deserted-monkey
04.11.2007, 23:54
Er kam irgendwann um sieben. Den Tod meine ich. Draussen zog ein übler Sturm auf, bedrohliche Gewitterwolken formierten sich am dunklen Himmel, heulend pfiff der Wind um meine Wohnung im fünfzehnten Stock. Bald würde es giessen wie aus Kübeln. Rasch schloss ich das Fenster, um den kalten Wind auszusperren. Unter mir waren die Strassen leergefegt, selbst die Obdachlosen hatten sich an ein wärmeres Plätzchen verzogen. Tanzende Blätter vom Park nebenan wehten vor meinem Fenster durch, ein trister Herbsttag ging zu Ende.
Vor 50 Minuten war ich von der Arbeit nach Hause gekommen, habe mir Reis mit Bohnen gemacht und den Fernseher angeschaltet, wie jeden Abend. Vielleicht würde ich noch etwas schreiben, das stürmische Wetter bot eine gute Inspirationsquelle für meine Horrorgeschichten. Bereits einen Band mit dreizehn meiner besten Geschichten hatte ich veröffentlicht, stolz hatte ich ein Exemplar in meinem Bücherregal ausgestellt.
Ich schaltete den Fernseher aus, stellte das dreckige Geschirr in die Küche und legte eine etwas ältere Platte der Doors auf, welche mich ebenfalls bei meinem Schreiben unterstützen würde.
Schon hatte ich es mir mit Notizblock und Kugelschreiber auf dem Sofa gemütlich gemacht, als es klingelte.
Das Telefon. Beim zweiten Läuten hob ich ab.
„Hier Galvin.“
Eine freundliche, weibliche Stimme meldete sich.
„Guten Abend, Mr. Galvin. Ich bin vom Institut für Gesundheit UFH. Wir führen eine Umfrage über das Konsumverhalten von Rauchern durch. Hätten Sie wohl einen Augenblick Zeit?“
Ich musste nicht lange überlegen.
„Nein, im Moment ist’s gerade unpassend.“
„Sie würden uns mit Ihren Antworten sehr unterstützen...“
„Nein, es geht jetzt nicht. Ich habe zu Tun.“
„Gut, Mr. Galvin, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Entschuldigen Sie die Störung. Aufwiderhören, Mr. Galvin.“
Ich sagte nichts mehr, legte auf. Wie viele Leute hatten mich diese Woche schon angerufen, die eine verfluchte Umfrage durchführen wollten? Ich weiss es nicht mehr, es mussten einige gewesen sein, allen war ich gleich entgegnet: mit Ablehnung. Ich hasste diese verdammten Umfragen. Reine Zeitverschwendung für irgendeinen statistischen Schwachsinn.
Das zweite Lied der Doors-Platte erklang, bereits hatte ich den ersten Satz meiner neusten Geschichte aufgeschrieben, als es erneut klingelte. Diesmal an der Tür. Verärgert liess ich den Kugelschreiber auf den Tisch fallen, stand auf und warf einen Blick in den stürmischen Nachthimmel hinaus. Dann ging ich zur Tür, steckte mir unterwegs eine Marlboro zwischen die Lippen und äugte misstrauisch durch das Guckloch. Hier konnte man nie wissen, allerhand seltsames und verrücktes Volk konnte jederzeit vor der Tür stehen. Das Sortiment reichte von schlaksigen Versicherungsvertretern bis hin zu Schwarzen, die Schuhbürsten verkauften. Aber um diese Zeit müsste ich normalerweise vor ihnen sicher sein.
Durch das Guckloch hindurch sah ich einen Mann im fein gebügelten Anzug auf dem Flur stehen, er hatte leicht ergrautes Haar und ein gutmütiges Gesicht mit blitzenden Knopfaugen. Vorsichtig öffnete ich die Tür einen spaltbreit.
„Was wünschen Sie?“, fragte ich in ziemlich unhöflichem Tonfall.
