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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Sind Religionen Ideologien?



Pik
02.06.2004, 04:04
Wir haben vor einer Weile in Ethik (*hust* :D) Ideologien einmal kurz drangenommen. Dabei kam die Frage auf, ob Religionen ebenfalls Ideologien sind. Unserem Lehrer war das aber "zu heiß" und so kam es nicht zu einer Diskussion :rolleyes:.

Der Begriff "Ideologie" wurde durch folgende Punkte im Unterricht charakterisiert:


Gedankengebäude (Grundeinstellung, Weltanschauung)
Wirklichkeitserklärend/ -rechtfertigend
Wahrheitsanspruch erhebend
nicht bewiesen, sondern geglaubt
verfolgt bestimmten Zweck (Erreichung pol. oder wirtsch. Ziele)


Ich wollte noch in einem Lexikon nachsehen, hab aber gerade keins zur Hand (ok, ich bin im Internet, aber ich hab jetzt keine Lust zu suchen).

Nun ja, ich bin mir bewusst, daß nicht alle Religionen gleich sind, aber ich fang mal mit dem Christentum an (soweit ich darüber was weiß).

Der erste Punkt trifft zu. Wenn man das Christentum als Religion begleitet (?) glaubt man an Gott, Jesus, Maria, etc. wobei ich nicht so sehr den Unterschied zwischen Kathilizismus und Evangelismus kenn. Das ist aber meiner Meinung nach nicht wirklich relevant.
Der zweite Punkt trifft ebenfalls zu. Es wird versucht DInge der Welt bzw, die Welt selbst zu erklären (z.B. die Erschaffung der Welt).
Der dritte Punkt trifft auch zu. Sonst würde nicht versucht werden andere Personen davon zu überzeugen.
Zum vierten Punkt muß ich glaube ich nichts sagen.
Beim fünften Punkt bin ich mir nicht sicher. Früher war es sicherlich der Fall, daß die christliche Kirche Ziele verfolgte ( z.B. Ausweitung der Macht durch Missionierung), aber mir fällt nichts ein, was die Kirche heute für große Ziele hätte.

Nunja, aufgrund der oben genannten Punkte denke ich schon, daß ,am den christlichen Glauben als Ideologie bezeichnen kann oder eher gesagt für mich ist er eine Ideologie.


Wie denkt ihr darübe?
Außerdem bitte ich euch, wenn ihr andere Relifionen näher kennt, sie unter diesen o.g. Punkten zu sehen und sie auch zu posten ;).

Korei
02.06.2004, 04:46
Gedankengebäude (Grundeinstellung, Weltanschauung)

Wirklichkeitserklärend/ -rechtfertigend

Wahrheitsanspruch erhebend

nicht bewiesen, sondern geglaubt

verfolgt bestimmten Zweck (Erreichung pol. oder wirtsch. Ziele)


Schon alleine aus diesen Merkmalen geht für mich heraus das Religionen Ideologien sind.

Sie behaubten von sich wahr zu sein und sind ein Gedankengebäude .
Man kann sie nicht wirklich beweisen und wenn nur zum Teil.
Und für micht hat die Kirche einen sozialen Zweck (Miteinander ,...) auch wenn das im Mittelalter vielleicht ander gehandhabt wurde

Darnoc
02.06.2004, 04:58
Nun, das ist einmal eine interessante Diskussion. Was ich dazu denke? Ich denke eher gerade umgekehrt: Ideologien sind Religionen. Dies denke ich so, weil Religionen wie gesagt den letzten Punkt nicht erfüllen. Um noch einmal das Christentum zu nennen, dieses wurde nie gegründet um ein politisches oder wirtschaftliches Ziel zu erreichen (obwohl es dazu gebraucht wurde). Das ursprüngliche (und sicher bis heute auch) Ziel des Christentums ist die "Erlösung" der Menschheit von Sünde, damit sie zu Gott kommen kann.

Da haben wir auch gleich den Unterschied zwischen Glauben und Religion. Glaube ist wohl selbsterklärend. Wenn ich glaube, dass ich wegen dem Tod Jesus am Kreuz befreit von meiner Sünde bin, so kann ich mich als "gläubiger Christ" bezeichnen. Wenn ich an die Lehren Buddhas glaube, so kann ich mich ein "gläubiger Buddhist" nennen. Religion ist aber mehr. Religion ist Methode. Ich kann einen Glauben haben, doch muss ich noch lange nicht Mitglied einer Religion sein oder die Regeln und Methoden jener Religion befolgen. Ein Beispiel gefällig (nehmen wir das hoffentlich allerseits bekannte Christentum). Ich kann an die Lehren der Bibel glauben, doch muss ich nicht die Rituale der Kirche befolgen. Praktisch heisst dies, ich bin zwar ein "gläubiger Christ" doch kein Mitglied der christlichen Religion, weil ich eigentlich keiner christlichen Kirche angehöre und auch nicht die Rituale einer der Kirchen befolge. Natürlich kann ich sagen, dass ich meiner eigenen Auslegung der christlichen Religion folge und so bin ich doch wieder Anhänger einer Religion. Doch ihr versteht wohl, was ich meine.

