Enkidu
06.04.2009, 23:18
Viel Spaß beim Lesen :)
Lost Odyssey
Die Story
Kaim Argonar ist unsterblich. In einer Welt, die vom Umbruch durch eine magisch-industrielle Revolution gekennzeichnet ist, zieht er als Söldner ohne Erinnerungen an seine Vergangenheit von Schlacht zu Schlacht. Während im Hochland von Wohl ein erbitterter Krieg zwischen den Reichen Uhra und Khent tobt, an dem der Unsterbliche auf Seiten Uhras teilnimmt, fällt plötzlich ein riesiger Meteor vom Himmel, der die gegeneinander kämpfenden Truppen unter sich in einer Flut aus Lava begräbt und alles in der Nähe vernichtet - alles außer Kaim. Zurück in der Stadt erfährt er, dass der im Bau befindliche Große Stab des zwielichtigen Fürsten Gongora für die Katastrophe verantwortlich sein könnte, eine Art gigantischer magischer Turm aus Metall. Der uhranische Rat beauftragt Kaim damit, der Sache auf den Grund zu gehen, die ebenfalls unsterbliche Piratin Seth und der Frauenheld Jansen begleiten ihn auf dem Weg zur Konstruktionsbasis. Dort angekommen läuft natürlich nicht alles nach Plan und die Gruppe verschlägt es unfreiwillig auf einen anderen Kontinent, der vom Ozeanfreistaat Numara beherrscht wird. Gemeinsam mit neuen Verbündeten, die in die Ereignisse verstrickt sind, müssen sie Gongora aufhalten, der bereits damit begonnen hat, in Uhra die Macht zu übernehmen. Langsam kehren die Erinnerungen der Unsterblichen zurück ...
Die Geschichte von Lost Odyssey nimmt sich selbst sehr ernst und ist oft traurig, oft hoffnungsvoll, aber immerzu atmosphärisch. Vor allem die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Protagonisten sind bemerkenswert gut dargestellt worden, es gibt jede Menge Cutscenes und Dialoge, die einem die Figuren näher bringen. Sogar die meisten NPCs in den Städten haben nicht selten sinnvolle Dinge zum Beispiel über die Lage der Nation zu sagen, wodurch man mit Hintergrundwissen versorgt wird. In der Welt des Spiels können die Unsterblichen zwar Nachkommen zeugen, bei diesen handelt es sich dann aber um ganz normale Menschen mit gewöhnlicher Lebenserwartung. Dadurch werden einige interessante Verwandtschaftsverhältnisse möglich, die sich die Handlung auch mehrfach zunutze macht. In welchem anderen RPG kann man schon zusammen mit den Enkelkindern des Helden in den Kampf ziehen?
Der ohne jeden Zweifel beste Aspekt von Lost Odyssey ist allerdings „Ein Jahrtausend der Träume“. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Kurzgeschichten in Textform, welche von dem japanischen Autor Shigematsu Kiyoshi verfasst wurden. Sie können nach und nach freigeschaltet und beim Übernachten in Gasthäusern abgerufen werden. Inhaltlich geht es um verschiedene Momentaufnahmen aus Kaims tausendjähriger Vergangenheit, an die er sich zurückerinnert. Diese Parabeln sind mit ihrer pazifistischen Grundstimmung oft lehrreich, aber lassen genug Platz für die Gefühle des Lesers und benötigen keinen erhobenen Zeigefinger, um zum Nachdenken anzuregen, zumal Kaim darin meistens eher die Rolle eines Beobachters zukommt. Die Entwickler waren mutig, sich für dieses Feature zu entscheiden, da zunächst bestimmt nicht jeder Spieler begeistert von der Idee sein wird, das eigentliche Spiel für einige Minuten zu unterbrechen, um einfach nur zu lesen. Die Kurzgeschichten bereichern die Story jedoch ungemein und sind so mitreißend geschrieben, dass man sie schnell als einen wesentlichen Bestandteil des Gesamtwerkes akzeptiert. „Ein Jahrtausend der Träume“ hat aber auch seine Schattenseiten. Einerseits ist das Niveau vom Text des Hauptspiels spürbar niedriger, andererseits fragt man sich, ob nicht mehr Interaktivität möglich gewesen wäre. Zwar wurden die Geschichten mit Musik unterlegt und mit einigen simplen Animationen versehen, doch wären spielbare Rückblenden dieser Art in entsprechender Grafik vermutlich ein umso beeindruckenderes Erlebnis geworden.
