war unverkennbar. Ein einsamer Jäger auf nächtlichem Streifzug, der den Mond begrüßte. Ein paar späte Vögel unterhielten sich noch ein wenig vor dem Einschlafen, über belanglosen Kram. Vögel sind nicht sehr durchgeistigt, musst du wissen. Einfacher ausgedrückt: Sie sind eher dumme und oberflächliche Tiere, zumindest die kleinen. Schnattern den ganzen Tag über Gott und die Welt, aber ohne ihre Worte mit Sinn zu füllen. Nur auswendig gelernte Sätze, die schön klingen. Das ist alles, was sie können.
Der Weg führte um Kurven, die sich durch den Wald schlängelten und flochten wie die letzten kleinen Sonnenstrahlen des Tages durch das Geäst der Bäume. Es ging unberechenbar und labyrinthhaft immer tiefer hinein, zum Herz des Waldes, das irgendwo tief darin schlug. In jedem Wald schlägt ein Herz. Um das Herz tanzen die Waldgeister. Sie sind ein lustiges, aber auch freches, kämpferisches und rachsüchtiges Völkchen. Sicherlich boshafter als die Elfen, doch sie sind es, die den Wald verteidigen, wenn Not am Mann ist. Manchmal kommen böse Menschen und schlagen Bäume ab und Siedlungen zu bauen. Diese Menschen werden von Waldgeistern für gewöhnlich mit gemeinen Flüchen belegt. Doch manchmal zerstören die Menschen bei ihren Rodungen auch Waldherzen. Dann müssen die Waldgeister sterben, und mit ihnen stirbt nach und nach auch alles andere im Wald. Nur die Tiere überleben, wenn sie schnell genug ein neues Heim finden.
Zunächst machte Willy aber Bekanntschaft mit einem ganz anderen Waldvolk. Den Wurzelzwergen. Wurzelzwerge sind kleine, knubbelige Gesellen, ungefähr eine Elle lang und stets schlecht gelaunt. Wenn ein Baum wächst, treibt er ein weit verzweigtes Wurzelwerk tief in den Boden. Auf der oberen Seite kommen dabei die Bäume heraus. Aus der unteren wachsen die Wurzelzwerge. Glaube mir, es ist wirklich nicht schön, so zur Welt zu kommen. Unter der Erde, im Dreck sozusagen, an den Wurzeln eines Baumes hängend, der ungerechterweise in die andere Richtung wachsen durfte. Von diesem Moment an sind Wurzelzwerge schlecht gelaunt und sie bleiben es ihr ganzes Leben lang.
Trotzdem lieben und beschützen die Wurzelzwerge ihre großen Brüder die zur Sonne wachsen, und ihr Leben endet immer gleichzeitig mit dem ihres Baumes. Daher ist es verständlich, dass Wurzelzwerge was Bäume angeht noch viel weniger Spaß verstehen, als ohnehin schon.
Willy hatte bis zu diesem Moment noch nie von Wurzelzwergen gehört. Er spürte nur, dass seine Blase drückte, und wollte sich der herausdrängenden Flüssigkeit entledigen, wie er das nun mal kannte. Also stellte er sich an einen Baum und pinkelte. Sofort durchschnitt ein gellender Aufschrei die frische Abendluft. „Halunke! Schuft! Schweinigel, schweinischer! Du ... Du Hundsfott! Du dämlicher Knallcharge!“ meckerte und fluchte der Zwerg des Baumes den völlig erschrockenen Willy an. Wurzelzwerge fluchen gern. Da sie nicht in den Städten der Menschen wohnen, kennen sie höchstens alte Flüche, die heute schon fast als harmlos und lachhaft gelten, aber von denen machen sie so viel Gebrauch, wie sie nur können.
„Was bist du denn?“, fragte Willy das kleine, knubbelige, gelbe Wurzelwesen, das sich da vor ihm aufbaute und sich wirklich Mühe gab, halbwegs bedrohlich auszusehen. „Was ich BIN? Du dummer Knallkopf! Ich bin Knork, der Wurzelzwerg dieses Baumes! Was fällt dir ein, meinen Bruder anzupinkeln? Was für eine bodenlose Frechheit! Was für eine gemeine Schweinerei! Was für eine fürchterliche Respektlosigkeit! Du Hallodri! Was denkst du dir, du Anarchist?“ „Ich weiß nicht ...“ stammelte Willy. „Ich wusste nicht, dass das so schlimm ist. Es tut mir leid.“ Der Zwerg sah ihn scharf und böse an. „Na gut.“, sagte er schließlich, „Ich will noch mal ein Auge zudrücken. „Danke.“, sagte Willy, und wollte gerade gehen. „Halt!“, rief der Zwerg, „Niemand hat dir erlaubt, zu gehen!“, „Aber ich dachte ...“, wollte Willy einen Satz beginnen, doch der Wurzelzwerg ließ ihn nicht ausreden. „Du hast nicht zu denken! Du hast mir zuzuhören! Ich habe natürlich so meine Bedingungen. Schließlich hast du ein ordentliches Waldverbrechen begangen. Ich will zwar Gnade vor Recht ergehen lassen, aber ganz so einfach kommst du mir doch nicht davon!“ „Was willst du denn?“, fragte Willy. „Setz dich!“, forderte der Zwerg ihn auf. „Deine unnatürliche Größe macht mich nervös, Riese. Ist ja ekelhaft.“
Riese. So hatte noch nie jemand Willy genannt. Irgendwie gefiel ihm das. Er tat Knork den Gefallen und setzte sich hin. „Also, hör zu“, sagte Knork, „Du kommst mir, ehrlich gesagt, wie gerufen. Weißt du, ich besitze nämlich einen Schatz. Einen echten Schatz. Einen Goldschatz. Nur ist es leider so ... Er wurde gestohlen.“ „Gestohlen?“, Willy traute seinen Ohren kaum, „Wie gemein!“ „Das kannst du aber laut sagen!“, pflichtete Knork ihm entrüstet bei, „Und wie du das laut sagen kannst! Feige Hunde sind das, alle miteinander!“ „Wer denn?“, hakte Willy nach. „Na, die Wasserkröten! Gemeine Viecher sind das! Haben meinen Goldschatz in den Tümpel verschleppt. Wissen ganz genau, dass unser einer nicht schwimmen kann. Man ist nun mal ein Wurzelzwerg und kein Fisch, nicht wahr? Niemand kann raus aus seiner Haut.“
Willy hatte Mitleid mit Knork. Er beschloss, dem Wurzelzwerg zu helfen. Er ließ sich den Weg zum Tümpel beschreieben und ging los. Es ging durch dichtes Gestrüpp und Unterholz und Willy bekam Schrammen an den Beinen, auf den Armen und im Gesicht, während es immer dunkler, kälter und unheimlicher wurde. Das war genau, wie sich ein Abenteuer wohl anfühlen musste. Und er befand sich mitten in einem. Er holte den Goldschatz eines verärgerten Zwerges von einem gemeinen Feind zurück. Wie viele große Helden hatten das vor ihm schon getan!
Der Tümpel war eher ein Teich. Und zwar ein großer und schöner, fast schon ein See. Knork hatte in seiner Verachtung für alles, was mit Wasser zu tun hatte, maßlos untertrieben. Der volle Mond, den man mittlerweile schon besser sehen konnte als das Bisschen Sonne, das den untersten Streifen des Horizonts rötlich gelb färbte, spiegelte sich auf der glatten Wasseroberfläche. Der Teich war von hohem Wassergras umsäumt. Willy stellte sich so nah an das Ufer, wie er konnte, ohne abzurutschen und hinein zu fallen. Dann rief er, mit der selben lauten, festen und entschlossenen Stimme, mit der er vorher schon den Baumriesen am Eingang des Waldes, die ihm mittlerweile unendlich weit entfernt vorkamen, auf den Teich hinaus: „Wesen des Wassers! Insbesondere die Kröten! Mein Name ist Willy Wunderbaum und ich bin hier, um den gestohlenen Schatz von Knork, dem Wurzelzwerg abzuholen! Bitte händigt ihn mir aus!“
Er hörte deutlich ein gluckerndes Lachen, das klang wie vergnügt sprudelndes Wasser. Also fügte er noch ein paar bedrohlichere Sätze an. „Ich mache keine Späße! Ich will diesen Schatz, sonst ...“ „Sonst was?“, fragte das Mädchen, das jetzt plötzlich seinen Kopf aus dem Wasser hervor streckte, schnippisch aber nicht boshaft lächelnd. Sie war genau so alt wie Willy und so hübsch, dass sein Unterkiefer herunter klappte und er sie anstarren musste. „Bist du eine Meerjungfrau?“, fragte er sie fassungslos. Sie lachte wieder wie gluckerndes Wasser und nickte dann. „Äh ... Ich habe noch nie eine Meerjungfrau gesehen!“ „Und ich habe noch nie ein ... Was bist du?“ „Ein Mensch. Ich bin ein Mensch, aus der Welt der Menschen, um eure zu erforschen!“ Die Meerjungfrau guckte verdutzt. „Ein Mensch willst du sein? Nein, du bist kein Mensch.“ „Was soll das heißen, ich bin kein Mensch?“, fragte Willy, ein bisschen ärgerlich. „Na, Menschen sind doch viel größer als du! Außerdem können Menschen Meerjungfrauen gar nicht sehen.“ „Na ja“, erklärte Willy, „Ich bin ja auch noch ein Kind.“ „Ach so, ein Kind bist du!“, rief sie aus. Willy war verwundert. Er fragte: „Bist du nicht auch ein Kind?“ „Nein, ich bin eine Meerjungfrau, habe ich doch schon gesagt.“ „Ich dachte, die wären auch viel größer.“ „Woher wolltest du das denn wissen, ohne jemals eine gesehen zu haben?“, fragte sie ihn. Das leuchtete Willy ein. Also musste er darüber nicht mehr nachdenken und konnte wieder an seinen Auftrag denken.
