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Thema: "Bei Kerzenschimmer"

  1. #1

    "Bei Kerzenschimmer"


    Bei Kerzenschimmer

    Bist du ihr zu nah,
    bläst Atem sie aus;
    doch bleibst du nicht nah,
    so geht sie doch aus.
    Ein Drahtseilakt ist:
    Flamme bewahren;
    Ihr fern sein, mit List
    ihr dennoch nahen.

    Verliere sie nicht;
    brauchst doch die Kerze.
    Sie spendet dir Licht,
    vertreibt die Schwärze.
    Doch fürchtest du, Herz,
    und hitziges Rot,
    gar Körbe voll Schmerz,
    ist für dich der Tod.

    Doch was da brennt schmerzt,
    drum schmerzt auch leben,
    drum wenn sie dich herzt,
    musst du dich geben.
    Glückliche Kerzen,
    die Hauch erwählte.
    Glücklicher Wind, den
    Feuer beseelte.






    Habe das heute in zwei Freistunden in der Schule geschrieben.
    Ganz zufrieden bin ich allerdings nicht damit,
    besonders was den letzten Part angeht ...

    -Jérôme

    Geändert von Jerome Denis Andre (11.11.2009 um 20:37 Uhr)

  2. #2
    Zitat Zitat von Jerome Denis Andre Beitrag anzeigen
    Bist du ihr zu nah,
    bläst Atem sie aus;
    doch bleibst du nicht nah,
    so geht sie doch aus.
    Ein Drahtseilakt ist:
    Flamme bewahren;
    Ihr fern sein, mit List
    ihr dennoch nahen.
    Identische Reime sind doof und haben nur einen Namen, um ihre Doofheit zu unterstreichen. Die Wiederholung hat entweder zur Folge, dass sich die Betonung verschiebt, damit hervorkommt, dass das eine 'nah' oder das eine 'aus' sich vom zweiten unterscheidet (wie etwa "doch bleibst du nicht nah,..." / "so geht sie doch aus"), was dazu führt, dass der Text nicht mehr lyrisch ist. Oder sie hat zur Folge, dass man den Text weiter metrisch spricht, dann klingt es aber bescheuert, nämlich aus dem selben Grund, warum man Wortwiederholungen auch ansonsten vermeidet, es ist plump und zeugt von wenig Eloquenz.

    Inversionen mit Ist und dem Doppelpunkt sind nicht nur grammatikalischer Humbug, sondern klingen auch besonders unbeholfen. Bitte bitte nimm dir von allen Ratschlägen, die ich dir jemals gegeben habe, diesen einen, den ich dir jetzt noch einmal geben werde, endlich zu Herzen:
    Verhunze niemals Inhalt oder Grammatik, um irgendeinen Reim zu erzwingen. Suche nach kreativen Lösungen und wenn du keine findest, dann verwirf die beiden Verse und bring die Information woanders unter. Es nützt der tollste Kreuzreim nichts, wenn er dazu führt, dass die Strophe sich wie eine Google-Übersetzung liest.

    In diesem speziellen Fall des Drahtseilverses gibt es eine ganz praktikable Lösung: den Ausruf. Und weil wir eloquent sind, ersetzen wir den Drahtseilakt durch den Balanceakt, weil das Drahtseil total ausgeleiert ist (sic).
    Zitat Zitat
    Was ein Balanceakt es ist,
    die Flamme zu bewahren.
    Die letzten drei Verse sind eine unschöne Aneinanderreihung. Das muss doch nicht sein, oder? Ovid hat mit seiner Versanordnung und der darin existierenden Wortstellung die Flügel Ikarus' grammatikalisch versinnbildlicht. Du müsstest es wenigstens schaffen, Nähe und Ferne zum Kerzenlicht zu allegorieren.
    Was soll das "mit List"? Lass das weg, dann brauchst du auch die Inversion des Drahtseilverses nicht.

