Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, gab es gestern einen erneuten "Amok"lauf (warum ich Amok immer in Anführungszeichen schreibe: Die Bluttat war geplant. Amokläufe bezeichnen meist, je nach Sprachgebrauch, eher spontane Ausraster). Ein 18jähriger hat schwer bewaffnet seine Ex-Schule gestürmt, über 30 Menschen verletzt, und am Ende sich selbst gerichtet.
Da er auch Computerspiele spielte, war ja zu erwarten, was gewisse Politiker wieder fordern. Und wo zugleich noch nach Schuldigen gesucht wird - so war die Person mal bei Schulpsychologen vorstellig, vor einigen Jahren, die aber offenkundig den "Amok"lauf nicht verhinderten.
Ehrlich gesagt könnte ich jetzt mal wieder kotzen. Auf der einen Seite steht diese schreckliche Tat - auf der anderen die Politiker mit ihrer Scheinheiligkeit.
Ich erzähle euch jetzt mal etwas: Ich mußte auch einmal den schulpsychologischen Dienst in Anspruch nehmen, weil ich auf eine Sonderschule abgeschoben werden sollte. Damals arbeiteten da noch (soweit ich mich erinnere) 4 Vollzeitstellen. Heute mache ich im selben Gebäude, wo der schulpsychologische Dienst befindet, ein Praktikum. Wißt ihr, wieviele Leute da heute noch arbeiten? Einer. Der hat nur eine halbe Stelle. Die Warteliste kann schon nicht mehr in Wochen, sondern nur noch in Monaten ausgedrückt werden. Und in anderen Städten (Kommilitonen machten da zum Teil Praktika) sieht es keinesfalls besser aus. Glaubt ihr, unter den Bedingungen ist so etwas wie Betreuung oder auch nur der Ansatz von Beschäftigung mit einem Fall möglich?
Aber es geht noch weiter. Diese halbe Stelle wird bald komplett gestrichen. Dafür zugegebenermaßen eine Vollzeitstelle geschaffen, die aber in unsere Beratungsstelle mit eingegliedert wird.
Klingt toll, oder? Der Gedanke dahinter ist, daß dann die Beratungsstelle da für Entlastung sorgen kann, indem sich da Mitarbeiter der bisherigen Beratungsstelle auch mit um den schulpsychologischen Kram drum kümmern. Aber wir sind auch schon total überlastet. Wenn Mitarbeiter sich dann plötzlich um Schulleistungen kümmern müssen, die bisher weitaus schwerere Problemfälle (sorry, Schweigepflicht) betreuten, kann man sich ausrechnen, was da herauskommt: Quark. Denn mal ganz ehrlich, so schwer wie der "Amok"läufer psychisch angeschlagen war, wäre korrekterweise die Kette so abgelaufen:
- Schulpsychologe stellt Auffälligkeiten fest (wofür ihm ob enormer Überarbeitung aber mit Sicherheit die Zeit fehlte - siehe oben. Ein Kernkrafttechniker kann auch nicht alle Kraftwerke der Republik überwachen). Überweisung an Beratungsstelle ("uns" gibts in jeder Stadt) oder direkt psychotherapeutische oder psychiatrische Einrichtung.
- Beratungsstelle stellt erstmal Schwere der Probleme fest, danach Überweisung an psychotherapeutische oder psychiatrische Einrichtungen. Eventuell anschließendes oder begleitendes soziales Training. So formuliert: So spät, wie er erst bei den Schulpsychologen war, hätten wir mit den uns zur Verfügung stehenden und rein ambulanten Mitteln auch nichts mehr verhindern können. Die Schulpsychologen, die noch weitaus weniger Möglichkeiten haben? Vergeßt es.
Zudem Killerspiele. Habt ihr schonmal davon gehört, daß Leute mit einer DVD-Scheibe erschlagen worden sind? Ich nicht. Mit Waffen werden Menschen getötet. Soll man deshalb alle Arten von Waffenbesitz verbieten? Nun, es wäre auf jeden Fall sinnvoller, als Spiele zu verbieten. Das ist rein quantitativ gemeint - es ist "sinnvoller", aber nicht wirklich "sinnvoll".
Sinnvoller, weil: Drückt man mir eine Waffe in der Hand, könnte ich - obwohl ich jahrelang UT gespielt habe - kein zwei Meter entferntes Scheunentor treffen. Man braucht Übung - die bekommt man nicht, nie und absolut nie nie nie nie nie niemals durch ein Computerspiel! Sowas wie Handaugenkoordination beim Umgang mit einer echten Waffe kann man nicht durch das Herumschieben einer Maus simulieren.