„Also, kennst du die Kröten, die den Schatz von Knork dem Zwerg geklaut haben?“ „Ja, die kenne ich“, sagte die Meerjungfrau, „Das waren meine Freunde Tonk und Ponk. Zwei Brüder übrigens. Die klauen gerne mal was. Besonders, wenn es glitzert.“ „Kannst du ihnen sagen, dass sie mir den Schatz geben sollen?“, fragte Willy, und die Meerjungfrau gluckerte wieder. „Das musst du schon selber tun!“, sagte sie. „Aber ich kann kein krötisch!“, entgegnete Willy verzweifelt. Da bekam die Meerjungfrau Mitleid und sagte: „Na gut, ich werde sie für dich fragen. Aber du musst mitkommen!“ Also zog Willy seine Sachen aus und legte sie fein säuberlich am Ufer zusammen. Dann stieg er in das kalte Wasser und erstarrte fast zu Eis, im ersten Moment. Die Meerjungfrau gluckerte wieder, schwamm zu ihm, nahm ihn an die Hand und tauchte mit ihm unter. Willy hielt die Luft an und besah sich staunend die Unterwasserwelt, in die sie ihn entführte. Schillernde Korallen, bunte Fische und eine Tiefe, die man von oben nicht einmal erahnen konnte. Willy hatte nicht gewusst, dass Kröten auch so tief unter dem Wasser leben konnten. Er hatte immer gedacht, Kröten lebten nur an den Ufern. Unten am Grund des Teiches standen eigentümliche Bauten aus Stein, die fast wirkten, als hätten Menschen sie vor vielen Jahren gebaut und sie eines Tages dem Wasser überlassen. Auf dem Dach eines dieser kuppelförmigen Gebilde saßen zwei Kröten und schienen irgendein Spiel miteinander zu spielen, das viel Geschick erforderte. Der Meerjungfrau schwamm zu ihnen hin und sagte: „Seht mal, das da ist ein so genanntes Kind. Es wurde von Knork geschickt, um seinen Goldschatz wieder abzuholen, den ihr zwei geklaut habt.“, und Willy wunderte sich, dass er das verstehen konnte. In der nächsten Sekunde wunderte er sich, dass er so lange die Luft anhalten konnte und schon geschah es: Es öffnete unwillkürlich den Mund und versuchte, einzuatmen. Wasser lief in seine Lunge, Tränen schossen in seine Augen, er konnte nicht mehr atmen, bekam Panik, strampelte und schließlich wurde alles schwarz vor seinen Augen.