Generell gibt es hier nicht nur Gutes zu berichten. Gongora ist kein besonders toller Bösewicht und von Anfang an leicht zu durchschauen. Auf die Gründe für sein Verhalten wird nicht näher eingegangen, da hat das Genre nun wirklich schon aufregendere und bedrohlichere Antagonisten hervorgebracht. Außerdem hat er praktisch überhaupt keine Handlanger, die er der Party in den Weg stellen könnte. Etwas mehr Abwechslung hätte auch die vordergründige Handlung gebrauchen können, denn in dieser passiert im Grunde gar nicht so viel. Anstelle von überraschenden Wendungen und großartigen Enthüllungen muss man eine lange Warmlaufzeit überstehen, bis auf Disc 3 endlich ein paar spannende Ereignisse stattfinden. Letztenendes entfaltet sich die Story eben auf einer eher emotionalen Ebene und legt mehr Wert auf die Beziehungen der Charaktere untereinander.
Das Spiel
Die optische Gestaltung von Lost Odyssey kann sich sehen lassen. Wenn man mal von der beeindruckenden Eröffnungssequenz absieht, haut einen die Grafik zwar nicht gleich vom Hocker, aber die Entwickler waren sichtlich bemüht, durch viele kleine Details Atmosphäre zu erzeugen. Zu dieser Atmosphäre tragen auch die Farben bei: Das Spiel ist nicht so knallig bunt wie andere Vertreter des Genres, was manchen Orten eine Art melancholische Stimmung verleiht. Das deutlich ausgearbeitete Steampunk-Setting erinnert ein wenig an Final Fantasy VI. Insgesamt gut gelungen ist auch das relativ erwachsene Charakterdesign, obwohl die Gesichter und Haare der Figuren in manchen Storyszenen etwas seltsam aussehen können (und Mings Dekolleté wirklich übertrieben viel zur Schau stellt). Ständige Ladezeiten trüben allerdings ein wenig die Freude an der schönen Spielwelt, die sich in erster Linie aus diversen 3D-Umgebungen und einem Auswahlbildschirm anstelle einer begehbaren Weltkarte zusammensetzt. Man kann die Kamera nicht kontrollieren, während man unterwegs ist. Zwar lässt sie sich mit dem rechten Analog-Stick ein kleines Stück weit in eine beliebige Richtung drehen und Zoomen ist mit der RT-Taste ebenfalls möglich, diese technischen Spielereien sind jedoch eher dazu da, das Auffinden der überall versteckten Schätze und Geheimnisse zu erleichtern.
Mit seinen rundenbasierenden Zufallskämpfen mutet das Gameplay geradezu archaisch an. Die Encounter-Rate mag durchaus fair und angemessen sein; es ist nicht so, dass man alle drei Schritte ungewollt in einen Gegner hineinrennt. Trotzdem sind die plötzlichen Begegnungen mit dem Feind vor allem wegen der zuvor erwähnten Ladezeiten, aber auch aufgrund einiger überflüssiger Animationen und Kamerafahrten oft unnötig zeitraubend. Durch ein paar mehr oder weniger neue Features wurde versucht, die Kämpfe interessanter zu machen. Sowohl die Formation der eigenen Charaktere, von denen bis zu fünf gleichzeitig an den Gefechten teilnehmen können, als auch die der Gegner ist in eine vordere und hintere Reihe gegliedert. Die HP der Figuren in der vorderen Reihe werden zusammengerechnet und wirken wie eine Art Barriere, welche die hintere Reihe schützt. Da dies auch für die Kontrahenten gilt, wird man also kaum Schaden verursachen, wenn man direkt Monster in der hinteren Reihe der gegnerischen Truppe angreift, ohne vorher jene in der vorderen zumindest geschwächt zu haben. Diese Mechanik ist eine nette Idee, gibt den Kämpfen aber nicht sonderlich viel zusätzliche Tiefe, weil die Strategie des Spielers damit sofort feststeht und das gesamte Spiel über gleich bleibt. Krieger kommen nach vorne, Magier nach hinten, und ansonsten immer schön zuerst die feindliche Frontlinie ausschalten. Eine weitere Besonderheit stellen die Ringe dar, die man finden oder selbst herstellen kann. Wenn man einen solchen ausgerüstet hat und eine normale Attacke ausführt, muss man im richtigen Moment die RT-Taste drücken und wieder loslassen, um mehr Schaden oder andere vorteilhafte Effekte zu bewirken. Die kleine Geschicklichkeitseinlage ist durchaus spannender, als sich jedesmal lediglich die Angriffsanimation anzuschauen.
Die Party ist in zwei Arten von Charakteren unterteilt, Sterbliche und Unsterbliche. Die sterblichen Mitstreiter lernen ganz traditionell mit steigendem Level ein paar weitere Fähigkeiten, abgesehen von der Ausrüstung kann der Spieler ihre Eigenschaften aber nicht beeinflussen. Anders sieht das bei den Unsterblichen aus. Diese erlernen neue Abilities einerseits durch ausgerüstete Zubehörteile und andererseits, indem sie sie gewissermaßen von ihren sterblichen Kameraden abschauen, für beide Varianten werden nach den Kämpfen gewonnene Punkte benötigt. Das Konzept ist nicht sehr originell. Die Figuren erhalten erstaunlich schnell zusätzliche Fähigkeiten, was sich hier jedoch eher als Nachteil für den Spielfluss entpuppt, weil der Spieler nach so ziemlich jedem zweiten Kampf das Menü öffnen und die zu erlernenden Abilities manuell auf den neuesten Stand bringen muss.
Lost Odyssey verhält sich zu Final Fantasy so, wie sich Blue Dragon zu Dragon Quest verhielt: Es eifert ganz offensichtlich dem großen Vorbild nach. Final Fantasy ist aber vor allem deshalb so erfolgreich, weil es sich mit jedem Teil selbst neu erfindet. Sakaguchi Hironobu, der einstige Schöpfer jener Serie und darüber hinaus maßgeblich verantwortlich für die Entwicklung von Mistwalkers zweitem Spiel für die Xbox 360, sollte das eigentlich am besten wissen. Also machen wir uns nichts vor - wäre Lost Odyssey als ein reguläres Final Fantasy erschienen, hätten es die meisten Fans als weniger guten Eintrag in die Geschichte der Reihe empfunden. Wäre es hingegen einige Jahre früher auf der PlayStation 2, der ersten Xbox oder gar in der 32-Bit-Ära erschienen, hätte es einen ganz anderen Eindruck gemacht und wäre vermutlich direkt zum Klassiker geworden. Inzwischen haben sich die Zeiten allerdings geändert. Zufallskämpfe sollten längst der Vergangenheit angehören, was sich immer mehr Entwickler endlich zu Herzen nehmen. Auch die Abilitysysteme sind immer häufiger visuell ansprechend und komfortabel zu bedienen und sollten darauf ausgelegt sein, der Kreativität der Spieler nicht im Wege zu stehen. Lost Odyssey versucht erst gar nicht, in diesen Sphären mitzumischen. Das macht es sicherlich nicht gleich zu einem schlechten Spiel, da das Gameplay reibungslos funktioniert und die zahlreichen Konventionen einwandfrei umgesetzt wurden, aber positiv ist die äußerst altmodische Herangehensweise definitiv nicht zu bewerten. Denn durch diese fühlt sich das Spiel einfach nicht so an wie das Next-Gen-RPG, welches es gerne wäre.
Was Secrets & Sidequests angeht, bietet Lost Odyssey wirklich alles, was das Herz begehrt. Optionale Bossgegner, geheime Dungeons, eine Hinterhof-Arena, in der man Kämpfe unter speziellen Bedingungen zu bestreiten hat, sowie eine umfangreiche Schatzsuche sind vorhanden. Wem das alles noch nicht reicht, der kann unter anderem für diverse NPCs kleinere Aufgaben erledigen. Insbesondere auf der vierten und letzten Disc gibt es eine ganze Menge zu tun.
Die Musik zum Spiel komponierte der begnadete Uematsu Nobuo, der hier wieder die Klasse seiner früheren Werke erreicht. Die Stärken des Soundtracks werden vor allem an Battlefield und dem sagenhaften Main Theme deutlich, welches immer wieder in sehr verschiedenen Variationen auftaucht, aber auch Dark Saint oder das abgefahrene um nicht zu sagen verrückte finale Bossthema Howl of the Departed sind erwähnenswert. Nicht alle Stücke sind so außergewöhnlich geworden, es gibt einige langweilige Lückenfüller, doch meistens klingt die Musik stimmig und kann, während sie die von der Geschichte hervorgerufenen Gefühle unterstreicht und widerspiegelt, tatsächlich in diese andere Welt entführen. Die deutsche Sprachausgabe ist anhörbar und nicht völlig daneben, aber da die japanischen, englischen, französischen und italienischen Stimmen vorbildlicherweise ebenfalls zur Verfügung stehen, dürften die klar besseren Alternativen schnell gefunden sein.
Interpretation
Wer immer noch glaubt, dass Unsterblichkeit etwas wunderbares und wünschenswertes ist, den wird das Spiel möglicherweise eines Besseren belehren. Für Kaim ist sein Zustand tatsächlich eher ein Fluch als ein Segen, in gewisser Weise ist er sogar neidisch auf die Menschen, die sterben können. Sie mögen schwach und zerbrechlich sein, doch menschliche Güte kann aus dem tiefen Bewusstsein eines jeden für die Zerbrechlichkeit des Lebens entstehen. Wie aber könnte jemand unter der Last eines Lebens, das er nicht verlieren kann, jemals Schwäche in Güte verwandeln? Und die Last wiegt schwer, denn tausend Jahre am Leben zu sein bedeutet auch, das Leid von tausend Jahren mit sich herumzutragen.
Träume und Ziele sind gerade deshalb so wichtige Wegweiser, weil das Leben begrenzt ist. Was sollen die Träume und Ziele von jemandem sein, der ein Leben führen muss, das kein Ende hat? Was Kaim am heftigsten aus der Bahn werfen würde, wäre der unwillkommene Ausblick auf seine eigene ewige Zukunft. Er ist gezwungen, sich ständig auf die Suche nach einem neuen Sinn zu machen, da alles auf der Welt der Vergänglichkeit unterworfen ist. Genau das könnte mit dem Titel des RPGs gemeint sein. Nicht nur Staaten und Ideologien kommen und gehen, sondern vor allem auch die Personen, die dem Unsterblichen nahe stehen. An diesen klammert er sich selbst dann noch fest, wenn von ihnen nur noch verblassende Erinnerungen übrig sind.
Letztenendes ist es unsere Sterblichkeit, die uns zu Menschen macht. Erst dadurch, dass unsere Zeit auf Erden irgendwann vorbei ist, bekommt sie einen besonderen Wert. Wie viel hat man gelacht und geweint, war alleine oder zusammen mit Freunden und Familie? Was wir hinterlassen ist nicht so wichtig wie die Art, wie wir gelebt haben. Dem Spiel ist es hoch anzurechnen, diese Thematik erfolgreich herüberzubringen, mal mehr, mal weniger deutlich.
Fazit
Lost Odyssey ist durch und durch ein Konsolen-RPG der alten Schule. Dass früher nicht alles besser war, zeigt das eher durchschnittliche Gameplay mit seinen lästigen Zufallskämpfen und dem minimalistischen Abilitysystem. Die verträumt-bittere Story beinhaltet leider ein paar Durststrecken, ist ansonsten aber wunderbar emotional und dank der eingebauten Kurzgeschichten auch recht tiefsinnig. Uematsus bewegender, schwermütiger Soundtrack rundet das gelungene und dennoch in mancher Hinsicht verbesserungswürdige Spiel ab.
Story............4/5
Grafik............4/5
Gameplay.......3/5
Sound...........4/5
Wissenswertes
Lost Odyssey wurde von Mistwalker und feelplus für die Xbox 360 entwickelt und am 06.12.07 von den Microsoft Game Studios in Japan veröffentlicht. In nur relativ kurzen Zeitabständen erschien es am 12.02.08 auch in den USA und am 29.02.08 in Europa. Bei der Entwicklung wurde die Unreal Engine 3 von Epic Games verwendet.
Über die Verpackung des Spiels gab es berechtigte Beschwerden. Die vier DVDs passten nicht in eine gewöhnliche Hülle, weshalb die japanische und asiatische Fassung in einer etwas größeren Packung mit Ablagen für jede Disc ausgeliefert wurde. In den westlichen Versionen fanden die Verantwortlichen allerdings keine so elegante Lösung: Drei Discs befestigte man recht locker auf einer Spindel, während die vierte lose in einem dünnen Papierumschlag beigelegt wurde.
