Dryden
03.10.2007, 12:55
Teil 1.
Wenn man zu lange in einem Hotelzimmer rumhängt, egal wie fürstlich und dekadent, erdrücken einen irgendwann die Wände auf seinem Bett, auf dem man gerade eine halbe Gallone Rum schlürft. Wenn man jeden Tag einen Sandkasten voller Koks hat, fängt man auch irgendwann an, nur noch Burgen zu bauen.
Ich musste raus aus diesem verfluchten goldenen Käfig!
Ich schnappte mir panisch ein Glas Bananenbabybrei, das wie ein Landstreicher auf dem überquellenden Aschenbecher lungerte und sah dabei einen offenen Umschlag auf dem Tisch liegen. Der Präsident der Vereinigten Staaten lud mich zum Dinner im Weißen Haus ein, wegen meiner außerordentlichen Verdienste um irgendwas und meines unermüdlichen Einsatzes für Blablabla. "Wer ist eigentlich gerade Präsident?" rief ich in den Raum hinein, aber niemand antwortete.
"Scheißegal", blaffte ich, "geh eh nicht hin!" Das war das.
Bevor ich aus dem Zimmer auf den Flur stürzte, auf dem mich Gottweißwas erwartete, setzte ich den eben gefundenen braunen Fedora auf den Kopf und zog ihn tief ins Gesicht, wickelte mich in meinen Mantel und beschloss, den heutigen Tag als Abrissbirne meiner makellosen Reputation zu verbringen.
Im Flur war alles ruhig. Trügerisch ruhig.
"Wie spät ist es eigentlich?" fragte ich, aber wieder vergeblich. Die Menschheit schien sich vor mir zu verbergen, ob aus Furcht oder aus einem anderen, böseren Grund. Sollten sie nur ihr Spielchen spielen. Meine Sinne waren auf das Äußerste geschärft, ich war ein verdammter Guerillero im Dschungel. Ich war ein Laser.
Von der Idee, mir Zugang zu irgendeinem Zimmer zu verschaffen und mich dort zu verschanzen, bis der Colonel mit Verstärkung anrückte, nahm ich Abstand. Wie leicht konnte man in diesem verfluchten Land durch irgendeine Tür stolpern, mit nichts als einem verzweifelten Bedürfnis nach Schutz, Verständnis und vielleicht etwas Liebe, und ehe man sich versah, stand man mittendrin in der teuflischsten Sache, die die kranken Hirne der Verbrecher, die dieses Land beherrschen, ausbrüten konnten.
Ich hatte eine Vision, wie hinter der Tür des Zimmers Nr. 635 des Belvedere die Wildbretmafia Geweihe auf Rattenköpfe schraubte, während die Ratten kreischten wie ausgehungerte Furien und eine von ihnen in dem Moment, in dem die Tür aufging und ich hineinfiel, vom Couchtisch sprang und durch die Tür verschwand. Ich hörte Rattenfüße auf zerbrochenem Glas in einem trockenen Keller.
Von einer Welle des Ekels erfasst wie von einem Vierzigtonner fiel ich über einen Blumenkübel her und würgte wie ein Kater, der Gewölle ausspuckt. Aber es kam nichts. Mit dem Argwohn eines Berufskriminellen hielt ich Ausschau nach Zeugen, doch es war niemand da. Dessen ungeachtet warf ich dem Gang hinter mir noch einen vernichtenden Blick aus mongolisch geschlitzten Augen zu und stabilisierte das Blumengefäß.
Es gab Wände auf dieser Welt, die Augen hatten. Augen, Ohren und Münder, mit glitschigen kalten Zungen, die sie dir ins Ohr stecken, um damit dein Hirn aufzuspießen.
Im Fahrstuhl wusste ich nicht, wohin. Von einer Zelle in die andere. Ich war ein Wrack.
Die Tasten tanzten vor meinen Augen wie Staub in einem Lichtstrahl. Ich stützte mich an der Wand ab, als hätte ich gerade den Boston Marathon gewonnen und bewegte meinen Kopf bis auf einen Zentimeter an die schwirrenden Tasten ran. Blitzschnell schlug ich zu. Ich erwischte die Erdgeschoss-Taste wie eine träge Schmeißfliege, die es sich feist und nichts ahnend auf einem Haufen Exkremente gemütlich gemacht hatte.
Die Euphorie des Triumphators hielt nicht lange an. Schon ein Stockwerk weiter unten hatte mich die Gewissheit, dass ich selbst wie eine Fliege zerquetscht werden würde, wenn jetzt das Aufzugskabel reißen würde, fest in ihren grausamen Klauen. Es würde nicht einmal was nutzen, wenn ich direkt vor dem Aufprall hochspringen würde. Ich fühlte mich wie ein Fingerabdruck auf dem Fenster eines Wolkenkratzers, der nur aus Gleichgültigkeit weiterexistieren darf. Ich war die Schnecke, die auf der Schneide eines Rasiermessers entlang kroch. Und überlebte.
Als der Fahrstuhl anhielt, hatte ich mich mittlerweile soweit im Griff, dass ich "Bad, Bad Leroy Brown" vor mich hin murmelte. In der Version von Sinatra, natürlich.
"He got a .32 gun in his pocket for fun, he got a razor in his shoe. – Dudu dudududu."
Teil 2.
Die Lobby war hübsch, wenn auch verbesserungswürdig. Eine Tapete mit Blumenmuster, ein Kanister Benzin, ein paar Streichhölzer, und ich könnte hier viel bewegen. Das war mir sofort klar, als ich wie eine Kanonenkugel aus dem Fahrstuhl schoss.
Ich rannte in ein Paar und ihren Kofferträger. Das Pärchen sah widerlich perfekt aus, als würden die beiden permanent für ihr Porträt posieren. Ich fragte mich, warum zum Teufel sie außerhalb eines Hochglanzpornos Sex haben sollten. Der Kofferträger war ein Schwarzer, der so wählte, wie wir es wollen. Sich mit diesem einfältigen Trio zu beschäftigen, würde bedeuten, die Ewigkeit selbst zu verletzen, und das brachte ich einfach nicht über mich. Nicht jetzt. Ich entschuldigte mich mit einem Grinsen, das eindeutig besagte, wie verschwindend wenig es mir leid tat und blieb mitten in der Lobby stehen um mir eine Strategie zurechtzulegen, wie Napoleon Bonaparte auf dem Feldherrenhügel.
Die üblichen alten Anzugträger, blätterten so gelangweilt in den Börsennachrichten oder den Todesanzeigen, dass sie auch gleich tot umfallen oder ihr Geld Leuten geben könnten, die was damit anzufangen wussten. Eine Frau im untrüglichen Gewand einer teuren •••• saß in der Lobby wie bestellt und nicht abgeholt, was sie vermutlich auch war. Rot Uniformierte, die beim Militär und auf Cocktailparties im 19. Jahrhundert gleichermaßen verpönt wären, hier aber nicht, hetzten kreuz und quer durch den Raum.
Ich stellte mich also an die aus zwei Personen bestehende Schlange vor der Rezeption, um anzuregen, Zimmer 635 einen diskreten Kontrollbesuch abzustatten. Ich wollte sagen, ich hätte "da so ein Gefühl". Der Typ vor mir sah aus wie Tom Cruise in Top Gun auf einsfünfundachtzig gestreckt, war homophob, sonnen- und sportsüchtig. Überdies mochte er die Rekrutierung von Kindersoldaten nicht, wenn er sie im Fernsehen sah. Oder im Kino.
Davor verhandelte ein vielleicht Zwanzigjähriger in Khakishorts und schwarz-blauem waagerecht gestreiften Pullover mit dem Hotelangestellten und fuhr sich dabei fortwährend durch sein kalkuliert unordentliches, konsequent nach rechts gekämmtes Haar. Der Hotelangestellte, sein Namensschild nannte ihn Mayweather, versuchte ihn in dem üblichen, eher um Ruhe als um Klärung besorgten Ton zur Contenance zu animieren. Die Besten, das wusste ich, konnten die subtilste aller Drohungen in Timbre und Worte von ausgesuchter Höflichkeit betten. Dieser hier war drittklassig.
Das Problem schien darin zu bestehen, dass der Junge nicht hier nächtigen durfte, es aber anstrebte. Ferner begehrte er gegen die Tatsache auf, dass die Bademäntel dieses Hotels in Nicaragua von Kinderhänden gefertigt würden. Jedenfalls brüllte er das gerade über die Theke der Rezeption.
Ich beschloss, eine meiner Socken mit Münzen zu füllen und oben zuzudrehen.
