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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ich bin's, das Fettgewebe!



deserted-monkey
22.10.2008, 21:06
Nochmal was. ;) Anm. d. Autors: Diese Geschichte soll auf gar keinen Fall diskriminierend wirken.






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Eine Geschichte für die Mittagspause


Es gibt viele dicke Menschen. Sie kennen doch bestimmt auch einen, oder? Diese Menschen, denen an jeder Ecke “Fettsau!” oder “Dickwanst!” oder gar schlimmere Gemeinheiten hinterher gesagt werden. Leute sind das, vielleicht zu dick, aber sie sind genauso Menschen wie ich oder Sie, lieber Leser. Doch die ignorante Masse vermag sie nicht immer zu akzeptieren, sieht nur ihr hässliches Fett auf- und abhüpfen. Dabei verstecken sich in diesen Fleischbergen vielleicht die nettesten, liebsten Menschen, aber wenn man sie so respektlos behandelt? Schlimm. Die Meisten schauen nur noch auf Äußerlichkeiten.

Auch ich kenne einen dicken Menschen, von ihm möchte ich Ihnen heute erzählen. Sein Name ist Ramon Elk und er ist mein Bruder. Seit unsere Mutter vor fünf Jahren bei einem Autounfall tragisch ums Leben gekommen ist, hat er dutzende Kilos zugelegt, seine tiefe Trauer mit vielen fettigen Hamburgern und Pizza hinuntergeschluckt. Früher war er gut gebaut gewesen, beinahe athletisch möchte ich behaupten, ein Mädchenschwarm. Stellen Sie sich vor, wie es mich innerlich zerrissen hat, als er mit dem vielen Essen anfing. Eigentlich begann es ja ganz harmlos, er aß nur zwischendurch etwas mehr. Doch dann, als er manchmal mitten in der Nacht schreiend aus dem Bett fuhr, schweißnass, und brüllte er hätte es gesehen. Er sähe es immer wieder. Wie dieser blaue Buick mit dem besoffenen Schwein hinter dem Steuer unsere Mutter aus der Welt gerammt hatte. Für mich war es damals schon unerträglich, meinen Bruder in einem solchen Zustand zu sehen. Auch ich hatte natürlich mit dem Tode eines unserer Elternteile zu kämpfen, auch ich weinte manchmal nächtelang. Doch mein Bruder traf es am härtesten, selbst mein Vater kam besser darüber hinweg. Ich weiß nicht an was das gelegen hat, mein Bruder Ramon hatte nie sehr an unserer Mutter gehangen.

Eines Nachts kam er in mein Zimmer, aus seinen Augen sprach der pure Terror, sein ganzes Gesicht war aufgeweicht wegen der vielen Tränen. Er setzte sich stumm zu mir aufs Bett und fragte mich, wieso ich niemals weinte. Ich erwiderte, das ich das sehr wohl täte und mich der Tod unserer geliebten Mutter sehr wohl in tiefe Trauer gestürzt hätte. Darauf schüttelte er leise den Kopf und die Worte, welche er danach sprach, werden mir immer im Gedächtnis bleiben: “Weißt du wie es ist, zu sehen? Weißt du wie es ist, es immer wieder zu sehen, als würdest du daneben stehen und zuschauen?!”
Darauf hatte ich nichts erwidern können.

Nach dieser Nacht war mein Bruder endgültig nicht mehr derselbe. Er begann seine Freizeit nur mit Essen zu verbringen. Es schien mir, desto ungesünder und fettiger seine Nahrung war, desto besser linderte es seine Wunden im Herzen. Und ich ließ ihn machen. Vater sagte nichts dazu, ein Jahr lang war er wie versteinert. Selten nur noch sprach er mit uns und die Lebensfreude war aus seiner gutmütigen Stimme gewichen. Die Leute auf seiner Arbeit sagten, es stünde schlimm um ihn. Ich machte mir Gedanken um die Zukunft unserer dahin geschrumpften Familie, konnte manchmal die ganze Nacht nicht schlafen. Immer wieder stellte ich mir Fragen. Warum hatte es genau unsere Mutter getroffen? Wieso nicht jemanden anderes, der uns nicht so nahe stand? Wieso … - Es mag egoistisch klingen, aber glauben Sie mir, auch Sie würden sich solche Gedanken machen. Sterben muss jeder einmal, aber die meisten tun es zu früh.

Nach einem Jahr wog mein Bruder Ramon circa doppelt so viel wie noch zuvor. Ich bemerkte es mit Beklemmen und Angst, das konnte doch nicht mein Bruder sein. Was machte er da? Natürlich getraute ich mich nicht, etwas zu sagen. Seine sozialen Kontakte schrumpften dahin, so wie seine Körpermasse zunahm. Schlussendlich war aus dem offenen, aufgeschlossenen, freundlichen Bruder ein fauler, griesgrämiger, immer schlecht gelaunter Mitbewohner geworden, den ich nur noch Abends kurz sah, wenn ich in sein Zimmer ging, um seine Pflanzen zu gießen. Er machte nichts mehr selber. Saß nur noch auf dem Bett, versunken in ein Buch, das er las, um sich dahinter irgendwie zu verbergen. Manchmal lag er auch einfach in seiner zunehmenden Fettmasse da und blickte starr an die Decke. Er sah aus, als würde er nächstens ebenfalls versterben. Es kam so weit, dass er nicht einmal mehr zur Schule ging. Selbst unser Vater konnte dagegen nichts tun, denn er arbeitete ja den ganzen Tag, jetzt noch mehr, da unsere Mutter nicht mehr da war. Ich glaube, mein Vater ertränkte seine Trauer in der Arbeit, mein Bruder im Essen. Nur ich … ich blieb, wie ich war.

