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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Apfel, Schnaps und böse Zunge



deserted-monkey
25.01.2008, 10:32
So. Schreibe gerade an etwas Längerem, hier aber noch etwas Kürzeres, für Zwischendurch. Aber Achtung: Das ist ... absurd.
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Apfel, Schnaps und böse Zunge

Böse Zungen behaupten, ich sei ein schlechter Mensch.
Dabei hab ich nur den Zeitungsjungen erschossen. Aus Notwehr.

Glauben Sie’s mir.

Ich bin weiß Gott nicht kriminell veranlagt, kein Dieb und kein Verbrecher, aber vor allem bin ich kein Mörder. Wahrscheinlich haben Ihnen die Leute etwas anderes erzählt, oder nicht? Selbst meine Nachbarn halten mich für einen Psychopaten, einen Verrückten, einen Irren, reif für die Nervenheilanstalt. Welch schrecklicher Aberglauben bringt Sie dazu so schlecht über mich zu denken? Was für haarsträubende Geschichten kursieren da draußen, in der Verdammnis, über mich? Wissen Sie, ich möchte es gar nicht wissen, also hören Sie mir einfach zu und unterlassen Sie es, mich so anzustarren. Das kann ich nicht ertragen.

Draußen wartet die Verdammnis, wie jeden Morgen. Nur das sie heute schöner ist als sonst. Vöglein zwitschern in den Bäumen, die Sonne lacht vom wolkenlosen, blauen Sommerhimmel, das Gras wiegt leicht im Wind, der Apfelbaum neben dem Haus sieht gesund und kräftig aus. Ja, dieser verdammte Apfelbaum. Wo sind nur meine Zigaretten? Ah, hier. Danke, Mann. Kommen Sie ja nicht auf die Idee, mir von dem Schnaps anzubieten, ich trinke so was nicht.

Sex, Freundschaft, Liebe und anderer Menschen Gesichter kenne ich nur aus dem Fernsehen. Dieser Mann mit den strahlend blauen Augen und dem stoppeligen Kinn, immer um sechs auf Kanal sieben, kennen Sie ihn? Er ist mir wahrlich ein Freund. Doch hoffen wir, das er es noch lange bleiben wird, ehe ihn die Verdammnis da draußen verschluckt. Und der Apfelbaum, ich bin sein Bewunderer.

Wie kann er da draußen, auf den Strassen, dem nackten Grauen ausgesetzt, überleben? Wie lange steht er schon dort, trotzt Krieg und Leid, Tod und Angst? Ich bewundere ihn, aber gleichzeitig verabscheue ich ihn so dermaßen, dass ich es nicht in Worte auszudrücken vermag. Nagende Angst frisst mich jedes Mal auf wenn die Dunkelheit ihn verhüllt. Im Haus habe ich Ruhe vor den Schrecken, aber selbst der Tag bringt mir nichts als Entsetzen. Verstehen Sie, ich fühle mich nicht wohl, mir ist klamm und unheimlich, als würde ich innerlich von einer verheerenden Krankheit zernagt.

Zug von der Zigarette
Was sehen Sie mich so entgeistert an?

Manchmal glaube ich, es wäre besser zu sterben, als weiter diese Schande zu ertragen. All diese verschwendeten Gedanken an die Welt da draußen, meine Seele ist gespalten, ein Teil sehnt sich nach Gefühlen, die mir nur Gesellschaft bringen kann, die andere ist von kalter, verstörender und zerstörerischer Angst erfüllt, die mich willenlos macht und mich am handeln hindert. Wenn ich doch nur ausbrechen könnt, raus, frei. Wollten Sie nicht auch schon mal ausbrechen? Haben Sie nie daran gedacht?