Aber nicht wirklich sinnvoll, weil: Man muß einfach akzeptieren, daß manche Menschen einen Knall haben - das hat zumeist viele Gründe. Waffen töten nicht, sondern die Menschen mit der Waffe in der Hand. Die Waffe zu haben macht es ihnen nur *leichter*. Es gab vor ein paar Jahrzehnten einen "Amok"lauf, wo sich jemand einen Flammenwerfer selbst gebastelt hat. Und was man mit Fleischermesser anrichten kann, brauch ich nicht zu beschreiben, oder?
Jede Tat hat ihre Geschichte. Oft finden sich Rachemotive - im aktuellen Fall, im Fall Steinhäuser, im Fall der kürzlich in einer Amishschule der USA gewesenen Schießereis, oder der Amoklauf an meiner damaligen Schule (der seltsamerweise nicht in den Medien groß auftauchte - sarkastisch könnte man meinen kein Wunder, der Täter war erwachsen und kein Killerspielspieler). Genauso sahen die Täter sehr oft keine Zukunft für sich - wiederum Steinhäuser als auch der aktuelle Amoklauf. Das ganze entschuldigt die Taten nicht - gibt aber Hinweise, wie es zu ihnen kam. Bedingungen, an denen angesetzt werden kann, um weitere solcher Taten zu vermeiden. Es gab lange vor "Killerspielen" Amokläufe, und es wird so oder so in Zukunft weiter welche geben. Die Frage ist nur, wie häufig, und wieviele können durch vernünftige Interventionsmaßnahmen auf gesellschaftlicher Ebene verhindert werden?
Computerspiele zu verbieten löst keine Probleme. Die Tatsache hingegen, daß wir hier in Deutschland wesentlich weniger Waffen im Umlauf haben als in den USA verhindert schon eine ganze Menge. Genauso könnte dafür gesorgt werden, daß es weniger Verlierer der Gesellschaft gibt.
Und natürlich - wer psychisch abstürzt, der muß auch Hilfe finden können. Da dürfen nicht irgendwelche total überlasteten Schulpsychologen in die Verantwortung genommen werden (das Psychologiestudium macht leider nicht allwissend, wie ich zugeben muß), die die Leute vielleicht 2, 3 Stunden überhaupt erleben. Lehrer, Mitschüler, Eltern, Freunde, und viele mehr.
Und letztendlich ist es wieder eine Frage nach der umgebenden Kultur. Aus welchen Gründen auch immer entwickeln manche Leute einen enormen Haß auf zum Beispiel Lehrer, Mitschüler - und da sollte die Frage erlaubt sein, ob sich die auch entwickelt hätte, wenn der zwischenmenschliche Umgang ein anderer gewesen wäre. So können wohlgemerkt nicht alle Amokläufe verhindert werden, wohlgemerkt. Aber einige. Jedenfalls mehr als ein Verbot von "Killerspielen".
Verhalten hat zwei Ursachen: Anlage und Umwelt. Auf die Anlage können wir keinen Einfluß ausüben, dafür voll und ganz auf die Umwelt. Und das, wie sich in vielen anderen Gebieten zeigte, sehr erfolgreich. Leider in beide Richtungen - ihr kennt die Totschlagsstatistiken von den USA im Vergleich zu europäischen Ländern (natürlich einwohnerzahlbereinigt)?
Übrigens ist es sehr lustig zu sehen, daß in Sachen Gewaltverbrechen Deutschland mit den rigorosesten Jugendschutzgesetzen der Industrienationen auf einem der vordersten Plätze liegt (einwohnerzahlbereinigt). Und wißt ihr, warum? Bei uns greifen zwar die Waffengesetze, die immerhin für den ganz enormen Abstand zur USA sorgen. Weitere schützende gesellschaftliche Einflüsse sind hingegen nicht so ausgeprägt wie in anderen Staaten, wodurch von allen potentiellen (Anlage!) Gewalttätern mehr letztendlich auch durchticken (Umwelt!).
Und sorry, das ist in meinen Augen ein Versäumnis der Politiker. Wir haben ganz klar Mängel im System, die eben dazu führen, daß mehr potentielle Gewalttäter in die Umweltbedingungen kommen, wo dies zu Problemen führt. Statt die Löcher zu stopfen, werden sie noch verstärk - ich sag jetzt nur mal das neue Schulgesetz in NRW.
So, vermutlich war das jetzt total wirres Geschreibsel, aber nach einem Fernsehbeitrag, bei dem mir so richtig übel wurde, mußte ich das einfach mal heruntertippseln.