Nun, wie definiere ich eine Religion? Folgendermassen:

- Eine Religion hat ein Ziel (oftmals die Errettung des Menschen)
- Um dieses Ziel zu erreichen werden gewisse Methoden angewandt (Regeln einhalten, Rituale befolgen etc.)
- Eine Religion ist dazu da, um gewisse (oftmals unerklärbare) Dinge zu erklären
- Eine Religion ist nicht beweisbar, sie muss geglaubt werden und beinhaltet deshalb ein Glaube
- Eine Religion behauptet von sich, wahr zu sein (jedenfalls in den meisten Fällen; oftmals wird auch behauptet "die einzige Wahrheit" zu sein)

Ideologien erfüllen alle obigen Punkte. Ideologien sind schlussendlich nur eine spezielle Untergruppe der Religionen. Um noch einmal die Eigenschaften einer Ideologie zu erwähnen:

- Eine Ideologie hat ein Ziel (z. Bsp. Erschaffung eines utopischen Paradieses, wie dies der Kommunismus will)
- Dazu muss man gewisse Methoden anwenden (z. Bsp. Revolution des Proletariats, darauf folgende Diktatur des Proletariats und Übergang zum Kommunismus, der klassenlosen Gesellschaft)
- Eine Ideologie erklärt gewisse Dinge (z. Bsp. wieso der Kapitalismus schlecht ist und schlussendlich zusammenkrachen wird)
- Man muss gewisse Dinge glauben, da sie unbeweisbar sind (Z. Bsp. Dass die Mächtigen ihre Macht wieder abgeben, sobald sie sie einmal haben und dann eben genannte klassenlose Gesellschaft entstehen kann)
- Eine Ideologie behauptet von sich selbst, wahr zu sein

Ideologien sind eine spezielle Untergruppe der Religionen in dem Sinne, dass sie eine zusätzliche Eigenschaft aufweisen: Die Erfüllung eines politischen oder wirtschaftlichen Ziels. Man könnte also Ideologien auch als "pragmatische Religionen" bezeichnen, weil sie sich ihre Ziele auf etwas irdisches beschränken, währenddem die Ziele einer gewöhnlichen Religion eher mystischer Natur sind (Erreichung des Himmels, des Nirvanas etc. etc.).

Als Anmerkung: Atheismus ist keine Religion sondern ein Glaube. Nämlich der Glaube, dass nichts übernatürliches existiert(wie z. Bsp. eben Gott, deshalb ja auch der Name "Atheismus"). Atheismus ist keine Religion, weil er bloss einen Punkt erfüllt, nämlich dass man etwas glaubt, dass unbeweisbar ist (die Nichtexistenz des Übernatürlichen). Atheismus besitzt weder Methoden noch Ziele. Deshalb ist Atheismus ein reiner Glaube. Gleiches gilt für Theismus, Deismus, Pantheismus, Darwinismus und ähnliches.

Pyrus
02.06.2004, 06:41
Ganz kurz mein Senf:

Ideologie ist rein intellektuell, Religion ist ausserdem noch Gefühl und Spiritualität.

Religion und Ideologie sind somit nicht identisch. Eine Ideologie kann ein Teil einer Religion sein, doch lässt sich die Religion nicht auf ihre Ideologie beschränken und eine Ideologie macht noch keine Religion aus.

Lysandros
02.06.2004, 14:29
Aber wie Darnoc schon eingehens erläutert hat, kann man jede Religion durch Hinzufügen eines einzigen Punktes, nämlich einem politischen und wirtschaftlichen Ziel, für eine Ideologie missbrauchen; und dies wurde und wird immer wieder gemacht, wie die Geschichte es und andere machthungrige Menschen es beweisen. Besonders solche, die sich auf einen Text berufen, sind der verschiedenen Interpretationen dessen unterworfen und so wird man sicherlich für eine Richtlinie auch eine gegenteilige finden.

Pyrus
02.06.2004, 15:39
Original geschrieben von Lysandros
Aber wie Darnoc schon eingehens erläutert hat, kann man jede Religion durch Hinzufügen eines einzigen Punktes, nämlich einem politischen und wirtschaftlichen Ziel, für eine Ideologie missbrauchen; und dies wurde und wird immer wieder gemacht, wie die Geschichte es und andere machthungrige Menschen es beweisen. Besonders solche, die sich auf einen Text berufen, sind der verschiedenen Interpretationen dessen unterworfen und so wird man sicherlich für eine Richtlinie auch eine gegenteilige finden.
Dann wird aber nicht die Religion als Ganzes, sondern nur ihr intellektuell fassbarer Inhalt missbraucht. Wenn Religion zur reinen Ideologie reduziert wird, ist sie keine Religion mehr.

Darnoc
02.06.2004, 22:43
Ihr habt mich wohl ein wenig falsch verstanden. Ich habe das ganze mithilfe "griechischer Logik" ausgelegt, indem ich die Begriffe zerlegte und in Kategorien teilte (ähnlich wie dies bei Lebewesen in der Biologie geschieht).

Um das einmal zu veranschaulichen:

Zuoberst haben wir "Glaube".

Da gibt es Untergruppen, zwei davon sind der "reine Glaube" (Atheismus, Theismus etc.) und die Religion.

Die Religion gliedert sich wieder in mehrere Gruppen. Eine davon ist die Gruppe "mystische Religionen" (östliche Religionen, viele Stammesglauben), dann gibt es die Gruppe der "ethischen Religionen" (Christentum, Islam, Judentum und ähnliche) sowie die Gruppe der "pragmatischen Religionen" (alle Ideologien sowie ein paar wenige Religionen und Philosophien). Natürlich gibt es noch weitere Unterteilungen und auch die genannten Oberbegriffe (pragmatische, ethische, mystische Religionen) können weiter unterteilt werden.

Pyrus
03.06.2004, 00:42
Ich habe mich eigentlich gar nicht auf dich bezogen, sondern auf den Anfangspost.

Und dennoch steht meine Meinung im Widerspruch zu deiner, da meiner Meinung nach eine Ideologie keine Form der Religion ist. Es mag sein, dass viele Ideologien auf den Inhalten religiöser Überlieferung und Tradition basieren, doch besteht eine Religion nicht bloss aus Überlieferung und Tradition und eine Ideologie für sich alleine ist keine Religion.

Ganz unabhängig davon, wie ich deine Einteilung in Kategorien sonst bewerte, ist die Ideologie meiner Meinung nach dort nicht am rechten Ort. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ich deiner Definition von Religion absolut nicht zustimme.

-[IoI]-Ins@ne
03.06.2004, 00:48
@ Darnoc:
Lass mich raten, Theologiestudent?

Interessant zu differenzieren wäre für mich hingegen, inwieweit Ideologie und Wissenschaft ihre Wurzeln zurückziehen, denn aus Ideologie, Vorstellung, Grundglauben kann überdies ja einmal Wahrheit werden, indem sie bewiesen wird.

Wenn Ideologie eine Weltanschauung ist, die wirklichkeitserklärend ist, dann ist jede Ideologie der Grundstein der modernen Wissenschaft, und dessen unterschied liegt lediglich in der Beweislage.

Bei Religionen hingegen verschloss und verschließt man -imo- immer noch die Augen vor Beweisen die gegen die Wirklichkeitsbezug der Religion sprechen, man ist sozusagen von seinem Glauben geblendet, während die Ideologie auf bekannten Fakten und Möglichkeiten aufbaut, rational mit Vernunft analysiert wird und das wahrscheinlichste Modell genommen wird.

Ideologie ist also etwas, das unserer Vernunft entspringt, und Religion ist etwas, das unserem Wunsch nach einem höherem Sinn, höherer Gerechtigkeit etc. entspricht, um irrationale Lücken entgegen unserer Ängste und Befürchtungen optimal auszufüllen und somit viel Last von unseren Schultern zu nehmen.

Netbek
03.06.2004, 01:48
ich schliess mich soweit insane an und füge hinzu.
Die ideologie ist gegenüber gewöhnlicher Politik sehr rational und theoretisch, aber nicht absolut rational, sondern auf empirisch erfassten wahrheiten beruhend.
Die Ideologie ist solange rational, wie der mensch fähig ist zu erfassen. Der Vorteil der Ideologie gegenüber gewöhnlichem Empirismus ist, dass sie zB. Zielkonflikte auflösen kann anstatt den Zielkonflikt zu erhalten und eine Mittellösung(Gewinn-Optimum usw) zu ermitteln.

Wenn eine Ideologie ins Glaubensgebiet schreitet bzw. Dinge beschreibt, die der Mensch nicht erfassen kann, dann ist es keine Ideologie mehr sondern Religion o.ä.

Pyrus
03.06.2004, 02:02
Original geschrieben von -[IoI]-Ins@ne
@ Darnoc:
Lass mich raten, Theologiestudent?
Würde mich doch sehr wundern.


