Spiel 11: Radiant Historia (NDS)
Gestartet: 30.10.2016 (Von vorne)
Beendet: 5.12.2016
Warum gerade dieses Spiel?
Bei Radiant Historia kann ich mich gar nicht so richtig an die Hintergründe erinnern, aus denen ich es spielen wollte, außer dem üblichen Grund, dass ich bereits vor Jahren einmal einige Stunden in das Spiel versenkt hatte. Die tollen Charakterdesigns, das leicht melancholische Intro und der Soundtrack-Composer (Yoko Shimomura!) haben aber sicherlich auch eine Rolle gespielt.
Worum gehts?
Der Kontinent Vainqueur scheint dem Untergang geweiht; immer mehr seiner Oberfläche wird zur unbelebten Wüste. Die machthungrige Königin Protea von Granorg startet einen Eroberungsfeldzug um die letzten Resourcen. Der Geheimdienstler Stocke von Alistel versucht diesen Krieg zu beenden. Dabei hilft ihm ein mysteriöses Buch, welches ihm die Macht verleiht, über die Zeit zu verfügen und vergangenes Ungeschehen machen. Stocke kann zwar beliebig zwischen bestimmten Punkten vor- und zurückspringen, jedoch zerreißt die Zeitlinie bald in zwei Teile, und so muss er nun zwischen beiden "Welten" hin- und her wechseln, um die Verwüstung und den Krieg zu beenden, und die Welt zu ihrer "wahren" Geschichte zu führen.
Gameplay
Radiant Historia ist vom Aufbau her ein bemerkenswert simples Spiel. Die Grafik ist schlicht, es gibt keinerlei Sprachausgabe - noch nicht einmal in der japanischen Version - und mit Ausnahme der 3D-Ortschaften werden alle beweglichen Objekte als Sprites dargestellt.
Dungeons haben oft mehrere Ausgänge, meist muss man jedoch einen bestimmten davon nutzen um auf der Weltkarte voran zu kommen. Dort gibt es keine Random Encounter und man kann sich nicht frei bewegen; es genügt ein Druck aufs Steuerkreuz um von Ort zu Ort zu hüpfen - sofern man den entsprechenden Ort zuvor "freigespielt" hat.
In den Dungeons sind die Gegner jederzeit sichtbar. Drückt man den Y-Knopf schwingt Stocke sein Schwert und betäubt seine Kontrahenten, wodurch die Party zu Kampfbeginn einen Zug-Vorteil erhält. Ebenso gilt es, mit Hilfe verschiedener Fähigkeiten kleinere Rätsel zu lösen um Loot abzustauben.
Man stürzt sich mit einer Party von maximal 3 Charakteren ins Getümmel. Auf dem oberen DS-Bildschirm sieht man dabei die Zugreihenfolge, während auf dem unteren Bildschirm das eigentliche Kampfgeschehen statt findet. Das wichtigste Gimmick des Kampfsystems ist, dass man die Reihenfolge der Züge manipulieren kann. Der gerade aktive Charakter kann, mittels Change-Kommando, mit einem Beliebigen anderen Charakter oder Gegner(!) den Zug tauschen, wodurch man sich bis zu 10 Züge hintereinander erarbeiten kann. Die Züge der eigenen Party werden dabei erst dann ausgeführt, wenn man allen Teilnehmern einen Befehl gegeben hat.
Das ist wichtig, denn Radiant Historia beinhaltet ein Combo-System, bei dem ein Angriff um so mehr Schaden verursacht, je höher der Combozähler ist. Das andere wichtige Gimmick des Spiels ist Crowd Control: Die Gegner befinden sich auf einem 3x3 Brett und lassen sich dort mit bestimmten Spezialtechniken, die man bereits relativ früh im Spiel lernt, verschieben. Bis die Gegner am Zug sind bleiben sie dabei an dem Platz, an dem man sie hingeschoben hat, und es können sogar mehrere Gegner auf ein einziges Feld gepfercht werden, wo man nun mit einem einzigen Angriff oder Zauber alle auf einmal trifft.