Oft habe ich versucht, meinen Bruder dazu zu bringen, wieder die Schule zu besuchen. Wenigstens das, aber auch dabei hatte ich keinen Erfolg. Es schien, als höre er meine Worte gar nicht mehr. Er lebte plötzlich in seiner ganz eigenen Welt, eine Welt, in der unsere Mutter noch lebte. Manchmal hörte ich ihn in regnerischen Nächten stöhnen und ächzen und dann wusste ich, dass er wieder träumte. Manchmal ging ich in sein dunkles Zimmer und setzte mich neben ihn, streichelte seine Stirn und sprach beruhigende Worte. Tagsüber, wenn ich frei hatte, versuchte ich ihn mit Geschichten und Witzen aufzuheitern, doch nichts berührte ihn, alles begann an seinem zunehmenden Fett abzuprallen. Mit der Zeit gab ich meine Versuche auf.

Vater hatte oft versucht, ihm weniger zu essen zu geben. Aber wissen Sie was? Dem eigenen Sohn sein Liebstes wegnehmen, das kann selbst der willensstärkste Vater nicht. Oft redete er mit mir über Ramon, erzählte mir, wie Leid es ihm tue. Aber was konnte er schon dafür? Ich versprach Vater, mit Ramon zu reden, ein letztes Mal den alten Ramon zwischen den erschreckend schnell anwachsenden Fleischmassen zu suchen. Es gelang mir nicht. Ramon wollte nichts mehr von mir oder Vater wissen. Er schien sich nicht einmal mehr an uns zu erinnern. Alles was er wollte, war mehr Essen. Mehr. Immer mehr. Ein bitteres Gefühl plagte mich. Mein Bruder, wie ich ihn kannte, war mit meiner Mutter gestorben.

Vor zwei Wochen ist Vater auf eine Geschäftsreise gegangen. Irgendwo in Deutschland ist er. Seit Vater weg ist hat mein Bruder noch einmal mehr gegessen, er wurde mittlerweile so dick, dass ich ihm seine Mahlzeiten auf das Zimmer bringen musste. Durch die Tür konnte er nicht mehr, glaube ich. Entsetzlich. Ich hatte Angst, das können Sie mir glauben, ich hatte schreckliche, panische Angst.

Seit gestern ist Ramon nicht mehr in seinem Zimmer. All die Jahre hat er es nicht verlassen, darbte dort in seinem eigenen Fett. Ich habe ihn gesucht, überall. Auf eine Art war ich beinahe froh, dass er weg war. So hatte er es endlich geschafft, aufzustehen und etwas anderes zu tun als zu Essen und Löcher in die Decke zu starren. Oh wie sehr ich mich täuschte.

Als ich heute Morgen in aller Frühe im Keller eine neue Packung Frühstücksflocken holen wollte, sah ich ihn. Sie müssen wissen, es war kein Mensch mehr, den ich dort vorfand. Der ganze Kellerraum war verschmiert mit grauen, stinkenden Klumpen. Es war nur mehr eine riesengroße, schwabbelige, abgrundtief hässliche Masse aus Fett und vereinzelten Knochen. Auf dem Rücken dieser Geschwulst saß der Kopf Ramons, deformiert und halb zerflossen. Ein letztes Mal sah ich sein Gesicht durch das Fett hindurchschimmern, und außer mir vor Angst und Grauen fragte ich: “Was bist du? Was bist du nur geworden?” Und das Fett öffnete sich mit einem ekelhaften, grausigen Schmatzen, schrie mir entgegen: “Ich bin’s, das Fettgewebe!”

Was danach geschehen ist, kann ich nicht mehr sagen. Der ganze Tag ist in meiner Erinnerung nur ein schwarzes Loch, das alles in sich aufsaugt. Ich entsinne mich nur noch, das mir unheimlich schlecht geworden ist. Seit ich aus meiner Ohnmacht erwacht bin, bete ich. Weine und bete und schreibe. Nun habe ich meine Geschichte erzählt, lieber Leser. Gleich werde ich den Stift niederlegen und mich mit Händen und Füssen an die Bettpfosten ketten. Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich habe Hunger.

Furchtbaren, grässlichen Hunger.

Turgon
24.10.2008, 17:25
Moie!
So habs mal gelesen.
Dieses Mal hat es mich aber nicht so wirklich gefesslelt. Sorry.
Es kam irgendwie keine Spannung auf, sodass man sich nicht hineingezogen fühlt. Für mich war es einfach nur eine Erzählung von einem Mann, der seine Geschichte nur so vor sich hinsagt.

mfg Turgon