Als er die Augen wieder öffnete, lag er am Ufer. Neben ihm lagen ein paar schillernde Goldstücke. „Gut, du bist wach“, hörte er die Stimme der Meerjungfrau neben seinem Kopf sagen. Sie schwamm nah am Ufer des Flusses und sah Willy besorgt an. „Du musst noch viel über Wälder lernen, wie ich sehe.“, sagte sie weiter. „Du darfst hier niemals an dem zweifeln, was ist. Sobald du zweifelst, ist es nicht mehr wahr. Genau das ist der Grund, warum Menschen hier nicht her finden, und wenn sie es tun nichts sehen. Sie zweifeln. Zweifel kann dich in sehr gefährliche Situationen bringen. Zweifele niemals!“ Willy nickte nur gehorsam. „Gut“, sagte die Meerjungfrau. „Den Goldschatz haben die Kröten dir aus Mitleid gegeben. Geh und bring ihn deinem habgierigen Zwergenfreund.“ „Er ist nicht mein Freund“, stellte Willy klar. „Ist schon gut“, meinte die Meerjungfrau, „Das weiß ich doch. Niemand kann mit einem Wurzelzwerg befreundet sein. Sie sind unausstehlich.“
Dann schwamm sie wieder auf das Wasser hinaus und wollte abtauchen. „Warte!“, rief Willy. „Was denn noch?“, fragte sie. „Wie heißt du?“ „Bella natürlich!“, sagte sie und tauchte weg. Willy nahm den Goldschatz und ging damit zu Knork zurück. Mittlerweile war es sehr dunkel und kalt geworden. Den Weg zurück zu finden war schwerer, als es vorhin gewesen war, den Weg hin zu finden. Doch schließlich war er wieder an dem Baum, an dem er Knork getroffen hatte. Dort stand der Wurzelzwerg auch schon ungeduldig. „Da bist du ja endlich!“, rief er, als er Willy kommen sah. „Hast du meinen Schatz?“, „Ja, hier“, sagte Willy und gab Knork die Goldmünzen. Der Zwerg zählte sie und war zufrieden. „Tatsächlich, das sind alle. Sehr gut. Du kannst jetzt gehen.“ Das wollte Willy nur all zu gern. Er drehte sich in die Richtung, in der vorher der Weg gewesen war, nur um mit Entsetzen fest zu stellen, dass dieser verschwunden war. „Knork!“, rief er, „Wo ist der Weg?“ „Der Weg?“, wiederholte der Zwerg noch einmal, „Ach so, der Weg. Der ist vor einer Stunde weiter gegangen. Er wartet nicht ewig, so ein Weg.“ „Aber wie soll ich denn jetzt nach Hause kommen?“, fragte Willy verzweifelt, den Tränen nah. „Da wirst du dir wohl etwas einfallen lassen müssen. Ich weiß es jedenfalls nicht. Ist nicht mein Problem.“, sagte der Wurzelzwerg kalt und verschwand im Geflecht der Äste seines großen Bruders, wo er seinen Schlafplatz hatte. Willy streunte noch eine Weile verzweifelt durch die Bäume bis er einsah, dass es keinen Sinn hatte. Er würden den Weg heute im Dunkeln nicht wieder finden und musste wohl oder übel im Wald schlafen. Als er sich in eine kleine Mooskuhle kauerte und vor Kälte zitterte, vermisste er sein Bett so sehr, wie er es nie zuvor im Leben vermisst hatte.
Die Welt ist ein Rätsel. In den Tiefen der Wälder hält sie Geheimnisse versteckt. In den Tiefen der Meere bewahrt sie Schätze auf, die darauf warten, entdeckt zu werden. In den Tiefen des Erdreiches vergraben lässt sie längst untergegangene Zeiten überdauern. Es gibt so viel zu entdecken und noch mehr zu verstehen.
Willy Wunderbaum hatte sich vorgenommen, die Erde kennen zu lernen. Er war acht Jahre alt und lebte mit seinen Eltern in einer schönen Gegend der Stadt, in der auch du lebst. Er besaß einen Tropenhelm aus Plastik, wie ihn die Dschungelabenteurer aus dem Fernsehen trugen. Außerdem hatte er ein Fernglas und ein Schweizer Taschenmesser. Seine Sammlung von Dingen, die für Abenteuer unerlässlich sind, wurde von einem Wanderrucksack für Kinder, einer Lupe und einem Schreibblock mit Kugelschreiber vervollständigt.
Eines Tages, nach dem Abendbrot, sagte Willy zu seinen Eltern: „Mama, Papa, es ist schön bei euch. Aber ich werde mich jetzt auf den Weg machen und ein Abenteuer erleben. Ich weiß nicht, wann ich wieder hier sein werde. Wartet nicht auf mich.“ Er sagte dies äußerst bedeutungsschwer, hatte lange an dem Satz gefeilt, schließlich war es sein Abschied von seinen Eltern. Zum ersten Mal würde er sie verlassen um die Welt zu bereisen. Von Reisen, hatte man ihm gesagt, kommt nie der selbe Mensch zurück.
