Coincidence
28.05.2009, 20:10
Dieser Text soll niemanden verletzen und ist in jeder Beziehung als gesellschaftskritisch und satirisch zu verstehen. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte - im besten Fall fühlen sich ein paar von Euch verstanden. :) Wichtig ist, dass von vorne herein das Verständnis besteht, dass nur die agierenden Figuren die wahren Diskriminierten sind.
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Soziopath
„Guck dir mal die Kinder an“, sage ich.
Der Typ zu meiner Linken sieht mich an, als sei ich irre. Er ist blond und blauäugig, trägt eine Brille und ein dunkelblaues Poloshirt. Sein Seitenscheitel weckt das Gefühl in mir, er habe so etwas wie Niveau. Habe ich erwähnt, dass er mich ansieht, als sei ich irre?
„Was is los?“, fragt er.
Der wird wohl nicht allzu oft von Fremden angequatscht.
„Halt mal die Fresse“, kommandiere ich und verpasse ihm einen unsanften Stoß mit dem Ellbogen, um ihn zurück zum Thema zu bringen. „Und guck dir die Kinder an.“
Ich sehe deutlich, dass er den Drang zurückkämpft, aufzustehen und einfach abzuhauen. Das wäre schade. Er hat diese kranke Langeweile in den Augen, sieht aus, als sei er für das, was ich den ganzen Tag so denke, empfänglich.
Zwei kleine Jungs mit blonden Locken springen am Gleis umher und missachten geflissentlich die Maßregelungen ihrer Mutter, einer schäbigen Frau irgendwo zwischen Ende zwanzig und dem, was bei normalen Menschen Anfang fünfzig wäre. Sie spricht einen Dialekt, der, da zu asozial, nicht einmal den Weg in eine Talkshow finden würde und sagt Dinge, die dem Privatfernsehen zwar keine Probleme bereiten würden, aber dank notwendiger Bearbeitung – piep! – nicht den Weg zum Zuschauer zuhause fänden. Bis vor ungefähr – der ältere der beiden Jungs ist schätzungsweise acht Jahre alt – neun Jahren wurde sie wahrscheinlich öfter geknallt als die Bürotüren der Arbeitsagentur, obwohl sie deutlich ein paar Kilo mehr als Normalgewicht auf den Rippen hat. Also mehr als das Normalgewicht eines Roland II-Flakpanzers, meine ich. Man sieht ihr die beiden Schlaganfälle, die sie überstanden haben muss, um ein solches Gesicht zu bekommen, kaum mehr an. Sie trägt es mit Fassung. Hätte ich ihr Leben, würde ich nicht mehr so friedlich dreinschauen können.
„Was isn mit den Kindern?“, will er wissen.
„Der Große heißt Kevin“, sage ich.
„Aha. Toll. Kennste die?“
„Nee.“
„Was laberst du dann für ne Scheisse?“
„Maul. Der Große heißt Kevin.“
„Dann kennste sie ja doch“, wirft er mir vor.
Ich verliere die Geduld. „Nein.“
„Wie kommste dann darauf?“
„Simpel“, sage ich und setze mich auf, sehe über den Rand meiner Brille hinweg in sein Gesicht. „Der muss Kevin heißen. Guck dir die Brut doch mal an, die sind so assi, das geht gar nicht. Um nur noch ein klein wenig asozialer rumlaufen zu können, müssten sie schon die Kinder der schwulen Liebe zwischen den Gallagher-Brüdern sein.“
„Den was?“
„Den Gallagher-Brüdern. Oasis, Mann.“
„Ach so. Und darum heißt der jetzt Kevin?“, fragt er skeptisch und sein Blick hat sich verändert, nun bin nicht nur ich ein Irrer, sondern auch er, wenn auch nur gefühlt, weil er sich dieses Gespräch antut.
„Ja genau, deswegen heißt der Kevin.“
„Peil ich nicht.“
Ich seufze.
„Wie heißen denn Assi-Kinder normalerweise so?“, frage ich, um ihm einen Hinweis zu geben.
„Was weiß ich? Alter, du bist sau strange.“
„Na komm schon, wie heißen Assi-Kinder?“
Er ächzt und ich halte mich bereit, falls er versucht, mir eine zu zimmern und das Weite zu suchen.
„Kein Plan. Jacqueline?“, fragt er schließlich.
„Trottel, sieht der wie ne Jacqueline aus?“
„Luca?“
„Gut, weiter.“
„Fynn.“
„Auch gut, bisschen exotisch, aber …“
„Sascha.“
„Ich kenne nen Sascha, der würde das nicht gern hören, aber ja.“
Der Typ überlegt noch einen Moment lang, dann sagt er: „Na ja, Kevin halt noch.“
Endlich hat er’s begriffen.