„Guten Abend. Ich bin vom Institut für Gesundheit UFH, wir...“ –
„Ich habe eben mit Ihrer Kollegin telefoniert“, fuhr ich ihm harsch ins Wort. „Meine Antwort lautet: Nein!“
Meine Augen mussten sprühen vor Zorn, der Typ wich einen Schritt zurück und sein gutmütiges Lächeln verschwand von seinen Lippen. Dann hatte er sich wieder gefasst.
„Gut, Mr. Galvin, dann werde ich Sie jetzt in Ruhe lassen.“
„Ja, tun Sie das“, entgegnete ich, noch nicht wieder ruhig. „Und woher kennen Sie eigentlich meinen Namen?“
Einen Moment blickte der Typ verblüfft, dann erwiderte er: „Er steht an Ihrer Türe, Mr. Galvin.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Ihre Kollegin am Telefon hat ebenfalls gewusst, wie ich heisse.“
Der Typ zuckte mit den Schultern und lächelte wieder.
„Sie sind bei uns in der Datenbank als Raucher erfasst, dort steht nicht nur Ihre Telefonnummer, sondern auch Ihr Name und Ihre Adresse. Ausserdem hätten wir Ihren Namen auch in jedem Telefonbuch finden können.“
„Gut, dann löschen Sie mich gefälligst aus Ihrer verfluchten Datenbank und belästigen mich nicht länger.“
Damit schloss ich die Tür und verriegelte sie. Durch das Guckloch beobachtete ich, wie sich der Typ vom Acker machte. Solche Störenfriede konnten mich manchmal ganz schön in Rage bringen, vor allem wenn ich gerade an einer neuen Geschichte sass.
Glücklich darüber, dass ich endlich meine wohlverdiente Ruhe hatte, ging ich ins Wohnzimmer und zündete mir die Zigarette an. Setzte mich zurück aufs Sofa und schrieb weiter. Irgendwie fehlten mir nun doch die Ideen, immer wieder strich ich den vorhergehenden Satz durch, mir wollte einfach nichts Gescheites einfallen. Morrisons Stimme hallte durch den Raum und liess mich zusammen mit dem heulenden Konzert des Windes ganz schläfrig werden. Als ich die Zigarette ausdrückte und mich einen Moment zurücklehnte, schlief ich ein.
Ich hatte einen Traum, sass auf dem Sofa und schrieb und schrieb. Wie von selbst reihte sich Wort an Wort, Satz an Satz und Zeile an Zeile. Flink fuhren meine Finger mit dem Schreiber über das Papier, wie geleitet von einer höheren Macht, dies würde die beste Geschichte meines Lebens. Voller Freude und Genuss rauchte ich Zigarette um Zigarette, die Doors und der Wind machten ihre Arbeit.
Dann klingelte es plötzlich an der Tür und meine Stimmung änderte sich schlagartig. Welches Arschloch unterbrach meine göttliche Eingebung, welcher Vollidiot wagte es, mich jetzt zu stören?
Empört und mit wachsendem Zorn erhob ich mich, schrieb krampfhaft einen begonnenen Satz zu Ende und ging zur Tür. Unterwegs krempelte ich mir die Hemdärmel nach oben, es klingelte zum zweiten Mal. Diesmal brauchte ich nicht durch das Guckloch zu sehen, riss die Tür auf und wollte schreien. Aber nicht mehr vor Wut, sondern weil ich die Arschgeige vom Institut für Gesundheit nirgends sah. Stattdessen war ein anderer da, seine faltige Haut blätterte ihm in langen Streifen vom Kopf, eine eiterartige Flüssigkeit tropfte ihm aus den Ohren. Wie schwarze Smaragde glänzten seine Augen im Deckenlicht, Finsternis waberte hinter ihnen. Zwischen schiefen, gelben Zähnen steckte eine Marlboro.
„Guten Abend, Mr. Galvin“, krächzten die spröden, teerverklebten Stimmbänder der Gestalt. „Ich bin vom beschissenen Institut für Sterbehilfe. Wir machen eine Umfrage, wie Sie gerne sterben möchten.“
Ich zuckte zusammen, wäre beinahe hingefallen, die nackte Panik hatte mich gepackt. Stand da wie paralysiert, eine verstörende Angst frass in meinem Verstand, liess mich zittern und schütteln. Immer wenn die verkrusteten Lippen einen Zug von der köstlichen Marlboro taten, entwich ein Teil des Rauchs durch ein verfaultes Loch, dass wie ein grosser, schwarzer Tumor am Halse des Typen sass. Wie konnte er in diesem Zustand überleben? Warum um Gottes Willen war er hier?
„Sie wissen warum ich hier bin, Mr. Galvin. Genau so wie ich weiss, wie Ihr verfluchter Name lautet. Hab ihn in der verfickten Scheissdatenbank gefunden, Sie blöder Vollidiot.“
Er konnte nicht mehr sprechen, immer mehr gingen seine Worte in ein jämmerliches Krächzen über, dass mir kalte Schauer über den Rücken jagen liess.
„Wie möchtest du gerne sterben?“, schrie das Wesen und schleimiges, gurgelndes Teer spritzte aus seinem Mund über den schönen Anzug.
„Erschiessen!“, schrie mein Mund voller Angst und entsetzlichem Grauen. „Erschiessen Sie mich!“
Wenigstens einen schnellen Tod, oh Jesus, wenigstens einen schnellen Tod. Die Kreatur grinste hämisch und zog eine im Licht kalt glänzende Waffe unter dem Anzug hervor.
„Sie wählen wie die meisten, Mr. Galvin“, kam es nun beinahe unhörbar kratzig aus dem Mund der Kreatur. „Ich hatte gedacht, Sie seien etwas Besonderes.“
Er hielt mir die Waffe an die Schläfe, das kalte Eisen schien sich in mein Fleisch zu bohren, brachte mich beinahe um den Verstand. Wie in Zeitlupe sank ich auf die Knie, begann hemmungslos zu Schluchzen und die schwarzen Äuglein der Kreatur belächelten mich auf eine grauenvolle Art und Weise.
„Dies ist nur eine Umfrage, Mr. Galvin.“, krächzte er und drückte ab.
Schweissgebadet und mit einem leisen Schrei fuhr ich aus dem Schlaf hoch, wäre beinahe vom Sofa gefallen und hätte mir den Kopf an der Tischplatte gestossen. Mein Herz hämmerte wie eine Kriegstrommel in meiner Brust, trotz der Erkenntnis des Traumes, steckte mir der Schrecken noch immer in den Gliedern.
Langsam schüttelte ich den Kopf, versuchte die Erinnerung an den verstörenden Traum abzuschütteln. Nach ein paar Minuten war ich wieder klar, wollte aufstehen und mir etwas zu Trinken holen, um danach noch ein wenig weiterzuschreiben. Normalerweise schlief ich dabei nie ein, aber heute schien nicht mein Tag zu sein. Vielleicht würde mir später noch etwas einfallen, was ich schreiben könnte. Doch da fiel mir auf, dass ich bereits etwas geschrieben hatte. Vor mir auf dem Tisch lagen zwei eng beschriebene Seiten. Ich hatte doch nur wenige Sätze geschrieben, wie konnten daraus plötzlich zwei ganze Seiten geworden sein?
Erstaunt aber mit doch leicht zitternden Fingern hob ich die Seiten auf, begann zu lesen. Schon nach der ersten Zeile durchfuhren mich lähmende Schrecken, ich hielt nicht meine Geschichte in Händen, es war ein Testament. Mein Testament. Hatte es im Schlaf geschrieben, während diesem verrückten Traum.
Nervös fuhr ich mir durchs Haar, meine Zähne knabberten an der Unterlippe, ich fiel zurück ins Polster des Sofas. Genau in diesem Moment klingelte es. Das Scheisstelefon. Ich fuhr dermassen heftig zusammen, dass ich mit meinen Fingernägeln beinahe den Stoffbezug des Polsters aufriss. Wie gelähmt starrte ich das Telefon an, es war totenstill, nur der Wind heulte draussen. Dann klingelte es zum zweiten Mal. Und zum dritten und zum vierten Mal. Wie in Trance hob ich den Hörer von der Gabel, meine Hand zitterte so fest, dass ich ihn fast nicht richtig ans Ohr führen konnte.