    Zitat Zitat
    Ein Balanceakt mit ihren Feuern:
    Um zu wahren die Flamme
    ihre Wärme zu scheuen
    doch ihr nah zu sein, flehend und bange
    Manchmal musst du nur bereit sein, deinen Gedanken zu erweitern, damit du die Form beibehalten kannst.

    Zitat Zitat
    Verliere sie nicht;
    brauchst doch die Kerze.
    Sie spendet dir Licht,
    vertreibt die Schwärze.
    Doch fürchtest du, Herz,
    und hitziges Rot,
    gar Körbe voll Schmerz,
    ist für dich der Tod.
    Die Syntax ist zum Weglaufen und ich weiß selber, dass eine Kerze Licht macht. Die Strophe kannst du dir gern sparen, die ist nämlich so poetisch wie die Texte von Jasmin Wagner. (falls hier ein Generationsproblem bestehen sollte: Jasmin Wagner ist die inkarnierte Antipoesie im Leib einer quirligen mittlerweile Ende Zwanzigjährigen, die in den Neunzigern auf Rollschuhen zu schlechten Trance-Covers durch die Welt gezappelt ist)

    Zitat Zitat
    Verliere sie nicht;
    Du fürchtest Dunkel und Nacht
    und brauchst doch ihr Licht,
    so halt's dir bewacht.
    Mein Herz voll Karmin,
    Was liebst du ihre Röte;
    Doch gib dich nicht hin,
    wenn sie röter noch sich böte.
    Den Gedanken der Balance kannst du doch zum Beispiel gern beibehalten. In Gedichten ist es ohnehin nicht so gut, über irgendwas zu palavern, ohne dabei auf vorherigen Gedanken aufzubauen und nie zu einem vernünftigen Zusammenhang zu kommen. Ein Gedicht ist ein in sich geschlossenes Kunstwerk, da kannst du ruhig auf das vorher gesagte zurückgreifen, damit spielen und schließlich abschließen.

    Ich gebe mich hier zwar gerade hin und dichte das in ein ziemlich dilettantisches Décadence-Liebespädoyer (mit höchst minnischen Zügen - das hätte dem ollen Rilke sicher auch nich gefallen - und im Erzählstil chinesischen Folklores) um, aber mal ehrlich, wer will schon was von einer schnöden Kerze lesen.

    Auch die dritte Strophe ist qualitativ eher quantifizierend, also irgendwie nutzlos, da wenig aufschlussreich. Basierend auf einem dreistrophigen Aufbau, um das übrigens mal zu erwähnen, kann man drei verschiedene Ansätze verfolgen:
    1. Den philosophischen: das Thema wird formuliert, das Thema wird analysiert, man kommt zu einer Konklusion.
    2. Den harmoniebetonten: ein in sich geschlossenes Moment, ein weiteres in sich geschlossenes Moment, die Auflösung der ersten beiden Momente in das Begreifen der Schönheit des Besungenen (der Panter, L'attente - heute ist mein Rilketag)
    3. Den klassisch-aufbrausenden nach Goethe: ein Thema wird angesprochen, eine Problematik darin erkannt, in einer großen Aufbruchstimmung wird die Problematik ignoriert, weil man jung, frisch und fröhlich ist (ja ja, Goethe ist schon ein Arsch)

    Dass es diese drei Ansätze gibt, macht durchaus Sinn (okay, es gibt noch mehr, die ebenfalls Sinn machen, aber da geht mir jetzt zu weit und irgendwie hab ich das jetzt so dilettantisch formuliert, dass die auch irgendwie in dieses dreigeteilte Schema hier passen), wenn man - wie schon erwähnt - vom Gedicht als einem geschlossenen Kunstwerk ausgeht.

    Ich kam jetzt nicht umhin, dein Gedicht vollständig zu verhonepipeln und umzuschreiben und umzudeuten, ich hoffe du verzeihst mir das, aber dein Text ist irgendwie mehr als kryptisch und lässt sich wenig betrachten und analysieren, dafür ist er ein bisschen zu langweilig. Ich sage das jetzt ohne Hohn, es ist einfach so; ich finde meinen eigenen Stoff oftmals nach ner Weile auch langweilig, genauso wie vieles andere. Jedenfalls reißt mich der Text jetzt nicht vom Hocker, deshalb musste ich mir meinen Spaß selber basteln und selbst ein bisschen dichten. Deshalb hier Version 4.0, gemessen am unheimlich rapiden Qualitätsabfall im Drehbuch von Grey's Anatomy nach der dritten Staffel:


    Wer sucht, ob er ihr Licht ergründe,
    löscht sie aus mit gierigem Atem.
    Wer sucht, ob ihrer fern er Glück wohl finde,
    erstickt mit Einsamkeit ihren Schein.
    Ein Balanceakt zwischen ihren Feuern:
    Um zu wahren die Flamme
    bedarf es, standhaft ihre Wärme zu scheuen
    Und doch nah ihr zu sein, flehend und bange.

    Doch verliere sie nicht;
    Du fürchtest Dunkel und Nacht
    und brauchst doch ihr Licht,
    so halt's dir bewacht.
    Mein Herz voll Karmin,
    Du liebst ihre Röte!
    Doch gib dich nicht hin,
    wenn sie noch röter sich böte.

    Denn was da brennt und schmerzt,
    das verbrennt der Schmerz am Leben,
    drum gib tief und still in dir beherzt
    was immer du musst von dir geben.
    Und nimm, auf dass das Licht erbrenne,
    soviel du kannst und nenne
    mir ein Los, das heilger wär als deins; -
    Von Nahem doch fern zu sehen nur,
    wie sie scheint.

    Geändert von Mordechaj (11.11.2009 um 22:10 Uhr)

  3. #3
    EP, du hast zuviel Zeit.

    Erster Eindruck: Ich mags (also das Originalding), die Idee ist zwar nicht revolutionär, aber doch schön.
    Zitat Zitat
    doch bleibst du nicht nah,
    so geht sie doch aus.
    Wenn du eine Metapher benutzt, sollte sie auch auf beiden Ebenen funktionieren. Wieso geht die Kerze aus, wenn man weggeht? Oo Man sieht (und merkt) sie nicht mehr, aber ausgehen wird sie nicht.

  4. #4

    Leon der Pofi Gast
    Zitat Zitat von La Cipolla Beitrag anzeigen

    Wenn du eine Metapher benutzt, sollte sie auch auf beiden Ebenen funktionieren. Wieso geht die Kerze aus, wenn man weggeht? Oo Man sieht (und merkt) sie nicht mehr, aber ausgehen wird sie nicht.
    es ist wohl eher gemeint, dass, wenn man nicht bei der kerze bleibt und auch dafür sorgt, dass sie nicht ausgeht und sie regelmäßig neu entfacht, sie ausgehen wird. das ironische bei der metapher ist für mich wohl eher, dass die kerze irgendwann zu grunde geht und zwangsläufig erlischt

  5. #5
    In Ordnung, macht Sinn, aber der kausale Zusammenhang ist trotzdem nicht da (lassen wirs dabei bleiben).

  6. #6
    Zitat Zitat von Leon der Profi Beitrag anzeigen
    es ist wohl eher gemeint, dass, wenn man nicht bei der kerze bleibt und auch dafür sorgt, dass sie nicht ausgeht und sie regelmäßig neu entfacht, sie ausgehen wird. das ironische bei der metapher ist für mich wohl eher, dass die kerze irgendwann zu grunde geht und zwangsläufig erlischt
    Genau das meinte ich ...

    BZW. auf die Liebe übertragen: "erdrückt man sich" damit gegenseitig, und lässt einander keinen Platz zum Atmen, so wird das nix ...
    Kümmert man sich aber gar nicht umeinander ebensowenig ...

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