Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kontinentalbegabung
Habt ihr schon einmal eine Person kennengelernt, die euch in allen Belangen überlegen zu sein schien?
Mir ist das in den letzten Wochen passiert. Für gewöhnlich hat jeder Mensch einige offensichtliche Schwächen und wenn man jemandem begegnet, dann merkt man schnell, in welcher Hinsicht wer wem über- bzw. unterlegen ist. Das fängt bei der groben Aufteilung in naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Orientierung an und nimmt in der Realität selbstverständlich viel feingliedrigere Formen an. Es gibt derart viele Kategorien, dass man in der Regel stets in einigen dem Gegenüber das Wasser reichen kann. Gerade deshalb denkt man darüber selten nach. Wahrscheinlich läuft dieser Schwanzvergleich unterbewusst ab.
Die ganze Sache fällt erst auf, wenn man, wie ich, plötzlich vor jemandem steht, der einem offenbar in jeder Hinsicht überlegen ist. Der Kerl, von dem ich spreche, viel mir zunächst wegen seines gepflegten Äußeren und seines guten Geschmacks bei der Kleiderwahl auf. Ich, als eher am Nutzen als am Schein orientierter Mensch, hielt ihn daraufhin für einen oberflächlichen Lackaffen.
Mit der Zeit hatte ich aber Gelegenheit, ihn ein wenig besser kennenzulernen. Ich bin nicht unsportlich, aber er ist sportlicher. Ich kann mich vernünftig artikulieren, aber er schlägt meine Eloquenz um Längen. Ich kenne mich auf verschiedenen Wissensgebieten ein wenig aus, aber er scheint mir überall voraus zu sein. Ich sinke, wenn ich länger sitze, mit der Zeit in mich zusammen, er sitzt problemlos anderthalb Stunden am Stück gerade und aufrecht. Die Liste ließe sich fortsetzen, die Unterschiede sind zum Teil gravierend, zum Teil belanglos, fallen aber immer zu seinen Gunsten aus. Zu allem Überfluss scheint seine hübsche und anschmiegsame Freundin alle diese Eigenschaften zu teilen.
Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich vor einem solchen Menschen stehend mein Selbstwertgefühl bewahren soll. Worauf soll ich mir noch etwas einbilden, woher die Selbstachtung nehmen? Alle positiven Eigenschaften, die ich an mir schätze, liegen bei ihm ebenfalls vor, meistens noch ausgeprägter. Das Fundament meines Selbstvertrauens ist bis auf einige wenige Schollen zusammengeschmolzen.
Ich kann mir nicht vorstellen, der einzige zu sein, der jemals in einer solchen Situation war. Also?
PS:
Ich spreche gerade nicht von Begegnungen mit Genies, die auf einem bestimmten Gebiet hervorragen. Man mag dem stereotypen Nerd noch so viel Bewunderung für seine mathematisch-naturwissenschaftlichen Fähigkeiten entgegenbringen, im Hinterkopf bleibt doch immer der Gedanke, dass er in anderer Hinsicht Schwächen besitzt. Selbiges gilt natürlich auch für alle anderen Halbinselbegabten. Mir geht es, um der Metapher treu zu bleiben, eher um Menschen mit kontinentalen, ja geradezu globalen, wenn nicht sogar stellaren Begabungen. (Die Metapher ließe sich noch weiter treiben, aber sie ist jetzt schon lächerlich genug, noch weiter zu gehen würde an Obszönität grenzen. Sie sollte eigentlich nur Anlass für einen mehr oder weniger originellen Threadtitel sein.)
Mordechaj
28.11.2007, 14:36
Das klingt eigentlich voll arogant zu sagen "Hoho! Mir ist sowas noch nie passiert!", aber ich denke, Leute haben grundsätzlich immer gewisse Schwächen. Es kommt hingegen darauf an, wie man Stärken und Schwächen eines Menschen persönlich einschätzt (die Platitüde "ich kann mit seinen/ihren Schwächen leben" ist hier zum Beispiel ganz passend). Was der eine als Schwäche betrachtet habb für den anderen schon wieder ein Gewinn sein und umgekehrt. Wichtig ist auch die Betrachtungsweise - lege ich wert auf Nettigkeit, auf Tiefgründigkeit, einen bestimmten Musikgeschmack, etc... Ich zum Beispiel find es total affig, immer stockgerade dazusitzen, für dich hingegen ist das eine durchaus erstrebenswerte Körperhaltung. Eloquenz ist auch interpretierbar; viele wünschen sich Gesprächspartner, die sich sehr gewählt und fachmännisch ausdrücken können, andere finden das schon wieder arg nervig und zu staksig.