Mit Äpfeln bringe ich Blut in Verbindung, blutrote Äpfel, der Lebenssaft aller Kreaturen. Aber diese Äpfel sind nicht gesund, sie sind gezeichnet von Parasitenbefall und schlimmer Krankheit, zerfallen langsam in graue, unförmige Gewächse, Geschwüren ähnlich hängen sie kläglich vom Baum. Haben Sie diese Äpfel gesehen? Sie sehen aus wie wohlgeformte Brüste schöner Frauen, schön weich und von zarter Haut, perfekt in ihrer Vollendung. Aber in diesen Brüsten befindet sich keine Muttermilch um die Kinder dieser Welt aufzuziehen, in ihnen wimmelt es von Maden und Gewürm, blindem Getier ohne Verstand, welches sie in rasender Gier zerfrisst.

Zitternder Zug von der Zigarette
Trinken Sie das nicht! Sind Sie von Sinnen?! Es macht Sie aggressiv, hohl und innerlich tot. Es macht Sie verrückt, zu einem anderen, unmenschlichen Wesen. Trinken Sie nicht! Stellen Sie die Flasche zurück auf den verdammten Tisch, ich kann das nicht mit ansehen. Schon viele sind dem Geist verfallen und das werden Sie auch gleich, wenn die… Nein! Oh Gott, Scheiße, lassen Sie das! Sie werden sehen, was passiert, verflucht, sie werden schon sehen!

Ja, ich beruhige mich, hören Sie auf. Ist schon gut. Aber fassen Sie die verdammte Flasche nicht mehr an, sie macht mich verrückt, stellen Sie sie weg. Bitte. Haben Sie bemerkt, dieser Raum ist so bedrückend eng, so klein, völlig kahl und dunkel, wie können Sie nur hier bei mir bleiben? Die Wände scheinen massiv, sind in Wahrheit aber dünn, das sehe ich sofort und höre es. Dieses Geschnalze, dieses Geflüster und Gerede, dass durch sie dringt. Hören Sie’s? Es ist hier ganz deutlich. Warum reden sie über mich? Ich kann das nicht verstehen, bin ich denn so schlechter als alle andern, warum haben sie mich auserwählt? Fragen, die sie mir noch nicht beantwortet haben und wohl auch nie werden. In dieser Beziehung sind sie stumm, wie der Zeitungsjunge.

Tief inhalierter, glucksender Zug von der Zigarette, sein Leib wird durchgeschüttelt
Schrecklich dieser Zeitungsjunge. Normalerweise bekomme ich ihn nie zu Gesicht, was besser ist, wie ich erfahren habe, doch dann machte ich die Tür auf, nur einen ganz kleinen Spalt breit, damit die Verdammnis mich nicht für immer verschlingen konnte. Und da stand er, blickte mich aus schwarzen, gefühlslosen Augen an, aber vor Allem waren sie leblos, so erschreckend leblos. Es waren die Augen eines Toten, jemand der die Nachricht des Todes verkündete. Grinsend drückte er mir ein Exemplar in den Türspalt, heftige Schrecken durchfuhren mich und ich blieb zitternd und hilflos am Boden liegen und winselte und bettelte, dass er wieder verschwinden möge.

Bricht in klägliches Weinen aus
Unter schockgeweiteten Augen las ich von dem Geschriebenen, dort stand von den Äpfeln, von den Brüsten und dem Schnaps, von dem Mann mit den strahlenden Augen auf Kanal sieben, kennen Sie ihn? Und als ich all das gelesen hatte, vor dem ich mich immer so gefürchtet habe, als mein Hirn zu pochen und zu pumpen begann, unter der Qual dieser Informationen, beugte sich der Zeitungsjunge durch den Türspalt herein. Hämisch und höhnisch lachte er mich aus, und mit ihm kamen die Zungen.

Übergossen mit Lügen, bösen, verletzenden Worten und Versprechen, die nie eingelöst werden, umgeben vom Geschnatter der Zungen, den unartikulierten Lauten eines fremden Tieres ähnlich. Lange habe ich gekämpft, lange habe ich gestanden, lange habe ich mich verschlossen gehalten, aber einmal ist es soweit. Einmal ist es so weit.