„Guten Abend, Mr. Galvin.“, sprach eine eiskalte Frauenstimme aus dem Hörer. „Vor Ihrer Türe wartet ein Mann. Gehen Sie in die Küche und lassen Sie ihn dort stehen, dann muss er nicht extra hereinkommen. Aber er wird erst gehen, wenn es erledigt ist. Es geht ja schliesslich nur um eine Umfrage, verstehen Sie?“
Der Telefonhörer drohte meinen schweissnassen Fingern zu entrutschen, gelähmt vor Angst sass ich da und dann plötzlich brachen mir Tränen aus den Augen und ich schrie: „Was wollen Sie von mir? Was zur Hölle wollen Sie nur von mir?“
Aus dem Hörer sprach nur gähnende Leere und ich liess ihn fallen. Aber ich wusste eh schon, was sie von mir wollten. Geplagt von nagender Angst und treibender Panik stand ich auf, mein Testament segelte zu Boden und dann ging ich langsam und zögernd auf die Tür zu. Erreichte sie und fasste allen verbleibenden Mut zusammen, blickte durch das Guckloch. Draussen stand der Mann vom Institut für Gesundheit, seine Knopfaugen glänzten wie schwarze Smaragde im Deckenlicht. Eine Marlboro steckte zwischen seinen Lippen und er trug eine dicke Schicht Make-up, weil ihm sonst die Haut abgeblättert wäre. Durch das Guckloch hindurch blickte mein Auge genau in die seinen, ich sah mich selbst in ihnen, die Szene aus dem Traum. Bevor das Wesen mich erschiessen konnte, war ich nach hinten gestolpert und wie ein nasser Sack auf den Boden geknallt. Mein Hinterkopf schlug schmerzhaft auf und Blut begann aus meinem Haar zu sickern. Dann schleppte ich mich in die Küche. Auf dem Tisch lag ein doppelläufiger Revolver. Ich setzte mich hin, nahm den glänzenden Stahl in die Hände, wiegte ihn, hin und her, dann brach ich in klägliches, jämmerliches Weinen aus.
Stunden sind vergangen, ich sitze immer noch hier. Drücke den kalten Stahl der Waffe gegen meine Schläfe. Was meinen Sie, soll ich es tun? Ja? Nein? Wissen Sie, wenn der Mann in einer halben Stunde noch nicht weg ist, werde ich es wahrscheinlich tun. Ist ja schliesslich nur eine Umfrage.
Vor 50 Minuten war ich von der Arbeit nach Hause gekommen, habe mir Reis mit Bohnen gemacht und den Fernseher angeschaltet, wie jeden Abend. Vielleicht würde ich noch etwas schreiben, das stürmische Wetter bot eine gute Inspirationsquelle für meine Horrorgeschichten. Bereits einen Band mit dreizehn meiner besten Geschichten hatte ich veröffentlicht, stolz hatte ich ein Exemplar in meinem Bücherregal ausgestellt.
Ich schaltete den Fernseher aus, stellte das dreckige Geschirr in die Küche und legte eine etwas ältere Platte der Doors auf, welche mich ebenfalls bei meinem Schreiben unterstützen würde.
Schon hatte ich es mir mit Notizblock und Kugelschreiber auf dem Sofa gemütlich gemacht, als es klingelte.
Das Telefon. Beim zweiten Läuten hob ich ab.
„Hier Galvin.“
Eine freundliche, weibliche Stimme meldete sich.
„Guten Abend, Mr. Galvin. Ich bin vom Institut für Gesundheit UFH. Wir führen eine Umfrage über das Konsumverhalten von Rauchern durch. Hätten Sie wohl einen Augenblick Zeit?“
Ich musste nicht lange überlegen.
„Nein, im Moment ist’s gerade unpassend.“
„Sie würden uns mit Ihren Antworten sehr unterstützen...“
„Nein, es geht jetzt nicht. Ich habe zu Tun.“
„Gut, Mr. Galvin, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Entschuldigen Sie die Störung. Aufwiderhören, Mr. Galvin.“
Ich sagte nichts mehr, legte auf. Wie viele Leute hatten mich diese Woche schon angerufen, die eine verfluchte Umfrage durchführen wollten? Ich weiss es nicht mehr, es mussten einige gewesen sein, allen war ich gleich entgegnet: mit Ablehnung. Ich hasste diese verdammten Umfragen. Reine Zeitverschwendung für irgendeinen statistischen Schwachsinn.