Anders betrachtet könnte man einfach mal versuchen, auf Dinge zu achten, auf die man oftmals weniger Wert legt, beispielsweise auf den Musikgeschmack seines gegenübers - ich find es beispielsweise eher unsympatisch, wenn sich Leute mit Sachen zudröhnen, die weder Intellekt noch irgendeine Spur von Kunst beinhalten, wiederum sind Klassikhörer in meinen Augen sehr oberflächlich und bedacht, sich als kultiviert zu etablieren (soll nochmal wer sagen, ich würde keine Vorurteile haben \o/). Haben die Leute Humor, sind kritikfähig, bescheiden, haben sie Charisma, etc...
Ich persönlich glaube, der Mensch kann andere Menschen nur dann schätzen und höher stellen, diese bestimmte Kombinationen aus Stärken und Schwächen erfüllen. Wie gesagt: Was dem einen unsympathisch ist, kann den nächsten schon wieder beeindrucken.
Nun weiß ich nicht, wie du oder andere das sehen, aber ich persönlich find so Übermenschen schon wieder banal und einfach nervig. Wenn ich ein Sondermodell der Klasse "makellos" haben will, dann kauf ich mir den perfekten Teddy, aber Menschen, die keine kleinen Fehler haben, sind einfach uninteressant.
Und letztenendes kann man sowas auch immer sehr schwankend sehen; es braucht manchmal Monate, bis man an anderen Menschen irgendwelche wirklich extremen Schwächen erkennt - Scheidungsrate juchee!
Hm...oki, ich weiß, dass das nicht die Frage war, aber nur "Nein, ich kenne solche Leute nicht" war mir zu banal \o/.
Ich zum Beispiel find es total affig, immer stockgerade dazusitzen, für dich hingegen ist das eine durchaus erstrebenswerte Körperhaltung.
Ich versuche mich daran, um meinem Rücken einen Gefallen zu tun, diesem undankbaren Biest. Über den ästhetischen Wert dieser Körperhaltung lässt sich streiten, aber allein schon die Fähigkeit, lange Zeit aufrecht zu sitzen, verdient Bewunderung.
Es ist auch nur einer der Punkte, die mir auffielen, als mir seine vielseitige Überlegenheit dämmerte und ich besonders auf solche Kleinigkeiten zu achten begann.
Es kommt hingegen darauf an, wie man Stärken und Schwächen eines Menschen persönlich einschätzt (die Platitüde "ich kann mit seinen/ihren Schwächen leben" ist hier zum Beispiel ganz passend). Was der eine als Schwäche betrachtet habb für den anderen schon wieder ein Gewinn sein und umgekehrt.
Einverstanden. Wahrscheinlich ist es einfach nur ein unglücklicher Zufall, dass er mir ausgerechnet in den Eigenschaften überlegen ist, auf die ich mir bisher immer etwas eingebildet habe (wozu noch mehr als die oben erwähnten gehören).
Das ändert aber leider nichts an dem eigentlichen Problem, diesem Gefühl der Unterlegenheit auf allen Linien. Immerhin habe ich die ganze Sache noch einmal durchdacht und ein paar Eigenschaften gefunden, die mir persönlich achtenswert vorkommen und die ich bei ihm nicht vermute. Ich sollte mich besser von ihm fernhalten, bevor sich noch herausstellt, dass er mir auch in diesen Punkten das Wasser reichen kann. :rolleyes:
Moyaccercchi
28.11.2007, 23:02
Ist es nicht eher motivierend, einer solchen Person zu begegnen? Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich mache mir hin und wieder Gedanken darum, ob es überhaupt möglich ist, so zu leben, wie ich es gern täte. Nun siehst du jemanden, der es wirklich schafft, anscheinend so zu sein, wie du sein willst, und siehst, das es nicht unmöglich ist. Gerade das kann doch ein Ansporn sein, so weiterzumachen, und nicht einfach zufrieden zu sein, wie man ist. Wenn man sich denn weiterentwickeln will...
The Wargod
29.11.2007, 11:23
Das Problem ist nicht er, sondern du selbst. Vermutlich ist das die erste Person in deinem Leben, die dich unterbewußt dazu auffordert, dich selbst zu reflektieren, auf Grund der Ähnlichkeiten, die du zwischen euch ausgemacht hast.
Völlig normal.