Lost Odyssey
Die Story
Kaim Argonar ist unsterblich. In einer Welt, die vom Umbruch durch eine magisch-industrielle Revolution gekennzeichnet ist, zieht er als Söldner ohne Erinnerungen an seine Vergangenheit von Schlacht zu Schlacht. Während im Hochland von Wohl ein erbitterter Krieg zwischen den Reichen Uhra und Khent tobt, an dem der Unsterbliche auf Seiten Uhras teilnimmt, fällt plötzlich ein riesiger Meteor vom Himmel, der die gegeneinander kämpfenden Truppen unter sich in einer Flut aus Lava begräbt und alles in der Nähe vernichtet - alles außer Kaim. Zurück in der Stadt erfährt er, dass der im Bau befindliche Große Stab des zwielichtigen Fürsten Gongora für die Katastrophe verantwortlich sein könnte, eine Art gigantischer magischer Turm aus Metall. Der uhranische Rat beauftragt Kaim damit, der Sache auf den Grund zu gehen, die ebenfalls unsterbliche Piratin Seth und der Frauenheld Jansen begleiten ihn auf dem Weg zur Konstruktionsbasis. Dort angekommen läuft natürlich nicht alles nach Plan und die Gruppe verschlägt es unfreiwillig auf einen anderen Kontinent, der vom Ozeanfreistaat Numara beherrscht wird. Gemeinsam mit neuen Verbündeten, die in die Ereignisse verstrickt sind, müssen sie Gongora aufhalten, der bereits damit begonnen hat, in Uhra die Macht zu übernehmen. Langsam kehren die Erinnerungen der Unsterblichen zurück ...
Die Geschichte von Lost Odyssey nimmt sich selbst sehr ernst und ist oft traurig, oft hoffnungsvoll, aber immerzu atmosphärisch. Vor allem die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Protagonisten sind bemerkenswert gut dargestellt worden, es gibt jede Menge Cutscenes und Dialoge, die einem die Figuren näher bringen. Sogar die meisten NPCs in den Städten haben nicht selten sinnvolle Dinge zum Beispiel über die Lage der Nation zu sagen, wodurch man mit Hintergrundwissen versorgt wird. In der Welt des Spiels können die Unsterblichen zwar Nachkommen zeugen, bei diesen handelt es sich dann aber um ganz normale Menschen mit gewöhnlicher Lebenserwartung. Dadurch werden einige interessante Verwandtschaftsverhältnisse möglich, die sich die Handlung auch mehrfach zunutze macht. In welchem anderen RPG kann man schon zusammen mit den Enkelkindern des Helden in den Kampf ziehen?
Der ohne jeden Zweifel beste Aspekt von Lost Odyssey ist allerdings „Ein Jahrtausend der Träume“. Dabei handelt es sich um eine Reihe von Kurzgeschichten in Textform, welche von dem japanischen Autor Shigematsu Kiyoshi verfasst wurden. Sie können nach und nach freigeschaltet und beim Übernachten in Gasthäusern abgerufen werden. Inhaltlich geht es um verschiedene Momentaufnahmen aus Kaims tausendjähriger Vergangenheit, an die er sich zurückerinnert. Diese Parabeln sind mit ihrer pazifistischen Grundstimmung oft lehrreich, aber lassen genug Platz für die Gefühle des Lesers und benötigen keinen erhobenen Zeigefinger, um zum Nachdenken anzuregen, zumal Kaim darin meistens eher die Rolle eines Beobachters zukommt. Die Entwickler waren mutig, sich für dieses Feature zu entscheiden, da zunächst bestimmt nicht jeder Spieler begeistert von der Idee sein wird, das eigentliche Spiel für einige Minuten zu unterbrechen, um einfach nur zu lesen. Die Kurzgeschichten bereichern die Story jedoch ungemein und sind so mitreißend geschrieben, dass man sie schnell als einen wesentlichen Bestandteil des Gesamtwerkes akzeptiert. „Ein Jahrtausend der Träume“ hat aber auch seine Schattenseiten. Einerseits ist das Niveau vom Text des Hauptspiels spürbar niedriger, andererseits fragt man sich, ob nicht mehr Interaktivität möglich gewesen wäre. Zwar wurden die Geschichten mit Musik unterlegt und mit einigen simplen Animationen versehen, doch wären spielbare Rückblenden dieser Art in entsprechender Grafik vermutlich ein umso beeindruckenderes Erlebnis geworden.