Nun klingt das nach einem massiven Vorteil für die eigene Party, doch das Spiel geht davon aus, dass man dieses System auch nutzt. Wer keine Lust auf Gegner-Tetris hat wird feststellen, dass die Encounter schnell äußerst knackig werden. Außerdem gibt es auch Nachteile, wenn man das Change-Kommando einsetzt: Der Charakter, der "Change" eingesetzt hat, verfällt in den Baroque-Status und nimmt nun so lange doppelten Schaden, bis er einen herkömmlichen Zug (Angriff, Skill, Item, Guard) durchgeführt hat.
Den allergrößten Teil ihrer Techniken erlernt die Party automatisch durch Level-Ups, einen guten Teil jedoch auch über Sidequests. Diese laufen stets ähnlich ab: Man schaltet einen Reise-Knotenpunkt (dazu später mehr) frei, zu dem man jeder Zeit springen kann. Dort bringt ein Lehrmeister dem Charakter neue Techniken bei - sofern ein entsprechender Questgegenstand gefunden wurde.
Nennenswerte Charakter-Growth-Systeme gibt es bis auf übliches Equipment (Waffe, Rüstung, bis zu 3 Accessoires) nicht. Zudem sind oft einige Partymitglieder aus Storygründen nicht verfügbar, und je nachdem, welchen der beiden Zeitstränge man gerade bereist, wird der ein oder andere Charakter erst sehr spät zum Geschehen stoßen. Dafür behalten die Partymitglieder jedoch alle ihre Level und Techniken, egal, wo im Zeitstrang man sich gerade mit ihnen aufhält. Zwar ist Stocke der einzige, der überhaupt weiß, dass es Zeitreisen und zwei verschiedene Zeitstränge gibt, aber dieses Paradoxon wird von der Story zumindest teilweise erklärt.
Stocke muss im Laufe des Spiels immer wieder zwischen den beiden Zeitebenen - Standard History und Alternate History - wechseln, um weiter zu kommen. Mal braucht es eine Technik, die es in der jeweils anderen Dimension zu lernen gilt, mal muss man Gegenstände und Informationen besorgen, und manchmal sind es einfach Echos der Geschichte, die so stark sind, dass sie von einer Linie auf die andere überspringen und so z.B. dafür sorgen, dass gewisse Leute wichtige Entscheidungen ändern.
Neben den Hauptstorypfaden beinhaltet Radiant Historia dutzende Sidequests, deren einzelne Stationen oft nur an bestimmten Punkten der Zeitlinien erledigt werden können, wobei man dank des Zeitreise-Systems nichts permanent verpassen kann. Sowohl während der Sidequests als auch während der Hauptstoryline muss man oft Entscheidungen treffen, von denen meist eine in einem schlechten Ende gipfelt. Das ist aber nicht schlimm, da man meist sofort wieder an den Punkt der Entscheidung springen kann. 24 dieser "Bad Ends" gibt es im Spiel.
Das Storytelling ist gewiss der allerstärkste Punkt des Spiels. Die Geschichte ist erstaunlich erwachsen und ständig in Bewegung. Der Krieg schläft nicht, und so schlägt die Geschichte oft sehr leise Töne an, was das Trauma ihrer Charaktere angeht, was nicht heißen soll, dass diese blass bleiben - im Gegenteil verflechtet Radiant Historia die Persönlichkeit und den Hintergrund der Charaktere gekonnt mit der Handlung, so dass diese Geschichte um Krieg und Politik sehr menschliche Gesichter mit großer Tiefe besitzt.