Ich wollte vorbereitet sein, wenn hier in wenigen Sekunden das fragile soziale Gefüge dieses Raumes, das übrigens ein fotografisch genaues Abbild dieses Staates war, in sich zusammenbrechen würde. Die De-Evolution von Dekadenz zurück zu Barbarei stand uns unmittelbar bevor, und wie schon auf dem Hinweg würde sie die Zivilisation auslassen. Dann würden wieder sorgsam unterdrückte animalische Instinkte regieren, bestialisch würden sie übereinander herfallen und dabei nach Blut geifernde, unmenschliche Schreie ausstoßen. Ich aber würde vorbereitet sein. Während ich auf einem Bein stehend die Socke auszog und dabei wie ein Primat auf der Stelle hüpfte, kramte ich mit der anderen Hand in meinen Taschen, fand aber weder Münzen, noch Billardkugeln oder Seifenstücke.
Ohne Waffe war ich leichte Beute für die Primitivhirne und ihre überlegene Körperkraft. Sie würden mich in Stücke reißen wie eine alte Zeitung, das musste ich zugeben. Ich setzte also alles auf eine Karte. Was blieb mir anderes übrig?
Ich huschte zu den beiden Streithähnen, die noch auf der schmalen Linie der Dekadenz balancierten, vielleicht ohne es zu ahnen.
Der Schlüssel zum Sieg war, so zu wirken, als hätte man nicht nur jedes erdenkliche Recht, da zu sein, wo man war und zu tun, was man tat, sondern sogar die Gottverdammte Pflicht. Gottverdammte Pflicht schüchterte jeden ein. Zudem war es von Vorteil, in dieser Personifikation der Pflicht mitschwingen zu lassen, dass niemand sonst irgendetwas ohne deine Erlaubnis tun durfte.
Neunzig Prozent aller Zauberei besteht darin, eine Information mehr zu besitzen. Ich sparte mir die Begrüßungsfloskeln und grätschte gleich rein.
"Was ist hier los?"
Der imperialistische Lakai in Rot kroch auf Knien zu mir und klammerte sich an meine Fußknöchel. Bildlich gesprochen.
"Oh, ähm, Guten Tag, Sir. Das Problem mit diesem jungen Mann ist folgendes, Herr…"
Ich wedelte mit der Hand, als wollte ich Fliegen verscheuchen. "Keine Details. Details sind immer vulgär."
"Natürli…"
"Wollen Sie wissen, was ich denke?" Ich lehnte mich verschwörerisch über den Tresen, wie sich seit 1945 niemand mehr in guter Absicht über irgendwas gelehnt hatte.
"Hem-hem, ja… Sir."
"Ich denke, dass Nahrungsmittel und Betten – wie Spielautomaten - unerwünschte Elemente anziehen. Aber sind wir nicht alle unerwünscht?"
"Ich… weiß nicht, ob das…"
"Sind wir. Aber der hier hat zu allem Überfluss auch noch kein Geld mehr."
Dabei tippte ich dem jungen Kapitalistenfeind mit dem Schuh in meiner Hand heftiger gegen die Schulter, als unbedingt nötig gewesen wäre. Da keiner der beiden was sagte, fuhr ich fort.
"Aber, mein junger Freund, was ich noch denke, ist, dass eine geschlossene Tür einer Einladung zu Unbesonnenheit gleichkommt."
"Sie meinen also…"
"Richtig. Ich meine damit, dass diese," an dieser Stelle zog ich mit der unbeschuhten Hand meine Kreditkarte aus dem Mantel, "Karte sagt, dass der junge Mann heute Nacht hier schlafen wird, um morgen früh hier verschwunden zu sein, ohne Spuren zu hinterlassen. Wie ein Baby in einem Tornado."
"Natürlich, Sir." Er begann geschäftig wie eine Ameise, das Geld abzubuchen.
"Oh, eins noch, Mayweather."
"Ja, bitte?"
"Er möchte ein Zimmer möglichst nah an 635." Ich hielt das für klug.
"Das Zimmer Nummer 634 ist auch gleich frei. Wie wäre das?"
"Das wäre formidabel, Mayweather."
"Exzellent, Sir."
"Ich bin froh, dass wir die Situation so harmonisch lösen konnten. Das bin ich wirklich. Einen schönen Tag noch, Mr Mayweather. Wenn Sie uns jetzt entschuldigen würden, mein Freund hier und ich, wir haben einen wichtigen Termin, der keinen Aufschub duldet."
Wenn man zu lange in einem Hotelzimmer rumhängt, egal wie fürstlich und dekadent, erdrücken einen irgendwann die Wände auf seinem Bett, auf dem man gerade eine halbe Gallone Rum schlürft. Wenn man jeden Tag einen Sandkasten voller Koks hat, fängt man auch irgendwann an, nur noch Burgen zu bauen.
Ich musste raus aus diesem verfluchten goldenen Käfig!
Ich schnappte mir panisch ein Glas Bananenbabybrei, das wie ein Landstreicher auf dem überquellenden Aschenbecher lungerte und sah dabei einen offenen Umschlag auf dem Tisch liegen. Der Präsident der Vereinigten Staaten lud mich zum Dinner im Weißen Haus ein, wegen meiner außerordentlichen Verdienste um irgendwas und meines unermüdlichen Einsatzes für Blablabla. "Wer ist eigentlich gerade Präsident?" rief ich in den Raum hinein, aber niemand antwortete.
"Scheißegal", blaffte ich, "geh eh nicht hin!" Das war das.
Bevor ich aus dem Zimmer auf den Flur stürzte, auf dem mich Gottweißwas erwartete, setzte ich den eben gefundenen braunen Fedora auf den Kopf und zog ihn tief ins Gesicht, wickelte mich in meinen Mantel und beschloss, den heutigen Tag als Abrissbirne meiner makellosen Reputation zu verbringen.
Im Flur war alles ruhig. Trügerisch ruhig.
"Wie spät ist es eigentlich?" fragte ich, aber wieder vergeblich. Die Menschheit schien sich vor mir zu verbergen, ob aus Furcht oder aus einem anderen, böseren Grund. Sollten sie nur ihr Spielchen spielen. Meine Sinne waren auf das Äußerste geschärft, ich war ein verdammter Guerillero im Dschungel. Ich war ein Laser.
Von der Idee, mir Zugang zu irgendeinem Zimmer zu verschaffen und mich dort zu verschanzen, bis der Colonel mit Verstärkung anrückte, nahm ich Abstand. Wie leicht konnte man in diesem verfluchten Land durch irgendeine Tür stolpern, mit nichts als einem verzweifelten Bedürfnis nach Schutz, Verständnis und vielleicht etwas Liebe, und ehe man sich versah, stand man mittendrin in der teuflischsten Sache, die die kranken Hirne der Verbrecher, die dieses Land beherrschen, ausbrüten konnten.
Ich hatte eine Vision, wie hinter der Tür des Zimmers Nr. 635 des Belvedere die Wildbretmafia Geweihe auf Rattenköpfe schraubte, während die Ratten kreischten wie ausgehungerte Furien und eine von ihnen in dem Moment, in dem die Tür aufging und ich hineinfiel, vom Couchtisch sprang und durch die Tür verschwand. Ich hörte Rattenfüße auf zerbrochenem Glas in einem trockenen Keller.
Von einer Welle des Ekels erfasst wie von einem Vierzigtonner fiel ich über einen Blumenkübel her und würgte wie ein Kater, der Gewölle ausspuckt. Aber es kam nichts. Mit dem Argwohn eines Berufskriminellen hielt ich Ausschau nach Zeugen, doch es war niemand da. Dessen ungeachtet warf ich dem Gang hinter mir noch einen vernichtenden Blick aus mongolisch geschlitzten Augen zu und stabilisierte das Blumengefäß.
Es gab Wände auf dieser Welt, die Augen hatten. Augen, Ohren und Münder, mit glitschigen kalten Zungen, die sie dir ins Ohr stecken, um damit dein Hirn aufzuspießen.
Im Fahrstuhl wusste ich nicht, wohin. Von einer Zelle in die andere. Ich war ein Wrack.
Die Tasten tanzten vor meinen Augen wie Staub in einem Lichtstrahl. Ich stützte mich an der Wand ab, als hätte ich gerade den Boston Marathon gewonnen und bewegte meinen Kopf bis auf einen Zentimeter an die schwirrenden Tasten ran. Blitzschnell schlug ich zu. Ich erwischte die Erdgeschoss-Taste wie eine träge Schmeißfliege, die es sich feist und nichts ahnend auf einem Haufen Exkremente gemütlich gemacht hatte.
Die Euphorie des Triumphators hielt nicht lange an. Schon ein Stockwerk weiter unten hatte mich die Gewissheit, dass ich selbst wie eine Fliege zerquetscht werden würde, wenn jetzt das Aufzugskabel reißen würde, fest in ihren grausamen Klauen. Es würde nicht einmal was nutzen, wenn ich direkt vor dem Aufprall hochspringen würde. Ich fühlte mich wie ein Fingerabdruck auf dem Fenster eines Wolkenkratzers, der nur aus Gleichgültigkeit weiterexistieren darf. Ich war die Schnecke, die auf der Schneide eines Rasiermessers entlang kroch. Und überlebte.
Als der Fahrstuhl anhielt, hatte ich mich mittlerweile soweit im Griff, dass ich "Bad, Bad Leroy Brown" vor mich hin murmelte. In der Version von Sinatra, natürlich.
"He got a .32 gun in his pocket for fun, he got a razor in his shoe. – Dudu dudududu."
Teil 2.
Die Lobby war hübsch, wenn auch verbesserungswürdig. Eine Tapete mit Blumenmuster, ein Kanister Benzin, ein paar Streichhölzer, und ich könnte hier viel bewegen. Das war mir sofort klar, als ich wie eine Kanonenkugel aus dem Fahrstuhl schoss.
Ich rannte in ein Paar und ihren Kofferträger. Das Pärchen sah widerlich perfekt aus, als würden die beiden permanent für ihr Porträt posieren. Ich fragte mich, warum zum Teufel sie außerhalb eines Hochglanzpornos Sex haben sollten. Der Kofferträger war ein Schwarzer, der so wählte, wie wir es wollen. Sich mit diesem einfältigen Trio zu beschäftigen, würde bedeuten, die Ewigkeit selbst zu verletzen, und das brachte ich einfach nicht über mich. Nicht jetzt. Ich entschuldigte mich mit einem Grinsen, das eindeutig besagte, wie verschwindend wenig es mir leid tat und blieb mitten in der Lobby stehen um mir eine Strategie zurechtzulegen, wie Napoleon Bonaparte auf dem Feldherrenhügel.
Die üblichen alten Anzugträger, blätterten so gelangweilt in den Börsennachrichten oder den Todesanzeigen, dass sie auch gleich tot umfallen oder ihr Geld Leuten geben könnten, die was damit anzufangen wussten. Eine Frau im untrüglichen Gewand einer teuren •••• saß in der Lobby wie bestellt und nicht abgeholt, was sie vermutlich auch war. Rot Uniformierte, die beim Militär und auf Cocktailparties im 19. Jahrhundert gleichermaßen verpönt wären, hier aber nicht, hetzten kreuz und quer durch den Raum.
Ich stellte mich also an die aus zwei Personen bestehende Schlange vor der Rezeption, um anzuregen, Zimmer 635 einen diskreten Kontrollbesuch abzustatten. Ich wollte sagen, ich hätte "da so ein Gefühl". Der Typ vor mir sah aus wie Tom Cruise in Top Gun auf einsfünfundachtzig gestreckt, war homophob, sonnen- und sportsüchtig. Überdies mochte er die Rekrutierung von Kindersoldaten nicht, wenn er sie im Fernsehen sah. Oder im Kino.
Davor verhandelte ein vielleicht Zwanzigjähriger in Khakishorts und schwarz-blauem waagerecht gestreiften Pullover mit dem Hotelangestellten und fuhr sich dabei fortwährend durch sein kalkuliert unordentliches, konsequent nach rechts gekämmtes Haar. Der Hotelangestellte, sein Namensschild nannte ihn Mayweather, versuchte ihn in dem üblichen, eher um Ruhe als um Klärung besorgten Ton zur Contenance zu animieren. Die Besten, das wusste ich, konnten die subtilste aller Drohungen in Timbre und Worte von ausgesuchter Höflichkeit betten. Dieser hier war drittklassig.
Das Problem schien darin zu bestehen, dass der Junge nicht hier nächtigen durfte, es aber anstrebte. Ferner begehrte er gegen die Tatsache auf, dass die Bademäntel dieses Hotels in Nicaragua von Kinderhänden gefertigt würden. Jedenfalls brüllte er das gerade über die Theke der Rezeption.
Ich beschloss, eine meiner Socken mit Münzen zu füllen und oben zuzudrehen.
Ich wollte vorbereitet sein, wenn hier in wenigen Sekunden das fragile soziale Gefüge dieses Raumes, das übrigens ein fotografisch genaues Abbild dieses Staates war, in sich zusammenbrechen würde. Die De-Evolution von Dekadenz zurück zu Barbarei stand uns unmittelbar bevor, und wie schon auf dem Hinweg würde sie die Zivilisation auslassen. Dann würden wieder sorgsam unterdrückte animalische Instinkte regieren, bestialisch würden sie übereinander herfallen und dabei nach Blut geifernde, unmenschliche Schreie ausstoßen. Ich aber würde vorbereitet sein. Während ich auf einem Bein stehend die Socke auszog und dabei wie ein Primat auf der Stelle hüpfte, kramte ich mit der anderen Hand in meinen Taschen, fand aber weder Münzen, noch Billardkugeln oder Seifenstücke.
Ohne Waffe war ich leichte Beute für die Primitivhirne und ihre überlegene Körperkraft. Sie würden mich in Stücke reißen wie eine alte Zeitung, das musste ich zugeben. Ich setzte also alles auf eine Karte. Was blieb mir anderes übrig?
Ich huschte zu den beiden Streithähnen, die noch auf der schmalen Linie der Dekadenz balancierten, vielleicht ohne es zu ahnen.
Der Schlüssel zum Sieg war, so zu wirken, als hätte man nicht nur jedes erdenkliche Recht, da zu sein, wo man war und zu tun, was man tat, sondern sogar die Gottverdammte Pflicht. Gottverdammte Pflicht schüchterte jeden ein. Zudem war es von Vorteil, in dieser Personifikation der Pflicht mitschwingen zu lassen, dass niemand sonst irgendetwas ohne deine Erlaubnis tun durfte.
Neunzig Prozent aller Zauberei besteht darin, eine Information mehr zu besitzen. Ich sparte mir die Begrüßungsfloskeln und grätschte gleich rein.
"Was ist hier los?"
Der imperialistische Lakai in Rot kroch auf Knien zu mir und klammerte sich an meine Fußknöchel. Bildlich gesprochen.
"Oh, ähm, Guten Tag, Sir. Das Problem mit diesem jungen Mann ist folgendes, Herr…"
Ich wedelte mit der Hand, als wollte ich Fliegen verscheuchen. "Keine Details. Details sind immer vulgär."
"Natürli…"
"Wollen Sie wissen, was ich denke?" Ich lehnte mich verschwörerisch über den Tresen, wie sich seit 1945 niemand mehr in guter Absicht über irgendwas gelehnt hatte.
"Hem-hem, ja… Sir."
"Ich denke, dass Nahrungsmittel und Betten – wie Spielautomaten - unerwünschte Elemente anziehen. Aber sind wir nicht alle unerwünscht?"
"Ich… weiß nicht, ob das…"
"Sind wir. Aber der hier hat zu allem Überfluss auch noch kein Geld mehr."
Dabei tippte ich dem jungen Kapitalistenfeind mit dem Schuh in meiner Hand heftiger gegen die Schulter, als unbedingt nötig gewesen wäre. Da keiner der beiden was sagte, fuhr ich fort.
"Aber, mein junger Freund, was ich noch denke, ist, dass eine geschlossene Tür einer Einladung zu Unbesonnenheit gleichkommt."
"Sie meinen also…"
"Richtig. Ich meine damit, dass diese," an dieser Stelle zog ich mit der unbeschuhten Hand meine Kreditkarte aus dem Mantel, "Karte sagt, dass der junge Mann heute Nacht hier schlafen wird, um morgen früh hier verschwunden zu sein, ohne Spuren zu hinterlassen. Wie ein Baby in einem Tornado."
"Natürlich, Sir." Er begann geschäftig wie eine Ameise, das Geld abzubuchen.
"Oh, eins noch, Mayweather."
"Ja, bitte?"
"Er möchte ein Zimmer möglichst nah an 635." Ich hielt das für klug.
"Das Zimmer Nummer 634 ist auch gleich frei. Wie wäre das?"
"Das wäre formidabel, Mayweather."
"Exzellent, Sir."
"Ich bin froh, dass wir die Situation so harmonisch lösen konnten. Das bin ich wirklich. Einen schönen Tag noch, Mr Mayweather. Wenn Sie uns jetzt entschuldigen würden, mein Freund hier und ich, wir haben einen wichtigen Termin, der keinen Aufschub duldet."