Seine Mutter und sein Vater lächelten sich geheimnisvoll und vergnügt an. „Ist gut“, sagte seine Mutter und strubbelte Willy durchs Haar. „Aber putz dir vorher die Zähne!“. Willy versprach es hoch und heilig. Er ging in sein Zimmer und packte die Reisesachen. Dann zog er sich seine Jacke und seine guten Lederschuhe an. Er betrachtete sich im Spiegel; so mit Tropenhelm, Rucksack, Jacke und Schuhen sah er sehr professionell aus. Ein echter Abenteurer. Er putze sich die Zähne, wie er es versprochen hatte. Drei Minuten, denn so gehört es sich. Danach ging er die Treppe herunter, in den Hausflur, zur Haustür, öffnete sie, trat heraus und verließ das Elternhaus, um sich auf den Weg zu seinem ersten Abenteuer zu machen. Ein glorreiches Gefühl war das, fand Willy, als wäre er schon der Held, der er werden wollte.
Willy wusste ganz genau, wo er hin gehen musste, wenn er geheimnisvolle Abenteuer erleben wollte. Wenn man die Straße ein Stück herunter ging und dann in den alten Kiesweg abbog, kam man zu einem Wald. Gerade jetzt in der Abendsonne warf der Wald lange, geheimnisvolle Schatten voraus und verhieß Abenteuer. Hier gab es etwas zu entdecken, keine Frage.
Ein wenig mulmig war Willy schon zumute, als er so da stand, im Begriff, den Wald zu betreten. Vorbei an dein beiden Baumriesen, die den Beginn des schmalen Waldweges säumten, der vom Kiesweg her abbog. Hinein ins Ungewisse, das darauf wartete, von ihm entdeckt zu werden. „Ich hab keine Angst.“, sagte Willy. Zunächst sagte er es leise, zu sich selbst, quasi um sich daran zu erinnern, dass er wirklich keine Angst hatte. Dann sagte er es noch ein paar mal, etwas lauter, bestimmter, in Richtung des Waldes. Am Ende sagte er es laut und sicher zu den beiden Baumriesen. Die kicherten tief und langsam, aber gutmütig, wie Bäume im Frühling eben kichern, und luden ihn mit großen Gesten dazu ein, nun doch endlich einzutreten, statt draußen zu stehen und zu rufen. Willy lies sich nicht länger bitten, machte sieben Schritte und war mitten im Abendteuer.
Von irgendwoher heulte ein Wolf, das war unverkennbar. Ein einsamer Jäger auf nächtlichem Streifzug, der den Mond begrüßte. Ein paar späte Vögel unterhielten sich noch ein wenig vor dem Einschlafen, über belanglosen Kram. Vögel sind nicht sehr durchgeistigt, musst du wissen. Einfacher ausgedrückt: Sie sind eher dumme und oberflächliche Tiere, zumindest die kleinen. Schnattern den ganzen Tag über Gott und die Welt, aber ohne ihre Worte mit Sinn zu füllen. Nur auswendig gelernte Sätze, die schön klingen. Das ist alles, was sie können.
Der Weg führte um Kurven, die sich durch den Wald schlängelten und flochten wie die letzten kleinen Sonnenstrahlen des Tages durch das Geäst der Bäume. Es ging unberechenbar und labyrinthhaft immer tiefer hinein, zum Herz des Waldes, das irgendwo tief darin schlug. In jedem Wald schlägt ein Herz. Um das Herz tanzen die Waldgeister. Sie sind ein lustiges, aber auch freches, kämpferisches und rachsüchtiges Völkchen. Sicherlich boshafter als die Elfen, doch sie sind es, die den Wald verteidigen, wenn Not am Mann ist. Manchmal kommen böse Menschen und schlagen Bäume ab und Siedlungen zu bauen. Diese Menschen werden von Waldgeistern für gewöhnlich mit gemeinen Flüchen belegt. Doch manchmal zerstören die Menschen bei ihren Rodungen auch Waldherzen. Dann müssen die Waldgeister sterben, und mit ihnen stirbt nach und nach auch alles andere im Wald. Nur die Tiere überleben, wenn sie schnell genug ein neues Heim finden.
Zunächst machte Willy aber Bekanntschaft mit einem ganz anderen Waldvolk. Den Wurzelzwergen. Wurzelzwerge sind kleine, knubbelige Gesellen, ungefähr eine Elle lang und stets schlecht gelaunt. Wenn ein Baum wächst, treibt er ein weit verzweigtes Wurzelwerk tief in den Boden. Auf der oberen Seite kommen dabei die Bäume heraus. Aus der unteren wachsen die Wurzelzwerge. Glaube mir, es ist wirklich nicht schön, so zur Welt zu kommen. Unter der Erde, im Dreck sozusagen, an den Wurzeln eines Baumes hängend, der ungerechterweise in die andere Richtung wachsen durfte. Von diesem Moment an sind Wurzelzwerge schlecht gelaunt und sie bleiben es ihr ganzes Leben lang.
