Isabella blickte nachdenklich auf den leblosen Körper der dort auf der Erde lag. Nach allen Beteuerungen doch noch alleingelassen. Sie fragte sich ob ihr wirklich noch Freunde zur Seite standen... Da blitzte ein blauer Haarschopf hinter einem der Häuser auf. "Avery?", flüsterte sie leise.

Der Junge erschrak als er ihrer gewahr wurde und richtete den Speer auf sie. „Ich kann sie hier nicht einfach so liegen lassen. Ihr versteht das wahrscheinlich nicht, aber ich muss noch etwas für sie tun. „ Er holte zwei Decken aus einem Beutel, den er mit sich getragen hatte und wickelte den toten Körper darin ein. Isabella näherte sich vorsichtig dem Jungen der den Speer umklammert hielt als hinge sein Leben davon ab.

„Ich verstehe es und würde dir gerne dabei helfen. Weißt du ich denke sie war eine Gefangene dieser Krankheit doch ihre Seele hat die Taten letztlich bereut und somit wird sie Buße tun können und zuletzt doch noch frei sein. Frei von diesem Körper der solch eine grausame Krankheit in der Brust trug. Wir sollten ihn verbrennen, damit er weder ihr noch uns eine Last ist und damit wir uns an sie erinnern können wie sie wirklich war. Meinst du nicht?“

Der Junge nickte und blickte in den Wald. „Wir werden einen abgelegenen Platz suchen müssen, nicht?“ „Ja, einen Platz den man vom Dorf aus nicht sieht.“ Sie dachte an die Hütte des Holzfällers – er hatte wahrscheinlich genug Holz gelagert um die Leiche restlos verbrennen zu können. Sie hoffte das der Priester sie nicht vom Kirchturm aus sehen würde, aber sie würden es versuchen. „Los geht’s, Avery“, flüsterte sie und grade als sie anheben wollte hörte sie schwere Stiefel, mit einem vertrauten Knarzen bei jedem zweiten Schritt, näherkommen und ein ruhiges „Lasst mich das nur machen.“, das ihr Schauer über den Rücken jagte.

Godfrey blickte sie mit einem unergründlichen Blick an und nahm dann den anscheinend federleichten Körper in die Arme und trug sie in den Wald. Avery und Isabella folgten ihm ins Dickicht. Seine Schritte führten die drei zum Haus des Holzfällers, dort schichteten sie stumm einen massiven Holzstoß auf und verbrannten alles was vom Fluch der Bäckerin hätte erzählen können.

Übrig blieb nur Asche und natürlich der Speer den Avery fest umklammert hielt. Auf der Asche lag das verkokelte Holzkreuz von Godfrey das mit den Jahren hart wie Stein geworden war.

Isabella erinnerte sich an die Stimme der Bäckerin, die sie auf dem Friedhof gehört hatte – und sie sang das Schlaflied, das von der Trauer und der Einsamkeit der Bäckerin erzählte. Sie fügte ans Ende aber noch eine Strophe hinzu, die einfach so aus ihr heraus strömte – genauso wie ein paar Tränen, die sie nun endlich vergießen konnte ohne missverstanden zu werden.

Der Mond geht auf, der Abendwind weht.
Weiß man woher er kommt, wohin er geht?
Dunkel verborgen mein Weg vor mir liegt,
Niemand ist da, der die Ängste besiegt.
Blinde so geh ich und gehe allein.
Keiner kann mir ein Gefährte hier sein.

Doch streift mich hier ein helles Licht
Es ist Freiheit die mein Herz mir verspricht.
Wenn einige Stimmen sich mit mir vereinen
wie kann ich da noch länger weinen?
Sie erzählen von Liebe, von Wahrheit und Mut
Ich weiß nun am Ende wird doch alles gut.


Isabella blickte zum Himmel auf und die Tränen rannen ihre Wangen hinab im glänzenden Schein des Mondes, der fast voll über ihnen aufging. „Lilith Löwenstein... Möge deine Seele ihren Weg in den Himmel finden. Denn du hast wahrhaftig einen Weg gezeigt der den Verzweifeltsten unter uns Trost gab. Du warst ein Licht, für diese Zeit die wir hier waren und ohne dich wird hier im Dorf wahrhaftig alles anders werden.“

Zuletzt füllten sie die Asche in ein kleines Kästchen, Godfrey legte sorgsam das Amulett obenauf und streifte es mit seinen Fingerspitzen wie um zu sagen „hier gehörst du hin“ und Avery versprach sie heute Nacht noch auf dem Friedhof neben ihrem Onkel zu bestatten damit ihre reine Seele Frieden in dem geweihtem Boden finden könnte. Der Junge nickte ihnen noch einmal kurz zu und verschwandt dann rasch in Richtung Kirche.

Es hatte sich richtig angefühlt was sie getan hatten. Auch wenn sie sich nicht sicher war ob es das richtige gewesen was. „Godfrey, ich glaube ich werde alt. Weich auf jeden Fall. Seht ihr das?“, sie zeigte mit ihrem Finger auf die Tränen die immer noch auf ihren Wangen hinunter liefen, „Niemals hat mich ein fremdes Schicksal so bewegt. Ich habe nur an mich gedacht, an meine Mission, daran alles wirklich Böse auszulöschen. Doch es gibt nichts was wirklich böse ist. Ausser vielleicht das Bier, das Lester uns hinterlassen hat und das böse zu beißen weiß.“

Sie lachte nervös, nahm ihren zerlumpten Hut ab und zerknüllte ihn zwischen ihren Händen während sie sich humpelnd näherte. Der Jäger erschien ihr in dieser Nacht noch größer, bedrohlicher und gleichzeitig auch noch anziehender als je zuvor. Er blickte sie an, das konnte sie spüren, doch im Dunkel der Nacht war sein Gesicht zur Hälfte im Schatten verborgen. Sie konnte nur die groben, kantigen, männlichen Gesichtszüge des Kriegers ausmachen. Und ein Zucken das seine Lippen umspielte. Was er wohl gerade dachte?

Danke, Godfrey, das ihr euch die Zeit genommen habt. Ich denke wir sollten jetzt auch wieder zurück. Meint ihr nicht?“ Mit jedem ihrer Worte hatte sie sich einen Schritt genähert und stand ihm jetzt direkt gegenüber.

Er nahm den Handschuh an der rechten Hand ab und wischte ihr vorsichtig und wie es schien endlos langsam die Tränen von beiden Augen fort. "Es gibt keinen Grund mehr traurig zu sein, Isa. Sie ist nun an einem Ort wo sie Gnade erfahren wird und natürlich wird sie für uns immer das bleiben was sie in ihrem Herzen war und mit ganzer Seele gelebt hat. Ein Mensch. Und diese Menschlichkeit, all diese Schwäche, macht uns erst wirklich zu dem was wir sind."

Sie versuchte seinen Blick zu ergründen und kniff die Augen im Zwielicht zusammen um mehr zu sehen; ihr Gesicht näherte sich immer mehr dem seinen und sie hörte ein kurzes Schlucken, das zittern seines Kehlkopfes und spürte seinen warmen Atem im Gesicht.

"Du bist weder alt noch ist dein Herz verweichlicht. Du bist Jäger und warst es schon immer. Die Zeit macht einen zu dem was man ist, das weißt du ebenso wie ich. Sie gibt uns Kraft und nimmt sie uns wieder. Und sie nimmt uns die, die uns Nahe sind... und doch schenkt sie uns doch auch wieder jene die wir Lieben dürfen. Wenn wir es wollen."
Isabella überkam wieder eine tiefe Trauer - die Trauer ihre Gefühle nicht schon viel früher mit ihren Gefährten geteilt zu haben.

Dann verschwanden die grauen Wolken und der Mond tauchte den Wald in einen verwunschenen Glanz und sein Blick der auf ihr lag war weich und wärmte ihre Seele ebenso wie ihren geschundenen Körper – genauso wie der Kuss der daraufhin folgte.

Die Welt war still in diesem Moment als in dem weißen Licht alles Grau erschien – es gab kein hell oder dunkel. Es gab kein richtig oder falsch. Es gab kein gut oder böse. Nicht heute Nacht.