Manche Menschen reflektieren sich sehr häufig von sich aus, andere "denken" erst nach, wenn Fehler begangen wurden oder Konsequenzen getragen werden müssen und wieder andere verschwenden rational keinen Gedanken an Selbstreflektion und reagieren genau dann häufig konstaniert, wenn man auf Personen trifft, die einem ähnlich zu sein scheinen - so wie in deinem Fall.
Du siehst ihn als dein "verbessertes Spiegelbild" an, ziehst Vergleiche in allen möglichen Kriterien und kommst immer wieder zu dem Schluß, daß er insgesamt entwickelter/reifer/besser bzw. "viel weiter ist" als du. Und als Quintessenz hältst du für dich fest, daß dein Selbstvertrauen noch nicht so gefestigt ist, wie du es gerne hättest.
Doch warum ihn als Konkurrenten ansehen, wenn du von ihm "lernen" kannst?
Er wird - dein Leben als Ganzes betrachtet - nur einer von vielen Leuten sein, denen man etwas abgewinnen kann - ob bewußt oder unbewußt spielt dabei weniger die Rolle. In der Summe betrachtet erscheint er damit schon fast wieder unbedeutend.
Und ob in der Schule, im Freundeskreis oder in der Familie: je langfristiger und häufiger du mit Menschen umgehst, desto weniger fällt es dir auf, daß sie auf dich abfärben, dich zu einem gewissen Extend prägen. Und den gegenteiligen Fall erlebst du nun selbst - er fällt dir bloß viel deutlicher auf, weil es einfach ungewohnt für dich ist.
Und immer daran denken: Jeder hat Schwächen. Und auch er kocht nur mit Wasser. Je professioneller ein solcher Typ Mensch rüberkommt, desto eher kannst du davon ausgehen, daß Schwächen bewußt kaschiert/kompensiert werden, so daß sie "auf dem ersten Blick" nicht erkennbar sind.
Und laß dir noch etwas gesagt sein: Gerade diese "Supertypen" bzw. "Alleskönner" haben häufig schwerwiegende emotionale/psychische Probleme, die z.B. in ihrer Vergangenheit wurzeln und das das der Grund bzw. der innere Motor ist, der sie dazu antreibt, so zu sein, wie sie sind.
Diomedes
29.11.2007, 15:30
Das ändert aber leider nichts an dem eigentlichen Problem, diesem Gefühl der Unterlegenheit auf allen Linien. Immerhin habe ich die ganze Sache noch einmal durchdacht und ein paar Eigenschaften gefunden, die mir persönlich achtenswert vorkommen und die ich bei ihm nicht vermute. Ich sollte mich besser von ihm fernhalten, bevor sich noch herausstellt, dass er mir auch in diesen Punkten das Wasser reichen kann.
Mal eine ganz banale Frage: Wozu diese Konkurrenzhaltung?
Mir liegt es fern, kluge Sprüche zu klopfen, nur damit du das nicht falsch verstehst, aber ich verstehe dein Problem nicht wirklich.
Was ist schon dabei, wenn man von jemandem überragt wird?
Du siehst das ganze einfach zu eng.
Stärken sind nicht die Eigenschaften, in denen man alle anderen übertrumpft, sondern die, in denen man das größte Potential hat. Manche entwickeln sie schneller, manche langsamer.
Jedoch wirst du früher oder später akzeptieren müssen, dass auch du deine Grenzen hast. In seinem Streben nach Vollendung wird jeder an den Punkt gelangen, an dem er nicht mehr über sich selbst hinauswachsen kann. Entweder findet man sich damit ab, oder treibt sich selbst in den Wahnsinn.
Dein Selbstwertgefühl wirst du nicht wiederfinden, wenn du deinen "Rivalen" überragst, sondern indem du dich selbst akzeptiert. Das du jemanden dafür bewunderst, länger gerade zu sitzen, lässt selbst den neutralen Beobachter erkennen, dass du dir nur selbst im Weg stehst, und niemand sonst.
Du hast deine körperlichen wie geistigen Ressourcen aber sicher noch nicht erschöpft, du brauchst einfach noch ein wenig Zeit, um deine Talente voll auszunutzen. Also lass dich nicht so davon niederschmettern, dass du jemanden zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht das Wasser reichen kannst. ;)
Ich kann mir nicht vorstellen, der einzige zu sein, der jemals in einer solchen Situation war. Also?
So überheblich es klingen mag, ich habe mich nie wirklich daran gestört jemandem unterlegen zu sein, außer ein Mal, und da war ich gerade 9 Jahre alt.
Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, kein Genie oder Supertalent zu sein, und das ist auch für mich in Ordnung, zumal ich auch nicht denke, anderen so sehr unterlegen zu sein. Meine Defizite haben andere Ursachen, kein schlechtes Karma oder eine üble Laune der Natur. ^^
Squall2k
06.02.2008, 03:13
Habt ihr schon einmal eine Person kennengelernt, die euch in allen Belangen überlegen zu sein schien?
ja, schon mehrmals. ich reagierte dann meistens ablehnend und plante insgeheim, irgendwann besser zu sein als er^^ gleichzeitig schämte ich mich wegen dieser denkweise und kam dann doch zu nix...der "leidensdruck war dann doch nicht gross genug.
aber irgendwann ises einem egal und man hört mit dem ewigen schwanzvergleich auf.:D
Habt ihr schon einmal eine Person kennengelernt, die euch in allen Belangen überlegen zu sein schien?
Je nachdem, wie gefestigt das Selbstbewusstsein ist, wird der eine oder andere "mehr oder weniger" sagen, sprich leute die wenig von sich halten werden eine größere Anzahl nennen als Leute die sehr voreingenommen sind (von sich selbst, eh klar ;)).
Die "Kunst" ist es, sich nicht von einem gelebten Idealbild verleiten zu lassen, unzufrieden durch sein Leben zu rennen und alles zu beklagen/bejammern.
Klar gibt's bessere Kerle als dich, und "die kriegen die schöneren Mädchen ab" und "die besseren Jobs" und "denen geht's besser als uns/mir" ... ist nicht wirklich was neues. Am Anfang macht dir das viel aus, aber du merkst irgendwann wie einige Vorredner schon gesagt haben, dass sie auch nicht perfekt sind - die gerade körperhaltung kann z.B. darin begründet liegen, dass sein Vater ihm als Kind immer auf die Finger gehaut hat, wenn er nicht mit geradem Rücken am Tisch saß.
Arg konstruiert jetzt aber du siehst, was ich sagen will - du siehst das dem Menschen nicht an, vielleicht hasst er es wie die Pest und macht es nur aus antrainiertem Reflex. Oder gar aus Angst, dass er sonst nicht in den gesellschaftlichen kreisen, in denen er verkehrt, anerkannt wird.
Oder er hat einfach Lust dran und achtet auf sein Kreuz, was auch ned schlecht ist :D. Kann alles mögliche sein ... sich den Kopf DARÜBER zu zerbrechen ist nutzlos. Ansonsten - dito was Wargod gesagt hat.
Ich glaube diese Person hat einfach eine eklatante Schwäche im Nichtskönnen.
Maisaffe
09.02.2008, 22:29
Ich glaube diese Person hat einfach eine eklatante Schwäche im Nichtskönnen.Word. :A
Ich kenne nur niemanden, welcher mich, nennen wir es einmal salop so, in allen Bereichen übertrumpfen könnte - trotzdem gibt es den ein oder anderen, denn ich mir als (auf den ersten Blick) positives Vorbild vorstellen könnte.
Das Problem bei diesem Supermenschen finde ich in der Regel aber in folgenden Punkten:
Sie können Ihre Schwächen nicht auf Dauer decken; wenn eine Schwäche durchbricht, dann extrem penetrant und nicht wieder reparabel (Beispiel: Netter Typ, Universalgenie => Später: Weiß alles besser, reißt seine Klappe bei jedem Thema auf, drängt sich vor, bevormundet jeden => Ende vom Lied: Unbeliebt im Quadrat)
Heuchelei; Bei manchen Personen merkt man das erst, wenn man sich diese näher und über einen längeren Zeitraum betrachtet. So motivierend es auch sein mag, ich persönlich möchte nicht über lächerliche Dinge gelobt werden (Unglaublich passendes Beispiel ist ein Lehrer meiner Schule: Jede Person wird von ihm für irgendetwas gelobt, egal wie schlecht das »Irgendwas« ausfällt. Entweder findet »jeder« in meiner Umgebung Heuchellei toll, oder niemand bemerkt es - wobei ich mittlerweile nicht mehr der einzige bin, der denn Lehrer als nervig empfindet und deshalb weitgehend umläuft)Ich glaube fest daran, dass jeder seine Macken hat. :P
(In wie weit das nicht direkt zum Thema passt wage ich nicht zu urteilen. Aber irgendwie passt es doch ein klein wenig. ;-))
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