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Gebannt!
Alice hatte kaum ihren dünnen Arm durch das zerborstene Loch im Aufzug gerammt, da knackste Letzterer auch schon verdächtig. Sie tastete nicht lange herum sondern griff mit aller Kraft nach dem Erstbesten, das sie fand - etwas Weiches.
SCHEISSE!
Angeekelt zog sie ihren Arm heraus, mehr im Affekt als gewollt, doch den Aufzug interessierte das nicht; weitere, nur allzu ungute Laute und gut ein halber Meter Rutschweg folgte, es konnten sich nur noch um Sekundenbruchteile handeln, da er wie eine Bombe ins Erdgeschoss knallen würde. Alice überwand sich und zog das Weiche etwas, welches als einziges in ihrer Reichweite war, heraus - ein Käse mit zwei Messern darin. Kein Körperteil. Nur ein Käse.
Erleichtert atmete das blauhaarige Mädchen auf, doch zum Entspannen blieb keine Zeit; den Käse musste sie hierlassen, damit würde sie niemals wieder nach oben kommen. Aber dann blieben nur noch...
Z... zwei Messer?! Ich soll den ganzen Weg hier runtergekraxelt sein für... zwei triviale Küchenmesser?!
So sehr sie auch einen Absturz fürchtete, das wollte Alice nicht akzeptieren. Sie musste noch etwas Nützlicheres herausholen, koste es, was es wolle! Gerade wollte sie ihren Arm noch einmal hindurchstecken, als ihr verlagertes Körpergewicht dem Aufzug endgültig den Todesstoß gab und er ohne Vorwarnung abstürzte.
Panisch kreischte Alice, hockte sie doch noch immer darauf, aber sich selbst überraschend schaffte ihr Körper es von alleine, sich wieder zwischen den Wänden zu verhaken. Die beiden Messer, welche sie aus dem Käse gezogen hatte, klemmten zwischen ihren Zähnen.
"Fhh... fhh... fhh..."
War besser, dass ihr Mund blockiert war. Von den Flüchen, die sie gerade herausbrüllen wollte, wären ihr die Ohren auch noch wund geworden. Sie war viel zu gut erzogen, um auch nur ansatzweise das zu denken, was man jetzt meinen müsste. Frustriert machte sie sich auf den Rückweg, welcher sich überraschenderweise einfacher gestaltete als zuvor. Es war kein Zuckerschlecken, zwei Messer zwischen den Zähnen zu fixieren, während man nach oben kletterte, aber offenbar hatte sie Glück. Oder Ausdauer. Vielleicht beides. Jedenfalls war Alice selten so glücklich, einen zerstörten Balkon vor sich zu haben, wie als sie aus dem Schacht stürzte und schwer keuchend auf die Knie fiel.
Ihre Beine fühlten sich wie Sahnepudding an und ihre Finger brannten wie Hölle, aber immerhin hatte sie etwas erreicht.
"Zwei... Messér... zwei... verdammté... Messér..."
Nachdem sie sich einige Minuten gefasst hatte, sah Alice sich um, wie die Situation sich verändert hatte. Immer noch waren die Umstehenden am werkeln und intervenieren, sie meinte, eine Mädchenstimme durch die tosende Laustärke zu hören, doch war das Alice im Moment egal; sie suchte nur ein Gesicht, und fand es vor einer verschlossenen Tür: Prudence.
Behelflich nahm sie ihre Beute und trottete zu der quasi Toten hinüber. So, wie Alice keuchte, war es kein Wunder, dass Prudence' Aufmerksamkeit auf sie fiel. Es war ein seltsames Bild; noch einen Tag zuvor hatte sie ihr Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen und jetzt stand sie vor ihr, starrte zu Boden wie ein betröppeltes Kind, das schlechte Noten nach Hause gebracht hatte. Alice hatte die Frau einmal erlebt, sie konnte sich ausmalen, welche Art Reaktion sie jetzt bekommen würde. Zitternd hielt sie der inoffizielen Zombieangehörigen die beiden Messer entgegen, vermied es aber noch immer, die Augen vom Boden zu nehmen.
"I-isch...", Alice hatte das zwingende Bedürfnis, sich selbst ins Gesicht zu spucken. Da stand sie nun und stotterte, die große Rebellin, "Isch 'abe versúcht... mehr raussubekommén... aber es ging níscht... der Schachd ísd abgestüürzt..."
Das blauhaarige Mädchen stand bedröppelt vor Prudence, der die beiden Messer entgegen gehalten wurden.
"Ist dir etwas passiert? Alles in Ordung? Keine Verletzung?"
Granny schnappte sich den Arm von Alice, deren Arm mit Kratzern übersäht war. Die kleine Heldin schaute verwirrt, als die alte Dame sanft wie eine liebende Oma über den Arm strich und offenbar prüfte, ob sie irgendwo größeren Blutverlust erlitten hatte. Granny klopfte ihr sanft auf die Schulter und schenkte ihr ein Lächeln, ein wirklich seltenes Lächeln.
"Gut gemacht, Mädchen."
Und was war jetzt mit den Messern?
"Ich denke, es wäre gut, wenn jemand die Messer bekommt, der auch damit umgehen kann. Dieser deutsche Student da vorne sieht aber auch echt kräftig aus. Vielleicht solltest du dich an ihn wenden."
Wenn Alice gerade nicht gewusst hatte, was sie sagen sollte, war sie jetzt vollkommen ratlos. Sie hatte mit Gezeter, mit verbalen Zusammenstauchungen, ganzen Giftmeeren gerechnet, aber damit nun nicht gerade. Vielleicht, ganz, ganz vielleicht täuschte der erste Eindruck auch in diesem Fall und die Granny war mehr als nur eine vor Jahrhunderten vom Tod vergessene Spinnenhexe.
Auf ihren Vorschlag hin, was mit den Messern zu tun war, nickte Alice nur wie in Trance und schlurfte dann zu dem Soldaten herüber, der, wie sie aus Wortfetzen mitbekommen hatte, Fritz hieß.
"'éy...", sie packte ihn an der Schulter, so dass er sich ihr zuwandte. Der deutsche Soldat war gut einen Kopf größer als die Französin, "isch... ähm... ísch 'abe swei Messér aus dém Schacht gebórgen... die Alté da drüüben sagt, dú könntést es gebrauchén. Híer, nímm."
Unsanft steckte Alice ihm(Fritz) das Messer zu, woraufhin sie sich wortlos abwandte.
Gerade wollte sie nachdenken, was mit dem Zweiten zu tun war, als ihr das arme Schwein auffiel, welches diese Bastarde von Soldaten mit sich geführt hatten. Der Indonese stand nicht weniger schwer keuchend als sie selbst vor Minuten an der Brüstung, blickte mit gehetztem Blick entgeistert umher. Mit deutlichwohlerem Gefühl und federendem Schritt als bei dem Soldaten ging Alice auf den Gefangenen zu, tippte ihm leicht auf die Schulter, so dass auch er sie, zuerst wie einen der Untoten, beäugte. Allerdings schien er gerade kein Mann der Worte zu sein. Ein mitfühlendes Lächelnzog sich über Alice' blasse Lippen. oder vielleicht war es auch eine Art Beschützerinstinkt, schließlich war dieser Kerl ein offensichtlich mehr als unrecht behandelter Boxsack der Soldatenhunde gewesen.
"'éy... nímm das 'iér, ja?"
Wie selbstverständlich drückte sie Suparmann das Messer in die Hand, bevor sie ihm den Rücken zukehrte, allerdings noch einmal nach wie vor lächelnd seinen fragenden Blick suchte.
"Wenn dír nochmal Abschaúm dúmm kommt... egál, ob menschlísch oder níscht... stích ihn damít ab!"
Erschöpfter, als in den letzten drei Monaten zusammen, klappte Alice in
"ihrer Ecke" zusammen, sank langsam an der Wand zu Boden und genoss die Verschnaufpause. Sie war der Meinung, sie hätte sie sich zumindest geringfügig verdient. Obgleich die Situation beinahe schlimmer nicht sein könnte, grinste das Mädchen.
"Ísch abé was 'ínbekommén... ohne 'ilfé."
Alice war sich selbst nicht ganz sicher, mit wem sie sprach. Entkräftet zündete sie sich eine Zigarette an und kramte sowohl Zeichenblock als auch Bleistift heraus, um aktuelle Gedanken und Impressionen zu verarbeiten.
Das hatte sie sich jetzt verdient.
Geändert von Holo (19.08.2013 um 01:56 Uhr)
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