Niemals würde der Zeitungsjunge wieder verschwinden, nie mehr von meiner Seite weichen, das hat er mir gesagt. Also bin ich mit letzter Kraft und unter zuckenden Höllenqualen in den Estrich, wo meine Waffe liegt. Fragen Sie mich nicht, beschuldigen Sie mich nicht, verdammen Sie mich nicht dafür, ich besitze wirklich eine Waffe. Aus kaltem Eisen, leblos wie die Augen. Damit erschoss ich den Jungen, ich musste es tun, er war der Überbringer allen Schmerzes und Leides. Musste es tun, und das wissen Sie. Es hat mich getrieben.

Stille

Officer Wallauer steckt den verurteilten Wahnsinnigen nach diesem Gespräch in die geschlossene Abteilung. Aber Jahre später, als Wallauer langsam und schleichend zu einem Alkoholiker mutiert, sein Blut vergiftet, die Frau an Brustkrebs stirbt und sein kleiner Junge versehentlich von einer Strassengang erschossen wird, versteht er den Mann plötzlich. Er wollte nicht hören. Es geht ihm wie vielen anderen auch.

Kein Grund sich deswegen Vorwürfe zu machen.

Aber böse Zungen behaupten, er sei ein schlechter Mensch.

Desmond
25.01.2008, 11:43
Ich fand' sehr toll. Sehr gut geschrieben, man hat wirklich das Gefühl, dass ein Wahnsinniger dies erzählt. Danke für die unterhaltsamen Minuten, und mach weiter so :A.

Yuna
26.01.2008, 23:20
Echt super. hättest du fast was längeres draus machen können. Schreib mal mehrere Kurzgeschichten, packs in ein Buch und ich kaufe es :D

qed
28.01.2008, 11:51
Vielleicht stillistisch deine beste Geschichte, imho. Ein verdammt guter Lesefluss der einen animiert immer weiterzulesen, bis man durch ist. Es ist irgendwie auch gerade das was die Geschichte ausmacht, die Pointe war Nett aber keineswegs etwas neues, schon in deiner letzten Geschichte war die Thematik ähnlich. Aber es muss nicht immer die Pointe die Geschichte ausmachen, sondern sie muss einfach fesselnd sein und das war sie in der Tat. Well done, freue mich schon auf die Nächste.

deserted-monkey
03.02.2008, 15:59
Ich fand' sehr toll. Sehr gut geschrieben, man hat wirklich das Gefühl, dass ein Wahnsinniger dies erzählt. Danke für die unterhaltsamen Minuten, und mach weiter so :A.

Vielen Dank! Genau das wollte ich mit dieser Geschichte eigentlich auch erreichen, freut mich, dass es bei dir geklappt hat! :)


Echt super. hättest du fast was längeres draus machen können. Schreib mal mehrere Kurzgeschichten, packs in ein Buch und ich kaufe es :D

Also dann muss ich mir ja in Zukunft ernsthaft überlegen, ob ich die Geschichten hier einfach so gratis ins Forum stellen soll ;) Nein, Quatsch, danke für dein grosses Lob!


Vielleicht stillistisch deine beste Geschichte, imho. Ein verdammt guter Lesefluss der einen animiert immer weiterzulesen, bis man durch ist. Es ist irgendwie auch gerade das was die Geschichte ausmacht, die Pointe war Nett aber keineswegs etwas neues, schon in deiner letzten Geschichte war die Thematik ähnlich. Aber es muss nicht immer die Pointe die Geschichte ausmachen, sondern sie muss einfach fesselnd sein und das war sie in der Tat. Well done, freue mich schon auf die Nächste.

Danke ;) Das sie stilistisch meine Beste ist, hätt' ich jetzt nicht gedacht, aber der Aussenstehende weiss das ja sowieso immer besser zu erkennen...
Jedenfalls danke für deine "Treue", qed, da du bisher praktisch jede meiner Storys gelesen hast und wohl auch deine Freude daran gefunden hast. Freut mich enorm so etwas zu sehen! CYA!

mfg

Monkey