Das zweite Lied der Doors-Platte erklang, bereits hatte ich den ersten Satz meiner neusten Geschichte aufgeschrieben, als es erneut klingelte. Diesmal an der Tür. Verärgert liess ich den Kugelschreiber auf den Tisch fallen, stand auf und warf einen Blick in den stürmischen Nachthimmel hinaus. Dann ging ich zur Tür, steckte mir unterwegs eine Marlboro zwischen die Lippen und äugte misstrauisch durch das Guckloch. Hier konnte man nie wissen, allerhand seltsames und verrücktes Volk konnte jederzeit vor der Tür stehen. Das Sortiment reichte von schlaksigen Versicherungsvertretern bis hin zu Schwarzen, die Schuhbürsten verkauften. Aber um diese Zeit müsste ich normalerweise vor ihnen sicher sein.
Durch das Guckloch hindurch sah ich einen Mann im fein gebügelten Anzug auf dem Flur stehen, er hatte leicht ergrautes Haar und ein gutmütiges Gesicht mit blitzenden Knopfaugen. Vorsichtig öffnete ich die Tür einen spaltbreit.
„Was wünschen Sie?“, fragte ich in ziemlich unhöflichem Tonfall.
„Guten Abend. Ich bin vom Institut für Gesundheit UFH, wir...“ –
„Ich habe eben mit Ihrer Kollegin telefoniert“, fuhr ich ihm harsch ins Wort. „Meine Antwort lautet: Nein!“
Meine Augen mussten sprühen vor Zorn, der Typ wich einen Schritt zurück und sein gutmütiges Lächeln verschwand von seinen Lippen. Dann hatte er sich wieder gefasst.
„Gut, Mr. Galvin, dann werde ich Sie jetzt in Ruhe lassen.“
„Ja, tun Sie das“, entgegnete ich, noch nicht wieder ruhig. „Und woher kennen Sie eigentlich meinen Namen?“
Einen Moment blickte der Typ verblüfft, dann erwiderte er: „Er steht an Ihrer Türe, Mr. Galvin.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Ihre Kollegin am Telefon hat ebenfalls gewusst, wie ich heisse.“
Der Typ zuckte mit den Schultern und lächelte wieder.
„Sie sind bei uns in der Datenbank als Raucher erfasst, dort steht nicht nur Ihre Telefonnummer, sondern auch Ihr Name und Ihre Adresse. Ausserdem hätten wir Ihren Namen auch in jedem Telefonbuch finden können.“
„Gut, dann löschen Sie mich gefälligst aus Ihrer verfluchten Datenbank und belästigen mich nicht länger.“
Damit schloss ich die Tür und verriegelte sie. Durch das Guckloch beobachtete ich, wie sich der Typ vom Acker machte. Solche Störenfriede konnten mich manchmal ganz schön in Rage bringen, vor allem wenn ich gerade an einer neuen Geschichte sass.
Glücklich darüber, dass ich endlich meine wohlverdiente Ruhe hatte, ging ich ins Wohnzimmer und zündete mir die Zigarette an. Setzte mich zurück aufs Sofa und schrieb weiter. Irgendwie fehlten mir nun doch die Ideen, immer wieder strich ich den vorhergehenden Satz durch, mir wollte einfach nichts Gescheites einfallen. Morrisons Stimme hallte durch den Raum und liess mich zusammen mit dem heulenden Konzert des Windes ganz schläfrig werden. Als ich die Zigarette ausdrückte und mich einen Moment zurücklehnte, schlief ich ein.
Ich hatte einen Traum, sass auf dem Sofa und schrieb und schrieb. Wie von selbst reihte sich Wort an Wort, Satz an Satz und Zeile an Zeile. Flink fuhren meine Finger mit dem Schreiber über das Papier, wie geleitet von einer höheren Macht, dies würde die beste Geschichte meines Lebens. Voller Freude und Genuss rauchte ich Zigarette um Zigarette, die Doors und der Wind machten ihre Arbeit.