Generell gibt es hier nicht nur Gutes zu berichten. Gongora ist kein besonders toller Bösewicht und von Anfang an leicht zu durchschauen. Auf die Gründe für sein Verhalten wird nicht näher eingegangen, da hat das Genre nun wirklich schon aufregendere und bedrohlichere Antagonisten hervorgebracht. Außerdem hat er praktisch überhaupt keine Handlanger, die er der Party in den Weg stellen könnte. Etwas mehr Abwechslung hätte auch die vordergründige Handlung gebrauchen können, denn in dieser passiert im Grunde gar nicht so viel. Anstelle von überraschenden Wendungen und großartigen Enthüllungen muss man eine lange Warmlaufzeit überstehen, bis auf Disc 3 endlich ein paar spannende Ereignisse stattfinden. Letztenendes entfaltet sich die Story eben auf einer eher emotionalen Ebene und legt mehr Wert auf die Beziehungen der Charaktere untereinander.
Das Spiel
Die optische Gestaltung von Lost Odyssey kann sich sehen lassen. Wenn man mal von der beeindruckenden Eröffnungssequenz absieht, haut einen die Grafik zwar nicht gleich vom Hocker, aber die Entwickler waren sichtlich bemüht, durch viele kleine Details Atmosphäre zu erzeugen. Zu dieser Atmosphäre tragen auch die Farben bei: Das Spiel ist nicht so knallig bunt wie andere Vertreter des Genres, was manchen Orten eine Art melancholische Stimmung verleiht. Das deutlich ausgearbeitete Steampunk-Setting erinnert ein wenig an Final Fantasy VI. Insgesamt gut gelungen ist auch das relativ erwachsene Charakterdesign, obwohl die Gesichter und Haare der Figuren in manchen Storyszenen etwas seltsam aussehen können (und Mings Dekolleté wirklich übertrieben viel zur Schau stellt). Ständige Ladezeiten trüben allerdings ein wenig die Freude an der schönen Spielwelt, die sich in erster Linie aus diversen 3D-Umgebungen und einem Auswahlbildschirm anstelle einer begehbaren Weltkarte zusammensetzt. Man kann die Kamera nicht kontrollieren, während man unterwegs ist. Zwar lässt sie sich mit dem rechten Analog-Stick ein kleines Stück weit in eine beliebige Richtung drehen und Zoomen ist mit der RT-Taste ebenfalls möglich, diese technischen Spielereien sind jedoch eher dazu da, das Auffinden der überall versteckten Schätze und Geheimnisse zu erleichtern.
Mit seinen rundenbasierenden Zufallskämpfen mutet das Gameplay geradezu archaisch an. Die Encounter-Rate mag durchaus fair und angemessen sein; es ist nicht so, dass man alle drei Schritte ungewollt in einen Gegner hineinrennt. Trotzdem sind die plötzlichen Begegnungen mit dem Feind vor allem wegen der zuvor erwähnten Ladezeiten, aber auch aufgrund einiger überflüssiger Animationen und Kamerafahrten oft unnötig zeitraubend. Durch ein paar mehr oder weniger neue Features wurde versucht, die Kämpfe interessanter zu machen. Sowohl die Formation der eigenen Charaktere, von denen bis zu fünf gleichzeitig an den Gefechten teilnehmen können, als auch die der Gegner ist in eine vordere und hintere Reihe gegliedert. Die HP der Figuren in der vorderen Reihe werden zusammengerechnet und wirken wie eine Art Barriere, welche die hintere Reihe schützt. Da dies auch für die Kontrahenten gilt, wird man also kaum Schaden verursachen, wenn man direkt Monster in der hinteren Reihe der gegnerischen Truppe angreift, ohne vorher jene in der vorderen zumindest geschwächt zu haben. Diese Mechanik ist eine nette Idee, gibt den Kämpfen aber nicht sonderlich viel zusätzliche Tiefe, weil die Strategie des Spielers damit sofort feststeht und das gesamte Spiel über gleich bleibt. Krieger kommen nach vorne, Magier nach hinten, und ansonsten immer schön zuerst die feindliche Frontlinie ausschalten. Eine weitere Besonderheit stellen die Ringe dar, die man finden oder selbst herstellen kann. Wenn man einen solchen ausgerüstet hat und eine normale Attacke ausführt, muss man im richtigen Moment die RT-Taste drücken und wieder loslassen, um mehr Schaden oder andere vorteilhafte Effekte zu bewirken. Die kleine Geschicklichkeitseinlage ist durchaus spannender, als sich jedesmal lediglich die Angriffsanimation anzuschauen.
Die Party ist in zwei Arten von Charakteren unterteilt, Sterbliche und Unsterbliche. Die sterblichen Mitstreiter lernen ganz traditionell mit steigendem Level ein paar weitere Fähigkeiten, abgesehen von der Ausrüstung kann der Spieler ihre Eigenschaften aber nicht beeinflussen. Anders sieht das bei den Unsterblichen aus. Diese erlernen neue Abilities einerseits durch ausgerüstete Zubehörteile und andererseits, indem sie sie gewissermaßen von ihren sterblichen Kameraden abschauen, für beide Varianten werden nach den Kämpfen gewonnene Punkte benötigt. Das Konzept ist nicht sehr originell. Die Figuren erhalten erstaunlich schnell zusätzliche Fähigkeiten, was sich hier jedoch eher als Nachteil für den Spielfluss entpuppt, weil der Spieler nach so ziemlich jedem zweiten Kampf das Menü öffnen und die zu erlernenden Abilities manuell auf den neuesten Stand bringen muss.
Lost Odyssey verhält sich zu Final Fantasy so, wie sich Blue Dragon zu Dragon Quest verhielt: Es eifert ganz offensichtlich dem großen Vorbild nach. Final Fantasy ist aber vor allem deshalb so erfolgreich, weil es sich mit jedem Teil selbst neu erfindet. Sakaguchi Hironobu, der einstige Schöpfer jener Serie und darüber hinaus maßgeblich verantwortlich für die Entwicklung von Mistwalkers zweitem Spiel für die Xbox 360, sollte das eigentlich am besten wissen. Also machen wir uns nichts vor - wäre Lost Odyssey als ein reguläres Final Fantasy erschienen, hätten es die meisten Fans als weniger guten Eintrag in die Geschichte der Reihe empfunden. Wäre es hingegen einige Jahre früher auf der PlayStation 2, der ersten Xbox oder gar in der 32-Bit-Ära erschienen, hätte es einen ganz anderen Eindruck gemacht und wäre vermutlich direkt zum Klassiker geworden. Inzwischen haben sich die Zeiten allerdings geändert. Zufallskämpfe sollten längst der Vergangenheit angehören, was sich immer mehr Entwickler endlich zu Herzen nehmen. Auch die Abilitysysteme sind immer häufiger visuell ansprechend und komfortabel zu bedienen und sollten darauf ausgelegt sein, der Kreativität der Spieler nicht im Wege zu stehen. Lost Odyssey versucht erst gar nicht, in diesen Sphären mitzumischen. Das macht es sicherlich nicht gleich zu einem schlechten Spiel, da das Gameplay reibungslos funktioniert und die zahlreichen Konventionen einwandfrei umgesetzt wurden, aber positiv ist die äußerst altmodische Herangehensweise definitiv nicht zu bewerten. Denn durch diese fühlt sich das Spiel einfach nicht so an wie das Next-Gen-RPG, welches es gerne wäre.
Was Secrets & Sidequests angeht, bietet Lost Odyssey wirklich alles, was das Herz begehrt. Optionale Bossgegner, geheime Dungeons, eine Hinterhof-Arena, in der man Kämpfe unter speziellen Bedingungen zu bestreiten hat, sowie eine umfangreiche Schatzsuche sind vorhanden. Wem das alles noch nicht reicht, der kann unter anderem für diverse NPCs kleinere Aufgaben erledigen. Insbesondere auf der vierten und letzten Disc gibt es eine ganze Menge zu tun.
Die Musik zum Spiel komponierte der begnadete Uematsu Nobuo, der hier wieder die Klasse seiner früheren Werke erreicht. Die Stärken des Soundtracks werden vor allem an Battlefield und dem sagenhaften Main Theme deutlich, welches immer wieder in sehr verschiedenen Variationen auftaucht, aber auch Dark Saint oder das abgefahrene um nicht zu sagen verrückte finale Bossthema Howl of the Departed sind erwähnenswert. Nicht alle Stücke sind so außergewöhnlich geworden, es gibt einige langweilige Lückenfüller, doch meistens klingt die Musik stimmig und kann, während sie die von der Geschichte hervorgerufenen Gefühle unterstreicht und widerspiegelt, tatsächlich in diese andere Welt entführen. Die deutsche Sprachausgabe ist anhörbar und nicht völlig daneben, aber da die japanischen, englischen, französischen und italienischen Stimmen vorbildlicherweise ebenfalls zur Verfügung stehen, dürften die klar besseren Alternativen schnell gefunden sein.
