Stan
30.12.2008, 08:18
Darren Aronofsky: The Wrestler
Darren Aronofsky Filme sind etwas besonders. Pi, die Geschichte eines im Wahnsinn versinkenden Mathematik-Genies ist die dunkle Seite von "A beautiful Mind", ein kompromissloses Debüt in Schwarz-Weiß, Requiem for a Dream, eines der Sucht-Dramen schlechthin, hat es geschafft viele filmische Experimente in eine homogene Mischung zu verwandeln und hat einen unvergesslichen Klimax, The Fountain, die Liebesgeschichte schlechthin, mein Lieblingsfilm, was soll ich sagen - für mich sind alle drei Filme sehr bedeutsam.
Mit Freude habe ich vor etwa einem Jahr erfahren, dass es nicht wieder eine 6-jährige Odyssee zum nächsten Film wird, sondern dass das nächste Projekt bereits zwei Jahre später erscheinen soll. Mit einem geringeren Budget, in einem realen Setting und - um einen Wrestler kreisend. Nach anfänglichem Erstaunen habe ich mich damit abgefunden und habe dem Release optimistisch entgegengeschaut. Als The Wrestler dann in Venedig den Preis für den besten Film gewonnen hat, habe ich mich gefreut und die IMDB-Wertung von 8.8 hat ihr übriges getan. Trotzdem habe ich mich nicht hypen lassen. Und heute habe ich ihn also gesehen.
Immer wieder folgen wir Mickey Rourkes Rücken und seinen langen blonden Haaren durch das Auge der Kamera und wir folgen ihm durch den Film bedingungslos. Während den Credits fragt man sich noch, ob man sich in das Wrestling-Milieu hineinversetzen kann, nach 15 Minuten beißt man sich schon auf die Lippen und zerkaut die Fingernägel. Ich könnte gar nicht sagen, warum der Film so gut funktioniert. Aronofsky, bekannt für großartige Inszenierungen, hält sich wahnsinnig zurück und lässt nur in wenigen Momenten seine Poesie aufglänzen. Es ist Rourke, der den Film an sich reißt, Rourke, der scheinbar wirklich dieser Wrestler geworden ist.
In der ersten Hälfte des Filmes folgen wir ihm in die Welt eines Wrestlers, dessen Karriere in den 80ern auf dem Höhepunkt war und der nun noch in kleinen Hallen vor wenig Publikum auftreten kann. Und wie er Auftritt. Die Wrestling-Szenen beeindrucken selbst einen totalen Wrestling-Fremdling wie mich, die Mischung aus Schauspiel, Brutalität, Tanz, Akrobatik und Entertainment ergreift tiefer als jede Kampf-Choreographie in Rocky oder Ali. Weil es ein ernster Film ist. Weil wir nicht nur mit Rourke mitfiebern, sondern mit ihm mitleiden. Wir wissen, warum er in diesen Ring steigen muss.
Die zweite Hälfte des Films nähert sich dem Sozialdrama und porträtiert geschickt Rourkes Umgang mit seiner Vergangenheit. Zudem wird erzählt, wie er versucht den Kontakt mit seiner Tochter, die er für das Showbuisness vernachlässigt hat, wieder aufzunehmen und wie sich sein Verhältnis mit einer Stripperin, deren Tänze fast seinen im Ring gleichen, entwickelt.
Das Ende ist abgeschlossen, verweigert aber, in krassem Gegensatz zu The Fountain, die Katharsis.
Der Film ist eine intensive Erfahrung. Mickey Rourke brilliert in der Rolle und schafft es, dass auch der vom Milieu entfernteste Zuschauer sich mit ihm identifiziert. Dafür sorgt auch das Drehbuch, dass sich mit psychologisierenden Kausalitäten erfrischend zurückhält. Es wird nicht erklärt, wie der Status Quo zustande gekommen ist, die geschiedene Ehe wird nicht thematisiert und die Vergangenheit ist immer nur der Ruhm der 80er. Diese Leerstelle in der Psychologie des Charakters eröffnet weitere Räume zur Identifikation und letztendlich lässt sich das Wrestling austauschen gegen die Drogen der anderen Aronofsky-Filme: Ob das die Wissenschaft ist, ob das Heroin oder das Fernsehen ist, ob das die Liebe ist oder eine eigene Sucht, ein eigener Lebensersatz.
"The Wrestler" ist nicht von Aronofsky geschrieben, aber er setzt Aronofsky Gesamtwerk stimmig fort und wem "The Fountain" zu bombastisch, zu wirr war, dem wird Aronofskys zurückhaltende Regie hier gefallen.