Dann klingelte es plötzlich an der Tür und meine Stimmung änderte sich schlagartig. Welches Arschloch unterbrach meine göttliche Eingebung, welcher Vollidiot wagte es, mich jetzt zu stören?
Empört und mit wachsendem Zorn erhob ich mich, schrieb krampfhaft einen begonnenen Satz zu Ende und ging zur Tür. Unterwegs krempelte ich mir die Hemdärmel nach oben, es klingelte zum zweiten Mal. Diesmal brauchte ich nicht durch das Guckloch zu sehen, riss die Tür auf und wollte schreien. Aber nicht mehr vor Wut, sondern weil ich die Arschgeige vom Institut für Gesundheit nirgends sah. Stattdessen war ein anderer da, seine faltige Haut blätterte ihm in langen Streifen vom Kopf, eine eiterartige Flüssigkeit tropfte ihm aus den Ohren. Wie schwarze Smaragde glänzten seine Augen im Deckenlicht, Finsternis waberte hinter ihnen. Zwischen schiefen, gelben Zähnen steckte eine Marlboro.
„Guten Abend, Mr. Galvin“, krächzten die spröden, teerverklebten Stimmbänder der Gestalt. „Ich bin vom beschissenen Institut für Sterbehilfe. Wir machen eine Umfrage, wie Sie gerne sterben möchten.“
Ich zuckte zusammen, wäre beinahe hingefallen, die nackte Panik hatte mich gepackt. Stand da wie paralysiert, eine verstörende Angst frass in meinem Verstand, liess mich zittern und schütteln. Immer wenn die verkrusteten Lippen einen Zug von der köstlichen Marlboro taten, entwich ein Teil des Rauchs durch ein verfaultes Loch, dass wie ein grosser, schwarzer Tumor am Halse des Typen sass. Wie konnte er in diesem Zustand überleben? Warum um Gottes Willen war er hier?
„Sie wissen warum ich hier bin, Mr. Galvin. Genau so wie ich weiss, wie Ihr verfluchter Name lautet. Hab ihn in der verfickten Scheissdatenbank gefunden, Sie blöder Vollidiot.“
Er konnte nicht mehr sprechen, immer mehr gingen seine Worte in ein jämmerliches Krächzen über, dass mir kalte Schauer über den Rücken jagen liess.
„Wie möchtest du gerne sterben?“, schrie das Wesen und schleimiges, gurgelndes Teer spritzte aus seinem Mund über den schönen Anzug.
„Erschiessen!“, schrie mein Mund voller Angst und entsetzlichem Grauen. „Erschiessen Sie mich!“
Wenigstens einen schnellen Tod, oh Jesus, wenigstens einen schnellen Tod. Die Kreatur grinste hämisch und zog eine im Licht kalt glänzende Waffe unter dem Anzug hervor.
„Sie wählen wie die meisten, Mr. Galvin“, kam es nun beinahe unhörbar kratzig aus dem Mund der Kreatur. „Ich hatte gedacht, Sie seien etwas Besonderes.“
Er hielt mir die Waffe an die Schläfe, das kalte Eisen schien sich in mein Fleisch zu bohren, brachte mich beinahe um den Verstand. Wie in Zeitlupe sank ich auf die Knie, begann hemmungslos zu Schluchzen und die schwarzen Äuglein der Kreatur belächelten mich auf eine grauenvolle Art und Weise.
„Dies ist nur eine Umfrage, Mr. Galvin.“, krächzte er und drückte ab.
Schweissgebadet und mit einem leisen Schrei fuhr ich aus dem Schlaf hoch, wäre beinahe vom Sofa gefallen und hätte mir den Kopf an der Tischplatte gestossen. Mein Herz hämmerte wie eine Kriegstrommel in meiner Brust, trotz der Erkenntnis des Traumes, steckte mir der Schrecken noch immer in den Gliedern.
