Seite 9 von 9 ErsteErste ... 56789
Ergebnis 161 bis 162 von 162

Thema: [ZOOOOOmmxBIES! Staffel 3] Station 1 - "Wave Shengs Hope Goodbye"

  1. #161
    Sie lehnte an der Fassade des Pubs, den sie für eine ganze Weile nicht sehen würde. Vielleicht nie wieder? Die Siedlung gab sich Mühe, die Festlichkeiten so pathetisch zu gestalten, dass Eryn tatsächlich Zweifel aufkamen. Zweifel daran, ob sie jemals wieder heil nach Sheng's Hope zurückkehren würde. Ob sie überhaupt jemals heil irgendwohin kommen würde.

    Ihre Füße schmerzten noch immer. Doch Ben und selbst der ihr verfallene Morris würden nun Besseres zu tun haben als sich diesen zu widmen. Jeder hatte etwas Besseres zu tun, nahm Abschied von seinen Liebsten oder verstrickte sich flüchtend in Gedanken an das bevorstehende Abenteuer. Doch sie konnte das nicht. Sie konnte nicht erahnen wie ein Abenteuer aussehen würde. Sie kannte das Abenteuer nicht, fühlte sich jetzt als hätte sie ihr ganzes Leben wohl behütet in dieser Siedlung verbracht. Wohl wissend, dass das nicht stimmte, konnte sie sich von diesem Gedanken doch nicht trennen. Wie von zig anderen Gedanken, die neben ihren Füßen auch ihren Kopf mit schmerzendem Druck belasteten. Sie musste etwas tun. Irgendetwas. Etwas, das nach Feierlichkeit aussah und ihr den Kopf reinigen würde.

    Ihr Blick fiel auf die flackernden Lichter der Fackeln, die sie erst verschwommen wahrnahm, nach einem Blinzeln jedoch klar. Der Nachtwind ließ sie das Feuer leicht tanzen.

    Sie setzte die Füße in Bewegung. Die ersten Schritte stachen, doch mit jedem wurde es besser. Ihr Ziel waren zwei der Fackeln am Rande des Marktplatzes. Vorsichtig nahm sie diese raus, als sie von der Seite die Stimme ihres Kollegen hörte. "Das erweckt meine Familie auch nicht von den Toten." Scheinbar war sie nicht als Einzige einsam. Doch auch war sie nun nicht in der Lage, einem einzelnen Gesellschaft zu leisten. Ihr Vorhaben war ein anderes. Sie trug die Fackeln weiter zur Mitte, suchte sich einen unbesetzten und doch präsenten Platz und schlug sie dort in den Boden, wenige Meter voneinander entfernt, sich damit eine Bühne bastelnd. Und dann sah sie sich noch mal um. So viele Menschen. So ausgelassen zum Teil ihre Stimmung. Ein Stimmwirrwarr drang in ihre Ohren. Von kritisch Debattierenden. Von Betrunkenen. Von sorgenvoll Liebenden. Von freudig Erregten. Liebend gerne hätte sie diese Geräusche eingetauscht gegen die schrägen Töne von Derrecks Mundharmonika. Doch Derreck war gegangen, und keine Musik begleitete ihren folgenden Tanz.





    Noch hatte sie nur die Aufmerksamkeit weniger Augenpaare. Doch sie würde mehr gewinnen - das nahm sich die Bardame fest vor. Warum sie es tat, konnte sie selbst nur eingrenzen. War ihr nach Bewunderung? Wollte sie gesehen werden, fasziniert beäugt? Lag ihr doch etwas an diesen Menschen? War es ein "Danke", ein Geschenk zum Abschied? War dieser Tanz für Derreck bestimmt, der in undefinierbarer Ferne sein musste, nur unter Umständen noch lebte? Oder war es alles nur für sie, konnte Eryn sich auch jetzt nicht lösen von den Fesseln der Selbstsucht, die ihr Leben in den letzten Tagen dominiert hatten?