Dein Post finde ich etwas wirr. Ich versuche mal paar Dinge rauszupicken, die mir nicht ganz klar wurden:

Was bewiesen ist, ist nicht wahr.

Man kann Religion nicht als das definieren, was seine Augen vor der Wirklichkeit verschliesst und sich gegen Unbestreitbares richtet. Es ist sehr wohl möglich religiös zu sein und den Tatsachen in's Auge zu blicken.


Religion ist etwas, das unserem Wunsch nach einem höherem Sinn, höherer Gerechtigkeit etc. entspricht
Solange das für dich nicht heisst, dass dieser höhere Sinn nur gewünscht wird und nicht real ist, stimme ich dir zu, dass dies ein wesentlicher Bestandteil der Religion ist.

Darnoc
03.06.2004, 05:27
Ich bin kein Theologiestudent. Ich bin bloss ein Gymnasiast in der Terzia (10. Schuljahr) und hoffentlich zukünftiger Anglistik und Philosophiestudent. Und bekanntlich sind Philosophie und Theologie nicht weit auseinander ;)

Ich bezog mich vorallem auf Kant, worauf man die Wirklichkeit niemals erfassen kann. Deshalb beschreiben alle Modelle, gleich ob sie religiöser, ideologischer oder wissenschaftlicher Natur sind, Dinge, die wir niemals beweisen können. Man muss sie glauben. An die Erkenntnisse der Wissenschaft muss man auch glauben, ob sie tatsächlich die Realität beschreiben, werden wir niemals wissen.

Deshalb müssen wir wohl eher alles unter "Glaube" zusammenfassen und bei Glauben folgende vier Kategorien machen:

- Reiner Glaube (bereits erklärt)
- Religion
- Ideologie (eventuell auch Untergruppe der Religion, doch teilweise auch verbunden mit Wissenschaft, deshalb eher eine eigene Gruppe)
- Wissenschaft

Wieso ich die Wissenschaft auch als Glaube ansehe und den empirischen Beweis nicht anerkenne? Auch die Wissenschaft muss auf ihrem Fundament Annahmen treffen, beschreibt also nicht die Wirklichkeit, wie sie wirklich ist. Zum Beispiel muss die Wissenschaft glauben, dass die Welt wirklich so ist, wie wir sie empirisch beobachten können. Dies ist jedoch unbeweisbar. Weiter glaubt die Wissenschaft, dass sie die Wirklichkeit beschreiben kann und erhebt Wahrheitsanspruch. Da kommt sie einer Religion schon sehr nahe.

@Zareen: Wenn du nicht mit meiner Definition von Religion einverstanden bist, so gib mir bitte deine, damit wir vergleichen können. Ich persönlich denke, eine Definition leitet sich aus den allgemeinen Eigenschaften einer Sache heraus. Wenn ich also die Eigenschaften zusammenzähle, welche allen Religionen gleich sind, so habe ich die Definition des Begriffs Religion. Meine Kategorisierung leitet sich vom klassischen griechischen Modell ab, wonach man von Allgemeinen zum Speziellen geht. Desto weniger Eigenschaften etwas aufweist, desto allgemeiner ist der Begriff; desto mehr Eigenschaften er aufweist, desto spezieller ist er.

Pyrus
03.06.2004, 13:45
Original geschrieben von Darnoc
- Eine Religion hat ein Ziel (oftmals die Errettung des Menschen)
- Um dieses Ziel zu erreichen werden gewisse Methoden angewandt (Regeln einhalten, Rituale befolgen etc.)
- Eine Religion ist dazu da, um gewisse (oftmals unerklärbare) Dinge zu erklären
- Eine Religion ist nicht beweisbar, sie muss geglaubt werden und beinhaltet deshalb ein Glaube
- Eine Religion behauptet von sich, wahr zu sein (jedenfalls in den meisten Fällen; oftmals wird auch behauptet "die einzige Wahrheit" zu sein)
Du reduzierst die Religion auf ihre soziologischen, psychologischen und ökonomischen Komponenten. Somit streichst du aus ihr alle Religiösität und nennst sie dennoch Religion.
Mir kommt es so vor, als würdest du ein Shampoo beschreiben wollen und dabei nur die Flasche untersuchen. Ich kann dir keine eigene Definition von Religion geben. Für mich muss die Religion etwas nur ihr Eigenes besitzen, ansonsten ist sie keine Religion. Diese Eigentümlichkeit liegt wahrscheinlich darin, dass in der Religion geistig unfassbare Dinge erfahren werden. Doch diese Erfahrungen kann ich nicht beschreiben, weil sie eben geistig unfassbar sind.

F. Schleiermacher schrieb: "Religion ist das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit".