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Thema: Schwarz

  1. #1

    Schwarz

    Schwarz. Schwarz ist der hinterste Winkel meiner Seele. Jener, welchen ich vor euch verberge, vor euch und vor allen, tagein, tagaus. Ich lebe ein gewöhnliches Leben - doch ich zittere, ich zittere vor ihm und was er zu Tage zu fördern vermag. Vor der Grausamkeit, der Gier, der dunklen Lust, der Gleichgültigkeit und Ignoranz. Vor dem was lauert in der Tiefe, zurück- aber nicht aufgehalten, allzeit bereit, allzeit wachsam. Mitnichten spreche ich von einem Persönlichkeitszustand, welcher sich in einen anderen zu verwandeln vermag. Ich spreche von jenem schwarzen Fleck, welcher immer zugegen ist und welcher durch äußere Umstände, nenne sie Zufall oder Schicksal, die Dunkelheit entfesselt. Jene Dunkelheit, welche für tausendfaches Leid verantwortlich ist. Für Vergewaltigung und Völkermord. Ein Text ist ein Text ist ein Text. Doch wende den Blick nicht ab, leugne nicht! Denn auch du hast ES, das schwarze Geschwür! Du hast ES, verehrter Leser, der du in Sicherheit dich wägst, distanziert von oben herabblickend auf das Geschriebene. Auch in deinen Eingeweiden schlummert die Bestie einen leichten Schlaf. Wehe uns, wenn SIE erwacht!

  2. #2
    Die Rolle des Textes als Aufklärer, dass der Leser auch seelische Abgründe hat, finde ich etwas anmaßend. So ließt sich das arg populistisch und das Bild, dass du errichtest, das einer Bestie, die in jedem von uns wohnt, wird dem Thema meiner Empfindung nach nicht gerecht. Negativität ist kein autonomerer Teil des Ichs als das Bedürfnis nach guten, moralischen Grundlagen zu handeln. Im Gegenteil, meine dunkle Seite ist eng mit meinen besten Charaktereigenschaften verzahnt. Sich ihr bewusst zu sein ist gut. Ihre nicht archaischen Auswüchse erklären zu können ist jedoch der weitaus wichtige Part.

    Noch zur Form und zum Stil. Die Länge ist ideal für das, was es ist. Ausdruckstechnisch finde ich den Text stellenweise holprig. Sätze wie:
    Zitat Zitat
    Vor dem was lauert in der Tiefe
    Zitat Zitat
    der du in Sicherheit dich wägst
    Klingen eher nach typischer Gedicht- Grammatik und fügen sich nicht gut ein. Auffällig finde ich auch die doppelte Benutzung von "vermag" als Satzende, was auf mich den Eindruck macht, als sollte der Stil mit aller Macht veraltet klingen/einen leicht biblischen Unterton haben.

    Ich bin also weniger angetan, auch wenn ich es nicht per se uninteressant finde den Leser direkt anzusprechen.

    Geändert von Owly (30.01.2012 um 22:12 Uhr) Grund: Rechtschreibfehler

  3. #3
    Mich reißt es auch nicht mit, aber aus einem ganz anderen Grund: Du redest so, als würdest du den Leser mit einer total tabuisierten Wahrheit konfrontieren wollen, aber ich bin mir fast sicher, dass 90% der Leser nach den ersten drei Zeilen schon total nachempfunden haben, was du sagen willst - und dann am Ende nur verständnislos die Augenbraue heben in Anbetracht der völlig überzogenen Dramatik.
    Ist ein bisschen wie "HA! Der Himmel ist blau, und wenn ihr es noch so wenig akzeptieren wollt - er IST BLAU! MUHAHAHA!!"
    Könnte also wahlweise etwas weniger reißerisch am Ende sein, oder noch besser etwas drastischer im Teil davor, etwa durch explizite, detailierte Beispiele, die wirklich in den Tabubereich gehen und nicht nur durch langweilige standardisierte Worte wie Vergewaltigung und Völkermord angedeutet werden.

    Schreibtechnisch gefällt es mir aber sehr gut. Was Owly beschreibt, finde ich nur deshalb etwas fragwürdig, weil es eben das Dramatische unterstreicht, das ich wie gesagt noch nicht im Text sehe (also mehr ein inhaltliches Problem).

  4. #4
    Hey, danke für die Antworten!

    Ihr habt das Thema leider falsch verstanden. Vielleicht habe ich das im Text auch nicht klar genug gemacht. Es geht eben nicht um eine dunkle Seite am Menschen, welche ihn dazu bringt hin und wieder unmoralisch zu handeln. Sondern um den Teil des Menschen, der meiner Meinung nach in jedem existiert und durch welchen er über äußere Einflüsse (wie bspw. ein totalitäres System) im alltäglichen Leben durchweg (nach unseren heutigen Maßstäben) unmoralisch handelt ohne sich einer Schuld bewusst zu sein bzw. diese zu verdrängen. Konkret habe ich bspw. an die Bilder von fröhlichen Aufseherfeiern in KZs gedacht.

    Soviel zum Inhalt. Dieser war zunächst auch gar nicht geplant gewesen, es ging zunächst um das Experiment, einen Text zu schreiben in welchen der Leser direkt adressiert wird und der in der Grundform auch ein Dialog war. Das Ganze sollte weit weniger theatralisch und mit einer weniger ernsten Thematik übermittelt werden. Dann hat es aber an Ecken und Enden so weit nicht mehr gepasst, bis das herausgekommen ist, was herausgekommen ist

  5. #5
    Der Inhalt war mir absolut klar, ändert aber nichts an der Kritik. Wie kommst du darauf, dass wir was falsch verstanden hätten?

  6. #6
    Zitat Zitat
    Negativität ist kein autonomerer Teil des Ichs als das Bedürfnis nach guten, moralischen Grundlagen zu handeln. Im Gegenteil, meine dunkle Seite ist eng mit meinen besten Charaktereigenschaften verzahnt.
    Na ja, das klang eben nach der Alltagsbestie,welche ich nicht meine.

    Bei dir steht es direkt nicht drin, vielleicht hatte ich da auch einen falschen Eindruck. Was mich dann aber überrascht, dass mir die Thematik noch nicht all zu lang und schon gar nicht absolut klar ist.

    Na whatever. Als nächstes gibt's wieder was lustiges oder so.

  7. #7
    Ich habe es auch so verstanden, dass du vom vollen Potenzial sprichst. Nur sehe ich in der Ursache keinen großen Unterschied zwischen Mord und Vergewaltigung, und das man mal jemanden anraunzt, was einsteckt oder in eine Schlägerei verwickelt wird. Das wird für den empfindsamen Menschen alles höchstens in Ausnahmesituationen Realität, mit dem Gewissen vereinbar und kann gut mit der gesamten Persönlichkeitsstruktur erklärt werden.

    Und nicht, dass dich unser Feedback von ernsten Themen abbringt. ^^

  8. #8
    Naaa, brich doch nicht gleich ab. ^^

    Ich finde das Thema nicht nur interessant, sondern rein von der Idee her auch gut umgesetzt. Die Frage ist nur: Mit welcher Strategie willst du den Leser erreichen (denn, das behaupte ich jetzt einfach mal, darum geht es ja)? Willst du das ganze (a) auf einem rein intellektuellen Level behandeln? Dafür mag der Text "reichen", allerdings finde ich ihn dann zu persönlich, auch schon von der Perspektive her. Willst du den Leser dagegen emotional berühren (b), braucht der Text meiner Meinung nach mehr Berührungspunkte, im wahrsten Sinne des Wortes, mehr individuelle Anteilnahme. Sonst ist es halt nur ein Text, um mal diese Phrase zu benutzen.

    Um mal dein Beispiel aufzugreifen: eine ganz typische, klischeehafte Herangehensweise wäre es, den Leser zu erwischen. Etwa, indem man eine fröhliche Party beschreibt, in der man sich uneingeschränkt wohl fühlt, mit Figuren, deren Handlungen man nachvollziehen und mit denen man lachen kann. Und dann kommt das KZ als Setting dazu und setzt das Ganze in einen Kontext. Der Leser würde sich wohl tendenziell auf die Füße getreten fühlen und zumindest darüber nachdenken, ob das tatsächlich "Leute wie er" sein können (~persönliche Anteilnahme).
    Aber das ist nur die klischeehafteste Option. In deinem Text etwa habe ich fast schon auf eine Szene gewartet, in der du einfach eine Alltagssituation beschreibst, wie sie jeder kennt, in der genau das klar wird - und in der du dann den Zusammenhang zu Völkermord und Co ziehst. Etwa, wenn man an der Bushaltestelle steht, eine Frau weinen sieht, aber nicht nachfragt, weil sie nicht irgendwie todtraurig aussieht und man es wegen einer wichtigen Klausur eilig hat - halt so eine total nachvollziehbare, vernünftige Situation, an der wirklich nichts auszusetzen ist. In der aber die gleichen Mechanismen zum Tragen kommen wie in einer Extremsituation.


    Off Topic:
    Ich finde übrigens, die beiden "Verständnisse" von einem "dunklen Fleck" in der Seele sind nicht soo unterschiedlich. Ob das "Monster ausbricht" oder ob es subtil zu verwerflichen Handlungsweisen im Rahmen einer Gesellschaft führt, kommt im Großen und Ganzen oftmals auf dasselbe hinaus (weshalb es auch so scheinbar einfach ist, es zu verwechseln!). Das Problematische daran ist doch eher dieses darauf Herabschauende, was du am Ende des Textes auch angesprochen hast - die Frage, inwiefern man selbst über gewissen Dingen steht und "besser" als andere ist.

  9. #9
    Zitat Zitat
    Ich finde übrigens, die beiden "Verständnisse" von einem "dunklen Fleck" in der Seele sind nicht soo unterschiedlich. Ob das "Monster ausbricht" oder ob es subtil zu verwerflichen Handlungsweisen im Rahmen einer Gesellschaft führt, kommt im Großen und Ganzen oftmals auf dasselbe hinaus
    Finde ich nicht. Ich lehne beispielsweise Rassismus vollständig ab und kann die Ideologie weder emotional noch logisch in irgendeiner Form nachvollziehen. Trotzdem glaube ich, dass ich, in einem entsprechenden gesellschaftlichen System aufgewachsen, wahrscheinlich Anhänger entsprechender Ideologien geworden wäre.

    Übrigens finde ich dein Beispiel mit der Party nicht all zu klischeehaft...ich kann mich jedenfalls nicht erinnern die Thematik so oder so ähnlich schon mal verarbeitet gesehen zu haben.

    Danke aber für die Tipps! Bei mir ist nur das Problem, dass ich an den Text eben nicht thematisch, sondern strukturell herangegangen bin. Hier war das Thema zunächst nur Mittel zum Zweck um eine direkte Anrede des Lesers einbauen zu können.

    Owly: Na es geht aber eben nicht um Ausnahmen von Alltagssituationen in Form von Verbrechen, sondern darum, dass Verbrechen unter anderen Rahmenbedingungen zur Norm werden können und sich der normalerweise aufgeklärte Mensch daran nicht einmal stört.


    Generell glaube ich aber, dass ernste Themen nicht mein Gebiet sind. Die ungewöhnliche Betrachtung von Trivialem gibt mir mehr.

  10. #10
    Zitat Zitat
    Übrigens finde ich dein Beispiel mit der Party nicht all zu klischeehaft...ich kann mich jedenfalls nicht erinnern die Thematik so oder so ähnlich schon mal verarbeitet gesehen zu haben.
    Na, ich meinte mehr diese Herangehensweise, den Leser erst sicher zu wiegen und ihm dann ins Gesicht zu treten. Das im Speziellen ist imho jetzt nicht sonderlich klischeehaft, mir fällt nur dieses Bild hier ein (xD).

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