Interpretation
Wer immer noch glaubt, dass Unsterblichkeit etwas wunderbares und wünschenswertes ist, den wird das Spiel möglicherweise eines Besseren belehren. Für Kaim ist sein Zustand tatsächlich eher ein Fluch als ein Segen, in gewisser Weise ist er sogar neidisch auf die Menschen, die sterben können. Sie mögen schwach und zerbrechlich sein, doch menschliche Güte kann aus dem tiefen Bewusstsein eines jeden für die Zerbrechlichkeit des Lebens entstehen. Wie aber könnte jemand unter der Last eines Lebens, das er nicht verlieren kann, jemals Schwäche in Güte verwandeln? Und die Last wiegt schwer, denn tausend Jahre am Leben zu sein bedeutet auch, das Leid von tausend Jahren mit sich herumzutragen.
Träume und Ziele sind gerade deshalb so wichtige Wegweiser, weil das Leben begrenzt ist. Was sollen die Träume und Ziele von jemandem sein, der ein Leben führen muss, das kein Ende hat? Was Kaim am heftigsten aus der Bahn werfen würde, wäre der unwillkommene Ausblick auf seine eigene ewige Zukunft. Er ist gezwungen, sich ständig auf die Suche nach einem neuen Sinn zu machen, da alles auf der Welt der Vergänglichkeit unterworfen ist. Genau das könnte mit dem Titel des RPGs gemeint sein. Nicht nur Staaten und Ideologien kommen und gehen, sondern vor allem auch die Personen, die dem Unsterblichen nahe stehen. An diesen klammert er sich selbst dann noch fest, wenn von ihnen nur noch verblassende Erinnerungen übrig sind.
Letztenendes ist es unsere Sterblichkeit, die uns zu Menschen macht. Erst dadurch, dass unsere Zeit auf Erden irgendwann vorbei ist, bekommt sie einen besonderen Wert. Wie viel hat man gelacht und geweint, war alleine oder zusammen mit Freunden und Familie? Was wir hinterlassen ist nicht so wichtig wie die Art, wie wir gelebt haben. Dem Spiel ist es hoch anzurechnen, diese Thematik erfolgreich herüberzubringen, mal mehr, mal weniger deutlich.
Fazit
Lost Odyssey ist durch und durch ein Konsolen-RPG der alten Schule. Dass früher nicht alles besser war, zeigt das eher durchschnittliche Gameplay mit seinen lästigen Zufallskämpfen und dem minimalistischen Abilitysystem. Die verträumt-bittere Story beinhaltet leider ein paar Durststrecken, ist ansonsten aber wunderbar emotional und dank der eingebauten Kurzgeschichten auch recht tiefsinnig. Uematsus bewegender, schwermütiger Soundtrack rundet das gelungene und dennoch in mancher Hinsicht verbesserungswürdige Spiel ab.
Story............4/5
Grafik............4/5
Gameplay.......3/5
Sound...........4/5
Wissenswertes
Lost Odyssey wurde von Mistwalker und feelplus für die Xbox 360 entwickelt und am 06.12.07 von den Microsoft Game Studios in Japan veröffentlicht. In nur relativ kurzen Zeitabständen erschien es am 12.02.08 auch in den USA und am 29.02.08 in Europa. Bei der Entwicklung wurde die Unreal Engine 3 von Epic Games verwendet.
Über die Verpackung des Spiels gab es berechtigte Beschwerden. Die vier DVDs passten nicht in eine gewöhnliche Hülle, weshalb die japanische und asiatische Fassung in einer etwas größeren Packung mit Ablagen für jede Disc ausgeliefert wurde. In den westlichen Versionen fanden die Verantwortlichen allerdings keine so elegante Lösung: Drei Discs befestigte man recht locker auf einer Spindel, während die vierte lose in einem dünnen Papierumschlag beigelegt wurde.