    Ein Windstoß setzte die Flamme zu ihrer Rechten in Bewegung. Ihr Zeichen. Den linken, mit schwarzem Stoff umfassten Fuß über den rechten legend, eine Drehung ihres ganzen Körpers folgen lassend, begann sie. Keiner der Älteren würde ihr Bewegen zuordnen können. Ihre eigene Gewandtheit hatte sie gelehrt, dazu das Beobachten so vieler Fremder. Es war nicht höfisch, nicht klassisch, und doch beides. Einflüsse aus aller Herren Länder fanden sich in ihrem Tanz zusammen, bildeten ein Ganzes, das sie niemandem je gezeigt hatte. Und jetzt zeigte sie es allen, verwandelte ihre Schuld in Schwung, ihren Frust in Energie und setzte ihre schmerzenden Füße noch mehr unter Druck, die für andere leicht wirken mussten. Als würde sie das Gegenteil dessen zeigen, was sie umgab. Als würde sie die Feiernden glauben lassen wollen, ihr Gewissen wäre rein.

    Du bist ein Spielzeug, das die Götter einsetzen, um die Glücklosen dieser Erde zu strafen.

    Das Kleid flog durch die Luft, entfernte sich gar einen halben Meter vom Boden, als der Schwung es mitnahm. Doch wieder fanden ihre Füße Halt, federleicht und punktgenau, wo sie Halt finden sollten. Je mehr die Erinnerung an das was war sie einholte, desto ausgelassener wurde ihr Tanz, desto schwungvoller ihre Bewegungen, graziler die Übergänge. Ihr Kopf warf sich elegant in den Nacken - eine anmutige Geste. Und ideal, um Derrecks Worte aus ihrem Kopf zu verbannen. Ihr größter Feind war ihr Geist, der Verbündete ihr Körper. Wie Blutkörperchen das Bakterium jagten ihre fragilen und doch energischen Bewegungen die schlimmen Gedanken, trieben sie mit der Exaktheit einer scharfen Klinge und der Hitze der nebst ihr brennenden Fackeln aus der Siedlung in ihrem Kopf. So kurz er war, so sehr genoss sie den kommenden Moment. Einen Moment der bedingungslosen Gedankenfreiheit. Alles war weg. Nur das Gefühl von einwandfreiem Nichts.

    Sie achtete nicht auf die anderen. Sie stand so präsent - so öffentlich - es nur ging, und doch war sie allein mit sich. Die Stimmen wurden leiser, doch ob sie nur für die Tänzerin mehr in den Hintergrund traten oder tatsächlich verblassten war ein Rätsel, dessen Lösung sie nicht kennen musste. Sie war für sich. Nur der Wind bestimmte ihre Bewegungen, nur das Knistern des Feuers war ihr Dirigent. Arme und Beine warf sie hoch, in der Ästhetik eines gymnastischen Naturtalents. Sauber und fein verdrängten ihre Füße nur mehr kalte Nachtluft, deren eisige Wirkung auf ihre Haut ebenso nachließ. Die Nähe der Flammen, die Blicke, die sie wusste, hiermit gewinnen zu können, die Energie ihrer Bewegung - diese Dinge wärmten die zart geröteten Wangen, den Rest ihrer Haut und auch ihr belastetes Herz.

    Und als der Schmerz vergessen war, nahm sie die letzte Kraft zusammen, drückte ihre Zehen durch wie einst die aufopfernsten Balletteusen und vollendete die physische Aufführung, die Kraft kostete und doch mehr Kraft gab, mit vielen kleinen Schritten, um am Ende diesen einen großen Schritt, fast Sprung, folgen zu lassen, der sie symmetrisch in die Mitte der beiden lodernden Flammen trieb, wo sie eine letzte tänzerische Verbeugung andeutete, die sie von der in Kauf genommenen Bürde des enthemmten und doch feinen Tanzes erlösen sollte.

  2. #162


    Es war ein wahres Festmahl. Evi langte kräftig zu, weil der lange Tag sie geschlaucht hatte, und ihr gleichzeitig bewusst war, dass es so einen Schmaus nun lange nicht mehr für sie geben würde. Während sie munter vor sich hin kaute nahm sie wahr, wie Lancaster dieses Motorrad von der waschlappigen Georgina bekommen hatte, um damit die Gruppe anzuführen und Adam sicher an sein Ziel zu bringen. Sie war froh, dass er diese Aufgabe erhalten hatte, weil er ja auch ihr Wunschkandidat gewesen war. Mit all seiner Erfahrung, Ernsthaftigkeit und dem... Bart. Ob er der bärtige Kerl gewesen war, der auf der Obstfarm sein Unwesen getrieben hatte? Nun, es würde vermutlich genug Gelegenheiten geben, ihn auf der Reise zu fragen.