Langsam schüttelte ich den Kopf, versuchte die Erinnerung an den verstörenden Traum abzuschütteln. Nach ein paar Minuten war ich wieder klar, wollte aufstehen und mir etwas zu Trinken holen, um danach noch ein wenig weiterzuschreiben. Normalerweise schlief ich dabei nie ein, aber heute schien nicht mein Tag zu sein. Vielleicht würde mir später noch etwas einfallen, was ich schreiben könnte. Doch da fiel mir auf, dass ich bereits etwas geschrieben hatte. Vor mir auf dem Tisch lagen zwei eng beschriebene Seiten. Ich hatte doch nur wenige Sätze geschrieben, wie konnten daraus plötzlich zwei ganze Seiten geworden sein?
Erstaunt aber mit doch leicht zitternden Fingern hob ich die Seiten auf, begann zu lesen. Schon nach der ersten Zeile durchfuhren mich lähmende Schrecken, ich hielt nicht meine Geschichte in Händen, es war ein Testament. Mein Testament. Hatte es im Schlaf geschrieben, während diesem verrückten Traum.
Nervös fuhr ich mir durchs Haar, meine Zähne knabberten an der Unterlippe, ich fiel zurück ins Polster des Sofas. Genau in diesem Moment klingelte es. Das Scheisstelefon. Ich fuhr dermassen heftig zusammen, dass ich mit meinen Fingernägeln beinahe den Stoffbezug des Polsters aufriss. Wie gelähmt starrte ich das Telefon an, es war totenstill, nur der Wind heulte draussen. Dann klingelte es zum zweiten Mal. Und zum dritten und zum vierten Mal. Wie in Trance hob ich den Hörer von der Gabel, meine Hand zitterte so fest, dass ich ihn fast nicht richtig ans Ohr führen konnte.
„Guten Abend, Mr. Galvin.“, sprach eine eiskalte Frauenstimme aus dem Hörer. „Vor Ihrer Türe wartet ein Mann. Gehen Sie in die Küche und lassen Sie ihn dort stehen, dann muss er nicht extra hereinkommen. Aber er wird erst gehen, wenn es erledigt ist. Es geht ja schliesslich nur um eine Umfrage, verstehen Sie?“
Der Telefonhörer drohte meinen schweissnassen Fingern zu entrutschen, gelähmt vor Angst sass ich da und dann plötzlich brachen mir Tränen aus den Augen und ich schrie: „Was wollen Sie von mir? Was zur Hölle wollen Sie nur von mir?“
Aus dem Hörer sprach nur gähnende Leere und ich liess ihn fallen. Aber ich wusste eh schon, was sie von mir wollten. Geplagt von nagender Angst und treibender Panik stand ich auf, mein Testament segelte zu Boden und dann ging ich langsam und zögernd auf die Tür zu. Erreichte sie und fasste allen verbleibenden Mut zusammen, blickte durch das Guckloch. Draussen stand der Mann vom Institut für Gesundheit, seine Knopfaugen glänzten wie schwarze Smaragde im Deckenlicht. Eine Marlboro steckte zwischen seinen Lippen und er trug eine dicke Schicht Make-up, weil ihm sonst die Haut abgeblättert wäre. Durch das Guckloch hindurch blickte mein Auge genau in die seinen, ich sah mich selbst in ihnen, die Szene aus dem Traum. Bevor das Wesen mich erschiessen konnte, war ich nach hinten gestolpert und wie ein nasser Sack auf den Boden geknallt. Mein Hinterkopf schlug schmerzhaft auf und Blut begann aus meinem Haar zu sickern. Dann schleppte ich mich in die Küche. Auf dem Tisch lag ein doppelläufiger Revolver. Ich setzte mich hin, nahm den glänzenden Stahl in die Hände, wiegte ihn, hin und her, dann brach ich in klägliches, jämmerliches Weinen aus.
Stunden sind vergangen, ich sitze immer noch hier. Drücke den kalten Stahl der Waffe gegen meine Schläfe. Was meinen Sie, soll ich es tun? Ja? Nein? Wissen Sie, wenn der Mann in einer halben Stunde noch nicht weg ist, werde ich es wahrscheinlich tun. Ist ja schliesslich nur eine Umfrage.