Das Spiel setzt somit sehr wenig auf Effekthascherei; die Dialoge sind äußerst ausführlich, so dass man oft eher den Eindruck hat, einen Roman zu lesen. Das ist beeindruckend, weil Radiant Historia ganz ungewohnt für ein JRPG eine komplexe, ernste Story hat, die ohne viel Anime-Bombast auskommt, sich jedoch auch nicht an West-RPGs annähert, was Ästhetik oder Spielsystem angeht. Dank der unkonventionellen Zeitreise-Regeln kommt die Geschichte noch dazu ohne grobe Lücken oder Ungereimtheiten daher.
Da man manchmal Szenen wiederholen muss hat Atlus die Funktion eingebaut, jede Szene mit einem Knopfdruck überspringen zu können. Leider gibt es gerade im späteren Spielverlauf einige (wenige) Szenen, die bei Wiederholung variieren, was aber für mich aus dem Kontext meines Walkthroughs immer klar hervor ging.
Die Musik von Yoko Shimomura ist vielleicht kein Meisterwerk, aber dennoch auf gewohnt (sehr) hohem Niveau. Die durch den Soundtrack erzeugte Atmosphäre hat mich häufig an Final Fantasy 6 erinnert, wobei es leider auch ein paar Themes gibt, die nur vor sich hin plätschern - meist in Städten oder Dungeons. Die musikalische Untermalung während Storysequenzen und Kämpfen ist jedoch fantastisch. Mein persönliches Highlight ist das Theme des letzten Dungeons.
Erlebnisse beim Spielen
Radiant Historia ist ein Spiel, das man am besten nicht über einen langen Zeitraum verteilt, da man sonst schnell die Ereignisse der beiden Zeitstränge durcheinander bringt. Ich habe mich mehr als einmal gewundert, wenn über einen Charakter gesprochen wurde, dessen Situation anders dargestellt wurde als ich es in Erinnerung hatte. Nun, meine Erinnerung war richtig, aber nicht für den entsprechenden Zeitstrang. Das tat dem Spaß allerdings keinen Abbruch, denn man kann im Menü jederzeit nachlesen, was in den einzelnen Strängen passiert ist.
Die Bad Ends sind allesamt ziemlich knapp gehalten, kommen meist ohne zusätzliche Szenen aus und sind oft genug nur ein bisschen Text zu dramatischer Musik. Davon sind einige richtig, extremst, dumm, der größte Teil aber so interessant, dass ich mir oft eine ausführlichere Darstellung gewünscht hätte.
Animationen und Soundeffekte im Kampf sind äußerst spartanisch gehalten, was einerseits den Vorteil eines hohen Pacings beinhaltet - die Kämpfe dauern ohnehin meist lang genug - aber die Sache dafür gelegentlich ein bisschen langweilig macht. Sofern man auf Schauwerte nach einem besonders kniffligen Kampf überhaupt noch Wert legt.
Wenn ich mir so die Liste der Spiele ansehe, die ich dieses Jahr bisher gespielt habe, so landet Radiant Historia mit Leichtigkeit auf Platz 1. Story, Charaktere, Musik, alles ist entweder auf gehobenem oder sogar extrem gutem Niveau. Der Abspann ist lang, und beinhaltet sogar noch Bonus-Szenen für die meisten Sidequests, sofern diese abgeschlossen wurden. Die Geschichte von Stocke, Marco, Raynie, Rosch, Aht, Gafka und Eruca wird mir so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Wie durchgespielt?
37:05 Stunden, wobei man 1 Stunde abziehen kann, in der ich den DS offen gelassen habe (Essen, Telefon, etc). Ich habe 236 von 236 Geschichts-Knotenpunkten erspielt, das entspricht 100% der Story und aller Sidequests. Man hätte im letzten Dungeon noch ultimatives Equipment für alle Charaktere farmen können, das hab ich mir aber gespart. Alle Charaktere haben alle ihre Skills erlernt, bis auf Eruca, der noch 4 Level für ihren letzten (unspektakulären) Skill gefehlt haben.