„Genau und jetzt systematischer Ausschluss, warum kann der Junge nicht Fynn heissen?“
„Weiß ich nicht“, murmelt er
„Ganz einfach, die Mutter sieht nicht kreativ genug für son Namen aus.“
„Ah.“
„Und warum geht Luca nicht?“
Er sieht mich kurz wirsch an, dann zuckt er die Achseln. „Weiß nicht.“
„Na weil er nicht aussieht, als wurde er im Hass gezeugt, sondern im Rausch. Jetzt streng mal deinen Kopf an, Mann.“
„Ach so“, sagt er als erkläre das alles und sieht wütend aus, als er zynischen daherflüstert: „Tschuldigung.“
„Macht nichts“, gebe ich zu und offenbare meine Menschlichkeit vor ihm, beinahe sofort habe ich ihm verziehen. So bin ich zu den Leuten. Wie eine Mutter ohne Brust. „So, Sascha geht nicht, weil er nicht aussieht, als ernähre er sich nur von Haribo. Und mal ganz ehrlich, er sieht ja nicht mal nach einem Luca, Fynn oder Sascha aus.“
„Ich finde, er sieht auch nicht nach einem Kevin aus.“
„Mann, halt die Backen, suchst du Streit, oder was?“, grummele ich ihn an und nun geht auch ihm der Hut hoch.
„Ey Junge, quatsch mich nicht so dumm von der Seite an, das ist mal sau annoying“, flucht er und wendet sich ab.
Ich runzle die Stirn und sehe demonstrativ in die andere Richtung. Ein paar stille Minuten vergehen, ich beginne wieder, die Leute zu beobachten, die sich um die Bank drängen, auf der – breit, wie wir sind – nur dieser Typ und ich Platz haben. Ein sturzbesoffener Obdachloser wankt umher wie einer dieser Zombies aus den Horrorfilmen, die ich mir nach Mitternacht ansehe, weil alles andere mich langweilt und Blut in B-Movies besser ist, als nichts. Freundlich winkt er mir mit seiner Fuselfahne zu, während er noch ein rüstiges Ehepaar um Kleingeld anbettelt. Sollte er zu mir kommen und nicht wenigstens einen Spruch wie „Ninjas haben meine Familie entführt, ich brauch das Geld für die Kung-Fu-Stunden“ auf Lager haben, werde ich ihn ignorieren.
„Ey“, sagt der Typ zu meiner Linken.
„Wasn?“, frage ich.
„Wie heißt der Kleine?“
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Soziopath
„Guck dir mal die Kinder an“, sage ich.
Der Typ zu meiner Linken sieht mich an, als sei ich irre. Er ist blond und blauäugig, trägt eine Brille und ein dunkelblaues Poloshirt. Sein Seitenscheitel weckt das Gefühl in mir, er habe so etwas wie Niveau. Habe ich erwähnt, dass er mich ansieht, als sei ich irre?
„Was is los?“, fragt er.
Der wird wohl nicht allzu oft von Fremden angequatscht.
„Halt mal die Fresse“, kommandiere ich und verpasse ihm einen unsanften Stoß mit dem Ellbogen, um ihn zurück zum Thema zu bringen. „Und guck dir die Kinder an.“
Ich sehe deutlich, dass er den Drang zurückkämpft, aufzustehen und einfach abzuhauen. Das wäre schade. Er hat diese kranke Langeweile in den Augen, sieht aus, als sei er für das, was ich den ganzen Tag so denke, empfänglich.
Zwei kleine Jungs mit blonden Locken springen am Gleis umher und missachten geflissentlich die Maßregelungen ihrer Mutter, einer schäbigen Frau irgendwo zwischen Ende zwanzig und dem, was bei normalen Menschen Anfang fünfzig wäre. Sie spricht einen Dialekt, der, da zu asozial, nicht einmal den Weg in eine Talkshow finden würde und sagt Dinge, die dem Privatfernsehen zwar keine Probleme bereiten würden, aber dank notwendiger Bearbeitung – piep! – nicht den Weg zum Zuschauer zuhause fänden. Bis vor ungefähr – der ältere der beiden Jungs ist schätzungsweise acht Jahre alt – neun Jahren wurde sie wahrscheinlich öfter geknallt als die Bürotüren der Arbeitsagentur, obwohl sie deutlich ein paar Kilo mehr als Normalgewicht auf den Rippen hat. Also mehr als das Normalgewicht eines Roland II-Flakpanzers, meine ich. Man sieht ihr die beiden Schlaganfälle, die sie überstanden haben muss, um ein solches Gesicht zu bekommen, kaum mehr an. Sie trägt es mit Fassung. Hätte ich ihr Leben, würde ich nicht mehr so friedlich dreinschauen können.
„Was isn mit den Kindern?“, will er wissen.
„Der Große heißt Kevin“, sage ich.
„Aha. Toll. Kennste die?“
„Nee.“
„Was laberst du dann für ne Scheisse?“
„Maul. Der Große heißt Kevin.“
„Dann kennste sie ja doch“, wirft er mir vor.
Ich verliere die Geduld. „Nein.“
„Wie kommste dann darauf?“
„Simpel“, sage ich und setze mich auf, sehe über den Rand meiner Brille hinweg in sein Gesicht. „Der muss Kevin heißen. Guck dir die Brut doch mal an, die sind so assi, das geht gar nicht. Um nur noch ein klein wenig asozialer rumlaufen zu können, müssten sie schon die Kinder der schwulen Liebe zwischen den Gallagher-Brüdern sein.“
„Den was?“
„Den Gallagher-Brüdern. Oasis, Mann.“
„Ach so. Und darum heißt der jetzt Kevin?“, fragt er skeptisch und sein Blick hat sich verändert, nun bin nicht nur ich ein Irrer, sondern auch er, wenn auch nur gefühlt, weil er sich dieses Gespräch antut.
„Ja genau, deswegen heißt der Kevin.“
„Peil ich nicht.“
Ich seufze.
„Wie heißen denn Assi-Kinder normalerweise so?“, frage ich, um ihm einen Hinweis zu geben.
„Was weiß ich? Alter, du bist sau strange.“
„Na komm schon, wie heißen Assi-Kinder?“
Er ächzt und ich halte mich bereit, falls er versucht, mir eine zu zimmern und das Weite zu suchen.
„Kein Plan. Jacqueline?“, fragt er schließlich.
„Trottel, sieht der wie ne Jacqueline aus?“
„Luca?“
„Gut, weiter.“
„Fynn.“
„Auch gut, bisschen exotisch, aber …“
„Sascha.“
„Ich kenne nen Sascha, der würde das nicht gern hören, aber ja.“
Der Typ überlegt noch einen Moment lang, dann sagt er: „Na ja, Kevin halt noch.“
Endlich hat er’s begriffen.
„Genau und jetzt systematischer Ausschluss, warum kann der Junge nicht Fynn heissen?“
„Weiß ich nicht“, murmelt er
„Ganz einfach, die Mutter sieht nicht kreativ genug für son Namen aus.“
„Ah.“
„Und warum geht Luca nicht?“
Er sieht mich kurz wirsch an, dann zuckt er die Achseln. „Weiß nicht.“
„Na weil er nicht aussieht, als wurde er im Hass gezeugt, sondern im Rausch. Jetzt streng mal deinen Kopf an, Mann.“
„Ach so“, sagt er als erkläre das alles und sieht wütend aus, als er zynischen daherflüstert: „Tschuldigung.“
„Macht nichts“, gebe ich zu und offenbare meine Menschlichkeit vor ihm, beinahe sofort habe ich ihm verziehen. So bin ich zu den Leuten. Wie eine Mutter ohne Brust. „So, Sascha geht nicht, weil er nicht aussieht, als ernähre er sich nur von Haribo. Und mal ganz ehrlich, er sieht ja nicht mal nach einem Luca, Fynn oder Sascha aus.“
„Ich finde, er sieht auch nicht nach einem Kevin aus.“
„Mann, halt die Backen, suchst du Streit, oder was?“, grummele ich ihn an und nun geht auch ihm der Hut hoch.
„Ey Junge, quatsch mich nicht so dumm von der Seite an, das ist mal sau annoying“, flucht er und wendet sich ab.
Ich runzle die Stirn und sehe demonstrativ in die andere Richtung. Ein paar stille Minuten vergehen, ich beginne wieder, die Leute zu beobachten, die sich um die Bank drängen, auf der – breit, wie wir sind – nur dieser Typ und ich Platz haben. Ein sturzbesoffener Obdachloser wankt umher wie einer dieser Zombies aus den Horrorfilmen, die ich mir nach Mitternacht ansehe, weil alles andere mich langweilt und Blut in B-Movies besser ist, als nichts. Freundlich winkt er mir mit seiner Fuselfahne zu, während er noch ein rüstiges Ehepaar um Kleingeld anbettelt. Sollte er zu mir kommen und nicht wenigstens einen Spruch wie „Ninjas haben meine Familie entführt, ich brauch das Geld für die Kung-Fu-Stunden“ auf Lager haben, werde ich ihn ignorieren.
„Ey“, sagt der Typ zu meiner Linken.
„Wasn?“, frage ich.
„Wie heißt der Kleine?“