Trotzdem lieben und beschützen die Wurzelzwerge ihre großen Brüder die zur Sonne wachsen, und ihr Leben endet immer gleichzeitig mit dem ihres Baumes. Daher ist es verständlich, dass Wurzelzwerge was Bäume angeht noch viel weniger Spaß verstehen, als ohnehin schon.
Willy hatte bis zu diesem Moment noch nie von Wurzelzwergen gehört. Er spürte nur, dass seine Blase drückte, und wollte sich der herausdrängenden Flüssigkeit entledigen, wie er das nun mal kannte. Also stellte er sich an einen Baum und pinkelte. Sofort durchschnitt ein gellender Aufschrei die frische Abendluft. „Halunke! Schuft! Schweinigel, schweinischer! Du ... Du Hundsfott! Du dämlicher Knallcharge!“ meckerte und fluchte der Zwerg des Baumes den völlig erschrockenen Willy an. Wurzelzwerge fluchen gern. Da sie nicht in den Städten der Menschen wohnen, kennen sie höchstens alte Flüche, die heute schon fast als harmlos und lachhaft gelten, aber von denen machen sie so viel Gebrauch, wie sie nur können.
„Was bist du denn?“, fragte Willy das kleine, knubbelige, gelbe Wurzelwesen, das sich da vor ihm aufbaute und sich wirklich Mühe gab, halbwegs bedrohlich auszusehen. „Was ich BIN? Du dummer Knallkopf! Ich bin Knork, der Wurzelzwerg dieses Baumes! Was fällt dir ein, meinen Bruder anzupinkeln? Was für eine bodenlose Frechheit! Was für eine gemeine Schweinerei! Was für eine fürchterliche Respektlosigkeit! Du Hallodri! Was denkst du dir, du Anarchist?“ „Ich weiß nicht ...“ stammelte Willy. „Ich wusste nicht, dass das so schlimm ist. Es tut mir leid.“ Der Zwerg sah ihn scharf und böse an. „Na gut.“, sagte er schließlich, „Ich will noch mal ein Auge zudrücken. „Danke.“, sagte Willy, und wollte gerade gehen. „Halt!“, rief der Zwerg, „Niemand hat dir erlaubt, zu gehen!“, „Aber ich dachte ...“, wollte Willy einen Satz beginnen, doch der Wurzelzwerg ließ ihn nicht ausreden. „Du hast nicht zu denken! Du hast mir zuzuhören! Ich habe natürlich so meine Bedingungen. Schließlich hast du ein ordentliches Waldverbrechen begangen. Ich will zwar Gnade vor Recht ergehen lassen, aber ganz so einfach kommst du mir doch nicht davon!“ „Was willst du denn?“, fragte Willy. „Setz dich!“, forderte der Zwerg ihn auf. „Deine unnatürliche Größe macht mich nervös, Riese. Ist ja ekelhaft.“
Riese. So hatte noch nie jemand Willy genannt. Irgendwie gefiel ihm das. Er tat Knork den Gefallen und setzte sich hin. „Also, hör zu“, sagte Knork, „Du kommst mir, ehrlich gesagt, wie gerufen. Weißt du, ich besitze nämlich einen Schatz. Einen echten Schatz. Einen Goldschatz. Nur ist es leider so ... Er wurde gestohlen.“ „Gestohlen?“, Willy traute seinen Ohren kaum, „Wie gemein!“ „Das kannst du aber laut sagen!“, pflichtete Knork ihm entrüstet bei, „Und wie du das laut sagen kannst! Feige Hunde sind das, alle miteinander!“ „Wer denn?“, hakte Willy nach. „Na, die Wasserkröten! Gemeine Viecher sind das! Haben meinen Goldschatz in den Tümpel verschleppt. Wissen ganz genau, dass unser einer nicht schwimmen kann. Man ist nun mal ein Wurzelzwerg und kein Fisch, nicht wahr? Niemand kann raus aus seiner Haut.“
Willy hatte Mitleid mit Knork. Er beschloss, dem Wurzelzwerg zu helfen. Er ließ sich den Weg zum Tümpel beschreieben und ging los. Es ging durch dichtes Gestrüpp und Unterholz und Willy bekam Schrammen an den Beinen, auf den Armen und im Gesicht, während es immer dunkler, kälter und unheimlicher wurde. Das war genau, wie sich ein Abenteuer wohl anfühlen musste. Und er befand sich mitten in einem. Er holte den Goldschatz eines verärgerten Zwerges von einem gemeinen Feind zurück. Wie viele große Helden hatten das vor ihm schon getan!
Der Tümpel war eher ein Teich. Und zwar ein großer und schöner, fast schon ein See. Knork hatte in seiner Verachtung für alles, was mit Wasser zu tun hatte, maßlos untertrieben. Der volle Mond, den man mittlerweile schon besser sehen konnte als das Bisschen Sonne, das den untersten Streifen des Horizonts rötlich gelb färbte, spiegelte sich auf der glatten Wasseroberfläche. Der Teich war von hohem Wassergras umsäumt. Willy stellte sich so nah an das Ufer, wie er konnte, ohne abzurutschen und hinein zu fallen. Dann rief er, mit der selben lauten, festen und entschlossenen Stimme, mit der er vorher schon den Baumriesen am Eingang des Waldes, die ihm mittlerweile unendlich weit entfernt vorkamen, auf den Teich hinaus: „Wesen des Wassers! Insbesondere die Kröten! Mein Name ist Willy Wunderbaum und ich bin hier, um den gestohlenen Schatz von Knork, dem Wurzelzwerg abzuholen! Bitte händigt ihn mir aus!“
Er hörte deutlich ein gluckerndes Lachen, das klang wie vergnügt sprudelndes Wasser. Also fügte er noch ein paar bedrohlichere Sätze an. „Ich mache keine Späße! Ich will diesen Schatz, sonst ...“ „Sonst was?“, fragte das Mädchen, das jetzt plötzlich seinen Kopf aus dem Wasser hervor streckte, schnippisch aber nicht boshaft lächelnd. Sie war genau so alt wie Willy und so hübsch, dass sein Unterkiefer herunter klappte und er sie anstarren musste. „Bist du eine Meerjungfrau?“, fragte er sie fassungslos. Sie lachte wieder wie gluckerndes Wasser und nickte dann. „Äh ... Ich habe noch nie eine Meerjungfrau gesehen!“ „Und ich habe noch nie ein ... Was bist du?“ „Ein Mensch. Ich bin ein Mensch, aus der Welt der Menschen, um eure zu erforschen!“ Die Meerjungfrau guckte verdutzt. „Ein Mensch willst du sein? Nein, du bist kein Mensch.“ „Was soll das heißen, ich bin kein Mensch?“, fragte Willy, ein bisschen ärgerlich. „Na, Menschen sind doch viel größer als du! Außerdem können Menschen Meerjungfrauen gar nicht sehen.“ „Na ja“, erklärte Willy, „Ich bin ja auch noch ein Kind.“ „Ach so, ein Kind bist du!“, rief sie aus. Willy war verwundert. Er fragte: „Bist du nicht auch ein Kind?“ „Nein, ich bin eine Meerjungfrau, habe ich doch schon gesagt.“ „Ich dachte, die wären auch viel größer.“ „Woher wolltest du das denn wissen, ohne jemals eine gesehen zu haben?“, fragte sie ihn. Das leuchtete Willy ein. Also musste er darüber nicht mehr nachdenken und konnte wieder an seinen Auftrag denken.
„Also, kennst du die Kröten, die den Schatz von Knork dem Zwerg geklaut haben?“ „Ja, die kenne ich“, sagte die Meerjungfrau, „Das waren meine Freunde Tonk und Ponk. Zwei Brüder übrigens. Die klauen gerne mal was. Besonders, wenn es glitzert.“ „Kannst du ihnen sagen, dass sie mir den Schatz geben sollen?“, fragte Willy, und die Meerjungfrau gluckerte wieder. „Das musst du schon selber tun!“, sagte sie. „Aber ich kann kein krötisch!“, entgegnete Willy verzweifelt. Da bekam die Meerjungfrau Mitleid und sagte: „Na gut, ich werde sie für dich fragen. Aber du musst mitkommen!“ Also zog Willy seine Sachen aus und legte sie fein säuberlich am Ufer zusammen. Dann stieg er in das kalte Wasser und erstarrte fast zu Eis, im ersten Moment. Die Meerjungfrau gluckerte wieder, schwamm zu ihm, nahm ihn an die Hand und tauchte mit ihm unter. Willy hielt die Luft an und besah sich staunend die Unterwasserwelt, in die sie ihn entführte. Schillernde Korallen, bunte Fische und eine Tiefe, die man von oben nicht einmal erahnen konnte. Willy hatte nicht gewusst, dass Kröten auch so tief unter dem Wasser leben konnten. Er hatte immer gedacht, Kröten lebten nur an den Ufern. Unten am Grund des Teiches standen eigentümliche Bauten aus Stein, die fast wirkten, als hätten Menschen sie vor vielen Jahren gebaut und sie eines Tages dem Wasser überlassen. Auf dem Dach eines dieser kuppelförmigen Gebilde saßen zwei Kröten und schienen irgendein Spiel miteinander zu spielen, das viel Geschick erforderte. Der Meerjungfrau schwamm zu ihnen hin und sagte: „Seht mal, das da ist ein so genanntes Kind. Es wurde von Knork geschickt, um seinen Goldschatz wieder abzuholen, den ihr zwei geklaut habt.“, und Willy wunderte sich, dass er das verstehen konnte. In der nächsten Sekunde wunderte er sich, dass er so lange die Luft anhalten konnte und schon geschah es: Es öffnete unwillkürlich den Mund und versuchte, einzuatmen. Wasser lief in seine Lunge, Tränen schossen in seine Augen, er konnte nicht mehr atmen, bekam Panik, strampelte und schließlich wurde alles schwarz vor seinen Augen.
Als er die Augen wieder öffnete, lag er am Ufer. Neben ihm lagen ein paar schillernde Goldstücke. „Gut, du bist wach“, hörte er die Stimme der Meerjungfrau neben seinem Kopf sagen. Sie schwamm nah am Ufer des Flusses und sah Willy besorgt an. „Du musst noch viel über Wälder lernen, wie ich sehe.“, sagte sie weiter. „Du darfst hier niemals an dem zweifeln, was ist. Sobald du zweifelst, ist es nicht mehr wahr. Genau das ist der Grund, warum Menschen hier nicht her finden, und wenn sie es tun nichts sehen. Sie zweifeln. Zweifel kann dich in sehr gefährliche Situationen bringen. Zweifele niemals!“ Willy nickte nur gehorsam. „Gut“, sagte die Meerjungfrau. „Den Goldschatz haben die Kröten dir aus Mitleid gegeben. Geh und bring ihn deinem habgierigen Zwergenfreund.“ „Er ist nicht mein Freund“, stellte Willy klar. „Ist schon gut“, meinte die Meerjungfrau, „Das weiß ich doch. Niemand kann mit einem Wurzelzwerg befreundet sein. Sie sind unausstehlich.“
Dann schwamm sie wieder auf das Wasser hinaus und wollte abtauchen. „Warte!“, rief Willy. „Was denn noch?“, fragte sie. „Wie heißt du?“ „Bella natürlich!“, sagte sie und tauchte weg. Willy nahm den Goldschatz und ging damit zu Knork zurück. Mittlerweile war es sehr dunkel und kalt geworden. Den Weg zurück zu finden war schwerer, als es vorhin gewesen war, den Weg hin zu finden. Doch schließlich war er wieder an dem Baum, an dem er Knork getroffen hatte. Dort stand der Wurzelzwerg auch schon ungeduldig. „Da bist du ja endlich!“, rief er, als er Willy kommen sah. „Hast du meinen Schatz?“, „Ja, hier“, sagte Willy und gab Knork die Goldmünzen. Der Zwerg zählte sie und war zufrieden. „Tatsächlich, das sind alle. Sehr gut. Du kannst jetzt gehen.“ Das wollte Willy nur all zu gern. Er drehte sich in die Richtung, in der vorher der Weg gewesen war, nur um mit Entsetzen fest zu stellen, dass dieser verschwunden war. „Knork!“, rief er, „Wo ist der Weg?“ „Der Weg?“, wiederholte der Zwerg noch einmal, „Ach so, der Weg. Der ist vor einer Stunde weiter gegangen. Er wartet nicht ewig, so ein Weg.“ „Aber wie soll ich denn jetzt nach Hause kommen?“, fragte Willy verzweifelt, den Tränen nah. „Da wirst du dir wohl etwas einfallen lassen müssen. Ich weiß es jedenfalls nicht. Ist nicht mein Problem.“, sagte der Wurzelzwerg kalt und verschwand im Geflecht der Äste seines großen Bruders, wo er seinen Schlafplatz hatte. Willy streunte noch eine Weile verzweifelt durch die Bäume bis er einsah, dass es keinen Sinn hatte. Er würden den Weg heute im Dunkeln nicht wieder finden und musste wohl oder übel im Wald schlafen. Als er sich in eine kleine Mooskuhle kauerte und vor Kälte zitterte, vermisste er sein Bett so sehr, wie er es nie zuvor im Leben vermisst hatte.