Start: 26.02.09
IMDB: 8.8 3000 Votes
Filmfestspiele von Venedig: Bester Film
Nominiert für 3 Golden Globes und - ich prophezeie - mindestens einen Oscar für den Besten Hauptdarsteller
Darren Aronofsky Filme sind etwas besonders. Pi, die Geschichte eines im Wahnsinn versinkenden Mathematik-Genies ist die dunkle Seite von "A beautiful Mind", ein kompromissloses Debüt in Schwarz-Weiß, Requiem for a Dream, eines der Sucht-Dramen schlechthin, hat es geschafft viele filmische Experimente in eine homogene Mischung zu verwandeln und hat einen unvergesslichen Klimax, The Fountain, die Liebesgeschichte schlechthin, mein Lieblingsfilm, was soll ich sagen - für mich sind alle drei Filme sehr bedeutsam.
Mit Freude habe ich vor etwa einem Jahr erfahren, dass es nicht wieder eine 6-jährige Odyssee zum nächsten Film wird, sondern dass das nächste Projekt bereits zwei Jahre später erscheinen soll. Mit einem geringeren Budget, in einem realen Setting und - um einen Wrestler kreisend. Nach anfänglichem Erstaunen habe ich mich damit abgefunden und habe dem Release optimistisch entgegengeschaut. Als The Wrestler dann in Venedig den Preis für den besten Film gewonnen hat, habe ich mich gefreut und die IMDB-Wertung von 8.8 hat ihr übriges getan. Trotzdem habe ich mich nicht hypen lassen. Und heute habe ich ihn also gesehen.
Immer wieder folgen wir Mickey Rourkes Rücken und seinen langen blonden Haaren durch das Auge der Kamera und wir folgen ihm durch den Film bedingungslos. Während den Credits fragt man sich noch, ob man sich in das Wrestling-Milieu hineinversetzen kann, nach 15 Minuten beißt man sich schon auf die Lippen und zerkaut die Fingernägel. Ich könnte gar nicht sagen, warum der Film so gut funktioniert. Aronofsky, bekannt für großartige Inszenierungen, hält sich wahnsinnig zurück und lässt nur in wenigen Momenten seine Poesie aufglänzen. Es ist Rourke, der den Film an sich reißt, Rourke, der scheinbar wirklich dieser Wrestler geworden ist.
In der ersten Hälfte des Filmes folgen wir ihm in die Welt eines Wrestlers, dessen Karriere in den 80ern auf dem Höhepunkt war und der nun noch in kleinen Hallen vor wenig Publikum auftreten kann. Und wie er Auftritt. Die Wrestling-Szenen beeindrucken selbst einen totalen Wrestling-Fremdling wie mich, die Mischung aus Schauspiel, Brutalität, Tanz, Akrobatik und Entertainment ergreift tiefer als jede Kampf-Choreographie in Rocky oder Ali. Weil es ein ernster Film ist. Weil wir nicht nur mit Rourke mitfiebern, sondern mit ihm mitleiden. Wir wissen, warum er in diesen Ring steigen muss.
Die zweite Hälfte des Films nähert sich dem Sozialdrama und porträtiert geschickt Rourkes Umgang mit seiner Vergangenheit. Zudem wird erzählt, wie er versucht den Kontakt mit seiner Tochter, die er für das Showbuisness vernachlässigt hat, wieder aufzunehmen und wie sich sein Verhältnis mit einer Stripperin, deren Tänze fast seinen im Ring gleichen, entwickelt.
Das Ende ist abgeschlossen, verweigert aber, in krassem Gegensatz zu The Fountain, die Katharsis.
Der Film ist eine intensive Erfahrung. Mickey Rourke brilliert in der Rolle und schafft es, dass auch der vom Milieu entfernteste Zuschauer sich mit ihm identifiziert. Dafür sorgt auch das Drehbuch, dass sich mit psychologisierenden Kausalitäten erfrischend zurückhält. Es wird nicht erklärt, wie der Status Quo zustande gekommen ist, die geschiedene Ehe wird nicht thematisiert und die Vergangenheit ist immer nur der Ruhm der 80er. Diese Leerstelle in der Psychologie des Charakters eröffnet weitere Räume zur Identifikation und letztendlich lässt sich das Wrestling austauschen gegen die Drogen der anderen Aronofsky-Filme: Ob das die Wissenschaft ist, ob das Heroin oder das Fernsehen ist, ob das die Liebe ist oder eine eigene Sucht, ein eigener Lebensersatz.
"The Wrestler" ist nicht von Aronofsky geschrieben, aber er setzt Aronofsky Gesamtwerk stimmig fort und wem "The Fountain" zu bombastisch, zu wirr war, dem wird Aronofskys zurückhaltende Regie hier gefallen.
Start: 26.02.09
IMDB: 8.8 3000 Votes
Filmfestspiele von Venedig: Bester Film
Nominiert für 3 Golden Globes und - ich prophezeie - mindestens einen Oscar für den Besten Hauptdarsteller