    Von irgendwo in der Nähe des Grills erklang ganz sanft eine Melodie - simpel, aber auch melancholisch. Das seltsam rührseelige Gefühl, das durch die Ablenkung des Essens eine Weile lang Ruhe gegeben hatte, kehrte damit zurück.
    Als schließlich Eryn einen Platz mit Fackeln absteckte, und einfach im friedlichen Knistern des Feuers zu tanzen anfing, war es nicht mehr auszuhalten. Obwohl zahlreiche Bewunderer die grazilen Bewegungen der Barfrau verfolgten, fühlte es sich nicht nach einer Show an. Es war irgendwie mehr als das. Ob ihr das nun bewusst war oder nicht, es wirkte als würden die Herzen der Zuseher mit ihren Füßen im Takt tanzen.

    Auch Sheng sah Eryn vom Rande des Geschehens aus zu. Sein Blick war unergründlich, aber Evi war sich sicher, dass auch er die Stimmung dieses Abends deutlich spürte. Vielleicht sogar mehr als sie, weil er schon bald nichts mehr tun können würde, um etwas am Schicksal von Adam und an dem von ihnen allen zu ändern. Und er würde nicht mehr auf Haile aufpassen können.
    Eigentlich war nun der perfekte, und wahrscheinlich einzige Moment, noch einmal mit ihm zu reden. Bevor Evi das Herz übergehen würde vor Sehnsucht nach diesem Zuhause, das sie noch nicht einmal verlassen hatte. Und bevor etwas oder jemand sie aufhalten konnte. Sie selbst zum Beispiel.

    Der Bürgermeister bemerkte Evi sofort, als sie in seine Richtung kam, und aus irgendeinem Grund erwiderte er ihr Lächeln eher zögernd. Das würde es nicht leichter machen. "Hey. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt, um zu sagen, was ich schon angekündigt hatte." Er erwiderte nichts, sah sie aber erwartungsvoll an. Die Taucherin holte also in Gedanken tief Luft und... es kam nichts. Sie wusste, was sie dachte und fühlte, aber wie sagte man so etwas? Womit sollte sie überhaupt anfangen? Dass sie vielleicht nie zurückkommen würde? Ja, das war ein positiver Start in ein Gespräch. Oder dass sie aus völlig heiterem Himmel - wie oft hatten sie schließlich schon wirklich miteinander geredet - etwas Besonderes für ihn sein wollte? Gar nicht anmaßend.
    "Ich finde irgendwie nicht... die richtigen Worte.", sagte Evi schließlich entschuldigend, als die Pause schon viel zu lange dauerte. Bald würde der Moment verstrichen sein, bald würde sie der Mut verlassen, bald würde ganz bestimmt irgendjemand aus einem Loch im Boden gehüpft gekommen, und sie wieder unterbrechen... Ach Gott, scheiß auf Worte.
    Bevor Sheng etwas erwidern, oder irgendjemand anderes plötzlich hinzukommen konnte, legte Evi ihre Hand an seine Wange und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund. Es war eine kurze und schüchterne Berührung, aber für einen kleinen Moment spürte sie seinen sanften Atem und seine warmen Lippen. Und plötzlich war alle Anspannung von ihr abgefallen und neben tausenden kleinen Schmetterlingsflügeln, die in ihrem Bauch schlugen, fühlte sie sich vor allem erleichtert.
    "Ich hoffe, damit vergisst du mich nicht, wenn ich weg bin.", sagte sie nun leise. "Also hoffentlich bleibe ich die einzige, die sich so von dir verabschiedet, sonst hat das natürlich sein Ziel verfehlt.", fügte sie verlegen lachend hinzu, um einfach irgendetwas zu sagen, das nicht so ernst und nach Trennungsschmerz klang.
    Aber eigentlich war jetzt gar nicht mehr so wichtig, was Sheng eigentlich dachte. Natürlich wollte sie, dass er sie vermisste und dies irgendetwas bedeutete. Aber das Wichtigste war, dass sie alles getan hatte, worauf sie in dieser Nacht Einfluss haben konnte. Sie würde auf diese Reise nicht mit einem Gefühl gehen, etwas unerledigt gelassen zu haben. Sie würde nicht halbherzig kämpfen, weil sie wusste, dass sie nichts bereuen musste. Und sie würde nicht sterben, ohne zu wissen, wie sich ein Kuss anfühlte, der einem den Boden unter den Füßen wegzureißen drohte.
    Es konnte losgehen.

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •